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Höhen und Herzen

Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst

Teil 6 - Leichter als Luft

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Ein Tag mit neuen Perspektiven und echten Freunden

Schule ist wie befreit

Montagmorgen. Die Schule fühlt sich heute… anders an. Leichter. Als hätte jemand das bleierne Gewicht aus meinen Gedanken genommen. Noch am Freitag war mein Kopf ein einziges Chaos aus Shooting, Mathe-Hausaufgaben und Leo. Vor allem Leo. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, nicht einmal meinen eigenen Namen richtig schreiben. Aber jetzt? Jetzt bin ich da. Richtig da. Ich sitze in der ersten Stunde und merke es sofort – ich bin fröhlicher als sonst. Nicht so überdreht, dass es auffallen würde, aber… lockerer. Entspannter. Ich lache mehr, beteilige mich ausnahmsweise freiwillig am Unterricht (okay, vielleicht nur einmal, aber immerhin). Und es bleibt nicht unbemerkt.

„Ey, Justin, hast du irgendwas genommen?“ Maik lehnt sich mit seinem Stuhl ein Stück zu mir rüber und grinst. „Du siehst ja fast glücklich aus. Unnatürlich glücklich für einen Montagmorgen.“ Johannes, der neben ihm sitzt, schnaubt. „Hormonflash. Vielleicht 'ne neue heimliche Liebe?“ Er zwinkert übertrieben und ich verdrehe die Augen. Hormonflash. Wenn die wüssten. Ich schiebe mein Matheheft zur Seite und zucke nur mit den Schultern. „Ich hatte ein gutes Wochenende, Mann. Vielleicht solltet ihr auch mal was anderes tun als zocken und schlafen.“

„Frech.“ Maik grinst. „Aber ernsthaft, du bist irgendwie anders. Entspannter.“ Ja. Weil ich mich so fühle. Weil es sich gut anfühlt, Leo in meinen Gedanken zu haben – aber nicht mehr auf diese chaotische, alles vereinnahmende Art wie am Freitag. Es fühlt sich… richtig an. Ich lehne auf meinen Stuhl zurück, Maik und Johannes unterhalten sich gerade über irgendein Fußballspiel, das ich mir sowieso nie anschaue.

Mein Blick wandert unauffällig zum Handy in meiner Hand. Leo hat geschrieben.

Leo: Moin. Hoffe, du hast einen besseren Wochenstart als ich.

Ich tippe schnell zurück.

Ich: Ich sitze in Mathe. Also nein.

Leo: Dann bin ich nicht allein. Ich hab heut wieder den ganzen Tag Arzttermine. I love my life.

Ich kaue auf meiner Lippe herum. Ich wusste, dass Leo heute wieder in die Klinik muss. Es ist ein Teil dieser ganzen Forschungsgeschichte – sein Körper wird ständig gescannt, vermessen, analysiert. Manchmal klingt er ganz cool damit, manchmal eher genervt.

Ich: Schon wieder? Musst du den ganzen Tag da rumhängen?

Leo: Jep. Tests, Messungen, Bewegungsanalysen. Ich bin basically ein Versuchskaninchen mit Skateboard.

Ich grinse vor mich hin.

Ich: Aber ein verdammt cooles Versuchskaninchen.

Ich überlege kurz, ob das zu flirty klingt. Aber Leo antwortet sofort:

Leo: Na klar. Versuchskaninchen mit Style.

Ich spüre, wie es warm in meiner Brust wird. Es ist nur ein Chat. Nur ein paar Sätze auf einem Bildschirm. Aber es fühlt sich nach mehr an. Nach diesem stillen Band zwischen uns.

Ich: Hast du später Zeit?

Leo: Ja, wenn ich aus dem Labor raus bin. Lass uns heute Abend telefonieren.

Mein Herz macht diesen kleinen Sprung. Telefonieren. Wir haben bisher nur geschrieben. Aber seine Stimme zu hören… Ich will das. Ich will ihn.

Ich: Gern. Sag einfach Bescheid, wenn du Zeit hast.

Ich kann nicht anders, als leicht zu grinsen.

„Justin, Alter, warum guckst du so?“ Maik schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Du siehst aus, als würdest du innerlich ein Lied singen.“ „Was?“ Ich zucke zusammen und sperre mein Handybildschirm. „Quatsch.“ Johannes zieht skeptisch eine Braue hoch. „Aha. Schreibst du mit jemand Bestimmtem?“ „Vielleicht.“ Ich versuche, locker zu klingen, aber ich spüre, wie meine Ohren warm werden. „Junge, wenn du dir jetzt 'ne Freundin angelacht hast und es uns nicht erzählst…“ Maik schüttelt gespielt enttäuscht den Kopf. Ich lache kurz. Wenn ihr wüsstet.

Nach der Schule – Auf dem Heimweg

Ich schwinge meinen Rucksack über die Schulter und laufe zur Bushaltestelle. Noch immer ist dieses leichte Gefühl da. Dieses Kribbeln. Weil Leo heute Abend anrufen wird. Weil es sich nach einem Schritt nach vorne anfühlt.

Aber auch…, weil ich zum Jugendtreff gehen will. Ich war ein paar Mal nicht dort. Vielleicht, weil ich mich mehr mit mir selbst beschäftigt habe, mit den Shootings, mit meinen Gefühlen für Leo. Aber jetzt spüre ich den Drang, wieder hinzugehen. Zu den Leuten, die mich verstehen. Zu Sebbi und Luis, die mich nie seltsam anschauen würden, wenn ich von jemandem schwärme.

Ich lasse den Blick über die vorbeiziehenden Häuser schweifen. Der Gedanke an Leo bleibt in meinem Kopf hängen. An seine Sprüche, sein schiefes Grinsen. Heute Abend werde ich seine Stimme hören. Und ich kann es kaum erwarten.

Zuhause. Ich sitze am Schreibtisch, Hausaufgaben aufgeschlagen, aber meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Mathe, Englisch, Geschichte – es läuft besser als am Freitag, weil mein Kopf nicht mehr so chaotisch ist. Aber trotzdem. Leo ist da.

Sein Name ist wie eine kleine Melodie in meinem Kopf. Ich muss mich zwingen, die Zahlen und Formeln auf dem Papier richtig zu lesen, weil ich mich dabei ertappe, mit dem Stift immer wieder kleine Kreise zu zeichnen. Oder seinen Namen. Verdammt.

Aber wenigstens bin ich produktiv. Ich will die Hausaufgaben heute unbedingt fertigbekommen, denn später will ich nur noch einen Gedanken haben – an ihn.

Auf dem Weg zum Jugendtreff

Draußen ist die Luft frisch, aber nicht kalt. Der Himmel ist ein tiefes Blau, das langsam in ein sanftes Dunkel übergeht. Die Straßenlaternen werfen lange Schatten auf den Gehweg, während ich mit den Händen in den Taschen und federndem Schritt Richtung Jugendtreff laufe.

Es fühlt sich gut an, wieder hinzugehen. Ich war zu lange nicht da, und irgendwie… habe ich das vermisst. Die Gespräche. Die Vertrautheit. Das Gefühl, einfach ich selbst sein zu können.

Mein Herz schlägt ein kleines bisschen schneller, als ich an das denke, was mich gleich erwartet. Sebbi, Luis, vielleicht Romeo und die anderen. Und Chris, der immer alles zu durchschauen scheint.

Ich schiebe die Tür auf – vertraute Geräusche. Stimmen, Lachen, das Klackern von Billardkugeln. Und hinter dem Tresen…: Chris. Sein Blick fällt auf mich, und er stutzt. „Oha.“ Seine Augen verengen sich kurz, dann lehnt er sich auf den Tresen. „Justin.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Ja?“ „Du lächelst.“ Ich lache auf. „Äh… ja? Darf ich das nicht?“ Chris mustert mich, als hätte ich ihn gerade vor eine besonders knifflige Aufgabe gestellt. „Doch. Doch. Aber du lächelst anders.“

Ich will protestieren, aber bevor ich das tun kann, schießt Sebbi um die Ecke.

„JUSTIN!“ Er packt mich sofort am Arm und zieht mich mit sich. „Du warst lange nicht da! Erzähl! Wie war das Shooting? Hast du jetzt ein geiles Modelleben? Gibt es fancy Partys mit Gratisdrinks und du trägst nur noch Designerklamotten?“

Ich lache und lasse mich auf die Couch fallen, während Luis sich grinsend neben Sebbi setzt. „Ja, total. Ich fliege jetzt nur noch in Privatjets.“

„Also wirklich, erzähl schon.“ Sebbi macht es sich bequem und sieht mich mit großen Augen an. „Wie war’s? Zeig Bilder!“

Ich hole mein Handy raus, scrolle durch die Galerie und öffne ein paar der professionellen Aufnahmen, auf die ich jetzt durch den Cloudzugang Zugriff habe. Sebbi und Luis rutschen näher, Romeo lehnt sich von der Seite herüber.

