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Höhen und Herzen
Zwischen Kletterwand, Kamera und der Suche nach sich selbst
Teil 2 - Mehr als nur Brüder
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Informationen
- Story: Höhen und Herzen
- Autor: TrioXander
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Abenteuer, Diverses
Inhaltsverzeichnis
- Bobby und ich
- Ich bin nicht allein
- Jugendtreff
- Kletterfreunde
- Nach dem Training
- Zu Hause
- Waschmaschine
- Aufklärung
- Kein Zurück mehr
- Zurück im Gebäude
- Der erste Schritt in die neue Welt
- Umkleiden, Duschen & der erste Eindruck hinter den Kulissen
- Styling – Der Feinschliff
- Das Briefing – Was heute ansteht
- Die ersten Aufnahmen – Ich werde Teil von allem
- Ein gelungener erster Tag
- Abschlussbriefing & die nächsten Schritte
- Zurück in die Realität: Umziehen & Abschied
- Verabschiedung von Leo – ein Moment, der bleibt
- Heimfahrt – Gedanken, die nicht loslassen
Bobby und ich
Bobby lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück und betrachtet den Nachthimmel, während ich noch nach den richtigen Worten suche. Es ist einer dieser ruhigen Momente, die wir oft miteinander teilen – kein Druck, keine Eile, einfach nur wir beide, jeder in seinen Gedanken versunken.
Ich nehme einen Schluck von meinem Getränk, stelle die Flasche dann leise klirrend auf das Balkongeländer und atme tief durch. „Sag mal…“
Bobby dreht den Kopf zu mir und hebt eine Augenbraue. „Hm?“
Ich trommle mit den Fingern auf meinem Knie herum. „Was denkst du wirklich über das alles? Über die Kampagne, den Vertrag, aber auch…“ Ich halte kurz inne und blicke ihn an. „Mein Outing heute.“
Er mustert mich einen Moment lang, als würde er überlegen, wie viel er sagen soll. Dann zuckt er mit den Schultern. „Was genau meinst du?“
„Na ja…“ Ich kaue auf meiner Lippe. „Wie Thomas reagiert hat. Wie du dich dabei gefühlt hast. Ich meine, ich wusste ja nicht, ob es schlau ist, das jetzt schon zu sagen. Aber irgendwie… hatte ich das Gefühl, dass ich es tun musste. Dass es einfach dazugehört.“
Bobby nickt langsam. „Das war mutig.“
„Findest du?“
„Klar.“ Er dreht seine Flasche in den Händen. „Du hättest es auch einfach für dich behalten können. Aber du hast dich entschieden, ehrlich zu sein. Und nicht aus einer Not heraus, sondern weil du es selbst wolltest.“
Ich lehne mich vor, stütze die Arme auf meinen Knien ab. „Aber… war es richtig?“
Bobby lacht leise. „Das musst du doch selbst wissen. Hat es sich für dich richtig angefühlt?“
Ich denke kurz nach, dann nicke ich langsam. „Ja.“
„Na also.“ Er klopft mir leicht auf die Schulter. „Und was Thomas angeht – ich glaube, du hast gesehen, wie er reagiert hat. Völlig entspannt. Kein komischer Blick, keine peinliche Stille, einfach ein ehrliches ‚Ist mir egal‘. Und genau so sollte es sein.“ Ich atme erleichtert aus. „Ich weiß nicht… Ich glaube, ich hatte einfach Angst, dass es etwas verändert.“
Bobby schüttelt den Kopf. „Nein. Und weißt du, was ich besonders gut fand? Dass du es nicht so gesagt hast, als würdest du dich für irgendwas entschuldigen müssen. Du hast es einfach gesagt, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Und genau das ist es auch.“
Ich lasse seine Worte auf mich wirken. Er hat Recht. Ich hatte es nicht geflüstert, nicht drum herumgeredet, nicht darauf gewartet, dass jemand mich danach fragte. Ich hatte es einfach gesagt. Weil ich wollte, dass es Teil dieser Geschichte ist – meiner Geschichte.
Bobby grinst mich an. „Und mal ehrlich, hättest du vor einem Jahr gedacht, dass du heute hier sitzt, mit einem Shooting-Vertrag und einem Outing in einer Geschäftspräsentation?“ Ich muss lachen. „Definitiv nicht.“ „Tja, das Leben läuft eben manchmal anders als geplant.“ Er nimmt einen Schluck „Aber ich glaube, du machst das ganz gut.“ Ich sehe ihn an, spüre diese vertraute Wärme, dieses Gefühl, dass er immer hinter mir stehen wird. Egal, was passierte. „Danke, Bobby.“ Er zwinkert mir zu. „Jederzeit, Kleiner.“ Und so sitzen wir noch eine Weile da, unter dem dunklen Himmel, während die Stadt um uns herum langsam zur Ruhe kommt.
Meine Gedanken gehen auf Wanderschaft, zurück zu einem Moment, der sich einerseits so weit entfernt anfühlt, andererseits aber noch immer so nah ist, als sei er gerade erst gestern passiert. Es war ungefähr zwei Jahre her. Ich erinnere mich noch genau daran, wie mein Herz so laut schlug, dass es mir in den Ohren dröhnte. Ich hatte ewig überlegt, wie ich es ihm sagen sollte. Immer wieder Sätze in meinem Kopf formuliert, sie wieder verworfen. Mir vorgestellt, wie er reagieren könnte – ob sich sein Blick verändern würde, ob vielleicht ein unangenehmes Schweigen zwischen uns entstehen würde.
Und dann, als ich es endlich ausgesprochen hatte, als ich diesen riesigen Schritt gewagt hatte, fast wie ein Sprung ins Ungewisse, da war da keine lange Pause, kein fragender Ausdruck auf seinem Gesicht. Bobby hatte mich einfach nur angesehen, gegrinst und gesagt: „Und? Du bist immer noch mein kleiner Bruder.“
Diese fünf Worte. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie sich in diesem Moment all die Spannung in mir gelöst hatte, wie ich auf einmal wieder normal atmen konnte. Wie sich eine warme Welle der Erleichterung durch meinen ganzen Körper zog. Ich hätte nicht erwartet, dass es so einfach sein könnte – dass es so selbstverständlich für ihn sein würde.
Aber das Beeindruckendste daran war, dass Bobby es nicht einfach dabei belassen hatte. Er hätte es tun können. Er hätte sagen können: „Ist mir egal“, und damit das Thema abhaken. Aber das war nicht seine Art. Ein paar Tage später hatte er mich noch einmal beiseite genommen, mit genau dieser ruhigen, bestimmten Art, die er immer hat, wenn ihm etwas wirklich wichtig ist. „Hey, ich habe da mal ein bisschen recherchiert…“
Ich weiß noch, wie ich ihn damals überrascht angesehen hatte. Ich hatte nicht gewusst, was jetzt kommen würde. Doch dann erzählte er mir, dass er sich in der Zwischenzeit informiert hatte. Dass er Artikel gelesen hatte, in Foren unterwegs gewesen war. Dass er sogar Kontakt zu einer lokalen Jugendgruppe für queere Jugendliche aufgenommen hatte – einfach nur, um besser zu verstehen, was das für mich bedeutet und was in mir vorgeht. Er wollte nichts erzwingen, wollte mich zu nichts drängen. Er hatte einfach für mich nach Antworten gesucht, nach Möglichkeiten, die mir helfen könnten.
„Ich wollte einfach sicherstellen, dass du weißt, dass du nicht allein bist.“ Seine Stimme war ruhig gewesen, aber voller Bedeutung. „Und falls du mal mit Anderen reden willst, die das Gleiche erleben…, ich kann dich da hinfahren, wenn du magst.“
Ich erinnere mich noch genau an das seltsame Gefühl in meinem Brustkorb damals. Eine Mischung aus Überraschung, Rührung und diesem tiefen, warmen Wissen, dass ich auf meinen Bruder immer zählen kann.
Ich hatte damals nicht sofort Ja gesagt. Ich wusste nicht einmal, ob ich das überhaupt wollte. Aber allein zu wissen, dass es da war, dass er sich diese Mühe gemacht hatte, dass er mir einen sicheren Raum schaffen wollte, falls ich ihn brauchte, das bedeutete mir alles.
Und jetzt, zwei Jahre später, sitze ich wieder mit ihm hier. Auf unserem Balkon, wie wir es so oft tun, wenn wir einfach nur unseren Gedanken nachhängen. Ich habe einen unterschriebenen Vertrag für eine riesige Kampagne in der Tasche, eine völlig neue Welt liegt vor mir. Und doch ist eine Sache immer gleich geblieben: Bobby ist da! Ohne Wenn und Aber.
Ich bin nicht allein
Irgendwann gähne ich und strecke mich, während Bobby sein leeres Getränk auf den Tisch stellt. „Ich geh dann mal schlafen“, murmele ich. „Morgen ist ja wieder Schule.“ Bobby grinst. „Gute Idee. Sonst verschläfst du noch deinen ersten Tag als zukünftiger Star.“ Ich verdrehe die Augen, kann mir aber ein Lächeln nicht verkneifen. „Sehr witzig.“ Er lacht leise, dann klopft er mir auf die Schulter. „Schlaf gut, Kleiner.“
Ich verlasse den Balkon, schlendere in mein Zimmer und schließe die Tür hinter mir. Die vertraute Dunkelheit empfängt mich. Nur das matte Licht meiner Schreibtischlampe wirft weiche Schatten an die Wände. Ich ziehe mir mein Shirt über den Kopf, schlüpfe in meine Schlafsachen und lasse mich aufs Bett fallen. Aber schlafen? Daran ist nicht zu denken.
Mein Kopf ist viel zu voll. Voll von allem, was heute passiert ist, von jeder Entscheidung, jedem Gespräch, jedem Blick. Ich drehe mich auf die Seite, starre die dunklen Umrisse meiner Möbel an. Meine Gedanken springen von Thomas zu Finn, zu Leo und wieder zurück. Mein Outing, die Kampagne, das unterschriebene Papier, das jetzt alles besiegelt. Es fühlt sich surreal an. Als würde ich von außen auf mein eigenes Leben blicken. Ich drehe mich wieder auf den Rücken und seufze leise. Und während meine Gedanken kreisen, wandern sie zurück – zurück zu einem ganz anderen Moment, der für mich fast genauso groß war wie das hier heute.
Der Abend, an dem ich zum ersten Mal Bobbys Angebot angenommen hatte. Ich sehe mich selbst, zwei Jahre jünger, auf dem Beifahrersitz seines Wagens. Meine Hände lagen damals ineinander verschränkt auf meinem Schoß, die Finger spielten nervös mit dem Saum meines Ärmels. Bobby hatte die Musik leise laufen lassen, irgendwas Entspanntes, aber es half nicht viel gegen die Unruhe in meinem Bauch.
„Du kannst immer noch umdrehen“, hatte er gesagt, als wir an einer roten Ampel hielten. „Kein Stress. Du musst da nicht hingehen, wenn du nicht willst.“ Ich hatte genickt, wusste aber, dass ich es wollte. Irgendwie. „Ich weiß.“ Er hatte mir einen kurzen Seitenblick zugeworfen, ein aufmunterndes Lächeln. Dann sprang die Ampel auf Grün.
Als wir angekommen waren, hatte Bobby den Motor abgestellt, sich zu mir gedreht und gesagt: „Wir können auch einfach umdrehen und nach Hause fahren. Sag’s nur.“ Aber ich hatte den Türgriff schon in der Hand. Mein Herz pochte in meiner Brust, mein Magen war ein Knoten aus Erwartung, Unsicherheit und einer leisen Hoffnung. „Ich schau’s mir mal an“, hatte ich leise gesagt.
Mein Herz schlug mir damals bis zum Hals, als ich die Tür des Cafés öffnete. Ich war vierzehn, und es fühlte sich an, als würde ich gerade eine Grenze überschreiten, von der ich nicht wusste, was dahinter auf mich wartete. Bobby half mir und betrat das Café direkt hinter mir. Das leise Klingeln der Türglocke ließ mich kurz zusammenzucken.
Der warme Duft nach Kaffee und Zimt lag in der Luft, vermischt mit dem leisen Stimmengewirr der Gäste. Es war ein gemütlicher Ort – große Fenster ließen das Licht der Straßenlaternen hineinfallen, Holztische standen verstreut im Raum, an den Wänden hingen Regale voller Bücher und bunte Poster mit handgeschriebenen Zitaten. Eigentlich hätte es beruhigend wirken können. Doch mein Magen war ein einziger Knoten aus Anspannung.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Wer dort hinten im Jugendtreffraum sein würde? Ob ich mich fehl am Platz fühlen würde? Ob man mir ansehen würde, als gehörte ich nicht hierher?
Bobby legte mir kurz eine Hand auf die Schulter. Ein stummer Versuch, mir Mut zu machen. Dann ging er mit mir zum Tresen. Hinter der Theke stand ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, mit freundlichen Augen und einer ruhigen Ausstrahlung. Er schaute auf, als er uns bemerkte, und lächelte. „Hey Robert, schön, dich wiederzusehen.“ Mein Bruder grinste und lehnte sich locker gegen den Tresen. „Hey Chris. Wir sind da.“
Chris’ Blick wanderte zu mir. Ich konnte nicht sagen, ob er mich musterte, aber es fühlte sich nicht unangenehm an. Eher wie ein sanftes Abtasten, als wollte er sicherstellen, dass ich nicht völlig überfordert war. „Und du musst also Justin sein?“ Ich nickte. Meine Stimme fühlte sich in meinem Hals seltsam dünn an, also brachte ich nur ein kurzes „Ja“ heraus. Chris nickte verständnisvoll. „Freut mich, dich kennenzulernen, Justin.“ Dann sah er zu Bobby. „Schön, dass du ihn mitgebracht hast.“ Bobby zuckte mit den Schultern, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Natürlich. Ich lass ihn doch nicht allein da durch.“ Chris lächelte. „Musst du auch nicht. Hier ist ein sicherer Ort.“ Dann drehte er sich halb um und rief in den Raum hinter sich: „Sebbi! Kommst du mal eben?“
Mein Magen zog sich noch ein Stück mehr zusammen. Ich kannte keinen Sebbi. Ich kannte hier überhaupt niemanden außer Bobby. Und gleich würde jemand vor mir stehen, der vermutlich schon seit Jahren hierherkam, der sich sicher und selbstverständlich in diesem Raum bewegte – während ich mich am liebsten irgendwo verkriechen wollte.
Ein paar Sekunden später tauchte ein Junge in der Tür zum Hinterraum auf. Er war höchstens ein Jahr älter als ich, mit dunklen Locken und einem offenen Lächeln, das ein wenig von meiner Nervosität auffing. Seine Augen wanderten von Chris zu mir, dann trat er näher. „Was gibt’s?“
Chris deutete mit einem Nicken auf mich. „Das hier ist Justin. Sein erstes Mal hier. Ich dachte, du könntest ihm ein bisschen zeigen, wie das Ganze so läuft.“ Sebbi grinste und streckte mir die Hand entgegen. „Hey, willkommen. Keine Sorge, wir fressen niemanden.“ Ich brachte ein schwaches Lächeln zustande, meine Finger waren eiskalt, als ich seine Hand schüttelte. „Hi.“
Chris lehnte sich wieder gegen den Tresen. „Und Robert, willst du mitgehen oder lieber hier vorn auf ihn warten?“ Bobby sah mich an. „Was meinst du? Soll ich mitkommen?“ Ein Teil von mir wollte es. Ein Teil von mir wollte, dass er neben mir blieb, dass er die Unsicherheit für mich abfing, dass er mit einem einzigen Blick signalisierte, dass alles okay war. Aber ich wusste auch, dass ich das irgendwann alleine schaffen musste. Und wenn ich diesen ersten Schritt nicht heute tat, wann dann? Ich schüttelte den Kopf, versuchte, entschlossen zu wirken. „Nein, ist schon okay.“ Bobby nickte, ohne zu zögern. „Gut. Ich bleib einfach hier. Falls du mich brauchst, hol mich einfach.“
Ich atmete tief durch. Er war da. Nur ein paar Schritte entfernt. Aber jetzt lag es an mir. Sebbi deutete mit einer Kopfbewegung Richtung Hinterraum. „Komm, ich zeig’s dir.“ Ich folgte ihm, meine Beine fühlten sich schwer an, als wären sie nicht ganz bereit für diesen Schritt. Hinter mir blieb Bobby im Café, und auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, wusste ich, dass er noch da war. Dass er auf mich wartete. Und irgendwie machte das alles ein kleines bisschen leichter.
Jugendtreff
Sebbi führte mich durch den Jugendtreff, während ich versuchte, mich an die Umgebung zu gewöhnen. Der Raum war größer, als ich erwartet hatte – warme Farben, gemütliche Sitzgruppen, ein paar Poster an den Wänden, die für verschiedene Veranstaltungen warben. Ein Bücherregal mit Infomaterial, eine kleine Ecke mit Brettspielen, eine Theke mit Getränken und Snacks. Es sah aus wie ein ganz normaler Treffpunkt, aber ich spürte, dass es für viele hier mehr als das war.
