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Schneemann

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Obwohl wir gelernt haben sollten, tolerant gegenüber anderen zu sein, gibt es - für meinen Geschmack - zu viele junge Menschen, welche „Das Fest der Liebe ...“ alleine verbringen müssen. Und einigen von Ihnen nur, weil sie schwul sind ...

„Thomas, es ist schon spät! Mache noch das Licht aus und schließe ab. Aufräumen können wir morgen noch.“, rief Christian hinter dem Tresen. „Ist gut!“, gab ich zur Antwort. Es war wirklich schon recht spät, die letzten Jungs unserer Coming Out Gruppe hatten die Weihnachtsfeier im Jugendcafé vor einer halben Stunde verlassen. Christian, Michael und ich räumten nur das Notwendigste beiseite und löschten das Licht. Ich zog mir meine Thermojacke über, nahm mein Geschenk, wickelte es mir um den Hals und warf noch einen letzten Blick zurück in den Raum. Jetzt, wo alles so ruhig war, konnte ich mir nicht vorstellen, das vor eineinhalb Stunden noch ein Weihnachtsmann – der Freund von Christian hatte sich extra ein Weihnachtsmannkostüm besorgt – Geschenke an die Jungs verteilt hatte. So manchem Teenager glänzten bei der Übergabe die Augen und auch manche Überraschungen gab es, als sie ihre Geschenke ausgepackt hatten und auch ich wurde zum Nikolaus gerufen. Ich muss wohl ein saudämliches Gesicht gemacht haben, als ich mein Präsent öffnete. Ich schließe es nur daraus, das ein-, zweimal ein Blitzlicht aufleuchtete und die Jungs sehr herzhaft lachten, als ich mir den sehr langen regenbogenfarbenen Wollschal umhängte. Ich habe mich wirklich gefreut und habe bei der anschließenden Umarmung so manche Träne vergossen.

„Mach hinne Thomas, träumst Du?“, drängte Christian. „Ich friere hier noch fest.“ „Komme schon!“

Mit einem Ruck zog ich die Tür zu, schloss zweimal ab und aktivierte die Alarmanlage. In den vergangenen Tagen hatte es heftig geschneit und die Temperaturen sanken auch auf Werte unter null Grad. Es schien so, als ob wir mal wieder weiße Weihnachten feiern würden.

„Steht dir, der Schal“, sagte Michael mit einem Grinsen. Ich schaute ihn an und dann Christian. Auch er fand, dass es ein gelungenes Geschenk gewesen sei.

„OK ihr Beiden, macht dass Ihr fort kommt. Ihr müsst ja in eine andere Richtung. Ich wünsche Euch eine gute Nacht und passt auf, dass Ihr euch nichts brecht. Es ist glatt!“ „Du aber auch, Thomas! Ich rufe Dich so gegen Mittag an!“ „OK!“

Dann trennten sich unsere Wege. Ich ging eine Weile nur so vor mich hin und lauschte dem unter meinen Schuhe knirschenden Schnee. Es hatte wieder zu schneien begonnen. Flocken fielen lautlos auf die Erde. Es sah alles so unwirklich aus, es waren kaum Autos unterwegs, so dass selbst auf der Straße eine geschlossene Schneedecke liegen blieb.

Ach so, vielleicht sollte ich mal erwähnen, wer hier so durch die Winterlandschaft stapft. Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, heiße ich Thomas, bin gerade 18 geworden und mache im kommenden Jahr mein Abitur. Für alle, die es interessiert: Ich bin 1m75 groß, bei einer schlanken Figur. Ich bin schwul und begleite zum ersten Mal eine Coming Out Gruppe, gemeinsam mit besagtem Christian, einem Studenten, welcher Kinder- und Jugendpsychologie studiert. Er war es auch, der mich vor einem halben Jahr fragte, ob ich nicht Lust zu so etwas hätte.

Kennengelernt haben wir uns vor zwei Jahren, als ich selbst eine C.O. Gruppe besuchte. Christian war damals ebenfalls Teilnehmer und wir verstanden uns auf Anhieb super. Ich habe mich wohl in ihn verliebt, doch er sagte mir, dass es da schon jemand gäbe, der ihm das Herz geraubt hat. Ich war am Boden zerstört. Doch er nahm mich in den Arm und sagte mir, dass er sich glücklich schätzen würde, wenn wir Freunde werden würden. Wir unternahmen sehr viel gemeinsam und ich lernte dabei auch Michael kennen. Und ich verstand, warum ich nicht die geringste Chance bei Christian hatte.

Mein Weg führte an einem kleinen Park vorbei, der aber um diese Zeit schon für Besucher geschlossen war. Ich blickte durch den Zaun auf einen Schneemann, den einige Kinder da errichtet hatten. Man konnte sogar noch die Spuren sehen, wo die Kugeln gerollt wurden. Es fehlte eigentlich nur noch der obligatorische Topf auf dem Kopf und die Karotte im Gesicht. Ich ertappte mich dabei, gedanklich über diesen Zaun zu klettern und diesen Schneemann fertig zustellen. Doch ein schmerzhafter Gedanke durchzuckte meine Stimmung und ich ging traurig meines Weges. Nach einer halben Stunde gelangte ich an mein kleines Zuhause. Eine kleine Mansarden Wohnung unter dem Dach einer alten Villa, mit einem Balkon!

Ich schloss die Tür hinter mir und schob den Riegel vor. Ich wollte nur noch in mein Bett, schlafen. ... Mitten in der Nacht klingelte das Telefon neben meinem Bett, es wollte gar nicht mehr aufhören. Widerwillig hob ich den Hörer ab und murmelte ein „Ja?“.

„T'schuldige Thomas, dass ich Dich wecke“, hörte ich eine aufgeregte Stimme, ich glaubte Michael erkannt zu haben. „Michael, bist Du es?“, hakte ich nach. „Ehm ja!“ „Was gibt es denn, dass Du mich um ...“, ich warf einen verschlafenen Blick auf meinen Wecker, „schon um halb sieben anrufst, wir hatten doch mittags ausgemacht!“ „Ich weiß, aber Christian hat sich den linken Fuß angebrochen und liegt im Krankenhaus.“ Seine Stimme wirkte auf mich bedrückt und schlagartig war ich wach. „Wie ist denn das passiert?“, fragte ich besorgt. „Er ist auf der obersten Stufe der Haustreppe ausgerutscht. Zum Glück ist nicht mehr passiert ...“ „Und was ist jetzt?“

„Na ja, ich bin noch im Krankenhaus und Christian bat mich Dich anzurufen, wegen des Jugendcafés.“ „Wenn er im Augenblick keine weiteren Sorgen hat, ... darüber soll er sich seinen Kopf nicht zerbrechen. Das schaffe ich auch alleine.“ Ich musste unwillkürlich grinsen, das sich langsam in ein Gekicher steigerte und schließlich in einem Lachanfall endete.

„Hey, was gibt es da zu lachen?“, empörte sich mein Gesprächspartner, obwohl auch er nicht mehr ernst bleiben konnte. „Es tut mir leid Michael, aber ich habe mir gerade die Szene vorgestellt, wie Christian am Fuße der Treppe sitzt, eingepackt in seine dicken Winterklamotten, und absolut verdutzt aus der Wäsche guckt.“ „Na ja, Situationskomik hatte die Sache schon gehabt und auch wir konnten uns einem Lachen nicht verkneifen, nachdem der erste Schreck vorüber war. Als er aber auftreten wollte, hatten wir schon Panik und ich rief gleich den Krankenwagen. Der Arzt im Krankenhaus meinte, das der Fuß wohl angeknackst sei. Er hat Christian erst einmal in ein Bett gesteckt und ihm Schmerzmittel gegeben. Mich wollte er nach Hause schicken, doch ich bat bleiben zu dürfen ...“, erklärte er mir und meinte dann empört: „Ich lasse doch mein Herzblatt nicht einfach mir nichts dir nichts alleine!“ *seufz*.

„Nein Michael, da hast Du sicherlich recht, aber macht Euch wegen des Jugendcafés mal keine Sorgen, fahre ich halt etwas früher los, ich denke das mit dem Aufräumen wird nicht so wild, wie es gestern ausgesehen hat. Grüße Christian von mir, ach ja, Michael?“ „Ja?“ „Wie lange bleibt er denn im Krankenhaus?“ „Er muss noch zum Röntgen und anschließend bekommt er noch einmal einen Verband. Ich denke heute Mittag sind wir wieder daheim.“ Informierte mich Michael kurz. „Spricht etwas dagegen, wenn ich heute noch einmal vorbeischaue?“ „Dagegen spricht nichts, aber wir fahren anschließend zu meinen Eltern und bleiben dort bis nach den Feiertagen.“ „Na gut, dann wünsche ich euch beiden ein schönes Weihnachtsfest.“ „Wünschen Christian und ich Dir auch!“

Damit legte er auf. Ich hielt den Hörer noch einige Zeit in der Hand und lauschte dem Tuten. Gedankenverloren legte ich dann auf, ich beneidete die Beiden. Ihre Beziehung schien harmonisch und glücklich zu sein, obwohl Christian mir gegenüber erwähnte, dass es auch schon mal kräftig gewittere und es vorkommt, das dann beide für ein paar Tage schmollen. Im Grunde aber lieben sich die Beiden und nichts konnte sie auseinander bringen. Mit diesen Gedanken wälzte ich mich noch eine halbe Stunde im Bett herum. Es half alles nichts, an Schlafen war nicht mehr zu denken, also stand ich auf und tappte in meine Küche. Zog die Decke vom Vogelbauer und begrüßte meinen Papagei.

Halt, bevor jetzt jemand protestiert, der Papagei ist ein kleiner grüner Vogel, den ich von meinem Opa ‚geerbt‘ habe. Jedes halbe Jahr gehe ich mit ihm zum Tierarzt, um ihn mal durchchecken zu lassen. Da der Fachmann bisher nichts zu beanstanden hatte, unterstelle ich mir mal, dass ich meine Sache recht ordentlich mache.

„Na Xavier, mein Kleiner, heute noch etwas müde?“ Ich wechselte ihm das Wasser und füllte die Nahrungsbox auf. Er wiegte seinen Kopf in die Schräglage und schaute mich an. „Du hast ja nicht sehr viel gegessen, gestern. Hast du Kummer?“ Anstelle seines üblichen Gekrächze rutschte er auf seiner Stange zum Ausgang, ich hielt meine Hand hin, damit er darauf klettern konnte. Mit meiner freien Hand streichelte ich ihm langsam über sein grünes Federkleid. Es schien ihm zu gefallen. Ich hätte nun Stunden weiter so machen können, doch schon nach ein paar Minuten hob der kleine Kerl seine Flügel und flog seine morgendliche Runden durch die Wohnküche. Damit war ich fürs Erste entlassen und stellte mich an, meine Kaffeemaschine mit diversen Sachen zu beschicken, immer in der Hoffnung, dass sie mir daraus einen brauchbaren Kaffee brauen würde. Mein gefiederter Wohnungsgenosse landete auf seinem Käfig und schaute mir dabei zu. „So mein Kleiner, lass mir die Kaffeemaschine in Ruhe!“, schmunzelte ich ihn an. „Ich gehe dann mal ins Bad ...“. Ich hatte keine Bedenken, dass der Papagei irgendwelchen ‚Unsinn‘ veranstaltet, dafür hatte er zu große Angst vor undefinierten Geräuschen. Außerdem war für ihn auch die Frühstückszeit gekommen und er kletterte wieder in den Vogelbauer, um sich genüsslich über Obst, Früchte und Fertigfutter herzumachen. Im Bad schaute ich erst einmal in den Spiegel. Die Augenringe gefielen mir nicht besonders, aber was sollte ich jetzt großartig machen? Ich nahm das Rasierzeug und begann meine Morgentoilette, die mit einer kalten Dusche nach einer halben Stunde beendet wurde, um meinen Kreislauf noch etwas in Schwung zu bringen. Ich verschwand in mein Zimmer und zog mich an. Vielleicht sollte ich mal ein paar Worte zu meiner Wohnung verlieren – oder finden?

Mein kleines Reich bestand aus einer Wohnküche, meinem Schlaf- und Arbeitszimmer, dem Bad und einem größeren Balkon. Ich wohne nun seit eineinhalb Jahren hier und habe inzwischen (nach Absprache mit meinem Vermieter) einen kleinen Wintergarten auf dem Balkon errichtet, wo einige Pflanzen standen, die Xavier hätten gefährden können. Um es vorwegzunehmen, als meine Eltern erfahren haben, dass ich schwul bin, haben sie mich eben mal vor die Tür gesetzt. Ich bin zuerst zu meinem Großvater gezogen, der damit überhaupt keine Schwierigkeiten hatte. Opa Hannes hat auch noch einige Mal versucht zwischen mir und meinen Eltern zu vermitteln, doch als dieses nicht fruchtete, hat er seine Tochter enterbt und sein Vermögen einer Stiftung zum Wohle von Kindern und Jugendlichen vermacht. Seit eineinhalb Jahren wird nun das Geld – laut Verfügung meines Großvaters – durch eine Stiftungsgesellschaft verwaltet, die als Gegenleistung dafür mir ein monatliches Taschengeld für meinen Lebenshaltung zu entrichten hat. Davon bezahle ich meine Wohnung und alles was so anfällt. Für mein zukünftiges Studium lege ich auch noch etwas Geld beiseite. Bis zu meinem 18. Geburtstag betreute mich auch eine Sozialarbeiterin vom Jugendamt. Sie sorgte auch dafür, das die Erbschaftsklage meiner Eltern vom Gericht abgewiesen wurde. Einmal die Woche kam sie mich besuchen, um einfach zu sehen, dass ich nicht verlotterte. Mittlerweile betrat ich wieder die Küche, warf den Toast in den Grill und deckte zwischenzeitlich den Tisch, schaltete das Radio an und ging hinunter, um mir die Zeitung zu holen. Wieder oben angekommen frühstückte ich erst einmal. Xavier kam zu mir an den Tisch und ich gab ihm eine Paranuss, damit er etwas Beschäftigung hatte. „Hm,“ der Papagei ließ die Nuss fallen, ich schaute kurz auf und las aus der Zeitung laut vor. „... möchten wir, die Redaktion der Zeitung, uns bei allen Beteiligten bedanken, die für die Kinder- und Jugendstation des örtlichen Krankenhauses gespendet haben. Laut dem Stationsleiter, Dr. Felix Hausach, soll das Geld für kleine Geschenke ausgegeben werden, die während einer Weihnachtsfeier auf der Station an die kleinen Patienten verschenkt werden, welche über die Feiertage nicht nach Hause können. ... Was meinst du, ist doch eine tolle Sache oder?“ Ich vernahm ein leises ‘krrrk' und wusste das der Vogel meiner Meinung war ;-).

Die Zeitung legte ich beiseite, stand auf und räumte den Tisch ab. „So mein Lieber, ich gehe dann mal. Ich lasse dir das Radio an, damit du etwas Unterhaltung hast.“

Xavier schaute mich an und ich ging zu ihm hinüber. Ich konnte mir denken, wie er sich fühlte, schließlich war dieses auch mein zweites Weihnachtsfest, welches ich alleine verbringen würde. Daher ließ ich ihn wieder auf meine Hand klettern und streichelte ihn.

„Hey, mein kleiner Freund, ich bin ja bald wieder zurück und heute Abend machen wir es uns schön. Ja? Wir müssen ja noch den Baum schmücken!“

Und als ob er genau wusste was ich sagte, schickte er sich an zu seinem Heim zu kommen, kletterte wieder in den Bauer, schloss seine Augen und lauschte. Da ich etwas gegen ‘einsperren' hatte, blieb die Käfigtür offen. Wie schon erwähnt, Xavier stellte keinen groben Unfug an, wenn er mal alleine war und die elektrischen Leitungen waren vor ihm sicher.

Ich ging noch einmal ins Bad, putzte mir die Zähne und strubbelte noch einmal durchs Haar. Hm, so konnte ich mich schon sehen lassen. Ich zog meine Thermojacke über, wickelte einen Schal um den Hals und verließ mein Reich.

„Guten Morgen Thomas! Wie war eure Feier gestern Abend?“

„Guten Morgen Herr Hausach! Die Party war echt toll, wir alle hatten viel Spaß, ist aber auch recht spät geworden ...“ „Was machst Du dann so früh auf?“, dabei zwinkerte er mir zu. Ich erzählte ihm von den Ereignissen des Morgen, von Christians’ Unfall und das ich nun auf dem Weg zum Jugendcafé war. „Gibt es nicht oft, das sich die jungen Leute noch so engagieren!“ „Nein, da haben Sie recht, ...“, ich machte eine kleine Pause, „... doch wir bemühen uns!“, setzte ich noch mit einem Grinsen nach und drehte mich um.

„Ach Thomas, bevor ich es vergesse. Die kleine Feier für meine Patienten findet doch statt?“

„Ich habe gestern noch mit Katrin und Peter gesprochen und es ist alles vorbereitet. Die Beiden haben sogar noch ein paar andere Freunde dazu verdonnert über die Feiertage vorbei zu kommen. Es müssen so um die zehn sein. Damit haben wir bis Silvester genug Leute, die nachmittags da sind.“   

„Und was habt ihr so vor, ich muss ja als Stationsarzt schon wissen, was da läuft ...“

„Herr Hausach, wir halten uns an das Programm, welches wir abgesprochen hatten und als kleine Überraschung ...“, ich machte eine kleine Pause, „... gibt es Weinbrandbohnen für die Kids!“, ich versuchte so ernst wie möglich zu sein. „Bis später ...!“

Als kleine Anmerkung: Katrin, die Tochter von Herrn Hausach und Peter, zwei Freunde von mir, organisieren diese kleine Party und die Tage bis Silvester. Peters kleiner Bruder musste über Ostern im Krankenhaus bleiben. Damals sah Peter, dass es seinem Bruder nicht sonderlich gut dabei ging. Daher reifte die Idee, mit ein paar Freunden zu Weihnachten diese Party auf der Station zu veranstalten. Das mit den Pralinen war gelogen, da wir als Überraschung einen Film mit den Muppets zeigen wollten, aber wenn Katrin ihrem Paps das nicht gesagt hatte, dann musste Doc Hausach es auch nicht von mir erfahren. Dafür hatten wir aber mit den Pflegerinnen und Pflegern gesprochen und die fanden es OK. Meine Aufgabe bestand darin, bei der Stiftung anzufragen, ob diese nicht einen Videorecorder und einen Fernseher zur Verfügung stellten können. Heute sollen die Geräte aufgestellt und erst im neuen Jahr wieder abgeholt werden, so dass wir auch noch ein paar Filme mehr organisiert haben.

Ich stieg aus dem Bus und ging noch die paar Meter zum Jugendcafé. Wieder an dem Park vorbei und wieder sah ich den Schneemann. Irgendetwas hatte sich verändert und ich brauchte etwas Zeit, um zu sehen, dass das Lachen aus dem Schneegesicht verschwunden war. Ich wurde traurig und fragte mich, wer das getan hatte! Dieser Gedanke ließ mich nicht los und ich ging weiter. Ich deaktivierte die Alarmanlage, schloss die Tür auf und ging ins Café. Offiziell hatten wir heute ‚Geschlossen‘. Also schloss ich die Tür hinter mir wieder ab. Wenn jemand etwas wollte gab es ja noch die Klingel. Dann machte ich erst einmal Licht und marschierte ins Büro. Dort angekommen drehte ich die Heizung etwas höher und setzte noch Wasser für einen Tee an. Dann ging ich zum Schreibtisch, wo mein Blick auf die rot blinkende Leuchte des AB's fiel. Ich drückte den Knopf und lauschte den Ansagen. Neben den normalen ‚Aufgelegt Klicks‘ kamen ein paar Unfreundliche, wie ‚Arschficker‘, ‚Schwuchteln' et cetera. Das sind immer so die Momente, wo ich immer dachte, dass wir doch in einer ‚toleranten‘ Gesellschaft leben – weit gefehlt! :-(

Ich ging zum Wasserkocher hinüber und schüttete das heiße Wasser in die Teekanne. Der Duft von Zimt und Nelken lag im Raum. Ich stellte die Teekanne auf das Stövchen. Der AB war mittlerweile auch fertig und schwieg wieder vor sich hin. Ich ging in den angrenzenden Raum, wo ich langsam begann aufzuräumen, putzte hier und wischte da, und immer wieder ging ich ins Büro, um eine Tasse Tee zu trinken. Dann räumte ich die Spülmaschine ein und wurde, gegen elf, durch das Telefon dabei unterbrochen. „Thomas, Hallo!“ „Hi Tommi“, sprach Katrin. „Hi, Katy was kann ich für dich tun?“ „Ich sollte doch Bescheid sagen, wenn die Anlage geliefert wird ...“ „Ja, und ich warte ...“, grinste ich in den Hörer. „Bescheid!“, hörte ich da auch schon. „Sage mal Thomas, hast du schon von Christian gehört?“ „Jo, Michael hat mich heute Morgen angerufen, so, wie es aussieht, angebrochen, meinte er.“ „Nein, Christian hat sich den Knöchel verstaucht und ein Band gedehnt. Er hat nur einen festen Verband bekommen, sollte nach den Feiertagen aber noch mal kommen.“ „Hey, woher weißt du das?“, fragte ich neugierig. „Habe ihn vorhin getroffen, als er und Michael das Hospital verlassen haben.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ „Wann kommst du?“

„Wenn alles gut geht, bin ich so um 16H00 bei Euch. Ihr wollt erst den Film zeigen richtig?“ „Yep!“, schallte es mir entgegen. „OK, dann sehen wir uns heut' Nachmittag.“ „C.U.“, schallte es aus dem Hörer und ich legte auf, nahm meine Tasse und ging wieder zurück.

Hinter dem Tresen fand ich noch eine Dose mit selbst gemachten Keksen, also griff ich zu. Schließlich hatte ich schon einiges getan, am Eingang standen zwei Müllsäcke, die nur darauf warteten, entsorgt zu werden und die Spülmaschine summte leise vor sich hin. Nach dem dritten Plätzchen raffte ich mich auf den Müll wegzubringen, ich schloss die Tür auf, schnappte mir die Säcke und ging mit ihnen um das halbe Haus zu den Containern. Gut gelaunt, wie ich war, bewunderte ich die Spuren im frischen Schnee. Hatte unsere Nachbarin mal wieder ihren Müll bei uns gelassen, was soll's. Ich hievte die Säcke in den Container und machte mich auf den Weg zurück ins Warme. „Hmm? Das sind doch nicht die Fußabdrücke von Frau Mainbach.“ Ich stellte probeweise meinen Fuß in den Abdruck und er war noch etwas größer. Sicherlich hat die gute Seele eine lose Gosche, aber nie und nimmer Schuhgröße 43! Ich drehte mich wieder zu den Tonnen und sah, dass die Spur daran vorbeiging, ich folgte ihr bis zu unserem Pavillon im Garten, schaute hinein und sah, dass hier jemand genächtigt hatte. Ich zog die Schultern hoch, wenn hier jemand übernachten wollte, war es seine Entscheidung, aber bei den Temperaturen sicherlich keine Freude. Ich beschloss mal im Haus nach einer alten Decke Ausschau zu halten und dem ‚Gast‘ hinzulegen. Kopfschüttelnd ging ich wieder ins Haus zurück und schloss die Tür. „Dann schaue ich oben schnell mal nach, ob ich noch brauchbare Exemplare finde.“, meinte ich halblaut zu mir selbst. Gerade als ich die erste Stufe betrat, hörte ich das Telefon läuten, ich drehte mich um und ging ins Büro. „Hallo, hier ist Thomas vom Jugendcafé!“ Ich lauschte, doch ich hörte nichts außer jemanden leise atmen, ich legte daher auch nicht gleich auf. Ich sprach einfach mal drauf los frei nach dem Motto ‚Mal-schauen-was-dann-passiert'. Es schien ja einen Grund zu haben, warum hier einer anruft, obwohl in der Presse gestanden hat, dass das Haus über die Feiertage geschlossen bleibt. Keine Reaktion, auch nicht, als ich schon zwei Minuten mehr oder weniger gesprochen hatte. „Ist es eigentlich nicht sehr kalt in so einer Zelle?“, meinte ich lapidar. „Hm, ja ... hier ist es schon sehr kalt, Thomas, aber …“, hörte ich eine Stimme, die den Satz unvollendet ließ. Daher versuchte ich es wieder. „Ich freue mich, dass du Dich meldest“, tastete ich mich langsam vor, „da ich Deinen Namen nicht kenne, möchte ich Dich einfach Mike nennen, bist Du einverstanden?“ „Ja, ...“ „Danke, Mike, für Dein Vertrauen. Da es Dir ja kalt ist, kannst Du auch ruhig zu mir ins Jugendcafé kommen. Ich bin heute alleine hier und Du kannst Dich, wenn Du möchtest, auch aufwärmen ...“ „Ich habe gelesen, das Jugendcafé sei geschlossen, warum bist Du dann da?“ „Hm, wir hatten gestern Abend eine kleine Weihnachtsfeier und ich habe versprochen, mit Christian – einem Freund – zusammen noch etwas aufzuräumen, ...“ „Dann seid Ihr zu zweit?“ „Nein, ich bin alleine, Christian hat sich heute Nacht am Fuß verletzt und hat mir mitgeteilt, das er nicht kommen kann“ „Thomas, ...?“ „Ja?“ „Bist Du der mit dem bunten Schal?“

„Ja, ein Geschenk ...“. Wieder unterbrach mich Mike mit einer Frage, die ich jetzt nicht erwartet hatte. „Thomas, bist Du schwul?“. Was sollte ich jetzt sagen, OK, offene Frage, offene Antwort.

„Ja Mike, ich bin schwul, hast Du ein Problem damit? Warum möchtest Du das wissen?“ „... Hm, ich ...“ „Mike, ich denke es ist einfach billiger für Dch, zu mir ins Jugendcafé zu kommen. Hier ist es warm und wir können uns auch hier unterhalten ...“ ‘Klick', Mike hat aufgelegt. Ich legte auf, was sollte ich jetzt machen. Habe ich zu viel verlangt? War ich zu aufdringlich? Glaubt Mike, dass ich die Situation hier ausnutzen wollte? Fragen und keine Antworten. Langsam ging ich wieder in den Nebenraum, mit meiner Tasse Tee in der Hand haltend, schaute ich mich um. Jetzt musste ich nur noch die Tische abwischen, die Stühle hochstellen und den Boden fegen. Dann war es wohl auch spät genug, um mich um mein leibliches Wohl zu kümmern, bevor ich ins Krankenhaus fuhr. Ich machte mich daran mit einem Lappen über die Tische zu wischen, um im Anschluss die Stühle darauf zustellen.

„Du bist Thomas?“, hörte ich eine Stimme sagen, ich drehte mich um, konnte aber niemanden ausmachen. Dann polterte der Stuhl, den ich vor Schreck habe fallen lassen, mit lauten Getöns auf den Boden. „Sch..., ja, der bin ich und wer bist Du? Wie kommst Du hier herein, habe ich vergessen die Tür abzuschließen?“, fragte ich in den Raum hinein. Sehen konnte ich ihn noch immer nicht, und dass die Tür abgeschlossen war, wusste ich sicher.

„Nein, die Tür ist zu. Ich bin herein, als Du eben draussen warst, und bin dann die Treppe rauf!“

Ich sah zur Treppe und in dem Augenblick kam eine Person die Treppe hinunter. Als er den Schatten verließ, sah ich ihn das erste mal richtig. Ich müsste lügen, wenn dieser Junge keinen positiven Eindruck bei mir hinterlassen hatte. Er war etwas größer als ich, hatte dunkelblondes Haar, welches an einigen Stellen mit Strähnchen aufgehellt war. Er wirkte sportlich, soweit ich es feststellen konnte, denn er trug einen weiten Pulli, der etwas schmutzig wirkte. Sein Gesicht war bleich und er sah mich aus tiefliegenden rehbraunen Augen an. Seine Nase war schlank, aber wirkte nicht groß und die Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Er stellte sich vor mich und reichte mir die Hand, dabei sagte er etwas, doch ich hörte ihn nicht. Ich sah nur, dass seine Mundwinkel leicht in die Höhe gingen und sich eine Reihe weißer Zähne entblößten.

„Thomas?“

„Ja?“, sprach meine Stimme mechanisch und mein Mund bewegte sich irgendwie dazu.

„Es tut mir leid, wenn ich Dich erschreckt haben sollte, es war nicht meine Absicht ...“

Langsam erwachte ich wieder und dann fiel es mir wieder ein, die Erinnerung erreichte mein Bewusstsein und ich realisierte, dass ich ihn einfach angestarrt hatte. Rein naturgemäß lief ich strauchtomatenrot im Gesicht an, und dann war da ja noch seine Entschuldigung. Dass ich mich erschrocken hatte, konnte ich ja wohl kaum leugnen, der Krach war ja nicht zu überhören.

„Danke, aber frei nach meinem Großvater, hält jeder Schreck jung und er musste es ja wissen ...“, schmunzelte ich zurück. „Bist Du der Junge, der vorhin angerufen hat?“

„Ja, der bin ich ...“

„Da ich Dich auf einen Tee eingeladen habe, gehe doch einfach ins Büro und nimm Dir eine Tasse. Ich stelle noch die paar Stühle hoch und komme nach!“

„Hm, kann ich Dir auch helfen?“

„Wenn Du möchtest, kannst Du die Stühle hochstellen und ich fange an zu fegen.“

„Jo, mach ich.“

Ich ging zurück hinter den Tresen, holte den Besen und begann damit herumzufuchteln. „Mike…“

„Anscheinend hast Du ein Problem mit deinen Ohren“, hörte ich seine warme Stimme, „Du kannst mich auch bei meinem richtigen Namen nennen, ich heiße Hans!“

Ich denke, es war wieder eine gute Zeit, Tomaten erbleichen zu lassen.

„Okay! Hans, Du hast mich erwischt, aber ich wollte Dich fragen, woher Du das mit dem Schal weißt. Ich habe ihn heute nicht mit!“

„Du hast ihn gestern Abend getragen, als Du an dem Park entlang geschlendert bist ...“

„Aber ich habe Dich gar nicht gesehen!“

„Ich stand fast neben Dir, hinter einem Gebüsch, doch selbst wenn ich vor Dir gestanden bin, Du hättest mich nicht gesehen. Du hast meinen Schneemann bewundert und standest im Lichtkegel der Straßenlaterne ...“ Hans machte eine kleine Pause, bevor er weiter sprach. „Ich dachte zuerst, dass Du über den Zaun klettern würdest, doch dann sah ich die Traurigkeit in Deinem Gesicht und dann bist Du weiter gegangen.“ „Hast Du den Schneemann gebaut?“ „Ja. Als ich Dich habe weggehen sehen, hatte ich auch keine Lust mehr. Mein Handeln schien mir danach so sinnlos ... ich änderte noch das Gesicht ...“

Mittlerweile hatte Hans die Stühle alle hochgestellt und ich war mit Fegen fertig. Wir gingen ins Büro, wo es doch wärmer war als in dem Café selbst.

„Sage einmal Hans, magst Du überhaupt Weihnachtstee oder möchtest Du einen Kaffee haben?“

„Tee ist schon recht.“ „OK“ Ich ging noch einmal hinter den Tresen und holte die Keksdose, schenkte eine weitere Tasse Tee ein und gab sie ihm. Die Dose stellte ich auf den Tisch einer kleinen Sitzecke ab und deutete ihm, sich einfach zu setzen. „Also, noch einmal, um an das Thema anzuknüpfen, ich bin schwul und ich glaube nicht, dass Du damit ein Problem hast?“

„Thomas, wie merkt man eigentlich, das man schwul ist?“ „Hm, ich merkte, so im Alter von 15, das ich irgendwie anders fühlte als meine Klassenkameraden. Die prahlten, wie toll sie das eine oder andere Mädchen aus der Klasse fanden. Mich interessierte das nicht so besonders. Ich fand dagegen so einige der Jungs aus meiner Klasse echt anziehend, besonders wenn wir nach dem Sport gemeinsam duschten. Ich dachte zuerst, das sei nur so eine Phase, da ja auch bei den Duschorgien die wir veranstalteten so mancher eine Latte bekam. Aber so nach einem halben Jahr änderte sich das.“

Ich nahm einen Keks und schaute zu Hans hinüber, der gedankenverloren an seinem Tee schlürfte. Nach ein paar Minuten sprach ich weiter. „Die Jungs sprachen davon, wie sie gerne mit der einen oder anderen etwas anfangen würden und wie sie die gerne mal vernaschen wollten. Ich dagegen träumte immer nur von Jungs und was ich mit ihnen alles anstellen würde. Da wusste ich sicher, dass ich mich so in Mädchen nicht verlieben konnte wie in Jungs.“

Ich trank einen Schluck Tee.

„Ja, das kenne ich. Mir geht es im Moment genauso. Ich weiß sicher, das ich mich in einen Jungen verlieben könnte. Mit den Girls kann ich toll reden und Scheiß machen“, hier grinste er über beide Ohren, „doch ich kann mit ihnen nichts im Bett anfangen. Ein Mädchen aus meiner Klasse hatte sich in mich verguckt und ich konnte ihre Gefühle nicht erwidern. Da alle aus meiner Klasse eine Frau im Arm hatten, dachte ich es wäre schon recht, mit ihr etwas anzufangen. In der ersten Zeit schmusten wir wie alle anderen, doch ich fragte mich immer, ob das alles ist, so ohne Gefühl. Karsten, Peter und einige anderen erzählten, was sie dabei empfanden, ... doch ich nie!“

Er beugte sich vor und nahm einen Keks aus der Dose, tauchte ihn in den Tee und aß ihn anschließend. Bei dieser Aktion musste ich unwillkürlich mein Gesicht verziehen. „Ich dachte, das Gefühl kommt noch. Tja, dann kam der Tag, der schicksalsreiche Tag. Es traf mich wie der Blitz. Wir schrieben gerade einen Test, als es an der Tür klopfte und ein Schüler aus der Parallelklasse eintrat. Er fragte, ob er unseren Overheadprojektor ausleihen könne ... Er bemerkte mich nicht, doch ich war von ihm fasziniert.“ Hans lächelte verträumt. „Er sah einfach umwerfend aus, kurzes braunes Haar, dunkelbraune Augen, sein Lächeln wirkte verlegen. Nach der Stunde hörte ich verschiedene Mädchen nur von ihm Schwärmen, so auch meine Freundin. Und seit dem frage ich mich immer wieder: warum ich? War ich wirklich einer von diesen „Perversen“, wie meine Clique es immer sagte? Nein, ich fühlte mich nicht so, aber mit wem sollte ich darüber reden? Ich wusste mir keinen Rat und dann sah ich diesen tollen Typ immer wieder in der Pause auf dem Schulhof, er sah so „normal“ aus ...“

Ich schaute Hans an und er mich, unsere Blicke trafen sich und sie hielten sich gefangen. Ich fühlte in meinem Bauch etwas kribbeln. Konnte es sein, das Hans mich gefangen genommen hatte? Bei Hans löste sich eine Träne und rann über seine Wange. Ich war drauf und dran, ihn in den Arm zu nehmen. Doch traute ich mich nicht, was hätte er von mir gedacht, dass ich die Situation ausnutzen wollte? „... Also musste er ja hetero sein“, sprach er weiter. „Zwischenzeitlich stritt ich mich immer öfters mit meiner Freundin. Sie wollte mit mir ins Bett, du weist schon – poppen.“ Hans' Gesicht überzog eine leichte Röte und er schaute verschämt zu Boden.

„Aber es ging nicht, ich bekam ihn einfach nicht hoch. Sie nannte mich einen Schlappschwanz und machte einfach Schluss. Mir war es recht. Aber der Stress fing damit erst an. Sie erzählte in der Clique und in der Klasse herum, dass ich kein richtiger Mann sei und sie sich an den Traumboy aus der Parallelklasse ran machen würde. Bald erzählte sie herum, wie toll dieser doch sein würde und erst im Bett wäre er kein Versager und wüsste, wie ein Mann die Frauen glücklich macht. Das saß, mein Traumtyp war also Hetero und ein absoluter Macho wie mir schien.“

Hans sah aber nicht gerade traurig aus, als er dieses sagte. Ich konnte mir diese Situation gut vorstellen, da es mir selbst vor kurzem geschah, dass ein Mädchen sich in der Schule an mich ran machen wollte. Katrin und ich besprachen das Weihnachtsprojekt, als sich so ein Girly auf mich stürzte und sich anschickte, mir eindeutige Komplimente zu machen. Ich war zunächst noch recht höflich und sagte ihr, dass ich kein Interesse hätte. Sie meinte noch, dass wir uns doch gar nicht richtig kennen würden. Ich sagte ihr, dass ich diesen Tatbestand auch nicht zu ändern wünschte. Katrin stand schmunzelnd dabei. Als sie dann immer noch nicht abzog, schaltete sich Katrin ganz deutlich ein, sie legte ihren Arm um mich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Dabei zwinkerte sie mir zu und sagte vernehmlich, ob wir über die Feiertage bei Ihren Eltern verbringen würden oder nicht! Ich sah das Mädchen noch rot anlaufen und sie zog ab.

„Übrigens, ich weiß mittlerweile, dass der Junge kein Frauenheld ist und auch kein Macho, er scheint mir sogar einen recht sympathischen Charakter zu haben. Ich habe mich da mal umgehört. Meine sogenannte „Ex“ hatte also alles nur erlogen und erstunken. Ich war im Grunde froh, dass sie sich von mir getrennt hatte und es fiel mir nicht weiter schwer, sie zu ignorieren. Das brachte sie auf die Palme und sie schwor Rache. Vorgestern war es soweit, wir hatten Religionsunterricht nach der großen Pause, der Pauker öffnete die Tafel wo im Mittelteil in großen Lettern geschrieben stand „HANS IST SCHWUL“ ... Mit einem Schlag war alles still um mich herum und alle schauten abwechselnd von der Tafel zu mir und zurück. Ich wollte ja mein Coming Out selber bestimmen und mir nicht diktieren lassen, zumal ich mir schon Gedanken dazu gemacht hatte, wem ich es sagen wollte und wem nicht. Dazu gehörte auch der Junge aus der anderen Klasse. Unser Pauker drehte sich um sah mich an und fragte, ob dies denn wahr sei. Ich schluckte, sah dann zu der Ex hinüber, die hämisch grinste. Ich wandte mich dem Lehrer zu, sagte dass ich schwul sei und dazu auch stehe. Einige aus meiner Klasse nickten mir aufmunternd zu, andere sahen mich erschrocken an. Der Pädagoge (Hans sprach dieses Wort mit triefender Ignoranz aus) fragte anschließend noch, ob ich denn schon deswegen in Behandlung sei, frei nach dem Motto ›wehret den Anfängen‹. Als ich dies verneinte und meinte, dass ich dazu auch keine Veranlassung sähe, wollte er sich darum kümmern. Ich würde es ihm später danken, wenn ich wieder ›gesund‹ sei. ›Homosexualität ist eine Krankheit und gehört wie die Pest, Cholera, Masern oder CoVid behandelt und außerdem verbreiten gerade die Schwulen HIV, AIDS und andere sexualübertragbare Krankheiten unter den normalen Männern und Frauen‹, waren seine Worte. Ich dachte, ich hätte einen Alptraum, der Typ schien ja noch im Mittelalter zu leben. ... Deutlich sagte ich dem Pauker, dass ich mich völlig gesund fühle, und betonte noch einmal, dass zu einer Therapie oder Behandlung keine Veranlassung gegeben sei. Er unterbrach mich und fuhr mich an, dass ich ja wohl noch zu jung sei, um so etwas mit ›Weitblick‹ zu sehen. Er wolle meinen Eltern empfehlen, dass ich in eine psychiatrische Anstalt gehöre. ... Ich unterbrach ihn und untersagte es ihm ausdrücklich, sich da einzumischen.“

„Euer Pauker lebt ja richtig hinter dem Mond und dort sogar noch recht weit rechts ...“, war mein einziger Kommentar. Hans lächelte zurück und ich schmolz dahin, *seufz*.

„Er hat sich nicht daran gehalten. Als ich nachmittags nach Hause kam, sprach meine Mutter mich darauf an und das mein Vater noch mit mir sprechen wollte. Ich konnte mir schon denken, was Sache war, wir hatten daheim nie über solche Themen wie Sexualität gesprochen, und da mein Vater sehr religiös ist, hatte ich keine Lust auf dieses Gespräch. Ich packte einige Sachen zusammen und machte mich aus dem Staub, sicherlich werden sie dem ›Rat‹ meines Paukers folgen.“

Über sein Gesicht kullerten einige Tränen.Nun konnte ich nicht anders, ich setzte mich neben ihn und nahm ihn einfach in den Arm. Für Hans war es wohl ein Zeichen von Vertrauen, denn er begann heftigst zu weinen. Seinen Kopf legte er auf meine Schultern und schluchzte vor sich hin. Ich hielt ihn fest, es war einfach Zeit sich gehen zu lassen. Nach einigen Minuten beruhigte sich Hans wieder. In mir bereitete sich das Gefühl aus, das es ihm nicht leicht gefallen ist, von Zuhause weg zu gehen.

