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Höhen und Herzen
Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst
Teil 5 - Zwischen Aufbruch und Vorfreude
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Informationen
- Story: Höhen und Herzen
- Autor: TrioXander
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out, Abenteuer, Diverses
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Der Morgen danach – Ein Lächeln, das bleibt.
- Frische Luft und Bewegung – aber mein Kopf bleibt bei Leo.
- Zurück Zuhause – Gedanken, Wasser und Leo.
- Der Moment, in dem ich ihn sehe.
- Zwischen Gesprächen und Moves – Der Moment, in dem ich es bemerke
- Ein Spaziergang – Oder eher, er rollt, ich gehe.
- Unerwartete Begegnung – Schatten aus der Vergangenheit.
- Verlorene Worte – Und eine Erklärung, die nicht alles erklärt.
- Zukunft zum Greifen nah – Und ich sehe Leo in einem neuen Licht.
- Nachtgedanken – Und ein Gefühl, das wächst.
Vorwort
Ein Morgen voller Energie – und ein Gedanke, der bleibt
Der Morgen danach – Ein Lächeln, das bleibt.
Ich bin überrascht, wie gut ich geschlafen habe. Nicht, weil ich sonst schlecht schlafe, sondern weil mein Kopf gestern Abend noch voller Gedanken war – über Leo, über unser geplantes Treffen, über alles, was in den letzten Tagen passiert ist. Ich hatte erwartet, dass mich diese Gedanken wachhalten würden, dass ich mich im Dunkeln hin und her wälzen würde, dass mein Hirn mir tausend Was-wäre-wenn-Szenarien auftischt. Aber nein.
Ich bin einfach eingeschlafen. Tief, ruhig, traumreich.
Und als ich jetzt die Augen öffne, ist da dieses Lächeln. Ganz von selbst. Kein verschlafenes, müdes Grinsen, sondern ein echtes, warmes Lächeln, das von innen kommt. Ich liege noch einen Moment einfach so da, die Decke bis zur Brust hochgezogen, meinen Kopf in mein Kissen gedrückt. Sonnenlicht schimmert durch die halb geschlossenen Jalousien, zeichnet goldene Muster auf meine Wand. Draußen höre ich das leise Zwitschern der Vögel, das entfernte Brummen eines Autos, das gelegentliche Rauschen des Windes. Mein Körper fühlt sich leicht an, fast schwerelos. Kein Muskelkater mehr. Keine Müdigkeit. Ich bin einfach… bereit. Bereit für den Tag. Bereit für das, was kommt.
Und das Beste? Heute treffe ich Leo.
Mein Herz macht diesen kleinen, seltsamen Sprung in meiner Brust, den ich inzwischen schon kenne. Nicht unangenehm, eher wie ein Kitzeln, ein Aufblitzen von Vorfreude, das durch meinen ganzen Körper geht. Ich bin aufgedreht. Ich will aufstehen. Ich will den Tag starten. Ich will mich bewegen.
Ich werfe die Decke zurück, schwinge die Beine aus dem Bett und springe förmlich auf. Keine Trägheit, keine morgendliche Schwere. Ich bin hellwach, voller Energie. Bobby wird das nicht überleben. Ich tapse barfuß in den Flur, vorbei an Bobbys Zimmer. Seine Tür ist nur angelehnt. Perfekt. Mit einem übertrieben sanften Lächeln schleiche ich mich heran, lehne mich vorsichtig gegen den Türrahmen – und dann…
„GUTEN MOOORGEN!“
Bobby zuckt zusammen, dreht sich ruckartig zur Seite und knallt dabei fast aus dem Bett. „Alter, SPINNST du?!“, knurrt er, während er sich die Decke wieder halb über den Kopf zieht. Ich lache. „Ach komm schon, Zeit zum Aufstehen! Ein neuer Tag, neue Möglichkeiten! Lass uns das Leben feiern!“ Er hebt die Decke ein Stück und blinzelt mich mit einem genervten Blick an. „Du bist zu gut gelaunt. Das ist unnatürlich. Was ist passiert?“
Ich zucke mit den Schultern, schiebe meine Hände in die Taschen meiner Jogginghose und wippe auf den Füßen. „Nichts. Ich hab einfach nur gut geschlafen.“ Er kneift die Augen zusammen, als würde er mich durchschauen wollen. Dann grinst er langsam. „Aha. Ich weiß, warum du gut geschlafen hast.“ Mein Herz schlägt einen Tick schneller. „Nein, weißt du nicht.“ „Doch.“ Er setzt sich auf, streckt sich und mustert mich. „Leo. Du hast wegen Leo gut geschlafen.“
Ich öffne den Mund, um zu protestieren, aber verdammt – ich kann ihn nicht anlügen. Und außerdem: Wäre das überhaupt schlimm? Ich zucke nur mit den Schultern. „Vielleicht.“ Bobby grinst und schüttelt den Kopf. „Du bist ja schlimmer als ein Teenie in einer Rom-Com.“
„Ich BIN ein Teenie.“ „Ja, aber einer, der in der Küche nichts auf die Reihe kriegt, wenn er an einen Typen denkt.“ Ich strecke ihm die Zunge raus. „Das ist gemein.“ „Das ist die Wahrheit.“ Er gähnt, schwingt seine Beine aus dem Bett und steht auf. „Na komm, Frühstück. Sonst explodierst du noch vor Vorfreude.“
Frische Luft und Bewegung – aber mein Kopf bleibt bei Leo.
Nach dem Frühstück – das ich so schnell inhaliere, dass Bobby mir irgendwann nur noch schmunzelnd zusieht – lehnt er sich mit verschränkten Armen gegen den Küchentisch. „Okay, Justin. Du bist offensichtlich viel zu energiegeladen, um hier einfach nur rumzusitzen.“ Ich schiebe meinen Teller zur Seite und blicke ihn erwartungsvoll an. „Was schlägst du vor?“ Er grinst. „Joggen.“ Ich stöhne. „Wirklich?“ „Ja. Glaub mir, du brauchst es. Sonst platzt du mir noch vor Aufregung.“ Ich verdrehe die Augen, aber ich weiß, dass er Recht hat. Mein Körper will sich bewegen. Und außerdem – ein bisschen frische Luft tut gut. Also ziehen wir uns um, schnüren unsere Laufschuhe und machen uns auf den Weg nach draußen.
Die Luft draußen ist kühl, aber angenehm. Ein perfekter Morgen. Der Himmel ist ein weiches Blau, gesprenkelt mit vereinzelten Wolken, die sich träge bewegen. Die Straßen sind noch ruhig, nur vereinzelt sieht man Leute – ein paar Spaziergänger mit Hunden, eine ältere Dame, die Blumen gießt, ein Mann, der gerade sein Fahrrad abschließt. Ich atme tief durch, spüre, wie sich meine Lungen mit der frischen Morgenluft füllen. Joggen mit Bobby ist nie ein Wettkampf, sondern eher ein entspanntes, gleichmäßiges Laufen. Kein Stress, kein Druck. Einfach ein Tempo, bei dem wir uns noch unterhalten können, wenn wir wollen. Ich spüre, wie mein Körper sich in die Bewegung einfügt, wie meine Muskeln warm werden, wie meine Füße fast automatisch den Rhythmus finden. Es tut gut. Wirklich. Aber selbst während ich laufe, während meine Beine mich vorantreiben und mein Atem sich einpendelt, ist mein Kopf nicht ganz hier. Er ist bei heute Nachmittag.
Bei Leo.