„Also, das hier ist unser Treffraum“, erklärte Sebbi, während er langsam weiterging. „Vorne, das Café, ist für alle offen – egal ob Jugendliche, Eltern oder einfach Leute, die einen Kaffee trinken wollen. Manche kommen auch einfach nur, um Fragen zu stellen, sich zu informieren. Es ist gut, dass Robert vorne geblieben ist. Der hintere Bereich hier ist für uns. Für die Jugendlichen. Er ist ein geschützter Raum, in dem sich alle wohlfühlen können, ohne sich erklären oder rechtfertigen zu müssen.“
Ich nickte stumm. Irgendwie war es beruhigend zu wissen, dass dieser Raum extra dafür geschaffen war. Und doch fühlte es sich komisch an, hier zu sein. Als würde ich einen fremden Ort betreten, bei dem ich nicht sicher war, ob ich wirklich dazugehören durfte.
Sebbi schien meine Unsicherheit zu bemerken. Er drehte sich zu mir um, lehnte sich locker an die Wand und grinste. „Keine Sorge, hier gibt’s keine Aufnahmerituale oder so. Jeder kann so viel oder so wenig reden, wie er will. Und wenn du erstmal nur rumsitzen und zuhören willst, ist das auch okay.“
Ich atmete langsam aus. „Ich bin übrigens schon seit zwei Jahren hier“, fuhr er fort. „Hab damals auch ziemlich nervös in der Ecke gestanden, bis mich jemand ins Gespräch gezogen hat. Und jetzt bin ich halt oft derjenige, der die Neuen ein bisschen rumführt. Ist irgendwie witzig, oder?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Geht so.“
Er lachte leise. „Ja, okay, ist vielleicht nicht direkt witzig. Aber ich weiß, dass der erste Schritt der schwerste ist. Und wenn man nicht gleich in eine Gruppe geworfen wird, sondern erstmal jemanden hat, der einfach nur redet, dann macht das alles vielleicht ein bisschen leichter.“
Ich betrachtete ihn kurz. Man merkte, dass er das nicht zum ersten Mal machte. Es wirkte nicht einstudiert, aber routiniert – als hätte er genau die richtigen Worte parat, um diesen Moment weniger einschüchternd zu machen.
„Also, Justin“, sagte er schließlich und setzte sich auf eine der Sofas, einladend auf den Platz neben sich deutend. „Erzähl mal. Oder, wenn du nicht reden willst, frag mich irgendwas. Irgendwas Banales, damit du dich nicht so fühlst, als wärst du in einem Vorstellungsgespräch.“
Ich zögerte einen Moment, setzte mich dann langsam neben ihn. Mein Kopf war voller Gedanken, Fragen, Unsicherheiten. Aber Sebbi wartete geduldig, sein Blick war offen, nicht drängend. Nach ein paar Sekunden räusperte ich mich. „Ähm…, kommst du jede Woche her?“ Sebbi nickte. „Ziemlich regelmäßig, ja. Manchmal auch öfter, wenn was Besonderes ansteht. Es gibt Gruppenabende, Themenrunden, Spieleabende, manchmal einfach nur freies Beisammensein. Ist eine gute Mischung.“
Ich nickte, unsicher, was ich als Nächstes sagen sollte. Doch Sebbi ließ mir keine Zeit, mich wieder in meinem Kopf zu verlieren. Er lenkte das Gespräch geschickt weiter, erzählte mir von den ersten chaotischen Treffen, die er hier erlebt hatte, von lustigen Momenten, von Leuten, die kamen und gingen – und ganz langsam, ohne dass ich es wirklich bemerkte, wurde aus seiner Erzählung ein Gespräch. Und plötzlich fühlte es sich nicht mehr ganz so fremd an.
Sebbi lehnte sich entspannt zurück und musterte mich mit einem neugierigen Lächeln. „Also, Justin… dein Bruder Robert scheint echt ein cooler Typ zu sein. Ist ja nicht selbstverständlich, dass jemand hier nicht allein auftauchen muss.“ Ich nickte langsam. „Ja… er ist immer für mich da.“ „War das von Anfang an so? Oder musstest du ihn erst überzeugen?“ fragte er interessiert. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, er war sofort auf meiner Seite. Hat sich sogar selbst informiert, bevor ich überhaupt richtig darüber reden konnte.“
Sebbi zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wow! Das ist echt stark. Ich meine…, als ich das erste Mal hier war, war ich noch komplett ungeoutet. Keiner wusste es, und mir selbst war es irgendwie auch noch nicht ganz klar. Ich hab Wochen gebraucht, um mich überhaupt durch diese Tür zu trauen. Und du kommst einfach so hierher, mit deinem Bruder, der das alles mitträgt. Das hätte ich mir damals echt gewünscht.“
Ich spürte, wie sich mein Magen leicht zusammenzog. Es klang so, als wäre ich mutig. Aber war ich das wirklich? Ich fühlte mich nicht so. Ich fühlte mich immer noch, als würde ich mich auf unsicherem Terrain bewegen, als könnte ich jeden Moment ins Straucheln geraten.
„Hast du denn selbst schon…, also, weißt du für dich, wer du bist? Oder bist du noch dabei, es herauszufinden?“ fragte Sebbi vorsichtig. Ich biss mir auf die Unterlippe. Die Frage war einfach, aber gleichzeitig so schwer. Ich wusste es. Irgendwo tief in mir wusste ich es schon lange. Aber es auszusprechen, hier, laut, vor jemandem, den ich gerade erst kennengelernt hatte… das war eine ganz andere Sache. „Ich…“ Ich schluckte. Mein Blick wanderte zum Boden. Sebbi drängte nicht. Er wartete einfach. Lies mir den Raum, den ich brauchte.
„Ich glaube, ich weiß es“, sagte ich schließlich leise. „Aber, es laut zu sagen…, fühlt sich irgendwie immer noch komisch an.“
Sebbi nickte verständnisvoll. „Ich kenn das. Das erste Mal, als ich es jemandem gesagt habe, hab ich mich gefühlt, als würde ich mich aus einem Flugzeug stürzen – ohne Fallschirm.“ Ich konnte nicht anders, als leicht zu schmunzeln. „Und, bist du abgestürzt?“ Er lachte. „Nein. Hat sich eher angefühlt wie… weiß nicht, als hätte ich die ganze Zeit vergessen zu atmen und dann endlich mal Luft geholt.“
Ich ließ seine Worte auf mich wirken. Vielleicht war es wirklich so. Vielleicht musste ich nur tief durchatmen und den Sprung wagen. Sebbi klopfte mir leicht auf die Schulter. „Komm, ich stell dich den anderen vor. Ist alles ganz locker, du musst nicht reden, wenn du nicht willst. Einfach nur ankommen.“ Mein Herz klopfte schneller, aber diesmal war es keine Angst mehr. Es war Nervosität, ja, aber gemischt mit einer leichten Vorfreude. Vielleicht war das hier der Anfang von etwas Gutem. Ich nickte zögernd. „Okay.“ Sebbi grinste. „Dann los.“ Und mit einem letzten Blick zurück zur Café-Tür, hinter der Bobby wartete, folgte ich ihm.
Ich folgte Sebbi durch die Tür in den hinteren Bereich des Cafés, wo sich die Jugendlichen aufhielten. Der Raum war größer, als ich erwartet hatte – warm beleuchtet, mit Sofas und Sitzsäcken in einer Ecke, einem großen Tisch mit ein paar Brettspielen und einer kleinen Küchenecke mit Getränken und Snacks. An den Wänden hingen Poster mit bunten Sprüchen, Zeichnungen und Flyern über verschiedene Veranstaltungen.
Heute war wohl ein entspannter Abend, ohne festes Programm, wie Sebbi mir auf dem Weg erklärt hatte. Manchmal gäbe es Themenabende, Diskussionsrunden oder kleine Workshops, organisiert von Chris oder einem der anderen Betreuer. Aber heute war einfach ein lockeres Treffen. Zeit, um sich auszutauschen, zu spielen oder einfach nur da zu sein.
Kaum hatte Sebbi den Raum betreten, wurde er schon erwartet. „Ey, Sebbi, du lässt uns ja hängen!“ rief jemand von der Sofaecke aus und grinst. „Wir haben schon überlegt, ob wir dich rausschmeißen müssen.“ Sebbi lachte. „Pff, als ob ihr ohne mich klarkommen würdet.“ Dann drehte er sich zu mir um und machte eine lockere Geste in den Raum. „Und das hier ist Justin.“
Mehrere Köpfe drehten sich zu mir, und mir wurde plötzlich sehr bewusst, dass ich neu war. Aber anstatt komischer Blicke oder unangenehmer Stille wurde ich mit einem freundlichen „Hey!“ und „Willkommen!“ begrüßt.
Einer der älteren Jungs, vielleicht siebzehn oder achtzehn, stand auf und drückte mir eine Flasche Cola in die Hand. „Hier, erst mal was zu trinken. Und keine Sorge, wir beißen nicht. Meistens.“ Ich nahm die Flasche mit einem schiefen Lächeln. „Danke.“ Sebbi ließ sich neben mir auf eines der Sofas fallen und klopfte auf den Platz neben sich. „Setz dich, entspann dich. Der erste Abend ist immer ein bisschen komisch, aber glaub mir, das geht schnell vorbei.“
Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, während ich mich langsam setzte. Manche waren in Gespräche vertieft, andere spielten Karten oder scrollten auf ihren Handys. Es war eine bunte Mischung – manche jünger als ich, andere älter. Ich spürte neugierige, aber freundliche Blicke auf mir, doch niemand drängte mich sofort in ein Gespräch.
Langsam begann die Atmosphäre auf mich zu wirken. Es war anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Kein strenges Treffen mit ernsten Gesprächen über Identität und Selbstfindung, sondern einfach ein Ort, an dem man sein konnte. Ich nahm einen Schluck von meiner Cola und lehnte mich vorsichtig zurück. Vielleicht… war das hier gar nicht so schlimm. Vielleicht war es sogar genau das, was ich gebraucht hatte. Während ich mich langsam entspannte, kam plötzlich einer der jüngeren Jungs auf mich zu. Er war vielleicht zwölf oder dreizehn, mit wuscheligen Haaren und einem breiten, offenen Lächeln. Seine Augen funkelten neugierig, als er mich musterte.
„Bist du neu hier?“ fragte er direkt, ohne Umschweife. Ich nickte zögernd. „Ja… heute zum ersten Mal.“ „Cool! Ich bin Romeo.“ Ohne eine Sekunde zu zögern, ließ er sich neben mir nieder und beugte sich ein Stück näher. „Also, wie bist du hergekommen? Bist du schon geoutet? Hast du einen Freund?“
Seine Offenheit überrumpelte mich völlig. Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenzog, mein Hals trocken wurde. Mein Gesicht fühlte sich plötzlich heiß an, während mein Kopf gleichzeitig völlig leer blieb. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
Sebbi hatte das Ganze mitbekommen und schmunzelte. Er beugte sich leicht zu Romeo und meinte: „Hey, gib ihm ein bisschen Zeit, okay? Nicht jeder kommt hier rein und erzählt sofort sein ganzes Leben.“ Romeo zuckte mit den Schultern, grinste aber unbekümmert. „Schon gut, schon gut. Ich wollte nur nett sein!“ Dann sprang er auf und rannte zurück zu den anderen, als wäre nichts gewesen.
Ich atmete tief durch und spürte, wie mein Puls sich langsam wieder beruhigte. „Wow.“ Sebbi grinste. „Ja, Romeo ist… ein bisschen stürmisch. Aber er meint es nicht böse.“ Ich nickte und war ihm dankbar, dass er mich aus dieser Überforderung gerettet hatte. Sebbi nahm einen Schluck aus seiner Flasche und musterte mich mit sanfter Neugier. „Also, erzähl mal. Wie bist du hergekommen? Also ich meine… klar, Robert hat dich gebracht, aber war das deine Idee?“
Ich zögerte. Die Wahrheit war kompliziert. Schließlich zuckte ich mit den Schultern. „Mehr oder weniger. Robert hat mir davon erzählt und… na ja, irgendwie wollte ich mal sehen, wie das hier ist.“ Sebbi nickte verstehend. „Ging mir ähnlich. Beim ersten Mal dachte ich, ich drehe auf dem Weg um. Ich hatte echt Panik.“ Ich hob überrascht die Augenbrauen. „Wirklich? Aber du wirkst total entspannt hier.“
Er grinste. „Glaub mir, das war nicht immer so. Ich hab bestimmt drei Anläufe gebraucht, um überhaupt durch die Tür zu kommen. Und dann saß ich erstmal ewig nur da und hab nichts gesagt. Ich hatte Schiss, dass alle mich anschauen oder dass ich hier nicht reinpasse.“
Ich konnte mir das kaum vorstellen. Sebbi wirkte so selbstverständlich, als wäre er in diesem Raum aufgewachsen. „Und jetzt?“ Er breitete grinsend die Arme aus. „Jetzt? Jetzt bin ich so etwas wie der inoffizielle Willkommensdienst.“ Ich musste ein wenig schmunzeln, konnte aber nicht aufhören, darüber nachzudenken, was er gesagt hatte. Diese Unsicherheit, diese Angst – das kannte ich nur zu gut. Vielleicht war es also gar nicht so unmöglich, sich irgendwann hier wohlzufühlen?
Gerade als ich weiterfragen wollte, wurde Sebbi plötzlich von hinten überrascht. Ein Junge, vielleicht siebzehn, schlang seine Arme von hinten um ihn und ließ sich grinsend auf seinen Schoß sinken. Ohne einen Moment zu zögern, drückte er ihm einen schnellen, vertrauten Kuss auf die Lippen. Mein Herz machte einen Satz. Ich starrte sie an. Mein Atem blieb für einen Moment stocken, und ich wusste nicht, ob es an der Überraschung lag – oder an etwas anderem. Es war das erste Mal, dass ich zwei Jungs so nah beieinander sah: nicht nur freundschaftlich, sondern wirklich…; als Paar. Sebbi schmunzelte und schob den Jungen spielerisch ein Stück weg. „Luis, nicht jetzt.“ Luis schmiegte sich noch kurz an ihn und grinste. „Warum nicht? Ich hab dich vermisst.“
Sebbi seufzte, schob ihn sanft von sich und warf mir einen schnellen Blick zu. Fast, als wollte er sich entschuldigen. „Sorry, Justin. Ich wollte dich nicht gleich überfallen.“ Aber ich war zu durcheinander, um auch nur ein Wort herauszubringen. Mein Kopf war ein einziges Chaos aus Gedanken und Gefühlen.
Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, als ich an diesem Tag hierherkam: Aber das hier? Mein Blick klebte an den Beiden. Es war so… selbstverständlich. So ungezwungen, so echt. Und doch traf es mich wie ein Schlag. Sebbi hatte etwas, was ich mir insgeheim wünschte, aber nie zugeben wollte. Jemanden, der ihn einfach so in den Arm nahm. Der ihn küsste, ohne nachzudenken. Der ihn so sah, wie er war – und ihn liebte.
Mein Brustkorb fühlte sich eng an. Ich wusste nicht, ob es Eifersucht war oder einfach nur Sehnsucht. Vielleicht beides. Ich wollte auch so sein. So frei. So ohne Angst. Aber stattdessen saß ich dort, erstarrt, voller Fragen, voller Zweifel. Mein Herz raste, meine Gedanken überschlugen sich. Wie wäre es wohl, sich so sicher zu fühlen? Wie wäre es, einfach… man selbst zu sein? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass ich es mir mehr wünschte, als ich mir jemals eingestanden hatte.
….
Das war der Start in eine neue Welt. Eine Welt, in der schwul sein so normal schien. So selbstverständlich, dass es mich fast überforderte. Damals hatte ich noch gedacht, es wäre etwas Besonderes, etwas Außergewöhnliches, etwas, das mich von anderen trennte. Doch hier war es einfach… ein Teil des Lebens.
Seither bin ich regelmäßig bei der Jugendgruppe. Ich hatte so viel erlebt, so viele Eindrücke gesammelt, so viele Erfahrungen gemacht. Anfangs fühlte sich alles neu und fremd an, aber mit der Zeit wurde es zu einem Stück Heimat für mich. Ich lernte andere kennen, hörte ihre Geschichten, erkannte mich in ihnen wieder – und langsam begann ich zu begreifen, dass ich nicht allein war. Rückblickend war dieser Moment, dieses erste Treffen, der erste Schritt in etwas, das mein Leben veränderte. Darüber nachdenkend, spürte ich ein warmes Gefühl in meiner Brust. All die Unsicherheiten von damals, die Ängste, die Zweifel – sie waren nicht einfach verschwunden, aber sie hatten sich verändert. Sie waren Teil meines Weges geworden, Teil dessen, was mich hierhergebracht hatte.
Mit einem leisen Lächeln auf den Lippen schloss ich die Augen. Die Gedanken an diesen Anfang, an all die Menschen, die mich seitdem begleitet hatten, fühlten sich wie eine sanfte Umarmung an. Und mit diesem Gefühl ließ ich mich endlich in den Schlaf sinken.