„Hans, bitte verstehe mich jetzt nicht falsch ..., erzähle mir doch von Deiner Familie, wenn Du möchtest.“ Hans schaute mich mit verquollenen Augen an, doch er nickte zustimmend. „Wo soll ich da anfangen?“ „Einfach da, wo Du möchtest“. Mir fiel just im Augenblick der Schneemann wieder ein, “... wieso hast Du eigentlich einen Schneemann gebaut?“ „Das hat mit einer Geschichte zu tun, die vor zwei Jahren geschah. Eines Abends teilte Dad uns mitteilte, dass er entlassen worden ist. Seine Firma hat einfach Konkurs angemeldet und damit war für die Chefetage die Sache erledigt. Sie scherten sich einen Dreck um ihre Angestellten. Wir wohnten da noch in unserem eigenen Haus, doch es zog sich hin, bis mein Dad eine neue Stelle hatte, die Hypotheken mussten bezahlt werden und unsere Familie entschied sich schweren Herzens das Haus zu verkaufen. Wir zogen in eine Mietwohnung, die für uns weitaus günstiger kam. Doch Weihnachten stand vor der Tür und meine Eltern erklärten mir, dass wir sparen müssten und Weihnachten etwas kleiner ausfallen würde als es bei uns üblich gewesen ist. Mir war es nicht so wichtig, ob wir nun daheim waren oder irgendwo im Urlaub, Hauptsache, ich konnte ein paar Tage mit meinem Vater verbringen.“ Hans schaute aus dem Fenster, wo sich eine Kohlmeise an der Futterstelle was zu futtern suchte. „Thomas, für mich war dies die Zeit, wo Papa für mich immer Zeit hatte und die wollte ich nicht missen.“ Ich nickte und verstand, was er meinte. „Auf jeden Fall, es war ein Tag vor Heiligabend, als mein Vater abends von der Arbeit kam und wirkte sehr traurig. Er teilte mir mit, dass wir nicht am nächsten Tag nicht zusammen die Weihnachtsvorbereitungen machen könnten, da es in der Buchhaltung seiner Firma Unregelmäßigkeiten gegeben habe und er am nächsten Tag zusammen mit dem Chef die ganzen Unterlagen durchgehen müsste. Ich hatte mich so darauf gefreut, ... auch deswegen weil es seit langem mal wieder zu Weihnachten geschneit hatte. Paps gab mir die Liste, mit den Dingen, die wir noch besorgen wollten. Ich machte mich am folgenden Tag auf die Socken und organisierte alles, was uns noch fehlte, den Weihnachtsbaum, den Schmuck und alles was dazugehört. Für meine Mutter hatte ich im Antiquariat einer Buchhandlung ein Buch gefunden, welches sie schon lange suchte. Dad bekam von mir eine sehr schöne goldene Krawattennadel, ich hatte mir das ganze Jahr von meinem Taschengeld etwas beiseite gelegt, um diese kaufen zu können. Abends wollten mein Dad und ich gemeinsam den Weihnachtsbaum aufstellen und dekorieren, ich wartete und wartete, Dad kam nicht.“ Ich spürte wie Hans zu zittern und frösteln begann. Ich schenkte ihm noch Tee nach.

„Erst sehr spät in der Nacht hörte ich ihn kommen, ich stand auf und ging auf ihn zu. In seinem Gesicht sah ich die Anstrengungen und die Müdigkeit des Tages und es schien mir, dass er nur noch ins Bett und schlafen wollte. Ich nahm meine Jacke und ging nach draußen in den Schnee, ich fühlte mich so, als ob mein Vater mich verraten hatte ...“. Ich fühlte, was er meinte. Als meine Eltern mich rausgeworfen hatten, fühlte ich mich auch von ihnen verraten. „Thomas, weißt Du eigentlich wie schön es sein kann, nachts durch den Schnee zu gehen?“ Ich nickte ihm zu und er lehnte sich an mich. Wusste Hans, was er da macht? „Irgendwann fing ich an einen Schneemann zu bauen, mitten in der Nacht. Ich war so mit der Sache beschäftigt, dass ich nicht merkte, wie mein Vater hinter mir stand. Erst als er mich ansprach, bemerkte ich ihn. Er sah mich an und ich deutete ihm, einfach nichts zu sagen. Wir bauten die halbe Nacht an dem Schneemann und es machte einfach Spaß, dieses mit meinem Vater zu tun. Als wir fertig waren gingen wir in unsere Wohnung und ich sah, dass mein Vater den Tannenbaum aufgestellt hatte, alles lag bereit zum Schmücken und wir machten uns an unser Werk. Über soviel nächtliche Aktivität sind wir auf unserer Couch eingeschlafen, meine Mutter hatte uns wohl eine Decke gegeben und uns Beide zugedeckt. Es wurde das schönste Weihnachtsfest, das wir hatten.“

Hans schaute mich fragend an und ich realisierte, dass ich meinen Arm um ihn gelegt hatte, so als sei er mein Freund. Ich lief rot an und machte Anstalten, ihn da wegzunehmen. „Nein, Thomas! ... Du kannst ihn liegen lassen, es tut gut deine Nähe zu spüren ...“. Also ließ ich ihn liegen. „Hans, ich verstehe nicht?“ „Was verstehst du nicht?“ „Na so, wie Du mir deinen Vater gerade beschrieben hast, liebt er Dich doch!“ „Ich bin mir da nicht mehr so sicher, er kann auch sehr konservativ sein. Zum Beispiel müssen zu Weihnachten Grußkarten an die Verwandtschaft verschickt werden, obwohl sich einige noch nie bei uns gemeldet haben.“ „Ist das denn nicht etwas Anderes?“ Ich schaute ihn nicht an, sondern zu der Futterstelle vor dem Fenster.

„Ist das nicht ein wenig Tradition, weil es jedes Jahr gemacht wurde und vielleicht möchte dein Vater auch nicht den Draht zur Verwandtschaft verlieren. Mein Großvater las jedes Jahr zu Weihnachten von Charles Dickens die Geschichte ›A Christmas Carol‹. Ich denke, das war sein Zeichen sich auf das Fest einzustellen. Deswegen war er dennoch jemand, dem die Familie gerade in dieser Zeit sehr wichtig gewesen ist.“ „Ich glaube ich verstehe Dich, Du denkst, für meinen Vater ist das Karten schreiben ein Ritual, das zur Weihnachtszeit dazugehört?“ „Genau so meine ich es. Ich kann mir auch vorstellen, dass er sich Sorgen um dich macht.“

Nun schaute ich Hans direkt in die Augen und sie begannen zu glänzen, ich glaube, ich habe ihm da wieder etwas Hoffnung gegeben..., und mich in ihn verliebt.

„Wenn Du möchtest, kannst Du ihn anrufen, ich bin ja hier!“, sprach ich leise zu ihm. Doch in diesem Moment klingelte das Telefon wieder, ich schaute zu Hans rüber, der mir zunickte. „Thomas!“ „Hi Tommi, wir haben Schwierigkeiten im Krankenhaus, könntest Du kommen und uns helfen?“ „Ich bin hier noch beschäftigt. Was sind denn das für Probleme?“ Ich wollte Peter nicht auf dumme Gedanken bringen. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Du wärest mit deinem Freund zusammen ...“. Zu früh gefreut und prompt wurde ich rot. „Hey, Peterle, das ist unfair!“

„OK ich halte die Klappe. Das Problem lautet, dass wir keinen Weihnachtsmann haben, der die Geschenke verteilt und du wärst der Einzige, der da in das Kostüm passen würde ...“ Ich drehte mich zu Hans um, der mich mit großen Fragezeichen anschaute. „Gut, ich spiele den Weihnachtsmann, aber erst um fünf, bis dahin müsst ihr euch was einfallen lassen.“ „Danke, Katrin hat da schon eine Idee“, sagte er etwas gequält. Ich konnte es mir schon denken und musste grinsen, immer, wenn Katrin sagte, sie hat eine Idee, hieß das für Peter, dass er etwas machen musste. „Dann bis später, Gruß an die Anderen.“ „Mach ich! C.U.“, und ich legte auf.

„Du und ein Weihnachtsmann?“, hörte ich Hans hinter mir grinsen. „Möchtest du noch Tee, dann setze ich noch welchen an?“, gab ich ihm zur Antwort, bevor wir uns über Weihnachtsmänner unterhielten. „Nein, danke Thomas ...“. Ich vernahm ein ungewöhnliches Knurren aus meiner Bauchgegend. „... Und so wie mir scheint hast du etwas Hunger.“ Hans traf den Nagel auf den Kopf. „Dagegen hätte ich auch nichts einzuwenden“, grinste er mich frech an. „Wenn du möchtest, können wir uns eine Pizza bestellen ...“ „Hmm...“ Hans druckste etwas herum, nachdem ich mich wieder neben ihm gesetzt hatte. „Alternativ können wir auch zu mir ...“, sein Gesicht hellte sich etwas auf, „... aber ich muss dich warnen, ich bin ein schlechter Koch!“

„Dann koche ich eben.“ „Hans, bevor wir vom Thema zu weit abschweifen, möchtest du nicht zuerst mit deinem Vater sprechen? Ich meine, er hatte ja jetzt schon mehr als einen Tag sich seine Meinung dazu zu bilden.“

Glücklich sah Hans nicht aus, doch er nickte mir zu. Wieder stand ich auf, ging zum Telefon und überreichte es Hans. Ich nickte ihm aufmunternd zu. Zögerlich begann er zu wählen, es dauerte etwas ... „Hi Paps ...“, hörte ich ihn sagen und es klang irgendwie versöhnlich. Ab jetzt war es eine Sache zwischen Hans und seinem Vater, ich verdrückte mich still ins Café. Räumte die Spülmaschine aus und schloss meine Aufräumaktion ab. Meine Gedanken aber waren bei Hans geblieben. Einige Minuten später hörte ich eine Stimme hinter mir.

„Danke, Thomas. Du hast mir sehr geholfen. Mein Vater hat sich schon Sorgen um mich gemacht und war auch schon bei der Polizei. Er sagte mir auch, dass es für ihn keinen Unterschied macht. Ich bin Hans, sein Sohn, den er liebt.“ Ich ging auf Hans zu und legte meine Arme auf seine Schultern. Hans schaute mir in die Augen und ich sah seine leuchten. „Da gibt es noch etwas, Thomas!“ „Ja?“ „Dad meinte, dass ich Dich fragen sollte, ob Du Lust hast mit uns etwas zu essen, er lädt uns ein.“ „Ich kenne ihn nicht und habt ihr nicht noch einiges zu besprechen?“, bemerkte ich nachdenklich. „Schon, aber ich fühle mich sicherer, wenn Du dabei bist ...“. Hans unterbrach sich und sah verlegen auf seine Füße. „Ich lausche ...“. „... und außerdem ... ich glaube ... ich ...“. Hans tat mir richtig leid, es schien ihm schwer über die Lippen zu gehen.

„... Thomas, ich habe mich …“. Erschrocken wichen wir auseinander, die Türschelle unterbrach uns. „Es scheint mein Dad zu sein.“ Hans sah enttäuscht aus. „Ich komme mit Euch, wenn Du noch möchtest!“, ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Dann mache ich jetzt mal die Tür auf und lasse unseren Besuch herein.“

Kurze Zeit später betrat ein stattlicher Mann das Café und ging auf Hans zu, nahm ihn in den Arm und drückte ihn an sich. Ich sah einige Tränen über sein Gesicht laufen. Die Beiden sprachen kein Wort. Ich sah den Beiden einige Minuten zu, dann drehte sich Hans zu mir um. „Dad, das ist Thomas, Thomas das ist mein Dad“, stellte er uns vor. „Guten Tag Herr …“. „Müller. Angenehm Thomas. Ich möchte mich bei Dir bedanken.“ „Ich habe nichts gemacht, außer einem Freund zugehört.“ Bei den letzten Worten lächelte Hans. „Nein, Du hast Dich um Hans gekümmert, als er jemanden brauchte, danke noch einmal.“ Er schaute noch einmal zu Hans. „Wenn Ihr möchtet, ich habe Hunger!“ „Dad, Thomas möchte mit, ist das OK?“ „Da wird Marianne wohl noch ein Gedeck mehr auflegen.“ „Gut, dann hole ich noch meine Sachen von oben.“

Ich schaute zu Hans hinüber, und dann fiel mir ja ein, dass ich noch eine Decke holen wollte.

„Ich komme mit, ich bräuchte da noch eine Decke für den Pavillon.“ „Wozu?“ „Na, da hat letzte Nacht jemand drin genächtigt und bei den Temperaturen sicherlich kein Vergnügen.“ „Nicht nötig“, Hans wurde leicht rot, „ich war das!“ „Vielleicht kommt ja heute ein anderer „Gast“ ...“ .

Ein paar Minuten später schloss ich die Tür des Jugendcafés wieder ab und aktivierte die Alarmanlage. Derweil beförderte Hans seine Sachen, eine Sporttasche und einen unförmigen Koffer, ins Auto seines Vaters. Herr Müller fuhr souverän durch den Weihnachtsverkehr unserer Stadt und es dauerte auch nicht lange, als er meinte, dass wir schon da seien. Wir standen vor einem älteren Mietshaus in einer ruhigen Gegend. „So, hier wohnen wir!“ „Hans geh doch bitte vor und zeige Thomas den Weg, ich parke das Auto schnell noch und komme dann nach. Hans nahm seine Sporttasche aus dem Kofferraum und wir gingen los. Die Wohnung war gemütlich eingerichtet, für meinen Geschmack etwas zu ‘konservativ' und ich konnte mir schon denken, warum Hans das Gespräch mit seinem Vater vermeiden wollte. „Bist du es Christopher?“, hörte ich eine Stimme aus den hinteren Räumen. „Nein, Mum. Ich bin es, Hans!“ In dem Augenblick, wo Hans das sagte, schoss schon eine Frau in den Flur. Sie war um die 45 und einen Kopf kleiner als ich. Sie stürmte auf Hans zu und umarmte ihn, von mir nahm sie zunächst keine Notiz.

„Hans! Was machst Du denn für Sachen, wir haben uns Sorgen um Dich gemacht“, und ihr liefen einige Tränen über die Wange. „Mom, darf ich Dir Thomas vorstellen, Thomas das ist meine Mutter, Marianne“. „Guten Tag Frau Müller.“ „Hallo Thomas, ich hoffe Hans hat Ihnen keine Umstände bereitet?“ Ich grinste Hans an. „Nicht im geringsten.“ „Dann kommen Sie doch in die gute Stube. Hans nimmst du bitte die Garderobe und hängst sie auf.“ „Ja. Darf ich deine Jacke haben?“ Ich gab ihm das Gewünschte und folgte ins Wohnzimmer. „Setzen Sie sich doch Thomas“, forderte mich Frau Müller auf und ich nahm auf der Couch Platz. Frau und Herr Müller setzten sich jeweils in einen Sessel und Hans neben mich. Ich sah mich zunächst im Zimmer um. Dort stand in einer Ecke, zu meiner Verwunderung, ein ungeschmückter Baum, ansonsten eine rustikale Einrichtung. „Es mag Dich wundern, dass der Baum noch nicht dekoriert ist. Aber seit Hans auf der Welt ist, haben wir jedes Jahr zusammen den Baum geschmückt. Mit zwei Jahren, hat Hans zum ersten Mal einen Strohstern daran gehängt und für mich fehlt etwas, wenn Hans diesen einen Stern nicht selber daran hängt“, sprach Herr Müller an meine Adresse. „Ja, und jedes Jahr kam etwas Neues hinzu, nicht nur materielles. Vor zwei Jahren zum Beispiel haben mein Mann und Hans die ganze Nacht den Baum geschmückt und sind darüber auf der Couch eingeschlafen. Da habe ich, als ich sie morgens entdeckt habe, nur zugedeckt ...“, fügte Frau Müller hinzu. Ich sah zu Hans hinüber, der mir zulächelte, und ich nickte. „Ja, Hans hat mir die Geschichte erzählt.“ „Er hat Dir alles erzählt?“, frage Herr Müller. „Ja, hat er, und ich habe daraufhin gesagt, dass er Sie anrufen könnte, denn ich glaube, dass Sie ihren Sohn lieben.“ Ich mag normalerweise keine rhetorischen Fragen, doch manchmal ließen sie sich nicht vermeiden.

„Und dann wären wir auch schon beim Thema, ich gehe nicht davon aus ...“. „Warte Thomas“, unterbrach mich Hans. „Dad, Mum, ich wollte es euch Beiden lieber selbst sagen, als dass Ihr es über Herrn Nauheimer erfahrt. Doch es scheint anders gelaufen zu sein. Ja, ich bin schwul und ...“.

Hans schaute zu mir hinüber und lächelte. „... ich mag Jungs. Als ich vorgestern von Dir - Mum - erfuhr, dass ein Lehrer angerufen hatte und Du sagtest, dass Dad noch mit mir sprechen wollte, ich hatte Angst ...“. Herr Müller nickte und Frau Müller zuckte beim Wort ‘schwul' etwas zusammen, doch schienen sie Beide etwas zu schmunzeln. „Also Hans, ich gebe es zu, wir waren nicht sehr feinfühlig, was Deine Gefühle angeht und ich denke, dass wir uns Beide bei Dir entschuldigen müssen. Die Sache ist etwas anders gelaufen, als Du es verstanden hast. Ja, ich wollte mit Dir über dein Schwulsein sprechen, ich möchte Dir nämlich sagen, dass Du deswegen für mich kein anderer Mensch bist. Wir lieben Dich, Hans, und wenn Du mit einem Jungen glücklich wirst, why not?“ Herr Müller war also nicht so konservativ, wie ich zunächst glaubte. „Für Herrn Nauheimer ging die Sache etwas anders aus. Er hatte hier angerufen und Deiner Mutter gesagt, was in der Schule vorgefallen ist, und er hat sogar davon gesprochen, dass wir Dich in eine Anstalt für psychisch Kranke einweisen sollten. Marianne war zu perplex etwas dazu zu sagen. Also rief sie mich an und gab mir das Gespräch wieder. Meine erste Reaktion kostete mir meinen Bleistift, den ich zerbrach, anschließend ging ich zu meinem Chef und fragte, ob ich früher gehen könne, er willigte ein. Ich rief Fritz, Deinen Direktor als nächstes an, um mit ihm einen Termin in der Schule zu vereinbaren. Schließlich haben wir gemeinsam lange genug die Schulbank gedrückt. Ich schilderte ihm den Vorfall und er zitierte Herrn Nauheimer zu sich. Das Ende vom Lied, Herr Nauheimer ist bis zu den Zeugnissen vom Dienst beurlaubt, alles Weitere wird eine gemeinsame Konferenz im Januar beschließen.“ „Und was wird dann?“, fragte Hans resignierend. „Ich denke“, meinte Frau Müller, „ich denke, Herr Nauheimer wird vom Dienst suspendiert.“ „Bitte?“ „Na ja, wir haben Dich ja gestern gesucht und überall angerufen, wo Du hättest sein können, dabei habe ich erfahren, dass viele Eltern genauso denken wie wir und da die Konferenz im Beisein des Elternrates ist, wird es schwer werden, Herrn Nauheimer nicht zu suspendieren.“

Irgendwo in der Wohnung hörte ich den Westminster-Uhrenschlag zur vollen Stunde. „Marianne ...“, sprach Herr Müller, „... Marianne, ich habe Hunger ...“. „Ach, der Tisch ist in der Küche schon gedeckt, wir müssen uns nur noch da hin setzten und Thomas, Sie bleiben doch zum Essen?“ Ich schaute zu Hans hinüber, der mich mit erwartungsvollem Blick ansah. „Hans hat mich eingeladen, und wenn ich Ihnen nicht zur Last falle!“ „Nein, nicht im geringsten. Also kommt.“ Nun sah ich auch die Küche der Müllers. Gegenüber dem rustikalen Wohnzimmer, war hier alles recht funktionell eingerichtet. Es wirkte so, als ob das Familienleben in der Küche stattfand, wie bei mir, damals. Hans setzte sich neben mich und Frau Müller trug auf. „Thomas, was machen Sie so?“, wollte Herr Müller wissen. „Ich gehe auf das örtliche Gymnasium und hoffe im kommenden Jahr mein Abitur zu machen.“ „Dann gehen Sie ja auf die gleiche Schule wie Hans!“, stellte Frau Müller fest. Ich schaute zu Hans hinüber. Ging er auf die gleiche Schule wie ich? Wieso ist er mir nie aufgefallen? „Und in Ihrer Freizeit, was machen Sie da?“, unterbrach Herr Müller meine Gedanken. „Neben den verschiedenen sportlichen Aktivitäten gehe ich dreimal in der Woche zum Jugendcafé in die Goethe Allee, wo ich auch eine Coming Out Gruppe, gemeinsam mit einem Freund, begleite.“ „Sind Sie auch homosexuell“, wollte nun Frau Müller wissen. „Yep!“ „Und gibt es da schon jemanden ...?“, schob Hans dazwischen. Ich schaute ihn an. Erst jetzt bemerkte Hans, was er da wissen wollte, sein Gesicht nahm eine gesunde Farbe an und er schaute verlegen drein. „Ja, da gibt es Jemanden!“, lautete meine Antwort. Hans hatte Schwierigkeiten seine Enttäuschung zu verbergen, ich glaubte sogar eine Träne zu sehen, daher schob ich nach, dass es aber noch nichts Festes ist. Wie sollte ich es denn wissen, ob Hans mich haben wollte. Das im Café vorhin, konnte ja alles und gar nichts gewesen sein.

„Und was machen Sie heute noch Thomas, fahren Sie zu Ihren Eltern?“ So nett die Müllers auch sein mögen, doch dieses ist meine persönliche Sache. Um nicht schwindeln zu müssen, überging ich das Thema Eltern und setzte fort, dass ich heute noch einmal einen Weihnachtsmann im Krankenhaus spielen müsste. „Haben Sie denn etwas mit dieser Weihnachtsfeier für die Kinderstation zu tun?“ „Ja, zwei Freunde von mir organisieren diese Feier für die Kinder, wir zeigen zuerst ein Video, anschließend gibt es Geschenke für die kleinen Patienten. Da heute Morgen unser Weihnachtsmann abgesagt hat, werde ich ihn spielen.“

Ich sah mich schon mit Kissen vor dem Bauch und im Rücken ausgestattet das rot-weiße Kostüm tragen. Und ich wollte noch nach Benny schauen, einen Patienten, den ich bei Doc Hausach kennengelernt hatte, ihm ging es in den letzten Tagen gar nicht so gut. „Und wann müssen Sie da sein?“ Ich schaute auf die Küchenuhr und erschrak, ich hatte völlig die Zeit vergessen. „In 30 Minuten sollte ich da sein. Da werde ich mich beeilen müssen. Das Hospital liegt am anderen Ende der Stadt.“ Ich schaute zu Hans, Hans zu mir, um anschließend seinem Vater einen Blick zu zuwerfen. „Wenn Du noch zehn Minuten warten kannst, kann Hans Dich auch hinfahren. Mit dem Auto ist es gerade eine Viertelstunde! Hans wolltest Du Dich nicht noch frisch machen?“ „Und der Baum, Paps?“ „Ich glaube es wird Zeit, mit einigen Sitten zu brechen, …, dabei zwinkert Herr Müller Hans zu, “... um den kümmern wir uns. Den Strohstern heben wir auf! Akzeptiert?“

Wenn eine Umarmung Zustimmung sein kann, dann hat Hans gerade sehr laut ‘JA' gerufen. Kaum zehn Minuten später saß ich neben Hans im Auto seines Vaters. Wie auch sein Vater fuhr er den Wagen recht zügig durch den Verkehr. Ich dachte gerade noch an die letzten Worte von Frau Müller, bevor sie die Wohnungstür schloss. „Christopher, Thomas als Schwiegersohn wäre doch nett, oder?“ Ich weiß nicht, ob Hans es auch gehört hatte, doch mir wurde es etwas warm im Gesicht. „Übrigens Thomas, wir können uns etwas Zeit lassen. Die Küchenuhr zeigt die westfälische Zeit an.“ „Hä? Westfälische Zeit?“ „Ja, Mum ist in Münster in Westfalen geboren und bei meinen Großeltern ging die Küchenuhr immer eine viertel Stunde vor. Opa sagte mir, dass seine Tochter früher immer trödelte, als sie zur Schule ging und kurzerhand stellte meine Oma die Küchenuhr eine Viertelstunde vor, das half. Mum kam nie zu spät zur Schule oder Uni.“ „Gute Idee, sollte ich bei mir auch mal machen“, grinste ich Hans an. „Du ich wusste gar nicht, dass Du schon den Führerschein hast!“ „Seit drei Wochen.“ „Und Dein Vater lässt Dich einfach so fahren?“ „Ja, seitdem fahren Paps und ich regelmäßig zusammen raus. Er brachte mir so ein paar Kniffe bei, die ich in der Fahrschule nicht gelernt habe, besonders das Fahren bei Schnee und Eis. Er meinte, dass ich erstaunlich sicher fahre und hat darum auch keine Bedenken. So da wären wir, kann ich noch mit hoch oder störe ich nur?“ „Komm ruhig mit hoch, je mehr desto besser.“ Hans parkte den Wagen und wir stiegen aus. Mit Hans im Schlepptau betrat ich die Kinderstation und ging zum Schwesternzimmer, dort saß die Oberschwester und begrüßte mich mit einem freundlichen Schmunzeln im Gesicht. „Na, noch jemanden mitgebracht Thomas?“ „Ja! Antje, das ist Hans, Hans das ist Schwester Antje, ihres Zeichen Stationsgouvernante.“ „Hallo Hans, hör nicht auf das, was Thomas sagt ...“, dabei schüttelte Antje Hans' seine Hand, „er untertreibt, ich bin der Stationsdrache!“ „So da nun die Höflichkeiten vorbei sind, Antje wie läuft es?“, mischte ich dazwischen. „Die Kinder sitzen im Gemeinschaftsraum und schauen den Film, war übrigens eine gute Idee von Dir. Den Baum haben sie heute Morgen geschmückt, sieht etwas eigenwillig aus, aber hübsch anzusehen. Für den Weihnachtsmann haben sie dann noch einige Bilder gemalt.“ „Thomas, kannst Du gleich mal zu Benny gehen?“ „Warum, geht es ihm nicht gut?“ „Nein, er hatte einen Rückfall in der vergangenen Nacht.“ „Gut, ich gehe zu ihm, aber sage einmal, kann er nicht im Gemeinschaftszimmer ...“

Antje schüttelte mit dem Kopf und ich nickte ihr wissend zu. Benny war Dauerpatient auf der Station. Er hat Leukämie im letzten Stadium. Seine Eltern waren rund um die Uhr anwesend oder erreichbar.

„Umgekehrt, können wir bei Benny im Zimmer?“ „Leider, nein. Felix hat es diesmal ausdrücklich untersagen müssen. Wir haben vorhin seine Eltern angerufen. Sie sollten heute bei ihm sein. Es könnte sein, dass ...“. Ich musste sehr schwer schlucken, wusste ich doch, was Antje damit sagen wollte. Nach einigen Minuten fragte ich sie, was er sich denn wünsche. „Ich glaube das können wir ihm nicht erfüllen, er wünscht sich das ihm jemand das Lied „I'll be home for Christmas” vorspielt. Ich habe schon alle verrückt gemacht aber nichts ...“. „Sch..., der kleine hat wirklich Pech.“ Ich wusste nicht mehr wohin mit meiner Wut und Hilflosigkeit. „Hans, ich glaube es ist besser, wenn du bei Antje bleibst.“ „Schon gut.“

Ich ging den Flur entlang durch die Glastür, welche mit bunten Wintermotiven beklebt war. Seit Herr Hausach Stationsarzt war, hatte sich wohl einiges verändert. Da waren jetzt zum Beispiel Klemmbretter an der Wand, wo jedes Kind seine Kunstwerke anhängen konnte, die es zu Papier brachte. Die Scheiben der Türen waren ebenfalls immer irgendwie bunt und selbst die Krankenhauskleidung der Pflegerinnen und Pfleger war mit verschiedenfarbigen Motiven bedruckt. Ich schnappte mir einen dieser Kittel für Besucher, dann klopfte ich an Bennys Zimmertür.

„Herein!“, hörte ich seine helle Kinderstimme. „Hallo Benny!“ „Hy Tommi, was machst Du denn hier?“ „Kleine und große Wichtelmänner besuchen, was sonst“, grinste ich zurück.

„Schön das Du da bist Thomas! Schau mal her ... das habe ich für Dich gemacht, großer Wichtel!“ Benny hielt ein Bild hoch auf dem er ein weihnachtliches Wohnzimmer gemalt hatte. „Glaubst Du Tommi, der Weihnachtsmann kann mich nach Hause bringen?“ „Ich weiß es nicht, mein kleiner Wichtelmann, da musst Du ihn selber fragen!“ Ich weiß, keine gescheite Antwort. „Ich glaube nicht, dass der Nikolaus das kann!“, klang seine traurige Stimme. „Ich habe doch diesen Rückfall gehabt, Doc Felix sagte mir, dass ich heute nicht mit den anderen Kindern spielen darf.“

Er brach ab und einige Tränen kullerten ihm übers Gesicht. „Thomas, wache ich morgen noch einmal auf?“ Ich konnte nicht mehr, meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich ging auf Benny zu und strich ihm über seinen kahlen Kopf. „Ich hoffe doch, wen sollte ich denn sonst morgen hier besuchen, mein kleiner Wichtelmann? Aber was wünscht Du dir denn vom Weihnachtsmann, Benny?“ „Ich wünsche mir, dass ich nach Hause kann, aber weil das nicht geht, wünsche ich mir das mir jemand „I'll be home for Christmas“ vorspielt. Glaubst Du, das kriegt der Nikolaus hin?“

„Ich denke schon, Benny.“ „Thomas, bitte sein nicht böse, aber ich bin müde. Weckst du mich, wenn der Nikolaus kommt?“ „Versprochen! Kleiner Wichtelmann und träume was Schönes.“

Benny machte die Augen zu und ich sah seine Brust sich regelmäßig heben und senken. Ein paar Minuten später traten seine Eltern ein. Wir begrüßten uns leise und dann verließ ich das Zimmer. Im Schwesternzimmer angekommen, meinte Antje, dass es wohl Zeit sei, das Kostüm anzuziehen. Ich nickte ihr stumm zu, sie stand auf und umarmte mich. Ich heulte drauf los. „Thomas, bitte.“
„Was hat Felix gesagt?“ „Heute Nacht, spätestens, ... Benny hat genug gelitten.“

Stumm nickte ich ihr zu, der Kloß saß mir noch im Hals. Ich schaute mich nach Hans um, doch er war nicht da.

„Ist Hans schon gegangen?“ „Er wollte noch einmal weg, er sagte, er habe da eine Idee, wie wir Benny doch noch das Weihnachtsgeschenk machen können. Er ist übrigens sehr nett. Thomas, ist er dein Freund?“ Jetzt war wieder ein guter Zeitpunkt das Leben etwas rötlicher zu gestalten. Antje wusste, dass ich schwul bin, aber nicht, dass Hans auch so empfindet.

„Antje, bitte behalte es für dich. Ich weiß es nicht, doch ich würde es mir sehr wünschen! Ich glaube, ... ich habe mich in Hans verliebt.“ „Da bist du nicht der Einzige, der sich hier verliebt hat. So wie er Dich angeschaut hat ... Außerdem wollte er wissen, was Du mit Benny zu tun hast. Ich sagte ihm, dass Du für ihn wie ein großer Bruder bist. Hey, geht das in Ordnung? Ich habe ihm auch erzählt, unter welchen Umständen Ihr Euch kennengelernt habt, als Du ihn da auf der Straße bewusstlos liegend gefunden hast ...“

Oberschwester Antje gab mir einen Schubs und ging in den Nebenraum …. „So Herr Weihnachtsmann, nun aber los. Die Kinder warten schon.“ Damit drückte sie mir zwei Sofakissen in die Hand. „Halt mal, ich binde sie Dir fest.“ Bevor ich mich versah, hatte mein Körperumfang um das Doppelte zugenommen. „Dort sind Hose, Jacke und Stiefel.“ Dabei deutete sie an eine Schrankwand. „Der Rauschebart liegt auf dem Schreibtisch. Der Sack mit den Geschenken ist in der Besenkammer.“ Innerhalb von wenigen Minuten wurde aus dem ‘braven' Thomas der Nikolaus, und als ich mich im Spiegel betrachtete, hatte ich selbst etwas Respekt vor meinem Spiegelbild. „Na, Herr Weihnachtsmann“, begrüßte mich Katrin. „Danke das Du eingesprungen bist.“ „Was tut man nicht alles für Dich, meine Liebe! Wo hast Du Peter gelassen?“ „Der liest noch ein Märchen vor, aber er ist gleich fertig. Und Du bist für deinen Auftritt bereit?“

„Ho ho ho“, mimte ich. „Willst Du erst zu Benny?“ „Nein, ich glaube er schläft gerade, seine Eltern sind bei ihm. Ich gehe nachher zu ihm, da kann ich auch länger bleiben. Ist Felix da?“

„Oh ja, der kam heute Morgen ganz aufgeregt in die Küche und faselte etwas von Kids und Weinbrandbohnen. Was hast Du ihm nur erzählt?“ „Er wollte wissen, was wir als Überraschung geplant hatten. Da Du ihm das nicht erzählt hast, sagte ich ihm, dass es Weinbrandbohnen für die Kids gibt, mehr nicht.“ Ich machte mich auf zur Besenkammer. Auf halbem Weg kam Hans mir entgegen und lächelte mich zuckersüß an. In der Hand hielt er diesen unförmigen Koffer aus dem Jugendcafé. Er blinzelte mir zu: „Vielleicht kann ich Euch helfen, Thomas.“ Damit ließ er mich stehen ... „Ho Ho Ho ...“, Herr Hauser zuckte tierisch zusammen, da er mit dem Rücken zur Tür saß, konnte er mich nicht sehen, als ich ins Gemeinschaftszimmer eintrat, „... draußen vom Walde da komm ich her, ich soll Euch sagen, es weihnachtet sehr. Bin ich hier denn auch richtig auf der Kinderstation?“ Ein einstimmiges „Ja“ schallte mir entgegen.

„Wart ihr denn auch alle schön brav gewesen ...“. Ich spielte meine Rolle sehr überzeugend und bekam nicht mit, wie Herr Hausach aus dem Zimmer ging. Nach einer dreiviertel Stunde hatten die Meisten ihre Geschenke, überwiegend Plüschtiere. „So meine lieben Kinder, nun muss ich fort ...“.

Danach ging ich zu Benny in meinem Kostüm, Antje kam mir entgegen und sagte, dass es nicht gut um Benny stand und Felix schon bei ihm sei. Leise trat ich ins Zimmer.

„Ho Ho Ho“, mir fielen diese Worte jetzt schwer. „Hallo Weihnachtsmann, leider kann ich nicht aufstehen“, seine Stimme war kaum noch zu hören. „Nikolaus, ich war auch ganz lieb, und Thomas, ein Freund von mir sagte mir, ich möge Dich fragen ob ich nach Hause k....“. Bennys Stimme brach ab und er begann zu husten. Felix nickte mir zu. Als Benny sich etwas erholt hatte: „Ja, Benny, du kommst schon bald nach Hause“. Langsam begann sich mein Hals zuzuschnüren. Benny’s Mutter stützte Benny ab, so dass er seinen Kopf zu mir drehen konnte. „Nikolaus, ich kann dich nicht mehr sehen, wo bist du?“ Ich setzte mich neben sein Bett, nahm seine Hand und hielt sie fest. „Da bist du ja, ...“. Bennys Stimme wurde leiser. „Nikolaus, ich habe hier noch ein Geschenk für Thomas, gibst Du ihm das ...? Bitte!“ „Gerne mein kleiner Wichtelmann“, flüsterte ich ihm zu. „Weihnachtsmann, hast Du auch mein Geschenk dabei?“ „Das Lied das Du Dir gewünscht hast?“ „Ja!“

Was sollte ich ihm sagen, doch es war nicht mehr nötig. Leise drang die Melodie ›I'll be home for Christmas‹ durch das Zimmer. In der Tür stand Hans mit einem Saxophon und spielte das Lied, auf seine Weise und nur für Benny. Wir lauschten alle den Tönen, die Hans aus dem Instrument zauberte und als der letzte Ton verklungen war, hörte ich noch ein leises „Danke, Thomas“. Das EKG zeigte eine gerade Linie. Ich ließ seine Hand los. Meine Augen füllten sich und die ersten Tränen rannen über mein Gesicht, Hans kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Ich ließ mich an seiner Schulter fallen. Eine Stunde später, Hans und ich hatten uns erst einmal ins Café des Krankenhauses verzogen, standen Benny’s Eltern vor mir. „Thomas, was Du und Dein Freund heute für Benny getan habt ...“. Benny’s Vater brach ab. „... was Ihr für Benny getan habt, war wohl sein schönstes Weihnachtsgeschenk. Wir wissen nicht, wie wir es Euch danken können ...“

„Ich denke, ich spreche für uns Beide“. Ich schaute zu Hans hinüber, der mir zunickte. „Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Das, was wir für Benny getan haben, haben wir für unseren Freund, den kleinen Wichtelmann Benny getan. Und ich denke, Benny hat selber schon danke gesagt.“

Ich reichte den Beiden mein Geschenk, eine kleine Fotografie, auf der Benny und ich und ein Schneemann abgelichtet waren, auf dessen Rückseite geschrieben stand: für meinen großen Wichtelbruder Thomas. Die Eltern nickten zustimmend, gaben mir die Fotografie wieder und verabschiedeten sich. Hans bestellte sich noch einen Kaffee und für mich eine heiße Schokolade.

„Thomas, wie schaffst Du das bloß?“ „Was?“ „Na, ich frage mich die ganze Zeit, wie Du das verkraftest. Heute Mittag hast Du mir geholfen, dann hier im Krankenhaus die Weihnachtsparty und zum Schluss Benny’s Tod!“ „Hans ich weiß es nicht ...“. Nach einer Pause fügte ich hinzu: „Hans, könntest du mich bitte nach Hause bringen?“ „Kein Problem, ich habe auch schon bei meinen Eltern angerufen und ihnen im Groben erzählt, was Sache ist. Sie meinten ich sollte mir Zeit lassen.“ „Dann lass uns gehen, ja?“

Schweigend gingen wir zum Auto, dicke Flocken fielen zu Boden und deckten die alten Spuren zu. Wir sprachen auch kein Wort während der Fahrt, die nun schon etwas länger dauerte, da die Flocken schon sehr dicht fielen und Hans fuhr sehr vorsichtig. „Möchtest du noch mitkommen, Hans?“, ich schaute zu ihm hinüber, „auf einen Kaffee?“ „Aber nur einen, Thomas!“, ein leichtes Grinsen lag in seinem Gesicht. Bevor er den Wagen per Knopfdruck abschloss, nahm er noch sein Instrument mit. Wir gingen die Treppe hinauf. In jeder Etage glaubte Hans, dass wir da seien, und wunderte sich, dass ich noch einen Absatz höher stieg. „Wie ich sehe, willst Du hoch hinaus?“ „Ja, meine Wohnung ist ganz oben! Komm rein.“, sagte ich, nachdem wir oben angekommen waren und ich die Tür aufgeschlossen hatte. „Du wohnst hier alleine?“ „Ja.“ „Und Deine Eltern wohnen unten?“, wollte Hans wissen. „Nein, die wohnen nicht hier!“. Meine Antwort kam etwas patzig. Für meinen Geschmack zu patzig, denn Hans drehte sich zu mir um. „Oh, entschuldige, ...“, er sah verlegen zu Boden, „dass ich da wohl einen wunden Punkt getroffen habe.“

Ich habe deutlich überreagiert und schämte mich, dass ich ihn so angefahren hatte.

„Kann es sein, das ich etwas zu heftig war?“, ich ging zu ihm hinüber, noch sah er auf seine Füße. „Schau mich bitte mal an ...“, langsam hob er den Kopf, „woher solltest Du denn das wissen? Ich müsste mich ja bei Dir entschuldigen, dass ich eben so reagiert habe. Also, Schwamm drüber?“ Ängstlich sah ich Hans an, vielleicht wollte er nun. Ein Lächeln lag in seinem Gesicht und seine braune Augen strahlten mich an. „GibstDu mir bitte mal Deine Jacke!“, forderte ich ihn auf. Ich versorgte unsere Jacken am Kleiderständer.

„So, nun gehe mal in Wohnzimmer, die linke Tür da.“ Hans ging, und ich folgte ihm. Bevor ich es realisierte, blieb er abrupt stehen und ich lief auf ihn ‘drauf'. „Thomas, hast Du Besuch?“

„Nein, wieso?“ „Da spricht doch jemand!“ „Das ist das Radio, ich habe es heute Morgen angelassen.“ „Ach so.“ Wir traten ins Wohnzimmer und ich machte erst einmal etwas Licht.

„Setz dich einfach, wo Du willst, ich mache mal Kaffee oder möchtest Du einen Tee?“, und ging in den Küchenteil. Hans folgte mir und setzte sich seitlich an den Küchentisch. „Wenn es keine Umstände macht, einen Tee. Gemütlich hast Du es hier!“, sagte er, nachdem er sich etwas umgeschaut hatte. „Na ja, ich gebe mir Mühe.“ Ich holte den Wasserkocher aus dem Schrank und setzte Wasser für den Tee auf, nahm aus einem anderen Schrank meine Teeutensilien und wartete nur noch, dass das Wasser endlich kochte. Ich ging zu meiner Sitzecke im Wohnteil hinüber und öffnete die Vitrine, in der meine Musikanlage stand. „Was möchtest du hören, Hans!“ „Nichts Besonderes!“ Also schaltete ich den Tuner ein, wenn wir uns unterhalten möchten, dann reicht das sicherlich aus, zündete das Teelicht an und ging wieder in die Küche, wo das Wasser gerade brodelte. „Nimmst Du schon mal das Tablett mit, drüben ist es etwas gemütlicher als hier.“ Hans schaute mich an und nickte, nahm die Tassen, den Zucker und die Keksdose und stellte sie auf dem Couchtisch ab. Ich folgte wenig später mit dem Tee. Ich lümmelte mich auf der Couch hin und Hans gesellte sich zu mir. „Na,wer bist Du denn?“, sprach Hans plötzlich.