Bei der Vorstellung, ihn wiederzusehen, ihn zu treffen, mit ihm zu reden. Ich stelle mir vor, wie er grinst, wie er sich locker auf sein Skateboard lehnt, wie er mit dieser lässigen Art sagt: „Na, Justin, bereit für ein bisschen Action?“ Und ich weiß nicht, warum, aber allein diese Vorstellung macht mich nervös. Es ist nicht so, dass ich Angst habe. Es ist nur… aufregend. Wie wird es sein? Wird es sich genauso leicht und entspannt anfühlen wie gestern beim Chatten? Wird er anders sein, wenn wir uns außerhalb der Firma treffen? Wird er merken, dass mein Herz schneller schlägt, wenn ich in seiner Nähe bin? Ich schüttle leicht den Kopf, versuche mich wieder auf das Laufen zu konzentrieren.
„Du bist so still“, bemerkt Bobby neben mir. „Denkst du schon wieder an ihn?“ Ich werfe ihm einen Seitenblick. „Vielleicht.“ Er grinst. „Ich finde das süß.“ Ich seufze. „Du findest ALLES süß, wenn es mit mir und Leo zu tun hat.“ „Weil es das ist.“
Ich rolle mit den Augen, aber irgendwie… grinse ich trotzdem. Wir laufen weiter, die Straßen verwandeln sich langsam in kleine Wege, die sich durch einen Park schlängeln. Die Blätter rascheln leise im Wind, irgendwo zwitschert ein Vogel, und in der Ferne kann ich die Geräusche eines kleinen Spielplatzes hören – Kinderlachen, das Quietschen einer Schaukel.
Es ist friedlich. Und gleichzeitig spüre ich dieses aufgeregte Kribbeln in mir. Mein Körper läuft. Mein Kopf rennt voraus. Und in meinem Herzen klopft eine Vorfreude, die ich nicht mehr ignorieren kann. Heute ist der Tag. Und ich kann es kaum erwarten.
Zurück Zuhause – Gedanken, Wasser und Leo.
Wir kommen wieder Zuhause an, beide leicht außer Atem, aber zufrieden. Meine Beine sind angenehm schwer, mein Herz schlägt noch in einem ruhigen Rhythmus von unserem Lauf. Ich wische mir mit dem Handrücken über die Stirn, spüre die leichte Feuchtigkeit meines Schweißes auf der Haut.
„Du gehst zuerst duschen“, sagt Bobby und zieht sich sein Shirt über den Kopf, was mir einen kurzen Blick auf seine definierten Arme und Schultern gibt. Ich bin ihm körperlich ziemlich ähnlich – klar, er ist älter, ein bisschen breiter, aber wir haben beide diesen drahtigen Kletterkörper. Ich nicke, schnappe mir ein Handtuch und verschwinde im Bad.
Kaum, dass ich die Tür hinter mir schließe, spüre ich, wie sich meine Gedanken wieder ganz auf ihn richten. Leo. Ich schalte das Wasser an, warte, bis es warm genug ist, und lasse dann meine Jogginghose und mein Shirt auf den Boden gleiten. Mein Blick fällt auf den Spiegel, auf mich selbst. Seit den Shootings nehme ich meinen Körper bewusster wahr. Nicht aus Eitelkeit oder weil ich plötzlich besessen davon wäre, wie ich aussehe – sondern weil ich mich zum ersten Mal wirklich sehe. Mein Oberkörper ist schmal, aber definiert. Nicht übertrieben muskulös, sondern genau so, wie ein Kletterer gebaut ist: schlank, aber drahtig, mit klar gezeichneten Linien an den Schultern, Armen und Bauchmuskeln. Mein Brustkorb hebt und senkt sich ruhig, meine Haut ist leicht gerötet von der Bewegung draußen. Ich drehe mich ein wenig zur Seite, betrachte die feinen Sehnen an meinen Unterarmen, die leicht sichtbaren Adern, die sich unter meiner Haut abzeichnen. Meine Hände, leicht aufgeraut vom vielen Greifen und Halten an der Kletterwand. So habe ich mich früher nie betrachtet. Ich bin… zufrieden mit mir. Ein Gedanke, der mich überrascht.
Das Wasser rauscht, lockt mich aus meiner Betrachtung. Ich trete unter den warmen Strahl, spüre, wie sich die Hitze sofort über meinen Körper legt, die Muskeln entspannt. Ein leises Seufzen entweicht mir, als ich den Kopf nach hinten neige und das Wasser über mein Gesicht laufen lasse. Und dann… denke ich wieder an ihn. Ich stelle mir vor, wie er mich ansieht, mit diesem leicht schiefen Lächeln. Wie er sich mit einer lässigen Bewegung durch die Haare fährt, wie sein Shirt sich kurz an seinem Oberkörper spannt. Wie sein Blick manchmal für einen Moment länger auf mir ruht, als es vielleicht nötig wäre. Ich lasse meine Hände langsam über meinen Körper gleiten, seife mich ein, spüre die Seidigkeit des Schaums auf meiner Haut. Die Wärme, das sanfte Streichen meiner eigenen Berührungen. Aber ich will nicht… Nicht so. Nicht jetzt.
Ich bin überrascht von mir selbst. Es ist nicht so, dass ich mich nicht gut fühle, nicht erregt von den Gedanken an ihn sein könnte, aber irgendwie… fühlt es sich anders an. Ich will mich nicht selbst befriedigen. Nicht, weil es falsch wäre, sondern weil ich mich so sehr auf den Moment mit ihm freue. Alles andere würde sich jetzt seltsam anfühlen. Unwirklich. Ich will diesen Tag nicht in meinen Gedanken verpuffen lassen. Ich will ihn erleben. Mit ihm. Ich lächle, während ich den Schaum von meiner Haut spüle, mich noch einmal mit beiden Händen durch die nassen Haare fahre. Mein Körper fühlt sich sauber und frisch an, bereit für das, was kommt. Gerade als ich aus meinen Gedanken auftauche, höre ich ein Klopfen an der Tür.
„Justin, lebst du noch oder hast du beschlossen, für immer in der Dusche zu bleiben?“ Bobby klingt amüsiert. Ich rolle mit den Augen. „Ja, ja, ich bin gleich fertig.“ „Gut. Nicht, dass du noch völlig wegträumst und mich warten lässt.“ Eine kurze Pause, dann: „Lass mich raten – du hast an Leo gedacht.“ Ich schnaube und schlage mit der flachen Hand gegen die Tür. „Halt die Klappe.“
Sein Lachen hallt durch den Flur. Ich grinse. Ja, verdammt. Ich habe an ihn gedacht. Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen habe – locker sitzende Shorts, ein leichtes Shirt – treffe ich Bobby in der Küche. Er hat bereits angefangen, Zutaten rauszuholen.
„Also, Chefkoch, was gibt’s heute?“ frage ich, während ich mir ein Handtuch über die Schulter werfe. „Was Einfaches“, sagt er und schiebt mir eine Packung frische Pasta rüber. „Dazu eine schnelle Tomatensauce mit Kräutern und Knoblauch. Und ein bisschen Parmesan.“ Ich nicke. „Klingt gut.“ Kochen mit Bobby ist immer so eine Mischung aus ernsthafter Teamarbeit und völliger Albernheit. Wir sind gut darin, uns die Aufgaben zu teilen – meistens jedenfalls. Ich übernehme die Sauce, während er das Wasser für die Pasta aufsetzt. Ich hacke Zwiebeln und Knoblauch, lasse sie in der Pfanne glasig werden. Der Duft breitet sich sofort in der Küche aus. „Also“, fängt Bobby an, während er die Pasta ins sprudelnde Wasser gibt. „Hast du eigentlich schon einen Plan, was du mit Leo machst?“
Ich zucke mit den Schultern, während ich die Tomaten in die Pfanne gebe und umrühre. „Wir treffen uns im Park, er bringt sein Skateboard mit. Ich weiß nicht…, wir hängen einfach ab.“ „Aha.“ Er lehnt sich gegen die Arbeitsplatte. „Und du wirst ihm irgendwann sagen, dass du auf ihn stehst?“ Ich zögere. Mein Löffel bleibt kurz in der Pfanne stehen. „Ich… weiß nicht.“ Bobby mustert mich. „Willst du?“ Ich atme tief durch. „Ja. Irgendwann. Aber nicht heute.“ „Warum nicht?“ „Weil…“. Ich suche nach Worten: „Weil es sich noch nicht richtig anfühlt. Ich will nicht, dass es gezwungen wirkt. Ich will sehen, was passiert.“
Bobby nickt langsam. „Okay. Guter Plan.“ Ich bin erleichtert, dass er nicht weiterbohrt. Stattdessen schnappt er sich ein Stück Baguette und nimmt einen Bissen. „Hey! Wir haben noch gar nicht gegessen!“ protestiere ich. Er grinst nur. „Ich muss doch testen, ob’s schmeckt.“
Ich rolle mit den Augen, aber kann nicht anders, als zu lachen. Das ist das Schöne am Kochen mit Bobby. Es geht nicht nur ums Essen. Es geht um uns. Um unser Zusammensein, unser Lachen, unsere Art, Dinge gemeinsam zu machen. Wir lassen die Pasta abtropfen, mischen sie mit der Sauce, reiben Parmesan darüber. Ich stelle zwei Teller auf den Tisch, und wir setzen uns hin.