„Oha.“ Luis pfeift leise. „Alter, du siehst ja richtig badass aus.“

„Krass.“ Sebbi nickt anerkennend. „Ich meine, wir wussten ja schon, dass du hübsch bist, aber das hier?“

Ich werde warm im Gesicht. „Es ist halt das Licht. Und Finn ist ein verdammt guter Fotograf.“

„Ja, ja, red’s ruhig klein. Du siehst Hammer geil aus.“ Sebbi tippt mit dem Finger auf ein Bild, wo ich konzentriert an der Wand hänge, Muskeln gespannt, der Blick fokussiert. „Und du wirkst irgendwie… anders. Erwachsener. Selbstbewusster.“

Sebbi schubst mich grinsend an und Luis nickt heftig. „Voll! Das sieht echt aus wie aus einem Magazin.“

„Wartet mal, ich glaub, ich hab noch was...“, murmle ich und tippe auf eines der Videos. Sofort startet der kurze Clip, in dem Finn mich in Bewegung aufgenommen hat: Ich drehe mich langsam zur Kamera, der Blick erst ernst und intensiv, dann bricht sich ein zaghaftes Lächeln Bahn.

„Oh mein Gott!“, quietscht Romeo begeistert direkt neben meinem Ohr. „Justin, du hast ja richtig Star-Vibes!“

Sebbi lehnt sich weiter vor, sein Kinn fast auf meiner Schulter, seine Stimme bewundernd leise: „Diese Augen, Junge. Damit kannst du einfach alles haben, was du willst.“

Luis lacht auf. „Oder jeden.“

Ich spüre, wie mir erneut warm wird. „Jetzt übertreibt nicht.“

„Wir übertreiben überhaupt nicht“, protestiert Romeo sofort. „Wenn ich Finn wäre, hätte ich die Kamera fallen gelassen.“

Sebbi nickt zustimmend. „Safe. Du weißt gar nicht, wie du wirkst, Justin. Echt nicht.“

„Okay, Jungs, beruhigt euch mal“, versuche ich scherzhaft abzulenken, aber innerlich fühlt sich alles aufgedreht und seltsam gut an. Gleichzeitig frage ich mich, ob sie Recht haben, und die Erinnerung daran, wie Finn mich durch die Kamera betrachtet hatte, lässt meinen Puls kurz aus dem Takt geraten.

Sebbi tippt erneut aufs Display, das Video läuft ein zweites Mal. „Also eins steht fest: Wenn du nicht berühmt wirst, weiß ich auch nicht.“

„Mhm“, summt Romeo nachdenklich, während er mich von der Seite her neckisch mustert. „Und denk dran, wir waren deine ersten Fans. Nicht vergessen, wenn du auf diesen fancy Partys chillst.“

Ich rolle lachend mit den Augen und schiebe ihn leicht weg. Doch tief in mir klingt Sebbis Satz nach: Du weißt gar nicht, wie du wirkst. Vielleicht hatte ich das wirklich nie verstanden – bis jetzt.

Ich weiß nicht, ob ich mir das einbilde, aber Luis schaut mich für einen Moment richtig an. So, als würde er etwas in mir sehen, das ich selbst noch nicht ganz verstehe.

Dann schmunzelt er. „Aber warte mal.“

Ich blinzele. „Was?“

„Du erzählst viel über das Shooting.“ Er lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. „Aber irgendwie immer wieder über eine bestimmte Person.“

„Was?“ Ich runzle die Stirn. „Nein, tue ich nicht.“

„Doch, tust du.“ Sebbi grinst breit. „Leo.“

Mein Magen macht einen kleinen Sprung. „Quatsch.“

„Oh, come on.“ Luis schüttelt den Kopf. „Du hast mindestens fünfmal seinen Namen gesagt, seit du angefangen hast zu erzählen. Und jedes Mal hast du dabei so geguckt.“

„Wie?“ Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu.

Sebbi imitiert mich übertrieben: Macht große Augen, setzt ein leichtes, verträumtes Lächeln auf. „Hach, Leo…“

Ich schlage ein Kissen nach ihm. „Halt’s Maul!“

Sebbi lacht und weicht aus. „Du bist so verknallt, Alter!“

„Bin ich nicht!“

„Oh doch.“ Luis lehnt sich vor. „Und das ist süß.“

„Und mega cute.“ Romeo grinst zum ersten Mal und nickt zustimmend.

Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. „Ihr spinnt.“

„Nein, Mann.“ Sebbi legt eine Hand auf mein Knie. Sanft. „Wir freuen uns für dich.“

Für einen Moment bleibt alles still. Ich sehe in Sebbis Gesicht, in die warmen Blicke von Luis und Romeo. Und ich merke…, sie meinen es ernst.

„Ehrlich jetzt?“ Ich höre mich selbst ein bisschen unsicher an.

Sebbi nickt. „Ja. Ich meine, wir wissen, dass du schon länger hoffst, jemanden zu finden, oder?“

Ich beiße mir auf die Lippe. „Ja.“

Luis lächelt. „Dann genieß es, Justin. Wir freuen uns für dich.“

Ich atme tief durch und lehne mich zurück. Sie ziehen mich immer noch auf, aber es fühlt sich… gut an.

Spieleabend – Lachen & Ehrliche Momente

Es wird ein gemütlicher Abend. Karten, ein paar lockere Runden Werwolf, viel Gelächter. Die Themen wechseln fließend, von völlig absurden Witzen bis hin zu tiefen Gesprächen. So ist es hier immer.

Sebbi erzählt eine Geschichte über seinen ersten Freund. Luis wirft ein, dass Beziehungen eh nicht immer perfekt sind. Romeo spricht kurz über seine Unsicherheit mit seinem Crush – niemand lacht ihn aus. Hier kann man sein, wie man ist.

Ich merke, wie sehr ich das gebraucht habe. Hier zu sein. Unter Menschen, die mich verstehen. Aber irgendwann schaue ich auf die Uhr – es ist Zeit zu gehen. Ich verabschiede mich von den anderen, bekomme nochmal ein paar neckende Sprüche mit auf den Weg „Richte Leo schöne Grüße aus!“ – „Vergiss nicht, tief durchzuatmen, bevor du rangehst!“, aber ich winke nur lachend ab und verlasse den Jugendtreff. Die kühle Nachtluft schlägt mir entgegen, als ich nach Hause laufe. Mein Herz schlägt etwas schneller. Leo wird gleich anrufen. Und ich kann es kaum erwarten.


Ich schließe leise die Wohnungstür hinter mir und werfe meine Jacke über den Stuhl. Der Geruch von Bobby's Duschgel hängt noch leicht in der Luft – frischer Eukalyptus mit einem Hauch von Zitrone. Also ist er gerade erst nach Hause gekommen. Als ich in die Küche trete, sehe ich ihn. Mein großer Bruder.

Er sitzt auf einem der Barhocker, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, ein halb aufgegessenes Sandwich vor sich. Seine Schultern sind leicht nach vorne gesunken, die dunklen Schatten unter seinen Augen verraten, dass er wieder viel zu lange gearbeitet hat.

„Hey“, sage ich leise.

Er hebt den Kopf und schenkt mir ein müdes, aber ehrliches Lächeln. „Na, du bist ja spät dran.“

Ich lehne mich gegen den Türrahmen. „Ja, Jugendtreff. War schön.“

Er nickt langsam, nimmt einen letzten Bissen von seinem Sandwich. Ich sehe, wie schwer seine Bewegungen sind, wie er sich bemüht, wach zu bleiben. Irgendwas war heute besonders anstrengend.

„Alles okay?“ frage ich vorsichtig. Er winkt ab. „Langer Tag. Büro-Kram, Meetings. Nichts, was mich umbringt.“ Ich mustere ihn skeptisch. „Du siehst aber aus, als hätte es dich halb umgebracht.“ Ein leises Lachen entweicht ihm, während er sich mit der Hand über die Augen reibt. „Ach, komm schon. Ich bin ein alter Mann, Justin. Irgendwann holt mich die Erschöpfung eben ein.“ „Mit 26 bist du nicht alt.“ Ich grinse. „Aber vielleicht solltest du mehr schlafen.“ „Oh, bitte. Wer von uns Beiden steht gleich noch bis spät in der Nacht am Handy?“ Er hebt eine Augenbraue und mustert mich.