Ich schaute in die Richtung, in die auch Hans schaute. Xavier hatte sich auf den Stab meiner Halogenlampe niedergelassen. Deshalb stand ich auf, ging hinüber und hielt ihm meine Hand hin. Der Papagei sprang förmlich darauf und ich begann, ihn zu streicheln. Xavier schloss die Augen, zum Zeichen dass es ihm gefiel. Ich ging zu Hans, der sich den Vogel aus der Nähe anschaute.

„Darf ich vorstellen, Xavier das ist Hans, Hans, das ist Xavier.“ Der Papagei öffnete seinen Augen und ‘begutachtete' meinen Besuch. „Darf ich auch einmal?“, wollte Hans wissen und streckte schon die Hand aus. „Gleich, gib ihm erst diese Nuss, damit er weiß, dass Du sein Freund bist.“ Ich gab Hans eine Paranuss, die er Xavier hinhielt. Der Vogel schnappte sich die Nuss mit dem Schnabel und Hans zuckte etwas zurück. „Keine Panik, Xavier hat noch nie jemanden gebissen. Er ist nur etwas misstrauisch gegenüber Fremden ...“. Doch Hans schien schon einen großen Stein bei ihm im Brett zu haben, denn er hüpfte einfach auf Hans noch ausgestreckte Hand. „Aber so wie ich es sehe, vertraut er Dir, jetzt kannst Du ihn streicheln.“

Ich setzte mich wieder neben Hans auf die Couch und schaute ihm zu, wie er über Xavier’s Federkleid strich. Es schien mir so, als ob er nur über die Federn hinweg gleitet, ohne diese zu berühren. Nach einigen Minuten machte der Vogel den Abflug, landete etwas unsanft auf seinem Käfig und letztendlich verkroch er sich in den Bauer, um sich ausgiebig an dem Futter zu laben.

„Kann Xavier auch sprechen?“ „Nö, braucht er auch nicht. Ich verstehe ihn auch so recht gut“, gab ich zur Antwort. Ich griff mir meine Tasse und nahm einen Schluck Tee. Wir lauschen einige Minuten der Musik. „Thomas?“ „Ja?“ „Wir haben heute den ganzen Tag von mir geredet und Du hast mir einen kleinen Einblick in Dein Leben gegeben, aber ...“. „Aber was?“ „Aber wer ist dieser „Thomas“?“ Hans schaute mich an: „Thomas wer bist Du?“ „Ja, wer bin ich?“, dies sagte ich mehr zu mir selbst als zu Hans, ich überlegte noch eine Weile, dann begann ich von mir zu erzählen. Ich erzählte von den Ereignissen der vergangenen zwei Jahre, wie ich Christian und Michael kennengelernt habe, vom Rauswurf aus der elterlichen Wohnung, wie ich zu Opa Hannes zog. Von Benny, wie ich ihn kennengelernt und lieben gelernt habe. Alle diese Dinge erwähnte ich.Und ich habe kaum jemanden kennengelernt, der so aufmerksam zuhörte wie Hans. Ich fühlte mich bei ihm sicher, als ich dann noch auf den heutigen Tag zusprechen kam und die Traurigkeit mich überwältigte, nahm dieser liebe Kerl neben mir mich einfach in den Arm. Da war es wieder dieses kribbeln im Bauch. „Thomas, ich weiß nicht, aber ich hätte schon längst aufgegeben.“

„Hans, ich bin nicht so tough, wie ich tue. Und so manches Mal habe ich mich gefragt, warum ich das alles so mit mir machen lasse. Aber jedes Mal kam etwas, was mich hat weiter machen lassen.“ Ich lehnte mich an seine Schulter. „Opa Hannes, Xavier, Katrin und meine Freunde, Christian und Michael, Benny, die Gruppe und ...“. „Und?“ „... und jetzt Du!“ Ich schaute Hans an: „Weißt Du, dass Du mich heute schon so oft im Arm gehalten, hast und jedes Mal fühlte ich diese ›Energie‹!?“

Erst jetzt realisierten wir, wie eng wir beieinander gesessen sind und noch immer lag Hans Arm um mich. Unbewusst streichelte er meinen Arm und ich genoss seine Berührungen. Wir hielten uns mit unseren Blicken gefangen. Langsam zog Hans mich zu sich, unsere Lippen berührten sich zaghaft. Dann öffneten sich unsere Lippen und unsere Zungen begannen miteinander zu spielen. Für meinen Geschmack trennten wir uns viel zu früh voneinander. Wir schauten uns nur an und jeder wusste, was der andere dachte: ‘Ich habe mich in Dich verliebt'. „Thomas?“ „Ja, was gibt es denn?“ „Ich habe doch von diesem Jungen aus der Schule gesprochen.“ „Ja, was ist mit ihm?“

„Ich habe da eine Kleinigkeit unterschlagen.“ Was wollte Hans mir da sagen, war ich nur ein Abenteuer? Ich schrak aus meiner Position hoch. „Die da wäre, dass Du noch immer in ihn verliebt bist?“ „Ja, das bin ich tatsächlich und er ist auch in mich verliebt.“ „Und warum bist du nicht bei ihm, anstelle bei mir zu sein!“ Also war ich doch nur ein Abenteuer. „Bin ich doch, Du bist der Junge aus der Schule, Thomas!“

Bis ich das realisiert hatte, zog Hans mich wieder zu sich und versiegelte meinen offenen Mund, mit einem leidenschaftlichen Kuss. „Wann musst Du eigentlich wieder zuhause sein, Hans?“ „Wie spät haben wir denn?“ „Gleich Acht!“ „Sch..., kann ich mal dein Telefon benutzen?“ „Ja, liegt im anderen Zimmer, ich hole es mal eben.“ Ich ging ins Schlafzimmer und holte das mobile Telefon, drückte es Hans in die Hand, der sofort die Nummer wählte. Nach einigem Tuten ging wohl jemand dran. „Hi, Paps. Ich bin noch bei Euch auch eine gute Nacht“, dann legte er auf. „Paps meinte, ich sollte mal aus dem Fenster schauen, es scheint wohl sehr viel geschneit zu haben.“ „Dann komm mal mit.“ Wir gingen in den Wintergarten und schauten auf den Balkon. Die Schneedecke auf dem Balkon war um einen halben Meter gewachsen. „Paps meinte, ich sollte heute bei meinem Freund bleiben.“ Er schaute mich fragend an: „Nur wenn mein Freund es auch möchte, Thomas ...“.

Ich stellte mich neben Hans und legte meinen Arm um seine Hüften. So standen wir eine Weile da und sahen dem Schneetreiben zu. „Thomas, ich finde diese Jahreszeit eigentlich recht angenehm. Ich meine, der Schnee deckt alles in ein Wattepolster, der Lärm verstummt, die Sorgen, der Kummer, ... all diese Dinge scheinen nicht mehr so wichtig. Glaubst Du, das ist mit der Liebe genau so?“ „Schon möglich Hans. Schau einmal uns Beide an, ich liebe Dich und all der Schmerz des Tages, die Sorgen und den Kummer, den ich habe, sind irgendwie nicht mehr so wichtig, weil Du da bist.“ „Mir geht es genauso!“

Wir schauten uns an und ich sah in seinen braunen Augen dieses Leuchten, wie Kinder es am Weihnachtsabend haben. Diesmal war es ein sehr feinfühliger zärtlicher Kuss, in dem wir uns verloren. „Hans mir wird kalt und ich habe Hunger“, sprach’s, nachdem ich mich wieder von ihm trennte. „Zu einem kleinen Mahl sage ich nicht nein und etwas Wärme täte mir auch gut.“ Damit schob er mich vor sich her in die Küche. „Was gibst Du mir denn zu essen?“, sprach er zwinkernd zu mir. „Kommt ganz darauf an!“ „Worauf?“ „Wie gut Du im Kochen bist!“, und grinste ich ihn übertrieben freundlich an. „Arsch.“ „Schau mal im Kühlschrank, was da so drin ist, vielleicht hast Du ja eine Idee. Ich bringe Xavier erst einmal ins 'Bett'.“

Diese Aktion hört sich wilder an, als sie ist, denn Xavier saß schon auf seiner Stange im Käfig und döste schon vor sich hin, ich brauchte nur noch die Decke über den Bauer zu legen und schon war ich wieder fertig. „So, was gibt es heute Abend?“ „Große Lust zu Kochen habe ich eigentlich nicht, reicht Brot und Aufschnitt aus?“ „Gut, dann mache ich noch etwas Rührei, möchtest Du auch?“ „Gerne.“

Bald saßen wir am Tisch und aßen, währenddessen plauderten wir über Gott und die Welt.

„Hast du eigentlich auch einen Weihnachtsbaum, Thomas?“ „Jo, so'n kleinen mit Wurzel, steht noch im Wintergarten. Ich wollte ihn heute Abend ja noch schmücken.“ „Und?“ „Was und?“ „Fängst Du heute noch an, den Baum zu schmücken?“ „Nein, ich bin einfach zu kaputt, der heutige Tag hat gereicht. Es macht ja nichts, wenn ich es morgen tue, oder?“ „Ich fände es zwar schön, wenn der Baum morgen früh schon fertig ist, aber ich denke Du hast recht. Dieser Tag war nicht einfach und ich selber habe ja auch kaum geschlafen letzte Nacht.“ Ich schaute Hans an und ein Lächeln umspielte seine Lippen, da hat wohl jemand noch andere Gedanken ... „Dann können wir gleich beruhigt schlafen gehen, was meinst Du?“ „Scho' recht. Ich mache es mir hier auf der Couch bequem.“ „Du musst nicht auf der Couch schlafen …“ „Ähm, Thomas, ich habe noch nie ...“ „Dann wird es ja Zeit ..., ich meine, ich möchte Dich heute Nacht neben mir spüren, mich einfach an Dich anlehnen. Ich fühle mich einfach wohl in Deiner Nähe.“

Hans schaute verlegen drein. Ich stand auf, ging zu Hans und lehnte mich von hinten über ihn, dann flüsterte ich ihm ins Ohr, das ich auch noch nie mit einem Jungen geschlafen hätte und mir da auch Zeit lassen möchte. Hans drehte seinen Kopf und gab mir einen leichten Kuss auf den Mund. „Je t'aime!“ „Moi aussi, mon bonhomme! Je t'aime.“

Wir räumten noch den Tisch ab und machten uns Bett fertig. Erst ging Hans ins Bad. Während dessen legte ich ihm ein T-Shirt und eine Boxershorts heraus. Als ich anschließend aus dem Bad kam, lag Hans schon im Bett und ich legte mich neben ihn, löschte das Licht und suchte seine Nähe. Eigentlich wollte ich mich ja an Hans lehnen, stattdessen kuschelte er sich an mich, ich legte meinen Arm um ihn und zog ihn noch etwas näher an mich heran. „Gute Nacht!“, flüsterte ich ihm leise zu. „Nacht, Tommi“, kam es schon recht schläfrig von ihm. Dann spürte ich seine gleichmäßigen Atem. Hans schien schon eingeschlafen zu sein. Ich reflektierte noch einmal den vergangenen Tag und entschwebte dabei in die Traumwelt. Mitten in der Nacht wachte ich auf, irgendetwas hatte mich geweckt. „Habe ich dich geweckt, Tommi?“ „Hmmm?“ „Ich musste mal für kleine Jungs.“ „OK, komm ...!“ Diesmal lehnte ich mich an Hans, der mich in seinen Arm nahm, und bei soviel Zuneigung schlief ich sofort wieder ein.

Am Morgen wusste ich zunächst nicht, wie mir geschah. Ich spürte, irgendetwas belastet mich. Ich sah an mich hinab und realisierte, dass Hans seinen Arm über meine Brust gelegt hatte. Sein Kopf lag an meiner Schulter und sein Atem streifte meinen Hals entlang. Er sah so friedlich aus, wie er da lag und ich konnte nicht anders als ihn einfach nur anzusehen. Unwillkürlich strich ich ihm über den Rücken, nach einer Weile lag ein Lächeln auf seinen Lippen und er kuschelte sich noch etwas näher an mich heran. Etwas Hartes stieß an mein Becken und das Gesicht, neben mir wurde rot. *g*

„Morgen, es muss dir nicht peinlich sein!“ „Woher willst Du wissen, dass es mir peinlich ist?“, sprach Hans mit geschlossenen Augen. „Ich würde sagen, Deine gesunde Gesichtsfarbe spricht Bände.“ Dies hatte zur Folge, dass nun auch seine Ohren zu glühen begannen. „Mir geht es da nicht viel anders ...“ Noch bevor er etwas erwidern konnte, verschloss ich seinen Mund mit dem Meinigen. Hans drehte sich etwas und ich folgte ihm, sodass nun ich auf ihm lag und diesmal spürte er meine Latte. Ich unterbrach den Kuss und sah ihn mir an. Hans funkelte mich mit seinen braunen Augen an und es lag etwas Spitzbübisches in seinem Grinsen. „Thomas, ich fühl mich glücklich.“ Wie konnte ich da noch widerstehen und unsere Zungen verschmolzen ineinander. Hans strich mir über den Rücken und ich bekam eine Gänsehaut. Er schob mein Shirt hoch und ich unterbrach unsere 'Kommunikation'. Dann flogen zwei T-Shirts durch die Gegend.

Ich schwebte über Hans im Liegestütz und ließ mich langsam sinken. Als sich unsere nackten Körper berührten, durchzuckte es mich - mit jedem Quadratmillimeter - mehr und mehr. Endgültig ausgezählt war ich, als Hans mit seiner Hand langsam vom Kopf abwärts den Rücken entlang fuhr. Ich ließ mich fallen. Unsere Lippen berührten sich und ich fühlte dieses Verlangen nach diesem Menschen, auf dem ich jetzt lag. Unsere Hände gingen auf Wanderschaft und es gab keine Grenzen. Ich spürte, wie Hans mir in die Shorts fuhr und meinen Po massierte und seufzte leicht auf. Langsam wieder Herr meines Bewegungsapparates, fing ich an, Hans überall zu liebkosen. Ließ meine Zunge über seinen Hals fahren, beschäftigte mich intensiv mit seinen Brustwarzen und wanderte weiter zu seinem Bauchnabel. Pausierte einen Augenblick, um seinen goldenen Flaum zu bewundern und strebte dem Ziel konsequent entgegen ... (nun dürft ihr Euch ein paar warme Gedanken machen. *fg* )

Knapp eine Stunde später schreckte Hans auf, weil das Telefon läutete. „Geh mal ran, Hans. Bitte, ich träume noch …“ „Sklaventreiber!“ „Müller!“, meldete sich Hans selbstverständlich.

„Augenblick mal ...“, drückte die „Stummtaste“ und zu mir gewandt: „Thomas Gärtner?“

Ich nickte ihm zu und griff schon nach dem Hörer, doch Hans verweigerte ihn mir. Wieder zum Telefonteilnehmer gerichtet: „Ja, der wohnt hier, aber er schläft noch, kann ich etwas ausrichten?“

Ich sah Hans an, wie er dem Teilnehmer lauschte. Neugierig wollte ich wissen, wen er da an der Strippe hatte. „OK, werde ich ihm mitteilen und frohe Weihnachten“, sprach er freundlich und legte auf. Zum ersten Mal sah ich bei meinem Hans, wie ein Schatten über sein Gesicht huschte und sich Wutfalten auf seiner Stirn bildeten. Dieser Gesichtsausdruck beunruhigte mich. „Wer war das, Hans?“, wollte ich besorgt von ihm wissen. „Kennst Du eine Claudia Gärtner?“ Mein Gesicht wurde weiß. Dieser Name bedeutet am Weihnachtsmorgen nichts Gutes. „Ja, die Frau, welche mal meine Mutter war, heißt so. War sie das?“ Hans nickte, er schaute mich traurig an. „Und was wollte sie?“ „Dein Opa war sehr reich, als er gestorben ist?“ „Spann mich nicht auf die Folter, Hans …“ „Bitte beantworte mir erst die Frage, war er nun reich?“ „Ja, war er. Er hatte ein gutes Händchen für Geschäfte gehabt und die Stiftungsgrundlage lag bei fünf Millionen Euro. Wieso?“

„Sie teilte mir mit, dass sie eine Strafanzeige gegen dich erwirkt habe, wegen Veruntreuung von Stiftungsgeldern in Höhe von 150 000 Euro!“ Ich schaute Hans an. Das war wirklich ein Ding. Sie wollte mir wirklich meinen Weihnachtstag verderben. Dann begannen meine Mundwinkel leicht zu zucken und endeten in einem kräftigen Lachanfall. Hans verstand die Welt nicht mehr! „Drehst D jetzt ganz ab?“ „Nein, mein Lieber ...“, versuchte ich zwischen zwei Lachattacken los zu werden, und als ich mich einigermaßen gefangen hatte, „Hast Du Lust mit mir zu frühstücken?“ „Gerne, aber ich verstehe Dich nicht?“ „Ich erkläre es Dir beim Brunch, O.K.?“ Damit zog ich Hans zu mir und gab ihm einen sanften Kuss. „Darf ich meine Eltern anrufen? Nur damit sie wissen, dass Du mich noch nicht vernascht hast.“ „Kein Problem, mach' ruhig.“ Damit verließ ich das Bett und machte mich auf dem Weg ins Bad. „Hat Dr schon jemand gesagt, dass du gut aussiehst?“

„Ja, Christian und Michael, in der Sauna vor drei Wochen, aber was ich vorhin von dir gesehen habe ...“ „Ja?“ „... auch nicht von schlechten Eltern!“ Dmit verließ ich das Zimmer. Eine dreiviertel Stunde später kam Hans zu mir in die Küche. „Na, was gibt es denn?“ „Setzt dich einfach, steht schon alles auf dem Tisch, ich hol' eben den Kaffee.“ „Na, Xavier, alter Knabe.“ Ich sah zu Hans hinüber, wie er den Papagei streichelte. Ich lächelte still in mich hinein. Es sah einfach süß aus, wie Hans mit dem Vogel umging. Ich glaube bei den Beiden war es Sympathie auf den ersten Blick, sie verstanden sich einfach. Erst als Xavier sich aufmachte um wieder zu seinem Bauer zu kommen, setzte ich mich zu Hans an den Tisch. „Ihr versteht Euch Beide prächtig, kommt nur sehr selten vor, dass Xavier so zutraulich zu Jemandem ist.“ Jeder nahm sich, was er wollte und wir fingen an zu essen. „Das letzte Mal war's Benny. Die beiden hatten sehr viel Spaß miteinander.“ „Ich denke Tiere spüren so was, wenn jemand ihnen nichts Böses tun will ...“. Hans machte eine Pause, um einen Schluck Kaffee zu trinken, „und was ist das jetzt mit der Anzeige, Thomas?“ „Also, würdest du mir so etwas zutrauen? Ich meine Gelder zu unterschlagen!“

Hans zuckte mit den Schultern und schüttelte dann den Kopf. „Gut, ich kann es mir nämlich auch nicht vorstellen, da ich nicht einmal an die Gelder kommen kann. Diese 150 000 € wurden auf meinen Vorschlag hin dem Krankenhaus zur Verfügung gestellt und zwar für das Projekt ›Lernen. Du hast gestern selbst gesehen, dass es dort Langzeitpatienten gibt. Und damit diese nicht den Anschluss an ihre Klasse verlieren, wurde ein Lehrer engagiert, der genau diese Lücke schließen soll. Vor zwei Wochen habe ich den Bericht der Stiftung zu diesem Pilotprojekt gelesen und da alle Parteien - soll heißen Schule, Krankenkasse, Ärzteschaft und öffentliche Hand - sich dazu positiv geäußert haben, wird Dieses zur ständigen Einrichtung. Die Kosten teilen sich die Stadt und die Krankenkassen. Damit wurden keine Gelder je veruntreut, da genau so etwas ausdrücklich in der Stiftungssatzung festgehalten ist.“ „Und woher weißt du das so genau?“ „Mit Opa Hannes habe ich oft darüber gesprochen und er hat es mir bis in alle Einzelheiten erklärt. Jeder hat das Recht Vorschläge einzureichen. Ob diese auch umgesetzt werden, entscheidet eine Kommission, jedenfalls nicht ich.“ Ich biss herzhaft in eine Semmel und trank von meinem Kaffee. „Und die Frau Gärtner ...?“ „Ich denke, sie neidet mir, das sie leer ausgegangen ist. Daher versucht sie mir regelmäßig die Stimmung zu vermiesen, besonders an Feiertagen, wie diesem.“ „Unternimmst du etwas?“ „Ich werde es an die Rechtsabteilung der Stiftung weiterleiten, das ist die richtige Stelle, warum sollte ich mir deswegen Sorgen machen? So und nun lass uns den Tag genießen, was haben deine Eltern gesagt?“ „Dad holt mich zum Familienkaffeetrinken ab, er möchte nicht, dass ich fahre und meinte etwas frische Luft täte ihm gut. Und was wirst du so machen, ich meine ...“ „Ich werde gleich den Vogelbauer reinigen und mich an den Baum machen. Um 18 Uhr bin ich wieder im Krankenhaus und spiele mit einigen Kindern, lese ein Märchen vor oder mache sonst was.“ „Hättest du etwas dagegen, wenn ich mitkomme?“ „Nein, ich würde mich sogar freuen.“ „Dann komme ich so gegen halb sieben ins Krankenhaus, ist das OK?“ „Jao.“

Wir machten uns daran den Käfig zu säubern, Hans drückte ich die Sitzstangen in die Hand, die er mit einer milden Seifenlauge abwusch. Xavier setzte sich neugierig auf seine Schulter und schaute ihm dabei zu. Ich nahm mir den Boden vor, und bevor noch eine Stunde vergangen war, war diese Aktion auch schon wieder vorbei. Bevor wir uns nun an dem Baum zu schaffen machten, stellte ich noch eine flache Schüssel Wasser auf den Tisch, Hans schaute fragend drein. „Xavier muss noch baden“, klärte ich ihn auf. „Ach so, macht er das denn freiwillig?“ Ich zuckte mit den Schultern.

„Normalerweise schon. Komm gehen wir und lassen ihn hier in Ruhe, er ist manchmal etwas eitel, wenn jemand zuschaut. Wir können uns ja mit dem Baum beschäftigen.“

Ich ging zu dem Baum und beschäftigten uns mit dem Baum, oder auch nur mit uns, je nachdem was wir gut fanden. Es läutete an der Haustür und ich betätigte den Türsummer, nachdem ich Herr Müller gesagt habe, dass ich ganz oben wohnen würde. „Hey, Thomas, ich finde unseren …, ehm, deinen Baum echt gut gelungen!“ „Es ist unser Baum, wir haben ihn zusammen so hinbekommen und ich muss sagen ...“ „Was?“ „Es is en scheeee Bäumsche, find's niiet?“ „Jo moi, i gloaub ab'n do fehlt noch woas?“ „Ich glaube, da habe ich das Richtige mitgebracht, ihr Beiden“, meldete sich Herr Müller auf einmal und gab Hans eine Schachtel. Hans nahm diese und gab sie an mich weiter. Ich schaute von einem zum anderen. Beide sahen mich an. Langsam öffnete ich die Schachtel und es lag nichts weiter darin, als ein kleiner Strohstern an einem roten Faden.

„Hans bat mich diesen Stern mitzubringen, es ist der Strohstern, den Hans immer an unseren Baum gehängt hat.“ „Aber …?!“ „Thomas, ich habe heute Morgen Dad gesagt, dass ich mit dir zusammen bin. Es ist ein kleines Geschenk für meinen Freund.“ „Danke Hans.“

Ich umarmte ihn und gab ihm einen ganz lieben Kuss. Bis sich etwas räusperte. Dann sah ich noch einmal auf den Stern und zu Hans. „Dann sollten wir ihn zusammen an den Baum hängen.“

Wir gingen zum Christbaum und hängten gemeinsam diesen Stern ganz nach oben. Als wir ihn in einiger Entfernung alle zusammen betrachteten, schien es mir, als würde unser Stern besonders leuchten.

Etwas Warmes fiel auf meinen Bauch und ich öffnete meine Augen. Ganz orientierungslos schaute ich mich um. Die ersten warmen Strahlen der Sonne fielen durch das Fenster direkt auf unser Bett. Jetzt - Anfang Februar - schien das Wetter mit uns zu sein. Denn seit einigen Tagen war es immer sonnig draußen gewesen. Gut, noch Sau kalt - aber trocken. Dann erblickte ich meinen Schatz an meiner Seite. Er hatte seinen Arm quer über meinen Bauch gelegt und schlummerte friedlich vor sich hin. Er schien Schönes zu träumen, denn er lächelte etwas. Er sah aus wie ein Engel. Sein Haar schimmerte etwas gülden in der Sonne. Ich blickte über ihn hinweg zu dem Wecker auf seiner Seite, es war fast neun an diesem Mittwoch, Zeit um sich der harten Realität des Schulalltags zu stellen. Hans „wohnte“ nun schon seit eineinhalb Wochen bei mir. Wohnen konnte man es nicht nennen, da er fast nur übernachtete. Tagsüber war er in der Schule - so wie ich - oder passte daheim auf die elterliche Wohnung auf. Seine Eltern hatten sich zu Weihnachten eine vierwöchige Urlaubsreise auf die Malediven gegönnt und Hans war - seit deren Abflug - abends immer bei mir. Mein Schatz regte sich etwas an meiner Seite.

„Guten Morgen!“, flüsterte ich ihm zu und gab ihm einen Kuss und noch einen und ... bis er reagierte. „Guten Morgen, Tommi. Warum holst Du mich aus dem Reich der Träume?“ „Weil die Realität ruft, es ist gleich neun.“ „Bähh, ich will nicht zur Schule.“ „Ich im Prinzip auch nicht, doch wir müssen. Aber wenn Du jetzt schön brav aufstehst, machen wir uns noch ein urgemütliches Frühstück. Was hältst Du davon, Babe?“ „Hört sich vielversprechend an, außerdem ein Tag mit Dir - mon cher - zu beginnen, ist der Mühe schon Wert. Machst du Kaffee oder Tee?“ „Wie du möchtest, ich mache Tee für Dich und Kaffee für mich!“ „Nee, lass mal. Ich nehme auch Kaffee.“

Einmal noch berührten sich unsere Lippen zu einem innigen Kuss und dann konnte der Tag beginnen. „Hey Tommi, in der engen Shorts siehst D richtig sexy aus ...!“ Ein prüfender Blick und meine Gesichtsfarbe änderte sich in Bruchteilen einer Sekunde in Tomatenrot ... *g*


Ich ging aus dem Zimmer in die Küche und bereitete den Kaffee vor und versorgte meinen Papagei. Nachdem ich mich etwas beruhigt hatte, zog ich mir eine Jogginghose und ein Sweatshirt über und stiefelte die drei Etagen hinab um die Zeitung zu holen. Als ich an Doc Hausachs Wohnung im ersten Stock anlangte, kam mir dieser mit etwas viel Schwung entgegen. Er prallte mit seiner Breitseite voll auf mich drauf. Es war zum Glück nur ein leichter Schubs, den er mir versetzte und mich etwas aus der Bahn warf, aber nichts Weltbewegendes. „Morgen Doktor, nicht so stürmisch heute“. Ich sagte dies lachend zu ihm. Doch er schaute mich nur kurz an, entschuldigte sich und machte, dass er fortkam. Komisch, sonst hat er doch immer einen Small-Talk gehalten. Es schien wohl etwas Wichtiges zu sein. Ich zuckte nur die Schultern und ging nach oben. Ich legte die Zeitung auf die Anrichte und verschwand ebenfalls ins Bad. Hans rasierte sich gerade, als er mein Spiegelbild erblickte. „Sag einmal Thomas, hast du einen Geist gesehen oder bist du noch immer verlegen wegen vorhin?“ „Nein, und fast Hans ...“. Ich erzählte ihm von dem Vorfall im Treppenhaus. „Ist zwar etwas ungewöhnlich, gerade bei Felix, dem Schwätzer, aber mach dir da keine Gedanken. Ist sicherlich ein Notfall, zu dem er gerufen wurde.“

„Du hast sicherlich recht …“.

Ich zog mich aus und stieg unter die Dusche. „Hans, machst du für mich auch einen Toast?“ „Ja!“ Dann hörte ich nur noch das Wasser rauschen.

„Hey, Du bist ja schon mit dem Tischdecken fertig. Danke Schatz.“ Hans war wirklich flott - oder ich trödelte *g*. Jedenfalls bekam er erst einmal einen Dankeschönkuss von mir und ich strubbelte ihm dabei durch sein Haar. Er bedeutete mir mich zu setzen, schenkte uns Kaffee ein, und setzte sich neben mich. Ich nahm einen Toast und schmierte mir Margarine darauf. Dann suchte ich das Glas mit der Schokocréme. Ich wollte Hans einen Schokocrémetoast machen, weil ich ihn etwas Wichtiges fragen wollte. „Gibst du mir bitte mal die Schokocréme?“ „Bitte! ... Aber bist du dir sicher?“ „Hundert pro!“ ich nahm das Glas entgegen und machte die Schnitte fertig.

Mein Schatz hatte nichts Besseres zu tun, als mir dabei zu zusehen. Danach reichte ich ihm die fertige Scheibe. „Bitte, für Dich, Babe!“ und strahlte ihn an. Ich hatte die Entscheidung getroffen, mit Hans zusammenzuziehen! „Hans, könntest Du dir vorstellen bei mir zu wohnen?“

„Danke! Wieso, mach' ich doch schon?“ „Nein, ich meine richtig. So ein gemeinsamer Haushalt, nicht nur für ein paar Tage!“

Hans verschluckte sich fast an einem Bissen und schaute mich mit großen Augen an, dann machte es bei ihm 'klick' und seine Augen begannen zu leuchten. „Du meinst es ernst?“

„Nein, mein Großer, ich nehme Dich nur gehörig auf den Arm und breche mir dabei einen ab …

Sicher mein ich es ernst. Du bist mein Glück und ich liebe Dich. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als mit Dir zusammenzuleben.“ „Ich weiß nicht was ich sagen soll ...“ „Sag einfach „Ja!“ Tat er natürlich nicht, ich meine einfach ja sagen. Nein, er beugte sich zu mir hinüber und küsste mich. „Ich interpretiere dieses mal als Deine Zustimmung!“ „Ja, Tommi!“, und er wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann hüllte er sich für einen Moment in Schweigen.

„Thomas, wie lange denkst du schon darüber nach? Ich meine, so wie ich dich bisher kennengelernt habe, brichst Du 'große' Entscheidungen nicht übers Knie.“ „Also, ganz so lange noch nicht. Am vergangenen Wochenende sprach Felix mich darauf an, ob die Wohnung für uns noch ausreichend ist. Er deutete an, dass er gerne ein 'abgeschiedenes' Büro hier einrichten möchte.“ „Wieso Felix?“ „Na weil er unter anderem mein Vermieter ist.“ Ich biss von meinem zwischenzeitlich erstellten Erdbeerkonfitüre - Toast ab. „Da habe ich ihn auch gleich gefragt, ab wann es für ihn aktuell sein wird. Er meinte spätestens zum Sommer, jedoch wäre er auch gerne etwas früher hier drin.“ Dabei deutete ich auf meine kleine Wohnung. „Ich möchte nun Deine Meinung dazu wissen, da ich diese Angelegenheit ja nicht für mich alleine entscheiden will.“

„Also, ich würde mich echt freuen mit Dir zusammenzuleben. Ich meine, in den letzten Tagen - besonders wenn ich alleine daheim bin - ich freue mich auf den Abend, wenn ich weiß, dass ich wieder hier sein kann ... Thomas, Du fehlst mir einfach!“ Konnte es sein, das ich rot wurde, zumindest fühlte es sich so an. Gut, ich bekomme ja auch nicht jeden Morgen eine Liebeserklärung zwischen Kaffee und Toast serviert. Ich legte meine Hand auf Hans' Hand und streichelte sie. Wir sahen uns verträumt an. „Schatz, und wie geht es nun weiter?“

„Hm ...“, ein leichtes Grinsen zog durch mein Gesicht, „ich denke wir räumen auf und machen uns auf den Weg?!“ „Arsch!“ „Gern geschehen, aber wir sollten jetzt nichts übers Knie brechen.“ „Mann, Du bist ja sooooo vernünftig.“

Die Worte trieften vor Ironie, aber das mochte ich an Hans. Er hatte ein Gespür dafür, wann es ernst war und wann spaßig. Zusammen stellten wir das Geschirr in die Spülmaschine und anschließend verzogen wir uns. Ich für mein Teil ging noch mal ins Bad, um die Zähne zu putzen. Eine Viertelstunde später verließen wir die Wohnung, draußen war es - obwohl der Himmel Azur war und die Sonne schien - s...kalt. Ein Grund für mich eine Hand in die Tasche von Hans' Jacke zu stecken, seltsamerweise traf ich dort meist auf eine Andere. „Guten Morgen Jungs“, quäkte eine Stimme von der anderen Straßenseite herüber. „Guten Morgen Frau Schmidthuber“, begrüßten wir unsere Nachbarin. Frau Schmidthuber hatte uns am Weihnachtstag zusammen händchenhaltend durch die Straße schlendern sehen und ihre Meinung über uns als Paar war sicherlich nicht die selbstverständlichste. Seit Hans ihr beim Schneeschippen mal geholfen hat und sie ihn 'ausfragen' konnte, akzeptierte sie uns. Wie Hans mir später erklärte, hatte sie ihr 'Bild' von Homosexuellen aus den Talkshows und konnte sich nur schwer vorstellen, das es da auch etwas anderes geben könnte. „Schönes Wetter heute, gelle?“ „Ja, sagt mal Jungs, ist der Doktor noch da?“ „Nein, Herr Hausach ist schon weggefahren.“ „War es was Dringendes, Frau Schmidthuber?“ „Nein, nicht so wichtig!“ „Dann wünschen wir ihnen noch einen schönen Tag.“ „Ja, macht mal das ihr zur Schule kommt ...“ Hans lächelte mich an, beim Weitergehen.

„Ja, Thomas, wie geht es denn nun weiter. Ich meine wohnungsmäßig?“ „Ich denke wir sollten uns über einige Dinge im Klaren werden. Da wäre zuerst einmal, wie soll die Wohnung aussehen, dann was können wir uns leisten. Ich bekomme zwar einen guten 'Unterhalt' von der Stiftung, aber damit muss ich haushalten. So sehe ich die Sache.“ „Ich denke mal, dass meine Eltern mich finanziell unterstützen werden und dann kann ich ja auch noch jobben!“ „Wenn dabei nicht die Schule zu kurz kommt, mein Lieber. Übrigens wir sind da! Sehen wir uns zur Pause?“ „Ja!“

Bevor wir uns trennten, um unsere Klassenräume aufzusuchen, gab ich meinem Schatz schnell noch ein Bussel. So gestärkt gingen wir voller Tatendrang an Alltag an. Hans hatte jetzt Geschichte, während ich mich mit einer Kurvendiskussion beschäftigen durfte. Ist eigentlich jemanden schon mal aufgefallen, dass es dabei sicherlich nichts zum Diskutieren gibt und bei der Präsentation der Resultate alle das Gleiche herausbekommen sollten? Fast, mein Ergebnis lag meilenweit davon entfernt. Sagen wir mal so, ich hatte in diesem Fach eine sichere Zwei, doch hierbei machte ich wirklich eine schlechte Figur. „Thomas, wie ich sehe hast du noch Schwierigkeiten mit dieser Thematik!“ Herr Schneider, mein Mathelehrer ging durch die Reihen und schaute jedem bei der Lösungsfindung über die Schultern. Ich schien schon im Ansatz etwas falsch gemacht zu haben und er deutete mit dem Finger auf eine Gleichung. Ich schaute ihn an und er lächelte mich aufmunternd an, so nach dem Motto: „Denk noch einmal nach und gib nicht auf.“ Ich war mir sicher, dass ich gleich meine Lösung an der Tafel präsentieren durfte. Also sah mir diese Geschichte noch einmal an und erkannte, das ich in der Ableitung etwas vergessen hatte.

Herr Schneider nickte. Dann ging er zum nächsten Schüler, auch hier sprach er einige Worte. Sie schienen aber nicht besonders anzukommen, denn Herr Schneider ging weiter und schüttelte nur den Kopf. Ich schaute noch einen Augenblick zu dem Jungen hinüber, bevor ich mich wieder mit meinem Problem beschäftigte. Es dauerte auch noch eine Weile, bis der erlösende Pausengong ertönte. „Halt!“, sprach der Mathelehrer, als die ersten Schüler schon ihre Sachen wegpacken wollten. „Bevor ihr alle nun vor Langeweile sterbt oder euer Gehirn mit anderen Sachen ruiniert, macht doch die Aufgaben auf Seite 98ff. Wir sehen uns dann am kommenden Montag wieder.“ Damit war sein Unterricht beendet, fast … „Thomas, kommst Du mal her?“ Ich glaube nicht, dass er ein „Nein“ akzeptiert hätte. Also ging ich zum Pult. „Thomas, ich weiß, dass Du ein guter Schüler bist und diese ganze Geschichte um Differentialrechnung und Kurvendiskussion ist nicht so ganz ohne. Wenn Du Hilfe brauchst, in der 11B gibt es einen Schüler - Mathias - mit dem kannst Du ja mal sprechen.“

„Danke Herr Schneider. Darf ich?“ „Es ist Deine Pause, mach Dich von dannen ...“, grinste er mir zu und schaute zur Tür. Dort stand Hans und wartete schon auf mich. „Na, was wollte er?“ „Er hat mir einen Tipp gegeben. Ich komme mit der Thematik in Mathe nicht so zurecht und mein Gefühl sagt mir, das ich die nächste Arbeit in den Teich setzten werde. Sag mal, kennst du einen Mathias, der soll bei dir in der Klasse sein?“ „Ja, ein eher stiller Kerl, scheint ganz nett, er ist unser Mathe- und Physikgenie. Manche von meinen Mitschülern mobben ihn als Streber. Ich denke aber, dass ihm diese ganze Sache nur Spaß macht, denn in drei anderen Fächern sieht es bei ihm nicht so rosig aus. Ansonsten habe ich mit ihm nicht sehr viel zu tun. Komisch, jetzt fällt mir erst auf, dass ich meine Mitschüler gar nicht so richtig kenne ...“ „Glaubst Du, dass er mir Nachhilfe geben könnte?“ „Da musst Du ihn selber fragen. Komm, wir gehen ihn mal suchen, sicher ist er auf dem Pausenhof.“

Wir gingen hinaus und hielten nach Mathias Ausschau. Hans entdeckte ihn bei der alten Birke, auf einer Bank sitzend und die Sonne genießend. „Hi Mathias“, begrüßte ich ihn. „Hi!“ „Du genießt die Sonne?“ „Nicht direkt, Thomas. Ich mache so eine Art Selbstversuch!“ Also Humor schien er ja zu haben. „Darf ich Dich in deinem Experiment mal stören?“ „Wenn es sich nicht vermeiden lässt, was möchtest Du?“ „Ich habe gehört, dass du in Mathe fit sein sollst und da hapert es bei mir ...“, ich erzählte ihm von der Unterredung mit Herrn Schneider. „Hm, könnte ich machen, nur ...“, er unterbrach sich. „Was nur?“, hakte ich nach. „... nur gebe ich Schwanzlutschern keine Nachhilfe!“, ein hämisches Grinsen zog über sein Gesicht.

Das saß. Ich schaute zu Hans hinüber, der mich zornesrot anstarrte. Jetzt nur nicht die Fassung verlieren, lautete die Devise. Bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich Hans schon wieder im ruhigen Ton reden. „Ja, Mathias, es ist Deine Entscheidung“. Ein teuflisches Grinsen machte sich auf dem Gesicht meines Freundes breit. „Komm Thomas, lassen wir ihn sein Experiment fortführen. Ich denke, dass wir auf seine Hilfe verzichten können. Ich könnte ja mal Frau Simon vom physikalischen Institut der Uni fragen. Sie kennt sicherlich einen Studenten, der Nachhilfe in Mathe gibt.“ Wir drehten uns zum Gehen um. „Du kennst Frau Simon?“, hörten wir Mathias noch aufgeregt fragen, doch reagierte Hans nicht mehr darauf. „Wer ist Frau Simon, Hans?“ „Frau Simon, ist die Leiterin des physikalischen Instituts der Uni. Sie hat ihre Doktorarbeit über ›Die Materialsicherheit in der Luft- und Raumfahrt, bei intensiver Strahlungsbelastung im All‹ geschrieben und arbeitet seit ihrer Habilitation eng mit der ESA zusammen. Sie war damals bei der D2 - Mission eine der Leiterin für die physikalischen Experimente.“ „Und woher kennst Du sie?“
„Mein Paps spielt im gleichen Schachclub wie Frau Simon und daher kenne ich sie auch.“ „Und was hat unser homophober Mitschüler …?“ „Mathias?“ Ich nickte Hans zu. „Mathias, interessiert sich eben für die Luft- und Raumfahrt. Doch so wie es scheint, wird er nie soweit kommen. Denn eines der Fächer, in denen er schlecht abschneidet, ist Englisch. Mathe und Physik alleine nutzen in diesen Bereich nichts, wenn er sich nicht verständigen kann. Er sieht seine Felle davon schwimmen, wenn Frau Simon das erfahren würde. Hier - in dieser Gegend - gibt es keinen Weg an ihr vorbei, wenn man Physik studieren will.“ „Und willst Du es ihr sagen?“ Hans schaute mich entgeistert an. „Nö, warum sollte ich. Es geht mich doch nichts an, nur weiß das Mathias nicht ...“, grinste er, „außerdem wird sie es sicherlich selber merken, wenn er hier studieren sollte.“ Ich knuffte meinem Hans in die Seite - ganz vorsichtig natürlich - doch ich hatte ja immer noch das Problem in Mathe. „Hans, und was mache ich jetzt? Ich meine, das Problem Mathe besteht ja noch immer.“ „Gibt es bei Dir in der Klasse keinen der helfen könnte?“ „Hm, da gibt es noch jemanden ...“, murmelte ich vor mich hin. „Und was ist mit ihr oder ihm?“ „Es ist ein 'Er' - Alexander - mit Namen. Der scheint auch einige Probleme damit zu haben, wenn wir zusammen lernen könnten … . Hans, das könnte sogar funktionieren, nur wie bekomme ich ihn dazu mit mir zu büffeln!“ „Thomas, Du sprichst in Rätsel. Wo liegen die Schwierigkeiten?“ „Alexander - Hans - ist in unserer Klasse ein Arschloch. Hackt auf jedem und allem herum. Ich denke, der könnte sein Abi locker schaffen, doch er eckt immer an und versaut sich seine Chancen. Er meidet mich, seit er weiß, dass ich schwul bin. Wie soll ich da mit ihm ins Gespräch kommen?“ Hans grinste mich an, mit dem schönsten Potwallächeln der Welt. „Thomas, ich sehe Du hast dir schon ein Schlachtplan zurechtgelegt und so wie ich das sehe, ist Alexander heute Nachmittag bei Dir und ihr lernt Mathe ...“

Ich muss einfach aufpassen. Hans scheint mich doch schon besser zu kennen als ich dachte. Aber das ist auch nicht verwunderlich. In den sechs Wochen, die wir nun zusammen sind, sprechen wir abends meist noch über den Tag und vor allem auch über unsere Gefühle und Ängste.