Ein Moment der Ruhe.
Bobby nimmt den ersten Bissen und nickt anerkennend. „Nicht schlecht, kleiner Bruder.“ Ich grinse. „Ich weiß.“ Dann essen wir, reden über alles und nichts, lachen über alte Geschichten. Und während ich kaue, wandern meine Gedanken wieder zu Leo. Bald.
Bald werde ich ihn sehen. Und dieses Mal fühlt es sich nicht nur wie eine zufällige Begegnung an. Dieses Mal fühlt es sich wie ein Schritt in etwas Neues an. Etwas, das vielleicht mehr ist als nur Freundschaft. Etwas, das ich nicht mehr leugnen kann. Und zum ersten Mal will ich es auch gar nicht.
Der Moment, in dem ich ihn sehe.
Schon als ich den Park betrete, spüre ich, wie mein Herz schneller schlägt. Ich weiß nicht genau, ob es die leichte Aufregung ist, die mich durchströmt, oder einfach die Vorfreude. Wahrscheinlich beides. Ich lasse meinen Blick über die Skateranlage wandern. Zwischen den geschwungenen Rampen, den Railings und den Hindernissen sehe ich Menschen. Einige fahren konzentriert ihre Runden, andere sitzen entspannt auf den Bänken oder lehnen an den Geländern.
Und dann sehe ich ihn. Leo. Er ist mitten in einer Bewegung, sein Körper fließt mit dem Board, als wären sie eins. Sein Oberkörper ist leicht nach vorne geneigt, Arme ausbalancierend an den Seiten, während er über eine Rampe fährt und mit einem eleganten Ollie über eine niedrige Stufe springt.
Meine Atmung stockt für eine Sekunde. Er sieht so leicht aus, so mühelos. Als würde er nicht einfach nur skaten, … sondern mit dem Asphalt, mit der Luft, mit der Geschwindigkeit verschmelzen. Ich bleibe stehen, ein paar Meter entfernt, beobachte ihn.
Sein Gesicht ist konzentriert, aber nicht verkrampft. Eher dieser typische Leo-Ausdruck – als wäre das alles einfach nur ein Spiel für ihn, als gäbe es nichts, was ihn aus dem Konzept bringen könnte. Seine dunklen Haare fallen ihm leicht ins Gesicht, bewegen sich mit der Dynamik seiner Fahrt. Sein Shirt flattert leicht im Fahrtwind, und jedes Mal, wenn er sich für einen Trick abdrückt, spannen sich seine Waden und Oberschenkel unter seiner Shorts an.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dastehe. Vielleicht ein paar Sekunden. Vielleicht eine Ewigkeit. Schließlich setze ich mich auf eine der Bänke am Rand, immer noch fasziniert von seinen Bewegungen. Er ist in seinem Element. So, wie ich es bin, wenn ich klettere. Und irgendwie… ist es schön, ihn so zu sehen. Während ich ihm zusehe, drifte ich gedanklich ab.
Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ich mich genauso sicher auf einem Board bewegen könnte. Wenn ich neben ihm herfahren würde, anstatt nur zuzusehen. Wenn ich es schaffen würde, mit derselben mühelosen Eleganz einen Trick auszuführen. Und Leo mir mit diesem schiefen Grinsen zunicken würde, so wie er es immer tut, wenn ihm etwas gefällt.
Vielleicht würde er mir das Skaten beibringen. Vielleicht würde er hinter mir stehen, seine Hände leicht an meinen Armen, um mir das Gleichgewicht zu zeigen. Vielleicht wäre seine Stimme nah an meinem Ohr, leise Anweisungen murmelnd. Vielleicht würde er mich irgendwann loslassen – und ich würde mich ganz auf meinen Körper verlassen, auf das Gefühl des Gleitens, auf das Vertrauen, dass ich es kann. Vielleicht würde er dann lächeln, so richtig, stolz auf mich. Vielleicht…
Plötzlich stockt er in seiner Bewegung, dreht leicht den Kopf. Ich halte den Atem an. Seine Augen suchen die Umgebung ab – und dann trifft sein Blick mich. Für einen Moment passiert nichts. Dann verzieht sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen. „Justin!“ ruft er und stößt sich mit einem letzten Kick vom Boden ab, rollt elegant auf mich zu. Ich richte mich ein wenig auf, lächle zurück. „Hey.“ Er bremst direkt vor mir, das Board kippt leicht unter seinem Fuß, während er das Gleichgewicht hält. Ein paar feuchte Strähnen kleben an seiner Stirn. Sein Atem ist leicht beschleunigt. „Wie lange sitzt du schon da?“ fragt er grinsend. Ich zucke mit den Schultern. „Nicht lange.“
Leo kneift die Augen leicht zusammen, als würde er mich durchschauen. „Mhm. Du hast mich beobachtet.“ Mein Gesicht wird warm. „Vielleicht.“
Er lacht und rollt mit dem Board ein Stück zurück, bevor er sich locker neben mich auf die Bank fallen lässt. Sein Knie streift dabei kurz mein Bein, ein kurzer, flüchtiger Kontakt – aber mein Körper nimmt ihn so intensiv wahr, als wäre es mehr.
„Ich hätte nicht gedacht, dass du der Skatepark-Typ bist“, sagt er schließlich, während er seine Haare mit einer schnellen Bewegung aus der Stirn streicht. Ich lehne mich zurück. „Bin ich auch nicht.“ „Oh?“ Er zieht eine Augenbraue hoch. Ich grinse. „Ich bin eher der Kletterwand-Typ, falls du das noch nicht bemerkt hast.“ „Stimmt“, gibt er zu. Dann wirft er mir einen Seitenblick zu. „Hätten wir dann nicht lieber irgendwas machen sollen, das du magst?“ Ich schüttle den Kopf, meine Finger spielen gedankenverloren mit dem Stoff meines Shirts. „Nee. Ich find’s cool, dir zuzusehen.“
Leo blinzelt. Vielleicht hat er nicht damit gerechnet, dass ich das so direkt sage. Dann lehnt er sich grinsend zurück, streckt seine Beine aus. „Na gut. Dann liefere ich halt ein bisschen Show für dich.“ Er steht schwungvoll auf, schnappt sich sein Board und rollt mit einem Kick wieder auf die Bahn. Ich sehe ihm nach, mein Blick folgt jeder Bewegung. Sein Körper ist in ständiger Balance, jeder Trick, jeder Sprung, jede Drehung sieht aus, als wäre sie einstudiert – und doch ist alles improvisiert. Er fliegt. Er fällt nicht, stolpert nicht, zögert nicht. Es ist faszinierend. Und ich kann meinen Blick nicht abwenden.