Mein Gesicht wird warm. Verdammt. Er durchschaut mich immer. „Ich stehe nicht… also… ich meine…“ Bobby lehnt sich grinsend zurück. „Leo ruft gleich an, oder? Ich seufze. „Ja.“ Er lacht. „Dachte ich mir.“ Ich kann nicht anders, als auch zu grinsen. Woher weiß er das jetzt schon wieder, oder bin ich wirklich so offensichtlich. Er wird wieder etwas ernster. „Ich freu mich für dich, Justin. Wirklich. Ich sehe, dass dich das glücklich macht.“ Ich schlucke kurz. „Tut es auch.“ Er nickt zufrieden. Dann, in typisch Bobby-Manier, hebt er mahnend den Zeigefinger. „Aber vergiss die Schule nicht. Deine Konzentration war letzte Woche schon nicht die beste.“ „Ja, ja.“ Ich verdrehe die Augen, aber insgeheim weiß ich, dass er Recht hat. Er mustert mich kurz, dann hebt er beide Hände. „Okay, ich sag nichts mehr. Ich bin nur dein großer Bruder, was weiß ich schon?“ „Ziemlich viel. Und das nervt.“ Er lacht und schüttelt den Kopf. „Hau ab, bevor dein Handy klingelt. Ich will nicht Zeuge deiner kitschigen Teenie-Romanze sein.“ „Ist keine Romanze.“ Er hebt eine Augenbraue. Ich schnaube. „Noch nicht.“ Er grinst nur. „Na dann.“

Dann klingelt auch schon mein Handy. Ich springe von meinem Platz auf, fast ein bisschen zu schnell, und eile in mein Zimmer. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, und ich werfe mich auf mein Bett, das Handy bereits am Ohr. „Hey“, sage ich atemlos. „Hey, Justin.“ Seine Stimme. Tief, warm, vertraut. Ich schließe für einen Moment die Augen, genieße einfach, dass er da ist – auch wenn es nur durch eine Leitung ist. „Freut mich, dass du Zeit hast.“ Ich lache leise. „Natürlich. Ich hab den ganzen Tag darauf gewartet.“ „Oh? Ich wusste gar nicht, dass ich so wichtig bin.“ „Denk nicht, dass ich dir das nochmal sage.“ Leo lacht, und mein Herz macht diesen kleinen Sprung, den ich inzwischen nur allzu gut kenne. „Also“, beginnt er. „Mein Tag war… anstrengend. Aber spannend.“ „Wie lief’s?“ „Heute haben sie eine neue Art von Hautmaterial getestet. Eine Mischung aus Silikon und einem speziellen Polymer, das sich noch mehr wie echte Haut anfühlt.“ Ich höre ihm gebannt zu. „Und? Taugt’s was?“ „Mehr als das. Es fühlt sich fast echt an. Und das Beste? Es wird angewärmt, damit es nicht so kühl ist. Die Temperatur passt sich der Umgebung an, genau wie bei echter Haut.“

Ich bin sprachlos. „Wow.“ „Ja. Die haben heute mehrere Tests mit unvoreingenommenen Personen gemacht. Händedrucke, Berührungen, alltägliche Bewegungen. Fast niemand hat den Unterschied bemerkt.“ „Das ist unglaublich.“ „Ja. Und ich kann’s kaum erwarten, es dir am Freitag zu zeigen.“ Ich stutze. „Wirklich?“ „Ja. Ich will, dass du’s selbst fühlst. Dann sagst du mir, ob du’s erkennen würdest.“

Mein Herz schlägt schneller. Freitag. Das klingt noch so weit weg. „Ich will nicht warten“, murmele ich leise. Leo lacht. „Geduld, Justin.“ Ich schnaube. „Sagt der, der immer sofort mit seinem Skateboard losziehen muss, weil er nicht stillsitzen kann.“ „Hey, das ist was anderes.“ „Nein, ist es nicht.“ Er lacht wieder, und ich liebe dieses Geräusch. Dann wird er leiser. „Aber ehrlich, ich bin froh, mit dir zu reden.“ Mein Magen flattert. „Ja?“ „Ja.“ Seine Stimme ist weicher jetzt. „Ich hatte einen langen Tag, und ich… naja. Es ist einfach schön, dich zu hören.“

Mein Herz klopft so laut, dass ich sicher bin, er kann es durch die Leitung hören. „Geht mir genauso“, sage ich leise. Einen Moment lang sagen wir nichts. Aber es ist kein unangenehmes Schweigen. Es ist vertraut. Es ist Nähe. Ich drehe mich auf den Rücken, starre an die Decke. Meine Finger spielen gedankenverloren mit dem Saum meiner Bettdecke. „Freitag fühlt sich gerade ewig weit weg an“, murmele ich. „Findest du?“ „Ja.“ „Dann müssen wir wohl einfach noch öfter telefonieren.“ Ich grinse. „Gute Idee.“

Ich weiß nicht, wie lange wir noch reden. Aber es fühlt sich an wie Stunden. Ich erzähle ihm von der Schule, von Sebbi und den anderen im Jugendtreff, von Bobby, der mich durchschaut wie ein verdammtes Röntgengerät. Er erzählt mir mehr über die Forschung, über die Zukunft dieser Technologie, über seine eigenen Gedanken dazu. Und irgendwann werden unsere beider Stimmen müder, unser Lachen leiser, unsere Worte langsamer. Ich könnte für immer so weitermachen.

Aber dann klopft es an meine Tür. „Justin?“ Bobby. Ich blinzele: „Ja?“ „Schon spät. Zeit fürs Bett.“ Ich stöhne leise. „Ugh.“ Leo lacht am anderen Ende der Leitung. „Na los, Justin, geh schlafen.“ Ich seufze. „Fein. Aber nur, wenn du mir morgen wieder schreibst.“ „Versprochen.“ „Okay.“ Ich halte kurz inne. „Gute Nacht, Leo.“ „Gute Nacht, Justin.“

Ich lege auf, lasse mein Handy sinken und starre für einen Moment in die Dunkelheit. Mein Herz klopft schneller als es sollte. Mein Gesicht fühlt sich warm an. Ich bin glücklich. Und Freitag kann nicht früh genug kommen.

Ich lege mein Handy zur Seite, lasse es langsam auf die Matratze gleiten, während ich mich auf den Rücken drehe. Mein Zimmer ist still, nur das leise Summen des Kühlschranks aus der Küche dringt durch die Wände. Mein Herz schlägt immer noch ein bisschen zu schnell.

Mein Blick wandert zur Decke, aber ich sehe nicht wirklich hin. Ich sehe stattdessen ihn. Leo. Seine Art zu lachen, dieses leichte, schelmische Grinsen, das er immer hat, wenn er mich neckt. Die Art, wie seine Stimme sich verändert, wenn er ernster wird, wenn er über etwas spricht, das ihm wirklich wichtig ist.

Ich drehe mich auf die Seite, vergrabe mein Gesicht ein Stück im Kissen. Habe ich mir das alles nur eingebildet? Leo und ich – wir haben noch nie offen darüber gesprochen. Über uns. Über… mich. Ich habe ihn nie gefragt, ob er auf Jungs steht. Ich habe nie gesagt, dass ich auf ihn stehe.

Aber wieso fühlt es sich dann so an, als wäre da mehr? Seine Blicke. Seine Worte. Wie er mich ansieht, manchmal einen Moment länger als nötig. Wie er mich berührt, spielerisch, aber nie zufällig. Wie seine Stimme ein bisschen weicher wird, wenn er mit mir spricht.

Ist das nur Freundschaft? Mein Magen zieht sich zusammen. Was, wenn ich mich irre? Was, wenn ich in etwas hineininterpretiere, das gar nicht da ist?

Aber dann erinnere ich mich an heute. An unser Gespräch. Wie er gesagt hat, dass er froh ist, mit mir zu reden. Wie er leise gelacht hat, als ich sagte, dass Freitag ewig weit weg ist. Wie er „Versprochen.“ gesagt hat, als ich ihn bat, mir morgen wieder zu schreiben. Ich beiße mir auf die Lippe. Es könnte so einfach sein. Ich könnte ihn einfach fragen. Ich könnte einfach sagen, was ich fühle. Aber dann? Was, wenn er überrascht ist? Was, wenn er nicht so fühlt? Oder… was, wenn er genau so fühlt und sich dieselben Fragen stellt? Mein Kopf rattert. Aber dann, während ich noch darüber nachdenke, spüre ich etwas anderes. Etwas viel Stärkeres als die Zweifel.

Ich bin glücklich. Egal, ob ich es ausspreche oder nicht – ich fühle es. Ich freue mich auf ihn, auf Freitag, auf das, was kommt. Und vielleicht… muss ich nicht sofort eine Antwort haben. Vielleicht ist es okay, es einfach so zu fühlen. Ich atme tief ein, lasse die Luft langsam wieder entweichen. Mein Herzschlag beruhigt sich. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht. Ich schließe die Augen. Und mit dem Gedanken an ihn schlafe ich ein.

Mehr als nur ein Foto

Kaum betrete ich die Kletterhalle, stürmen Malik und Jonas schon auf mich zu. Ich habe nicht mal die Chance, meine Tasche richtig abzusetzen, da hängen sie mir schon an den Lippen.

„Alter, da ist unser Model!“ Malik grinst breit, seine Augen leuchten vor Neugier. „Wie war’s beim Shooting? Hast du den ganzen Tag nur posiert oder hast du auch mal geschwitzt?“

Jonas lacht. „Ja genau! Und wichtiger: Was hat Leo dazu gesagt?“ Er hebt eine Augenbraue, ein schelmisches Grinsen auf den Lippen.

Mein Magen macht einen kleinen Sprung. Klar, dass die beiden direkt nach Leo fragen. Ich verdrehe spielerisch die Augen und öffne den Reißverschluss meiner Tasche, während ich versuche, meine Gedanken zu ordnen.

„Wow, entspannt euch mal.“ Ich grinse und schiebe mir eine Haarsträhne aus der Stirn. „Es war… krass. Ganz anders, als ich es erwartet habe. Viel anstrengender. Ich dachte ja irgendwie, dass so ein Shooting nur aus ein paar coolen Posen besteht, aber nope – ich hab richtig trainiert, Boulder-Sessions mit Kai gemacht, mentale Übungen, und das alles vor laufender Kamera.“

Malik klatscht in die Hände. „Ich wusste es! Ich hab’s Jonas schon gesagt – Justin wird zum Star-Athleten, bevor wir es merken.“

Ich lache, schüttle den Kopf und ziehe mein Handy aus der Tasche. „Hier, ich zeig’s euch einfach.“ Ich öffne die Galerie, scrolle durch die Bilder und halte das Display hoch. Erste Reaktion? Pure Stille. Dann: „Wow.“

Malik nimmt mir fast das Handy aus der Hand, während Jonas sich näher beugt. Die beiden starren auf die Bilder, ihre Augen riesig. „Alter. Das bist DU?!“ Jonas blinzelt, als würde er nicht glauben, was er sieht.