Ich hatte tatsächlich eine wage Idee, wie ich zumindest mit Alexander ins Gespräch kommen konnte. Ich musste nur etwas zu spät kommen. Der Pausengong ertönte wieder und es begab sich eine Karawane in Richtung der Klassenräume … . „Hans, sehen wir uns gleich im Schulcafé?“
„Ja!“ „OK, ich komme wahrscheinlich etwas später.“ „Ich werde auf Dich warten, Tommi.“ Unsere Wege trennten sich.


„Schön, das sie auch noch kommen Thomas.“ Frau Krause grinste in die Runde. „Sie wissen ja, Frau Krause, ab einem bestimmten Alter ist man halt nicht mehr so flott ...“, lächelte ich seelenruhig zurück, „... wie Sie Frau Krause, an Ihnen geht die Zeit ja spurlos vorbei ...“

Ich denke, ich sollte mal die Biolehrerin beschreiben: Frau Krause ist so um die fünfzig, etwas rundlich und kommt im gestreckten Zustand so auf 1.60 m. Ihr Markenzeichen ist ihr Humor, den Sie an den Tag legt. Frei nach dem Motto: Wer austeilen kann, muss auch einstecken können. So kann eine humoristische Antwort sie auch nicht schocken. Das einzige Problem dabei ist: Sie behält meist die Oberhand und das letzte Wort.

„Genug geschleimt, mein ach so alter Schüler, aber bevor Ihre ach so müden Knochen einrosten, wie wäre es denn damit, dass Sie mal ein kurzes Statement zur letzten Unterrichtseinheit abgeben?“ „Sie sehen nicht so aus, als ob sie ein „Nein“ akzeptieren würden, Frau Krause?“

„Werde ich ablehnen, also schießen Sie mal los Thomas. Ich gebe ihnen sogar noch einen Tipp. ›Pflanzen‹!“

Gut, fing ich mal an. Nicht dass es da viel zu sagen gibt. Frau Krause wollte immer eine kleine Zusammenfassung, worüber wir gesprochen haben und in der letzten Stunde hatten wir mit den Pflanzen begonnen,... dennoch hatte ich einige geplante Lücken aufzuweisen,... „Na, Thomas,...“, meldete sich Alexander zu Wort, „... haste da nicht etwas ausgelassen?“ „Na, dann unterstützen Sie ihn, Alexander!“ Frau Krause ist schon OK und soviel zum Thema dazwischen schwätzen. Alexander ergänzte wirklich meine Lücken vollständig und fügt auch einiges hinzu, wo ich dachte, dass dies nicht zum Thema gehörte. Mein - sorry - unser Statement verlief zu aller Zufriedenheit und schon wieder grinste unsere Biolehrerin von einem Ohr zum anderen.

„Das habt Ihr recht gut gemacht Jungs, mein Kompliment Alexander, und auch Dir Thomas. Und da Ihr schon so gut im Team arbeitet, möchte ich, dass Ihr euch das Thema ›Zellteilung‹ zu Gemüte führt. Euer Referat erwarte ich, in Anbetracht von Thomas' Alter, in drei Wochen. Schön, dass wir da einer Meinung sind. So, weiter im Unterricht ...“

Wir schauten uns - unter uns gesagt - saublöde an. Doch ich hatte mein Ziel erreicht mit Alexander ins Gespräch zu kommen. Der Unterricht verging, wie alle Stunden bei Frau Krause, recht schnell und schon ertönte der Gong zur Pause.

„Thomas!“, rief Alexander etwas abschätzig in den Raum. „Ja, was gibt es Alexander?“ „Da hast Du mich ganz schön rein geritten ...“ „Soweit ich mich erinnern kann, hattest Du etwas an meiner Zusammenfassung auszusetzen ...“ „Punkt für Dich ...“, er konnte sogar lächeln, „... und nun?“

„Ich schlage vor, wir setzen uns zusammen und besprechen das mal in Ruhe.“ Ein Nicken seinerseits bestätigte meinen Vorschlag. „Alexander, da habe ich noch etwas!“ Jetzt schaute er mir direkt in die Augen. Mir ist noch nie aufgefallen, dass er grüne Augen hat und sein Blick schien mir etwas unsicher zu sein. „Du hast heute Morgen ja mitbekommen, dass es in Mathe bei mir nicht so dolle aussieht und da wollte ich Dich fragen, ob Du mir da auf die Sprünge helfen könntest?“ Jetzt schaute er mich verblüfft an. „Thomas, hab ich das gerade richtig verstanden, Du fragst mich – mich, Alexander - ob ich Dir in Mathe helfe?“ Ein rascher Blick um uns herum. Kein anderer Schüler mehr da. „Ja, Du hast richtig gehört. Ich habe so das Gefühl, dass es bei Dir auch ein paar Komplikationen gibt.“ Er wusste, dass ich auf das Gespräch mit Herrn Schneider anspielte. „Gut, ich möchte noch ins Café, kommst Du mit?“ „Ja, dort treffe ich mich mit Hans und wahrscheinlich auch mit Peter und Kathrin.“

Jetzt dachte ich, er macht die Biege. Es war ein offenes Geheimnis an der Schule, dass Hans und ich zusammen waren. Dem schien aber nicht so, er ging lässig neben mir her und beobachtete mich wohl aus den Augenwinkeln. Ich tat übrigens Gleiches. Im Schulcafé besorgten wir uns das Nötigste zur Verköstigung, dann schaute ich mich um und sah Peter in einer ruhigen Ecke des Cafés sitzen. Noch schienen sie uns nicht gesehen zu haben. „Hi, Leutchen“, meldete ich mich am Tisch angekommen, mit Alexander im Schlepp. Kathrin schaute uns mit großen Augen an.

„Was will der denn hier?“, zischte Kathrin Alexander an. Doch Hans sprang in die Bresche, er spürte, dass es wohl nicht ganz ohne Komplikationen abgehen würde. ... „Hallo, ich bin Hans, wir kennen uns ja noch nicht“, und er reichte ihm die Hand. Alexander, welcher sich schon nach einem anderen Tisch umsah - seine Reaktion auf die ablehnende Haltung von Kathrin - gab Hans die Hand. Ich glaubte Enttäuschung und Frustration in seinem Gesichtsausdruck zu sehen, doch bin ich mir da nicht so sicher. „Hi, ich bin Alexander“, ertönte es eingeschüchtert. Etwas seltsam die Situation. Schließlich kannten wir ja nur den 'vorwitzigen' Alexander. Doch auch hier hatte mein Freund etwas parat. „Ehm, ist nett Hans, aber könntest du mich wieder loslassen?“ „Ups, ja natürlich, ich vergesse mich immer so leicht ...“ Hans spielte echt super mit und meisterte die gespannte Situation hervorragend. „Setze Dich doch zu uns, Alexander!“, forderte Hans ihn auf, „Thomas schleppt dich ja nicht ohne Grund an.“

Hans meinte das ehrlich und überging lächelnd einen anfliegenden Protest von Kathrin. Aber er ließ auch nicht aus, dass er mein Freund ist, und machte es in der kleinen Gruppe sehr öffentlich, indem er seinen Arm um mich legte, als ich mich neben ihm setzte. „Ich hoffe, du hast keine Probleme damit, dass ich mit Thomas zusammen bin, Alexander?“ „Ehm, nein ... also ... ich ... ich ...“, stotterte Alexander vor sich hin. Es war mal schön ihn sprachlos zu sehen. *g*

„Lass mal gut sein, Alexander. Dass ich schwul bin, weißt Du ja schon länger, und dass Hans mein Freund ist, denke ich, macht Dir auch keine Probleme.“ Zu meinem Freund gewandt, der mich richtig frisch verliebt ansah: „Hans kann manchmal sehr direkt sein, wie Du - Alexander - es ja mitbekommen hast. Dafür mag ich ihn auch so.“ „Man, hör dir einer den Thomas an“, plapperte Peter, „ist ja schon fast unanständig, wie er Süßholz raspelt. Alexander, der ist zum Glück nicht immer so. Nicht war Kati?“ Kathrin schmollte noch, aber ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien der Zorn auf Alexander so langsam der Neugier Platz zu machen. „Also Leute, Alexander ist aus zwei Gründen hier. Der Erste ist ein Referat in Bio, das uns die Krause aufs Auge gedrückt hat. Der Zweite ist etwas, wo ich mich gerne mal mit Alexander unterhalten möchte, nämlich unsere Matheprob's in der Kurvendiskussion. Vielleicht lässt sich ja daraus eine zwischenmenschlich freundschaftliche Symbiose entwickeln.“

Alexander lächelte etwas schüchtern in meine Richtung. Hans, er ist von Natur aus ein Entdecker- und Forschertyp, fing an, Alexander geschickt in ein Gespräch zu verwickeln. Als es wieder soweit war (hat jemand schon mal festgestellt, das Pausen einfach viel zu kurz sind), verabschiedeten sich Hans, Peter und Kathrin von uns. Am Tisch blieben nur noch Alexander und ich übrig. „So, und was machen wir jetzt?“, fragte ich Alexander. „Ich denke wir überlegen uns, wie wir in Mathe vorgehen sollen und ehrlich gesagt, ich habe noch immer nicht verstanden, warum Du mich gefragt hast.“ „Alexander, Herr Schneider hat mich ja nach dem Unterricht zu sich gebeten. Es scheint so, das ich wirklich etwas nicht verstanden habe. Er gab mir den Tipp, mal Mathias aus der 11B zu fragen, so Nachhilfe mäßig.“ „Und hast Du?“ „Ja, ich habe. Doch es stellte sich heraus, das er ein homophobes Arschloch ist und mir daher nicht helfen will. Hans fragt mich anschließend, ob es denn nicht noch eine Alternative gibt in meiner Klasse. Die einzige Alternative in meiner Klasse bist Du ...“ „Das verstehe ich ja nicht, ich habe da doch selber Schwierigkeiten mit, du hast doch Herr Schneider mit mir sprechen sehen!“ „... Wenn du mich nicht andauernd unterbrechen würdest, Alexander. Genau deswegen nämlich, Du hast Probleme mit der Materie in Mathe, aber es sollte schon sehr mit dem Teufel zugehen, wenn diese nicht genau die gleichen Prob's sind, die ich habe. Also hab ich mir gedacht, wenn wir in Mathe zusammen lernen, hat jeder etwas davon und ohne uns jetzt zu sehr zu loben, wir sind nicht die schlechtesten Schüler.“ „Du willst mich also nicht verarschen?“, Alexander klang sehr skeptisch. „Nö, ich sehe in Dir einen Mitschüler, der mir und dem ich helfen kann. Es ist also auch eigennützig. Glaubst Du das funktioniert?“ „Ich sehe keinen Grund es nicht auszuprobieren. Wann fangen wir an?“ „Hast Du heute Nachmittag Zeit?“


Alexander nickte nur, und als er mich ansah, sah ich ein kleines Funkeln in seine Augen. „Dann lass uns losziehen, wir können zu Dir oder zu mir!“ „Zu Dir, Thomas, Du wohnst ja hier in der Nähe.“ Wir schnappten unseren Müll, entsorgten diesen und machten uns auf den Weg. Unterwegs fiel mir auf, dass es sich zugezogen hat und dunkelgraue Wolken den Himmel bedeckten. Das war es wohl mit dem schönen Wetter, ging mir durch den Kopf. Ansonsten sprachen wir nicht sehr viel miteinander. „Komm rein Alexander!“, nachdem ich die Tür zur Wohnung geöffnet habe. „Möchtest du nicht deine Jacke ausziehen, dort ist der Garderoben - Ständer.“ „Ach, ja“, etwas zögerlich schien er noch zu sein, mein Gast.

„Dann folge mir mal in die Küche, hast du etwas gegen Tiere?“, fragte ich ihn, bevor wir die Küche betraten. „Nein, wieso, hast du einen Hund oder eine Katze?“ „Nicht ganz, einen Papagei.“ „Thomas, veräppeln kann ich mich auch alleine!“, stieß er ein wenig zornig vor. „Du musst mir nicht glauben. Darf ich Dir Xavier vorstellen“. Ich deutete mit der Hand auf den Vogel, der auf der Lampenstange meines Halogenfluters - seinem Lieblingsplatz - saß. Als dieser mich erblickte, flog er auch schon auf mich zu und landete gezielt auf meinem Arm. „Nicht jeder nimmt Dich auf den Arm, Alexander. Möchtest Du ihn mal halten?“ „Später vielleicht, sorry Thomas.“ „Schon gut, möchtest Du Kaffee oder Tee?“ „Gegen eine Tasse Kaffee hätte ich nichts einzuwenden.“

Mit dem Papagei auf dem Arm ging ich in Richtung des Vogelbauers, den letzten Meter flog Xavier. Ich ging zum Schrank und holte die Utensilien zum Kaffee machen hervor. Da fiel mir aber noch etwas ein. ... „Sag einmal Alexander, wieso lehnst Du alles und jeden ab? Ich meine, Du bist ein hervorragender Schüler und ich denke, dass Du schon ein netter Mensch bist.“ „Glaubst Du?“ „Nein, ich glaube nicht, ich weiß es. Hast Du schon vergessen, vor meinem Coming Out haben wir öfters etwas zusammen gemacht. Wir hatten einen kleinen gemeinsamen Bekanntenkreis und sind auch hin und wieder zusammen ins Kino gegangen. Danach haben wir nichts mehr gemeinsam gemacht.“ Alexander schaute mich einfach nur an, so richtig wusste ich jetzt auch mit der Situation nichts anzufangen. Die Kaffeemaschine blubberte vor sich ihn und das war auch das einzige Geräusch. Hatte ich da jetzt in ein Wespennest gestochen? „Wie hast Du Dir das mit Mathe vorgestellt?“ lenkte Alexander vom Thema ab. Gut anscheinend wollte er nicht darüber reden und so schwer mir das auch fiel, ich akzeptierte es. „Also ich denke, wir schauen einfach mal, was jeder von uns am besten kann, bei Problemen helfen wir uns gegenseitig, wenn das nicht zur Lösung führen sollte, weiß ich mir auch keinen Rat mehr.“ Ich schaute Alexander an und er zog seine Schultern hoch, er schien noch zu überlegen, wie und ob es funktionieren könnte. „Also gut, dann lass uns mal loslegen.“ Er kramte in seinem Rucksack und holte die Mathesachen hervor. Wir setzten uns an den Tisch und begannen zu büffeln. Xavier schaute uns interessiert zu, ließ uns aber sonst in Ruhe. So ganz nebenbei leerten wir zwei Ladungen aus der Kaffeemaschine.

„Thomas, wie oft soll ich es Dir noch sagen ...“ Alexander nahm die Sache sehr ernst und ich machte wirklich immer den gleichen Fehler. Revanchieren konnte ich mich beim Zeichnen der Graphen. So vergingen wohl mehr als drei Stunden. Mächtig erschraken wir, als wir eine Stimme aus dem Nichts hörten. „Hallo, ihr Beiden. Seid Ihr voran gekommen? “ Hans stand auf einmal in der Küche und amüsierte sich, als wir so zusammengefahren sind. „Ich denke schon. Was meinst Du Alexander?“ „Ich denke, wir haben uns einen guten Überblick verschafft, was Mathe anbelangt. Eines muss ich schon sagen, es macht sogar richtig Spaß mit Thomas zu lernen.“

„OK meine lieben Leute, wie wäre es zur Feier des Tages mit TK-Pizza, ich habe mächtig Hunger?“ „Scheiße, wie spät ist es denn?“ „Gleich dreiviertel sechs!“ „Mist das schaffe ich nie und nimmer ...“ Alexander fuhr in die Höhe und begann hektisch seine Sachen zusammen zu suchen. „Ich muss noch meine kleine Schwester von der Tagesmutter abholen, die erwartet mich um sechs ... Das gibt sicher Ärger daheim.“ „Wohin musst Du denn Alexander, ich kann Dich auch mit dem Auto hinfahren, wenn Du möchtest?“, bot Hans ihm an. „Würdest Du das tun?“, in Alexanders Stimme mischte sich Hoffnung. „Kein Problem, ich fahre Dich da hin.“ „Kann ich vielleicht auch noch etwas tun? Ich könnte ja da anrufen und Bescheid geben, dass Du dich etwas verspätest?“ „Danke, nein. Ich denke, das bekommen wir hin.“ „Schon gut, komm, wir gehen. Thomas,schiebst du eine Pizza für mich rein?“

„Klar Schatz, mach' ich, und fahrt vorsichtig. Alexander, morgen in der Schule?“ „Ja, wir sehen uns morgen in der Schule, Thomas. CU“ Damit verschwanden die Beiden aus der Wohnung ...

Ich holte gerade die Pizza aus dem Ofen, als sich zwei Hände an mir zu schaffen machten. Schnell stellte ich das Blech beiseite und drehte mich zu Hans um. Lange habe ich ja drauf warten müssen, dafür war es um so schöner, als sich unsere Lippen berührten. Unsere Hände verloren sich unter den T-Shirts des anderen und es tat einfach nur gut Hans so nah zu sein.

„Na,wie war es?“ „Ich bin zwar ein wenig schnell gefahren, aber wir waren rechtzeitig da. Du hättest mal sehen sollen, wie die Kleine sich an Alexanders Hals geworfen und immer 'Alex', 'Alex' gerufen hat. Mensch, Thomas. Ich wurde richtig neidisch auf den Anblick!“ „Wieso, möchtest Du Alexander auch um den Hals fallen?“ „Arsch, nein. Es tat richtig weh, zu wissen, dass ich keine Geschwister habe und sich keiner so an meinen Hals wirft.“ „Hans, ich verstehe, was Du meinst. Ich habe auch manchmal diese Gedanken. Das Einzige, was ich dem entgegensetzen kann, ist, dass ich Dich habe ...“. Dabei streichelte ich seinen Nacken und schaute ihn ganz lieb an, „... und vielleicht ist es ja mal möglich, das wir ein Kind adoptieren können, aber bis dahin fließt noch viel Wasser den Bach hinunter.“ Hans schaute mich einfach mit glänzenden Augen an. Ich wusste, dass er mich verstanden hatte, und auch, dass ich ihn sehr liebe.

„Tommi, mein Tommi. Ich glaube unsere Pizza wird kalt.“ „Setz dich, der Tisch ist soweit schon fertig und lass Dich mal etwas verwöhnen.“ Ich nahm die Weinflasche und schenkte uns ein. 
„Auf dich mein Schatz.“ „Auf dich Thomas.“ ... der Klang der Gläser störte die Stille im Raum, die Pizza schmeckte nun noch einmal so gut. Xavier war wohl nicht sehr gut drauf - oder er wollte uns nicht stören ;-) - jedenfalls zog er sich in seinen Verschlag zurück. Den Nachtisch - Mousse au chocolat für Hans, créme de vanille für mich - nahmen wir, schon mehr in einer horizontalen Position, auf der Couch ein. „Tommi, Schatz, die Sache mit Mathias gefällt mir nicht!“ „Mir auch nicht besonders, Hans, aber ich lasse mir von so einem Arsch nicht meinen Abend verderben. Solange er ruhig bleibt, kann er mich mal ...“ Hans wollte eigentlich noch etwas dazu sagen, doch ich legte meinen Finger auf seine Lippen. Er nutzte die Gunst der Stunde und begann langsam den Finger zu küssen. Seine Hände gingen auf Wanderschaft. Mit unseren Blicken hielten wir uns gefangen und ich verlor mich in seine glänzenden braunen Augen. Unsere Berührungen wurden zärtlicher und sanfter, doch ich empfand sie sehr intensiv.

„Komm lass uns hinübergehen ...“

Der Weg vom Wohnzimmer zu unserem Zimmer wurde von diversen Textilien gekennzeichnet, die letzten Hüllen fielen vor dem Bett. Ich begann Hans zu verwöhnen, knabberte an seinen Brustwarzen und küsste mich zu seinem Bauchnabel vor. Mein Schatz ließ sich immer mehr fallen, und als ich begann, sein bestes Stück zu verwöhnen, traten die ersten kleinen Schweißperlen auf seinen Bauch. Sein Atem wurde immer schwerer und seine Bauchmuskeln spannten sich unkontrolliert. Bald schon spürte ich seine Explosion im Rachen und Hans entspannte sich mehr und mehr. Sanft strich ich ihm über seinen Bauch, als ich wieder neben ihm lag. Sein Arm streichelte meinen Rücken und dann zog er mich sehr nah zu sich.

„Thomas, ich möchte, dass Du mit mir schläfst. Ich fühle, das ist der richtige Augenblick.“ Dabei schaute er mich sehr lieb an. „Du weißt, dass es weh tun kann, das erste Mal?“ „Ja, ich weiß, doch Du kannst mir nicht weh tun, Tommi.“

Er griff hinter mich und zauberte eine Tube Gel hervor. Ich nahm sie und Hans legte sich hin. Ich wollte sein Gesicht sehen, wenn ich in ihn eindrang . … Hans entspannte sich, als es soweit war. Langsam nahm er mich in sich auf und es dauerte auch nicht sehr lange. Er spürte bevor ich kam und zog mich zu sich hinunter. Mit dem Kuss, drehte sich meine Welt. Hans und ich bildeten das Zentrum … .

„Tommi, ich liebe Dich ...“, säuselte er mir ins Ohr und ich entschwand langsam in seinen und Morpheus Armen. „Thomas, kannst Du mal kommen?“ Hans rüttelte mitten in der Nacht an meine Schulter. „Ja?“, quetschte ich mühsam hervor. „Thomas, wach auf und komme bitte mit!“ In Hans Stimme lag eine gewisse Besorgnis. „Was gibt es denn Schatz?“, so langsam wachten meine Sinne auf. „Alexander und Corinna sind hier. Wir brauchen deine Hilfe Thomas.“ Schlagartig wurde ich wach.

„Ich zieh mir noch etwas über.“ „Danke. Sie sind in der Küche und es sieht so aus als geht es ihnen nicht sehr gut …“. „Hallo Alex...“, mir stockte der Atem, als ich in Alexanders Gesicht sah, dann wurde mir schlecht und es kostete mir einige Anstrengung mich nicht zu übergeben. Alexanders Gesicht hatte mehrere Platzwunden, einige bluteten noch. Sein T-Shirt war von Blut verschmiert und ich hatte den Eindruck, dass er auch noch höllisch an Schmerzen litt. „Thomas ... , Corinna ... kann sie bleiben? “ Dann sackte er bewusstlos zusammen. „Hans, hol den Verbandskasten aus dem Bad, ich rufe Felix hoch ...“. Gesagt, getan. Alexander legte ich vorsichtig in die stabile Seitenlage. Hans brachte den Verbandskasten und ich schnappte mir das Telefon und lies Felix Nummer wählen. ... Es tutete aus dem Hörer. Dann drückte ich Hans das Gerät in die Hand. Der lief damit auch sofort auf den Flur, um die Wohnungstür zu öffnen und im Treppenhaus Licht zu machen. Ich entnahm der Kiste eine Flasche Riechsalz, um es Alexander unter die Nase zu halten. Doch eine Reaktion blieb aus. Blut begann aus seiner Nase zu fließen. „Felix ist sofort da“, informierte mich Hans. „Hans, wir benötigen auch einen Rettungswagen. Es geht ihm ...“

„Thomas, was?“ Felix stand im Pyjama hinter mir. Während der Doc sich um Alexander kümmerte, sprintete Hans hinunter, um dem Rettungswagen zu winken. „Alex, ... Alex, wo bist du?“ ich drehte mich nach der Stimme um. Auf der Couch saß ein kleines Mädchen, das sich die Augen rieb. Felix nickte mir zu und ich ging zu dem Mädchen.

„Hallo Corinna, ich bin ein Freund von Alex.“ „Wo ist Alex?“ „Corinna, Alex ist sehr krank und ich glaube er wäre sehr traurig, wenn du jetzt nicht schläfst.“ „Hat Papa Alex sehr weh getan?“

Ich schaute zu Felix. Sein Gesicht war fahl. „Das kann der Onkel Felix nicht sagen. Wir werden gleich Alex ins Krankenhaus bringen und morgen, wenn du ausgeschlafen bist, besuchen wir ihn. Ja Corinna?“ Ich wusste nicht, ob sie mich verstanden hatte, doch sie legte sich hin und machte ihre Augen zu. Ich strich ihr noch ein paarmal über das Haar, dann schlief sie wieder. Hans brachte die Rettungssanitäter und den Notarzt mit. Felix nickte ihm zu und wechselte einige Worte mit ihm. Dann ging alles sehr schnell. Der Notarzt schnitt ihm das T-Shirt auf und legte zwei Elektroden an. Felix setzte ihm eine Spritze mit einer klaren Flüssigkeit. Bis auf dem Notarzt entfernten sich die Anderen und kurzzeitig bäumte sich der leblose Körper auf. Der Arzt wiederholte es noch einmal und dann schien er eine Reaktion wahrzunehmen. Alex wurde auf eine Trage befestigt und die Sanitäter brachten ihn zum Rettungswagen. Der Notarzt folgte ihnen. Felix blieb bei mir.

„Hans, kannst du mir sagen, wer das war und was passiert ist?“ „Ich musste zur Toilette, Felix. Und da klingelte es. Ich bin dann hinunter und dort stand Alexander vor der Tür. Er trug nur das T-Shirt und hielt seine kleine Schwester an der Hand. Ich bat ihn herein und weckte dann Thomas. Er schickte mich los, Dich zu holen und den Rettungswagen zu alarmieren. Den Rest kennst Du ja ...“, berichtet Hans kurz und knapp.

„Jungs, das habt Ihr recht gut gemacht. So wie es aussieht, habt ihr dem Jungen gerade das Leben gerettet. Es sieht so aus als hätte er einen Schädelbasisbruch, daher auch die Bewusstlosigkeit. Er hat eine mehrfache Fraktur am linken Arm, drei Platzwunden im Gesicht, wovon wohl zwei genäht werden müssen, diverse Prellungen und Striemen. Wer ihm das angetan hat gehört hinter Gitter.“ „Du hast es ja eben mitbekommen, Felix. Corinna sagte etwas von seinem Vater, der ihm das wohl angetan hat.“ „Habe ich, und ich habe Dieter - dem Notarzt - auch gesagt, dass die Polizei eingeschaltet werden muss. Er leitet alles in die Wege, doch erst kümmert er sich um diesen Alexander. Es wird eine schwere OP. Hoffen wir mal, das es keine weiteren Komplikationen gibt.“ „Was machen wir jetzt mit der kleinen Corinna?“ „Lasst sie schlafen. Morgen, wenn sie aufwacht, bringt sie zu mir hinunter. Ich werde mit meiner Frau sprechen, dann finden wir auch eine Lösung.“ „Gut, ich mach hier noch sauber und gehe wieder zu Bett.“ „Noch etwas Thomas, ich tu es zwar nicht gerne, aber wenn das Mädchen nicht schlafen kann, dann gib ihr eine Tablette davon mit reichlich Wasser.“ „Nacht Jungs.“ „Nacht Felix, hoffen wir das Beste, ja?“

Felix ging und zog die Wohnungstür hinter sich zu. Hans half mir noch, das Blut vom Boden aufzuwischen. Anschließend schaute er noch einmal nach Corinna und deckte sie wieder zu. Die Türen ließen wir auf, falls sie anfangen sollte, nach Alexander zu rufen oder zu weinen, so würden wir es hören ... Ich legte mich ganz nah an Hans, der mich in seinen Arm nahm. Ich begann zu zittern.

„Thomas?“ „Ich habe Angst, Hans, das er es nicht überlebt ...“. Mir wurde kalt.

Das Klingeln meines Telefons riss mich am folgenden Morgen aus dem Schlaf. Noch ein wenig abseits der Realität griff ich mir den Hörer. „Gärtner!“, murmelte ich. „Morgen Felix, wie stehts?“, ich war mit einem Schlag wach. Neben mir rührte sich etwas. „OK da bin ich aber froh, ich werde es gleich mal den anderen erzählen. Wann können wir zu ihm?“ Ich lauschte den Ausführungen des Doktors. Hans war neben mir wach geworden und schaute mich mit großen Augen an. Ich hob zwischenzeitlich den Daumen, damit er wusste, dass keine Lebensgefahr mehr bestand. „Heute Nachmittag, eventuell? Gut, hast du schon mit Deiner Frau gesprochen?“ „Ja, machen wir, sie hat alles vorbereitet? Danke.“ „Felix, ich möchte Dir auch noch einmal danken. Ich glaube ohne Dich sähe es jetzt nicht so gut aus. Falls noch etwas Dringendes sein sollte, die Mobilnummer von Hans hast du ja! Tschüss.“ Ich legte das Telefon beiseite, dann bewegte sich noch etwas ... .

„Hallo, Du! Wie geht es meinem Alex?“, fragte das kleine Mädchen, welches zwischen Hans und mir lag. Ich musste schon etwas lächeln, weil ihr schulterlanges Haar ein wenig zerzaust aussah.

„Hallo Corinna, also Alex geht es schon besser, sagt der Onkel Doktor. Und heute Nachmittag kannst Du ihn besuchen gehen.“ Ich glaube, dieses strahlende glückliche Lächeln Corinnas entschädigte für allen fehlenden Schlaf. „Sorry, Thomas. Corinna hat heute Nacht schlecht geschlafen, da habe ich sie einfach zu uns ins Bett genommen“

Hans legte seinen schönsten Dackelblick auf und ich wurde weich wie Butter. Ich schaute zwischen den Beiden hin und her. „Ich schlafe manchmal auch bei Alex …. Corinna versuchte einen ›gewichtigen‹ Ton anzuschlagen, die Betonung liegt bei „versuchen“. „... Besonders, ... wenn ich Angst habe, dann nimmt mich Alex in den Arm.“ Jetzt zog ich meine Augenbrauen hoch, hatte ich etwas dagegen gesagt? Nein! Konnte ich an dem Geschehenen noch etwas ändern? Nein!

Ein Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. Hans ahnte schon, dass ich nichts dagegen hatte. Unser Gast aber nicht. Dementsprechend schaute sie nun traurig drein, als ob sie etwas falsch gemacht hat.


„Warum sollte ich etwas dagegen haben? Hast Du denn gut geschlafen?“ Mein Blick war nun ganz auf das Mädchen gerichtet. „Ja, ich habe richtig gut geschlafen“, dabei nickte sie heftig mit ihrem Kopf. „Dann ist es ja gut, ihr Beiden. Was haltet Ihr den von Frühstück?“ „Du bist also der Thomas?“ „Ja, wie kommst Du denn darauf?“ Corinna fing an zu kichern und tat so, als ob sie sich schämte. „Alex sagt immer, dass Du nur ans Essen denkst ...“. Weiter kam sie nicht. Hans brach in schallendes Gelächter aus und mir wurde es sehr warm im Gesicht. „... Immer ... nur ... ans ... Essen ...“, prustete er zwischen den Lachsalven. „Ja, der bin ich“. Der Spruch kam mir fast tonlos über die Lippen, Ich glaube, ich muss etwas an meinem Image ändern. „Ja, wenn das so ist, dann können wir auch ohne Frühstück ...“. Ein Kissen unterbrach mich. Binnen weniger Minuten war eine interessante Kissenschlacht im Gange. Jeder gegen jeden, na, nicht so ganz. Einmal Corinna zusammen mit Hans und dann wieder mit mir gegen ihn. Kurze Zeit später lagen wir alle lachend im Bett. Hans strubbelte mir durch die Haare und gab mir einen Kuss. Corinna beobachtet uns genau. Eher mit Neugier als mit Argwohn. Ich nahm ihren Blick wahr und dann sah es so aus, als ob sie angestrengt über etwas nachdenken musste. „Thomas, du küsst Jungs“. Sie schien ihre Überlegungen abgeschlossen. „Nicht jeden, Corinna. Nur Hans darf mich küssen und ich ihn.“ „Stimmt das Hans?“ „Ja, das stimmt.“ In seinem Gesicht stand wohl das gleiche große Fragezeichen geschrieben wie bei mir. „Ihr habt euch lieb?“, tönte es aus dem Kindermund. Wir nickten synchron. „Gut, wenn ihr euch lieb habt …,das ist nämlich wichtig.“

Innerlich zog ich meinen Hut vor dieser kleinen Lady. Mit fast allem hätte ich gerechnet, doch damit überraschte sie mich. Auf meiner innerlichen Festplatte machte ich den Vermerk, Kinder nicht zu unterschätzen. „Und was ist jetzt mit Frühstück? Ich will Kakao!“, fuhr Corinna fort. Gut, nun war ich nicht mehr der Einzige, der nur ans Essen dachte. Hans stand auf und reichte Corinna die Hand. „Komm Corinna, wir machen jetzt deinen Kakao, Thomas muss noch einmal telefonieren.“

Damit gingen sie aus dem Zimmer. Ich schnappte mir das Telefon und wählte die Nummer von Felix. Nach einigen Klingeln hörte ich die Stimme von Frau Hausach. „Morgen, Claudia.“ „Nein, wir sind gerade erst aufgewacht und frühstücken gleich.“ „Jein, sie schien schlecht geträumt zu haben, da hat Hans sie zu uns ins Bett genommen. ... Ist das wichtig für Dich und Felix?“
„Was ich dich fragen wollte, kommst Du auf eine Tasse Kaffee hoch? Dann könnt Ihr euch ja schon mal anfreunden.“ „Bis gleich, Claudia.“

Die Schule konnte uns jetzt erst einmal gern haben. In den ersten beiden Stunden würden Hans und ich schwänzen. Corinna war nun einmal wichtiger. Alexander hat sie uns anvertraut, damit wir auf sie acht geben. Demnach konnte sie wohl nicht nach Hause zu ihren Eltern. Frau Hausach - Pädagogin an einer Grundschule - ist jetzt unsere einzige Hilfe. Hans und ich mussten ja auch noch zur Schule, und das ist auch Alexander bekannt. Ich hoffe mal, dass wir heute Nachmittag mit Alexander darüber sprechen können, wie es weiter gehen soll. Mit diesen Überlegungen verließ auch ich das warme Bett, schnappte mir meine Freizeitklamotten und zog sie über. In der Küche hörte ich eine angestrengte Diskussion darüber, ob der Kakao in der Mikrowelle oder erst nur die Milch erwärmt werden sollte. Derweil schnappte ich mir einige Teller und Tassen und begann den Tisch zu decken. Ich ging langsam zum Vogelbauer hinüber und zog die Decke vom Käfig. Mit einem Mal war es ruhig. Ich drehte mich um und sah, wie Corinna den - für sie - großen grünen Vogel anschaute. Ohne weiter darauf zu achten, was nun geschehen würde, begann ich Xavier zu versorgen. Frisches Wasser, Futter und so weiter. Xavier hatte das Mädchen noch gar nicht zur Kenntnis genommen und fing an von seinem Trockenfutter zu nehmen. „Wo möchtest Du sitzen, Corinna?“, fragte Hans das Mädchen, damit er den Kakao einschenken konnte. „Da will ich sitzen!“, sie suchte sich einen Platz aus, von dem sie den Papagei beobachten konnte. „Gut, setzt dich dann bitte mal hin, Corinna!“

Das Mädchen folgte der Aufforderung, ohne Xavier aus den Augen zu lassen. Dieser machte, wie jeden Morgen, seine Routine, die Position auf den Käfig zu verlagern. Ich sah zu dem Mädchen, welches ängstlich dem Geschehen folgte. Ich fand, dass es nun Zeit war, sie mit dem Papagei bekannt zu machen. Daher nahm ich Xavier auf meinen Arm und brachte ihn zu Corinna. „Corinna, der tut dir nichts. Xavier ist ein lieber Papagei. Wenn Du ihm dieses Stückchen Banane gibst, weiß er, dass Du seine Freundin bist. Möchtest Du es versuchen?„ Corinna nickte schüchtern mit dem Kopf. „Beißt er mir auch nicht in den Finger?“ „Nein, das tut er nicht. Nicht wahr Xavier?“ Der Vogel legte seinen Kopf in eine Schräglage und pfiff einmal. „Gut. Hallo Xavier, ich bin Corinna und ich möchte deine Freundin sein“, sie reichte ihm die Banane und er hob langsam sein Bein, um diesen Leckerbissen zu greifen. Behutsam nahm er das Stück aus der kleinen Hand und krächzte einmal etwas, so dass Corinna etwas erschrak. „So, nun weiß Xavier, dass Du seine Freundin bist und Du darfst ihn auch streicheln, wenn Du möchtest.“ Das Mädchen schüttelte aber den Kopf, ihr schien der Vogel nicht ganz geheuer zu sein. Ich erhob mich und brachte den Papagei zu seinem Bauer zurück, wo er sich oben darauf setzte. Dann klingelte es an der Tür. „Hans, machst Du bitte mal auf?“ Dieser nickte mir nur einmal kurz zu und verließ die Küche um Frau Hausach hinein zu lassen. Kurze Zeit später trat er mit Claudia wieder ein und ich begrüßte sie recht freundlich. „Wer bistDu?“, frage Corinna. „Ich bin Claudia, die Frau vom Doktor, der sich um Alex - deinen Bruder - kümmert“, antwortete die Frau des Doktors und reichte dem Mädchen die Hand. Wir setzten uns an den Tisch und begannen zu frühstücken. Frau Hausach stellte geschickt einige Fragen, um das Nötigste zu erfahren. Corinna war demnach erst acht Jahre alt und ging in die zweite Klasse. Die Schule kannte Frau Hausach. Das Frühstück verlief zu aller Zufriedenheit und das Mädchen erteilte uns - also Hans und mir - die Erlaubnis zur Schule gehen zu dürfen. Sie selbst blieb bei Frau Hausach. Am Nachmittag wollten die Beiden Alex besuchen gehen. So gingen sie nach dem Frühstück hinunter, um sich anderen Dingen zu widmen. Hans und ich räumten noch die Spülmaschine ein, um uns dann für die Bildungseinrichtung fertig zumachen.