Kletterfreunde
Ich stehe wieder in der vertrauten Kletterhalle. Der Raum, in dem ich mich so lebendig fühle, in dem Magnesia in der Luft liegt und das leise Klirren von Karabinern und das Murmeln meiner Freunde mich willkommen heißen. Heute ist Trainingstag, und während ich meine Schuhe schnüre, höre ich schon das aufgeregte Stimmengewirr.
„Ey, Justin, du warst doch gestern beim Shooting, oder?“ ruft Malik, während er mit einem breiten Grinsen an mir vorbeigeht. Ich spüre, wie sich ein kleines Prickeln in meinem Bauch breitmacht, und antworte: „Ja, Mann – beim Hauptsponsor. War richtig abgefahren, Alter!“
Während ich zu unserem üblichen Treffpunkt in der Ecke laufe, wo sich die Jungs immer um einen Tisch versammeln, höre ich weitere Fragen: „Erzähl mal, wie war das so?“, „Hast du den Laden gesehen, wie die da arbeiten? Und die ganze Technik – ist das echt?“
Ich lehne mich kurz an die Wand, atme tief durch und lasse die Erinnerungen an gestern durch meine Gedanken rauschen – die moderne Glasfassade des Firmengebäudes, das grelle Licht im Fotostudio, den fast surrealen Moment, als ich durch den Raum geschleift wurde und plötzlich Teil von etwas Großem war.
„Es war verrückt“, beginne ich, als die Blicke gespannt auf mir ruhen. „Ich meine, ich hatte noch nie so was erlebt. Die Atmosphäre war einfach anders – nicht nur ein einfach Fotostudio, sondern richtig professionell. Die Leute da drüben waren nicht bloß Models, sondern echte Sportler, und die Technik, mit der sie arbeiten, die ist fast schon wie aus ’nem Film. Man spürt förmlich, wie viel Leidenschaft und Planung in jedem Detail steckt.“
Während ich rede, sehe ich, wie die Augen meiner Kletterfreunde glänzen, als wollten sie jedes Wort in sich aufnehmen. Malik klopft mir auf den Rücken und lacht: „Alter, das klingt mega. Aber war's nicht auch irgendwie einschüchternd? So hoch hinaus, im wahrsten Sinne des Wortes?“
Ich lächle und schüttle den Kopf. „Einschüchternd schon, aber auch total befreiend. Ich meine, als ich da stand, inmitten dieser ganzen Technik und den strahlenden Lichtern, hab ich zum ersten Mal so richtig gefühlt, dass ich etwas bewegen kann. Dass ich dazu gehöre – und dass man mich sehen will.“
Natürlich lasse ich dabei bewusst aus, was mir ganz persönlich gestern noch schwer im Herzen lag – das, was ich niemandem verraten habe. Stattdessen konzentriere ich mich auf die Eindrücke, die für uns alle als Kletterer von Bedeutung sind: Die Leidenschaft, der Spirit und die Herausforderungen, die uns antreiben.
Während ich weiter rede, merke ich, wie meine Stimme fester wird, wie ich mich in dem Gespräch wiederfinden kann. So, wie ich es immer tue, wenn ich über das Klettern und das Gefühl spreche, ganz ich selbst zu sein. „Die Jungs vom Shooting-Team haben mir sogar erzählt, dass ich für eine neue Kampagne im Blick bin. Ich weiß noch, wie ich vor lauter Aufregung fast mein eigenes Urteil vergessen hätte. Aber es hat sich alles so echt angefühlt – so, als ob ich gerade ein Stück Zukunft in die Hand nehme.“
Einer meiner Freunde, Jonas, der immer ein wachsames Auge hat, fragt leise: „Und, Justin – hast du dich dabei nicht ein bisschen verloren gefühlt? Irgendwie anders als sonst?“
Ich halte kurz inne, blicke in die Runde und merke, wie mir die Worte im Hals stecken. Da ist dieses mulmige Gefühl, das ich so gut kenne – die Mischung aus Stolz, Angst und dem Drang, mehr zu werden. Ich nicke langsam und sage: „Ja, ich fühlte mich anders. Aufgeregt, aber auch, als ob ich an einem Scheideweg stehe. Aber egal, ich hab den Tag als eine Chance gesehen, zu wachsen, zu lernen. Und ich will diesen Weg gehen, Schritt für Schritt.“
In dem Moment ertönt der Pfiff des Trainers, und wir machen uns bereit für die nächste Kletterrunde. Als ich meinen Klettergurt anlege und die Griffe an der Wand ansehe, denke ich kurz an all die Eindrücke von gestern. Der Nervenkitzel, die neuen Möglichkeiten, die sich mir eröffnen – all das spiegelt sich in den glänzenden Augen meiner Freunde, und ich weiß, dass ich heute wieder ganz bei mir bin.
Beim Hochklettern spüre ich, wie das Adrenalin durch meine Adern pumpt. Jeder Griff, jede Bewegung ist ein kleiner Beweis dafür, dass ich mutig bin, dass ich es wage, anders zu sein. Die Fragen der Jungs begleiten mich wie ein steter Rhythmus in meinem Kopf, doch ich lasse mich von der Höhe, dem Wind und der schieren Energie dieser Halle tragen.
Ich hänge an der Wand, den Blick auf den nächsten Griff gerichtet, aber in meinem Kopf tobt auf einmal ein ganz anderes Gespräch. Während ich meine Routine-Übungen mache und die Kletterpartner ständig wechseln, spüre ich, wie der Druck vom gestrigen Shootingtreffen in mir nachhallt. Gestern, beim Hauptsponsor, inmitten von echten Profis, die jeden Zug mit einer Selbstverständlichkeit zeigten, die mich gleichzeitig fasziniert und einschüchtert. Da hat sich in mir etwas verändert.
Als ich an dieser Übungsroute entlangklettere, schweifen meine Gedanken immer wieder ab zu dem, was da noch kommen könnte. Ich frage mich: Kann ich es schaffen, vor der Kamera genauso zu glänzen wie hier an der Wand? Was, wenn ich vor all den Experten nicht so cool rüberkomme, wie ich es mir vorstelle?
Die üblichen lockeren Frotzeleien meiner Freunde klingen wie ein sanfter Weckruf: „Na, Justin, heute wieder zu sehr in Gedanken versunken?“ höre ich Jonas neckisch sagen, als ich bei einer schwierigen Passage ins Straucheln gerate. Ich merke, wie mir der Schweiß die Hände rutschen, und im Innersten kämpft eine Mischung aus Nervosität und Erwartungsdruck.
Ich erinnere mich an die ehrlichen Blicke und die professionelle Art der Fotografen, an das Zusammenspiel aus Technik und Kreativität. All das ist so fremd und zugleich so faszinierend. Es ist, als würde jeder Griff an der Wand nicht nur mein physisches Können, sondern auch meinen Mut testen, diesen neuen Lebensabschnitt wirklich anzunehmen.
Dabei geht mir durch den Kopf: Was, wenn ich beim nächsten Shooting plötzlich nicht mehr weiß, wer ich eigentlich bin? Was, wenn all die hohen Erwartungen, die an mich gestellt werden, mich überfordern? Diese Selbstzweifel nagen an mir, während ich mich an den Griff klammere und meinen nächsten Zug wäge.
Doch dann höre ich Malik, wie er lachend ruft: „Komm schon, Justin, zeig uns, was in dir steckt!“ – und das hilft mir, mich neu zu fokussieren. Denn ich weiß: Jeder Fehler, den ich hier mache, ist auch ein kleiner Schritt in Richtung des großen Ganzen. Jeder Griff, den ich neu erobere, ist wie eine Lektion fürs anstehende Shooting.
In diesen Momenten wird mir klar: Es geht nicht nur um das reine Klettern, sondern um das ganze Mindset, das ich mitbringen muss: Den Mut, mich den Herausforderungen zu stellen, die Ungewissheit anzunehmen und dabei trotzdem authentisch zu bleiben. Ich atme tief ein, konzentriere mich auf den nächsten Schritt und lasse den Druck, der aus der Erwartung heraus entsteht, zu einem Teil meiner Energie werden.
Mit jedem Fehler, den ich heute mache, mit jedem kleinen Abrutschen, das die anderen nur kurz kommentieren, wächst in mir das Bewusstsein, dass ich erst noch lernen und wachsen werde. Ich weiß nicht, was da draußen beim Shooting alles auf mich zukommt, aber ich bin bereit, diesen Weg Schritt für Schritt zu gehen.
Und während ich weiter klettere, spüre ich, wie dieser Erwartungsdruck langsam zu einem Antrieb wird, der mich nicht lähmt, sondern motiviert. Denn egal, was noch kommt. Ich will es ausprobieren, will wachsen und vor allem ganz ich selbst sein.
Und während ich in schwindelerregende Höhen klettere, merke ich, dass all die gestrigen Erlebnisse, die großen Momente, die kleinen Unsicherheiten, sich zu einem Gefühl verbinden: Der Überzeugung, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Ich komme wieder unten an, und als ich mich kurz mit den anderen abklopfe, flüstere ich mir selbst zu: „Ich mach das. Schritt für Schritt.“ Ohne zu wissen, was als Nächstes kommt. Aber mit dem festen Glauben daran, dass ich nicht allein bin, sondern von Freunden und meiner Leidenschaft getragen werde.
Nach dem abrupten Halt der nächsten Übungsrunde spüre ich, wie jemand sich neben mich stellt. Es ist Trainer Stefan – sein ernster, aber warmer Blick verrät, dass er mehr bemerkt hat als nur einen kleinen Ausrutscher an der Wand.
„Justin, was ist los?“ fragt er leise, während er sich zu mir beugt. „Du warst heute nicht ganz bei der Sache. Deine Bewegungen wirken unsicher, als ob du in Gedanken woanders wärst.“
Ich schlucke, mein Blick schweift kurz zur Wand, an der ich gerade etwas unglücklich unterwegs war. „Ich… ich weiß nicht genau, was in meinem Kopf vorgeht“, antworte ich zögerlich. „Gestern, bei dem ersten Shootingtreffen…, bei all den Profis und dieser ganzen Technik – da war so ein Druck, als ob ich plötzlich jemand sein muss, der ich noch gar nicht bin. Es fühlt sich an, als ob ich zwischen zwei Welten hänge, hier in der Halle und da draußen vor der Kamera.“
Trainer Stefan nickt verständnisvoll. „Ich kenne deine Geschichte, Justin. Du hast schon so viel durchgemacht. Den Verlust deiner Eltern, den steinigen Weg, den du gehen musstest, um hierher zu kommen. Du weißt, wie wichtig der Klettersport für dich ist. Er hat dich immer wieder aufgerichtet, wenn du gefallen bist. Aber heute spüre ich, dass dieser neue Abschnitt mit dem Auftrag unseres Sponsors dich mehr fordert als sonst.“
Er tritt einen Schritt näher und senkt die Stimme. „Schau, jeder von uns hat mal solche Tage. Es ist normal, dass sich Erwartungen und Druck manchmal überwältigend anfühlen. Aber genau in diesen Momenten zeigt sich, was in dir steckt. Du hast das Zeug dazu, deine Grenzen zu überwinden. Nicht nur an der Wand, sondern auch im Leben.“
Ich spüre, wie sich etwas in mir löst, während ich seinen Worten lausche. „Manchmal frage ich mich: Was, wenn ich vor all den Experten nicht so cool rüberkomme, wie ich es mir vorstelle? Was, wenn ich beim eigentlichen Shooting plötzlich nicht mehr weiß, wer ich eigentlich bin?“
Mit einer ermutigenden Hand auf meiner Schulter sagt Stefan: „Hör zu, Justin. Erinnerst du dich an den Wettkampf vor ein paar Jahren, als du an der Boulderwand standst und trotz aller Zweifel den richtigen Griff gefunden hast? Du warst fokussiert, weil du keine Wahl hattest. Du musstest es schaffen. Dieser Moment hat dir gezeigt, dass jeder Fehler, den du machst, dich nur stärker macht. Genau das lehrt uns das Klettern: Wir fallen, um wieder aufzustehen.“
Seine Stimme wird etwas intensiver, aber bleibt ruhig und bestimmt. „Der Druck, den du fühlst, ist real. Und er kommt von der Erwartung, dass du immer perfekt sein willst. Aber weißt du was? Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, jeden Griff zu nutzen, um zu wachsen. Heute ist vielleicht ein Tag, an dem du kleine Fehler machst, die andere bemerken. Aber diese zählen nicht, wenn du aus ihnen lernst.“
Ich atme tief ein und spüre, wie seine Worte einen Teil der Last in mir mildern. „Ich will nicht versagen, Stefan. Ich will diesen Weg gehen, auch wenn ich manchmal Angst habe, den Erwartungen nicht gewachsen zu sein.“
Er lächelt leicht, sein Blick fest und zugleich voller Zuversicht. „Du bist ein talentierter Kletterer, Justin. Du hast schon so viele Hindernisse überwunden, und dieser Druck, so groß er auch sein mag, wird dich nicht brechen. Er wird dich nur anspornen. Konzentrier dich jetzt auf deinen Atem, auf den nächsten Griff. Denk daran: Schritt für Schritt, und du wirst sehen, dass du nicht nur hier an der Wand, sondern auch beim Shooting und im Leben wachsen wirst.“
Seine Worte wirken wie ein Anker. Ich nicke langsam, spüre, wie mein Herz sich beruhigt und der Adrenalinrausch weicht – Platz macht für klaren Fokus. „Danke, Stefan. Ich…, ich werde es versuchen.“
„Das weiß ich, Justin“, erwidert er mit fester Stimme. „Und denk daran, auch wenn du mal ins Straucheln gerätst. Ich bin hier, um dich aufzufangen. Du bist nicht allein. Wir alle glauben an dich.“
Mit diesen Worten kehre ich wieder zu meiner Route zurück. Während ich den nächsten Griff anstrebe, hallen seine Worte in meinem Kopf nach. Es fühlt sich an, als ob jeder kleine Fehler, den ich mache, ein Teil meines Weges ist. Ein Weg, der mich Schritt für Schritt zu dem Jungen führen wird, der ich sein will. Mit diesem neu gefundenen Mut und der Unterstützung meines Trainers weiß ich, dass ich bereit bin, die Herausforderungen anzunehmen, sowohl hier in der Halle als auch da draußen vor der Kamera.
Nach dem Training
Der Trainingsnachmittag ist vorbei, und ich bin bis auf die Haut verschwitzt. Im Umkleideraum der Halle herrscht ein gedämpftes Murmeln, während die Jungs leise über den Tag plaudern. Wir alle gehen in die Duschen. Für mich ist das eigentlich nichts Besonderes. Zu Hause ziehen Bobby und ich uns immer ungezwungen aus, und so hatte ich nie große Probleme damit. Aber hier in der Halle merke ich, dass nicht alle so locker sind. Einige Jungs wirken fast schüchtern, als könnten die Blicke weh tun. Wir sind alle ungefähr gleich alt – manche ein Jahr jünger, andere etwas älter als ich. Trotzdem erkennt man an unseren Körpern, wie unterschiedlich wir uns entwickeln. Vielleicht achte ich da auch mehr als andere drauf, denn in meinem Kopf kreisen gleich mehrere Gründe, warum mich die anderen Jungs interessieren…
Unter dem warmen Wasser stehend, versuche ich, mich nicht zu sehr ablenken zu lassen, doch mein Blick schweift immer wieder unauffällig zu den anderen. Ich beobachte, wie das Wasser ihre Körper hinunterläuft – muskulös, sehnig, drahtig, definiert, manchmal noch ein wenig unsicher. Da ist zum Beispiel Jonas, der sich mit einem fast selbstbewussten Grinsen abtrocknet, oder Malik, dessen entspannte Haltung mir das Gefühl gibt, dass er genau weiß, wer er ist. Heimlich vergleiche ich sie in meinem Kopf, ohne dass es jemand merkt. Diese flüchtigen Blicke geben mir das Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, in der jeder mit seinen eigenen Unsicherheiten kämpft. Und in der gleichzeitig leise die Hoffnung mitschwingt, dass vielleicht doch mehr sein könnte. Vielleicht empfindet jemand anderes ja genauso, und traut sich, sich hier auch nicht öffentlich zu outen.
Meine Gedanken schweifen immer wieder zu dem ersten Treffen der queeren Jugendgruppe, das ich mittlerweile auch fast wöchentlich besuche. Dort, in einem Raum voller offener, freier Menschen, habe ich einen Funken gespürt, ein Gefühl, dass auch ich eines Tages einen Partner haben könnte, der meine Blicke versteht, der mich in all meinen kleinen Unsicherheiten sieht und mich dennoch liebt. Während ich hier in der Dusche stehe, wird mir bewusst, wie sehr ich mir insgeheim wünsche, dass sich in meinem Leben mehr als nur der tägliche Kampf an der Kletterwand abspielt. Nicht nur im Klettersport, sondern auch in Sachen Herz und Nähe.