Ich zucke mit den Schultern. „Ja…?“

„Das sieht… verdammt beeindruckend aus.“ Malik wischt durch die Bilder, stoppt bei einem, wo ich gerade einen kraftvollen Move an der Wand mache – meine Muskeln angespannt, mein Blick konzentriert, das Licht genauso getroffen, dass es jede Faser meines Körpers hervorhebt. „Junge, schau dir das an. Deine Unterarme…, die Sehnen, die Muskeln. Das sieht aus, als hättest du jeden verdammten Zug berechnet.“

Jonas nickt. „Und dein Gesichtsausdruck. So fokussiert. Fast… entschlossen?“

Ich schmunzle. „Ja, Finn hat gesagt, ich soll einfach ich selbst sein. Dass die besten Bilder dann entstehen, wenn ich gar nicht an die Kamera denke.“

„Mann, die Dynamik hier ist Wahnsinn.“ Malik zeigt auf ein Bild, wo ich gerade aus einem Sprung lande, mein Körper in Spannung, jede Bewegung eingefangen wie ein eingefrorener Moment der Kraft. „Sieht wie aus so einem krassen Sport-Werbespot aus.“

Ich spüre, wie mein Gesicht warm wird. Es ist seltsam, sich selbst so zu sehen – durch die Augen anderer. Für mich ist es einfach… ich. Ich mache, was ich immer tue. Klettern. Bewegen. Sein. Aber jetzt, wo ich es in ihren Reaktionen sehe, wird mir erst bewusst, wie anders es von außen wirken muss.

Dann wechselt Malik zum ersten Clip.

Das Video startet mit einem langsamen Kameraschwenk. Ich bin an der Wand, mein Körper gespannt, bereit für die nächste Bewegung. Dann der Moment, wo ich mich mit voller Kraft abdrücke – ein dynamischer Sprung, meine Hand streckt sich nach dem nächsten Griff, und genau im perfekten Timing fängt die Kamera den Augenblick, wo ich ihn packe, meine Finger sich darum schließen.

Jonas reißt die Augen auf. „Alter! Das sieht aus wie so eine Kinosequenz.“ „Ja, Mann, der Moment ist episch!“ Malik grinst und sieht mich an. „Wie hat sich das angefühlt? Vor der Kamera so zu performen?“

Ich überlege kurz, lasse den Moment noch mal vor meinem inneren Auge ablaufen. „Ehrlich? Erst komisch. Ich dachte, ich würde mich verkrampfen. Aber dann…, dann war ich einfach drin. Ich hab das Klettern nicht anders gemacht als sonst. Ich hab es nicht für die Kamera gemacht – sondern für mich. Und genau das wollten sie.“

Jonas nickt langsam. „Das merkt man. Es ist nicht gestellt. Das bist du.“ Ich merke gar nicht, dass sich inzwischen noch jemand zu uns gesellt hat. Erst als eine tiefe Stimme hinter uns erklingt, zucke ich kurz zusammen. „Darf ich auch mal sehen?“ Ich drehe mich um – Trainer Stefan. Und nicht nur er. Neben ihm stehen noch ein paar andere aus der Halle, einige der erfahreneren Kletterer. Offenbar sind wir so vertieft, dass wir gar nicht gemerkt haben, wie sich eine kleine Gruppe gebildet hat.

Ich schiele kurz zu Malik und Jonas, die nur grinsen. „Na los, zeig’s ihm“, flüstert Malik mir zu. Ich räuspere mich, halte das Handy hoch, und Stefan tritt näher. Seine Arme sind verschränkt, sein Blick konzentriert, während er das Video anschaut. Er sagt nichts. Das Video läuft durch, dann nochmal. Sekunden verstreichen. Dann hebt er langsam eine Braue: „Das ist… beeindruckend.“

Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer.

„Das war also dein erstes Shooting?“, fragt er und sieht mich an.

Ich nicke. „Ja. Naja, eigentlich schon das Zweite…“

Stefan betrachtet mich noch einen Moment, dann sieht er auf das Display zurück. „Die Körperspannung. Die Kontrolle. Du weißt genau, was du tust, und das zeigt sich in jeder Bewegung. Das hier ist nicht nur gutes Licht und eine gute Kamera – das ist Klettertechnik in ihrer reinsten Form.“

Ich schlucke. „Wow… danke.“

Er grinst leicht. „Du hast Talent, Justin. Nicht nur an der Wand, sondern auch in der Art, dich selbst zu präsentieren. Das ist eine seltene Kombination.“

Ich spüre, wie mein Brustkorb sich mit einem warmen Gefühl füllt. Es ist ein seltsames Gefühl, aber ein gutes.

Dann klopft er mir auf die Schulter. „Jetzt aber genug gequatscht. Ab an die Wand, Model. Mal sehen, ob du das hier auch live zeigen kannst.“

Lachen bricht aus. Ich grinse, schiebe mein Handy in die Tasche und ziehe mir meine Kletterschuhe an. Mein Körper fühlt sich leicht an, meine Gedanken klar. Ich bin bereit. Bereit für die Wand. Bereit für den nächsten Zug. Und während ich die erste Route für heute auswähle, weiß ich eines ganz sicher: Ich habe mich verändert. Und das hier ist erst der Anfang.

Mein Körper fühlt sich heute anders an. Leichter. Schneller. Als würde meine Beweglichkeit sich wie von selbst entfalten. Jeder Griff sitzt, meine Füße finden intuitiv den perfekten Halt. Selbst schwierige Übergänge, bei denen ich sonst länger überlegen müsste, gehen mir heute mühelos von der Hand.

Das liegt an Leo. Allein der Gedanke an ihn gibt mir dieses Gefühl von Auftrieb. Seit unserem letzten Telefonat bin ich irgendwie gelöst, befreit. Und es ist nicht nur er, – Kai hat mir im letzten Shooting einiges mitgegeben. Seine Tipps über Körperspannung, über das richtige Loslassen, über das Gefühl, sich nicht immer nur auf Kraft, sondern auch auf den natürlichen Schwung des Körpers zu verlassen, – ich setze sie heute unbewusst um. Und es funktioniert. Verdammt gut sogar.

Ich ziehe mich an einem schrägen Überhang hoch, mein Körper spannt sich durch, meine Finger klammern sich sicher an den Griff. Ein schneller Blick nach unten – Malik und Jonas stehen da, beobachten mich. Jonas schüttelt leicht den Kopf und grinst.

„Alter, was ist denn heute mit dir los?“ ruft Malik. „Hast du vor dem Training heimlich irgendwelche Superkräfte aktiviert?“

Ich lache kurz, schiebe mich weiter nach oben. Ich spüre es ja selbst. Ich bin schneller, flüssiger, kontrollierter. Und die anderen haben heute irgendwie keine Chance gegen mich. Ich lande nach meinem letzten Zug sauber auf der Matte und richte mich auf, während Jonas und Malik sich zu mir gesellen. Beide sind leicht außer Atem – ich bin es nicht wirklich.

„Ey, im Ernst, das ist doch nicht mehr normal!“ Jonas schüttelt den Kopf und mustert mich. „Seit wann bist du so verdammt gut? Hast du in der letzten Woche heimlich bei den Profis trainiert?“

Ich schmunzle und zucke mit den Schultern. „Na ja, vielleicht liegt’s am Shooting. Ich hab viel von Kai gelernt.“

„Kai…“ Malik hebt eine Augenbraue. „Oder vielleicht eher… Leo?“

Mein Herz macht diesen kleinen Sprung, mein Körper wird plötzlich wärmer. Ich tue so, als würde ich mir die Hände an meiner Shorts abwischen, versuche, mir nichts anmerken zu lassen. „Was soll das jetzt heißen?“

Jonas lacht. „Komm schon, Justin. Als du uns die Bilder gezeigt hast – du hast mehr über Leo geredet als über das eigentliche Shooting.“ „Ja, Mann, als würdest du ein neues Lieblingshobby haben – und es ist nicht Klettern.“ Malik grinst schelmisch.

Ich spüre, wie sich mein Magen leicht verkrampft. Bisher bin ich in der Klettergruppe ungeoutet.

Nicht, weil ich es absichtlich verschwiegen hätte – es hat sich einfach nie ergeben.

Ich schiebe mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und versuche, möglichst locker zu klingen. „Leo ist halt cool. Und er hat mir viel geholfen. Außerdem ist er in der Firma ziemlich wichtig.“

Jonas und Malik sehen sich kurz an, dann mustern sie mich gleichzeitig. „Wir meinen ja nur…“. Jonas lässt den Satz bewusst offen.