Zwischen Gesprächen und Moves – Der Moment, in dem ich es bemerke
Immer wieder kommt Leo nach ein paar Tricks zurück zu mir, lässt sich lässig auf die Bank fallen, grinst mich an und wir quatschen über alles und nichts. Dann springt er mit einem Schwung wieder auf sein Board, schießt durch die Anlage, als hätte er unendliche Energie, nur um nach ein paar Minuten wieder neben mir zu landen. Es ist, als wäre er ein unsteter Fluss – ständig in Bewegung, aber immer wieder zurückkehrend. Und ich? Ich sitze da, genieße es einfach. „Sag mal, Justin“, meint er irgendwann, als er locker auf seinem Board steht und nur leicht hin- und her rollt: „Hast du’s überhaupt mal probiert? Skaten?“ Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht einmal. Bin sofort auf die Nase gefallen.“ Er lacht. „Klingt nach einem Klassiker.“ Ich lache mit. „Ja. Also hab ich’s gelassen.“ Er hebt eine Augenbraue. „So schnell gibst du auf? Das hätte ich nicht gedacht.“
Ich lehne mich entspannt zurück und lasse meinen Blick über das geschwungene Betonfeld wandern. „Es ist nicht das Aufgeben. Ich mag einfach was anderes. Beim Klettern hab ich Halt, etwas Greifbares. Skaten ist…?“ Ich suche nach den richtigen Worten: „Zu sehr loslassen. Ich brauche den Grip in der Hand. Rollen unter den Füßen ist nicht so mein Ding.“
Leo überlegt kurz, dann nickt er langsam. „Okay, verstehe ich.“ Er schaut mich an, als würde er mich neu bewerten, dann grinst er. „Aber cool, dass du trotzdem hier bist.“ Ich zucke die Schultern. „Lass dich nicht aufhalten.“ Und das tut er nicht. Er fährt weiter, dreht Tricks, landet sauber, als wäre es das Einfachste der Welt. Ich könnte ewig zusehen. Er sieht dabei so… frei aus.
Als er sich wieder neben mich setzt, atmet er tief durch. „Puh. Okay, ich brauch 'ne Pause.“ Ich lehne mich leicht zu ihm. „Ich hätte auch nicht gedacht, dass du mal Pause brauchst.“ „Ja, ja, auch ich bin nur ein Mensch.“ Mein Blick wandert zu ihm. „Übrigens… du bist wie alt? Siebzehn, oder?“ „Jap.“ „Dachte ich mir. Und du wohnst bei Thomas, oder?“ Leo lehnt sich mit den Unterarmen auf seine Knie. „Jep. Also, offiziell ist er mein Onkel, aber irgendwie fühlt es sich nicht so an.“ „Warum?“ Er zuckt mit den Schultern. „Er ist cool. Er gibt mir ziemlich viele Freiheiten. Aber er ist halt auch… Thomas.“
Ich muss grinsen. „Ja. Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.“ Ich beobachte ihn. Er hat mir geantwortet, aber er hat eigentlich nichts gesagt. Er ist gut darin, Dinge offen zu lassen. Ich überlege kurz, dann frage ich vorsichtig: „Und deine Eltern?“ Für den Bruchteil einer Sekunde ist da eine Regung in seinem Gesicht – kaum sichtbar, aber ich nehme sie wahr. Dann zuckt er mit den Schultern. „Nicht wichtig.“ Seine Stimme klingt locker, aber es ist eine andere Art von Lockerheit. Eine, die sagt: Frag nicht weiter. Ich tue es nicht. Aber in mir bleibt ein kleiner Knoten zurück.
Während wir weiterreden, schweift mein Blick über ihn. Ich sehe ihn jetzt noch genauer an. Und dann erinnere ich mich. Seine linke Hand. Mir ist das schon beim ersten Mal aufgefallen, aber ich konnte es nicht richtig einordnen. Es war nur ein flüchtiger Gedanke – ein unbewusstes Gefühl, dass sie irgendwie anders wirkte. Jetzt, wo ich genauer hinsehe, fällt es mir wieder auf. Es ist nicht viel, aber… die Haut sieht zu glatt aus. Fast, als wäre sie mit einer dünnen Schicht überzogen, als wäre da ein perfekter Übergang, aber doch irgendwie nicht ganz natürlich.
Ich blinzele. Und dann verstehe ich es. „Leo.“ Er hebt den Kopf. „Hm?“ Ich überlege einen Moment, wie ich es sagen soll. Dann zeige ich mit einem kurzen Nicken auf seine Hand. „Die… ist nicht echt, oder?“ Er blinzelt. Dann lacht er leise. „Wow.“ „Wow was?“
Er hebt die Hand leicht an, dreht sie, betrachtet sie, als sähe er sie selbst zum ersten Mal. Dann sieht er mich an, seine Augen leuchten amüsiert. „Du bist der Erste, der es so schnell bemerkt hat.“ Ich mustere ihn. „Echt jetzt?“ Er nickt. „Normalerweise dauert es Monate, bis jemand überhaupt checkt, dass da was anders ist.“ Ich runzle die Stirn. „Das ist echt krass. Ich meine…, ich hab’s ja nicht mal genau gesehen. Irgendwie hab ich’s eher gefühlt.“ Leo lehnt sich zurück, grinst leicht. „Tja, Justin, du bist halt ein verdammt aufmerksamer Typ.“ Ich schaue auf seine Hand, sehe, wie der Übergang zum restlichen Arm geschickt kaschiert ist – durch eine Sport Uhr, die genau über dem Ansatz sitzt.
„Darf ich fragen… was passiert ist?“ Er schweigt kurz, dann zuckt er mit den Schultern. „Unfall. Skateboard. LKW. Bisschen Pech, bisschen Dummheit. War vor ein paar Jahren.“ Mein Magen zieht sich zusammen. „Verdammt…“ Leo schüttelt den Kopf. „Schon okay. Ich mein, ich kann noch skaten. Und wenn ich ehrlich bin…, die Hand hat mich nie wirklich definiert.“ Er sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, die mich beeindruckt. Kein Bedauern, kein Zögern. Einfach nur Akzeptanz. Ich überlege kurz, dann sage ich: „Fällt echt kaum auf.“ Leo dreht seine Hand hin und her. „Ja. Ich hatte Glück mit der Prothese. Sieht ziemlich echt aus, oder?“ Ich nicke langsam. Er hebt eine Augenbraue. „Willst du sie mal anfassen?“
Ich zögere. Nicht, weil ich es unangenehm finde, sondern weil ich mir unsicher bin, ob er das ernst meint. „Klar“, sage ich schließlich. Er streckt die Hand aus. Ich lege meine Finger vorsichtig darauf. Die Oberfläche fühlt sich anders an als Haut – kühler, glatter. Aber nicht unangenehm. Leo beobachtet mich. „Komisch, oder?“ Ich schüttle den Kopf. „Nicht komisch. Einfach… faszinierend.“ Er grinst. „Faszinierend, ja?“ Ich merke, dass ich ihn immer noch berühre und ziehe schnell meine Hand zurück. „Du weißt, was ich meine.“ Er lacht. „Klar. Aber ehrlich – ich find’s cool, dass du es so locker siehst. Die meisten Leute tun so, als wär’s das große Drama.“
Ich sehe ihn an. „Aber für dich ist es keins.“ „Genau.“ Er lehnt sich entspannt zurück. „Ich meine, was soll ich machen? Heulen bringt mir meine Hand nicht zurück.“ Ich lasse seine Worte einen Moment wirken. Dann lehne ich mich ebenfalls zurück, meine Arme auf der Rückenlehne der Bank ausgebreitet. Wir sitzen da, in der Nachmittagssonne, während die anderen Skater weiter ihre Tricks machen. Ich beobachte Leo aus dem Augenwinkel. Er wirkt immer noch unbeschwert. Aber ich weiß jetzt, dass da mehr ist. Und plötzlich fühlt es sich an, als hätte ich ihn ein Stück besser kennengelernt. Nicht nur den Skater, den Draufgänger, den Typen mit dem schiefen Grinsen. Sondern Leo. Den echten. Und das fühlt sich verdammt gut an.