Gleichzeitig kreisen meine Gedanken an das gestrige Treffen – den Druck, den ich gespürt habe, als ich bei den Profis stand, und die Angst, nicht gut genug zu sein. Dieser Druck, der mich fast erdrückt hat, vermischt sich hier mit der leisen Sehnsucht nach mehr: Nach einer Verbindung, die über das rein Körperliche hinausgeht. Ich träume davon, dass jemand eines Tages meinen Blick erwidert und dass sich zwischen uns etwas entwickelt, das all die kleinen Geheimnisse und die heimlichen Vergleiche überbrückt.
Ich schäme mich ein wenig vor meinen eigenen, flüchtigen Blicken, die so typisch für die Pubertät sind. Neugierig, fast heimlich, voller Unsicherheit und Hoffnung zugleich. Doch tief in mir glimmt der Wunsch, dass jemand da ist, der genauso fühlt wie ich, ohne dass ich es laut sagen muss. Die Atmosphäre hier ist erfüllt von unausgesprochenen Sehnsüchten und kleinen Geheimnissen. Jeder von uns sucht seinen Platz. In der Gemeinschaft, im Training und in der Liebe zu sich selbst.
Leise höre ich, wie einer der Jungs aus der Ecke murmelnd sagt: „Mensch, der Tag war echt hart…“, und ich weiß, dass auch sie die Anstrengung und die inneren Kämpfe spüren. Es ist ein Moment, in dem wir alle zusammenhalten, ob in der Kletterhalle oder unter der Dusche. Ich schließe für einen Augenblick die Augen, lasse das warme Wasser über mich laufen und versuche, die schweren Gedanken an das gestrige Erlebte beiseite zu schieben. Für diesen Moment zählt nur das Hier und Jetzt.
Mit einem leisen Seufzer öffne ich die Augen, bereit, mich wieder anzuziehen – und vielleicht, wenn niemand hinsieht, noch einmal meinen heimlichen Blick über die anderen Jungs schweifen zu lassen. Denn in diesen unscheinbaren Augenblicken liegt die stille Hoffnung, dass da draußen vielleicht doch mehr ist als nur die tägliche Routine zwischen Schule und Freizeit. Es ist der Glaube daran, dass, wenn wir uns gegenseitig in unseren kleinen, mutigen Momenten entdecken, irgendwann etwas Größeres daraus werden könnte – vielleicht eine zarte Verbindung, die mich nicht nur an der Wand, sondern auch im Leben weiterbringt. Und in diesen leisen Träumen schimmert die Vorstellung, eines Tages einen Partner an meiner Seite zu wissen, mit dem ich all die Höhen und Tiefen gemeinsam erleben und ausprobieren kann, ohne dass jemand unsere Blicke entschlüsseln muss.
Nach der Dusche zieht sich die Gruppe langsam in den Umkleideraum zurück – nasse Haare, die noch vom warmen Wasser glänzen, und Haut, die vom Training gerötet ist. Wir versammeln uns um einen großen Tisch, an dem die Trainer bereits warten. Trainer Stefan, dessen aufmunternde Worte mir noch immer im Ohr klingen, schaut in die Runde und fragt:
„Na, Jungs, wie war’s heute? Was habt ihr mitgenommen?“
Die Gespräche werden leiser, als ich noch immer an den gestrigen Tag denke. An das erste Treffen mit Thomas, den Marketingchef, an den Druck, an die Profis und die strahlenden Lichter. Meine Gedanken wirbeln umher und plötzlich fällt mir die Frage eines der Trainer auf: „Justin, und wann startet denn nun endlich dein richtiges Shooting?“ „Du weißt doch, am Freitag soll’s losgehen“ antworte ich.
Ein murmelndes „Ja, Freitag…“, geht durch die Runde, und ich spüre, wie mir ganz mulmig wird bei den vielen Erwartungen, die in diesem Satz mitschwingen. In meiner Stimme liegt nicht nur Aufregung, sondern auch dieses mulmige Gefühl, das in mir brodelt, wenn alle Blicke auf mich gerichtet sind.
„Freitag…“, antworte ich leise, während ich den Blick zu meinen Trainingskollegen schweifen lasse. Ihre neugierigen, fast pubertierenden Fragen und Bemerkungen über das Shooting und die Kampagne vermischen sich mit leisen Hoffnungen und kleinen Phantasien – manche reden davon, dass die Kampagne dem Verein einen riesigen Schub geben könnte, während andere die Möglichkeit erwähnen, dass Medieninteresse auch ein bisschen Prestige bringt.
„Ich meine, wenn das Shooting erst richtig beginnt, dann wird das nicht nur für dich, sondern für den ganzen Verein was. Vielleicht können wir richtig was bewegen. Wir werden bekannter und das hilft uns auch, mehr Nachwuchs zu bekommen“, sagt Malik mit einem breiten Grinsen, das zwischen jugendlichem Enthusiasmus und einer leichten Unsicherheit schwankt.
Ein anderer, Jonas, fügt leise hinzu: „Ich hab gehört, dass das Shooting auch ganz anders sein kann, als man es sich vorstellt – mehrdeutig, fast wie ein Experiment. Da kommt nicht nur der Sport, sondern auch so eine Art Lifestyle dazu.“
Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. Diese Erwartungen, diese Mischung aus Interesse, Hoffnung und einer fast unerklärlichen Nervosität, dass ich vor all den Experten vielleicht nicht gut genug sein könnte. Unser Trainer Stefan bemerkt meinen Blick und legt mir eine beruhigende Hand auf die Schulter.
„Justin, du weißt, dass ich an dich glaube. Die ganze Kampagne ist nicht nur eine Gelegenheit, dein Können zu zeigen, sondern auch eine Chance, etwas Neues zu erleben. Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, du selbst zu sein.“
Seine Worte bringen mir kurz Erleichterung, doch gleichzeitig bleibt das mulmige Gefühl in mir. Ich denke an all die Erwartungen, die jetzt auf mir lasten, und an die geheimen Träume, dass daraus vielleicht doch mehr wird – nicht nur ein Auftrag, sondern auch eine Verbindung, eine Chance, endlich einen Partner zu finden, der mich versteht und diese kleinen, unsicheren Momente teilt.
„Ich weiß, dass der Druck hoch ist“, fährt Stefan leise fort, „aber wir stehen alle hinter dir. Du bist nicht allein. Das hier ist ein Team, und der Verein setzt auf dich. Nutze die Chance, lerne aus jedem Fehler, und denk daran, dass jeder Schritt, jeder Zug, den du machst, dich näher zu dem bringt, der du sein willst.“
Seine Worte klingen wie ein Versprechen. Ich nicke langsam, während die Blicke der anderen Jungs mich erreichen – neugierig, unterstützend, fast wie stille Bekenntnisse unserer eigenen Unsicherheiten und Hoffnungen. In diesem Moment spüre ich, dass ich bereit bin, mich der Herausforderung zu stellen. Auch wenn mein Herz noch immer ein wenig flattert und die Erwartungen wie ein sanfter, aber drängender Druck in mir nachhallen.
„Okay, Jungs, also Freitag ist unser großer Tag“, ruft einer aus der Gruppe, und ich lächle unsicher, während die Gespräche leise weitergehen. Jetzt ist es schon UNSER Tag – obwohl doch nur ich dort meinen nächsten Termin habe. Aber jeder merkt es, dass sich damit etwas verändert, auch wenn ich dafür dann einen Trainingsnachmittag opfern muss.
Zu Hause
Ich komme spät nach Hause, und als ich die Tür leise hinter mir schließe, spüre ich, wie der Tag langsam an mir vorbeizieht. Schule, Hausaufgaben – alles wie immer – und dann das intensive Training, das mich heute wieder richtig gefordert hat. Ich schlepp mich in die Küche, um meine Sportsachen in den Wäschekorb zu packen, während mir all die Eindrücke noch durch den Kopf gehen.
Als ich dann ins Wohnzimmer trete, sehe ich Bobby, wie er auf der Couch sitzt und in seinem Buch liest. Sein Blick hebt sich, und er legt das Buch beiseite. „Na, wie war dein Tag?“ fragt er mit dieser ruhigen, vertrauten Stimme, die mir immer das Gefühl gibt, angekommen zu sein.
Ich setze mich neben ihn, lasse einen tiefen Seufzer entweichen und beginne: „Heute war echt ein langer Tag, Bobby. Zuerst war da Schule, dann die ganzen Hausaufgaben – und danach das Training. Ich muss dir sagen, am Anfang im Training war ich total neben der Spur. Mein Kopf war noch voll von dem Schulstress, und ich konnte mich einfach nicht richtig auf jeden Griff konzentrieren. Ich hab auch ständig an gestern gedacht und das hat mich ziemlich abgelenkt.“
Bobby nickt verständnisvoll und legt mir eine Hand auf die Schulter. „Und was hast du gemacht?“ fragt er.
„Stefan hat’s gemerkt“, antworte ich. „Er kam zu mir und sagte, ich soll mal tief durchatmen und meinen Blick auf den nächsten Griff richten. So richtig im Moment bleiben. Und weißt du was? Das hat wirklich geholfen. Nach ein paar Atemzügen hab ich wieder richtig fokussiert, und das Training ist dann irgendwie wieder in meinen Rhythmus gekommen.“
Ich mache eine kurze Pause, während ich an die intensiven Momente zurückdenke: Das Rauschen der Gedanken, die plötzliche Klarheit, die mir dann alles leichter gemacht hat. „Obwohl der Tag heute eigentlich total normal war, spüre ich jetzt, wie in mir diese riesige Vorfreude wächst. Freitag ist schließlich mein erster richtiger Shooting-Tag. Ich krieg das Gefühl, dass da was Großes auf mich zukommt, und das macht mich irgendwie unheimlich aufgeregt.“
Bobby lächelt sanft und fragt: „Hast du denn noch Hunger?“ Ich lache leise und schüttle den Kopf. „Ehrlich gesagt, ich habe heute überhaupt keinen Hunger. Alles war so intensiv, dass ich kaum an Essen denken kann.“
In diesem Moment fühle ich, wie all die kleinen Alltäglichkeiten – das leise Ticken der Uhr, das leise Summen der Heizung, das Rascheln der Papiere auf dem Couchtisch – mir ein Gefühl von Zuhause geben. Trotz der vielen Eindrücke des Tages und der hohen Erwartungen, die an mich herangetragen werden, bin ich einfach nur froh, hier bei Bobby zu sein. Seine ruhige Art und seine Unterstützung geben mir die Kraft, alles zu verarbeiten.
„Ich bringe jetzt noch meine Sportsachen in die Waschmaschine“, sage ich, während ich aufstehe, um mich um die kleinen Aufgaben zu kümmern. „Und dann…, dann kann ich endlich ein bisschen abschalten.“
Bobby lächelt mich an. „Klingt, als hättest du heute echt viel erlebt. Ich bin stolz auf dich, Justin“. Diese Worte treffen mich immer wieder unerwartet. Ich halte einen Moment inne, lasse sie auf mich wirken. Ich weiß, dass er es ernst meint. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, fühlt sich dieses Lob jedes Mal wie eine Umarmung an.
Waschmaschine
Ich stehe auf und gehe in Richtung Waschmaschine – die Sportsachen riechen schon von weitem. Boah, eh, die stinken echt, denke ich und schüttle den Kopf. Während ich meine nassen Sachen hineinstopfe, greife ich auch noch schnell nach ein paar anderen Teilen aus unserem angesammelten Wäschekorb. Dabei mische ich locker auch Bobbies Kram unter, weil wir uns da immer abwechseln. Ich erinnere mich, wie mir das am Anfang richtig peinlich war – zu wissen, dass er die etwas versauten Unterhosen oder auch mal die Bettwäsche mit gewissen Flecken von mir waschen musste. Ich war mir total unsicher, ob so etwas überhaupt normal ist.
Aber Bobby hat mir damals alles erklärt, als ich meine ersten feuchten Träume hatte. Ich erinnere mich noch gut an diese Gespräche, als ich plötzlich aufwachte und nicht wusste, was da in mir vorging. Mit einem ruhigen, verständnisvollen Blick hatte er mir erklärt, dass das ganz normal ist – ein Zeichen dafür, dass sich mein Körper verändert und ich langsam erwachsen werde. Es war mir anfangs unglaublich peinlich, aber Bobby machte kein großes Ding daraus. Er schaffte es, mir die Unsicherheit zu nehmen, einfach indem er mit mir darüber sprach, ohne zu lachen oder mich komisch anzusehen.
Ich denke noch oft an einen dieser Momente zurück. Ich war damals vielleicht dreizehn und fühlte mich unsicher, weil sich so viel in mir vorging. Eines Morgens, nachdem ich mich wieder einmal gefragt hatte, ob mit mir alles normal ist, nahm Bobby mich beiseite. „Komm, ich zeig dir mal was“, sagte er und drehte ganz selbstverständlich das Wasser in der Dusche auf.
Zuerst fühlte ich mich unwohl, schließlich wusste ich ja, wie man duscht. Aber Bobby erklärte mir in seiner ruhigen Art, dass ich jetzt einfach auf ein paar Dinge mehr achten sollte, weil mein Körper dabei war, sich zu verändern. Er sprach darüber, wie wichtig Körperpflege ist. Dass regelmäßiges Duschen und gründliche Hygiene jetzt noch wichtiger werden.
Damals hab ich schon gemerkt, dass sich da unten einiges verändert hat. In letzter Zeit hatte ich ständig so krassen Juckreiz am Sack, und das einzige, was irgendwie geholfen hat, war kaltes Wasser. Nach dem Kratzen hat sich das anfangs richtig heiß angefühlt, und das Wasser hat es dann wenigstens ein bisschen beruhigt. Außerdem war mein Penis immer öfter mal einfach so steif geworden und das in den unmöglichsten Situationen.
Ich bin echt mega froh, dass ich so ein gutes Verhältnis zu meinem großen Bruder habe, weil ich nie ein Problem hatte, mit ihm über solche Sachen zu reden. Normalerweise lässt er mir immer die Entscheidung, wann ich zu ihm komme, aber heute früh war ich so durcheinander und aufgewühlt, dass er einfach selbst den ersten Schritt gemacht hat.
Als erstes hat er dafür gesorgt, dass ich meine nasse Schlafanzughose ausziehe und alles abwasche. Ich kann mich noch ziemlich gut daran erinnern, dass ich einfach nur da stand und fast nichts gemacht hab… Wahrscheinlich war ich immer noch viel zu geschockt, nachdem ich das morgendliche Desaster realisiert hatte.
Dann seifte er mich wie ein kleines Kind ein und wusch mich auch zwischen den Beiden, sowohl hinten zwischen den Pobacken als auch rund um meinen Sack und Penis. Und dann hockte er sich in der Dusche vor mich hin, bat mich die Duschbrause zu halten und nahm meinen kleinen Penis vorsichtig in die Hand. Ganz sachte und vorsichtig streifte er meine Vorhaut zurück und legte die Kuppe frei.
Er war schlaff und irgendwie ganz glitschig wegen dem restlichen Schaum. Dann hat er mir in Ruhe erklärt, dass das die Eichel ist und dass es jetzt wichtig ist, sich richtig zu waschen. Dazu gehört auch immer die Vorhaut richtig zurückzuziehen und alles, um die Eichel ebenfalls sauber zu machen. Damit sich da keine Reste von Sperma oder Urin ansammeln und dadurch Keime entstehen, die Krankheiten oder Entzündungen verursachen können.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie komisch es sich anfühlte, als er überall drum herum gestrichen hat, es eingeseift hat und mich dann gebeten hat, mit dem Duschkopf alles abzuspülen. Es kribbelte in mir und ich konnte die ganze Empfindsamkeit in meinem Körper spüren. Alles fühlte sich gleichzeitig unangenehm und irgendwie angenehm an, als wäre es etwas Neues, das ich verstehen musste.
Normalerweise hätte ich vermutlich noch viel verwirrter sein müssen, aber bei Bobby hatte ich das sichere Gefühl, dass das, was er mir da zeigte, wichtig war – dass es für mich ein Schritt in etwas war, das ich verstehen sollte. Als er mir danach tief in die Augen sah, spürte ich diese besondere Verbindung zu ihm, die mir immer wieder zeigt, wie stark unser Band zueinander ist.
Besonders betonte er, dass es ganz normal ist, mehr auf sich selbst zu achten, und dass es keine Peinlichkeit sein sollte, sich um den eigenen Körper zu kümmern. Er erklärte mir, worauf ich achten sollte, ohne es unangenehm wirken zu lassen – als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
Langsam kam ich aus meiner Starre, und ich merkte, dass er das wohl auch sah.
Er bat mich dann nur, mich abzutrocknen und im Bad fertig zu machen. „Zieh dir danach nur den Bademantel an“, sagte er, „ich möchte dir noch mehr erklären, damit du verstehst, was gerade in deinem Körper passiert. Komm einfach ins Wohnzimmer, wenn du fertig bist.“ Etwas unsicher tat ich, wie er sagte, und trat vor ihm. Zögernd fragte ich: „Was meinst du mit, dass in meinem Körper etwas passiert? Bin ich etwa krank?“ Der Gedanke ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Er spürte wohl, wie unsicher ich war, also nahm er mich erstmal ganz liebevoll in den Arm, um mich zu beruhigen.