Ich spüre, dass sie etwas ahnen. Vielleicht nicht konkret, – aber sie merken, dass da mehr ist. Ich atme tief durch und sage nichts weiter dazu. Jetzt ist nicht der richtige Moment. Ich nehme mir vor, nach dem Training mit ihnen zu reden.

Aber erstmal… Konzentration auf das Hier und Jetzt. Ich springe leicht auf meine Füße, dehne meine Schultern und werfe einen Blick zur Boulderwand.

„Kommt schon, Jungs, weniger reden, mehr klettern!“ Ich grinse herausfordernd. „Oder seid ihr jetzt schon müde?“

Jonas verdreht die Augen. „Oh, jetzt ist er auch noch überheblich!“

Malik lacht. „Okay, Justin, Challenge angenommen!“

Und damit geht es weiter – diesmal nicht nur mit Technik, sondern mit einem spielerischen Wettkampf.

Training im Boulderbereich – Flow & Fokus

Wir wechseln zum Boulderbereich, wo sich die Wände ohne Seile erklimmen lassen. Hier zählt reine Körperkontrolle. Kein Sicherungsseil, keine zweite Chance, wenn man abrutscht. Ich liebe es. Die Herausforderung, sich rein auf die eigene Kraft und Technik zu verlassen. Den eigenen Körper spüren.

Malik startet zuerst, zieht sich an einer komplexen Route entlang, seine Beine gestreckt, sein Körper in perfektem Gleichgewicht. Ich kann sehen, wie sich seine Muskeln unter seinem Shirt anspannen.

Ich beobachte ihn. Nicht auf eine Weise, die auffällig wäre – aber ich merke es selbst. Mein Blick wandert über die Linien seiner Arme, seine Schultern, die sich mit jeder Bewegung definieren. Und dann frage ich mich – haben sie mich je dabei erwischt? Merken sie, dass ich manchmal länger hinschaue?

Ein kurzer Gedanke – dann schiebe ich ihn weg. Konzentration.

Malik erreicht den letzten Griff, springt dann von der Wand auf die Matte. „Geschafft!“ Er streicht sich den Schweiß von der Stirn und sieht mich herausfordernd an. „Okay, Modelboy, jetzt zeig mal, was du kannst.“

Ich grinse. „Na dann.“ Ich steige ein. Und ich spüre es sofort – meine Bewegungen sind flüssiger als je zuvor. Ich hänge mich in die Route, finde den perfekten Rhythmus. Mein Körper versteht den Ablauf. Ich nutze nicht nur rohe Kraft, sondern auch das Momentum. Genau das, was Kai mir beigebracht hat. Ich nehme mir Zeit. Fühle.

Ein weiter Sprung – meine Finger krallen sich um den Griff, mein Körper schwingt nach, fängt sich genau im richtigen Moment ab. Ich höre ein leises „Wow“ von unten, kann aber nicht genau sagen, von wem es kommt. Noch ein paar Züge – dann erreiche ich den Top-Griff. Ich klopfe leicht dagegen, bevor ich mich bewusst zurückfallen lasse und sicher auf der Matte lande.

Ein kurzes Schweigen. Dann: „DAS war sick.“ Malik schüttelt ungläubig den Kopf. „Ey, Justin, du hast uns heute echt keine Chance gelassen.“

Ich atme tief aus, spüre das Adrenalin durch meinen Körper rauschen. Mein Herz schlägt schnell, aber nicht aus Erschöpfung – sondern aus diesem High, das nur das Klettern mir geben kann.

Jonas verschränkt die Arme. „Junge, wenn du so weitermachst, bist du bald nicht mehr unser Justin, sondern unser verdammter Team-Anführer.“

Ich lache kurz, zucke die Schultern. „Vielleicht hatte ich einfach einen guten Tag.“

Aber sie wissen es. Sie haben gesehen, dass ich mich verändert habe. Dass ich mehr in mir trage, als noch vor ein paar Wochen. Malik gibt mir eine leichte Kopfnuss. „Jaja, tu ruhig so bescheiden. Aber du bist anders heute, das merkt man.“ Jonas nickt. „Nicht nur im Klettern. Du wirkst irgendwie… freier.“

Ich spüre, wie meine Kehle trocken wird. Freier? Ja. Das bin ich. Weil ich Leo habe.

Ich sehe sie an. Das ist mein Moment. Der Moment, in dem ich entscheiden kann, ob ich offen sein will. Aber nicht hier. Nicht zwischen den Griffen und Matten. Also sage ich nur: „Lass uns nach dem Training noch ein bisschen quatschen.“ Jonas hebt eine Braue, Malik grinst. „Klingt nach was Ernstem.“ Ich lächle. „Vielleicht.“

Und dann ziehen wir los zur letzten Route des Tages. Meine Finger sind rot, meine Muskeln brennen, mein Herz hämmert – aber nicht nur vom Training. Ich weiß, dass gleich ein wichtiger Moment kommen wird. Und ich bin bereit dafür.

Freunde, Wahrheit und eine Cola danach

Das Training war heute einfach der Hammer. Ich spüre es noch immer in meinem Körper – das leichte Zittern in den Muskeln, die angenehme Erschöpfung, dieses Kribbeln in den Fingern, wenn man nach einem langen Klettertag endlich loslassen kann. Es hat Spaß gemacht. Richtig viel Spaß.

Ich bekomme von allen Seiten Anerkennung, werde auf die Leistung von heute angesprochen. Selbst Trainer Stefan klopft mir auf die Schulter und meint nur: „Was auch immer du in letzter Zeit gemacht hast – mach weiter so.“

Ich grinse und nicke, aber in mir weiß ich: Ich habe mich verändert. Nicht nur im Klettern. Und ich weiß, woran das liegt.

Das Duschen nach dem Training ist, wie es mit pubertierenden Jungs nun mal ist – laut, voller Sprüche, einige testen, wer das kälteste Wasser aushält, andere flexen unauffällig vor den Spiegeln. Ich bin es gewohnt, hier zu sein, unter ihnen zu sein. Und doch merke ich, dass meine Wahrnehmung sich verändert hat.

Ich bin mir bewusster darüber, wie ich schaue. Ich bin mir bewusster darüber, was mich interessiert. Und mir fällt auf, dass ich vorsichtiger geworden bin. Es ist ein eigenartiges Gefühl – Teil einer Gruppe zu sein und sich gleichzeitig ein Stück weit anders zu fühlen. Nicht ausgeschlossen. Aber doch… anders.

Nachdem wir uns umgezogen haben, stehe ich vor der Halle und warte auf Malik und Jonas. Sie kommen beide locker aus der Tür geschlendert, noch in Trainingsklamotten, die Haare feucht vom Duschen. Jonas fährt sich mit der Hand durch die Stirn, während Malik einen Power-Riegel aus seiner Tasche kramt und den ersten Bissen nimmt.

Ich räuspere mich. „Hey, habt ihr noch Zeit? Bock auf ‘ne Cola oder so?“

Malik zieht eine Augenbraue hoch, kaut noch schnell zu Ende. „Huch, Justin lädt uns ein. Das ist neu.“ Jonas grinst. „Was kommt jetzt? Willst du uns zu deinen neuen Model-Freunden schleppen?“

Ich verdrehe die Augen. „Kommt schon, einfach nur ‘ne Cola. Quatschen. Ohne Kletterwände und ohne Gewichte.“

Malik und Jonas tauschen einen kurzen Blick, dann zuckt Malik mit den Schultern. „Klingt nach einem Plan.“

Und so laufen wir los. Wir setzen uns an einen kleinen Tisch in einer ruhigen Ecke des Bistros neben der Halle. Es ist nicht viel los um diese Uhrzeit – ein paar andere Sportler sitzen verstreut, unterhalten sich oder scrollen auf ihren Handys. Ich bestelle drei Colas, hole tief Luft und versuche, einen Anfang zu finden.

Es ist seltsam, ich habe diese beiden Jungs schon so oft gesehen, mit ihnen trainiert, gelacht, gequatscht – und doch fühlt sich das hier gerade an wie einer der schwersten Momente meines Lebens. Ich trommle mit den Fingern auf der Flasche. Meine Gedanken rasen. Wie sage ich es? Wie genau fängt man sowas an? Sollte ich einfach direkt sein?

Malik lehnt sich entspannt zurück, nimmt einen Schluck von seiner Cola und schaut mich abwartend an. „Okay, Justin, du wolltest quatschen. Also, worum geht’s?“

Ich öffne den Mund. Schließe ihn wieder.

Jonas schmunzelt. „Ey, so kenne ich dich ja gar nicht. Sonst redest du doch immer so flüssig.“

Ich wippe mit meinem Fuß unter dem Tisch, sehe auf meine Cola-Flasche, als würde sie mir die Antwort geben. „Ich weiß nicht…, es ist irgendwie schwer zu erklären.“

Jonas schnaubt leise. „Klingt nach ‘nem Thema, bei dem man sich leicht verheddert.“

Ich nicke. „Ja. Ja, genau.“ Ich atme tief durch, zwinge mich, einfach anzufangen.

„Es geht darum…, ähm…, also, ihr habt ja vorhin Andeutungen gemacht. Wegen Leo und so.“

Malik hebt eine Braue. „Jaaa?“

Ich reibe mir den Nacken. Warum ist das so schwer?

„Ich… Ich hab mir gedacht, ich sollte es vielleicht mal aussprechen.“

Jetzt schauen mich beide aufmerksamer an.