Ein Spaziergang – Oder eher, er rollt, ich gehe.
Nach einer Weile in der Skateranlage, als der Wind langsam wärmer wird und die Sonne länger Schatten zieht, beschließen wir, ein bisschen zu gehen. Oder besser gesagt – ich gehe, während Leo locker neben mir auf seinem Board rollt, hin und wieder mit dem Fuß anschiebt, als wäre es die natürlichste Art, sich fortzubewegen.
Der Park ist lebendig. Jogger ziehen an uns vorbei, ein paar Kinder rennen lachend über die Wiese, und irgendwo spielt jemand leise Musik aus einem kleinen Lautsprecher. Es riecht nach frischem Gras und warmem Asphalt, nach diesem typischen Sommerduft, der immer ein bisschen nach Abenteuer und Freiheit riecht.
Leo lehnt sich leicht nach hinten, lässt sein Board ein Stück ausrollen und dreht dann den Kopf zu mir. „Also, Justin…“ Ich sehe zu ihm. „Hm?“ Er grinst. „Dein Shooting war echt krass.“ Mein Magen macht einen kleinen Sprung. „Was genau meinst du?“ „Eigentlich alles.“ Er stößt sich wieder mit dem Fuß ab, rollt lässig weiter. „Ich war in der Halle, das weißt du ja! Ich hab vielleicht nicht direkt immer daneben gestanden, aber ich hab genug gesehen.“ Ich schiele zu ihm rüber. Er klingt fasziniert. Oder bilde ich mir das nur ein?
Er fährt fort: „Die Art, wie du dich bewegst, Mann… das ist kein einfaches Sport-Shooting gewesen. Du bist in dem Moment aufgegangen. Ich hab’s richtig gesehen.“ Mein Gesicht wird heiß. „Naja…, ich hab halt versucht, das Beste draus zu machen.“
Leo schüttelt den Kopf. „Nee, das ist nicht nur ein ‘Versuch’ gewesen. Ich hab schon viele von diesen Shootings gesehen. Meistens sind die Leute steif, posieren zu viel oder wirken künstlich. Aber du? Du warst einfach… du selbst. Das war das Krasse daran.“
Ich halte einen Moment inne, starre auf den Boden, während meine Gedanken sich überschlagen. Hat er das gerade wirklich gesagt? Oder interpretiere ich zu viel rein? „Da gab es diese eine Szene…“ Er macht eine vage Geste mit der Hand, als würde er nach den richtigen Worten suchen. „Wo du an der Wand hingst, kurz bevor du diesen krassen Zug gemacht hast. Ich schwöre, du hast in dem Moment ausgesehen, als wäre das deine Welt. Als gäbe es nichts anderes um dich herum. Und dann dieser Blick danach…“ Er lacht leise. „Ich glaube, Finn hat genau diesen Moment festgehalten. Der Clip wird verdammt gut.“
Ich schlucke. Mein Herz schlägt schneller. Schwärmt er gerade… von mir? Oder übertreibe ich? Vielleicht sagt er das einfach nur, weil er das Shooting professionell betrachtet, weil er eben in dieser Firma arbeitet? Aber dann… warum klingt seine Stimme dabei so echt?
Ich werfe ihm einen Seitenblick zu. Er rollt neben mir, seine Augen auf mich gerichtet, als würde er meine Reaktion abwarten. Ich traue mich nicht, zu lange hinzusehen. Stattdessen blicke ich wieder nach vorn. „Und was ist eigentlich deine Aufgabe in der Firma?“ wechsle ich das Thema – ein bisschen aus Interesse, aber vielleicht auch, um mich von meinem rasenden Herzschlag abzulenken. Leo schnippt mit dem Finger an die Unterseite seines Boards, lässt es kurz hochschnellen und fängt es mit dem Fuß wieder auf. „Offiziell? Praktikant.“
Ich grinse. „Und inoffiziell?“ Er grinst zurück. „Zwei Dinge.“ Ich hebe eine Augenbraue. „Oh, klingt geheimnisvoll.“ „Total.“ Er stößt sich mit dem Fuß ab, rollt vor mir her, dreht sich kurz um, um mich grinsend anzusehen. „Nummer eins: Ich muss alles tun, damit du dich wohlfühlst.“ Ich bleibe stehen.
„Was?“ Er bremst sein Board ab, dreht sich ganz zu mir um. „Das ist mein offizieller Auftrag von Thomas. Ich soll dafür sorgen, dass du DU selbst sein kannst. Dass du nicht in irgendeine künstliche Rolle gedrängt wirst, sondern dass deine Persönlichkeit so rauskommt, wie sie ist.“
Mein Herz hämmert in meiner Brust. „Das hat Thomas so gesagt?“ Leo nickt. „Ziemlich genau so.“ Mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Ich will etwas erwidern, will fragen, warum ausgerechnet er dafür zuständig ist, warum Thomas das für so wichtig hält… Doch in dem Moment…
„Ey, Leo!“ Eine fremde Stimme schneidet durch die Luft. Leo dreht sich um, ich ebenfalls. Ein Junge – vielleicht in unserem Alter, vielleicht ein bisschen älter – kommt auf uns zu. Skateboard unter dem Arm, Baseballcap verkehrt herum auf dem Kopf. Ich blinzele. Wer ist das? Leo schnalzt mit der Zunge und lehnt sich leicht auf sein Board. „Oh Mann…“ „Kennst du den?“ frage ich leise.
Leo sieht mich mit einem undeutbaren Blick an. Dann setzt er ein schiefes Grinsen auf. „Länger als mir lieb ist.“ Und in meinem Bauch zieht sich etwas zusammen. Ich weiß nicht warum.
Unerwartete Begegnung – Schatten aus der Vergangenheit.
Der Junge kommt näher, die Cap tief in die Stirn gezogen, sein Blick unverhohlen auf Leo gerichtet. Irgendetwas an seiner Haltung, an seinem selbstbewussten, fast herausfordernden Gang, lässt mich sofort aufmerken. Leo hat sich verändert. Ich kann es an der Art sehen, wie seine Schultern sich leicht anspannen, wie seine Finger sich unbewusst an die Kante seines Boards klammern. „Leo, Alter“, sagt der Typ grinsend, als hätte er ihn ewig nicht gesehen. „Hätt’ nicht gedacht, dich hier mal wieder zu treffen.“
Leo erwidert das Grinsen – aber es ist eines dieser leeren, kühlen Grinsen. „Tja, Überraschung.“
Der Typ bleibt vor uns stehen, mustert Leo von oben bis unten und lässt dann kurz seinen Blick über mich wandern. Es ist kein wirkliches Interesse, eher eine schnelle Einschätzung. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das mag. „Und du bist?“ fragt er schließlich. „Justin“, sage ich knapp. Er zieht leicht die Augenbrauen hoch, als würde der Name ihm irgendwas sagen. Dann schnaubt er amüsiert und sieht wieder zu Leo.
„Also echt jetzt? Das ist dein neuer Job?“ Er lacht leise, fast ungläubig. Leo sagt nichts. Aber seine Kiefermuskeln arbeiten. Ich verschränke die Arme. „Ich glaube, du hast keine Ahnung, wovon du redest.“ Der Typ mustert mich, bevor sein Blick erneut zu Leo zurückwandert. Er ignoriert meine Bemerkung einfach. „Erinnerst du dich noch an mich? Oder hat Thomas dich komplett neu programmiert?“ Seine Stimme ist süffisant, aber darunter liegt irgendwas anderes.