Er saß auf der Couch, und ich stand vor ihm, fast auf Augenhöhe. Es fühlte sich an, als wäre der Moment intensiver, als könnte ich in seinen Augen alles lesen. Dann nahm er sanft beide meiner Hände und sah mir tief in die Augen. In diesem Blick lag etwas, das ich nicht genau beschreiben konnte, aber es fühlte sich wie ein unsichtbares Band an, das uns noch enger verband. „Justin“, sagte er mit einer ruhigen, festen Stimme, „Du wirst langsam zu einem Mann. Auch wenn du es äußerlich noch nicht ganz siehst, passiert gerade unglaublich viel in dir – und das ist vollkommen normal.“ In seinen Worten lag nicht nur Wissen, sondern auch etwas Beruhigendes, als würde er mir in diesem Moment die Sicherheit geben, dass alles in Ordnung war und ich nicht alleine mit meinen Fragen war.
„Am meisten passiert bei dir momentan da unten zwischen deinen Beinen…, und das hast du ja auch schon bemerkt.“ Seine Stimme war ruhig, als er weitersprach: „Damit du dich selbst besser verstehst, möchte ich dir erklären, was da gerade vor sich geht.“ Ich konnte nicht ganz greifen, worauf er hinaus wollte, und so blieb ich erstmal still, während eine kleine Pause zwischen uns entstand. Bobby wartete geduldig, bis er merkte, dass meine Gedanken wieder bei ihm waren.
Dann fragte er sanft: „Vertraust du mir?“ In diesem Moment war ich mir nicht ganz sicher, was er meinte, aber ich fühlte, dass es wichtig war. Ohne zu zögern antwortete ich: „Ja, klar, warum?“
Ihm schien es ernst zu sein, denn es kam nur ein leichtes Schmunzeln auf seine Lippen. Stattdessen ließ er meine Hände los und öffnete die Kordel des Bademantels und streifte ihn mir von den Schultern. Wie schon mal gesagt, wir haben keine Probleme voreinander nackt zu sein. Bobby hat in den letzten Jahren, wo wir nur noch zu zweit waren, alles für mich gemacht. War beim Arzt mit mir, hat mich gebadet und war immer da. Trotzdem war es etwas seltsam so direkt völlig nackt vor ihm zu stehen.
Dabei beschrieb er meine Figur, indem er mich von oben bis unten anschaute, ja regelrecht musterte. Er wollte, dass ich jedes noch so kleine Detail von mir erfasse, um mich durch seine Beschreibung ganz zu begreifen. Mit einer Mischung aus Neugier und einer fast respektvollen Zurückhaltung, beschrieb er mir die Veränderungen. Dabei ließ er seinen Blick über mein jugendliches Gesicht gleiten. Er nahm sich Zeit für jede einzelne Linie, jede noch so zarte Kontur, die mein Gesicht ausmachte, während seine Worte eine sanfte Melodie von Beobachtungen und Gedanken webten.
Er sprach von meinen Augenbrauen, die so weich und jung waren, als wollten sie noch nicht so schnell dem Alter weichen. Meine Nase, die in ihrer Unauffälligkeit eine gewisse Ruhe ausstrahlte, fand genauso Beachtung wie mein Mund, dessen Lippen beim Sprechen eine zarte, beinahe vergängliche Spannung in sich trugen. Als seine Fingerspitzen sanft über mein Kinn strichen, konnte ich die feine Berührung auf meiner Haut förmlich spüren, wie ein sanftes Streicheln der Zeit, das mich mit einer unerklärlichen Melancholie erfüllte.
Dann wanderten seine Hände weiter, und er erklärte, was ich bis zu diesem Moment nie wirklich bemerkt hatte: den Kehlkopf. Noch unscheinbar in meiner jugendlichen Form, aber er würde sich verändern, wenn meine Stimme sich in den kommenden Jahren wandelte. Seine Worte über den Kehlkopf – diese kleine, aber bedeutende, Veränderung traf mich wie ein sanfter, aber klarer Hinweis darauf, dass ich mich auf etwas Neues, Unvorhersehbares vorbereiten sollte. Bis zu diesem Moment hatte ich ihn nie wirklich wahrgenommen, und plötzlich fühlte ich, wie meine Finger dem Weg seiner nachgingen, als wollte ich auch diesen Teil von mir zum ersten Mal entdecken. Es war ein zarter, fast intimer Moment des Erkennens, in dem ich mich der eigenen Veränderung und all der Dinge, die noch kommen würden, auf eine Weise bewusst wurde, die mich gleichzeitig beunruhigte und faszinierte.
Dann strich er mir sanft über meine beiden Oberarme, und ich spürte, wie sich die Muskeln, die ich mir durch mein regelmäßiges Training erarbeitet hatte, leicht abzeichneten. Es war ein merkwürdiges Gefühl, so viel Aufmerksamkeit auf meinem Körper zu spüren, obwohl ich so jung war. Meine Brustwarzen waren damals noch ganz klein und hoben sich kaum ab, aber als Bobby darüber strich, durchfuhr mich ein warmes Kribbeln.
Ich hatte nie wirklich darüber nachgedacht, wie schlank ich war, doch als ich meine Rippen fühlte, die sich deutlich abzeichneten, wurde mir bewusst, dass ich einen Körper hatte, der noch im Wandel war. Mein flacher Bauch mit dem fast ebenen Bauchnabel war für mich etwas, das ich immer mal wieder im Spiegel sah, aber jetzt, als Bobby sanft darüber strich und mich bat, es ihm gleichzutun, fühlte ich mich plötzlich verletzlich und stark zugleich. Es war, als ob er mir half, meinen eigenen Körper auf eine neue Art und Weise zu entdecken. Nicht nur als etwas, was ich sah, sondern als etwas, das ich auch fühlen konnte. In diesem Moment war ich mir selbst näher als je zuvor.
Es war ein seltsamer Moment, als er mir anschließend sanft die Oberschenkel herunterfuhr. Ich erinnere mich, dass damals meine Beine noch so schlank waren wie die eines Kindes. Die Haut an meinen Oberschenkeln war nur von einem feinen, hellen Flaum bedeckt, und ich fühlte mich irgendwie verletzlich und exponiert. Es war, als ob er nicht nur an meinem Körper, sondern auch an meiner Unsicherheit über das Erwachsenwerden herumfuhr.
Er hielt inne und wartete einen Moment, als wollte er sicherstellen, dass ich bereit war für das, was als Nächstes kam. „Das, was ich dir jetzt zeige, soll dir helfen, dich als Mann besser zu verstehen und erklären, warum du heute früh mal wieder einen sogenannten feuchten Traum hattest“, sagte er dann. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich innerlich hin- und hergerissen war. Auf der einen Seite war da die Neugier, und auf der anderen eine flüchtige Angst, die mir das Herz schneller schlagen ließ.
In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass Bobby vielleicht selbst ein bisschen unsicher war. Irgendwie schien er einen Moment lang zu zögern, als wüsste er nicht genau, ob er das Richtige tat. Aber gleichzeitig war ich mir sicher, dass mein Bruder immer wusste, was zu tun war. Zumindest hatte ich das damals so geglaubt – unbeschwert und voller Vertrauen in seine Entscheidungen. Es war eine verwirrende Mischung aus Bewunderung und dem Bedürfnis, mich selbst zu finden in einem großen, fremden Thema, das mich gleichzeitig faszinierte und ängstigte.
Ich nickte etwas unsichtbar. Daraufhin fuhr mir Bobby ganz langsam mit seinen Fingern die Innenseite meiner Oberschenkel entlang. Mein Herz schlug schneller, und ich spürte ein angenehmes Kribbeln. Er drückte vorsichtig meine Beine auseinander, sodass ich kurz mein Gleichgewicht verlieren und breiter dastehen musste. Eine Mischung aus Nervosität und einem seltsamen, aufregenden Gefühl überkam mich.
Dann sagte er, während er vorsichtig über meinen Hodensack strich: „Schau Justin, vor nicht allzu langer Zeit war dein Säckchen zwar da, aber fast ganz flach, jetzt hebt er sich deutlich ab. Er ist die letzten Wochen gewachsen und du kannst deutlich die lose Haut spüren.“
Das war ein seltsames Gefühl. Einerseits waren seine Berührungen angenehm, als würde ein warmer Strom durch meinen Körper fließen, andererseits auch elektrisierend, als ob kleine Blitze durch meine Haut jagten. Ich zuckte etwas zusammen, als würde mein Herz für einen Moment aussetzen. Diese Mischung aus Nervosität und Aufregung ließ mich gleichzeitig schüchtern und mutig fühlen. Ich konnte kaum glauben, was da gerade passierte, und mein Kopf war ein Wirbel aus Gedanken. Eine Mischung aus Nervosität und einem seltsamen, aufregenden Gefühl überkam mich.
„Entschuldigung, ich wollte dir nicht weh tun!“ meinte er und war fast mehr erschrocken als ich selbst. Dann forderte er mich auf, selbst vorsichtig zu fühlen. Es fühlte sich seltsam an und ich spürte, dass da irgendwie noch Fäden in meinem Sack waren, die sich aber ganz anders anfühlten, wenn ich diese zwischen meinen Fingern etwas rieb.
Ich hörte Bobby aufmerksam zu, während er mir mit einer Mischung aus Geduld und Ernsthaftigkeit erklärte, was gerade in meinem Körper vor sich ging. Seine Stimme war warm und beruhigend, und ich spürte, wie wichtig ihm diese Unterhaltung war. Es war, als würde er mir einen geheimen Schlüssel zu einem neuen Kapitel meines Lebens anvertrauen.
„In deinen beiden Hoden, die auch Testikel genannt werden, beginnt jetzt etwas ganz Neues“, sagte er und schaute mir tief in die Augen. „Dort werden pausenlos Spermien produziert, wie kleine Kämpfer, die auf ihre Reise warten. Sie lagern sich in den Nebenhoden ab, und irgendwann sind diese so voll, dass dein Körper Platz schaffen muss. Es ist ein natürlicher Prozess, und darum geschieht es oft unbemerkt, sogar im Schlaf. Das nennt man dann einen feuchten Traum.“
Ich stellte mir vor, wie die Spermien durch den Samenleiter sausen, als Bobby weitersprach. „Sie passieren die Samenbläschen und die Prostata, die ihre Flüssigkeit dazu gibt, um eine Mischung zu schaffen. Diese Mischung, die wir Sperma nennen, ist wie ein kleiner Schatz, der durch die Harnröhre nach draußen katapultiert wird. Es ist ein Zeichen deiner Reife.“
Mir wurde plötzlich bewusst, dass ich mit dem ersten Samenerguss fruchtbar bin, dass ich jetzt die Möglichkeit habe, ein Kind zu zeugen. Ein Gefühl von Aufregung und gleichzeitig ein bisschen Angst durchfuhr mich. Bobby lächelte sanft und sagte: „Es ist ganz normal, mein kleiner Bruder. Es zeigt dir, dass du zu einem richtigen Mann wirst.“ Seine Worte waren nicht nur informativ, sie waren auch tröstlich. Ich fühlte mich ein bisschen weniger allein in diesem neuen Kapitel meines Lebens, und ich wusste, dass ich immer auf ihn zählen konnte, wenn ich Fragen oder Zweifel hatte.
Wow, das waren aber viele Informationen! Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen und nach meinen beiden Bällchen in meinem Sack zu suchen. Dabei erfühlte ich auch nochmal die Samenstränge und spürte ein Kribbeln in mir, das mich gleichzeitig neugierig und ein wenig ängstlich machte. „Das heißt also, damit mein Sack nachts nicht platzt, kommt es aus meinem Penis raus?“ fragte ich vorsichtig.
Jetzt musste er kurz lächeln, und es war, als würde er meine Unsicherheit verstehen. „Fast… dein Sack platzt nicht, denn die Spermien werden in den Nebenhoden gesammelt. Aber damit die dort quasi nicht überlaufen, müssen sie raus. Und dadurch, dass dies für deinen Körper noch ganz neu ist, passiert dies meist, wenn du total entspannt nachts schläfst.“
Der Gedanke daran war mir aber noch immer sehr unangenehm, und ich fühlte, wie meine Stimme ein wenig weinerlich wurde: „Ich will aber nicht, dass das passiert! Was kann ich denn dagegen tun?“
Aufklärung
Es entstand eine Pause, und ich spürte, wie Bobby kurz zögerte. Vielleicht wusste er nicht so recht, wie er weitermachen sollte. Doch dann schaute er mir fest in die Augen, und in diesem Moment fühlte ich mich, als ob er mir etwas sehr Wichtiges und Persönliches mitteilen wollte. „Das, mein lieber Justin, nennt man Selbstbefriedigung“, sagte er mit einer ruhigen, aber bestimmten Stimme. Er ließ diese Worte erst einmal im Raum stehen, als würde er mir die Zeit geben, darüber nachzudenken.
Dann fuhr er fort: „Viele machen da ein Tabu-Thema daraus, aber eigentlich ist es etwas ganz Natürliches. Vielleicht hast du auch schon mal die Begriffe wixen oder onanieren gehört?“ Ja, ich hatte davon gehört, denn in unserer Schulumkleide redeten die anderen immer mal wieder darüber. Aber richtig verstanden hatte ich das nie, und ich fühlte mich oft wie ein Spätzünder, wenn ich das Thema hörte.
Jetzt, da ich mit meinem großen Bruder sprach, war ich erleichtert, dass ich ihm Fragen stellen konnte. „…und wie geht das?“ fragte ich schließlich, mit einer Mischung aus Neugier und Unsicherheit. Bobby lächelte sanft, als wüsste er, dass es für mich wichtig war, Antworten zu bekommen. „Es ist ganz einfach, Justin. Es geht darum, deinen eigenen Körper zu entdecken und herauszufinden, was dir gefällt. Es ist nichts Schlimmes dabei, jeder macht das irgendwann. Es kann dir helfen, dich besser zu fühlen und deinen eigenen Körper zu verstehen.“
Seine Worte waren beruhigend, und ich fühlte mich ein wenig mutiger, als ich die Dinge, über die ich mir Gedanken gemacht hatte, ansprach. Es war schön zu wissen, dass ich mit Bobby über solche Themen reden konnte, ohne mich dabei komisch oder verlegen zu fühlen.
Bobby lächelte sanft und sagte: „Ich hatte dir doch vorhin unter der Dusche gezeigt, wie du deine Vorhaut zurückschiebst, um alles richtig sauber zu machen…“ Ich nickte leicht und erinnerte mich an die vorsichtige Berührung, die er mir gezeigt hatte.
Er setzte fort: „Eine Variante der Selbstbefriedigung von Jungs ist, deine Vorhaut vor und zurückzuschieben – immer hin und her. Dabei kannst du auch deinen Penis und deinen Hodensack ein wenig streicheln, bis dein Penis richtig steif ist. Wenn du dann weiter über deinen Penis vor und zurück streichelst, wirst du nach kurzer Zeit ein ganz tolles Gefühl erleben. Und dann wirst du merken, dass dein Samen herauskommt. Dieses einzigartige Gefühl nennt man Orgasmus. Das ist ein wunderbares Gefühl.“ Seine Stimme war ruhig und beruhigend, und ich konnte die Ernsthaftigkeit in seinen Augen sehen.
„Dein Samenerguss kann dabei ganz schnell heraus- oder auch nur langsam heraustropfen. Beides ist ganz normal und völlig okay!“ ergänzte er nach einer kurzen, nachdenklichen Pause. In diesem Moment spürte ich, wie wichtig es war, dass er mir diese Dinge erklärte, und ich fühlte mich ein bisschen weniger allein mit meinen Fragen. Es war, als hätte er mir einen kleinen Schlüssel zu einem großen Geheimnis anvertraut, und ich wusste, dass ich immer zu ihm kommen konnte, wenn ich mehr wissen wollte.
Ich war ziemlich in meinen Gedanken versunken und merkte gar nicht wie ich noch immer mit meiner Hand leicht über meinen Sack strich, denn dieses Gefühl der im inneren liegenden kleinen Kugeln war mir gänzlich neu und irgendwie sehr angenehm. Jetzt lächelt mich Bobby an und meinte nur: „Das mein lieber Justin kannst du aber auch allein mal ausprobieren.“ Dabei hob er den Bademantel auf, legte ihn mir über die Schultern, drehte mich an den Schultern um und mit einem gespielten Klaps auf den Hintern schubste er mich in Richtung meines Zimmers.
Hinterherrufend meinte er aber noch: „Bitte mach keine so große Sauerei und nimm dir ein Papiertaschentuch mit zum Saubermachen“… ich wusste noch nicht ganz so richtig, was er meinte, aber das sollte ich schnell herausfinden.
Damals fühlte ich mich noch unsicher, aber heute verstehe ich, wie wertvoll dieser Moment war. Bobby hat mir nicht nur beigebracht, wie ich mich um mich selbst kümmern kann, sondern auch, dass ich immer mit meinen Fragen zu ihm kommen kann – egal worum es geht. Und genau dieses Gefühl trage ich bis heute in mir.