„Ich…, ich steh auf Jungs.“

Es ist raus. Ich weiß nicht, wie genau ich mich dabei fühle. Meine Hände sind leicht schwitzig, mein Herz hämmert. Und trotzdem – irgendwas in mir wird leichter.

Malik nimmt einen Schluck Cola, setzt die Flasche ab und sieht mich nur an. Jonas mustert mich für einen Moment – dann schüttelt er den Kopf und lacht leise. „Justin… denkst du, wir sind blind?“

Ich blinzele. „Hä?“

Jonas lehnt sich vor. „Mann, wir haben dich schon seit Wochen beobachtet. Und du bist echt nicht subtil.“ Malik nickt grinsend. „Du hast Leo öfter erwähnt als das verdammte Klettern. Und das will bei dir was heißen.“

Ich spüre, wie mir heiß wird. „Oh…“

Jonas nimmt es locker. „Wir haben uns das schon eine Weile gedacht, aber dachten uns, wenn du irgendwann bereit bist, wirst du’s sagen.“ „Und jetzt hast du’s gesagt.“ Malik lehnt sich auf den Tisch. „Und weißt du was? Es ändert genau gar nichts.“

Ich starre die beiden an. Ich hätte nie gedacht, dass es so einfach sein könnte. Keine blöden Sprüche. Kein peinliches Schweigen. Kein Moment der Unsicherheit. Nur… Freundschaft.

Jonas grinst. „Also, wenn du uns noch großartig aufklären willst – spar’s dir. Uns ist das sowas von egal, Mann.“

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder mir die Augen reiben soll.

Malik lacht. „Aber ehrlich, jetzt, wo du’s gesagt hast – erzähl mal mehr über Leo. Jetzt wollen wir’s genau wissen.“

Ich kann nicht anders, ich grinse: „Okay… also, Leo ist einfach…“ Ich halte kurz inne, suche nach Worten. „Er ist locker, cool, selbstbewusst, er kann skaten wie ein Profi und macht immer diesen leicht schiefen Grinser, wenn er irgendwas sagt, was er eigentlich total ernst meint.“

Jonas lehnt sich zurück. „Okay, okay, das klingt schon sehr nach Schwärmerei.“

Ich verdrehe die Augen. „Er ist halt einfach… besonders.“

Malik nickt langsam. „Klingt, als würdest du’s echt ernst meinen.“

Ich nehme einen Schluck Cola, sehe die beiden an und nicke. „Ja.“

Jonas hebt die Flasche. „Na dann, auf Justin und Leo.“

Malik lacht. „Auf die große Liebesgeschichte?“

Ich rolle mit den Augen, aber mein Lächeln bleibt. Erleichterung durchströmt mich. Ich habe es gesagt. Ich habe es ausgesprochen. Und es war okay. Nein – es war mehr als okay. Es war gut.

Malik mustert mich noch einmal. „Aber hey, Justin…“

Ich sehe ihn fragend an.

Er lehnt sich etwas vor. „Du solltest ihn mal direkt fragen, was er für dich fühlt.“

Ich halte inne. Ein kurzer Moment der Unsicherheit.

„Meinst du, er könnte…?“

Jonas zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung, Mann. Aber wenn er so ist, wie du ihn beschreibst – dann solltest du’s irgendwann wissen. Sonst zerbrichst du dir noch ewig den Kopf darüber.“

Ich weiß, dass er Recht hat. Aber… bin ich bereit dafür? Ich nehme noch einen Schluck Cola, mein Blick wandert in die Ferne. Mein Herz schlägt schneller.

Ehrliche Worte & Brüderliche Weisheit

Die Haustür fällt hinter mir ins Schloss, und mit ihr alles, was den Tag über in meinem Kopf war. Meine Schultern sind nicht mehr so angespannt. Mein Atem geht ruhiger. Ich bin erleichtert – richtig erleichtert. Heute war ein verdammt guter Tag.

Ich trete in den Flur, ziehe meine Jacke aus und lasse meine Tasche auf den Boden gleiten. Es riecht nach Essen – etwas Herzhaftes, mit einer warmen Würze, die sich in der Wohnung verteilt. Meine Gedanken schweifen kurz ab. Bobby ist da.

Ich höre ihn in der Küche, das Klappern von Besteck, den dumpfen Klang eines Topfdeckels. Mein Herz macht diesen kleinen Sprung, den es immer macht, wenn ich nach einem langen Tag nach Hause komme und weiß, dass er da ist.

Ich gehe in die Küche und lehne mich in den Türrahmen. Bobby steht am Herd, sein Rücken mir zugewandt, während er mit einem Kochlöffel durch eine dampfende Pfanne rührt. Er trägt eines seiner alten Band-Shirts, das an den Ärmeln schon leicht ausgefranst ist, und seine dunklen Haare sind ein bisschen zerzaust. Wahrscheinlich hat er sich vorhin erst durch die Haare gefahren, weil er müde war.

„Mann, du bist spät dran.“ Er dreht sich um, sein Gesicht hellt sich sofort auf. Dieses ehrliche, warme Lächeln, das mir immer das Gefühl gibt, dass alles in Ordnung ist.

„Klettertraining“, sage ich, trete näher. „War schön.“

„Ja?“ Bobby hebt eine Augenbraue, schnappt sich zwei Teller aus dem Schrank und stellt sie auf den Tisch. „Und trotzdem bist du nach Hause gekommen, als hättest du gerade eine göttliche Erleuchtung gehabt.“

Ich lache leise und setze mich auf einen der Barhocker. „Vielleicht hatte ich das auch.“

Er mustert mich einen Moment, dann setzt er sich mir gegenüber. Sein Blick ist aufmerksam, aber nicht drängend. Bobby kann das. – Abwarten, ohne zu drängen. Er lässt mir Zeit.

Ich seufze leise, lasse meine Finger über die Tischplatte gleiten und spüre, wie sich meine Gedanken in Worte formen. „Ich hab’s ihnen gesagt.“

Er runzelt kurz die Stirn. „Wem gesagt?“

„Malik und Jonas.“ Ich halte inne, hebe dann den Blick und sehe ihn an. „Dass ich auf Jungs stehe.“

Einen Moment sagt er nichts, dann nickt er langsam. Seine Lippen ziehen sich zu einem leichten Lächeln. „Und?“

„Und…, es war einfach. So viel einfacher, als ich dachte.“ Ich schnaube kurz, fast ein bisschen ungläubig. „Ich hab mir monatelang Gedanken gemacht. Ob es was ändert. Ob sie mich anders sehen. Und dann sitzen wir da, trinken Cola, und Jonas sagt einfach nur: 'Denkst du, wir sind blind?'“

Bobby lacht leise. „Ja, die meisten guten Freunde checken das schon, bevor man’s ausspricht.“

Ich atme tief durch, spüre, wie sich meine Brust noch ein Stück mehr entspannt. „Es hat sich gut angefühlt, es zu sagen. Richtig gut.“

„Das freut mich.“ Er lehnt sich mit den Ellenbogen auf den Tisch, sieht mich mit diesem weichen, verständnisvollen Blick an, den er immer hat, wenn er merkt, dass etwas für mich wichtig ist. „Du wirkst… anders heute. Irgendwie freier.“

Ich spiele mit dem Saum meines Pullis. „Ja. Weil es das ist, was ich bin. Und ich glaube, ich hab’s heute zum ersten Mal wirklich so gesagt – ohne Zweifel, ohne Angst, ohne mich zu verstecken.“

Er nickt langsam, dann wird sein Blick ein bisschen ernster. „Und Leo?“

Mein Magen macht diesen vertrauten Sprung, der inzwischen so normal geworden ist, dass ich ihn gar nicht mehr unterdrücken will.

„Leo…“ Ich atme tief ein, lasse seine Stimme, seine Blicke, seine Berührungen noch mal in meinem Kopf auftauchen. „Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob er…, ob er auch so fühlt. Oder ob ich mir das alles nur einbilde.“

Bobby schmunzelt leicht. „Denkst du, du bildest es dir ein?“

Ich halte inne. Mein Blick fällt auf meine Hände. Ich erinnere mich an die Art, wie Leo mich ansieht. An die Momente, die länger dauern als nötig. An die Berührungen, die sich nie zufällig anfühlen.

„Ich weiß es nicht.“ Ich seufze. „Manchmal glaube ich es. Und manchmal denke ich, dass es da wirklich mehr gibt. Aber dann…, dann passiert nichts. Dann geht alles einfach weiter, als wäre da nichts gewesen. Und ich bin zu feige, um zu fragen.“

Bobby lehnt sich zurück, verschränkt die Arme. „Hast du Angst vor der Antwort?“

Ich schlucke. „Ja.“

Er nickt, als hätte er genau das erwartet. „Weißt du, Justin…, Gefühle sind wie Klettern.“

Ich blinzele. „Hä?“

Er grinst. „Ja, Mann. Denk mal drüber nach. Du stehst an der Wand, hast den nächsten Griff vor Augen. Du weißt nicht zu hundert Prozent, ob du ihn packen wirst. Vielleicht rutschst du ab, vielleicht hält er nicht, vielleicht kommst du nicht ran.“

Ich verziehe leicht das Gesicht. „Toller Vergleich.“

„Aber…“ Er lehnt sich vor, seine Stimme weicher. „Vielleicht hält er auch. Vielleicht greifst du zu und merkst, dass es genau richtig war. Dass es sich gut anfühlt, weiter zu klettern.“

Ich beiße mir auf die Lippe.