Thomas? Mein Bauch zieht sich zusammen. Ich blicke zu Leo, der noch immer nicht reagiert. Doch dann hebt er langsam eine Hand, lässt die Finger einmal kurz über das Band seiner Sport Uhr streichen. Es dauert nur einen Moment. Aber ich erkenne die Geste.
Er verdeckt damit bewusst den Ansatz seiner Prothese. Mir wird schlagartig klar: Dieser Typ weiß etwas. Leo hebt schließlich den Blick. Sein Grinsen ist verschwunden. Seine Stimme ist ruhig, aber schneidend. „Was willst du, Marc?“ Marc. Jetzt habe ich einen Namen. Marc hebt unschuldig die Hände. „Wollte nur mal sehen, wie es dir geht. So als alter Bekannter.“ Leo lacht trocken. „Alter Bekannter? Nenn es lieber Ex-Kollege.“
Ich runzle die Stirn. Ex-Kollege? „Ex-Lehrling“, korrigiert Marc mit einem sarkastischen Unterton. „Klingt doch viel besser, oder? Hach, wie war das damals? Ich war so talentiert, so vielversprechend… und dann, ups, war ich plötzlich weg.“ Ich merke, dass er provoziert. Aber warum? „Du wurdest nicht einfach 'weg' geschickt, Marc. Du hast Grenzen überschritten.“ Leo sagt das leise, aber deutlich. Und zum ersten Mal verändert sich Marcs Gesichtsausdruck. Sein Grinsen ist noch da, aber die Augen wirken kälter. „Grenzen überschritten? Junge, komm schon.“ Er schüttelt den Kopf. „Das war doch nichts. Thomas hat total überreagiert.“ Thomas, schon wieder? Mein Bauch zieht sich noch weiter zusammen. Leo mustert ihn lange, bevor er trocken erwidert: „Offenbar sah das nicht jeder so.“
Stille.
Marc schnaubt, fährt sich mit einer Hand durch die Haare und setzt das Board auf den Boden, nur um mit einem Fuß leicht darauf zu wippen. „Schon gut“, murmelt er schließlich. „Du bist ja jetzt eh woanders angekommen. Hast 'nen süßen kleinen Job. Ist doch was, oder?“ Ich spüre, wie meine Hände sich zu Fäusten ballen. Die Art, wie er das sagt. Er spricht von Leo, als wäre er nur irgendein Lakai. Und er spricht von mir? Ich weiß es nicht. Leo bemerkt es. Er legt kurz eine Hand auf meine Schulter – als wollte er mich zurückhalten, bevor ich etwas Dummes sage. Dann sieht er Marc direkt an. „Glaub, was du willst. Aber du bist nicht mehr Teil davon.“ Marc blinzelt. Dann lacht er leise.
„Schon klar.“ Er kickt das Board mit einer schnellen Bewegung hoch in die Luft, fängt es mit einer Hand und schultert es. „Na dann“, sagt er. „Viel Spaß in deiner neuen, perfekten kleinen Welt.“ Und dann dreht er sich um und geht.
Ich starre ihm nach, mein Herz hämmert gegen meine Rippen. Dann sehe ich zu Leo. Er steht einfach nur da, die Arme locker verschränkt, die Augen auf den Boden gerichtet. Ich weiß, dass ich fragen sollte. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er antworten würde. Also lasse ich das Schweigen ein paar Sekunden zu.
Schließlich hebt er den Kopf. Sein Blick trifft meinen. Und in seinen Augen liegt etwas, das ich nicht ganz lesen kann. „Lass uns weitergehen“, sagt er leise. Und ich tue es. Aber während er neben mir rollt, hallen Marcs Worte in meinem Kopf nach. Was genau ist damals passiert? Welche Grenze hat er überschritten? Und warum habe ich das Gefühl, dass Leo mir nicht alles sagt? Ich weiß nicht, warum mich das so beschäftigt. Vielleicht, weil ich beginne zu begreifen, dass Leo mehr Geheimnisse hat, als ich dachte. Und vielleicht, weil ich spüre, dass ich unbedingt herausfinden will, was dahintersteckt.
Verlorene Worte – Und eine Erklärung, die nicht alles erklärt.
Wir gehen weiter. Oder, besser gesagt, ich gehe, während Leo mit seinem Board neben mir rollt, die Hände locker in die Taschen gesteckt. Doch das Schweigen zwischen uns ist nicht mehr locker. Es ist schwer. Wie eine dichte Wolke, die sich über uns gelegt hat, seit Marc verschwunden ist. Ich werfe Leo einen kurzen Blick zu. Er sieht nicht wütend aus. Auch nicht verärgert. Aber er ist… angespannt. Seine Schultern sind leicht hochgezogen, sein Kiefer ist angespannt. Und dann ist da noch seine linke Hand – die, die er zuvor unbewusst mit der Hand verdeckt hat. Er rollt ein Stück weiter, bleibt dann abrupt stehen und setzt seinen Fuß neben das Board. Ich halte auch an. Er atmet hörbar aus, bevor er schließlich spricht:
„Marc…“ Er schüttelt den Kopf, fährt sich mit der rechten Hand durch die Haare. „Er war bis vor kurzem noch bei uns in der Firma.“ Ich sage nichts. Ich lasse ihn reden. „Aber er hat nicht ins Team gepasst“, fährt er fort. „Und das ist noch harmlos ausgedrückt.“ Ich runzle die Stirn. „Inwiefern?“ Leo sieht mich an, zögert einen Moment, als würde er überlegen, wie viel er mir sagen soll. Dann seufzt er leise. „Er hat persönliche Grenzen überschritten. Immer wieder.“ Mein Bauch zieht sich zusammen.
„Was meinst du mit persönliche Grenzen?“ frage ich vorsichtig. Leo schaut weg. Sein Blick wandert über die Bäume des Parks, die im Wind rascheln, über die Jogger, die in der Ferne vorbeiziehen. Als würde er nach einem Fluchtpunkt suchen. Dann antwortet er leise: „Er hat Leute gegeneinander ausgespielt. Kleine Kommentare hier, eine Halbwahrheit da…,,, und bevor du es merkst, gibt es plötzlich Spannungen im Team, die vorher nicht da waren.“
Ich schlucke.
„Er hat auch Dinge ausgeplaudert, die nicht für Außenstehende bestimmt waren. Dinge aus Meetings, Dinge über die Kampagne. Aber nicht nur das. Es wurde… persönlicher.“ Leo spricht das letzte Wort fast unhörbar aus. Ich beobachte ihn. Die Art, wie er seinen Blick nicht auf mich richtet. Wie er sich unbewusst auf die Unterlippe beißt. Das hier ging tiefer. Ich weiß nicht, wie tief. Aber ich weiß, dass Marc eine Grenze überschritten hat, die nicht nur beruflich war.
Ich atme langsam aus. „Und dann?“ Leo zuckt leicht mit den Schultern. „Dann hat Thomas sich eingemischt.“ Mein Herz schlägt schneller. „Thomas hat die Entscheidung getroffen, ihn rauszuschmeißen.“ Ich nicke langsam.
Leo sieht mich endlich wieder an. „Thomas ist nicht nur irgendein Chef. Er hat diese Firma mit aufgebaut, von Grund auf. Und es gibt bestimmte Werte, die für ihn nicht verhandelbar sind. Vertrauen. Respekt. Teamwork.“
Ich erinnere mich an das, was Thomas mir über die Kampagne gesagt hat. Dass es nicht nur um Werbung geht, sondern darum, echte Persönlichkeiten zu zeigen.