Jetzt, während ich die Maschine fülle, fühle ich mich nicht nur erwachsener, sondern auch irgendwie unbeschreiblich verbunden mit ihm. Das leise Surren der Waschmaschine mischt sich mit meinen Gedanken, und ich stelle mir vor, wie all unsere gemeinsamen Geheimnisse und peinlichen Momente – all die kleinen Dinge, über die wir gelacht und auch mal verlegen geredet haben – einfach in der Seifenlauge verschwinden. Dabei spüre ich ein warmes Gefühl der Vertrautheit, das sich wie ein beruhigender Strom durch meinen Körper zieht.
Ich stopfe noch ein paar Kleider rein und denke an all die Abende zurück, an denen Bobby mir geduldig zugehört hat, während ich meine ersten seltsamen, feuchten Träume verarbeiten musste. Damals, als mein Herz schneller schlug, weil ich nicht wusste, was all diese neuen Gefühle bedeuten sollten, hat er mir gezeigt, dass es in Ordnung ist, sich so zu fühlen – dass es kein Geheimnis gibt, das man verstecken muss. Diese Gespräche haben mich so viel gelehrt und mir das Gefühl gegeben, dass ich ihm genauso vertrauen kann, wie er mir vertraut.
Ich drücke den Startknopf der Waschmaschine und lehne mich kurz zurück. Das leise, gleichmäßige Geräusch der Maschine lässt mich in Gedanken versinken. In diesem Moment fühle ich, wie all die Eindrücke des Tages, der Schulstress, das intensive Training und diese wachsende Vorfreude auf Freitag, meinen ersten echten Shooting-Tag, sich zu einem merkwürdigen, aber wohltuenden Gefühl verbinden. Es ist, als würden all die chaotischen Momente und peinlichen Details in diesem kleinen Ritual einen Platz finden und mich daran erinnern, dass ich auf meinem Weg bin – und dass ich niemals allein bin.
Während ich dasitze und dem rhythmischen Surren lausche, spüre ich, wie sich eine leise Zuversicht in mir ausbreitet. Auch wenn der Tag voller Herausforderungen und Unsicherheiten war, weiß ich, dass ich Schritt für Schritt weiterkomme, mit Bobby an meiner Seite, der mich versteht und mich unterstützt, egal wie unangenehm manche Momente auch sein mögen.
Nachdem ich die Waschmaschine angefüllt habe, weiß ich, dass Bobby später noch die Wäsche aufhängt. Bevor ich mich bettfertig mache, gehe ich noch kurz zu ihm hinüber. Er sitzt noch immer entspannt auf der Couch, sein Blick ruhig und leicht schelmisch. Ich bedanke mich leise: „Danke, dass du das heute wieder übernimmst, Bobby.“
Kein Zurück mehr
Endlich Freitag. 12 Uhr.
Der Schulgong dröhnt durch das Gebäude, und ich packe meine Sachen schneller zusammen, als mein Kopf realisieren kann, dass der Unterricht vorbei ist. Mein Herz schlägt schneller. Nicht nur, weil ich es kaum erwarten kann, aus der Schule rauszukommen, sondern weil ich genau weiß, was jetzt kommt. Mein erster offizieller Shooting-Termin.
Ich schiebe mein Mathebuch hektisch in meinen Rucksack und werfe mir die Träger über die Schultern, während ich mich durch den überfüllten Gang quetsche. Stimmengewirr, lachende Schüler, irgendwo wird laut diskutiert, und am Ende des Flurs rennt jemand in die andere Richtung. Normalerweise würde ich mir für den Schulweg Zeit lassen, vielleicht noch mit ein paar Leuten reden oder in meinen Kopfhörern versinken. Aber heute zählt jede Minute. Ich muss den Bus erwischen.
Draußen blendet mich das helle Tageslicht für einen Moment. Die warme Frühlingsluft schlägt mir entgegen, riecht nach frischem Gras, nach Asphalt und ein bisschen nach dem Pommes-Stand, der direkt neben der Bushaltestelle steht. Mein Magen knurrt, aber ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen. Ich checke mein Handy: 12:05 Uhr. Der Bus kommt in fünf Minuten. Ich ziehe meine Jacke enger um mich und nehme einen schnelleren Schritt. Mein Kopf fühlt sich an wie ein aufgescheuchtes Wespennest. Gedanken rasen wild durcheinander:
Hoffentlich komme ich pünktlich. Hoffentlich läuft alles gut. Was, wenn ich mich total blamiere?
Was, wenn die merken, dass ich keine Ahnung habe, was ich da eigentlich tue?
Mein Puls ist leicht erhöht, und ich merke, dass ich meine Hände immer wieder zu Fäusten balle, dann wieder öffne. Ein Tick, den ich immer habe, wenn ich nervös bin. Mein Körper fühlt sich zwischen Aufregung und Unsicherheit hin- und hergerissen. Ich will das hier. Und ich weiß, dass ich das will – aber gleichzeitig macht es mir auch Angst. Was, wenn ich nicht das bin, was sie sich vorgestellt haben?
Der Bus kommt mit einem lauten Zischen und hält direkt vor mir. Ich steige ein, werfe dem Fahrer ein kurzes Nicken zu und setze mich auf einen Platz am Fenster. Der Rucksack landet neben mir auf dem Sitz. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, aber meine Finger sind zu unruhig, um irgendwas wirklich zu lesen. Also lasse ich es einfach sein.
Draußen zieht die Stadt an mir vorbei. Autos, Menschen, die in Cafés sitzen, ein paar Jugendliche, die mit Skateboards unterwegs sind. Alles fühlt sich so normal an. Aber für mich ist heute nichts normal. Heute ist mein wirklich erster Tag als Teil dieser Kampagne…
Ich lehne meinen Kopf ans Fenster, spüre die Vibrationen des Busses durch mein Gesicht wandern. Mein Bauch zieht sich ein bisschen zusammen. Ich frage mich, ob das Nervosität oder Vorfreude ist. Vielleicht beides.
Nach einer Weile erkenne ich die Gegend wieder. Die modernen Glasfassaden, die großen Schilder, die bekannte Umgebung. Das Firmengebäude ragt vor mir auf – genauso beeindruckend wie beim ersten Mal. Glänzende Fenster spiegeln den Himmel, und hinter der breiten Glasfront sehe ich bereits das offene Foyer, in dem sich Menschen bewegen. Der Bus hält. 12:28 Uhr. Knapp, aber pünktlich. Ich atme tief durch, werfe mir den Rucksack über die Schulter und trete auf den Gehweg. Der Boden fühlt sich fest unter meinen Füßen an, aber meine Beine sind irgendwie doch ein bisschen weich. Ich richte mich auf, laufe entschlossen Richtung Eingang. Kein Zurück mehr.
Zurück im Gebäude
Sobald ich die automatischen Türen passiere, umfängt mich die kühle, saubere Luft der Klimaanlage. Die leisen Geräusche der Tastaturen, das dezente Summen eines Kaffeevollautomaten, Gespräche im Hintergrund – alles fühlt sich professionell, modern, fast schon futuristisch an.
Ich sehe mich um. Der große Empfangstresen, die hellen Holzböden, die Bildschirme an den Wänden, auf denen immer noch Werbeaufnahmen laufen. Kletterer in actionreichen Momenten, eingefroren in Perfektion. Jedes Detail, jede Muskelspannung, jede Bewegung wirkt mühelos. So will ich auch wirken. Aber was, wenn ich es nicht kann? Was, wenn ich vor der Kamera einfach nur steif und unbeholfen aussehe? Was, wenn ich nicht das „gewisse Etwas“ habe, von dem Finn gesprochen hat? Vielleicht hat er sich geirrt? Vielleicht haben sich alle geirrt?
Ich spüre, wie mein Herz ein bisschen schneller schlägt. Dann höre ich eine Stimme. „Justin! Da bist du ja!“ Ich blicke auf – und sehe Leo. Er steht locker am Empfangstresen, mit einem Grinsen, als hätte er gerade irgendwas Lustiges gedacht. Seine braunen Haare sind heute noch ein bisschen unordentlicher als beim letzten Mal, und er trägt wieder seine bequemen Outdoor-Klamotten. Anscheinend ist er hier überall und nirgends – immer mittendrin. Ich schaffe es, zu grinsen. „Hey.“ Leo mustert mich kurz und verschränkt die Arme. „Boah, du siehst ja richtig nervös aus.“ Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Danke für die Motivation.“ Er lacht. „Keine Sorge, ist völlig normal. Das erste Shooting ist immer das aufregendste. Ich wette, in zehn Minuten bist du voll drin.“
Ich atme tief durch. Zehn Minuten. Ich hoffe, er hat Recht. Leo stößt sich vom Tresen ab und deutet auf den Gang. „Komm, ich bring dich zum Studio. Die anderen sind schon da.“ Ich nicke langsam und folge ihm. Meine Schritte fühlen sich bewusst an, als würde ich mich ganz genau darauf konzentrieren müssen, wie ich gehe. Meine Schultern entspannen sich leicht, als ich merke, dass Leo mit seiner lockeren Art irgendwie beruhigend wirkt.
Während wir durch das Gebäude gehen, schaue ich mich immer wieder um. Die offene Architektur, die Glaswände, die Bilder von Athleten – es sieht alles noch genauso aus wie beim ersten Mal, aber diesmal fühlt es sich realer an. Ich bin nicht mehr nur ein Besucher. Ich bin hier, weil ich dazugehöre. Hoffentlich.
„Also“, sagt Leo plötzlich und dreht sich im Gehen leicht zu mir um. „Hast du dich mental vorbereitet? Oder hast du gestern Abend panisch Klettervideos geschaut, um cool auszusehen?“ Ich lache leise. „Nein, aber ich hab vielleicht ein bisschen zu lange vorm Spiegel probiert, wie ich gucken soll, ohne dämlich auszusehen.“ Leo lacht laut. „Das kenne ich! Aber glaub mir, Finn wird dich eh nicht posen lassen. Der Typ hasst gestellte Bilder.“ „Gut“, sage ich, „denn ich hasse es auch.“ Er grinst. „Perfekt. Dann läuft’s ja schon.“ Ich hoffe, er hat wieder Recht.
Der Gang endet, und vor uns öffnet sich der Bereich, in dem das Shooting stattfinden wird. Die großen Monitore, die Technik, die Kameras – all das liegt vor mir, und ich merke, dass mein Puls sich wieder ein bisschen beschleunigt.
Das hier ist der Moment. Ich bin hier. Ich bin bereit. Oder zumindest so bereit, wie ich es sein kann. Leo öffnet die Tür zum Studio und tritt zur Seite, damit ich durchgehen kann. Ich atme tief durch, werfe ihm einen kurzen Blick zu. Er nickt auch mir aufmunternd zu. Dann setze ich den ersten Schritt hinein. Und das Abenteuer beginnt.
Der erste Schritt in die neue Welt
Kaum dass ich einen Fuß ins Studio setze, sehe ich Finn auf mich zukommen. Er bewegt sich mit dieser entspannten Lässigkeit, die mich daran erinnert, dass er nicht nur Fotograf ist, sondern selbst Kletterer. Seine Haltung ist aufrecht, aber nicht angespannt, seine Schritte kontrolliert, als wäre er jederzeit bereit, sich irgendwo hochzuziehen.
Er bleibt vor mir stehen, mustert mich kurz mit seinen wachen blauen Augen. Nicht wertend, aber genau. Sein Blick huscht einmal von meinem Gesicht über meine Schultern bis hin zu meiner Haltung, als würde er mich in Gedanken schon in einem der Kletterbilder sehen. Dann hebt er leicht die Augenbrauen – nicht abschätzig, nicht überrascht, sondern… undefiniert.
Ein Bruchteil einer Sekunde vergeht, dann lächelt er. Und das nimmt sofort einen Teil meiner Nervosität. „Hey, Justin. Schön, dass du da bist.“ Seine Stimme klingt genauso, wie ich sie in Erinnerung habe – ruhig, professionell, aber mit einem Hauch dieser Begeisterung, die ihn ausmacht. „Hey“, sage ich und versuche, nicht zu verkrampft zu klingen.
Finn nickt, lässt seinen Blick noch einmal kurz über mich gleiten, als würde er sich vergewissern, dass ich bereit bin. Oder zumindest so bereit, wie man es sein kann. Dann deutet er mit einem Daumen über die Schulter. „Bevor wir loslegen, zeig Leo dir erstmal die Basics. Umkleiden, Duschen, das ganze Styling-Zeug. Ist zwar keine Modenschau, aber ein bisschen Feinschliff muss sein. Du brauchst neue Klamotten, oder?“ Ich nicke, versuche locker zu bleiben. „Ja, ich bin direkt von der Schule gekommen.“ Finn grinst. „Dachte ich mir. Keine Sorge, wir haben alles da. Leo, du weißt, was zu tun ist.“ „Klar“, sagt Leo, und ich merke, dass er sich freut, diesen Job zu haben. Er dreht sich mit einem breiten Grinsen zu mir. „Na los, komm mit. Ich führe dich durch unser kleines Luxus-Spa.“ Ich lache leise und folge ihm, während Finn sich wieder dem Monitor zuwendet, auf dem gerade ein anderes Foto begutachtet wird.
Umkleiden, Duschen & der erste Eindruck hinter den Kulissen
Leo geht voraus durch einen schmalen Gang, der aus dem großen Studio-Bereich hinausführt. Hier ist es ruhiger, und ich kann den gedämpften Klang unserer Schritte auf dem Boden hören. Die Wände sind schlicht, aber stilvoll, in hellen Tönen gehalten. „Hier ist alles, was du brauchst“, sagt Leo, während er eine Tür aufstößt. Ich trete ein und blicke mich um. Der Umkleideraum ist groß – viel größer, als ich erwartet hatte. Helle Holzbänke, einzelne Schränke, in die man seine Sachen verstauen kann, und ein paar große Spiegel an der Wand. Ein angenehm frischer Duft liegt in der Luft – nicht wie in einer stickigen Schulturnhalle, sondern nach sauberer Baumwolle und leichtem Parfüm. Gleich daneben sind die Duschen. Sie sind abgetrennt durch matte Glaswände, und das Wasser tropft leise aus einem der Brauseköpfe, als wäre gerade jemand gegangen. Ich merke, dass ich mir unbewusst mit der Hand durch die Haare fahre – wahrscheinlich sehen sie aus, als wäre ich gerade durch einen Tornado gelaufen.
Leo lehnt sich grinsend gegen einen der Schränke. „Okay, also – hier kannst du dich frisch machen. Und keine Sorge, ich hab keine versteckte Kamera installiert. “Ich rolle mit den Augen, kann mir aber ein Grinsen nicht verkneifen. „Sehr beruhigend.“ Leo lacht und deutet dann auf eine Reihe von Kleiderstangen, die hinter einer anderen Tür stehen. „Hier haben sie die Sachen für dich bereitgelegt. Von Sportunterwäsche bis hin zur fancy neuen Kollektion. Ich hoffe, du stehst auf hautenge Funktionsklamotten.“
Ich trete näher und ziehe eine der Jacken von der Stange. Das Material fühlt sich unglaublich leicht an, fast wie eine zweite Haut. Die Farben sind modern – tiefes Blau, Schwarz, mit neonfarbenen Akzenten. Ich streiche mit den Fingern darüber und spüre die feinen Strukturen im Stoff.
„Wow“, murmele ich. „Jap“, sagt Leo und mustert mich, als würde er abwarten, wie ich auf all das reagiere. „Alles neu. Alles high-end. Und das Beste: Du darfst es behalten.“ Ich schüttele ungläubig den Kopf. „Das fühlt sich seltsam an. Normalerweise kaufe ich meine Klamotten bei Sport-Discountern.“ Leo zuckt grinsend mit den Schultern. „Jetzt nicht mehr. Willkommen im Leben eines gesponserten Athleten.“ Ich schlucke. „Noch bin ich keiner.“ „Schon ziemlich nah dran“, erwidert er, bevor er mich mit einer leichten Bewegung Richtung Duschen schiebt. „Also los, mach dich frisch. Danach geht’s zum Styling.“ Ich nicke, nehme mir eines der bereit gelegten Handtücher und verschwinde hinter der Dusche.
Das warme Wasser prasselt auf meine Haut und rinnt in schimmernden Strahlen über meine Schultern, während ich versuche, meinen Kopf zu leeren. Doch das gelingt mir nicht wirklich. Stattdessen füllt sich mein Inneres mit einem Wirbel aus Gedanken und Gefühlen, die ich nicht richtig greifen kann. Ich schließe die Augen und lehne meinen Kopf gegen die kalten Fliesen. Der Kontrast zwischen der Hitze des Wassers und der kühlen Oberfläche sendet eine Welle von Gänsehaut über meine Arme. Ich lasse das Wasser über mein Gesicht laufen, spüre, wie sich meine verspannten Muskeln nach und nach lockern. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr sich mein Körper anspannte – wie ich fast automatisch meine Schultern hochgezogen und meinen Kiefer leicht angespannt hatte.Jetzt, in dieser kleinen Blase der Ruhe, komme ich zum ersten Mal wirklich zum Nachdenken. Ich bin also hier. Ich bin Teil dieser Kampagne.