„Glaubst Du, dass alles wieder gut wird, mit den Beiden?“ Diese Frage stellte Hans, als ich aus der Dusche kam. „Also wie die Dinge im Augenblick stehen, hat Alexander eine Drei-Stunden-OP hinter sich. Er wird heute Mittag ins Beobachtungszimmer auf Felix' Station verlegt. Noch ist er mit Medikamenten ruhig gestellt, sobald er einigermaßen wach ist, möchte Felix noch einige Kollegen aus der Neurologie hinzuziehen. Anscheinend hat Alexander auf einige Tests nicht reagiert und Doc Hausach möchte da schon auf Nummer sicher gehen. Zu guter Letzt hat sich die Kripo eingeschaltet. Da schienen dem Notarzt einige Narben zu sein, die da nicht hingehörten und er ist dann verpflichtet, die Polizei einzuschalten. Ähnliches deutete Felix an. Hans ...“, meine Stimme zitterte, „... Alexander wurde in jeglicher Hinsicht missbraucht.“ Hans ließ vor Entsetzen die Zahnbürste fallen und starrte mich an. „Du meinst ...?“ „Ja. Du kannst mit Felix Pferde stehlen und grüne Äpfel klauen. Sobald sich aber in dieser Hinsicht etwas tut, dann ist mit ihm nicht mehr zu spaßen und seine Gegner sollten sich schon mal sehr warm anziehen. Wenn er mir gegenüber so etwas andeutet, ist das Tatsache.“

Keiner von uns sagte noch ein Wort, wir hingen einfach unseren Gedanken nach. Erst als wir uns in der Schule zu den verschiedenen Klassenräumen aufmachten, fragte Hans mich, ob wir uns zur Pause sehen würden. Mit einem Nicken bestätigte ich seine Frage und gab meinem Hans noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Heute schien wohl nicht mein Tag zu werden, Monsieur Larrique - unser Französischlehrer - löcherte mich mit Fragen und lies auch nicht locker, bis er eine Antwort erhielt. In der Klasse hatte sich wohl die Sache schon 'rumgesprochen, denn niemand hatte so richtig Lust auf den Unterricht. Aus meiner Sicht war es aber immer noch besser von der ganzen Thematik abgelenkt zu werden, als immer nur darüber zu grübeln, was ich machen konnte oder wo meine Grenzen waren. Zumindest war ich sichtlich überrascht, als es schon wieder zur Pause klingelte. Gemächlich packte ich meine Sachen und verließ den Raum. Ist doch immer etwas Gutes, wenn wir zwischendurch mal eine Freistunde haben. Mein Babe wartete schon geduldig auf mich. „War ja eine ruhige Stunde ..., so ohne Alexander! Da konntest Du dich ja erholen, Thomas. Der hackt doch sonst immer nur auf Dir herum!“, tönte es in einem schrägen Ton an mein Ohr. Mein Mitschüler Klaus-Dieter wollte sich wohl bei mir profilieren. „So wie ich gehört habe, ist er ja für einige Zeit kaltgestellt!“, die Ironie sabberte nur so an ihm herunter und ein fieses Grinsen konnte er auch nicht lassen. „Mein lieber Klaus-Dieter, Alexander ist mir als ein störender Mitschüler tausend Mal lieber als einer, der mir offensichtlich in den Arsch kriechen will. Es mag sein, dass Alex und ich Differenzen haben, aber deswegen mag ich ihn noch immer. Das Schöne an ihm ist nämlich, dass wir uns gegenseitig respektieren. Die paar Sticheleien im Unterricht sind wirklich nicht so ernst gemeint wie es Dir erscheint, doch dafür hat nun mal nicht jeder ein Gespür ...“. Der Angesprochene schien eine sehr lange Leitung zu haben, denn die Umherstehenden fingen an zu kicksen und zu kichern. Klaus-Dieter schien wohl einige Sympathiepunkte in der Klasse verloren zu haben. Dann lief er puterrot an und machte sich von dannen. Allgemeines Auflösen schien angesagt zu sein. Dennoch hörte ich von mehreren Schülern, dass sie ihr Verhalten mal ›überdenken‹ müssten … . Ich jedenfalls schritt auf meinen Freund zu und ganz lieb gab er mir einen Kuss. „Thomas, kommst Du mit ins Café? ich habe eine Freistunde“. „Gerne, aber wieso, hast du jetzt nicht Bio?“ „Die Krause ist krankgemeldet, da fällt der Unterricht heute aus!“ „Gut, dann lass' und ins Café gegenüber gehen, da ist es jetzt ruhiger und ich kann mich mit Dir besser unterhalten.“

Im Café bestellten wir uns Tee und Kaffee. Da auch noch nicht so viel los war, fanden wir schnell einen Nischensitzplatz. Der erste Schluck tat einfach nur gut. „So, dann schieß mal los Tommi, was gibt es?“ „Zunächst einmal, möchte ich erfahren wie Du über diese ganze Geschichte denkst. Ich fühl mich - ehrlich gesagt - etwas unwohl dabei.“ „Tommi, ich habe auch keine Ahnung was ich denken soll, zumal ich eben nichts Genaues weiß. Mein Gefühl sagt mir aber, dass Alexander auf deine Freundschaft baut! Ich kann mir auch nicht so richtig vorstellen, dass ihr miteinander Schwierigkeiten habt.“ „Na so richtig verstanden habe ich es auch nicht, Hans, und damit hast Du auch recht. Wir haben seit dem Bruch nicht mehr viel miteinander gesprochen.“ „Dann erzähle doch einmal, wie Du diese Geschichte siehst, Thomas.“ „Ich kenne Alexander seit sechs Jahren, als wir beide auf diese Schule gekommen sind. Wir waren bis zu meinem Coming Out der Schrecken aller Pädagogen dieser Bildungsanstalt. Da unsere Leistungen nie zur Diskussion standen, brauchten wir uns kaum Gedanken wegen eventueller Schwierigkeiten zu machen, Hans. Alexander und ich waren Freunde und er war es, der mich lehrte, zu Schwächeren zu stehen, auch mal gegen den Strom zu schwimmen.“ Ich nahm meine Tasse und hielt sie einen Augenblick gedankenverloren fest. Ja, mit Alexander verband ich viele traurige und lustige Erlebnisse. Unwillkürlich musste ich schmunzeln. „Alexander hatte auch ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Sicher kennst du den „Gläsernen Brunnen“ vor dem Rathaus, Hans.“ Hans nickt verstehend. „Na, Alexander ließ mal ein paar Gramm Kaliumpermanganat aus dem Chemielabor mitgehen und kippte das Zeug in den Brunnen.“


Jetzt musste Hans laut lachen, denn der Brunnen war das Lieblingsspielzeug unseres Bürgermeisters. In einer Sitzung des Stadtrats, in der es um eine mögliche Bestechungsaffäre des Stadtoberhauptes ging, behauptete dieser, dass seine Weste so rein sei, wie das Wasser in dem Brunnen vor dem Rathaus. Doch war es zu diesem Zeitpunkt schon tiefviolett … .

„... Und was geschah dann?“, sprach mich mein Gegenüber an, nachdem er sich etwas beruhigt hatte. „Na ich wurde vor die Tür gesetzt und das ›warum‹ sprach sich natürlich schnell herum. In der Klasse gab es keine größeren Probleme damit. Nur eins, Alexander sprach kein Wort mehr mit mir und mutierte zu einem unangenehmen Zeitgenossen. Ich habe auch versucht, ihn deswegen noch öfters anzusprechen. Ohne Erfolg, doch die Freundschaft wurde nicht gekündigt. Sie lag auf Eis.“ „Hm ...“, entfuhr es Hans, ich schaute zu ihm, doch er starrte gedankenverloren in seine Tasse. Dann richtete er seinen Blick wieder auf mich. „Ich weiß nicht so recht Thomas, es mag nur mein Gedanke sein. Gesetzt den Fall, dass er glaubt, Du hast eure Freundschaft verraten, weil Du ihm als Freund nicht vertraut und es ihm gesagt hast. Er hat es ja, wie alle Anderen, über den Umweg deines Rausschmisses erfahren. Ich kann mir schon vorstellen, dass er diese Gedanken hegte.“ „Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Hans. Aber warum konnten wir uns anschließend nicht darüber unterhalten. Ich habe es doch nicht mit Absicht getan?“ „Es ist nur eine Vermutung meinerseits. Doch ich kann mir vorstellen, dass seine Eltern genauso ablehnend auf deine Homosexualität reagierten wie deine Eigenen, und Alexander den Umgang mit Dir einfach verboten haben.“ „Da ist was Wahres dran. Denn immer, wenn ich sie mal zufällig in der Stadt getroffen habe, kannten sie mich nicht mehr ...“.

Unser Gespräch wurde durch ein Piepsen eines Cellphones unterbrochen. Während Hans ein Gespräch führte, widmete ich mich meinem Kaffee und hing meinen Gedanken nach. Es war wirklich mehr Wahrheit an der Theorie als mir lieb war. Ich begann leicht zu frösteln. „Thomas.“ „Thomas? Was ist?“ Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. „Ja was gibt es?“ „Ich denke es interessiert dich, Alexander ist bei Bewusstsein und hat nach Dir gefragt ...“ Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. „Felix sagte ihm, dass Du heute am späten Nachmittag kommen wirst. Corinna wird auch da sein.“ „Eh, das ist ja eine super gute Info. Hat er noch etwas gesagt?“ Hans Gesicht verfinsterte sich. „Ja. Alexander und Corinna sind ein Fall fürs Jugendamt geworden. Es wurde gegen ihre Eltern Strafanzeige gestellt.“

Ich schaute Hans in die Augen und langsam verschwamm sein Gesicht. Ich spürte, wie mein Gegenüber meine Hand nahm und mir mit der anderen die Tränen vorsichtig wegwischte. „Hey, Tommi, es wird schon wieder“, flüsterte er mir zu. „Glaubst du?“ „Ja! Ich glaube daran, einfach schon deswegen, weil er Dich als Freund hat.“ „Ist das der springende Punkt? Ich frage mich, warum Eltern ihren Kindern das antun. Wer gibt denn, zum Kuckuck noch einmal, den Erwachsenen das Recht, ihren Kinder weh zu tun? Können sie denn ihre Kinder nicht einfach lieb haben? Was hat Alexander - stellvertretend für alle anderen - getan, das er fast zu Tode geprügelt wurde. Ich habe Benny’s Eltern kennen gelernt und sie haben mir einmal gesagt, dass ihnen nichts einfallen würde, weswegen sie Ihren Benny nicht mehr lieben würden. Oder schau dir doch Deinen Vater an, glaubst Du er würde Dir jemals auch nur ein Haar krümmen?“ Hans schüttelte seinen Kopf.

„Thomas, da hast Du recht. Solchen Eltern und Erwachsenen, die ihre Macht missbrauchen, gehören verbannt. Doch wenn wir etwas ändern wollen, dann sollten wir uns um die ›Opfer‹ kümmern und im konkreten Fall haben sie die Namen 'Alexander' und 'Corinna'!“ Erschrocken sah ich Hans an. Alexander hatte uns das ihm Wertvollste anvertraut, seine kleine Schwester. Also sollten wir schleunigst etwas unternehmen, damit es nicht noch schlimmer wurde. Mit einem Mal spürte ich, wie eine Energie in mir aufstieg und ich wusste, was zu tun ist. „Hans, ich bin froh, Dich als meinen Freund zu haben. Es gibt nichts schöneres als Dich lieben zu dürfen!“ Hans wurde tatsächlich verlegen. „Haben wir noch Zeit für einen Kaffee?“ „Nein Tommi, wir müssen wieder los.“

Wir bezahlten unsere Getränke und begaben uns zum Bildungsbunker auf der anderen Straßenseite. „Wie sieht Dein Nachmittag aus?“ „Nach dem Unterricht gehe ich nach Hause um die Post durchzusehen und schnappe mir mein Saxophon. Heute Nachmittag habe ich noch Unterricht. Danach komme ich zum Krankenhaus, sagen wir, gegen fünf?“ „Gebongt Schatz ...“

„Vielleicht hast du bis dahin auch mit dem Rechtsanwalt der Stiftung gesprochen, dann können wir den Beiden das Heim ersparen!“ „Hans, das ist eine sehr gute Idee. Ich denke Herr Johannsen wird uns zur Seite stehen!“ „Herr Johannsen?“ Hans schaute mich entgeistert an. „Ja, Herr Johannsen, Fachanwalt für Familien- und Sozialrecht. Mein Großvater hat ihn noch für die Stiftung eingestellt.“ „Mensch, Thomas. Dein Opa hat ja wirklich an alles gedacht, als er die Stiftung ins Leben rief. Wir sehen uns bei Alex!“ Hans drehte sich ab, um seinen Klassenraum aufzusuchen.

„Halt, stehen geblieben Hans!“ „?!?... Was ist Thomas?“ „Hast du nichts vergessen, mein lieber Hans?“, fragte ich ihn schelmisch ... Es wurde eine zärtliche Umarmung und ein ebensolcher Kuss. Obwohl sich der Unterricht zäh wie Gummi zog, ging die Stunde doch vorbei und gut zwei Stunden später stand ich bei Herrn Johannsen im Büro. „Hallo Thomas. Was führt dich her?“ „Hi Olaf. Ich möchte dich mal etwas fragen?“

Herr Johannsen und ich kannten uns schon recht gut. Er war derjenige, der mich vor Gericht gegen meine Eltern vertreten hatte. Und immer, wenn diese mal wieder auf die Idee kommen, klagen zu wollen, nimmt er persönlich die Sache in die Hand. Daher war es auch nicht verwunderlich, als er mir das 'Du' angeboten hatte. Er war auch maßgeblich daran beteiligt, das Schul- und Lernprojekt im Krankenhaus zu organisieren. Wir kannten uns also schon recht gut. Daher verwunderte es mich auch nicht, als er um eine kleine Pause bat. „Augenblick Thomas“, er hob den Hörer seines Telefons ab. „Brigitte, bringen Sie bitte Kaffee und Kekse. Stellen Sie keine Anrufe durch und sagen Sie Sabine, dass sie den Termin am Gericht für mich wahrnehmen soll. Danke.“

Kaum lag der Hörer auf der Gabel, öffnete sich die Tür und seine Sekretärin brachte den Kaffee auf einem Tablett hinein. Sie stellte alles auf einem kleinen Couchtisch ab und verließ den Raum genauso leise, wie sie ihn betreten hatte. „So Thomas, setzt Dich und schildere mir mal, was Du auf dem Herzen hast.“ Ich berichtete ihm von den Ereignissen der letzten 24 Stunden bis zu meinem derzeitigen Wissensstand … . „So Olaf, nun möchte ich Dich bitten, diese Sache in die Hand zu nehmen. Rechtlich, meine ich. Ich kann mir schon gut vorstellen, das es bestimmt nicht leicht werden wird. Aber ich möchte nichts unversucht lassen, um den Beiden zu helfen.“

„Bist du Dir sicher Thomas?“ „Ich fühle einfach, dass es richtig ist, ihnen zur Seite zu stehen. Auch wenn es Differenzen gegeben hat, Alexander ist immer noch mein Freund. Nur in diesem Fall sind meine Möglichkeiten begrenzt, es geht um die rechtliche Seite. Da bitte ich Dich, stellvertretend für die Stiftung, die Sache in die Hand zu nehmen.“ Erwartungsvoll schaute ich mein Gegenüber an, doch es ist schwer, aus seinem Gesicht irgendetwas herauszulesen.

„Thomas, ich schaue mir die Sache mal an ...“, Herr Johannsen machte eine kleine Pause, „... versprechen möchte ich aber nichts. Du und Hans seid heute Nachmittag bei Alexander im Krankenhaus?“ Ich nickte ihm stumm zu. „Gut ich schaue um sechs mal herein, dann sehen wir weiter. So, und nun muss ich noch etwas tun. Die Stiftung bezahlt mich nicht nur fürs Kaffee trinken.“ Olaf zwinkerte mir zu. „Du und Hans, Ihr seid glücklich?“ „Ja, und ich liebe ihn jeden Tag etwas mehr. Ich weiß gar nicht, wie ich es vorher ohne ihn geschafft habe, und wir möchten demnächst zusammenziehen.“ „Schön Thomas. Das freut mich.“ Olaf begleitete mich zur Tür. „Ach so, bevor ich es vergesse. Die Klage wegen Veruntreuung von Stiftungsgeldern gegen Dich ist vom Gericht abgewiesen worden. Möchtest Du eine Anzeige erstatten wegen Verleumdung?“ „Nee, das bringt doch nur böses Blut. Ich habe andere Sorgen, als dass ich meine ehemaligen Eltern so wichtig nähme. Opa Hannes hat das schon sehr gut für mich geregelt und es wird sie mehr wurmen, dass ich mich nicht darauf einlasse. Irgendwann stolpern sie über ihre eigene Dummheit und Gier, da brauche ich nicht noch nachzuhelfen.“ „Gut Thomas, dann kümmern wir uns um die wirklich wichtigen Dinge.“

Herr Johannsen öffnete die Tür und ließ mir den Vortritt. Ich verabschiedete mich noch von Brigitte und machte mich auf den Weg zum Krankenhaus. Insgeheim musste ich etwas lachen. Immer, wenn Olaf sagte, dass er sich die Sache mal anschauen möchte, hat er den Fall schon übernommen. Ich sah Brigitte sich schon die Finger am Telefon wund tippen, um alle Welt ans Telefon zu bekommen. Manchmal ärgerte sie sich, da ihr Feierabend sich hinauszögerte oder sie auch mal am Wochenende im Büro saß. Doch wenn sie dann den Erfolg der Stiftung sah und dass sie dazu beigetragen hatte, meinte sie regelmäßig, ›hat doch Spaß gemacht!‹.

„Hallo Thomas, schön Dich mal wieder hier im Krankenhaus zu sehen“, so fröhlich konnte mich nur eine Person begrüßen: Oberschwester Antje. Natürlich ließ sie es sich nicht nehmen, mich auch zu umarmen. „Hi Antje, zerdrück mich bitte nicht, Hans möchte mich so wie ich bin“, grinste ich zu ihr hinüber. „Wie schaut es aus?“ Ich traf Antje vor der Cafeteria des Krankenhauses. „Auf der Station sieht es gut aus. Felix hat dafür gesorgt, dass wir noch einen Zivi bekommen.“ „Ach, jetzt um diese Zeit?“ Antje und ich schlenderten langsam zur Kinderstation. „Ja, da schien es wohl Probleme mit seiner Anerkennung gegeben zu haben, daher kam er auch erst im Januar. Aber er hat was. Du wirst die Station nicht mehr wieder erkennen. Er hat alles etwas umgekrempelt und engagiert sich. Die Kinder und das Pflegepersonal mögen ihn. Er erledigt seine Pflichten immer mit einem Lächeln.“ „Scheint ja wirklich ein Wunderknabe zu sein, den ihr da abbekommen habt.“ „Kann man wohl sagen. Wenn er Spätschicht hat, nimmt er sich die Zeit und liest den Kleinen noch eine Geschichte vor, bevor sie schlafen gehen. Ich glaube, er will mal Kinderarzt werden, denn er hat so ein richtiges Händchen im Umgang mit ihnen.“ „Das freut mich aber für die ganze Station. Lerne ich ihn mal kennen, Antje?“ „Ja, Felix hatte heute Morgen Anweisung erteilt, dass er in den nächsten Tagen eine Sonderaufgabe hat. Er soll sich um einen Neuzugang kümmern. Er müsste eigentlich bei ihm sein, denn er wurde auf unser Beobachtungszimmer verlegt. Der Doc hat sogar den Personenkreis eingeschränkt, der zu ihm darf.“ „Weißt du, ob ich dazugehöre?“ „Da musst du Sebastian, den Zivi, fragen. Er hat die Liste. Da ich sowieso da hin möchte, kannst du mich ja begleiten.“ „Mach ich doch glatt, meine Liebe“, ein freches Grinsen konnte ich nun doch nicht lassen. Sebastian war tatsächlich beim Patienten gewesen, denn er kam uns auf dem Flur entgegen, als er das Zimmer verließ. Er war mir auf Anhieb sympathisch. Er hatte Grübchen, wenn er lächelte und sein kurzes blondes Haar passte zu seinen graublauen Augen. Sie strahlten viel Wärme und Verständnis aus. „Hi Antje, ich gehe gleich mal hinunter zur Wäscherei. Ich habe bei Alexander ein neues Laken aufziehen müssen. Brauchst du noch etwas von unten.“ „Ja, aber warte einmal Sebastian. Ich möchte dir Thomas vorstellen und fragen, ob er zu Alexander darf?“

„Hallo Thomas. Wenn du Thomas Gärtner bist, ja. Er hat auch schon nach dir gefragt. Antje, ich habe die Liste ans Info-Board gehängt und noch einmal in seine Kartei gelegt. Felix sagte ausdrücklich, dass wir darauf achten.“ Sein Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck. „Mittlerweile verstehe ich auch warum. Thomas, wenn Du gleich zu ihm hineingehst, mach Dich auf einiges gefasst.“ „Danke, Sebastian.“

Ich wandte mich dem Patientenzimmer zu. Leise ertönte das Klopfen und ich hörte von drinnen ein ›herein‹. Das Zimmer war abgedunkelt und über dem Bett leuchtete so eine Leuchtstofflampe. Ich musste schlucken, als ich zum Bett trat. Alexander trug einen Kopfverband, sein linker Arm war eingegipst, am rechten Handgelenk saß eine Infusionsnadel mit Schläuchen dran, die zu irgendwelchen Flüssigkeiten führten. Er war nur zur Hälfte zugedeckt und ich sah neben dem breiten Brustverband auch eine menge Narben und blaue Flecken. Dann schaute ich Alex an, ihm war die ganze Sache peinlich und schaute weg. Ich nahm die Bettdecke und deckte ihn zu, dann nahm ich seine Hand. Alexander weinte. Ich fühlte, dass es richtig war, einfach nur seine Hand zu halten und nichts zu sagen. „Hallo Thomas“, kam es nach einiger Zeit leise vom Bett. „Hi Alexander, wie geht es dir?“ „Ich weiß es nicht! Der Doktor sagt, dass es mir - den Umständen entsprechend - gut geht, Antje meinte es wird schon wieder. Nur Sebastian ist der Meinung, dass es mir recht beschissen zumute sein müsste. Ich neige dazu, mich ihm anzuschließen. Ich fühle mich mies und habe Schmerzen.“ Er hatte wenigstens noch seinen Sarkasmus, um mit der beschissenen Situation fertig zu werden. Dann brach seine Stimme ab. Er schien zu überlegen. Dann sah er mir direkt in die Augen. „Thomas, ich weiß nicht was Du schon so mitbekommen hast?“ „Alexander, ich habe nur das erfahren, was ich durch die Umstände mitbekommen habe. Gut, etwas mehr schon, da ich mit dem Doc gut befreundet bin.“ „Ich möchte, dass Du alles erfährst! Schon seit einiger Zeit wurde ich regelmäßig von meinem Vater verprügelt, besonders wenn er betrunken gewesen ist. Dann nahm er dazu immer den Rohrstock. Meine Mutter sagte nichts. Sie heulte zwar, wenn ich mich vor Schmerzen krümmte und nicht bewegen konnte, doch sie tat nichts. Ich glaube, er hat sie auch verprügelt und auch vergewaltigt. An Corinna traute er sich wohl nicht heran. Wenn es vorbei war, war sie es, die dann zu mir kam und mich in den Arm nahm. Jedes Mal dachte ich, ich sollte die Biege machen. Aber was wäre dann aus dem Mädchen geworden? Thomas, ich konnte sie nicht alleine lassen.“ „Ich hätte auch nichts anderes von dir erwartet. Du warst immer schon auf der Seite der Schwächeren, warum solltest du hier eine Ausnahme machen.“ „Du hast dich nicht verändert, Du glaubst immer noch an mich, obwohl ich Dich ignorierte. Das ist mir auch nicht leicht gefallen. Mein Vater verbot mir den Umgang mit Dir, weil du ja ein ›perverses Stück‹ bist mit deiner Homosexualität. Er hasst alle Schwulen und Lesben und besonders Dich.“ „Warum hast Du nichts gesagt? Musste es erst soweit kommen, dass Du hier landest?“ „Thomas, ich hatte Angst vor dem Typ, der mein Vater war.“ „Und was ist gestern geschehen?“ „Jemand muss ihn wohl davon informiert haben, dass ich bei Dir gewesen bin und wir zusammen gelernt haben. Jedenfalls erhielt ich eine Ohrfeige, als ich gestern Abend mit Corinna die Wohnung betrat. Das Mädchen schickte er sofort ins Kinderzimmer und mich brüllte er an, was mir denn einfallen würde mich mit Dir einzulassen. Er hätte es mir doch verboten und ob ich denn auch so eine perverse Sau wäre. Ich bin gar nicht zu Wort gekommen, denn er schlug immer weiter auf mich ein. Ich flüchtete in mein Zimmer und er kam hinterher. Er schloss die Tür und dann begann für mich die Tortur. Er prügelte mit dem Rohstock auf mich ein und dann verlor ich für einen Augenblick die Besinnung … .“ Alexanders Augen fingen wieder an zu glänzen und er hatte sichtliche Probleme weiter zu sprechen. „Als ich wieder zu mir kam …,Thomas …,er hat mich ... vergewaltigt …,es tat höllisch weh ...“. Ich biss mir auf die Lippen und ich spürte, dass Alex meine Hand fester hielt. „… ich fühlte mich durch ihn gedemütigt, und als es endlich vorbei war, sackte ich zusammen. Ich fühlte mich durch den Mann meiner Mutter beschmutzt. Ich wollte nicht mehr weiterleben. Ich hörte auf, meine Umwelt wahrzunehmen ... Dann erklang die Stimme von Corinna, ängstlich, weinerlich drang sie an mein Ohr. Sie bettelte und rief meinen Namen. Ich nahm alle Kraft zusammen, zog mich an und ging auf den Flur hinaus. Was ich sah, ließ alle meine Schmerzen vergessen. Da stand der alte Bock mit heruntergelassenen Hosen und wollte sich an Corinna sexuell vergehen. Ich sah Corinnas Angst erfüllten und Hilfe suchenden Blick. Ich glaube, ich rastete aus. Im nächsten Augenblick stand ich vor dem Typ. Alle meine Wut, mein Zorn, mein Schmerz und was sonst noch legte ich in den einen Schlag mitten in sein Gesicht. Thomas, ich bin weißlich nicht der Mensch, der zu Gewalt neigt. Doch in diesem Fall fielen alle meine Sicherungen aus. Er fiel um wie ein nasser Sack. Ich schnappte mir Corinna und eine Jacke. Bevor ich die Tür hinter uns schloss, sagte ich noch, dass du - Thomas - immer noch ein besserer Mensch bist als er. Einfach nur deswegen schon, weil Du die Menschen respektierst, so wie sie sind.“ „Alex, es tut mir leid, dass Du wegen mir leiden musstest ...“ „Thomas, vergiss das sofort wieder. Das Arschloch hat auch wegen nichts losgeprügelt, er suchte nur einen Grund und Du kamst ihm gelegen .. . Du hast mich nicht enttäuscht Thomas. „ Alexander machte eine kleine Pause. „Hast du Corinnas Lachen gehört und ihre glänzenden, großen braunen Augen gesehen? Alleine deswegen konnte ich sie schon nicht im Stich lassen … .Ich habe physische Schmerzen, doch die sind nichtig, wenn ich nicht weiß, dass es Corinna gut geht und wo sie ist.“

Wie auf ein Stichwort öffnete sich die Tür und ein kleiner Wirbelwind stürmte mit einem lauten „Alex, Alex“ hinein. Claudia und Hans folgten ihr. Corinna lief auf das Bett zu und erst als sie die Schläuche im Handgelenk sah, stoppte sie abrupt. „Tut das weh, Alex?“, fragte sie ihren Bruder und zeigte mit ihren kleinen Fingern auf die Schläuche. „Nein, das tut nicht weh, mein Hasel. Wie geht es Dir?“ „Mir geht es gut ...“. Sie kletterte auf das Bett und setzte sich neben Alex hin. Dieser legte seinen Arm auf ihren Schoss. „... ich habe bei Hans und Thomas geschlafen. Wusstest du, dass sie sich lieb haben?“ „Ja das weiß ich, Connilein.“ „Hey ich bin nicht Connilein, ich bin Corinna!“, protestierte sie. „Schon gut Corinna.“ „... dann habe ich mit Claudia heute Mittag Pudding gekocht ...“

Leise verließen Claudia, Hans und ich das Zimmer. Die beiden sollten sich ungestört unterhalten können. Auf dem Flur nahm Hans mich in den Arm und knuddelte mich etwas. „Habe Dich vermisst, Tommi“, flüsterte er mir ins Ohr. „Ich Dich auch!“, konnte ich noch sagen, bevor Hans mich küsste. Ein leichtes Hüsteln unterbrach uns. „Jungs, ich habe noch eine eigene Familie, um die ich mich kümmern muss. Corinna geht nachher mit Euch mit und seht zu, dass sie heute Abend noch warm isst. Thomas, es wäre schön, wenn einer von Euch Beiden nachher noch zu uns hinunter kommen könnte. Dann besprechen wir den Tagesablauf. Ich denke mal, es ist auch in Eurem Sinne, wenn wir uns gemeinsam um das Mädchen kümmern.“ „Alles klar, Claudia“, meldetet sich Hans zu Wort. „Ich werde so gegen Acht bei Euch sein. Geht das in Ordnung?“

„Ja, komm ruhig. So Jungs,ich mach' mich vom Acker. Oder wie pflegt ihr heutzutage zu sagen?“ Man merkte, dass Claudia mit Felix zusammen war. Humor hatte sie ... „Sollen wir wieder hinein?“ Hans nickte mir zu. Leise öffneten wir die Tür, Alexander sah uns nur kurz an und seine Augen leuchteten. Anscheinend hatten wir genau das Richtige getan und Alex Vertrauen bestätigt. Doch eine gewisse Müdigkeit konnte der Junge im Bett auch nicht verbergen. Corinna erzählte und erzählte. „... Ja, und dann sind Claudia und ich Taxi gefahren. Das war lustig. Der Fahrer sagte immer Madame zu mir und hielt mir die Tür auf. Nachdem ich eingestiegen bin, schnallte er mich mit einem Gurt fest. An dem waren so Tiere aus ganz weichem Stoff befestigt. Der Taximann sagte, dass einer davon Benny hieß. Und dass dieser Benny ein Schutzengel ist, der sich als ein Teddybär verkleidet hat und aufpasst, dass den Kindern nichts passiert. ...“ Ich musste bei dem Namen an meinen kleinen Wichtelmann denken. Hans schaute zu mir hinüber und meine Augen wurden glasig. Benny, ich glaube, das ist ein guter Name für einen Schutzengel . ... Leise trat mein Schatz zu mir und strich mir über den Kopf. Seine Berührungen taten mir in dem Augenblick gut. Alexander und Corinna bekamen nichts davon mit, dass es mir nicht gut ging bei den Erinnerungen an Benny ... Nach einer weiteren halben Stunde waren alle Anwesenden im Bilde, wie aufregend ein Tag eines achtjährigen Mädchens sein kann. Alexander ging es aber mit jeder Minute besser. Nur wenn wir lachen mussten, holte ihn die Wirklichkeit ein. Dann hatte er wohl Schmerzen in der Brust. Ich habe gar nicht so richtig mitbekommen, wie die Zeit verging. Denn plötzlich klopfte es an der Tür und Olaf trat ein. Hans fragte, ob jemand einen Kakao trinken möchte und Corinna rief ganz laut „ich“ und wieder mussten wir lachen. Hans nahm sie an die Hand und verließ mit ihr das Zimmer. „Alexander, ich möchte dir Olaf Johannsen vorstellen. Er ist Rechtsanwalt der Stiftung. Wenn Du möchtest übernimmt er den juristischen Teil und vertritt Euch beide in Rechtsdingen.“ „Und wer bezahlt das? Ich bin nicht versichert!“ „Alexander, ich darf Sie doch so nennen? Zum einen gibt es für diese Fälle staatliche Mittel und zum anderen, Thomas bat mich, Ihren Fall zu übernehmen. Da ich bei der Stiftung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen arbeite, liegt Ihr Fall auch satzungsgemäß im Aufgabengebiet der Organisation. Da entstehen für Sie keine Anwaltskosten. Ich habe mich heute Nachmittag schon etwas mit Ihrem Fall beschäftigt und ich bin froh, dass Thomas mich zu Rate gezogen hat. Ich werde alles tun, um Ihnen und Ihrer Schwester Corinna zu helfen. Ihre Eltern haben sich auch schon an einen Anwalt gewendet und so wie es aussieht, läuft die ganze Sache auf eine Schlammschlacht vor Gericht hinaus ...“ „Halt!“, rief Alexander dazwischen. Olaf und ich sahen uns an. „Herr Johannsen, Thomas. Mir geht es in erster Linie um das Wohlergehen von Corinna. Ihr darf nichts passieren und ich möchte, dass meine Eltern dafür bestraft werden, für das, was sie uns angetan haben. Eine Frage: Bekommen sie es hin, dass Corinna und ich nicht getrennt werden?“ „Ja, das kann ich sogar versprechen. Ich habe schon mit dem Jugendamt gesprochen, und da Sie schon volljährig sind, steht einem sozial betreuten Wohnen nichts mehr im Weg.“ „OK, wo muss ich unterschreiben?“

Olaf öffnete seinen Altenkoffer und zog eine Akte hervor. Auf dem Umschlag standen Corinnas und Alexanders Name und ein Aktenzeichen. Dann hielt er ein Blatt in der Hand und gab es Alexander.

„Bitte lesen Sie es sich durch und unterschreiben Sie unten auf der Linie.“ Olaf fügte eine Pause ein und sah Alexander zu, wie er den Schreiber nahm und unterzeichnete. „Wie geht es Ihnen jetzt?“ „Ich habe Kopfschmerzen und ich fühle mich erschöpft.“ „Dann machen wir für heute Schluss, Alexander. Noch eine Sache, ich habe zum Schutz ihrer Schwester eine zivile Beamtin der Polizei besorgt. Ich möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.“ Alex schnappte nach Luft und wollte etwas sagen, doch Olaf ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Die Beamtin bleibt in der Nähe und im Hintergrund, so dass sie nichts davon mitbekommt. Sie sind hier im Krankenhaus sicher, Corinna aber nicht. Ich wünsche Ihnen gute Besserung und ich unterrichte Sie regelmäßig über den Stand der Dinge.“ Olaf verließ das Zimmer. „Thomas, ist der immer so?“ „Nein, Alex nicht immer. Heute war er sehr zurückhaltend. Falls es dich interessiert, er hat mich nach meinem Rausschmiss vertreten und meine ehemaligen Erziehungsberechtigten hatten das Nachsehen. Selbst die Gerichts- und seine Anwaltskosten mussten sie übernehmen.“ „Und warum tust Du das für mich, Thomas?“ „Du bist mein Freund. Reicht das?“ Die Tür öffnet sich und Hans, Corinna und Sebastian betraten das Zimmer. Der letztgenannte trug ein Tablett mit dem Abendessen hinein. „So für heute ist die Besuchszeit zu Ende, der Patient braucht Ruhe und daher bitte ich euch, morgen wiederzukommen!“

Auch eine Art von Rausschmiss, doch eine sehr Angenehme. Ein Blick auf die Uhr sagte auch, dass es schon sehr spät geworden ist. „Du hast es ja gehört, Connilein, ich muss jetzt Abendessen und anschließend soll ich schlafen. Kommst du morgen wieder?“ „Ja. Ich bin auch sehr müde.“ An den Pfleger gewandt. „Darf ich morgen auch meine Schulsachen mitbringen, dann kann mir Alex ja dabei helfen?“ „Kein Problem, ich werde auch einen Tisch hineinstellen und einen Stuhl. Doch Alexander darf noch nicht aufstehen. Glaubst du, dass der Deal gilt?“ Sebastian sprach mit Corinna, wobei er sich in die Hocke setzte, um genauso groß wie sie selber zu wirken. „Ja, das geht in Ordnung.“ Dann drehte sie sich zu Alex um: „Alex, was ist ein 'Diel'? “ „Das ist ein Handel. So ähnlich, wenn ich dir nur dann eine Geschichte vorlese, nachdem du dir die Zähne geputzt hast.“ „Ich verstehe, bis Morgen, Alex.“ Dann kletterte sie noch einmal auf das Bett und gab ihrem Bruder einen Schmatz auf die Wange. Corinna nahm Hans bei der Hand und zog ihn zur Tür. „Alexander, wenn Du noch etwas brauchst oder wenn sonst noch etwas sein sollte, dann melde Dich einfach.“ „Tschüss ihr Beiden.“ Damit verließ ich das Krankenzimmer und traf auf die Beiden anderen, die mich schon erwarteten. Vor dem Krankenhaus hupte jemand und bald schon fuhr ein Auto langsam neben uns her. Sicherheitshalber nahm Hans Corinna beiseite und ich drehte mich zu dem Auto um. „Hi Mädel und Jungs, kann ich Euch mitnehmen.“ „Mensch, Felix, musst Du uns so erschrecken!“ Ich war schon sauer auf ihn. „Keep cool, Thomas.“ Na es schien ihm auch gerade eingefallen zu sein, dass es - auf diese Art - nicht die beste Idee gewesen ist. „Aber wenn Du schon mal hier bist, ich denke, wir sagen nicht nein“, dabei zwinkerte ich ihm zu.

„Hans, Corinna, steigt ein, Felix möchte Chauffeur spielen.“ Corinna stieg mit Hans in den Fond des Wagens ein, ich setzte mich auf den Beifahrersitz. „Hallo, Onkel Doktor. Hast du auch „Tatütata“?“ „Nein, Corinna ...“    Im Wagen selber wurde noch etwas herum geplänkelt und gealbert. Dann standen wir auch schon vor unserem Haus. „Wir gehen schon mal hinein. Felix, Hans kommt so gegen neun!“ „Ja, wir werden ihn erwarten.“

Corinna schien schon etwas müde. Für sie muss es ein sehr anstrengender Tag gewesen sein. Hans nahm sie auf den Arm und sie klammerte sich an ihn. Meine Gedanken schwanden dahin. Vielleicht ist es ja mal möglich, das Hans und ich auch eine ›Familie‹ bilden können ... „Träumer, schließt du mal die Tür auf!“ Hans grinste schon wieder von einem Ohr zum anderen. „Was würde ich nur ohne Dich tun, Schatz?“ „Vielleicht gegen eine geschlossene Tür laufen?“ „Ich mach ja schon, ich sehe ja gar nichts, ist das dunkel hier, welcher Schlüssel ist das denn jetzt. Ach, da ist er ja ...“ „Warte einmal, Thomas ...“ Mehr hörte ich nicht, ich spürte nur noch den elektrischen Schlag, dann wurde es dunkel ...

 

„T H O M A S ...“

Ich sah einen hellen Blitz und nahm einen stechenden Schmerz war. Dann : Ruhe
. Wo bin ich, wo sind Hans und Corinna?
Nichts: Ruhe.

Ich schaute mich um, sah aber nichts, alles dunkel und ruhig.

Ich schwebte, zumindest kam es mir so vor, denn meinen Körper spürte ich nicht. Doch mein Geist war da. Müsste ich eigentlich keine Panik haben? Angst hatte ich nicht. Obwohl der Raum noch immer dunkel war, fühlte ich mich hier geborgen.

„Thomas!“
„Wer ruft mich?“
„Thomas, ich ,... Alexander!“
„Wo bist Du Alex?“
„Ich bin hinter Dir, egal wo das auch sein mag!“


Ich schaute mich um und da sah ich Alexander vor mir.

„Wo sind wir?“, stellte ich meinem Gegenüber die Frage. „Thomas, wir sind irgendwo zwischen Zeit und Raum.“ „Sind wir …“ tot?“ ergänzte Alex meine Frage. „Ja, sind wir tot?“ wiederholte ich. „Nein, ich glaube nicht, Thomas.“ „Was sind wir dann?“ „Pscht, keine Fragen.“

Stille.


„Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen!“, meinte Alex nach einiger Zeit. „Wozu nutzen?“
„Zum Reden, Thomas.“


Stille.

„Du hast Dein Bewusstsein verloren, Thomas. Jemand hat Deine Wohnungstür manipuliert. Es war ein heftiger Stromschlag der Dich hierher befördert hat. Demnach liegst Du im Koma, für die Anderen...“ „Und Du, Alexander?“ „Auch ich liege im Koma, aber 'warum' und 'wieso', weiss ich nicht.“ „Hast Du eine Ahnung wer uns das angetan haben könnte? Ich meine wer Dich bei Deinen Alten verpfiffen hat und mich ins Jenseits befördern will?“ „Es gibt nur einen, den wir gemeinsam kennen und eigentlich nichts mit uns direkt zu tun hat: Mathias!“ „Mathias? Aber wieso?“ „Er hasst uns, weil wir in seine Augen 'anders' sind.“ „Ich weiss, dass er ein homophobes Arschloch ist, Alexander, doch wie habe ich die Verbindung zu Dir zu verstehen. Du bist doch nicht schwul!?!“

Soviel ich erkennen konnte, lächelte Alex. „Bist Du dir da so sicher, Thomas?“

Die Frage stand nun im 'Nichts'. Alexander lächelte noch immer und ich war mir nicht mehr sicher.

„Thomas, Du hast mir in der Vergangenheit gezeigt, das Schwulsein eine Lebensweise ist wie jede Andere auch. Sicher, ich hatte meine Vorurteile und Vorstellungen aus dem Klischee heraus. Tunten, die Handtäschchen schwingend durch die Gegend laufen und so, aber wenn es ihnen gefällt - warum nicht, ist doch OK. Es ist nicht mein Ding, ich möchte so bleiben wie ich bin.“ „Hab' ich Dich jetzt richtig verstanden - Du liebst Jungs?“ „Der Kandidat erhält 100 Phantasiepoints. Hier - im Nichts - zwischen Zeit und Raum habe ich zum ersten mal offen darüber gesprochen - gedacht - das ich selber schwul bin.“ „Gedacht? Dass Du Dein Coming Out vor mir hast?“ „Ja, nur gedacht, denn nur unser Geist ist hier.“

Stille.


„Thomas?“ „Ja, Alexander?“ „Vielleicht ist es spät - zu spät - ich bin in Dich verliebt gewesen und auch jetzt liebe ich Dich noch immer.“ „Alexander, auch ich liebe Dich, aber nicht auf die gleiche Art wie Hans. Alexander Du bist mein Freund und Deine Freundschaft bedeutet mir - uns - sehr viel. Hans ist aber mein Freund, mit dem ich gerne Alt werden möchte.“ „Ich verstehe Dich Thomas, auch ich bin auf unsere Freundschaft stolz...“

Anscheinend dachte im Moment keiner etwas. Eine kleine Pause entstand. „Thomas, es gibt da jemanden... ich glaube ich habe ihn sehr gern...“ „Sebastian?“ „Ja, Sebastian... es bereitet mir Freude ihn zu sehen... tausende von Schmetterlingen kribbeln in meinem Bauch, wenn Er mir zulächelt. Ich fühle mich in seiner Nähe glücklich und wohl!“

Pause.


„Thomas, ich habe Angst, ihm von meinen Empfindungen zu erzählen.“ „Diese Angst - Alexander - kann Dir keiner nehmen... Du kannst es nur versuchen...“

Plötzlich kam es mir so vor, als ob der Raum bebte. In der Ferne tat sich ein Lichtpunkt auf.

„Thomas, siehst Du das Licht auch?“ „Ja, Alex!“ „Dann scheint es so, als ob wir sterben würden!“ Alexander war absolut ruhig.

Das Licht wurde größer und kam immer näher - oder wir schwebten immer schneller auf das Licht zu - egal!

„Können wir nichts dagegen tun Alexander?“

„Wir nicht Thomas, es liegt nicht in unseren Händen.“

Das Licht wurde immer heller.

„Thomas?“ „Alexander?“ „Darf ich Dich küssen, bevor ich sterbe?“ „Ist dies Dein Wunsch?“

„Ja!“ „Warum zögerst Du dann noch?“

Alex deutete auf das Licht, eine Gestalt kam uns entgegen. In einiger Entfernung blieb sie stehen, aber nicht nur sie, sondern alles um uns herum stand wieder still.

„Jungs ich möchte Euch nicht den Spass verderben, doch ihr Beide seid entschieden zu früh dran.“

Ein junger Mann - etwa in unserem Alter - schwebte vor uns. Mir kam sein Gesicht bekannt vor, doch ich konnte es nicht zuordnen.