„Leo könnte der nächste Griff sein, Justin. Du kannst warten, bis du dir ganz sicher bist – aber dann stehst du da, verharrst an der Wand, und irgendwann geht dir die Kraft aus.“

Ich senke den Blick. Ich verstehe, was er meint. Ich verstehe es genau.

Bobby fährt sich mit einer Hand durch die Haare. „Ich sag nicht, dass du morgen hinrennen und ihm alles hinschmeißen sollst. Aber wenn du wirklich wissen willst, was zwischen euch ist – dann musst du irgendwann loslassen und greifen. Sonst wirst du es nie wissen.“

Seine Worte setzen sich in mir fest. Ich spüre, dass sie wichtig sind.

Ich atme tief durch, sehe ihn wieder an. „Danke.“

Er lächelt sanft. „Dafür bin ich da.“

Ein Moment der Stille. Nicht unangenehm – sondern einfach ein Moment des Verstehens.

Dann lehnt sich Bobby zurück und atmet einmal tief aus. „Aber mal abgesehen von deiner epischen Liebesgeschichte…“

Ich stöhne. „Bobby.“

Er lacht. „Sorry, sorry. Aber im Ernst, es gibt noch ein paar Dinge, die wir besprechen müssen.“

Ich hebe eine Augenbraue. „Was für Dinge?“

„Organisation, Finanzen, Schule, Reisen, dein Shooting-Zeitplan… Du weißt schon, all das, was dein großer, verantwortungsvoller Bruder im Blick behalten muss, weil du einfach nur durch dein Leben rennst und mit Skaterboys chattest.“

Ich verdrehe die Augen. „Leo ist kein Skaterboy.“

Bobby grinst. „Natürlich nicht.“

Ich schnaube. Aber dann werde ich wieder ernst. „Okay…, worum geht’s genau?“

Bobby nimmt einen Schluck Wasser, überlegt kurz. „Wir müssen über deine Verträge reden. Über die nächsten Shootings. Und…“ Er sieht mich an, etwas vorsichtiger jetzt. „Über die Schule. Wie du das alles unter einen Hut kriegst.“

Ich spüre, wie die Realität langsam wieder auf mich zukommt. Nicht unangenehm, aber doch präsent.

Ich nicke langsam. „Okay. Lass uns darüber reden.“

Bobby lehnt sich leicht vor, ein Ausdruck in seinen Augen, der mir sagt, dass er das hier ernst nimmt – aber dass er auch auf meiner Seite ist.

Zwischen Verantwortung und Gefühlen – Ein Abend mit Bobby

Bobby schiebt seinen Teller zur Seite und sieht mich nachdenklich an. Sein Blick ist ruhig, aber ich sehe, wie sein Gehirn arbeitet. Er denkt nach. Über mich. Über alles, was ich gerade jongliere. Und ich weiß genau, dass jetzt ein ernstes Gespräch kommt.

Ich lehne mich zurück und nehme einen Schluck Wasser. „Okay, Bobby. Raus damit. Ich seh‘ doch, dass du was sagen willst.“

Er schmunzelt leicht, aber sein Blick bleibt aufmerksam. „Du weißt, dass ich dich nicht stressen will, oder?“

Ich nicke langsam. „Ja.“

„Aber ich mach mir Sorgen, Justin.“ Er verschränkt die Arme vor der Brust. „Nicht, weil ich denke, dass du irgendwas nicht hinbekommst, – sondern weil gerade einfach viel los ist. Und ich will, dass du dir darüber bewusst bist, bevor es zu viel wird.“

Ich beiße mir auf die Lippe und nicke.

„Du hast Schule, Klettertraining, die Jugendgruppe, dein Shooting – das, by the way, gerade eine neue Dimension annimmt, aber dazu kommen wir noch. Und dann gibt’s da auch noch…“ Er hebt eine Augenbraue, lehnt sich etwas vor und verzieht gespielt dramatisch das Gesicht: „Oh ja. Das große Thema: LEO.“

Mein Gesicht wird warm. „Bobby…“

Er lacht leise. „Hey, keine Sorge, ich gönn’s dir. Ich freu mich, dass du jemanden hast, der dich zum Strahlen bringt. Ehrlich. Aber du brauchst dafür auch Zeit. Und die sollst du haben.“

Ich senke den Blick, während ein kleiner Knoten in meiner Brust sich löst. Es fühlt sich gut an, das zu hören. Dass er mich sieht. Dass er mich ernst nimmt.

„Aber ich sag dir auch: Dein Kopf ist gerade an zu vielen Orten gleichzeitig. Ich weiß, dass du versuchst, alles irgendwie unterzubringen. Aber irgendwas bleibt dann eben liegen.“

Ich runzle die Stirn. „Wie meinst du das?“

Bobby atmet tief durch. „Die Schule hat angerufen.“

Mein Magen zieht sich sofort zusammen. „Was?“

„Ja.“ Er reibt sich mit einer Hand übers Gesicht. „Du hast vergessen, eine Rückmeldung zu geben, wo du dein Schülerpraktikum machst.“

Scheiße.

Ich schließe die Augen und atme langsam aus. Natürlich. Natürlich habe ich das vergessen. Es ist einfach aus meinem Kopf gefallen, irgendwo zwischen Mathe, Klettern, Shootings, Leo und allem anderen.

„Mist“, murmele ich.

Bobby sieht mich nachdenklich an. „Ja. Und ehrlich gesagt, Justin…, das überrascht mich nicht mal. Ich wusste, dass es irgendwann passiert.“

„Wieso?“ Ich starre auf den Tisch, spiele mit der Wasserflasche zwischen meinen Fingern.

„Weil du gerade alles unter einen Hut bekommen willst, ohne einen Plan zu haben.“

Ich zucke leicht zusammen. Das tut weh, – weil es stimmt.

Bobby lehnt sich vor. „Und bevor du sagst, dass es nicht so ist: Ich hab noch was anderes erfahren. Die Lehrer haben mir ein bisschen mehr über dich erzählt.“

Oh nein. Ich starre ihn an. „Was… was haben sie gesagt?“

Er legt den Kopf leicht schief, mustert mich. „Dass du schlau bist. Dass du Potenzial hast. Dass du im Unterricht immer wieder aufblitzt, aber dann genauso schnell wieder abtauchst. Dass sie sich manchmal fragen, ob du überhaupt weißt, wie gut du eigentlich bist.“

Ich schlucke.

Bobby redet weiter, sanft, aber bestimmt. „Dass du zwar kein Problemkind bist, aber einer von denen, die man leicht übersieht – weil du nie wirklich Ärger machst. Aber auch nicht wirklich nach Hilfe fragst.“

Mein Bauch fühlt sich plötzlich schwer an. Es ist komisch, das so direkt zu hören.

Ich will protestieren, aber… was soll ich sagen? Dass es nicht stimmt? Dass ich immer den Durchblick habe? Das wäre eine Lüge.

Bobby lehnt sich zurück, runzelt leicht die Stirn. „Justin… stimmt das? Fühlst du dich manchmal so?“

Ich zögere. Und dann nicke ich. Ganz langsam. „Manchmal.“ Ich reibe mir mit der Hand über die Stirn. „Ich weiß nicht… manchmal hab ich das Gefühl, dass ich mich irgendwie… verstecke? Nicht absichtlich. Aber ich lass die Dinge einfach laufen, anstatt aktiv was zu machen. Und dann überrollt mich alles auf einmal.“

Bobby mustert mich noch einen Moment, dann atmet er tief durch. „Deshalb müssen wir das ändern.“

Ich sehe ihn fragend an.

„Wir fangen mit dem Praktikum an.“

Ich stöhne leise und lasse meinen Kopf auf die Tischplatte sinken. „Ich hab keine Ahnung, wo ich das machen soll.“

„Okay.“ Bobby schmunzelt leicht. „Dann reden wir drüber. Was interessiert dich?“

Ich hebe den Kopf. „Klettern.“

„Tja, blöd, dass es keine Praktikumsplätze gibt, wo man einfach nur klettert.“

Ich schnaube. „Etwas Kreatives wäre cool. Oder irgendwas mit Sport. Oder…, ich weiß nicht.“

Bobby legt die Hände auf den Tisch. „Ich hab mir ein paar Gedanken gemacht. Aber ich will erst hören, was du sagst.“

Ich überlege. Aber in meinem Kopf ist nichts außer ein einziges großes, schwarzes Loch der Planlosigkeit.

„Ich…, ich hab keine Ahnung, Bobby. Ehrlich. Ich hab einfach nicht drüber nachgedacht.“

Er nickt langsam. „Okay. Dann sag ich dir meinen Vorschlag.“

Ich sehe ihn an.