Es fühlt sich immer noch surreal an. Vor ein paar Tagen war das hier nur eine Idee, eine Möglichkeit, die irgendwo in weiter Ferne schwebte. Und jetzt stehe ich unter dieser Dusche, in einem professionellen Studio, um gleich in nagelneue, perfekt abgestimmte Klamotten zu schlüpfen und vor eine Kamera zu treten. Bin ich wirklich bereit dafür?
Ich denke an Finns Blick, dieses kurze, prüfende Mustern, bevor er mich angelächelt hat. Es war nicht abschätzend, nicht kritisch, aber es hatte mich einen Moment lang unsicher gemacht. Er ist ein Profi, er hat bestimmt schon unzählige Sportler vor der Linse gehabt. Was, wenn ich einfach nicht das habe, was es braucht?
Und dann ist da Leo. Ich weiß nicht, warum meine Gedanken ausgerechnet bei ihm hängen bleiben. Vielleicht, weil er so selbstverständlich hier wirkt, so locker und entspannt. Es kommt mir vor, als wäre er in diesem Umfeld groß geworden, als wäre das hier für ihn nichts Besonderes. Aber was mich mehr beschäftigt, ist die Art, wie er mich behandelt. Nicht, dass er mich anders behandelt als die anderen. Oder doch? Seine lockeren Sprüche, seine Art, mir alles zu zeigen, mir den Einstieg so leicht wie möglich zu machen – macht er das einfach, weil es sein Job ist? Oder steckt da mehr dahinter? Ich merke, wie meine Finger leicht über meinen nassen Unterarm gleiten. Meine Gedanken drehen sich um etwas, das ich nicht ganz definieren kann. Warum beobachte ich ihn so oft? Ich versuche, mir einzureden, dass es einfach nur Neugier ist. Dass es daran liegt, dass er mich irgendwie fasziniert. Aber ich kenne dieses Gefühl. Ich kenne dieses leichte Kribbeln, wenn jemand mir zufällig zu nah kommt. Dieses Ziehen in der Brust, wenn ich länger als nötig über jemanden nachdenke.
Ich atme tief durch und schüttle leicht den Kopf, lasse das Wasser weiter über mich fließen. Jetzt ist nicht der richtige Moment dafür. Ich bin hier für das Shooting, für diesen neuen Abschnitt in meinem Leben. Ich sollte mich darauf konzentrieren. Alles andere kann warten. Als ich fertig bin, drehe ich das Wasser ab und greife nach einem Handtuch. Ich trockne mich schnell ab, meine Bewegungen sind mechanisch, aber mein Kopf arbeitet noch immer. Ich ziehe die neuen Klamotten an – zuerst die Sportunterwäsche, dann die enganliegende Leggings und das atmungsaktive Shirt.
Das Material schmiegt sich an mich, als wäre es für mich gemacht. Es fühlt sich leicht an, flexibel, als könnte ich damit jede Route bezwingen, ohne dass es mich einschränkt. Als ich in die Jacke schlüpfe, spüre ich den hochwertigen Stoff unter meinen Fingern. Ich werfe einen Blick in den Spiegel. Ich sehe aus wie jemand, der wirklich hierher gehört. Vielleicht kann ich mich auch so fühlen.
Styling – Der Feinschliff
Als ich aus der Umkleide trete, wartet Leo bereits. Er mustert mich kurz von oben bis unten, dann grinst er. „Sieht gut aus.“ „Fühlt sich auch so an“, erwidere ich ehrlich. Ich folge ihm durch den Flur, bis wir in einen hell beleuchteten Raum kommen. Sofort fällt mein Blick auf die breite Kommode voller Produkte, die Spiegel mit den runden Lichtern drum herum und die Frau mit den kurzen blonden Haaren, die mich freundlich anlächelt. „Justin? Hi, ich bin Mia, die Stylistin.“ Ich nicke ihr zu. „Hi.“ Sie deutet auf den Stuhl. „Setz dich. Keine Angst, ich werde dich nicht zu sehr verändern – nur ein bisschen Frische ins Gesicht bringen.“
Ich setze mich, und kaum lehne ich mich in die weiche Polsterung, merke ich, wie sich meine Schultern wieder etwas anspannen. Ich habe noch nie so etwas wie ein Styling bekommen. Klar, ich achte darauf, gepflegt auszusehen, aber das hier ist neu für mich. Mia scheint das sofort zu bemerken, denn sie grinst. „Du bist nervös, oder?“ Ich lache leise. „Sieht man das so sehr?“ „Ein bisschen.“ Sie nimmt einen leichten Puder und tupft ihn mit einem weichen Schwamm auf meine Haut. Der Kontakt ist sanft, fast unmerklich. „Ist ganz normal. Aber glaub mir, du wirst dich schnell dran gewöhnen. Das hier ist nicht mehr nur ein Training oder ein Wettkampf – das ist eine Bühne.“ Ich sehe ihr im Spiegel in die Augen. Ihre Worte treffen mich mehr, als ich erwartet hatte. Eine Bühne.
Ich hatte immer gedacht, dass meine Welt aus Griffen, Seilen und Höhen besteht. Aber jetzt wird mir bewusst, dass es auch andere Wege gibt, sichtbar zu werden. Dass ich vielleicht mehr sein kann als nur ein Athlet, der in der Halle trainiert. Ich blinzele kurz und lasse den Gedanken sacken.
Mia arbeitet konzentriert, aber ihre Bewegungen sind locker, fast beiläufig. Sie fährt mit einem weichen Pinsel über meine Wangen, um den Teint auszugleichen, streicht leicht mit den Fingern über meine Stirn, um widerspenstige Haare aus dem Gesicht zu halten. Ich beobachte sie durch den Spiegel, während Leo an der Wand lehnt und mir im Augenwinkel zusieht. Ich frage mich, was er denkt? Es fühlt sich seltsam an, so im Mittelpunkt zu stehen. Dass jemand sich die Zeit nimmt, mich zu analysieren, mich zurechtzumachen, mich in Szene zu setzen. Aber es fühlt sich auch… irgendwie gut an.
Als Mia fertig ist, lehne ich mich ein Stück nach vorne und betrachte mich genauer im Spiegel. Mein Gesicht sieht nicht groß verändert aus, aber es wirkt irgendwie frischer, klarer – als hätte jemand die beste Version von mir herausgearbeitet. „Fertig“, sagt Mia zufrieden. „Jetzt bist du bereit für die Kamera.“ Ich stehe langsam auf, streiche mir unbewusst über die Ärmel meiner neuen Jacke und werfe Leo einen Blick zu. Er mustert mich kurz, dann hebt er die Hand zum Daumen hoch. „Sieht gut aus, Mann.“ Ich grinse leicht. „Danke.“ Leo schiebt sich von der Wand weg und deutet mit einer Kopfbewegung zur Tür. „Komm, wir müssen zum Briefing.“ Ich atme tief durch und folge ihm aus dem Raum.
Das Briefing – Was heute ansteht
Als wir zurück ins Studio kommen, steht Finn bereits mit ein paar anderen in einer kleinen Gruppe. Ich erkenne einige Gesichter von vorher – Kameraleute, jemand vom Licht-Team, eine Frau, die ein Headset trägt und Notizen auf einem Tablet macht.
Finn sieht auf, als ich eintrete, und nickt mir zu. „Na, fühlst du dich jetzt professionell?“ fragt er mit einem Schmunzeln. Ich atme tief durch. „Mehr als vorher.“ „Perfekt.“ Er deutet auf die Gruppe. „Setz dich. Ich erkläre euch, was heute ansteht.“ Ich spüre, wie mein Herzschlag sich beschleunigt. mJetzt geht es wirklich los.
Ich setze mich zu der kleinen Gruppe, mein Herz schlägt schneller, aber nicht mehr vor Unsicherheit – eher vor dieser Art von gespannter Erwartung, die man vor etwas Großem hat. Finn steht locker mit einer Hand in der Hosentasche, in der anderen ein Tablet, auf das er immer wieder schaut, während er spricht. Neben ihm lehnt eine Frau mit Headset an einem Tisch, sie sieht organisiert aus, professionell, als hätte sie alles unter Kontrolle.
„Also, bevor wir loslegen, nochmal eine kurze Vorstellungsrunde“, beginnt Finn und deutet auf die Gruppe um mich herum. „Ich weiß, das ist viel auf einmal, aber keine Sorge, du musst dir nicht alle Namen sofort merken.“ Gott sei Dank.
Nacheinander stellen sich die Leute vor. Ich höre Namen wie Tom, irgendwas mit Lena, ein Marc – oder war es Marco? – und eine Jessy. Sie gehören zum Produktionsteam, kümmern sich um Licht, Kameraführung, Ton und alles, was im Hintergrund läuft. Dann sind da noch die anderen Sportler, die Teil der Kampagne sind.
Ein Typ mit dunklen Locken und sonnengebräunter Haut stellt sich als Noah vor. Ich habe ihn schon mal in Wettkampflisten gesehen, er klettert auf einem richtig hohen Niveau. Neben ihm steht eine blonde Frau, vielleicht Mitte zwanzig, die sich als Mira vorstellt – anscheinend eine Trailrunnerin und Boulderin. Es gibt noch zwei weitere Athleten, ein Typ mit roten Haaren, David, und eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren, Sophia. Alle tragen bereits Teile der neuen Kollektion.
Ich nicke jedem zu, versuche mir wenigstens die Gesichter einzuprägen. Es ist seltsam, auf einmal in dieser Runde zu sitzen. Ich bin es gewohnt, als Teil eines Kletterteams zu funktionieren, aber das hier fühlt sich anders an. Hier geht es nicht nur um Training oder Wettkämpfe. Es geht darum, wie wir wirken. Finn klatscht einmal in die Hände und holt damit alle aus der ersten Höflichkeits-Phase zurück. „Okay, dann lasst uns mal zum eigentlichen Plan für heute kommen.“
Finn schaltet den Bildschirm hinter sich an, und eine Reihe von Fotos erscheint. Professionelle Aufnahmen von Sportlern – aber sie sehen nicht gestellt aus. Die Kletterer in den Bildern haben konzentrierte Gesichter, angespannten Muskeln, eine Natürlichkeit, die nichts mit klassischem Modeln zu tun hat.
„Das hier ist der Look, den wir anstreben“, erklärt Finn. „Wir wollen keine gestellten Werbeaufnahmen, sondern authentische Bilder, die euch als Menschen zeigen. Klar, es geht um die neue Kollektion – aber wenn ihr euch die Bilder anseht, erkennt ihr: Es sind nicht nur Klamotten. Es sind Menschen in Bewegung, Menschen mit einer Geschichte.“ Ich lasse die Bilder auf mich wirken. Sie sehen… anders aus als typische Werbefotos. Echt. Lebendig. „Deshalb machen wir nicht nur Fotos, sondern auch kleine Clips und Interviews. Die Zuschauer sollen euch nicht nur als Gesichter einer Kampagne sehen, sondern als Persönlichkeiten. Ihr habt Geschichten, Erfahrungen, Ziele – und genau das wollen wir zeigen.“ Ich merke, wie sich mein Rücken automatisch ein bisschen aufrichtet. Ich bin nicht nur ein Model, das in eine Jacke gesteckt wird und cool aussehen soll. Ich bin ein Athlet. Ein Mensch mit einer Geschichte.
„Für heute fangen wir locker an“, sagt Finn. „Ein paar Fotos mit Kletterhintergrund, keine actionreichen Bewegungen. Nur Portraits in der Umgebung, damit ihr euch an die Kamera gewöhnt.“ Ich nicke leicht. Das klingt machbar.
Dann fährt Finn mit der Technik fort. Er erklärt die verschiedenen Perspektiven. Zeigt, wie die Kameras eingerichtet sind, wie mit Licht gearbeitet wird. Ich bin fasziniert von den riesigen Objektiven, den beweglichen Schienensystemen, die wie Hightech-Seile durch das Studio laufen. Das hier ist eine ganz eigene Welt, und sie fühlt sich mit jedem Moment weniger fremd an.
Während Finn spricht, merke ich, dass Leo sich immer in meiner Nähe bewegt. Nicht aufdringlich, nicht auffällig – aber wenn ich mich umschaue, ist er da. Er bringt Dinge, reicht eine Wasserflasche rüber, hilft mir, wenn ich eine Frage habe. Einmal legt er mir kurz die Hand auf den Rücken, als ich mich leicht zur Seite lehne, um etwas besser zu sehen. Eine kleine, beiläufige Berührung – aber sie löst eine kurze Wärme in mir aus, die sich zwischen meinen Schulterblättern ausbreitet. Ich sage nichts, versuche mich auf Finns Worte zu konzentrieren. Aber mein Körper merkt sich diese Berührung.
Die ersten Aufnahmen – Ich werde Teil von allem
Dann geht es los. Die erste Szene ist einfach: Ich stehe vor einer künstlichen Kletterwand im Studio, locker angelehnt, als würde ich mich gerade aufwärmen. Die Kamera fängt mein Gesicht ein, mein Blick soll entspannt, aber fokussiert sein. Es ist seltsam, sich selbst so zu präsentieren. Ich spüre die Kamera auf mir, höre das leise Klicken, sehe Finns Augen hinter dem Sucher verschwinden. Aber je länger ich in dieser Position stehe, desto mehr vergesse ich sie. Ich atme tief durch, lasse meinen Blick über die Wand schweifen, so als würde ich gleich losklettern. Die Bewegungen kommen natürlicher, die Anspannung in meinem Körper löst sich.
Dann ist Leo wieder da. „Hey, schau mal hier rüber“, sagt er, steht ein paar Meter entfernt, neben einer weiteren Kamera. Ich drehe den Kopf leicht, und in dem Moment löst Finn aus. „Perfekt“, murmelt er. Leo grinst mich an. „Komm, wir probieren noch ein paar Varianten.“
Ich folge seinen Anweisungen. Mal mit verschränkten Armen, mal mit leicht erhobener Hand, als würde ich Kreide auftragen. Dann an der Wand, mit einer Hand am Griff, das Licht fällt weich auf meine Haut. Und irgendwann… vergesse ich, dass ich fotografiert werde. Ich bewege mich, atme, bin einfach ich.
Leo reicht mir Magnesia, und als ich die Dose nehme, berühren sich unsere Finger. Ich weiß nicht, ob es Absicht war oder Zufall, aber es hinterlässt dieses leichte Kribbeln in meiner Handfläche. Ich werfe ihm einen kurzen Blick zu. Er hält meinem Blick für den Bruchteil einer Sekunde stand, dann huscht ein kleines Lächeln über seine Lippen. Es ist nur ein Moment. Ein kurzer. Aber er bleibt in meinem Kopf.
Nach einer Weile setzt Finn die Kamera ab und tritt zurück. Seine Bewegungen sind ruhig, aber zufrieden, als hätte er genau das eingefangen, was er wollte. Er mustert mich kurz, dann grinst er. „Gut gemacht, Justin. Du wirkst echt natürlich. Siehst du? Kein Grund zur Nervosität.“ Ich atme aus, langsam, fast zögerlich, als hätte ich erst jetzt bemerkt, dass ich die ganze Zeit unbewusst die Luft angehalten habe. Die Anspannung in meinen Schultern, die in den ersten Minuten noch da war, ist wie weggewaschen. Ich bin hier nicht nur als Zuschauer.
Nicht nur jemand, der ausprobiert, ob das hier etwas für ihn ist.
Ich bin ein Teil von allem.
Mein Blick wandert zu einem der großen Bildschirme, auf dem Finn sich die Aufnahmen ansieht. Und dann sehe ich mich selbst. Und nicht so, wie ich mich morgens im Badezimmerspiegel sehe, nicht als den Typen, der mit zerzausten Haaren in der Schule sitzt oder in der Kletterhalle an seiner Technik feilt. Nein – das hier ist eine andere Version von mir. Stärker. Selbstbewusster. Echter.
Mein Körper füllt das Bild aus, nicht auf eine übertriebene Weise, sondern natürlich, fast selbstverständlich. Die neue Kollektion sitzt perfekt. Wie die eng anliegende Leggings die Konturen meiner Beine, die Sehnen und Muskeln betont, die sich unter der dunklen Haut abzeichnen. Mein Oberkörper wirkt schmal, aber definiert, die langen Jahre des Kletterns haben mich athletisch gemacht, ohne massig zu wirken.
Das Licht spielt mit den Details. Es wirft Schatten auf meine Arme, hebt die Linien meiner Unterarme hervor, die feinen Muskeln, die man als Kletterer unbewusst trainiert, weil jede Bewegung, jeder Griff sie formt. Mein Bauch hebt und senkt sich kaum sichtbar vom ruhigen Atmen, während das schwarze Shirt an meinen Schultern leicht spannt.
Meine Hände sind mit Magnesia überzogen, die weißen Spuren setzen sich in den feinen Falten der Haut ab, betonen den Kontrast zu meinem dunklen Teint. Und dann mein Gesicht. Der konzentrierte Blick, den ich oft habe, wenn ich an einer schwierigen Route hänge. Nicht gekünstelt, nicht aufgesetzt, sondern echt. Meine dunklen Augen sehen fokussiert aus, aber nicht kalt. Ein Hauch Nachdenklichkeit liegt darin, vielleicht auch etwas Unausgesprochenes, das ich selbst nicht ganz greifen kann.