„Wer bist Du?“

„Mein Name ist Johannes und ich bin zu Euch Beiden gesandt worden, weil ihr noch nicht ins Licht eintreten dürft. Meine Aufgabe ist es, Dich, Alexander,und Dich,Thomas,zu begleiten.“

Johannes hob seine Hände und verdeckte jedem von uns die Augen. Langsam fühlte ich meine Körper und einen höllischen Schmerz. Dann drang eine Stimme an mein Ohr.

 

„Bitte Thomas, lass mich nicht alleine.“ Es war Hans, der leise zu mir sprach. Seine Stimme klang Angst erfüllt und weinerlich. Er hielt meine Hand und strich mir immer wieder über die Stirn.

„Hans...“, wollte ich artikulieren, doch mein Sprachzentrum verweigerte mir noch seinen Dienst.

„Doc, ich glaube, er kommt langsam zu sich!“ In seiner Stimme klang ein Funke Hoffnung mit.

Gut, wenn es verbal noch nicht so klappt, dann eben nonverbal. Hans hielt noch immer meine Hand und ich fühlte das meine Kraft langsam zu mir zurück kehrte. Ich drückte sie ein wenig.
 Meine Augen wurden nacheinander geöffnet und ein greller Lichtstrahl blendete mich. Reflexartig zog ich meine Augenlider zusammen. „Hallo Thomas, schön Dich wieder bei uns zu haben.“ Der Bariton von Felix traf auf mein Trommelfell. „Versuch' mal die Augen zu öffnen.“ Mir kam es so vor, dass meine Batterien wieder voll Energie waren und auch mein Kommunikationszentrum mir wohl gestimmt war. „Aber nur, wenn Du - Felix - mich nicht wieder blendest.“ „Wenn dies Deine einzigen Befürchtungen sind, dann kann ich Dich beruhigen...“. Und dann, wohl zu Hans gewandt, „so wie es aussieht, bekommst Du Deinen alten Thomas wieder.“ Ich fühlte wie Hans meine Hand etwas drückte und mir liebevoll über die Stirn strich. Nachdem ich meine Augen öffnete, spürte ich auch seine Lippen auf den meinigen. Wir bekamen nicht mit, dass Felix und Corinna die Wohnung verlassen hatten und uns beiden alleine ließen. „Hallo mein Schatz!“, strahlte mich ein überglücklicher Hans an. Ich sagte nichts, ich schaute ihn nur an. Wie schön mein Freund doch war. Er lächelte. Einzig seine rotgeweinten Augen passten nicht zu dem Bild. Ich führte meine freie Hand zu seinem Gesicht und strich mit meinen Daumen sanft über seine Wangen. „Wegen mir?“

Hans sah mich an, direkt in die Augen und ich verstand ihn. Langsam zog ich Hans zu mir heran bis sich unsere Lippen berührten. Hans ließ sich fallen und ich spürte wie wir uns entspannten. Wir kuschelten uns aneinander.

„Thomas, mach so etwas nicht wieder. Ja!“ „Ich habe auch nicht vor, so etwas freiwillig zu wiederholen Hans. Aber was ist denn genau passiert? Das letzte an was ich mich erinnere, ist ein stechender Schmerz.“ „Als Du versucht hast die Wohnungstür zu öffnen, bekamst Du einen elektrischen Schlag und bist wohl rücklings auf den Kopf gefallen. Dann warst Du bewusstlos. Corinna schrie, bis Felix heraufgekommen ist und er hat Dich dann sofort untersucht. Ich öffnete die Wohnung, indem ich den Schlüssel mit meiner Jacke angefasst habe. Felix nahm Dich auf den Arm und brachte Dich hierher ins Bett.“ Hans strich mir sanft über die Brust. „Ich berichtete ihm was passiert war und er kümmerte sich um Dich. Thomas ich hatte einen Heidenschiss, weil Du wie tot dagelegen bist.“ Es war nun selbstverständlich, dass ich Hans ganz lieb knuddelte.

„Felix spritzte Dir eine klare Flüssigkeit und dann hieß es warten. Er hatte gut reden. Er sagte mir, dass Du eine gute Kondition hast. Ich wollte nicht von Deiner Seite weichen...“ Bei den Erinnerungen, wurden seine Augen wieder glasig und ich drückte ihn an mich. „Felix meinte, wir sollten uns einmal die Tür ansehen und es fiel mir schwer, nicht an deiner Seite zu bleiben. Thomas, Du hast Glück im Unglück gehabt. Der elektrische Schlag hätte Dich auch töten können. Der, der die Tür manipuliert hat, kannte sich aus...“. „Mathias!“, unterbrach ich Hans. „Mathias? ,woher?“ „Alexander hat es mir gesagt“, sagte ich mit Überzeugung. Hans richtete sich auf und schaute mich fragend an. „Du hast mit Alexander gesprochen? Wann?“ „Als ich bewusstlos gewesen bin...“. Ich erzählte Hans, was ich erlebt hatte. „Und Du glaubst ...?“ „Ich denke, wir können es ihm nachweisen und es würde mich nicht wundern, wenn Alex uns sagt, wie wir es anstellen sollen.“ Da fiel mir ja ein, dass Alex auch ohne Besinnung gewesen sein muss. Ich fühlte mich kräftig genug, um mich nach seinen Befinden zu erkundigen. „Hans!?!“ „Hier Tommi, Schatz. Du wolltest Dich nach Alex Befinden erkundigen...“ ,mein Freund hielt mir das Telephon entgegen. „Bin ich so leicht zu durchschauen?“ „Nein Thomas, nur für die Menschen, die Dich lieben... Ich lass Dich jetzt einen Augenblick alleine.“

Ich schüttelte den Kopf, während ich die Nummer von der Station wählte. Ein Blick auf meinen Wecker zeigte mir, dass Sebastian und Antje noch Dienst haben mussten. „Hallo ich bin's, Thomas Gärtner. Ich würde gerne mal mit Antje oder Sebastian sprechen.“ „Gut, dann geben Sie mir Sebastian.“ Antje war gerade zu Tisch gegangen. „Hi Sebastian, ich bin es wieder, Thomas. Ich möchte mich nach Alexander erkundigen. Ist er wieder bei Bewusstsein?“ „Hi Thomas, als ich vorhin bei ihm war schlief er und er lächelte im Schlaf. Wie kommst Du darauf, dass er bewusstlos gewesen sein sollte?“ Kurz berichtete ich Sebastian von dem Vorgefallenen und dass ich nun beruhigt bin, dass es Alexander gut geht. „Also, Thomas. Was Du mir da erzählst ist zwar schwer zu glauben. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass Du mich auf den Arm nehmen willst. Ich werde mir nachher noch einmal die Aufzeichnungen des Überwachungsmonitors anschauen. Aber mach Dir deswegen keine Sorgen. Ich werde mich schon um ihn kümmern.“ „Danke Sebastian.“

Das Gespräch wurde beendet.

„Geht es ihm gut?“ Woher Hans nur das Timing nahm. Ich wiederholte ihm das Gespräch mit Sebastian. „Glaubst Du, die Beiden finden zueinander?“

„Du weisst?“ „Na, so wie die Beiden sich heute angeschaut haben, sieht das doch ein Blinder mit Krückstock.“

Dann krabbelte Hans zu mir ins Bett und kuschelte sich unter der Decke ganz nah an mich heran. Es fühlte sich gut an, Hans so nahe zu sein. Seine Haut fühlte sich warm und weich an, als ich ihm langsam über den Arm strich. Er revanchierte sich, indem er mir über den Flaum am Nabel strich. Wir sahen uns nur in die Augen. Um uns herum war es sehr still geworden. An mein Ohr drang nur unser Atem und das Schlagen unserer Herzen. Peu à peu schob er seine Hand unter mein Shirt. Es dauerte nicht lange und einige Textilien flogen durch die Luft. Unsere Hände gingen auf Entdeckungsreise... .

„Guten Morgen mein Lieber.“ Hans flüsterte mir diese Worte sanft ins Ohr. „Möchtest Du frühstücken?“ „Hä? Guten Morgen mein Schatz.“ Es folgte ein gegenseitiges Knuddeln und Küssen. „Wie hast Du geschlafen, Thomas?“ „Gut, neben Dir fühle ich mich einfach wohl und geborgen.“ „So kam es mir auch vor, mein Lieber.“ Um Hans Mund spielte ein hintergründiges Lächeln, weswegen ich ihn etwas irritiert ansah. „Na, kaum hattest Du gestern Deinen Arm um mich gelegt, bist Du eingeschlafen und hast geschlafen wie ein Stein.“ „Oh sorry, habe ich Dir den Abend verdorben?“ ich schaute fragend zu Hans hinüber. „Nope. Es war ja ein aufregender Tag, ich denke wir waren alle irgendwie fertig. So und nun komm frühstücken. Corinna wird heute bei den Hausachs frühstücken.“ „Hat sie denn nicht hier geschlafen?“ „Nein, Felix hat sie überzeugen können unten zu schlafen. Ich denke es ist auch das Beste für uns.“

Ich quälte mich aus dem warmen Bett, zog mir schnell etwas über und folgte dem frischen Duft des Kaffees in die Küche. Der Tisch war fertig gedeckt. Hans war dabei uns Kaffee einzuschenken. Ich ging zum Vogelbauer, um Xavier guten Morgen zu sagen. Der Vogel schaute mich an und blinzelte mir zu. Der Papagei war schnell versorgt und ich nahm am Tisch Platz.

„Sage mal Hans, was steht heute an?“ „Also ich gehe brav in die Schule und Du zunächst einmal in die Praxis. Der Doc möchte Dich noch einmal sehen, was ich Dir hiermit ausgerichtet habe.“

„Danke, und wie sieht mein weiterer Tagesablauf aus?“ grinste ich mein Freund süffisant an. „Dann gehst Du, wie ich, wahrscheinlich auch in die Bildungseinrichtung, die landläufig auch Schule genannt wird. Heute Nachmittag hast Du noch Termin bei Deinem Rechtsanwalt, er hat auf den Anrufbeantworter gesprochen.“ Hans kaute genüsslich an ein Bissen von seinem Erdbeermarmeladenbrötchen. „Ich werde derweil bei mir daheim nach dem Rechten sehen und anschließend zum Musikunterricht gehen. Rechne bitte nicht vor Acht mit meinem Erscheinen.“ „Gut, habe ich notiert.“ Einen grinsenden Blick warf ich noch zu Hans hinüber, verhielt mich ansonsten still. „Warum grinst Du?“ „Ich könnte in den Glauben verfallen, Du seist mein Privatsekretär. So wie Du alles chronologisch heruntergeleiert hast.“ „Nee, mein Lieber, vergiss das mal ganz schnell. Nur in außergewöhnlichen Situationen bin ich zu solchen Glanzleistungen fähig. Ansonsten vergesse ich ohne mein Notizbuch Jeden und Alles.“ Hans schaffte es nicht mich davon zu überzeugen, dass er ein solch löchriges Gedächtnis hat. „Ach, bevor ich es vergesse. In zwei Wochen holen wir deine Eltern vom Flughafen ab“, lockte ich ihn aufs Glatteis. „Mein Dummerchen, meine Eltern kommen erst am 27. dieses Monats wieder und der Flieger landet - laut Flugplan - um 23H45.“ Ich blickte ganz unschuldig zu Hans hinüber. Soviel zum Thema „Hans und Vergesslichkeit“. „Arsch, hast mich kalt erwischt. Das werde ich Dir heimzahlen.“ „Ja, mach' nur. Aber zuvor gehst Du zur Schule!“

Xavier machte Anstalten seine morgendliche Runde zu fliegen und lenkte mich etwas ab. Hans stand auf und begann den Tisch abzuräumen. Viel Zeit hatte er nicht mehr, wenn er noch rechtzeitig zur Schule kommen wollte. „Hans lass' mich das machen, bitte. Ich habe noch etwas Zeit und Du hast ja schon den Tisch gedeckt.“ Mein Freund schaute mich dankend an. Dann verschwand er. Ich leerte meine Tasse und deponierte alles an seinem Platz. In wenigen Minuten hatte ich die Küche soweit aufgeräumt, dass ich mich auch fertig machen konnte. Im Flur kam mir Hans entgegen. „Sehen wir uns zur Pause,Thomas?“ „Ich denke schon, bis nachher.“ Hans knuddelte mich noch ein wenig. „Schön das Du für mich da bist Thomas. Habe ich Dir schon gesagt, dass Du mein Glück bist?“ „Ja Hans! Allein wenn Du mich anschaust, kann ich nur erahnen wie sehr Du mich liebst.“ Ein Kuss versiegelte meine Lippen. Nur widerwillig trennten wir uns, aber Hans musste nun wirklich los und ich dringend zum Doc.

„Guten Morgen Thomas.“ Felix lächelte bei meinem Eintreten in seine Praxis. „Guten Morgen Felix, wie geht es Corinna?“ „Dem Mädchen geht es gut. Claudia hat sie schon zur Schule gebracht und wird sie heute Mittag auch wieder abholen. Und wie geht es Dir selbst?“ „Ich fühle mich ein wenig groggy, aber es geht schon.“ Der Arzt kam auf mich zu und untersuchte mich gründlich. „Ach Felix, weißt Du warum Olaf mich sprechen will. Er hat auf unseren Anrufbeantworter gesprochen und mir mitgeteilt, dass ich heute noch einmal zu Ihm in die Kanzlei kommen soll.“ Der Doc zog die Schultern hoch. „So, dann strecke mir doch einmal die Zunge heraus und sag 'A'.“ „AA....“ „Gut, danke Thomas. Ich gebe Dir diese Tabletten, Du nimmst sie zweimal am Tag mit viel Flüssigkeit.“ „Wozu sind die gut? Hat das etwas mit gestern zu tun?“

„Nicht im geringsten. Deine Mandeln sind etwas geschwollen und die Tabletten sind ein Antibiotikum auf pflanzlicher Basis. Ansonsten bist Du gesund. Ich werde nachher noch mit Alexander sprechen, ob wir Corinna, solange er im Krankenhaus ist ,doch bei uns in Obhut nehmen. Wir - das heißt Claudia und ich - sind der Meinung, dass dies für alle das Beste ist.“ „Hans sagte mir vorhin auch etwas in dieser Richtung. Ich denke,ich schließe mich dem an. Und außerdem wohnen wir ja im gleichen Haus. Da kann sie uns ja auch einfach so mal besuchen. Weißt Du eigentlich schon, wie lange Alex im Krankenhaus bleiben muss.“ „Ich denke, wenn keine Komplikationen eintreten, sechs bis acht Wochen. Aber da möchte ich mich nicht weiter zu äußern. Ich muss erst einmal mit Alexander drüber sprechen. Auch wegen Schule und so.“

„Okay, kann ich jetzt los?“ „Schwirr ab. Grüsse Hans von mir. Ach so, könntest Du heute vom Krankenhaus fern bleiben. Ich möchte nicht, dass jemand ernsthaft krank wird. Nur so als Vorsichtsmaßnahme!“ „Mach ich, Felix, tschüss.“

 Direkt hinter der großen Eingangstür der Schule lief mir unser Direx über den Weg. „Morgen Thomas. Bist spät dran heute?“ „Morgen Herr Lange. Ich musste noch zum Arzt wegen einer Erkältung.“ Ich hielt ihm das Medikament hin und er nickte nur. Danach scheuchte er mich in den Klassenraum. Monsieur Larrique drehte sich nur kurz um und fuhr ohne weiteres Aufhebens mit seinem Unterricht fort. Im Anschluss an diese Stunde bat mich der Lehrer noch einmal zu sich um mir die Aufgaben und den Stoff der Lektion in Schriftform zu geben. „Warum bekomme ich denn zwei Exemplare, Monsieur Larrique?“ „Eines ist für Dich, das Andere für Alexander. Ich denke, ihr kommt damit klar. Falls doch noch Fragen sind, hinten auf der letzten Seite ist meine Telefonnummer.“ „Warum tun sie das? Ich meine, Alexander hat sich doch nicht rühmlich in Ihrem Unterircht verhalten.“ „Na, er mag ja ein störender Schüler sein. Aber jede Klassenarbeit hat er mit einer Zwei abgeschlossen. Und ich wäre ein miserabler Pädagoge, wenn ich ihn jetzt einfach fallen lassen würde. So genug geschwätzt, au revoir, Thomas.“ „Au revoir, Monsieur Larrique.“ Ich schlenderte ins Café, wo ich auf meine Clique traf. „Hi Leutchen. Na was geht ab?“
„Hi Thomas.“ Kathrin schaute sich um. „Wo hast Du dein Herzblatt gelassen?“ Just in diesem Augenblick legte Hans seine Hände auf ihre Schultern. Kathrin zuckte sichtlich zusammen.

„Hinter Dir steht mein Herzblatt.“ „Na, was hat der Doktor gesagt?“ „Was ,Thomas geht freiwillig zum Arzt?“, mischte sich nun Peter ein und schaute entgeistert in meine Richtung. Ein schneller Blick von Hans deutete mir, noch nichts von dem Vorfall zu sagen. „Doc Hausach sagte mir, dass ich geschwollene Mandeln hätte. Na, bevor ich noch jemand mit etwas anstecke...“ „Da hast Du recht, Thomas. Mit so etwas sollte man nicht spaßen.“ meinte Peter. Dagegen war Kathrin nicht so leicht zu überzeugen. Sie schaute skeptisch. Erst zu mir dann zu Hans. „Nun, Felix meinte, ich solle ein Antibiotikum einnehmen, dann wird es schon wieder. Alex' Schwester wohnt auch vorübergehend bei Euch, Kathrin...“ „Wenn das so ist, scheint es ja doch ernst zu sein. Dann wünsche ich Dir gute Besserung, Thomas.“ Bingo, Kathrin hat meine Story auch geschluckt und ich brauchte noch nicht einmal eine Ausrede. „Dann gehst Du heute zu Alexander, Hans?“ meinte Kathrin. „Nein, ich habe heute keine Zeit. Corinna wird heute Nachmittag bei ihm sein. Warum fragst Du?“ „Na ganz einfach. Thomas ist krank und wenn Du auch nicht hingehst, woher soll er dann die Hausaufgaben bekommen?“ Dem entspricht eine gewisse Logik. Hans und ich schauten uns etwas verdutzt an. Dann leuchteten seine Augen für einen Moment auf. „Stimmt auffallend, Kathrin...“, begann Hans den Satz. „... daher wären wir Dir sehr verbunden, wenn Du ihm die Hausaufgaben bringst“, bendete ich ihn, holte die Zettel mit den französisch Aufgaben hervor und drückte sie Kathrin in die Hand. „Du weißt ja, was Monsieur Larrique dazu gesagt hat. Und grüße Alexander von mir.“ Kathrin schaute ein wenig verdutzt drein. Doch sie stimmte dem Vorhaben zu. Mir schien, dass Kathrin es so auch gewollt hatte. Gut, sie hatte diesen Streit mit Alexander und es würde wohl einige Zeit in Anspruch nehmen, bis dieser zur Vergangenheit zählen würde. Aber sie hatte auch schon oft gezeigt, dass sie den ersten Schritt machte, um einen Streit aus der Welt zu schaffen. Da konnte ich mich auf Kathrin verlassen, dass sie - wenn Not an Frau/Mann war - nichts aufhalten würde, um zu helfen. Dies war wieder so ein Moment, wo ich froh war solche Freunde zu haben. Vielleicht sollte ich mal wieder einen Spiele - Abend veranstalten, denn in den vergangenen Tagen, hatten wir nicht besonders viel gemeinsam unternommen. Den Rest des Vormittages verbrachte ich noch mit diversen anderen Fächern und mir schien, als ob sich der Tag noch ewig hinziehen würde. Hans hatte sich schon verabschiedet, als ich am Nachmittag die Kanzlei von Olaf betrat. Seine Sekretärin saß, wie immer vielbeschäftigt, hinter ihrem PC. „Hallo Thomas, was führt dich her?“ wurde ich freundlich von Ihr begrüßt. „Hallo Brigitte, ich komme auf Wunsch von Olaf. Er hatte mir gestern eine Nachricht hinterlassen. Weißt Du worum es geht?“ Die Vorzimmerdame schüttelte mit dem Kopf. Sie bot mir aber einen Kaffee an, welchen ich gerne annahm. Herr Johannson hatte gerade ein Gespräch mit einem Klienten, welches noch einige Zeit andauern würde. Ich wartete auf Geheiß von Brigitte im Wartezimmer. Nach einer Zeit wurde die Tür geöffnet und Olaf kam selbst hinein. „Hallo Thomas, komm rein.“
„Hallo Olaf, was gibt es, dass Du mich zu Dir zitierst?“ „Komm hinüber in mein Büro, da werde ich es Dir erklären. Ist aber nichts Wildes. Möchtest Du noch einen Kaffee?“ „Ein Tee wäre mir jetzt lieber.“ gab ich dem Anwalt zur Antwort. „Brigitte, machen sie für Thomas einen Tee und für mich einen Cappuccino, bitte.“ „So, tritt ein, ich möchte nicht lange um den heißen Brei reden. Ich habe vorgestern noch mit Felix gesprochen und es wurde erwähnt, dass er Dne Wohnung haben möchte. Diese Wohnung habe ich Dir damals ja vermittelt. Hinzu kommt, dass ich mich für die vielen Gefälligkeiten, welche Du mir und der Stiftung beschert hast, bedanken möchte. Daher habe ich mal einige Kontakte spielen lassen. Ich habe da drei Objekte ausfindig machen können, welche sehr interessant sind.“

„Danke Olaf, und es wundert mich, dass alles so schnell geht. Felix hatte es mir selbst erst vor ein paar Tagen gesagt. Aber habe ich richtig gehört, Du hast von Objekten gesprochen?“

„Ja, das habe ich. Es handelt sich bei Zweien um 3-Zimmer-Küche-Bad-Wohnungen. Das dritte ist eine Doppelhaushälfte. Ich möchte, dass Du und Dein Freund Euch einfach mal die Wohnungen anschaut und das Beste für Euch heraussucht. Brigitte hat alles einmal in diesem Schnellhefter zusammengefasst.“ Dabei drückte er mir eine Mappe in die Hand. Ich nahm sie an mich und blätterte etwas drin herum. Dennoch fühlte ich mich etwas überfahren, was ich auch gegenüber den Anwalt äußerte. Olaf nickte. „Ihr könnt Euch etwas Zeit lassen, die Wohnungen werden demnächst erst frei. Es reicht, wenn Ihr mir Ende des Monats Bescheid gebt. Egal, wie Ihr Euch entscheidet.“ Olaf erhob sich und deutete an, das ich gehen könnte, wenn nicht noch etwas anliegt. „Wo ich schon mal hier bin, wie sieht es mit Alexander und Corinna aus?“ „Da sie meine Klienten sind und ich der Schweigepflicht unterliege darf ich Dir nichts sagen. Nur soviel, es wird keine Schwierigkeiten geben.“ „Ach da habe ich noch etwas. Hast Du heute schon mit Doc Hausach gesprochen?“ Olaf verneinte. Ich schilderte ihm was sich nächtens zugetragen hat. Auch von dem Erlebnis während meiner Bewusstlosigkeit. Der Anwalt hörte sich alles geduldig an.

„Ich gehe davon aus, dass es wohl kaum noch Sinn macht nach Fingerabdrücken zu suchen?“

„Nein, dazu waren wir alle zu sehr aufgeregt.“ „Ab wann bist Du daheim?“ „Ich werde mich gleich auf den Weg machen,“ „Gut, ich schicke Dir noch einen Bekannten von der Kripo vorbei. Er wird sich mal umschauen. Bis dahin verändere nichts mehr.“ Nachdem ich wieder auf der Straße stand entschied ich mich für den direkten Weg nach Hause. Der Himmel war auch wieder grau verhangen. Sicherlich dauert es nicht mehr lange, bis es zu regnen beginnt. Das Wetter wurde wieder ungemütlich. Dementsprechend beeilte ich mich... , und ging zügig voran. Daheim angekommen, setzte ich eine Kanne Tee auf und holte noch einige Kekse aus dem Schrank. Xavier schaute mir vom Halogenfluter aus zu, wie ich den Couchtisch deckte. Bevor ich mich mit den Hausaufgaben beschäftige, wollte ich etwas entspannen. Zum Schluss nahm ich den Ordner, den Olaf mir mitgegeben hatte, und setzte mich auf die Couch. Langsam blätterte ich darin herum und schaute mir die Photos an. Olaf hat wirklich einen guten Geschmack. Alles, was ich in den Händen hielt, waren Objekte in sehr guter Lage. Aber ich wollte nicht alleine entscheiden. Darum legte ich den Ordner auf den Tisch nahm einen Teller Kekse und verschwand um meine Aufgaben zu erledigen.

„Hallo, niemand daheim?“ Hans' Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Über die Hausaufgaben habe ich die Zeit vergessen und ein Blick auf meinen Wecker zeigte, dass ich schon drei Stunden beschäftigt gewesen bin. „Doch, Xavier ist in der Küche und ich im Schlafzimmer.“ Die Tür öffnete sich und Hans steckte seinen Kopf durch. Ich schaute nur kurz zu ihm hinüber und fiel fast vom Stuhl. „Hey, was hast Du denn gemacht?“ „Ich, nichts!“ Hans kam nun auf mich zu. Irgendwie sah er heute Abend anders aus als heute Morgen. „Doch, Du hast etwas mit Deinen Haaren gemacht“ „Ich habe Dir schon gesagt, ich habe nichts getan...“. Wie so oft schaute er mich scheinheilig an, „...aber der Coiffeur hat etwas gemacht.“ „Ich seh's“. Langsam stand ich auf, ging auf meinen Freund zu. Schritt einmal um ihn herum und betrachtete mir sein neues Outfit von nahe. Schaute ganz kritisch. „Es gefällt Dir nicht?“ Hans machte ein betrübtes Gesicht. „Wer sagt denn so etwas? Ich finde es steht Dir.“ „Ach das sagst Du jetzt, nur so.“ Hans Ton beherbergte eine Nuance Enttäuschung. „Nein, Hans, es steht Dir wirklich. Ich muss mich nur daran gewöhnen, dass Du nicht nur kurzes Haar hast...“ ich legte eine kleine Pause ein „... sondern dieses nun auch multicolor trägst.“ „Es gefällt Dir nicht! Ich höre es aus Deiner Stimme.“ „Hans schau mich bitte an.“ Nun stand ich direkt vor ihm und schaute in seine rehbraunen Augen. „Es gefällt mir wirklich, und ich finde, Du siehst umwerfend gut aus. Warum möchtest Du mir nicht glauben?“ „Na, Du hast nicht gerade begeistert drein geschaut, vorhin.“

„Hey, ich war nur etwas überrascht vorhin, wann kommt hier schon ein so süsser Junge ins Zimmer, mit einem dreifarbigen Kurzhaarschnitt? Nicht sehr oft. Oder?“ „Na Du magst recht haben, hoffe ich, zumindest was das mit den 'süßen Jungen' angeht.“

Ich nahm Hans in den Arm und gab ihm einen Kuss und knuddelte ihn ein wenig. Zu guter letzt strich ich ihm über das Haar. Es gefiel mir wirklich und machte meinen boyfriend richtig sexy.

„Was wollte eigentlich Olaf von Dir?“ „Komm ins Wohnzimmer, ich zeige es Dir. Hast Du Lust auf eine Tasse Tee?“ „Immer, hast Du auch Kekse?“ „Sicher doch mein Leckermäulchen, für Dich sogar noch welche mit Schoko“. „Hallo Xavier“, begrüßte Hans den Papagei. Dann setzte er sich auf die Couch. Ich platzierte mich neben ihm und drückte ihn die Mappe in die Hand.

„Was ist das, Tommi?“ „Mach' mal auf.“ Hans öffnete den Schnellhefter und sah sich die Fotos an. „Schön und gut, aber was wollte nun der Anwalt von Dir?“ „Du hältst es gerade in Deinen Händen. Olaf hat mit Felix gesprochen und hat schon mal etwas vorgegriffen. Uns stehen diese drei 'Objekte' zur Auswahl.“ „Aber was haben die Beiden mit unserer Wohnung zu tun?“

„Ich habe Dir doch von Opa Hannes und der Stiftung erzählt!“ Hans nickte. „Die Stiftung kommt für meinen Unterhalt auf, solange ich in der Ausbildung bin. Dazu gehört auch meine Unterkunft. Was nicht dazu gehört, ist die Betreuung durch den Anwalt. Das geht alleine auf Olafs Initiative und warum er das macht kann ich nicht sagen.“ „Und wenn ich Dich jetzt richtig verstanden habe, sollen wir entscheiden was für uns das Beste ist?“ „Du hast es erfasst, Hans. Wir können uns aber bis Ende des Monats Zeit lassen.“ „Ich denke das ist gar nicht nötig. Ich plädiere für die Doppelhaushälfte. So wie das hier beschrieben wird, gibt es da drei Etagen. Die Küche, das Wohn- und Esszimmer und eine Terrasse im Erdgeschoss. Die erste Etage beherbergt einen Balkon, ein Bad und drei Zimmer. Last, but not least, gibt es noch eine kleine Wohnung unter dem Dach. WC in jeder Etage und die Gegend ist echt OK.“ „Ja, die Gegend kenne ich, nicht gerade die billigste. Spiegelt sich ja auch in der Miete wieder. Die ist dreimal so hoch wie meine jetzige. Und, Hans, was sollen wir mit soviel Platz?“ Ich schüttelte den Kopf, weil ich meinen Freund einfach nicht verstand. „Schau mal, Du und ich mieten die untere Wohnung, in der ersten Etage nehmen wir zwei Zimmer, das mit dem Balkon und noch ein anderes. Den Rest bieten wir Alexander und Corinna an. Schließlich müssen die Beiden ja auch irgendwie unterkommen und bei denen sieht es finanziell nicht so rosig aus wie bei uns Beiden. Also, was meinst Du. Sollen wir den Beiden es zumindest unterbreiten?“ Mich traf ein erwartungsvoller Blick. „Lass mich mal eine Nacht darüber schlafen. Bitte.“ „Mach das, mein Lieber. Du Thomas, ich habe Hunger. Sollen wir was kochen?“ „Gerne.“ Wir standen auf und gingen in den Küchenteil und suchten uns das zusammen, was wir benötigten. „Wie war Dein Tag?“ „Nicht so berauschend, mein Musiklehrer meinte ich müsste wieder mehr üben. Einige Stücke habe ich total vergeigt. Dann gab mir Herr Schneider noch einen Brief für meine Eltern mit. Ich glaube nicht, das da etwas Gutes drin steht.„

„Hast Du ihn nicht aufgemacht?“ „Nö, war doch an meine Eltern adressiert. Apropos Eltern, einen schönen Gruß soll ich Dir ausrichten. Die liegen auf der faulen Haut bei angenehmen 25°C.“ „Danke.“ Ein Klingeln an der Tür weckte unser Interesse. „Erwartest Du noch Jemanden?“ Hans warf mir einen fragenden Blick zu. „Ach ja, von der Kripo. Olaf wollte mir noch Jemanden vorbei schicken. Ich gehe dann mal.“

So war es dann auch. Der Beamte stellte sich als ein Herr Kunibert vor, er zeigte mir auch unaufgefordert seine Dienstmarke. Herr Kunibert trug einen größeren Metallkoffer bei sich. Später erklärte er uns, dass er bei der Spurensicherung sei und sich sein 'Werkzeug' darin befinde.

„So, Herr Gärtner dann erzählen Sie mir mal, was sich zugetragen hat. Herr Johannson hat mir nur das Nötigste mitgeteilt.“ „Nichts für ungut, Herr Kunibert, aber können sie mich Thomas nennen. Herr Gärtner hört sich so offiziell an.“ „Kein Problem, dann nenn mich Andreas.“ Andreas lächelte. Hans kam aus der Küche. „Hallo“, begrüsste er den Besucher. „Andreas, darf ich Dir Hans, meinen Freund vorstellen? Hans, das ist Andreas Kunibert, von der Kripo.“ „Hallo Hans. Sag einmal, bist Du nicht der Sohn von Christopher Müller?“ „Ja, der bin ich. Aber woher kennen Sie meinen Vater?“ „Da gab es doch diese Suspendierung eines Lehrers vor einiger Zeit. Dein Vater und ich sind im Elternrat der Schule, daher kennen wir uns.“ „Ach ja. Kommen Sie doch ins Wohnzimmer, da können wir uns besser unterhalten als hier im Flur.“

Na, meine bessere Hälfte hat wohl mehr Anstand als meine Wenigkeit. Das mit dem Wohnzimmer hätte auch mir einfallen können. Jedenfalls machten wir es uns um den Couchtisch bequem und wir berichteten Herrn Kunibert, was vor mehr als 24 Stunden vorgefallen war. Danach ging Andreas hinaus um sich alles genau anzuschauen, konnte jedoch nichts entdecken, was ihm hätte weiterhelfen können. Der Täter hatte wohl vermieden Fingerabdrücke zu hinterlassen. Und die Bauelemente und Kabel waren auch nichts Außergewöhnliches, so dass diese einen Hinweis hätten geben können. Es fehlte ein Anhaltspunkt, wo man hätte anfangen können. „Sagt mal Jungs, habt ihr eine Taschenlampe oder so etwas? Bei meiner sind die Batterien hinüber und im Treppenhaus ist es etwas dunkel.“ Hans und ich schauten uns an. „OK. Ich hole die Leiter und schraube eine neue Glühbirne ein. Hier ist die Taschenlampe, ich hoffe sie ist hell genug.“ „Passt schon.“ Herr Kunibert ging ins Treppenhaus und untersuchte die Tür nach irgendwelchen Spuren. Finden konnte er keine. Ich machte mich an der Deckenbeleuchtung zu schaffen. „Ist seltsam, dass die Lampe schon wieder kaputt ist. Ich habe erst vor einiger Zeit die Glühbirne erneuert.“ Dabei nahm ich die Abdeckung ab. „Halt, nicht anfassen!“ fast wie bei einem elektrischer Schlag zuckte ich zusammen. „Warum nicht?“, dabei schaute ich zu dem Beamten. „Na, wenn Du vor einiger Zeit die Birne ausgetauscht hast und nun sie nun schon wieder kaputt ist, dann liegt die Vermutung nah, dass der Täter diese ausgetauscht oder zumindest herausgeschraubt hat. Darf ich mal, Thomas?“ Andreas und ich tauschten die Plätze. Er schraubte das Leuchtmittel ganz heraus und begutachtete das gute Stück. „Sieht so aus, als ob die jemand ausgetauscht hat. Der Faden da drinnen ist gerissen und staubig ist sie auch nicht. Hast Du eine andere da?“ Ich gab ihm das Gewünschte und bald schon war es auch bei uns vor der Wohnungstür wieder hell. Im Wohnzimmer untersuchte er das Leuchtmittel auf Fingerabdrücke.

„Bingo! Der Täter hat seine Visitenkarte hinterlegt. Er war zwar so klug, das Glas abzuwischen, doch das Gewinde hat er oder sie vergessen. Jetzt müssen wir nur noch die passenden Finger dazu finden.“ „Na, Andreas, eine Idee habe ich da. Aber es ist auch nur eine wage Vermutung.“ Schnell berichtete ich ihm von meinem Verdacht. Andreas hörte aufmerksam zu. „Hm, wenn das so ist, dann hab ich schon eine Idee. So, nun habe ich hier lange genug herum gesessen. Die Lampe nehme ich mit. Euch wünsche ich noch einen schönen Abend.“ Damit verabschiedete sich der Beamte von uns beiden und ging. Hans und ich setzten uns an den Küchentisch. Hunger hatten wir wohl Beide und das Essen stand auf den Tisch. „Glaubst Du, dass der Täter überführt werden kann?“ Hans stellte die Frage so nebenbei. „Ich denke schon. Schließlich ist das sein Job.“ So ganz überzeugt war ich aber auch nicht. Das Telephon klingelte. „Gärtner!“ „Hallo Katrin, na wie war es bei Alex heute Nachmittag?“ antwortete ich ihr. „Freut mich, dass ihr Euch aussprechen konntet. Sind nun alle Differenzen ausgeräumt?“ Es entstand eine längere Information seitens Kathrin. „Also damit ist Alex ganz offiziell in unserer Clique aufgenommen?“ Wieder lauschte ich den Ausführungen der Anruferin. „Gut dann bis morgen in der Schule, viel Grüße von Hans an Dich und Peter, von uns Beiden.“ Kathrin beendete das Gespräch. Nachdenklich legte ich den Hörer auf. „Du guckst so nachdenklich Thomas, ist was nicht in Ordnung?“ „Doch Hans, alles in bester Ordnung. Kathrin hat mit Alexander Frieden geschlossen und bezeichnet ihn als ihren Freund.“ „Und was ist mit Peter? Hat sie mit ihm Schluss gemacht?“ „Nein, Peter ist ihr boyfriend, Alex ein Freund.“ „Ach so. Aber deswegen bist Du doch nicht so nachdenklich!“ „Du kennst mich wirklich sehr gut, Hans. Nee, ich habe noch einmal über das Haus und Alex nachgedacht. Ich werde morgen mal Alexander anrufen und fragen was er davon hält. Und ich werde Olaf mal nach seiner Meinung fragen. Vielleicht lässt sich ja was über die Stiftung drehen, so finanzielle Stütze für die Beiden.“ Ich legte eine Pause ein. Und was machen wir heute Abend? TV, Radio, Spiele ...?“ Ich blickte meinen Freund an. „Ich werde mich an meine Hausaufgaben machen, Thomas und Du könntest die Küche aufräumen.“ Hans meinte dies ganz ernst. „Du willst mich bloß auf den Arm nehmen?“ „Nix da, Tommi, dafür bist Du einfach zu schwer. Aber wenn ich mich jetzt daran mache, dann können wir später noch spielen und Radio hören.“ Zähne knirschend entließ ich meinen temporären Mitbewohner. Recht hatte er ja, in ein paar Wochen wurden wieder Klausuren geschrieben. Für uns hieß das: Büffeln, büffeln und noch einmal büffeln. Aber dann war es auch fast geschafft. Bis zur nächsten Runde eben. Während Hans an seinen Aufgaben saß, machte ich 'klar Schiff' in der Küche. Da ich nun schon mal dabei war, zog ich auch noch durch's Bad. Zur Krönung meines Putzfimmels kehrte ich auch noch die Dachterrasse. „So, Tommi, wenn Du's nun hast. Ich wäre fertig und habe Lust auf eine Partie Mühle. Wie steht es mit Dir?“ „Ich bin auch soweit. Xavier schläft schon und der Tisch ist auch fertig.“ Ich nahm Hans in den Arm und wir gingen gemeinsam zur Couch...

„Morgen mein Schatz.“

„Hä was ist los, ich bin gerade eben erst ins Bett!“

„Irrtum mein lieber Hans, wir haben schon kurz nach halb Sieben und weil es gestern etwas spät geworden ist, habe ich Dir auch das Frühstück gemacht. Rutsch mal ein wenig zur Seite, dann essen wir hier.“ „Ähh, das krümelt doch nur...“ „Mach Dir da mal keine Sorgen, ich muss das Bett heute sowieso neu beziehen.“ Hans schaute mich komisch von der Seite an. „Denke bloß nicht weiter. Heute ist Waschtag und Du hast sonst morgen nichts mehr zum Anziehen.“

Die nächste halbe Stunde verbrachten wir mit gegenseitigem füttern und ... (Na ja, Eurer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt) .Später im Bad kam Hans noch mal auf das Haus zu sprechen. Wir verabredeten uns nach der Schule gemeinsam zum Krankenhaus zu gehen. Anschließend wollten wir gemeinsam Herr Johannson aufsuchen, um ihm dann unsere Entscheidung mitzuteilen. Tja, und dann war mein großer Auftritt als 'Waschmann'. Da ich das gerne alleine mache, werde ich meinen Freund mit Corinna einkaufen schicken. Außerdem habe ich noch etwas anderes zu erledigen und Hans wollte ich auch da nicht dabei haben. „So mach mal hinne, Tommi. Die Pauker warten nicht gerne auf uns Schüler.“ „Sklaventreiber! Aber recht hast Du, diesen Monat habe ich schon einiges auf mein Zeitkonto geladen. Bin gleich soweit.“

Punkt Acht saßen wir in unseren Klassenräumen und der Unterricht zog sich bis zum frühen Nachmittag. Als unsere Clique Alex Krankenzimmer betrat, stürmte ein kleiner Wirbelwind auf Hans und mich zu. Ihre Haare flatterten nur so durch die Luft. „Hallo ihr Beiden.“ rief sie das Zimmer zusammen. Ich ging etwas in die Hocke und ... es dauerte eine Moment bis sich die Anderen von ihrem Lachanfall erholten. Ich rappelte mich auf, so gut es ging, mit einem kleinen Mädchen am Hals. Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein, denn selbst Alexander lachte Tränen... „Hallo Corinna. Warum rennst Du mich über den Haufen?“ „Na einfach weil Du da bist, Tommi. Ich habe Dich ja auch zwei Tage nicht gesehen. Geht es Dir wieder gut?“ „Ja, mir geht es wieder gut und Dir meine Prinzessin?“ „Auch, schau mal, Sebastian hat mir einen Tisch besorgt und ich male gerade ein Bild. Willst Du sehen was ich gemalt habe?“ Ich muss gestehen, es klang irgendwie, als ob ich keine andere Wahl hatte. „Conni, aber nicht so lange, ja?“ mischte sich Alex nun ein. „Ist gut.“

Corinna zeigte mir alle Bilder die sie gemalt hatte. Da waren welche mit Schneemännern, Vögeln und Blumenwiesen aber auch einige die etwas düstere Motive zeigten. Nebelwälder, wo Bäume wie Schattenmenschen aussahen und genau dieses interessierte mich. „Möchtest Du ein Bild haben? Ich schenke Dir eins! Das mit dem Schneemann ist doch Lustig?“ „Ja, Corinna, das gefällt mir auch und was ist mit dem hier?“ Ich zeigte auf das Nebelbild. „Das habe ich gestern in der Schule gemalt. Unsere Lehrerin sagte wir sollten etwas vom Vortag malen und dieses Bild war in meinem Kopf. Also habe ich es abgemalt. Aber es gefällt mir nicht, es macht mir Angst.“ „Na dann nehme ich es einfach mit, dann ist es weg!“ Das Mädchen nickte mir zu. „Ja, das ist eine gute Idee. Dann ist es weg.“ Ich nahm die beiden Bilder und rollte sie zusammen. Dann entließ mich Alexanders Schwester und ich ging zu den anderen hinüber. „Na, hat sie Dir auch ein Bild geschenkt?“ Alexander stellte die Frage mit einem Augenzwinkern. „Hallo Alex, wie geht es Dir?“

„Wenn Du hier immer so eine Show abziehst, dann brauche ich noch länger. Aber es geht schon. Die Schmerzen haben nachgelassen und auch sonst fühle ich mich schon besser. Wusstest Du, dass Sebastian mein Privatpfleger ist?“ „Yep, Antje hat es mir erzählt. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme von Felix gewesen. Vielleicht, weil Du übel zugerichtet gewesen bist und das Stationspersonal sowieso schon ausgelastet ist. Also genieße es.“

Ich drehte mich nach Kathrin und Peter um und gab ihnen zu verstehen, dass Corinna unbedingt einen Kakao trinken müsste. Peter schaltete dieses mal etwas schneller als seine Freundin.