„Marc hat all das in Frage gestellt“, sagt Leo schließlich. „Er hat das, woran wir arbeiten, nicht ernst genommen. Er hat… Dinge gemacht, die nicht gingen. Deshalb ist er jetzt draußen.“
Ich nicke, auch wenn ich weiß, dass das nicht alles ist. Leo sagt mir nicht alles. Ich kann es spüren. Aber ich dränge ihn nicht. Noch nicht. Die Stimmung ist angeknackst. Leo tritt leicht gegen sein Board, lässt es ein Stück nach vorne rollen, als würde er sich durch die Bewegung wieder in den Moment zurückholen. Ich sehe ihn an. Seine Gesichtszüge sind nachdenklich, seine Augen ein wenig dunkler als sonst. Ich will nicht, dass dieser Tag so endet. Also atme ich einmal tief durch – und dann lächle ich leicht.
„Also, Leo…“. Er dreht sich wieder zu mir um. „Was ist eigentlich deine zweite Aufgabe im Unternehmen?“ Ich versuche, die Worte so locker wie möglich klingen zu lassen, in der Hoffnung, die Schwere aus der Luft zu nehmen. Leo blinzelt kurz – dann hebt sich ein Mundwinkel. „Oh, du meinst das super geheime Praktikanten-Zweitprojekt?“ „Genau das.“
Er lehnt sich auf sein Board und grinst. „Tja, das ist sehr interessant, aber betrifft mich ganz direkt …“.
Zukunft zum Greifen nah – Und ich sehe Leo in einem neuen Licht.
Leo rollt neben mir her, das Board unter seinen Füßen gleitet fast lautlos über den Asphalt. Der Park ist immer noch belebt – irgendwo lachen Kinder, eine Gruppe Studenten sitzt auf der Wiese mit aufgeschlagenen Büchern, ein paar Hunde toben herum. Aber ich nehme das alles nur noch am Rande wahr. Mein Fokus liegt auf ihm. Auf Leo.
Er hatte eben diese Andeutung gemacht, dass seine zweite Aufgabe in der Firma direkt mit ihm zu tun hat. Und jetzt, da er kurz innehält, seine Finger unbewusst über das Band seiner Sport Uhr streichen lässt, wird mir klar, dass es etwas mit seiner Hand zu tun hat.
Mein Herz schlägt schneller. „Also“, sage ich langsam, „jetzt hast du mich wirklich neugierig gemacht.“ Leo grinst schief, aber diesmal steckt in seinem Blick etwas Nachdenkliches, fast Ungewöhnliches für ihn. Er atmet tief durch, bevor er sich mit einer geschmeidigen Bewegung von seinem Board löst und es mit der Fußspitze leicht ins Rollen bringt. Es stoppt ein paar Zentimeter weiter, während er die Hände in die Taschen seiner Shorts steckt und mich ansieht.
„Okay, hör zu“, beginnt er, seine Stimme etwas gedämpfter als sonst. „Du hast ja schon gesehen, dass die Firma nicht nur Sport- und Kletterausrüstung entwickelt, oder?“
Ich nicke. Ich erinnere mich an die riesigen Hallen, die Labore mit ihren sterilen weißen Tischen, den ganzen High-Tech-Kram, den ich nur beiläufig betrachtet habe, weil mein Kopf damals mit anderen Dingen beschäftigt war – mit der Kampagne, mit dem Shooting… mit Leo.
„Ja, klar. Ich hab die Entwicklungsräume gesehen, aber ehrlich gesagt…, ich hab mir keine großen Gedanken darüber gemacht.“ Leo hebt eine Braue, sein Blick amüsiert. „Tja, dann wird’s Zeit, dass du ein bisschen aufpasst, Justin.“ Mein Gesicht wird warm. Vielleicht, weil er mich auf diese lockere Art neckt. Vielleicht aber auch, weil sein Blick in diesem Moment direkt auf mir ruht, als würde er mich aus irgendeinem Grund ein bisschen zu genau mustern. „Na dann erklärst mir, Professor Leo“, sage ich grinsend und verschränke die Arme. Er lacht leise und dreht seine linke Hand in der Luft, betrachtet sie einen Moment, bevor er weiterspricht: „Das hier“, sagt er und deutet auf seine Prothese, „ist nur eine Art Zwischenlösung. Sie ist gut, klar. Ich kann greifen, Dinge halten, skaten, fast alles machen. Aber sie ist nicht perfekt. Und weißt du, was das Geile ist?“ Er hält inne, als wolle er mir Zeit geben, eine Antwort zu finden.
Aber ich schüttle nur leicht den Kopf: „Was denn?“ Sein Blick bekommt dieses gewisse Funkeln, das ich inzwischen an ihm erkenne – diese Begeisterung, dieses Feuer, das ihn antreibt. „Wir arbeiten an der Zukunft“, sagt er. Ich blinzele. „Zukunft?“ Leo nickt. „Eine Prothese, die nicht nur nachahmt, sondern sich wie eine echte Hand anfühlt. Eine, die nicht steif und mechanisch ist, sondern die lernt. Die versteht, wie mein Körper sich bewegt. Die sich so anpasst, dass ich sie irgendwann gar nicht mehr als fremd wahrnehme.“
Meine Gedanken überschlagen sich. Ich sehe seine Finger, die sich bewegen, aber er sagt selbst, dass das noch nicht alles ist. Dass da mehr geht. „Also…, du meinst, eine Art Robotik, die sich selbst verbessert?“ Leo grinst. „Genau das. Mit eingebauter KI, die ständig dazulernt. Dynamische Bewegungen, Sensoren, die auf kleinste Signale reagieren. Keine Verzögerung mehr zwischen dem Gedanken und der Bewegung. Einfach… natürlich.“
Ich kann nicht anders, als ihn anzustarren. „Das ist… krass.“ Leo lacht. „Ja. Und das Beste? Ich bin Teil des Projekts.“ Mein Herz setzt kurz aus. „Warte – du bist ein… Testpilot oder was?“
Er nickt. „Ja. Ich bekomme Prototypen, teste sie aus, gebe Feedback. Ich mache Bewegungsanalysen, trage Sensoren, damit die Entwickler sehen, wie mein Körper auf verschiedene Situationen reagiert. Ich habe Meetings mit Ärzten, Ingenieuren, Forschern… Es ist verdammt viel Arbeit, aber es lohnt sich.“
Ich versuche, das alles zu verarbeiten. Leo – dieser lockere, freigeistige Typ, der sich auf seinem Board bewegt, als wäre er mit der Straße verschmolzen, der in seinem Element ist, wenn er Tricks macht oder mich mit seinen Kommentaren aus der Reserve lockt. Dieser Leo arbeitet an einer bahnbrechenden Technologie mit? Ich hätte das nie erwartet. Aber je länger ich ihn ansehe, desto mehr verstehe ich, dass es eigentlich total zu ihm passt. „Aber… warum machst du das?“ frage ich leise.
Leo hält inne. Sein Blick wandert einen Moment in die Ferne, dann sieht er mich wieder an. „Weil es nicht nur um mich geht.“ Seine Worte treffen mich tiefer, als ich erwartet hätte. „Wie meinst du das?“
Er hebt eine Schulter, sein Blick wird weicher. „Ich bin nicht der Einzige, der sowas braucht. Es gibt so viele Leute da draußen, die mit Einschränkungen leben. Und nicht jeder hat das Glück, eine richtig gute Prothese zu bekommen. Aber wenn wir das hier perfektionieren… wenn wir es schaffen, dass sich eine künstliche Hand wirklich wie eine echte anfühlt…, dann kann das verdammt vielen Leuten helfen.“
Mein Mund wird trocken. Leo sieht seine Prothese nicht als Verlust. Er sieht sie als Möglichkeit. Ich weiß nicht, ob er merkt, wie besonders er ist. Wie sehr mich das gerade beeindruckt. Wie sehr… er mich gerade berührt. Ich will etwas sagen, irgendwas, das ausdrückt, wie sehr ich das bewundere. Aber meine Gedanken sind zu chaotisch, mein Herz klopft zu schnell. Schließlich bringe ich nur ein leises: „Das ist echt unglaublich“, heraus.