Er lehnt sich mit einem leichten Schmunzeln vor. „Warum machst du dein Praktikum nicht bei der Firma, die die Prothesen herstellt?“

Ich blinzle. „Was?“

„Na ja.“ Bobby zuckt die Schultern. „Du bist sowieso ständig dort, wegen der Shootings. Du bist fasziniert von der Technik. Du bist mit Leo dort – was, by the way, gleich mehrere deiner aktuellen Probleme auf einmal lösen würde.“

Ich spüre, wie sich mein Magen vor Aufregung zusammenzieht.

Bobby beobachtet mich genau. „Und bevor du fragst, – ja, ich hab schon mal grob recherchiert. Die nehmen tatsächlich Praktikanten. Und da das Unternehmen eh Nachwuchsförderung macht, könnte das eine richtig gute Gelegenheit für dich sein.“

Mein Kopf rast.

Das wäre… genial. Ich könnte tiefer in die Materie eintauchen, sehen, wie all das wirklich funktioniert. Ich könnte mehr über die Forschung erfahren, mich vielleicht sogar einbringen. Und ja, – ich wäre näher an Leo. Ich könnte ihn besser kennenlernen.

Ich starre Bobby an: „Meinst du, das würde wirklich gehen?“

Bobby hebt eine Augenbraue: „Willst du es versuchen?“

Ich atme tief durch. Ein Teil von mir will sofort „Ja“ sagen. Aber ein anderer…, ein anderer hat Angst.

„Ich…, ich weiß nicht.“ Ich kaue auf meiner Lippe. „Was, wenn ich nicht gut genug bin? Was, wenn ich da nichts kann? Ich bin kein Technik-Freak, Bobby.“

Er schüttelt den Kopf. „Das ist doch kein Job, Justin. Es ist ein Praktikum. Es geht darum, was zu lernen.“

Ich schlucke. Und ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal so aufgeregt und so nervös zugleich war.

Bobby lehnt sich zurück und sieht mich an. „Wir müssen das nicht sofort entscheiden. Aber ich will, dass du drüber nachdenkst.“

Ich nicke langsam. „Okay.“

„Und Justin?“

Ich hebe den Blick.

Er lächelt sanft. „Egal, wo du das Praktikum machst. Du wirst etwas Neues sehen, du wirst etwas lernen, du wirst das meistern. Und ich bin stolz auf dich.“

Ich schlucke schwer, nicke. „Danke, Bobby.“

Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück, trommelt mit den Fingern auf den Tisch und sieht mich noch einmal nachdenklich an.

„Aber, bevor du dich zu sehr auf das Praktikum versteifst…, es gibt noch ein anderes Thema, das wir klären müssen.“

Ich stöhne. „Oh nein. Noch mehr?“

Bobby schmunzelt leicht. „Ja, Mann. Und ich wette, du wirst nicht begeistert sein.“

Ich sehe ihn skeptisch an.

„J2.“

Ich runzle die Stirn. „Was?“

„Die Jugenduntersuchung. J2. Dein letzter richtiger Gesundheitscheck ist ewig her. Du warst bestimmt seit Jahren nicht mehr beim Arzt, oder?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich bin gesund.“

„Das sagt jeder, bis er’s nicht mehr ist.“

Ich verdrehe die Augen. „Bobby…, komm schon. Ich hab echt keine Zeit für sowas.“

„Doch, hast du. Nächste Woche.“

Ich reiße die Augen auf. „Warte, was?“

Er grinst. „Ich hab den Termin schon gemacht.“

Ich lasse meinen Kopf theatralisch auf die Tischplatte sinken. „Bobby! Ich kann selber Termine machen, verdammt.“

„Oh, wirklich?“ Er hebt eine Augenbraue. „Dann erklär mir doch mal, warum du es nicht gemacht hast?“

Ich hebe den Kopf, sage aber nichts.

„Dachte ich mir.“ Er zwinkert. „Ist nur ein kurzer Check. Standardkram. Fragen, Untersuchungen, bisschen Abtasten hier, bisschen Zuhören da. Nichts Wildes. Es ist dein letzter Besuch beim Kinderarzt und ein Kind willst du doch nicht mehr sein, oder?“

Ich seufze. „Muss ich da echt hin?“

„Ja, Justin.“ Er sieht mich ernst an. „Das gehört dazu. Und ich will, dass du dich kümmerst. Um dich selbst.“

Ich stütze meinen Kopf in die Hand. „Fein. Aber du schuldest mir was dafür.“

Bobby lacht. „Ich zahl dir ‘ne Pizza. Deal?“

Ich schnaube. „Deal.“

Verträge, Verpflichtungen und die Sache mit dem Geld

Gerade, als ich hoffe, dass das der letzte Punkt auf Bobbys Liste war, räuspert er sich.

„Noch was.“

Ich blinzele. „Oh Gott, was noch?“

„Das Shooting.“

Mein Magen zieht sich zusammen. „Was ist damit?“

Bobby tippt mit dem Finger auf den Tisch. „Thomas hat mir eine Mail geschrieben. Er bittet um ein Treffen. Nach deinem Shooting am Freitag.“

Ich runzle die Stirn. „Hä? Wieso?“

„Es geht um dein wachsendes Engagement. Sie wollen mit uns über die nächsten Schritte reden.“

Ich spüre, wie sich mein Brustkorb enger anfühlt. „Welche nächsten Schritte?“

„Dass du mehr Zeit brauchst als nur freitags.“

Ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt. „Mehr als freitags?“

„Ja. Das ist kein kleines Ding mehr, Justin. Du bist inzwischen ein wichtiger Teil dieser Kampagne. Und wenn du das ernsthaft machen willst, bedeutet das mehr als nur einmal pro Woche für ein paar Stunden zu kommen.“

Ich grummele und lasse mich in meinen Stuhl fallen. „Super. Und was, wenn ich am Freitag schon was vor habe? Ich hatte gehofft, dass ich danach vielleicht mit Leo…“

Ich halte abrupt inne, aber Bobby hebt nur vielsagend eine Augenbraue.

„Jaaa, dachte ich mir.“

Ich seufze. „Verdammt.“

„Justin… ich versteh’s. Echt. Aber das hier ist wichtig.“

Ich kaue auf meiner Lippe. „Ich weiß. Das Shooting macht ja auch unheimlich Spaß, aber…“

„Wir gehen da zusammen hin, okay? Du musst das nicht allein machen.“

Ich nicke langsam. „Okay.“

Bobby beobachtet mich noch einen Moment, dann fährt er sich mit der Hand durchs Haar. Sein Gesichtsausdruck verändert sich leicht.

„Aber…“ Er zögert kurz.

Ich werde sofort hellhörig. „Aber was?“

Er atmet tief durch. „Es gibt noch eine Sache, die ich dir sagen muss.“

Ich schlucke. „Okay?“

„Es geht um die Lebensversicherung unserer Eltern.“

Mein Magen zieht sich zusammen. „Was ist damit?“

Bobby lehnt sich gegen die Stuhllehne. „Die letzte Auszahlungsrate sollte schon vor Monaten kommen. Aber sie halten das Geld zurück.“

Ich spüre, wie sich meine Kehle zuschnürt. „Wie… warum?“

„Bürokratischer Mist. Angeblich müssen noch Unterlagen geprüft werden. Wir warten schon ewig, aber es passiert nichts.“

Ich merke, dass meine Hände zu Fäusten werden. „Und dein Gehalt…?“

Er zuckt die Schultern. „Es reicht. Gerade so. Aber knapp.“

Ein dicker Kloß bildet sich in meinem Hals. Bobby hat sich nie beschwert. Er hat mich nie spüren lassen, dass es schwer ist. Aber jetzt höre ich es. Jetzt sehe ich es.

Ich beiße mir auf die Lippe. „Dann…, dann lass uns was tun. Es muss eine Lösung geben.“

„Ich überlege schon, Justin. Ich hab ein paar Ideen.“

Ich denke kurz nach. Dann platzt es aus mir heraus:

„Warum reden wir nicht mit Thomas? Vielleicht kann ich einen Vorschuss auf mein Shooting-Gehalt bekommen.“

Bobby blinzelt. „Justin…“

„Ernsthaft.“ Ich lehne mich vor. „Ich verdiene mit dem Shooting Geld, oder? Ich will nicht, dass du alles allein schultern musst. Wenn wir das Geld jetzt brauchen, warum nicht einfach fragen?“

Er mustert mich lange. Dann seufzt er. „Ich wollte dich da eigentlich nicht reinziehen.“

„Aber ich bin doch eh schon drin. Und es geht um uns beide. Du bist nicht allein damit.“

Ein Moment der Stille. Dann nickt er langsam.

„Okay. Wir fragen Thomas.“

Ich atme tief durch. „Okay.“

Bobby lehnt sich zurück, sieht mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht ganz deuten kann – eine Mischung aus Stolz und Besorgnis.

Dann grinst er plötzlich. „Aber jetzt solltest du ins Bett. Und nicht noch drei Stunden lang über Leo nachdenken.“

Ich werfe ihm einen genervten Blick zu. „Ich denke nicht drei Stunden lang über Leo nach.“

Er lacht. „Nein, natürlich nicht.“

Ich stöhne und werfe ihm ein Küchentuch nach. Er fängt es mit Leichtigkeit und zwinkert mir zu. Aber als ich später im Bett liege, kann ich nicht anders. Ich denke an Leo. An das Praktikum vielleicht bei ihm. An die Zukunft. Und mein Herz schlägt ein bisschen schneller.

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