„Sage mal, gibt es hier so etwas wie ein Café, Alexander?“ „Ja, Peter. Corinna, könntest Du mal dem jungen Mann zeigen wo das Café ist?“ „Ist der dumm, das liegt doch neben dem Eingang!“ Corinna strahlte bei diesen Worten. „Dann begleite mich und Kathrin, dann spendiere ich auch einen Kakao.“ Peter ließ sich nicht von dem Mädchen beirren. Und Corinna konnte mit einem Kakao gut bestochen werden. Just als die drei das Zimmer verließen trat Sebastian ein. Nur um zu sehen, das alles in Ordnung war. „Störe ich Euch bei irgend etwas?“ „Nein, Du störst nicht. Was die Beiden mir zu sagen haben, kannst Du ruhig mitbekommen.“ Alexander hatte entschieden.

„Also Alexander, jetzt muss ich etwas weiter ausholen. Wie Du weißt, wohne ich ja bei den Hausachs im Haus. Oben in der Dachwohnung. Nun, vor einiger Zeit kam Felix zu mir und bat mich, die Wohnung zu räumen. Ich glaube, er braucht sie selber. Der springende Punkt ist, das ich ja jetzt eine neue Bleibe suchen müsste und Hans hat signalisiert, das wir zusammenziehen wollen...“ „Ich verstehe nicht ganz! Wieso „müsste“? Ihr braucht doch etwas wo Ihr wohnt, und was haben Corinna und ich damit zu tun?“ Alexander plapperte einfach dazwischen.

„Bitte! Lass doch Thomas mal ausreden…“, mischte sich nun Sebastian freundlich ein. „...Sicherlich wird er es Dir gleich erklären.“

„Danke für die Schützenhilfe Sebastian. Wo war ich stehengeblieben, ach ja. Gestern hat mich Olaf Johannson zu sich bestellt und mir drei Wohnungen angeboten, die er für Hans und mich als geeignet hält.“ Ich wandte mich meinem Freund zu, der auch sofort reagierte und Alexander die Mappe in die Hand drückte. „Hier drin sind die Resultate, es handelt sich dabei um zwei kleinere Wohnungen und eine Doppelhaushälfte.“ Hans unterbrach mich.

„Also, Thomas und ich haben gestern Abend davon gesprochen, wenn Du und Corinna möchtest, mit uns zusammen in dem halben Haus zu leben. Da gibt es noch ein freies Zimmer in der ersten Etage und eine komplette Wohnung im Dachgeschoss. Ich glaube ich spreche für uns Beide, wenn ich Dir sage, dass wir uns Beide freuen würden, wenn Du ja sagst.“

Diesmal war Alexander etwas zu perplex, um sofort zu reagieren. Nach einigen Minuten hatte er sich aber wieder gefasst. „Schön und gut, aber wie soll ich die Miete bezahlen und die anderen Kosten? Wovon leben Corinna und ich? Und...“. „Also, um das mit der Miete kümmere ich mich. Hans und ich gehen gleich noch zu Herr Johannson. Mit ihm besprechen wir die ganze Schose in Ruhe. Irgendwie wird das schon klappen. Darum mache ich mir keine großen Gedanken.“ Dass ich auch noch keine so richtige Vorstellung hatte, wie das überhaupt gehen sollte, musste ich Alexander nicht auf die Nase binden. Ich vertraute da auf den Anwalt. In erster Linie war es wichtig, Jedem hier im Raum aufzuzeigen, dass es eine Zukunft gab. Alexander saß zwar noch etwas skeptisch in seinem Bett und schaute abwechselnd zu Sebastian, Hans, mir und der Mappe. Doch konnte ich sehen, dass seine Zweifel langsam wichen. „Also, was meinst Du, Alexander? Möchtest Du noch einmal über unser Angebot schlafen?“ Hans schaute erwartungsvoll zum Krankenbett. „Da gibt es eigentlich nicht viel zu überlegen. Corinna mag Euch Beide und wenn es möglich ist, warum nicht? Für mich ist es eine Sorge weniger.“ „Es hat auch noch andere Vorteile, zum Beispiel können wir uns bei der Betreuung Corinnas abwechseln. So hat jeder auch mal Zeit für sich, wenn er Ruhe haben möchte. Demnach können wir Olaf von unserer Entscheidung berichten?“ „OK, klärt das mal mit Olaf. Falls es nicht funktioniert, will ich davon informiert werden. Ich möchte Euch Beiden nicht ...“ .„Alex, so etwas darfst Du nicht im geringsten denken“. Sebastian unterbrach Alex recht barsch. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und sah ihn fast schon mit einem zornigen Gesicht an. „Du bist nicht allein. Du hast Freunde und ich denke nicht, dass wir Dich im Stich lassen. Wenn wir Dir unsere Hilfe anbieten, dann nimm sie gefällig auch an. Ich spreche so einfach mal für die anwesenden Personen...“. „Schon gut, ich habe es kapiert, Sebastian.“ Alexander sah ein wenig weiß um seine Nase aus. Die Wogen glätteten sich und Sebastian sah wieder so aus, als ob er kein Wässerchen trüben konnte.

„Ähm, Thomas?“ „Was gibt es Alexander?“ „Anderes Thema, heute Morgen war Felix in Begleitung da. Er sagte mir, daß ich ja noch einige Zeit hier liegen müsste und stellte mir den Lehrer vor, der mich ab Montag betreuen wird. Könntest Du Dir vorstellen, das ich den Stoffplan für dieses Halbjahr bekommen könnte, dann wüssten wir woran wir sind und was zu tun ist.“

„Kein Problem, ich rufe den Direx heute noch an, der wird das dann in die Wege leiten. Geh davon aus : ab kommender Woche wird ein ausgefeilter Stundenplan deinen Aufenthalt hier begleiten.“

Nachdem offensichtlich alles besprochen wurde nahm Sebastian mich zur Seite und bat mich nachher noch einmal ins Stationszimmer zu kommen. Ich nickte ihm zu, damit verließ er uns wieder. Kurz darauf öffnet sich die Tür erneut und Corinna, Peter und Kathrin betraten wieder das Zimmer. Zunächst einmal mussten wir alle schmunzeln. Corinna hatte einen Kakaobart, aber nicht nur sie, sondern auch die anderen Beiden. „So Alex, ich werde dann mal wieder.“ Ich gab Alex meine Hand. „Nimmst Du mich mit Thomas?“ „Warum sollte ich meinen Freund hier lassen?“

Wir verabschiedeten uns von Corinna, die heute Abend noch einmal bei uns reinschauen wollte. Peter und Kathrin berichteten Alexander von dem heutigen Schulstoff, sowie von dem neusten Tratsch und Klatsch. Hans und ich gingen noch ins Stationszimmer, so wie Sebastian mich gebeten hatte. Dort zeigte er mir die Aufzeichnungen. „Also, ich habe mir das auch noch einmal von Antje erklären lassen. Alexander hatte wirklich einen 'Aussetzer', vorgestern Abend. Zum Glück sind keine bleibenden Schäden zurückgeblieben. Aber er kann sich auch an nichts erinnern. Mir gegenüber sagte er, dass er auf einmal müde gewesen sei und eingeschlafen ist. Das war es.“

„Dann behalte es einfach für Dich. Es bringt nichts ihn deswegen nervös zu machen.“ „Das habe ich ihm auch schon gesagt Thomas.“ Der mir bekannte Bariton drang an mein Ohr. „Hallo Felix, wie ich sehe hast Du Zeit um eine extra Runde zu drehen.“ „Nicht ganz. Ich habe einem Patienten versprochen, heute Nachmittag mit ihm zu einem Basketballspiel seiner Schule zu gehen.“

„Das machst Du doch sonst nie, Felix.“ Stellte Hans fest. „Da hast Du recht , Hans. Doch außergewöhnliche Patienten erfordern manchmal auch paradoxe Heilmethoden. Der Junge hat sich bei einem Verkehrsunfall die Beine gebrochen. Jetzt glaubt er nicht mehr gehen zu können.

Anatomisch steht dem aber nichts im Wege, einzig sein Selbstvertrauen hat einen Knacks bekommen. Wir haben ein Abkommen geschlossen: Ich gehe mit ihm zum Spiel und er geht morgen zur Krankengymnastik.“ „Oh, Doc, du hast doch etwas im Schilde?“ Es wäre nicht das erste mal gewesen, dass Felix sich noch eine Überraschung ausgedacht hatte. „Da muss ich Dir zustimmen Thomas. Ein alter Patient von mir spielt auch mit und er hatte seinerzeit ein ähnliches Problem gehabt. Mit ihm zusammen, möchte ich den Jungen davon überzeugen an sich zu glauben. So, nun habe ich genug geschwätzt. Sebastian, ich möchte Morgen noch eine CT bei Alexander machen, heute Abend nur leichte Kost und morgen kein Frühstück. Dafür soll ihm das Konstrastmittel verabreicht werden.“ „Augenblick, schon notiert. Doktor.“ „Bekommt Julian heute kein Abendessen?“ „Stell es zurück. Ich gehe vielleicht mit ihm nach dem Spiel zur B. Queen.“ Felix drehte sich zum Gehen um, da fiel mir noch das Bild von Corinna ein. „Felix, könntest Du dir dieses Bild mal ansehen wenn Du Zeit hast. Corinna hat es wohl gestern in der Schule gemalt. Sie sagte es mache ihr Angst.“ „Sebastian lege es doch bitte in mein Zimmer, ganz oben auf dem Schreibtisch ja?“ „Wird gemacht und viel Spaß beim Spiel.“ Felix verschwand und Hans und ich verabschiedeten sich auch von dem Pfleger.

„Netter Kerl der Sebastian. Alexander hat Geschmack.“ „Muss ich mir jetzt Sorgen machen, das Du...?“ Ich schaute Hans entrüstet an. „Nein, war nur eine Feststellung, Thomas. Dich gebe ich nicht so schnell auf. Dafür bist Du mir schon zu sehr ans Herz gewachsen.“ Meinen Freund musste ich einfach lieb haben, daher war es auch nicht verwunderlich, daß ich durch sein kurzes Haar strubbelte. „Komm lass uns den Anwalt aufsuchen, sind schon etwas spät dran.“

„Hallo Olaf.“ „Guten Tag Herr Johannson.“ Hans hatte wirklich mehr Anstand. „Hallo, Ihr Beiden, es kommt selten vor, das mich ein so glückliches Paar besucht. Was führt Euch her?“ Olaf war in guter Stimmung und demnach hat er wieder etwas für die Kinder dieser Stadt erreicht. „Also, wir kommen um Dir unsere Entscheidung mitzuteilen.“ „Und die lautet?“ „Wir würden gerne die Doppelhaushälfte nehmen.“ Hans sprach es einfach aus. „Darf ich fragen was Euch zu dieser Entscheidung bewogen hat?“ „Ja, das dürfen Sie Herr Johannson. Ich bin der Meinung, das Thomas und ich einen Teil des Hauses bewohnen. Alexander und Corinna könnten im anderen Teil wohnen.“

„Das einzige, was wir gerne wissen möchten, wie das mit der Miete und so aussieht?“ ließ ich verlauten. Olaf schritt zu seinem Schreibtisch und bat seine Sekretärin einige Dokumente zu bringen. Kaum war Olaf zu uns zurückgekehrt als die Tür leise geöffnet wurde und Brigitte eintrat. Sie überreichte einige Zettel und verschwand genauso lautlos. „Also, Alexander ist volljährig. Da er seinen Lebensunterhalt aber noch nicht selbst bestreiten kann, greift hier die Stiftung ein. Außerdem erhält er auch noch durch das Sozialamt Unterstützung. Ich habe das heute Morgen mit der Behörde abgeklärt. Als Gegenleistung kommt - wie bei Dir Thomas - das Jugendamt regelmäßig vorbei um nach dem Rechten zu sehen.“ „Habe ich Dich jetzt richtig verstanden, Alexander und Corinna haben betreutes Wohnen?“ Der Anwalt nickte uns zu. „Das sind die Spielregeln.“

„Das hört sich doch recht ordentlich an. Wenn das so abläuft wie bei mir, dann sehe ich keine Schwierigkeiten. Wie sieht es aus, wenn Alexander studieren will?“ Neugierig schaute ich zum Anwalt. „Mach mal halblang, Thomas. Alles zu seiner Zeit. Jetzt geht es erst einmal um das Nötigste, bis zum Abitur ist alles gesichert. Viel darf ich euch Beiden ja sowieso nicht verraten, die Schweigepflicht, Ihr versteht. Es kann natürlich auch sein, das Ihr zufällig etwas lest...“ .

Herr Johannson, nahm seine Tasse in die Hand und trank einen Schluck. Dabei fiel ein Zettel zu Boden. Hans nahm ihn auf und warf ein Blick darauf und begann zu lesen. Nach einiger Zeit reichte er ihn Olaf zurück. Herr Johannson stand mit dem Zettel auf und ging hinaus zu seiner Sekretärin. „Also, das war eine einstweilige Verfügung vom hiesigen Gericht. Alexander erhält das Sorgerecht für seine Schwester, seine Eltern müssen für den Unterhalt von Corinna aufkommen. Dies wird durch das Sozialamt geprüft und sichergestellt,“ informierte mich Hans. Dann ergriff er meine Hand und hielt sie fest. „Anscheinend ist da noch ein Verfahren gegen Alex Erzeuger. Es sind diverse Fotos und Videos aufgetaucht, die er wohl im Internet verbreitet hatte. Ein Sonderkommando der Polizei hatte ihn schon seit einiger Zeit unter Beobachtung. Das Material - so stand eine handschriftliche Notiz auf dem Papier - wird von der Staatsanwaltschaft geprüft. Thomas, der Kerl ist wohl pathologisch.“ „Ich habe nichts gesagt, Jungs.“ Olaf stand wieder vor uns mit einer neuen Tasse. „Nun zurück zum Thema, die Sache mit dem Haus ist geklärt. Die Miete wird von der Stiftung übernommen, laut der Verfügung Deines Großvaters. Außerdem gehört das Haus zur Stiftung.“ „Okay, Olaf, wir müssen nach Hause. ich muss noch Hausaufgaben machen und Corinna kommt heute Abend zu Besuch. Ach so, Alexanders Lehrer hätte gerne den Stoffplan. Könntest Du da...?“ „Sage Brigitte den Namen Eures Direktors, dann wird der Lehrer ihn morgen in den Händen halten. Ich werde das mit den Verträgen regeln. Überlegt Euch schon einmal welche Gardinen ihr aufhängen wollt. Übrigens, Hans, etwas anderes hätte ich auch von Euch Beiden nicht erwartet. Ich freue mich, das ihr an Alexander und Corinna gedacht habt. Sie brauchen Freunde wie Euch.“ Ich drehte mich zu Hans um. Wir verabschiedeten uns von Olaf und seiner Sekretärin und standen alsbald auf der Straße. „Was hältst Du von Spaghetti, zum Abendessen?“ „Willst Du wirklich Spaghetti machen Thomas?“ „Ja, warum denn nicht, Schatz?“ „Na ich hätte gerne etwas würziges...“. „Hm, was hältst Du von Kassler, Kartoffelbrei und Sauerkraut , haben wir lange nicht mehr gegessen?“ „Ja, das wäre etwas. Machst Du uns das?“ „Ich werde mir Mühe geben, aber Du gehst dann mit der Kleinen einkaufen. Wir benötigen noch Kassler, Sauerkraut“.

„Halt, warte Thomas, ich schlage vor, Du machst einen Einkaufzettel und dann gehe ich los. Außerdem hast Du heute von Wäsche waschen gesprochen.“ „Machen wir es so.“ Ich hakte mich bei meinem Freund ein und schlenderten gemütlich nebeneinander her.

„Hallo Jungs.“ Claudia war gerade im Treppenhaus. „Hallo Claudia“, erschallte es aus zwei Kehlen gleichzeitig. „Wo habt ihr Corinna gelassen?“ „Sie ist noch bei Alexander im Krankenhaus, wenn ich mich nicht irre, sprach Kathrin davon sie herzubringen.“ „Bist Du dir da sicher?“ Claudia klang etwas nervös. „Warte einmal, Hans gibst Du mir Bitte mal Dein Telefon!“ Ich wählte die Nummer von Katrin.„Hi, Kathrin. Sage mal ist Corinna bei Dir?“ „Nein?!“

Ich schaute die Anderen beiden groß an. „OK, ich dachte sie läuft ganz alleine durch die Stadt. Danke.“ Ich gab Hans sein Cellphone wieder. Der steckte es in seliger Ruhe wieder ein.

„Sebastian bringt Corinna her. Er hat die Adresse von Alexander und hat sich eben auf den Weg gemacht. Ich denke, er ist in etwa 30 Minuten hier. Also kein Grund zur Sorge Claudia.“ „Ihr seid mir schon Zwei.“ „Es tut mir leid, aber wir hatten es so abgesprochen. Hans und ich mussten noch zu Herrn Johannson. Du weißt doch...“. Ich wurde etwas unerwartet unterbrochen. „Ja, die Wohnung im Dachgeschoss. Habt ihr etwas finden können?“ „Ja, und der Anwalt macht die Sache dingfest für uns.“ Hans sprach dieses mit voller Selbstverständlichkeit aus.

Ich fragte mich manchmal, ob es noch immer dieser Junge ist, den ich zu Weihnachten kennen gelernt habe. Von seinem damaligen mangelnden Selbstvertrauen war nichts zu spüren. „Dann wünsche ich Euch einen schönen Abend.“ „Halt, nicht so schnell Claudia. Hans und ich wollten Dich fragen, ob Corinna heute mit uns zu Abend essen kann. Es gibt Kassler, Kartoffelbrei und Sauerkraut.“ „Ich habe nichts dagegen, aber seht zu, das sie spätestens um Acht wieder unten ist. Sie muss morgen früh zur Schule.“ „Aye, Aye Captain!“ Hans salutierte vor der Frau des Doktors. „Quatschkopf, macht das Ihr fort kommt.“ Claudia wandte uns ihren Rücken zu und verschwand in ihrer Wohnung. „Dann lass uns auch die dritte Etage erklimmen, Hans.“

Hans war so freundlich, mir seine schmutzige Wäsche mit der Bettgarnitur zusammenzulegen. Ich schrieb den Einkaufszettel und machte den mittlerweile schon obligatorischen Tee für uns. Ich servierte im gemütlicheren Teil unserer Wohnküche. Hans sorgte ein wenig für musikalische Unterhaltung und spielte mit Xavier. Ansonsten sprachen wir kaum. Eine halbe Stunde später stand Sebastian vor der Tür. „Hi, noch einmal. Kann ich herein kommen?“ „Ja, komm herein. Wir sind im Wohnzimmer. Wo ist Corinna?“, löcherte ich den Besuch. „Habe ich unten bei den Hausach - auf Wunsch von Corinna - abgeliefert. Ich glaube sie hat einen guten Draht zu der Frau des Doktors. Es schien ihr wichtig zu sein, ihr ihre Aufgaben und Bilder zu zeigen.“ „Tja, Hans, dann wirst Du wohl alleine Einkaufen gehen müssen. Sebastian, kannst Du noch zum Essen bleiben?“ „Ich denke schon. Antje meinte vorhin, dass ich ruhig Feierabend machen könne. Ich solle einige 'Überstunden' abbauen. Außerdem meinte sie, das es auf der Station ruhig zuginge und das Stammpersonal ausreiche.“ „Aha, und wer liest den Kleinen heute ihre Gute-Nacht Geschichte vor?“ Ich wusste noch aus dem Gespräch mit Antje, das Sebastian den Patienten abends noch eine kleine Geschichte vorliest. „Das macht heute Abend mal Peter. Vorhin auf dem Flur erkannte einer der Kinder Ihn wieder. Er hatte wohl letzte Weihnacht eine Geschichte zum Besten gegeben.“

Oh ja. Ich konnte mich daran noch gut erinnern, als er den Kindern am Heiligen Abend ein Weihnachts-Märchen von Kapitän Blaubär vorgelesen hatte. Er hatte dieses gewisse Etwas in seiner Stimme, was seine vorgetragenen Geschichten lebendig wirken lies. „Gut Ihr Beiden, ich gehe mal einkaufen. Ich bringe noch ein Kassler mehr mit!“ Hans nahm den Einkaufszettel und ging. „Möchtest Du einen Tee mit mir trinken, Sebastian?“ „Gerne, wenn es Dir keine Umstände macht.“

„Nö macht es nicht. Denn der Tee steht schon auf dem Tisch, daneben die Kekse. Ich hole nur noch eine Tasse. Setz Dich.“ „Danke.“ Sebastian setzte sich in den Sessel. Er sah sich in meinem Wohnzimmer um. „Schön hast Du es hier, Thomas!“ Dann sah er den Papagei in seinem Käfig sitzen. „Und Du bist wohl Xavier. Alexander hat mir schon von Dir erzählt. Sprichst Du denn auch?“ Xavier ließ sich nicht stören, ihm war das Futter im Augenblick wichtiger als alles andere um ihn herum. Deswegen nahm ich mir die Freiheit heraus, für meinen Vogel zu antworten.

„Nein, der Vogel spricht nicht. Zumindest hat er es bisher nicht getan. Aber er kann sich schon mitteilen, wenn ihm etwas auf der Seele brennt.“ Ich gesellte mich zu meinem Besuch, schenkte den Tee in die Tasse und reichte sie ihm. „Du bist nicht nur wegen dem Vogel hier. Geht es um Alexander?„ „Thomas, kannst Du Gedanken lesen?“ Mein Gegenüber schaute verblüfft drein.

„Nein, das kann ich zum Glück nicht, stell Dir mal vor, dann hätte ich ja keine Ruhe...“ „Also, ich weiß nicht wie ich es anfangen soll. Thomas, Hans ist Dein Freund und mir scheint, Ihr liebt Euch.“ Ich nickte bestätigend und konnte mir schon denken worauf das hinauslaufen sollte.

„Ich glaube... Nun, ich glaube, Alexander hat sich in mich verliebt!“, ich hörte eine Nuance der Erleichterung aus seiner Stimme. Es schien ihm nicht leicht gefallen zu sein, dieses zu sagen. „Ich weiß, daß Du und Hans zusammen seid. Ich habe nichts gegen Homosexuelle.“ Sebastians Gesichtsfarbe wechselte von rot auf weiß und wieder auf rot. „... Und ich kann mich an kein schöneres Gefühl vorstellen, als in Jemanden verliebt zu sein...“. „Lass mich raten...“, unterbrach ich meinen Gast. „...Du bist Hetero?“ Sebastian nickte. Seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. „Woher weißt Du?“ „Ich habe nichts gegen Homosexuelle…“, zitierte ich ihn, „...es macht Deine Situation nicht leichter.“ „Deswegen komme ich ja auch zu Dir. Du kennst Alexander. Wie soll ich mich jetzt verhalten?“ „Angenommen, Du hättest Dich in eine Frau verliebt und sie wäre lesbisch, was würdest Du von ihr erwarten?“ „Na, daß sie mir die Wahrheit sagt...“ .

Ich grinste Sebastian nur an und ihm schien eine Laterne zu erleuchten. „Arschloch.“ „Gern geschehen. Aber im Ernst, sag es ihm und warte was passiert. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Sebastian nickte. Ich schenkte uns noch Tee nach und wechselte das Thema.

Just in diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Ich machte mich auf den Weg und staunte nicht schlecht, daß Hans schon wieder vor der Tür stand. „Hast Du den Schlüssel vergessen?“

Ein leicht verlegendes Gesicht bestätigte meine Annahme, aber nur zu 50 Prozent. Denn im Schlepptau tauchte Corinna hinter ihm auf. Ich trat etwas beiseite und ließ sie eintreten. „Hallo Corinna, da bist Du ja schon. Hat Claudia Dich schon laufen gelassen?“ „Ja, sie hat meine Hausaufgaben gesehen und mir dann erlaubt zu Euch zu gehen. Bin ich etwa zu früh dran?“ Corinna schaute mit gerunzelter Stirn zu mir hinauf. „Nein, Du bist nicht zu früh dran. Du kannst ja mal ins Wohnzimmer gehen, Sebastian ist auch noch da. Ich helfe Hans mal aus seinen Sachen, ja?“ Corinna ging von dannen und ich nahm Hans die Einkaufstaschen ab. Dann folgte ich dem Mädchen in die Wohnküche. „Hast Du noch einen Tee für mich, Tommi?“ wollte mein Freund wissen.

„Bediene er sich, die Kanne steht auf dem Tisch. Sei so lieb und frage mal, was Conni trinken möchte, ja Schatz?“

Ich packte die Sachen aus den Taschen und verstaute sie. Was ich für das Essen benötigte legte ich auf die Anrichte. Ganz in Gedanken merkte ich nicht, wie sich zwei Hände langsam näherten. Sie umschlossen mich und ich zuckte zusammen. Dann vernahm ich Hans' Stimme an mein Ohr.

„Na, sind sie nicht süß, Sebastian?“ meldete sich Corinna zu Wort. „Ja, da hast Du recht, Corinna!“ Hans und ich schauten in zwei breit grinsende Gesichter.

„Komm, lass es uns noch einmal tun!“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Nein, hier sind Minderjährige und außerdem habe ich Hunger.“

Seufzend ließ ich von meinem Freund ab. Hans stellte noch die letzten Utensilien auf den Tisch. Dann setzte er sich zu den anderen Beiden. Zuletzt deckte ich noch die Speisen auf und holte noch eine Flasche Weißwein hervor. „Bekomme ich auch etwas davon?“ Corinna schaute mit erwartungsvollen Augen in die Runde. „Nein, dafür bekommst du eine Apfelschorle, die sieht fast genauso aus und schmeckt dir sicherlich besser.“ „Hey, Du bist ja genauso fies drauf wie Alex, Thomas.“ „Tja, Corinna, das scheint wohl daran zu liegen, das wir Dich alle lieb haben.“

Corinna dachte noch eine Weile nach, sagte aber nichts mehr dazu. Hans reichte Sebastian den Kartoffelbrei.

„Hat sich schon etwas ergeben, wer an Eurer Tür herum manipuliert hat?“, unterbrach Sebastian.

„Nein, die Polizei hat nur einen Fingerabdruck auf einer Glühlampe, aber das ist auch schon alles.“

Dass Mathias - Hans Mitschüler - ganz oben auf der Liste der Verdächtigen stand, behielt ich für mich. Es war ja auch nicht sicher, ob er überhaupt etwas damit zu tun hatte. Hans bemerkte, dass mir dieses Thema nicht besonders lag. Er schwenkte daher auf ein Anderes um.

„Sebastian, wie kommt es eigentlich, dass du den Zivi-Job erst im Januar angefangen hast?“

„Ich habe mich nach dem Abitur erst einmal für sechs Monate nach Neuseeland abgesetzt. Meine Eltern haben mir diese Reise geschenkt. In Wellington besuchte ich den Stiefbruder meiner Mutter. Er betreibt dort eine kleine Tierarztpraxis mit seiner Frau. Dort konnte ich die ganze Zeit über wohnen. Eines Abends sind wir auf das Thema Zivildienst gekommen. Ich habe ihm gesagt, dass ich noch keine Stelle habe und es zur Zeit schwer ist, eine zu bekommen. Er fragte mich, was ich denn machen wolle. Darauf hin habe ich erzählt, dass ich gerne etwas mit Medizin und Kinder machen würde. Schließlich möchte ich mal Medizin, mit dem Schwerpunkt Kinderheilkunde, studieren. Toni - der Bruder meiner Mutter - meinte lapidar, dass er jemanden hier kenne, der ihm noch einen Gefallen schuldet.“ Sebastian machte eine Pause und nahm sein Glas und trank ein Schluck Wein. „Lass mich raten: unseren Doc Felix Hausach?“, warf ich in die Runde.

„Bingo, Thomas. Die Beiden haben wohl an der gleichen Uni studiert. Jedenfalls informierte mich mein Onkel eine Woche später, dass ich mich hier im Krankenhaus bei ihm vorstellen sollte, wenn ich zurück bin. Tja, das habe ich dann auch gemacht. Der Stationsarzt stellte mich zum ersten Januar ein. Da muss es wohl einen riesen Wirbel gegeben haben. Antje erzählte mir, dass die Verwaltung keinen Zivildienstleistenden einstellen wollte.“ „Ja, so etwas Ähnliches habe ich auch gehört. Aber es sei drum, Hauptsache, du gehörst nun mit dazu.“ Ich hob mein Glas. „Ja, finde ich auch.“ Corinna stellte ihr Getränk auf den Tisch. Der Abend wurde noch richtig lustig und wir spielten später noch einige Runden ›EINS‹. Gegen Acht Uhr brachte Sebastian Corinna zu den Hausachs hinunter.

Einige Tage später. Alexander stellte gerade sein Frühstückstablett beiseite. Da klopfte es leise an der Tür. „Herein!“ Die Tür öffnete sich, Sebastian steckte sein Kopf durch den Spalt. Wie so häufig in den letzten Tagen, rutschte sein Herz in die Hose, wenn er diesen Jungen sah.

„Frühstück schon beendet?“ „Gerade eben, wolltest du das Tablett abholen?“ Sebastian schüttelte den Kopf: „Jein, ich möchte mit Dir reden Alexander.“ Er trat ein und setzte sich, etwas umständlich, neben Alex' Bett auf einen Stuhl. „Hör mal Alexander. Ich habe vor einigen Tagen mit Thomas ein interessantes Gespräch geführt. Hut ab, kann ich nur sagen, er hat schon Einiges auf dem Kasten.“ „Yep, kann ich nur bestätigen. Aber deswegen willst Du wohl nicht mit mir sprechen?“ „Nein, da hast Du recht. Alex, ich habe den Verdacht, Du hast dich in mich verliebt.“

In Alexanders Gesicht wechselten die Farben Rot und Weiß in rekordverdächtigem Tempo. „Ist das so auffallend?“, murmelte er vor sich hin. Seinen Blick nur noch auf die Bettdecke gerichtet.

„Für Deine Freunde, ja. Aber ein Außenstehender wird das nicht bemerken .“ Es war Alexander noch immer peinlich über dieses Thema zu sprechen. Doch diesmal empfand er es als noch schlimmer. Es betraf ja ihn selbst. „Du hast Dich noch nicht oft geoutet?“ „Nein, eigentlich noch nie. Auch jetzt kostet es mir sehr viel Überwindung, nur darüber zu sprechen.“ Nach einiger Zeit des Schweigens. „Ja, Sebastian. Ich bin schwul und ich habe mich in Dich verliebt.“ Im gleichen Augenblick, wo er dieses sagte, hob er seinen Kopf und schaute sein Gegenüber direkt an. Über Sebastians Gesicht lag ein Lächeln. Doch stand ihm die Gratwanderung noch vor. Auch ihm fiel es nicht einfach darüber zu sprechen. Eine Alternative gab es jetzt nicht mehr. „Der Anfang ist nie einfach. Den ersten Schritt zu wagen kostet sehr viel Mut und Selbstvertrauen. Auch mir fällt es jetzt nicht leicht. Alexander, ich mag dich - als Person und Mensch - aber ich habe eine Freundin, die ich sehr lieb habe. Was ich Dir sagen möchte ...“. „Du bist nicht schwul!“ „Ich bin nicht schwul.“ Beide Jungen sahen sich an. Langsam füllten sich Alexanders Augen und es fiel ihm sehr schwer, die Tränen zurückzuhalten. Just in dem Augenblick reichte ihm Sebastian ein Taschentuch. Alex nahm das Tuch dankend an, doch er fühlte sich leer. Sein Kopf sank und der Blick fixierte wieder die Bettdecke. „Dann wirst Du jetzt den Doktor bitten, einen anderen Patienten zu betreuen?“ „Warum sollte ich?“ „Na, weil ich doch einer von diesen perversen Schwanzlutschern ...“. „Jetzt hör' aber auf Alexander. Du bist für mich ein Patient und ein sehr liebenswürdiger Mensch. Hey, du stehst auf Jungs, na und? Es ist doch ganz alleine Deine Sache. Ich finde da ist nichts Perverses dran.“ „Ach, das sagst Du nur dahin.“ „Nein, das sage ich nicht nur einfach so dahin. Bis jetzt war ich mir nicht sicher, doch jetzt weiß ich, was richtig ist. Ich biete Dir meine Freundschaft an. Ohne ›Wenn und Aber‹! Es ändert nichts daran, dass ich Dich sympathisch finde und deswegen auch schätze. Es wird Dir noch eine Menge Mut kosten, dazu zu stehen. Und wenn Du mal nicht weiter weißt, dann melde dich einfach.“ Alex nickte leicht mit dem Kopf, dann hob er ihn und die Beiden sahen sich wieder an. „Ist das auch der Grund, warum dein Ex-Erziehungsberechtigter dich hierher befördert hat?“ „Nicht direkt, er hat was gegen Schwule und Lesben. Für ihn sind wir Menschen zweiter Klasse. Sebastian, Thomas war lange Zeit mein Freund, bis mein so genannter Vater mitbekommen hat, dass er schwul ist. Ich finde das als was völlig Normales. Schließlich habe ich mit ihm viel Spaß gehabt und auch sonst waren wir wie Pech und Schwefel. Alles sollte vorbei sein. Nur, weil er, in Augen Anderer, nicht ›normal‹ ist? Mein Erziehungsberechtigter verbot mir den Umgang mit ihm von heute auf morgen. Ich denke, Thomas hat lange Zeit nicht verstanden, warum ich unsere Freundschaft verraten habe.“ „Du hast Eure Freundschaft nicht verraten. Oder glaubst du, dass Thomas Dir geholfen hätte, wenn es so gewesen wäre? Ich denke nicht.“ „Du hast ihn doch kennen gelernt, Sebastian. Er hilft jedem, der in Schwierigkeiten ist ...“. „Das mag ein Charakterzug von ihm sein, doch für Dich hat er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Ich kann mir gut vorstellen, dass er auch etwas anderes zu tun hat. So wie Felix mir das erzählte, hat er wirklich bei jedem Klinken geputzt, die nur im entferntesten Sinne etwas zu Eurem Wohlergehen beitragen könnten. Selbst als ihm jemand ans Leben wollte, hat er nicht aufgehört, für Dich etwas zu unternehmen. Letzte Tage haben Corinna und ich bei ihm zu Abend gegessen. Er hat wohl viel um die Ohren und sah nicht sehr entspannt aus. Wenn ich sein Arzt wäre, so würde ich ihm erst einmal Urlaub verschreiben. Er hat es verdient.“ „Davon weiß ich ja nichts …, was ist denn genau geschehen?“ „Schei...benkleister. Du solltest es ja gar nicht wissen.“ „Zu spät. Los erzähl', was war?“ „Also, einen Tag später, nachdem du hier eingeliefert wurdest, hat jemand an seiner Wohnungstür herum manipuliert. Als er dann abends diese mit dem Schlüssel aufschließen wollte, versetzte ihn ein elektrischer Schlag ins Koma.“

Alexander biss sich auf die Lippen. „Felix war froh, dass er eine so gute Kondition hat. Sonst wäre es nicht so glimpflich ausgegangen.“ „Und, weiß man schon, wer der Attentäter gewesen ist?“ „Leider noch nicht, alles stützt sich auf einen gefundenen Fingerabdruck. Die Polizei sucht noch. So, nun aber genug .“ „Guten Morgen, störe ich? Ich habe geklopft aber es kam keine Reaktion, da bin ich rein...„. Olaf, steckte seinen Kopf durch die Tür. Der Anwalt wollte noch einmal mit Alexander über seinen Fall sprechen. „Nein Herr Johannson, kommen Sie herein.“

„Ich muss jetzt auch langsam meinen Dienst fortsetzten. Antje wird mir sicherlich den Kopf abreißen ...“. „OK, wir können ja auch später noch reden, ich lauf dir schon nicht weg. *g*“ „Wie ich sehe, kommt dein Humor schon wieder.“ „Das Einzige, was mir im Augenblick bleibt, Herr Johannson. Was führt Sie zu dieser Stunde hier her?“ „Das Gericht hat mir die Unterlagen zu Deinem Fall zugesandt. Es ist nicht ganz so gelaufen, wie wir es uns gedacht haben.“

„Wie meinen Sie das? Habe ich das Sorgerecht für Corinna oder nicht?“ In den Augen des Jungen begann es wieder zu glänzen. „Also das Jugendgericht hat meine Empfehlung nicht ganz übernommen. Es musste über das ›Beste‹ für Corinna entscheiden. Sie bekommt einen Vormund vom Jugendamt.“ „Ich lasse mir meine Schwester nicht wegnehmen. Von niemandem nicht.“ Seine Stimme überschlug sich und er bekam einen Hustenanfall.

„Jetzt beruhige Dich erst einmal.“ Olaf sprach beruhigend auf den Jugendlichen ein. „Alexander, ich erkläre Dir das jetzt in aller Ruhe. Corinna nimmt Dir Keiner weg. So sieht es auch das Gericht. Es hat die Vormundschaft an Bedingungen geknüpft. Zum Beispiel wohnt Deine Schwester bei Dir. Frau Clemens - der Vormund - kümmert sich um das Alltägliche, Verpflegung, achtet darauf, dass Hausaufgaben gemacht werden, macht mit Euch zusammen Behördengänge, Arztbesuche und so weiter. Vergiss nicht, dass Du selber noch zur Schule gehst, Du hast auch nicht immer Zeit ...“.

Der Anwalt sprach lange mit dem Jungen und erläuterte ihm alles, was er wissen wollte, und wie er das Gerichtsurteil zu verstehen hat. „OK, wenn das so aussieht, kann ich damit leben. Weiß meine Schwester schon davon?“ „Nein, das sollst Du ihr sagen und ich empfehle Dir, es bald zu tun. Den Hausachs werde ich es mitteilen.“ „Kann Frau Clemens heute Nachmittag, so gegen vier Uhr kommen? Da ist Corinna hier und wir können uns kennen lernen!“ „Das ist eine gute Idee, ich werde es ausrichten.“ Der Anwalt packte seine Unterlagen zusammen. Alexander schaute ihm interessiert zu. „Herr Johannson, darf ich ihnen eine Frage stellen?“ „Immer raus damit, wo brennt der Schuh?“ „Also, Sebastian hat sich mit mir vorhin unterhalten und wir kamen zufällig auf Thomas zu sprechen. Sie kennen ihn gut?“ „Was heißt gut? Er kümmert sich halt um Kinder, denen es nicht ganz so gut geht. Er hat viele Ideen, wie und wo die Stiftung seines Großvaters eingreifen kann. Zum Beispiel, das mit dem Lehrer hier im Hospital. Dafür nimmt er schon Einiges in Kauf. Er hat auch damals, als das Jugendzentrum von der Stadt geschlossen werden sollte, sich für den Erhalt eingesetzt. Er hat sogar vor dem Stadtparlament eine Rede dazu gehalten, welche Nachteile es für die Jugendlichen und letztendlich für die Bürger bringen würde, diese Einrichtung zu schließen. Heute ist das Jugendcafé ein beliebter Anlaufpunkt für Jugendliche. Ich glaube kaum, dass ihn jemand wirklich gut kennt. Aber das Schönste ist, er verlangt nicht einmal etwas dafür.“

„Und genau das ist der Punkt, ich möchte mich bei ihm erkenntlich zeigen. Schließlich er hat ja so einiges für mich in Bewegung gesetzt!“ „Das kann ich nur bestätigen. Haben Sie schon etwas im Sinn, Alexander?“ „Ich hätte da schon eine Idee, aber alleine werde ich es wohl von hier aus nicht hinbekommen.“

Der Junge erläuterte dem Advokaten seine Idee, und je mehr er davon berichtete, erhellte sich dessen Gesicht.

„Ich denke, ich bekomme das hin. Wenn es klappt, wird das wirklich eine tolle Überraschung. So und nun muss ich weiter. Alexander, machen Sie es gut. Wenn es noch rechtliche Fragen gibt oder etwas, wo ich Ihnen behilflich sein kann, sagen Sie es ruhig. Dafür bin ich schließlich Ihr Rechtsbeistand.“ „Okay, ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Herr Johannson.“

Die Tür schloss sich hinter dem Anwalt, aber nicht für lange. Es war Zeit für die Visite.