Meine schwarzen Haare, die in der Studio-Beleuchtung fast bläulich schimmern, fallen mir ein bisschen zu unordentlich in die Stirn, aber genau das macht es aus. Es ist kein Hochglanz-Model-Look. Es ist einfach ich. „Krass“, höre ich plötzlich Leos Stimme neben mir. Ich drehe den Kopf zu ihm. Er steht einen Schritt entfernt, leicht nach vorne gelehnt, die Hände locker auf seinen Hüften, während er auf den Bildschirm starrt. „Was denn?“ frage ich, unsicher, ob er das Bild oder etwas anderes meint. Er deutet mit einer Kopfbewegung auf den Monitor. „Hast du das schon mal gesehen? Ich meine, dich so gesehen?“ Ich sehe zurück auf das Bild. Eigentlich nicht.
Leo tritt ein bisschen näher an mich heran, sodass ich seine Wärme spüre. Dann zeigt er mit dem Finger auf eine Stelle meines Arms auf dem Foto. „Schau mal hier, du siehst aus, als wärst du mitten in der Bewegung, aber dabei stehst du eigentlich total still. Dein Körper hat diese Art von natürlicher Spannung. Das macht die Bilder so lebendig.“ Ich blinzle. Das ist mir gar nicht aufgefallen. Er fährt mit dem Finger weiter über den Bildschirm, zeigt auf meine Hände. „Und das hier. Das Magnesia. Wie es sich in den Falten deiner Handflächen absetzt. Das ist ein richtig starkes Detail. Sieht aus, als wärst du gerade aus einer Route gestiegen.“ Ich betrachte es genauer. Er hat recht. Es sind die kleinen Dinge, die das Bild nicht nur zu einem Foto machen, sondern zu einem Moment. „Und dein Blick“, murmelt Leo dann, fast mehr zu sich selbst als zu mir. „Er ist echt intensiv. Aber nicht auf diese übliche Model-Art. Mehr so, als würdest du gerade über irgendwas nachdenken, während du kletterst.“ Ich merke, dass mein Puls sich leicht beschleunigt, aber ich sage nichts. Leo sieht mich an und grinst dann. „Also, falls du jemals dachtest, du wärst nicht fotogen – vergiss es. Das hier ist verdammt cool.“ Ich kann nicht anders, als leicht zu lächeln. „Danke.“ Sein Blick bleibt kurz an mir hängen, dann lehnt er sich wieder zurück und streckt sich. „Okay, genug geschwärmt. Lass uns weitermachen.“
Aber als er sich abwendet, bleibt das Gefühl, das sich eben in mir ausgebreitet hat, noch eine Weile bestehen. Ich schaue ein letztes Mal auf das Bild von mir. Und ich denke:
Ja. Das bin ich. Ich gehöre hierher.
Ein gelungener erster Tag
Die Zeit ist verflogen.
Vier Stunden, die sich wie vierzig Minuten angefühlt haben. Ich hätte schwören können, dass wir gerade erst angefangen haben, aber als Finn irgendwann die Kamera endgültig zur Seite legt, die Beleuchtung gedimmt wird und die Crew sich langsam lockert, ist es plötzlich vorbei.
Ich stehe immer noch neben Leo, mein Blick immer wieder auf die großen Bildschirme gerichtet, wo meine Aufnahmen noch zu sehen sind. Es fühlt sich immer noch surreal an. Das war es also? Mein erstes Shooting? So schnell?
Finn lehnt sich mit beiden Händen auf einen Tisch, lässt seinen Blick über die Gruppe wandern und nickt zufrieden. „Guter Job, Leute. Das war eine starke erste Runde. Besonders du, Justin – ich hab schon erwartet, dass du dich gut machst, aber das war echt auf einem anderen Level.“
Ich spüre, wie ich leicht rot werde, aber ich versuche, cool zu bleiben. „Danke. Hat auf jeden Fall Spaß gemacht.“ Finn grinst. „Das sieht man. Genau das macht den Unterschied.“
Die anderen Sportler, Mira, Noah und die anderen, klatschen sich locker ab, während ein paar Crew-Mitglieder anfangen, das Equipment zusammenzupacken. Die Stimmung ist entspannt, fast familiär, und ich merke, dass ich mich hier nicht mehr wie ein Fremder fühle. Ich bin ein Teil davon geworden.
Dann öffnet sich die Tür, und eine vertraute Stimme klingt durch den Raum. „Na, wie lief’s?“ Thomas, Leo’s Onkel, der Marketingchef, betritt das Studio mit seiner üblichen Mischung aus professioneller Präsenz und lockerer Ausstrahlung. Seine Augen wandern über das Team, bleiben einen Moment an Finn hängen, der nur grinsend nickt, dann auf die Bildschirme, wo meine Aufnahmen immer noch zu sehen sind. Ich beobachte, wie seine Augen sich leicht verengen, wie er die Details mustert. Genau, wie Leo es vorhin getan hat. Dann hebt er eine Braue, dreht sich zu mir und lacht leise. „Okay, ich muss zugeben, ich bin beeindruckt.“
Ich zucke mit den Schultern, versuche, nicht zu breit zu grinsen. „Danke.“ „Ich wusste ja, dass du gut ins Konzept passt, aber das hier…“ Er deutet auf die Bilder. „Das ist noch mal eine ganz andere Liga.“ Finn lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. „Sag ich doch.“
Thomas nickt langsam. „Das wird eine verdammt gute Kampagne.“
Ich merke, wie mich das stolz macht. Ich hatte Angst, ob ich hier überhaupt reinpasse – ob ich wirklich das Zeug dazu habe. Aber jetzt? Jetzt fühlt es sich an, als hätte ich genau das richtige getan.
Abschlussbriefing & die nächsten Schritte
Wir versammeln uns noch einmal für das offizielle Abschlussbriefing. Finn geht die besten Aufnahmen mit uns durch. Er zeigt uns, was besonders gut funktioniert hat, wo das Licht perfekt gefallen ist, wo die natürliche Spannung in unseren Körpern genau richtig eingefangen wurde.
„Für euch geht es am Montag weiter“, erklärt er an die Anderen gewandt. „Wir machen mehr dynamische Aufnahmen, Klettersequenzen, Interviews…“ Dann sieht er zu mir. „Und für dich, Justin – wir sehen uns nächsten Freitag, selbe Zeit.“ Ich nicke. „Freu mich drauf.“ Und das meine ich ernst. „Perfekt“, sagt Finn. „Dann war’s das für heute.“
Schade. Das Wort taucht in meinem Kopf auf, bevor ich es aufhalten kann. Ich hätte locker noch weitermachen können. Die vier Stunden sind mir nicht wie Arbeit vorgekommen, sondern eher wie ein neues Abenteuer, in das ich gerade erst richtig eintauche.
Ich spüre, wie Leo sich neben mir leicht bewegt, als würde er etwas sagen wollen, aber dann zögert. Ich weiß, dass er vermutlich dasselbe denkt wie ich. Es ist schade, dass es schon vorbei ist.
Zurück in die Realität: Umziehen & Abschied
Ich gehe zurück in die Umkleide, um mich wieder umzuziehen. Die Klamotten, die ich trage, fühlen sich inzwischen fast wie meine eigenen an. Ich habe mich darin bewegt, geschwitzt, geatmet – als würden sie zu mir gehören. Und irgendwie tun sie das auch. Aber ich kann sie noch nicht mitnehmen.
Bevor ich die neuen Sachen endgültig ausziehe, gehe ich noch einmal vor den Spiegel. Ich sehe mich selbst an, betrachte meinen Körper, der nach dem Shooting leicht erschöpft, aber zufrieden aussieht. Meine dunklen Haare sind ein wenig durcheinander, meine Haut noch leicht warm vom Licht und der Bewegung. Die Kontraste springen mir jetzt mehr ins Auge – das Schwarz der Jacke gegen meinen dunklen Teint, das helle Magnesia, das noch an meinen Händen klebt. Ich mag, was ich sehe. Das ist neu für mich.
Ich ziehe mich schließlich um, schlüpfe wieder in meine Alltagsklamotten – ein einfaches Shirt, meine gewohnte Jeans. Ich fühle mich darin plötzlich… weniger wie ich selbst, als vorher.
Dann werfe ich noch einen kurzen Blick auf die Kleidung, die ich eben noch getragen habe. Sie wird hier bleiben, bis die Kollektion offiziell draußen ist. Dann gehört sie mir!
Verabschiedung von Leo – ein Moment, der bleibt
Als ich aus der Umkleide komme, steht Leo noch in der Nähe der Tür. Ich sehe ihm kurz in die Augen, und da ist dieser Ausdruck, den ich nicht ganz deuten kann. Fast so, als würde er überlegen, was er sagen soll. Ich könnte es mir einbilden. Aber es fühlt sich an, als wäre da diese winzige Sekunde, in der keiner von uns will, dass es schon vorbei ist. „Na dann“, sagt er schließlich und schiebt die Hände in die Taschen. „War cool heute.“ Ich nicke langsam. „Ja, war es.“ Ein Moment vergeht.
Keiner von uns sagt etwas, aber es ist auch keine unangenehme Stille. Es ist mehr so, als hätte jeder von uns noch etwas auf der Zunge, aber wir trauen uns nicht, es auszusprechen. Ich will sagen, dass ich es schade finde, dass wir uns erst nächsten Freitag wiedersehen. Ich will fragen, ob er eigentlich auch an den anderen Tagen hier ist. Ich will irgendwas sagen, das diese Pause überbrückt…. Aber ich sage nur: „Dann bis nächste Woche.“
Leo hält meinen Blick für eine Sekunde, dann zuckt er leicht mit den Schultern, sein gewohntes Grinsen kehrt zurück. „Freu mich drauf.“ Das hätte auch anders klingen können. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein.
Aber als ich mich umdrehe und Richtung Ausgang gehe, spüre ich noch immer seinen Blick auf mir.
Heimfahrt – Gedanken, die nicht loslassen
Der Bus ist nur halb voll, und ich lehne mich mit meinem Kopf gegen die Scheibe, während die Stadt an mir vorbeizieht.
Mein Körper fühlt sich angenehm erschöpft an, meine Muskeln sind warm, aber nicht überfordert. Ich schließe für einen Moment die Augen, spüre die sanften Bewegungen des Busses und lasse alles noch einmal Revue passieren.
Die Aufnahmen. Die Leute. Finns Worte. Das Bild von mir selbst auf dem Monitor, wie ich mich zum ersten Mal wirklich so gesehen habe, wie ich sein will.
Und dann Leo. Seine Nähe. Seine Stimme. Seine Art, mir immer wieder unauffällig zu helfen, mir Mut zu machen, mich zum Lachen zu bringen. Und dieses Gefühl, dass ich ihn mehr beobachte, als ich sollte. Ich atme tief durch. Es ist zu früh, um daraus etwas zu machen. Vielleicht ist es gar nichts. Aber…, vielleicht auch doch. Ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht, als ich die Augen wieder öffne. Nächsten Freitag geht es weiter. Und ich kann es kaum erwarten.
Als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschließe, habe ich mich mental schon darauf vorbereitet, dass Bobby mich ausfragen wird. Und genau das passiert auch. Kaum dass ich den Flur betrete, steht er schon in der offenen Küchentür, die Arme vor der Brust verschränkt, mit diesem breiten Grinsen, das mich sofort wissen lässt: Er wartet schon.
„Na? Und? Wie war’s?“
Ich schüttle leicht den Kopf, lache leise und schlüpfe aus meinen Schuhen. „Gönnst du mir nicht mal eine Minute zum Ankommen?“ „Nope“, sagt er, ohne zu zögern, und tritt zur Seite, damit ich ins Wohnzimmer kann. „Ich habe vier Stunden darauf gewartet, dass du wiederkommst und mir alles erzählst. Also? Erzähl.“ Ich lasse meinen Rucksack auf den Boden plumpsen und strecke mich kurz, spüre die leichte Erschöpfung in meinen Muskeln. Dann lasse ich mich aufs Sofa fallen. „Es war…“, ich zögere kurz, suche nach dem richtigen Wort: “…. Voll krass. Echt krass.“
Bobby setzt sich in den Sessel gegenüber, immer noch mit diesem neugierigen Ausdruck. „Krass gut oder krass stressig?“ „Krass gut“, sage ich schnell. „Ich dachte, es würde sich komisch anfühlen, vor der Kamera zu stehen, aber nach einer Weile…, keine Ahnung. Es hat sich einfach natürlich angefühlt.“ Er hebt leicht die Augenbrauen. „Natürlich? Du, mein kleiner Bruder, als Model? Das hätte ich nicht gedacht.“
Ich schnaube. „Es war nicht dieses typische Modeln, okay? Es ging um Authentizität. Finn, der Fotograf, wollte, dass alles echt aussieht. Dass wir nicht nur Klamotten präsentieren, sondern als Personen rüberkommen. Nicht wie Werbefiguren, sondern als Sportler.“ Bobby nickt langsam. „Klingt tatsächlich ziemlich cool. Und hast du Bilder für mich?“ Ich öffne den Mund, will antworten – und dann stoppe ich. Bilder? Mir fällt plötzlich auf, dass ich keine habe. Kein einziges. Keine Vorschau, kein Schnappschuss, nichts. Ich schlage mir mit der Hand gegen die Stirn. „Verdammt, ich hab gar nichts zum Zeigen.“
Bobby lach:. „Echt jetzt? Du hast vier Stunden Shooting hinter dir und kommst mit leeren Händen nach Hause?“
Ich grummele. „Ich war einfach so in allem drin… und ich hab nicht mal dran gedacht, danach zu fragen.“
Bobby lehnt sich in seinem Sessel zurück, ein amüsiertes Glitzern in den Augen. „Na dann musst du das nächste Mal wohl dran denken. Oder jemanden fragen, der Zugriff auf die Fotos hat.“ Ich nicke automatisch, aber dann bleibt mein Kopf an diesem Gedanken hängen. Jemanden fragen. Und wer wäre da am besten?
Finn? Möglich, aber er ist der Fotograf, wahrscheinlich zu beschäftigt, um mir einfach so Fotos zu schicken. Thomas? Der Marketingchef? Wohl kaum. Und dann fällt mir Leo ein. Er war die ganze Zeit dabei. Er hat sich die Bilder mit mir angesehen, hat mir sogar Details gezeigt, die ich selbst nicht bemerkt hatte. Vielleicht könnte er mir die Fotos besorgen…
Und dann trifft es mich. Ich habe nicht mal seine Nummer!
Mein Magen zieht sich für einen kurzen Moment zusammen. Ich hatte vier Stunden mit ihm verbracht, wir hatten gelacht, zusammengearbeitet, uns immer wieder zufällig berührt. Aber ich habe nicht mal darüber nachgedacht, nach seiner Nummer zu fragen. Wie blöd kann man sein?
Bobby scheint mein Schweigen zu bemerken. Ich merke, dass ich gerade zu lange über etwas nachdenke, das nach außen hin vielleicht gar nicht so auffällig wirken sollte.
„Du könntest ja Leo fragen“, sagt er dann beiläufig.
Mein Kopf schießt nach oben. Wie zum Teufel…? Bobby lehnt sich mit seinem typischen großen-Bruder-Schlauen-Grinsen nach vorne. „Du hast jetzt ungefähr fünfmal von Finn geredet, zweimal von Thomas und…“ Er hebt eine Hand. „… mindestens zehnmal von Leo.“ Mein Gesicht wird heiß. „Ich hab nicht gezählt.“ „Ich schon“, sagt er trocken. Ich werfe ihm einen todernsten Blick zu. „Ich will einfach nur die Fotos, okay?“ Er hebt eine Augenbraue. „Natürlich. Nur die Fotos.“
„Halt die Klappe.“ Er lacht laut. „Hey, ich sag ja nichts! Aber du könntest ihm ja schreiben. Ach nee, Moment…“ Er zieht gespielt nachdenklich die Stirn kraus. „Du hast ja gar nicht seine Nummer.“Ich vergrabe mein Gesicht in den Händen. „Bobby… ich schwöre dir, wenn du jetzt weitermachst…“ „Was dann?“ Er grinst. „Du musst sie dir sowieso irgendwann holen. Also warum nicht nächste Woche?“ Ich seufze. „Ja. Nächste Woche.“
Ich lehne mich in die Sofapolster zurück und blicke an die Decke. Nächsten Freitag geht es weiter. Ich werde wieder dort sein, wieder vor der Kamera stehen, wieder mit den anderen arbeiten. Und Leo wird auch wieder da sein. Ein Teil von mir freut sich darauf, ihn wiederzusehen. Ein anderer Teil hasst es, dass Bobby es vor mir gemerkt hat.
Ich spüre, wie sich ein kleines, unbewusstes Lächeln auf mein Gesicht schleicht. Nächsten Freitag. Bis dahin.
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