Leo lächelt. „Es ist ein langer Weg, aber hey, Fortschritt braucht Zeit, oder?“ Ich nicke, spüre, wie mein Brustkorb sich hebt und senkt, als würde ich versuchen, meinen eigenen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Ich wusste, dass Leo besonders ist. Aber jetzt…, jetzt sehe ich ihn in einem völlig neuen Licht. Und es macht mir Angst, wie sehr mich das bewegt. Ich will nicht, dass er merkt, was in mir vorgeht. Also reiße ich mich zusammen, zwinge mich zu einem lockeren Grinsen. „Nun“, sage ich mit gespielter Leichtigkeit: „Was kommt als Nächstes? Wirst du bald zur Cyborg-Version von Tony Stark?“ Leo lacht, sein ganzer Körper entspannt sich wieder. „Vielleicht. Aber vorher brauche ich 'ne Cola.“
Ich lache mit, bin froh, dass die Schwere des Gesprächs sich für einen Moment auflöst. „Ach so, du nutzt mich also als Sponsor für deine Erfrischung?“ Er kickt sein Board leicht nach vorne und grinst mich schelmisch an. „Nenn es, wie du willst. Aber ich hab Durst.“ Ich schüttle den Kopf, aber kann mein eigenes Lächeln nicht zurückhalten. „Okay, okay. Cola geht auf mich.“
Und während wir langsam in Richtung eines kleinen Kiosks gehen, oder besser gesagt, während er rollt und ich neben ihm herlaufe, spüre ich, dass mein Kopf noch lange nicht fertig damit ist, all das zu verarbeiten. Nicht das Forschungsprojekt. Nicht die Zukunft dieser Technologie. Sondern Leo. Und das Gefühl, das er in mir auslöst.
Nachtgedanken – Und ein Gefühl, das wächst.
Ich liege auf dem Rücken in meinem Bett, mein Zimmer ist in weiches Dunkel getaucht, nur ein schwacher Lichtschein dringt durch die Jalousien. Mein Handy liegt neben mir auf der Matratze, der letzte Chat mit Leo ist noch offen.
Gute Nacht, Justin. War cool heute. Mein Herz schlägt immer noch ein wenig schneller als sonst. Ich lasse den Bildschirm langsam erlöschen, aber die Worte bleiben in meinem Kopf. Nicht nur die, sondern alles. Der ganze Tag.
Ich drehe mich auf die Seite, ziehe die Decke bis zur Hüfte hoch. Meine Finger fahren gedankenverloren über das kühle Laken, während ich zurückdenke. An ihn. An Leo. Wie er auf seinem Skateboard stand, sich mit einer mühelosen Bewegung abstieß, als wäre er mit der Straße verwachsen. Ich sehe ihn vor mir. Seinen Körper in ständiger Balance, seine Muskeln, die sich bei jeder Bewegung sanft anspannen, wie seine Beine sich beugen, wenn er abspringt, seine Arme, die in der Luft ausgleichen.
Er hat eine Eleganz, die nicht bewusst einstudiert wirkt. Sie ist einfach da, natürlich, fließend. Mein Herz macht diesen kleinen, verräterischen Sprung, während mein Blick gedanklich an ihm hängen bleibt. An der Art, wie sein Shirt locker an ihm lag, wie sich seine Schultern darunter abzeichneten, wie die Sonne seine Haut erwärmt hat.
Und dann…, seine Hand. Wie er sie mir gezeigt hat. Ohne Scham, ohne Unsicherheit. Wie er mit einer Selbstverständlichkeit über seine Prothese gesprochen hat, als wäre sie einfach ein Teil von ihm – nicht weniger, nicht mehr.
Und ich? Ich finde ihn faszinierend. Nicht nur, weil er gut aussieht. Nicht nur, weil er so verdammt cool ist, so selbstsicher. Sondern weil er Tiefe hat. Weil er jemand ist, der seine Schwächen nicht versteckt, sondern sie als Stärke sieht. Ich lasse meine Finger über meinen Arm streichen, fast so, als würde ich ihn nachahmen. Spüre dabei meine Hand, die Sehnen und Muskeln und vergleiche dies mit den Berührungen der seinigen. Nicht unangenehm, aber doch unnatürlich und kühl. Mein Körper fühlt sich hingegen warm an. Eine besondere Wärme, ich immer mehr in mir aufsteigt.
Ich merke es kaum, aber meine Berührungen werden langsamer, sanfter. Gedanken und Traumwelt vermischen sich immer mehr mit meinen intensiven Empfindungen. Meine Haut, mein Körper, meine feinen Sinne der Fingerspitzen.
Ich fahre mit der Hand über meinen Bauch, über die dünne Stoffschicht meines Shirts, spüre die Wärme meiner Haut darunter. Ich atme tief ein, während meine Finger sich weiterbewegen, mein Herz klopft spürbar stärker. Dabei ziehe ich mir mein Shirt aus. Ich will intensiver mich und die Umgebung spüren. Die kühlere Luft des Raumes auf meiner erwärmten Haut erzeugt eine angenehme Gänsehaut. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich durch die Haare fährt, wie sein Blick für einen Moment auf mir lag, als er mich beobachtet hat.
Habe ich es mir eingebildet? War da etwas in seinen Augen? Oder wünsche ich mir nur, dass es so war? Ich schließe die Augen und lasse meine Hand tiefer wandern. Durch meine Schamhaare, die oberhalb von meinem Penis dichter sind und der dünne Flaum rund um meinen Hodensack.
Meine Haut fühlt sich heiß an. Ich streichle mich langsam, genieße die Berührung, während mein Kopf voller Bilder von ihm ist. Seine Stimme, sein Lachen, seine Bewegungen. Mein Atem wird flacher, während meine Finger sich über meine Haut tasten, über meine Hüfte, weiter. In meinem Schritt wird es immer heißer. Meine Schenkel spreize ich etwas, um mehr Luft zu an meinen erhitzten Schenkelinnenseiten zu erhalten. Ich spüre und streichle meine glatte heiße Haut.
Ich will ihn. Nicht einfach nur als Freund. Ich will ihn spüren. Ich will wissen, wie es wäre, wenn seine Hände mich berühren würden, wenn er mich so ansehen würde, wie ich ihn ansehe. Ich beiße mir auf die Lippe, meine Finger fahren über meinen Körper, mein Herzschlag pocht in meinen Ohren. Dann gebe ich mich dem Gefühl hin. Eine Flutwelle an schönen Empfindungen und Verkrampfungen löst sich. Meiner Lust. Meiner Sehnsucht. Mein Körper bewegt sich leicht unter meinen eigenen Berührungen, während mein Kopf nur noch mit einem Namen gefüllt ist.
Leo.
Es dauert nicht lange, bis ich den Höhepunkt erreiche. Ein heißes, intensives Ziehen, das mich erzittern lässt, meine Atmung ungleichmäßig macht. Ich genieße das Gefühl, lasse es durch mich fließen, halte für einen Moment inne, bevor ich langsam wieder zur Ruhe komme. Mein Herzschlag beruhigt sich allmählich. Ich liege still da, die Augen halb geschlossen, ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen. Ich spüre, wie meine Lider schwer werden, meine Gedanken noch ein letztes Mal zu ihm zurückwandern. Zu seinem Lächeln. Zu der Art, wie er mich angesehen hat. Ich seufze leise, drehe mich auf die Seite, ziehe die Decke näher an mich.
Ein letztes Mal schaue ich auf mein Handy. Ich überlege, ob ich noch etwas schreiben soll. Aber dann lasse ich es sein. Ich will ihm morgen wieder schreiben. Ich will nichts überstürzen. Ich will, dass es echt ist. Mit diesem Gedanken schließe ich die Augen. Und schlafe ruhig ein.
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