„Guten Morgen Alexander, wie geht es dir heute?“ „Guten Morgen Doktor. Ich fühle mich im Prinzip wohl.“ „Im Prinzip?“ „Der Gips juckt und die Infusionsnadel stört. Gestern Nacht hatte ich auch noch heftige Kopfschmerzen.“ „Die Infusionsnadel können wir entfernen. Die Untersuchungen sind soweit abgeschlossen und so langsam stellen wir dich wieder auf normale Vollkost um. Beim Gips kann ich leider nichts tun, der wird dir die nächsten vier Wochen noch erhalten bleiben. Die Ergebnisse der neurologischen Tests, sowie die CT sind alle negativ verlaufen. Soll heißen, in deinem Kopf ist organisch alles Okay. Du brauchst auch da keine bleibenden Schäden zu fürchten.“ „Und was ist mit den Schmerzen?“ „Die nehme ich schon ernst, keine Sorge. Ich denke das hat etwas mit deiner Gehirnerschütterung zu tun. Es kann auch damit zusammenhängen, was dir geschehen ist …“. „Sie meinen die Vergewaltigung und so?“

Der Arzt nickte. Sein Blick wurde dabei traurig. Alexander schluckte. Ihm wurde schlecht. Bevor der Doktor reagieren konnte, würgte Alexander das Frühstück wieder aus. Es dauerte einige Zeit, bis der Patient sich wieder erholte und ruhiger wurde. Dann saß er in seinem Bett. Apathisch starrte er vor sich hin. Auf seinem Gesicht bildeten sich Schweißperlen. Anschließend setzte der Arzt sich neben Alex auf das Bett. Er legte vorsichtig seinen Arm um den Jungen und drückte ihn. Leise hörte er ein Schluchzen, es wurde immer deutlicher. Felix strich ihm über den Kopf. Alexander weinte. In all seine Tränen packte er den Schmerz, den er erlitten hatte, seine Wut, seinen Zorn.

„Warum hat er das getan? Warum nur?“, stotterte er vor sich hin. „Das wird wohl nie ans Tageslicht kommen, Alexander.“ Der Arzt sprach mit einer sanften Stimme. „Ich kann Dir nur helfen, zu lernen damit umzugehen. Wenn Du möchtest, frage ich einen Kollegen, ob er sich mit Dir unterhält. Eine Therapie halte ich schon für angebracht.“ Alexander schaute auf, direkt in das Gesicht des Mannes, der ihn hielt. „Vielleicht haben Sie recht. Ich brauche wohl Hilfe eines Fachmanns. Fragen Sie ihn.“ Erst jetzt drückte Felix die Klingel und es dauerte auch keine Minute, das die Tür geöffnet wurde und Sebastian in Zimmer trat. „Was kann ich ...“, er brach mitten im Satz ab. „Sebastian, sag Antje, dass sie den Butterfly entfernen kann. OK, Sebastian wird dich ins Bad bringen. Wenn Du möchtest, kannst Du nun ruhig auch mal eine Runde durch den Park drehen. Aber alles nur im Beisein von Sebastian oder eines Pflegers. Keine Kapriolen, und wenn etwas sein sollte, gib sofort Bescheid.“ Felix verabschiedete sich von seinem Patienten und überließ ihn in Obhut des Pflegers. Das Bad tat Alexander gut. Es war angenehm warm und er fühlte sich wohl. Er war alleine. Sebastian hatte sich zwischenzeitlich um das Bett gekümmert. Bevor er jetzt das Bad wieder betrat, klopfte er. „Kann ich?“ „Ja, komm ruhig herein. Ich bin sowieso gleich fertig.“

Sebastian trat ein und reichte Alexander die Badetücher von einer Anrichte. Er half ihm beim Ausstieg aus der Wanne und trocknete ihn ab. Obwohl der Zivi den Patienten schon einige Zeit kannte, verblüffte ihn der Anblick. „Also, wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf. Du siehst gut aus.“ Alexander wurde rot, und nicht nur er. Sebastian wurde bewusst, dass er gerade einem anderen Jungen ein Kompliment gemacht hatte. Es war nur ein Augenblick, in der sich Beide anschauten. Dann fingen Beide an zu grinsen, was in einem Lachen endete. „Und Du bist Dir sicher, nicht schwul zu sein?“ „Ja, obwohl Du wirklich eine tolle Figur hast, habe ich nicht das Bedürfnis ...“. „Schon gut, reich mir mal die Hose. Oder willst du noch länger mich hier nackt herumstehen lassen?“ „Bitte.“ Mit diesem Wort übergab er das Gewünschte. Es war Spaß und jeder der Beiden spürte die Grenzen des Anderen. „Hör mal, ich habe eben eine Anweisung vom Doktor bekommen. Ich soll Dich noch runter zur Physiotherapie bringen.“ „Wozu?“ „So wie ich ihn verstanden habe, bekommst Du eine Massage verpasst. Und ich soll Dich vorwarnen. Morgen bekommst du einen Zimmergenossen.“ „Dann wird es wenigstens etwas lebhafter.“ „Warten wir es ab. So, und nun ab in den Stuhl, Rollservice.“ Am frühen Nachmittag betrat ich Alex' Zimmer.

„Hallo Alexander, na wie geht es dir?“ „Hallo Thomas. Den Umständen entsprechend, gut. Und selbst?“ „Na ja, ein wenig angespannt und Stress in der Schule. Du fehlst bei unserem Bioreferat...“. „Uih, das hätte ich fast vergessen. Wenn Du willst, können wir es hier zusammen vorbereiten und Du trägst es dann der Krause vor!“ „Ich wäre dir dankbar, Alex ...“. „Gebongt, komm morgen früh so gegen zehn. Ich werde mit Sebastian reden.“ „Bist dDu sicher, dass Du noch krank bist?“, scherzte ich. „Yep, ich kann mich ja immer noch nicht richtig bewegen, warum bist Du eigentlich gekommen, Thomas?“ „Wir haben heute den Mietvertrag unterschrieben, damit ist die Wohnungsfrage geklärt. Olaf besucht Dich deswegen auch noch, aber das hat keine Eile. Wenn Du hier raus kommst, ist Eure Wohnung hoffentlich bezugsfertig.“ „Das war die Reihenhaushälfte nicht wahr?“ „Ja. Im Erdgeschoss sind eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Arbeitszimmer und ein Esszimmer. Die erste Etage beherbergt vier Zimmer. Drei davon sind für Hans und mich. Das vierte und die kleine Wohnung ist für Euch beide reserviert. Sie besteht aus einer Wohnküche und drei kleineren Zimmern. In jeder Etage gibt es ein WC und zu jeder Wohnung gehört noch ein Bad.“

„Hm, kann der Anwalt einen Plan dazu mitbringen?“ „Ich habe ja noch die Unterlagen, die kann ich Dir morgen früh mitbringen.“ „Super, ich freue mich schon darauf und ich glaube Corinna ebenso. Olaf hat mir heute Morgen unsere nächste Zukunft erklärt. Du kennst Frau Clemens?“ „Yep, sie war mein Vormund. Ist schwer in Ordnung. Warum fragst Du?“ „Sie ist nun auch Corinnas Vormund.“ „Besser hätte es Ech nicht erwischen können. Sie kann auch bei der Wohnungseinrichtung helfen.“ „Gut. Ich werde sie ja um vier treffen. Da kann ich sie ja mal fragen.“ Alexander schien zufrieden zu sein. „So, ich muss wieder los. Ich habe gleich noch einen Termin beim Direx. Gibt es sonst noch etwas?“ „Ja, warum hast Du mir den Anschlag auf Dich verschwiegen? Ich dachte, wir sind Freunde?“ „Sind wir auch. Du hast es von Sebastian erfahren?“ „Yep, er hat sich verplappert. Aber ich hätte es liebend gerne von Dir erfahren.“

„Hatte ich eigentlich auch in den nächsten Tagen vorgehabt. Der Doktor riet mir, Dir es nicht sofort zu erzählen, sondern etwas zu warten. Die Polizei ermittelt noch und empfahl mir unseren Direx ins Vertrauen zu ziehen. Sie möchten auch im schulischen Umfeld ermitteln. Darum nachher auch der Termin. So genug geplaudert, ich mache mich vom Acker Alter. Bis denne.“ Mit diesen Worten verabschiedete ich mich von dem Patienten. Auf dem Flur liefen Kinder in bunten Bademänteln und Jogginganzügen herum. Einige von kannte ich, weil sie immer wieder mal als Patienten hier waren. Manchen von ihnen wuselte ich durch ihre Haare. Jedes Mal, wenn ich sie hier sah, tat es mir leid. Sie gehörten auf den Spielplatz, in den Kindergarten oder auch in die Schule,aber zum Kuckuck, nicht in dieses Krankenhaus. Und was machten sie? Sie lachten, machten Scherze und Späße mit den Pflegern. Sie scherten sich nicht darum, wo sie waren und was sie hatten. Sie genossen ihr Leben so, wie es war.

„Andres, Tina, Björn ab auf euer Zimmer!“ Oberschwester Antje stand grinsend an der Tür zum Stationszimmer gelehnt. Die Patienten sahen zunächst etwas verwirrt aus, gehorchten aber lachend und verschwanden. „Na Thomas? Tollst Du wieder mit den Kindern herum?“ „Wie immer, wenn ich hier bin. Hallo Antje. Wie geht es Dir?“ „Gut, und Dir? Hast Du Lust mich zur Kantine zu begleiten. Habe endlich mal Pause. Den ganzen Vormittag habe ich nur Anträge ausgefüllt, Patientenkarteien übertragen, Bestandslisten aktualisiert und so weiter, und so weiter!“ „Hast Du denn nicht auch dieses neue PC-Programm?“ „Haben schon, doch leider kennt sich damit keiner richtig aus und wenn auch, letztendlich bleibt es an mir hängen. Ich kann es keinem hier verübeln. Uns – also dem Personal – sind die Kinder nun mal wichtiger. Selbst Felix hat uns schon manchmal gegenüber der Verwaltung gedeckt, weil irgendein Materialantrag nicht eingereicht wurde.“ „Wäre es denn eine Hilfe, wenn ihr dafür jemanden engagiert?“ „Eine Hilfe wäre es schon, doch leider gibt es keine Möglichkeit. Wir haben hier Einstellungsstopp.“ „Also, dagegen kann ich nichts machen. Ich werde mal bei Felix anfragen, ob da nicht doch etwas zu machen ist.“

„Versuche es ruhig. Aber ich sehe da wirklich keine Chance, Thomas.“ „Wo siehst Du keine weitere Chance drin, Antje?“ Wie aus heiterem Himmel stand Sebastian vor uns. „Jemanden für die EDV zu bekommen. Ich habe heute nichts anderes gemacht, als vor dem PC zu hocken.“

„Tja, das macht keiner von uns gerne. Ist ja auch so ein blödes Programm. Keine ordentliche Benutzeroberfläche, kaum Möglichkeiten zu variieren ...“ „Hast du davon Ahnung Sebastian?“ „Ein wenig, ja. Gehörte zu einem neuen Fach ›Moderne Medien‹ in meiner Schule. Ob ich da überhaupt etwas ausrichten kann, möchte ich lieber nicht versprechen.“ „Dann schlage ich mal Folgendes vor: Ihr Beiden könnt ja mal eure Köpfe zusammenstecken. Vielleicht gibt es ja eine interne Lösung?!“ „Dein Optimismus in Verwaltungsohren.“ „Es wird schon gut gehen. So ihr Beiden, ich muss noch einmal zur Schule. Ich wünsche eine schöne Pause.“ „Tschüß Thomas.“

Mit leichter Verspätung erreichte ich das Rektorat. Herr Lange wartete schon auf mich, etwas ungeduldig. Ich hatte am Vormittag um dieses Gespräch gebeten. „Hallo Thomas, ich hoffe es ist wichtig. Sonst verzeihe ich dir dein Zuspätkommen nicht.“ „Mir scheint es wichtig Herr Lange. Sie kennen doch Herr Johansson .“ Damit begann ich das Gespräch und ich erzählte ihm von allem, was sich seit Alex Vorfall noch ereignet hatte. Dafür hatte ich auch extra Herr Kunibert von der Spurensicherung angerufen. Ich teilte ihm mit, das ich einen Verdacht hatte und er meinte ich solle mal mit meinem Direktor sprechen. Während ich sprach, bemerkte ich die unterschiedlichen Reaktionen des Direktors. Seine Palette reichte von Entsetzen über Bestürzung bis hin zur Erleichterung. „Gut Thomas, ich bin erfreut, dass Du mich ins Vertrauen gezogen hast.“ „Herr Lange, ich wünsche, dass diese Spur hier ins Nichts führt. Was passiert, wenn es auf dieser Schule noch mehr von den ›Herr Nauheimer‹ gibt? Was geschieht, wenn meine Lebensweise hier zum Politikum wird?“ „Also, ich bin ja nicht erst seit ein paar Tagen hier der Direx. Homosexualität gab es hier schon früher und wird es auch in Zukunft geben. Bei den Schülern wie auch bei den Lehrern. Und mich interessiert es nur, wenn es hier in der Schule Probleme damit gibt, so wie jetzt bei Dir. Es ist seit jeher ein Politikum und wird es solange auch bleiben, bis die Gesellschaft Schwule und Lesben nicht nur toleriert, sondern auch ohne Wenn und Aber akzeptiert.“ „Ja und bis das geschieht, fließt noch eine Menge Wasser den Bach hinunter.“ „So wird es wohl sein, daher hat schon vor einigen Jahren mein Vorgänger in einer Konferenz durchgesetzt, ›Homosexualität‹ zum Thema an dieser Institution zu machen.“ Herr Lange stand auf und ging zu seinem Schreibtisch hinüber. Nahm einen schmalen Ordner aus einem Stapel und ging zu seinem Platz zurück. Langsam öffnete er diesen. „Aber das ist jetzt nicht direkt das Thema unserer Unterhaltung. Wie ich sehe, haben wir demnächst etwas Luft. Es wird Zeit, mal einen Einblick in die Arbeit der hiesigen Polizei zu organisieren. Kann ich Herrn Kunibert irgendwie erreichen?“ Ich gab dem Institutschef die Telefonnummer, unter der er den Polizisten direkt erreichen konnte. Nach zwei Stunden verließ ich mit einem guten Gefühl die Lehranstalt.

Die Uhr in der Krankenhaus-Cafeteria zeigte fünf vor halb vier. Sebastian schob lachend den Rollstuhl mit Alexander hinein. Beide Jungs genossen den kleinen Ausflug. „Was soll ich dir mitbringen?“ „Wie wäre es mit einem kühlen Blonden?“ Alex schaute skeptisch verschmitzt zu Sebastian hoch. „Kühl: Ja. Blond: Nein. Kein Alkohol! Du stehst unter meiner Aufsicht und da bekommst Du das, was ich Dir bringen werde.“

Damit verschwand Sebastian. Nach einer kleinen Weile erschien er mit einem vollen Tablett. Stellte zwei Gläser hin, einen Glaskrug mit einer roten Flüssigkeit und zuletzt noch einen Teller mit Cookies. Alexander schaute neugierig, abwechselnd zwischen Tisch und Sebastian her. „Was ist das?“ „Johannisbeersaft und Schokoflockenkekse!“ „Und das soll ich ...?“ „Ja, schmeckt sehr gut, besonders die Kekse.“ Sebastian schenkte ein. Der dunkelrote Saft füllte die Gläser der Jungs. Alex nahm sein Glas und probierte skeptisch den Inhalt. Der Fruchtsaft schmeckte zunächst leicht säuerlich anschließend sehr erfrischend. Wie er fand. „Und schmeckt es?“ „Ja, ist akzeptabel.“ Die Beiden sahen sich an und grinsten. Sie blödelten noch etwas herum und rissen einige Witze, so dass manche Anwesenden sich nach ihnen umschauten. Sie bemerkten nicht, dass sich ihnen eine Frau mittleren Alters nährte. „Guten Tag, sind Sie Herr Alexander Simon?“

Beide schreckten auf und musterten die Person. „Ähm, ja, und Sie sind?“ „Frau Clemens. Herr Johansson richtete mir aus, dass wir uns hier treffen könnten. Ich bin etwas früh dran.“ „Hallo Frau Clemens. Setzten sie sich doch.“ Alexander deutete auf den Stuhl neben sich. Der neue Gast nahm die Aufforderung lächelnd an. „Tja, Sebastian. Corinna wird auch bald kommen. Würdest Du sie bitte hinunterbringen, wenn sie kommt. Sie weiß ja noch nicht, dass ich heute hier unten bin.“ „Kein Problem, Alexander.“ Sebastian stand auf und ging. Frau Clemens stand ebenfalls auf, um sich einen Kaffee zu holen.Sie ließ eine Aktentasche neben dem Stuhl stehen. So auf Anhieb fand er die Frau sympathisch. Mit einem Kännchen Kaffee und weiteren Keksen erschien sie wieder am Tisch, zog ihre Jacke aus und hängte sie über die Stuhllehne. Danach nahm sie Platz. „Sie sind also Corinnas Vormund?“ „Im Quasi-Amtsdeutsch, ja. Aber im realen Leben würde ich mich eher als eine gute Beraterin bezeichnen. Olaf hat Dir ja schon erklärt, was ich darf und was nicht. In erster Linie geht es darum, Dir bei der ›Erziehung‹ von Corinna zu helfen. Es wird nicht einfach werden und sicherlich werden wir verschiedene Meinungen vertreten. Aber wir Drei zusammen werden das schon meistern.“ „Frau Clemens, eines sollte klar sein, das Wort ›Erziehen‹ gefällt mir nicht. Es erinnert zu sehr an meine ehemaligen Eltern. Können wir uns darauf verständigen, wenn wir uns gemeinsam um das ›Wohlergehen und die Förderung‹ Corinnas kümmern?“ „Ja, das ist wirklich eine viel bessere Bezeichnung.“ „Das denke ich auch. Wie mögen Sie es halten? Ich biete Ihnen das Du an, macht meines Erachtens die Sache sehr viel einfacher. Ich heiße Alexander.“ „Gut Alexander, ich bin Ramona.“ „Noch etwas Alexander, ich bin vom Jugendamt bestellt und habe Eure Akte eingesehen.“ „Ja und?“ „Daraus geht hervor, dass Du missbraucht worden bist ...“ Alex schluckte. Das war jetzt einfach zu viel. Zweimal an einem Tag daran erinnert zu werden. „Hört das denn nie auf!“ Er murmelte diese Worte leise vor sich hin und begann zu schluchzen. Eine Träne nach der Anderen rann ihn über sein Gesicht. Ramona tat das einzig Vernünftige, sie rückte etwas näher zu ihm und legte einen Arm um ihn. Der Junge spürte die Wärme und dieses Gefühl der Geborgenheit. Er ließ sich gehen.

Nach einigen Minuten hatte er sich wieder gefangen. Er blickte auf und sah ein lächelndes Gesicht. Vorsichtig sah er sich um. Die anderen Gäste haben wohl nichts mitbekommen oder sie hielten sich in Rücksichtnahme. Jedenfalls sah alles um sie herum ‚normal‘ für ein Café aus. „Entschuldige ...“. „Da gibt es nichts zu entschuldigen. Es ist nicht Deine Schuld und mir ist es lieber, Du lässt deinen Gefühlen freien Lauf als sie hinter dem Berg zu halten. Eine Frage habe ich dennoch, wirst Du eine Therapie machen?“ „Dr. Hausach hat mich heute Morgen darauf angesprochen. Ich denke schon.“ Frau Clemens nickte. Innerlich spürte sie, dass der Junge kämpfen will. Diesen Kampf muss er alleine durchstehen. Ihr blieb nicht anderes übrig, als ihm seinen Rücken frei zuhalten. Bis Corinna kam, unterhielten sich beide noch über dies und das. Besonders die Bitte bei der Wohnraumeinrichtung traf auf offene Ohren. Alexander wusste ja, dass er noch einige Wochen hier im Krankenhaus lag. Nachdem Corinna eintraf, sprach Ramona mehr mit dem Mädchen als mit Alexander. Die Beiden schienen sich gut zu verstehen. Später am Abend schaute Sebastian noch einmal bei ihm ins Zimmer. „Na Alexander, wie hast Du das Meeting empfunden?“ „Sebastian, ich habe ein gutes Gefühl. Ramona – also Frau Clemens – wird uns helfen, unser Leben von Neuem zu beginnen. Ich kann mich nun erst einmal mit dem befassen, was mit mir geschehen ist. Eine Therapie wird wohl mein Bestes sein.“ Sebastian nickte nur, nahm die Bettdecke und schlug sie über den Patienten. „Gute Nacht, Alexander.“ „Nacht Sebastian. Bis morgen.“ Der Pfleger löschte das Licht.

Ich hatte noch einige Besorgungen in der Stadt gemacht und stiefelte nun die Etagen bis zu meiner Wohnung hinauf. Ich ließ die Wohnungstür ins Schloss fallen. Endlich daheim. Aus der Küche kamen klappernde Geräusche. Ich öffnete die Tür und steckte meinen Kopf hindurch.

„Hallo Schatz, wie war Dein Tag?“ Hans stand hinter dem Tresen und machte gerade Tee oder so etwas. Ich ging auf ihn zu und knuddelte ich meinen Freund zärtlich. „Langweilig ohne Dich, Thomas. In unserer Wohnung ist alles in Ordnung. Ich habe heute Staub gesaugt und die Post gestapelt. Dann habe ich den Kühlschrank mit dem Nötigsten aufgefüllt und die Heizung etwas weiter aufgedreht. So wie ich die Beiden kenne, möchten Mom und Paps morgen noch etwas relaxen. Danach gehen sie sowieso noch einmal shoppen. Ja, und vorhin habe ich noch Saxophon gespielt. Also, wenn die Nachbarn sich beschweren, dann weißt Du warum.“ „Ich denke, da kommt nicht viel, Du spielst ja auch echt gut mein Lieber. Zurück zu deinen Eltern, wann sollen wir sie noch einmal abholen?“ „Sie wollen natürlich nicht, das wir sie vom Flughafen abholen. Aber ich denke, sie sind von der Fliegerei schon genug gestresst. Ankunft wäre um 22H00.“

Ich ging zu dem Vogelbauer hinüber, wo Xavier, der Papagei, genüsslich an einer Nuss knabberte. Als er mich kommen sah, rutschte er auf seiner Stange direkt zur Käfigtür. Ich hielt nur noch meine Hand hin und schon saß er drauf. „Na mein Kleiner, wie geht es dir?“ Dabei streichelte ich seine kleine Brust. Der Vogel schloss seine Augen und pfiff vor sich hin. Ihm ging es gut. Jetzt wo Hans bei mir wohnte, war immer wieder jemand da, der sich mit ihm beschäftigte. Dem Papagei schien es jedenfalls zu gefallen und das zeigte er uns immer wieder deutlich. Jetzt wo es auch schon mal längere Zeit im Wintergarten warm war, ließen wir den Vogel auch mal im Wintergarten frei. Das würde sich hoffentlich in der neuen Wohnung ändern. „Na, dann müssen wir wohl spätestens in einer Stunde los.“ „Sieht so aus. Thomas, ich habe uns schon mal einen Imbiss vorbereitet. Wenn Du jetzt deine Einkäufe verstaust, können wir essen.“

Ich ließ Xavier auf den Bauer klettern. „Wir können auch sofort essen, in den Taschen ist nichts Verderbliches drin. Das kann ich auch noch später machen.“ Hans hatte einige Sandwiches gemacht, über die wir uns hermachten. „Was machst Du morgen, Thomas?“ „Ich fahre so gegen zehn ins Krankenhaus. Alexander und ich müssen noch ein Referat für Bio machen. Wie lange das dauern wird, kann ich nicht sagen. Am Nachmittag möchte ich mich mal wieder um den Haushalt kümmern. Ich habe gesehen, dass der Käfig es wieder nötig hat. Und im Wintergarten könnte ich auch etwas tun.“ „Mach mal langsam. Also, morgen früh habe ich nüscht zu tun. Da kann ich auch etwas tun. Schließlich mache ich hier ja auch Dreck. Xavier's Heim kann ich auch machen und Corinna wollte ja auch morgen Vormittag herkommen. Das gibt sicherlich Spaß.“ „Das glaub ich Dir gern.“ Ich grinste von einem Ohr zum Anderen. „Hey, Thomas das ist mein Ernst.“ Der verschmitzte Blick von Hans verriet das Gegenteil. „Ja, ja, wie war das noch mit dem Kuchenbacken? Ich frage mich immer noch, wie das Mehl in die Badewanne gekommen ist.“ „Hey, Du hast versprochen, das nie wieder zu erwähnen!“ Hans stürmte auf mich zu und packte mich. Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich richtig kitzelig bin? Na gut, ich wollte es euch bloß noch einmal in Erinnerung rufen. ;-) Jedenfalls hatte ich in den folgenden Minuten Schwierigkeiten mit der Koordination des Atmen. Zumal Hans mich auch noch zu küssen begann. Nach und nach beruhigte sich die Situation. Wir lagen auf dem Sofa und ich ganz eng an meinen Freund gekuschelt. Irgendwie habe ich das in den letzten Tagen vermisst. „Und wenn Du möchtest, nehme ich mir morgen Nachmittag sehr viel Zeit für meinen Freund. Na was meinst du, Schatz?“ Ich sagte gar nichts mehr, mein Blick war meine Antwort und Hans verstand.

Hans Eltern waren sichtlich froh, uns in der Ankunftshalle zu sehen. Beide sahen irgendwie müde aus und wollten nur noch nach Hause. Hans berichtete ihnen kurz von den Begebenheiten der letzten Zeit. Offensichtlich waren die Müllers mit den Entwicklungen zufrieden. Die Rückfahrt ging zügig voran und Hans setzte seine Eltern ab. Das Auto blieb bei seinen Eltern. Mitten in der Nacht schlenderte Hans und ich zu unserer kleinen Wohnung zurück. Wir gingen schweigend eng nebeneinander her. Ich fühlte mich geborgen. „Hans, glaubst Du, dass ich das Richtige tue?“ „Wie meinst Du das?“ „Na, das ich mich so um die Belange Anderer kümmere als meine eigenen Sachen. Die Mathearbeit nächste Woche zum Beispiel kann ich abhaken. Ich habe nicht genügend Zeit zum Lernen investiert. Dann das Referat in Bio, normalerweise hätte ich es schon am vergangenen Montag halten sollen. Frau Krause hat stillschweigend darüber hinweggesehen und anstelle der Photosynthese hat sie die unterschiedlichsten Wasserleitsysteme bei Pflanzen durchgenommen.“ „Nein, mein Lieber. Du kannst nicht aus Deiner Haut. Das macht Dich doch auch so liebenswert. Und glaube mir Thomas, ich würde dich um nichts in der Welt eintauschen wollen.“ Damit rückte er noch etwas mehr an mich heran. Überflüssig zu erwähnen: Seine Worte waren wie Balsam. Sie taten mir gut.

Daheim machten wir uns sofort auf ins Bett. Der Tag ist lang geworden und meine Akku einfach leer. In Hans Arm schlief ich ohne weiteres ein.

„Guten Morgen Thomas, Zeit zum Aufstehen!“ Hans säuselte mir die Worte leise ins Ohr. Danach presste er seine Lippen auf die meinigen und vollzog einen bestimmten, liebevollen Kuss. „Nee, Du schwindelst mich an. Ich bin doch erst eben ins Bett.“ „Das ist nicht ganz falsch, wir haben gerade Acht durch. Aber Alex hat angerufen, er muss Euren Termin auf heute Nachmittag verschieben.“ „Hat er auch gesagt warum?“ „Ich glaube wegen eines neuen Patienten, der zu ihm auf das Zimmer gekommen ist.“ „Und wann soll ich bei ihm eintrudeln?“ „Er sagte etwas von zwei, halb drei!“ „Na dann habe ich ja auch noch etwas Zeit für mich.“ Obwohl noch recht früh am Morgen, standen wir auf. Es gab Einiges zu tun. Besonders das Frühstück war jetzt wichtig. „Schatz, ich geh mal die Zeitung holen.“ „Mach nur Thomas, die Brötchen brauchen noch etwas Zeit. Und der Kaffee - Du trinkst doch welchen? - ist auch noch nicht durch.“ In meinem Freizeitanzug ging ich zum Zeitungskasten runter. „Guten Morgen Thomas.“ „Hallo Frau Schmitt, wie geht es Ihnen?“ „Mein Rheuma macht mir noch immer zu schaffen. Mein Hausarzt meinte, ich sollte mal eine Kur machen. Aber ich weiß nicht wie und wo! Meinst Du, Herr Hausach könnte mal?“ „Fragen sie doch einfach mal Frau Hausach, sie kann ihnen sicherlich weiterhelfen.“ „Ja, das ist eine gute Idee. Danke.“


Ich schnappte mir die Lokalzeitung und verabschiedete mich von unserer Nachbarin. „Wo warst du, hast du die Zeitung von der Presse geholt?“, frotzelte Hans. „Frau Schmitt!“ „Dir sei vergeben, dass es länger gedauert hat.“ Ich legte die Zeitung auf den Tisch. Xavier schaute mich erwartungsvoll an, dann flog er auf mich zu. Punktgenau landete er auf meinem Arm, kuschelte sich etwas an mich und pfiff vergnügt vor sich hin. Hans sah uns Beiden zu. Sanft kraulte ich die kleine Brust des Papageis, dann nahm ich eine Nuss und hielt sie dem Vogel hin. Xavier schnappte sich die Leckerei und lupfte vom Arm auf eine Stuhllehne. Es sah einfach lustig aus, wie sich der Vogel bemühte, die Nuss zu knacken. Mit seinem Fuß fasste er die Nuss, drehte sie geschickt hin und her. Dann der finale 'Knacks' und ich sah die Frucht in mehre Teile zerspringen.

„Thomas, ich zieh meinen Hut vor Xavier.“ „Es ist wichtig, es sich mit ihm nicht zu verscherzen. Ein Finger ist für ihn, was für uns ein Käsestangerl ist. So mein Lieber, wie wäre es mit Frühstück für uns?“ „Gute Idee. Setz Dich einfach, ist soweit alles fertig.“ Das Frühstück nahmen wir mehr schweigend ein. Kommt halt auch mal vor :-) Hans schenkte Kaffee ein, ich reichte ihm die Semmeln und so weiter. Hin und wieder gaben wir Xavier etwas Obst oder so etwas. „Gibst Du mir mal den Sportteil?“ „Im Austausch gegen die Lokalseite!“

Und wieder raschelte Zeitungspapier. Xavier fühlte sich wohl etwas gelangweilt, jedenfalls machte er sich auf, eine große Runde zu drehen. Auf dem Halogenfluter ließ er sich nieder und fing an sein Gefieder zu pflegen. Ich schaute von dem Artikel auf und sah zu ihm hinüber. Ich fühlte mich glücklich. Ich hatte Freunde, auf die ich zählen konnte, war finanziell mehr oder weniger unabhängig und selbst mein Papagei sah gesund und gepflegt aus. Dann wandte ich meinen Blick zum Wintergarten hinüber. Meine Gedanken verloren sich in der Ferne. „Thomas?“ Hans schmunzelte mich an. „Ja?“ „Einen Penny für Deine Gedanken!“ „Ich habe gerade gedacht, wie gut ich es habe. Ich fühle mich einfach glücklich – Schatz.“ Süffisant grinste er. „Was brauchen wir denn alles so?“ „Eigentlich nur frische Lebensmittel, Vogelfutter, Klopapier. Mehr fällt mir just nicht ein. Warum fragst Du? Willst Du freiwillig einkaufen gehen?“ „Jein, ich möchte die Gelegenheit beim Schopf packen. Mom und Dad brauchen ja auch was und meistens zahlen die meine Sachen mit.“ „Ach so ist das, dann einen neuen PC, ein weiterer Kühlschrank wäre auch nicht schlecht, eine ...“. Weiter kam ich nicht. Hans bohrte mit seinem Finger in meiner Seite. Nach einigen Minuten auf dem Boden wälzen lagen wir uns in den Armen. Seine Hände glitten sanft über meinem Körper. Wir streichelten uns an allen möglichen und unmöglichen Stellen. „Habe ich Dir schon gesagt, dass ich Dich liebe?“ „Ja, hast Du. Mit jedem deiner Blicke heute Morgen.“ Zu guter Letzt versiegelte Hans meine Lippen. Eine Ewigkeit später entließ er mich wieder. „So und was brauchen wir sonst noch?“ „Wie schon erwähnt, nur das Übliche.“

Hans nickte einfach. Wir gaben uns einen kleinen Kuss und standen dann auf. Gemeinsam räumten wir den Frühstückstisch auf. Xavier saß wieder einmal auf dem Bauer und schaute gemütlich unserer Geschäftigkeit zu. „Stellst Du noch den Toaster in den Schrank!“ „Warum?“

„Xavier mag es, an Elektrokabeln zu knabbern, zwei davon hat er schon auf dem Gewissen!“, grinste ich zurück. „Und er lebt noch?“ „Ich bin doch nicht blöd, ich habe zwar vergessen den Toaster in den Schrank zu stellen, aber doch nicht, den Stecker aus der Steckdose zu ziehen. Außerdem schalten sich alle Steckdosen über der Anrichte ab, sobald du das Licht ausschaltest. Sicher ist sicher.“ „Und was ist mit dem Radio?“ „Ist Dir das noch nicht aufgefallen? Dieses Radio steht so nah an der Wand, dass er das Kabel nicht erreichen kann. Außerdem ist es fixiert. Xavier wird sich hüten, seine einzige Unterhaltungsquelle in unserer Abwesenheit zu zerstören.“

Dann ging es ins Bad. Knapp eine Stunde später klingelte es an der Tür, Hans Eltern holten ihren Sohnemann zum Einkauf ab. Ich nahm den Wäschekorb und sortierte die Wäsche. Ist halt doch etwas mehr, wenn zwei Leute in einem Haushalt leben. Wie wird das erst, wenn wir das Haus bezogen? Na bis dahin ist noch etwas Zeit hin. Während die Waschmaschine lief, schwang ich den Putzlumpen und den Staubsauger. Zu Mittag hatte ich das Schlaf- und Arbeitszimmer wieder auf Vordermann gebracht.

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Die Tür ging auf, die Deckenbeleuchtung flammte auf, und ein weiteres Bett wurde in den Raum geschoben. Alexander schaute aus zusammengekniffenen Augen auf die Uhr. Die blauen Leuchtziffern deuteten auf halb fünf. Nachdem das zweite Bett in Position stand, verließen einige Pfleger den Raum. Einer von ihnen blieb, hängte diverse Infusionsbehältnisse an einen Ständer. Alex richtete sich auf, schaute verschlafen hinüber. Viel konnte er nicht sehen.

„Sorry Alex, das wir dich geweckt haben ...“. Der Pfleger sprach mit dem Rücken zu dem Jungen. Routiniert stöpselte er die verschiedenen Kabel zusammen. Dann begann es zu piepsen und zu blinken. Dann drehte er an den verschiedenen Knöpfen, die Geräusche wurden leiser und letztendlich verstummten sie. „Lasst mich dafür länger schlafen!“ „Ist gebongt, eine halbe Stunde, reicht das?“ „Ich dachte eher an zwei bis drei.“ „Ich werde Antje eine Notiz hinlegen, versprechen kann ich nichts. So, und nun versuch' noch eine Mütze voll Schlaf zu nehmen.“ Damit ging der Pfleger zur Tür, löschte das Licht und verließ das Zimmer. Alex drehte sich um, sah noch einmal zum Nachbarbett hinüber. Die Pfleger hatten über dem Nachbarbett die Nachtbeleuchtung eingeschaltet gelassen. Jetzt sah er den Jungen, er war noch ein Kind. Sein Kopf war bandagiert und ein dicker, durchsichtiger Schlauch führte zu seinem Mund. Das andere Ende mündete in einen Zylinder, der wie eine Ziehharmonika auf und ab ging. Die Bettdecke war wie ein kleines Zelt über seine Beine aufgezogen. Mehr konnte er nicht erkennen. Alex drehte sich um und schlief ein.

„Guten Morgen Alex, es ist Zeit.“ „Zeit wofür?, Sebastian!“ „Für's Bad!“ „Hatte ich eines bestellt?“ „Du nicht, aber ich, also keine Widerrede.“ „Kann ich vorher noch telefonieren, Thomas und ich wollten heute morgen zusammen lernen.“ „Kein Problem.“ Die Jungs machten sich auf. Im Stationszimmer machten sie halt, damit Alex sein Telefonat machen konnte. Dann fiel ihm noch ein, dass er ja mal anfragen konnte, ob sie noch professionelle Hilfe bekommen könnten. „Sebastian, habt Ihr ein Telefonbuch?“ Er reichte Alex das Gewünschte. Seine Finger glitten über eine Seite, wählte die gesuchte Nummer und sein Gesicht hellte sich nach einigen Momenten auf. Danach ging es in die Bäderabteilung. Das Badewasser füllte langsam die Wanne. Sebastian schüttete einen Badezusatz hinein und es entstand ein wenig Schaum auf der Oberfläche des Wassers. „Sag mal Sebastian, das mit dem Bad war doch nur ein Trick, um mich aus dem Zimmer zu bekommen?“ „Du hast es erfasst. Bei Andreas, dem neuen Patienten, wird es unangenehm. Einige seiner Verbände müssen gewechselt werden. Die künstliche Beatmung wird entfernt etc. Ist nicht jedermanns Sache.“ „Darfst du mir sagen, was passiert ist?“ „Soweit ich weiß, ein Autounfall. Muss heftig gewesen sein, die Autobahn war mehrere Stunden gesperrt. Der Rettungshubschrauber hat ihn hergebracht. Doc Hausach hat mit seinem Team Schwerstarbeit leisten müssen.“ „Wie alt ist er?“ „Neun. So, und nun entspanne dich bei einem Bad. Ich hole dich in einer halben Stunde wieder ab. Dann gibt es Frühstück.“

Sebastian half Alexander noch ins Wasser und verließ den Raum. Alexander staunte nicht schlecht, wie schnell doch die Zeit um war. „Na wieder wach?“, grinste ihn Sebastian an. „Komm endlich raus, du musst dich ja schon aufgelöst haben.“ Alex schaute sich seine Hand an. Die Haut war ganz runzelig. Sebastian half ihm, reichte ein großes Badetuch. Dann ging es zurück ins Zimmer, wo ein Frühstück auf Alexander wartete. Das Nachbarbett war verschwunden. „Wo ist er denn hin?“ „Andreas? Er bekommt noch eine CT. Und nun frühstücke!“

„Hallo Sebastian, ist Alex in seinem Zimmer?“ „Hallo Thomas. Ja, er wartet auf dich.“ Ich klopfte leise an und trat nach Aufforderung ein. Alexander las in einem Buch. Neben seinem Bett stand ein Paravent, der die Sicht verhinderte. „Hi Alex!“ „Hi Thomas, bitte sei leise, Andreas schläft. Helfe mir mal aus dem Bett, wir gehen nach unten. Antje hat mir einen ruhigen Raum zum Lernen besorgt.“ Ich schob den Rollstuhl den Gang entlang. Doc Hausach kam uns entgegen. Er sah irgendwie müde aus. „Hallo Ihr Beiden. Wie geht es Dir, Thomas?“ „Hallo Felix, mir geht es gut und Hans auch. Aber Du!“ „Ich weiß, ich fühle mich auch gerädert, war eine lange Nacht. Was habt ihr jetzt vor?“ „Wir wollen zusammen lernen, die Schule macht ja keine Pause.“ „Dann viel Spaß.“ „Danke!“ Die Cafeteria war noch nicht sehr gut besucht, aber uns interessierte das nicht.

„Wohin, Alex?“ „Da hinten durch und dann rechts. Das ist unser Schulraum, nicht sehr groß aber mit dem Wichtigsten ausgestattet.“ „Ich wusste gar nicht, dass dafür ein eigener Raum ausgestattet wurde.“ „Ich glaube, der ist auch nur zum Ausweichen gedacht. Im Normalfall haben wir oben im Aufenthaltsraum Unterricht. Manchmal kommt es vor, dass der oben besetzt ist. Dann gehen wir hier rein.“ Ich öffnete die Tür und staunte nicht schlecht. „Hallo Jungs, ihr seid spät dran!“ „Hallo Herr Schneider.“ „Ich konnte ihn für unsere Nachhilfe gewinnen.“ „Also, meine Zeit ist bemessen Jungs. Lasst uns anfangen.“ In den nächsten Stunden ging es hoch her mit Kurvendiskussionen, Graphen, Funktionen. Herr Schneider, der Mathelehrer, war sehr geduldig mit uns. Zwischendurch gab es Kaffee, Kakao und Kola. „So Jungs, ich glaube das reicht für heute. Ihr habt es.“ „Ja, ich habe wohl noch einiges gut zu machen!“ „Nicht doch Alex, einige Lehrer sind zwar von deiner mangelnden mündlichen Kooperation genervt gewesen, doch deine schriftlichen Leistungen sind alles andere als schlecht. Mach beim Unterricht mit und Dir steht einem guten Abi nichts im Weg. So, und nun will ich nach Hause.“ Herr Schneider nahm seine Unterlagen. „Hier Alex, gebe das dem Kollegen hier. Da sind Übungen für Dich und noch einige Hinweise für die nächste Klausur. Ach, bevor ich es vergesse, Frau Krause lässt Euch ausrichten, dass Euer Referat gestrichen wurde.“ Damit verabschiedete er sich ins Wochenende. „Komm Thomas, es war ein langer Tag.“ „Wem sagst Du das. Was bin ich froh, morgen ausschlafen zu können. Ich bringe Dich noch hoch. Wie geht es Corinna?“ „Ihr geht es gut, sie war heute morgen mit Ramona hier. Sie verstehen sich prächtig. Sie sind anschließend die Stadt unsicher machen. Tapeten aussuchen, Möbel, Spielzeug etc., ich glaube, es geht wieder bergauf mit uns.“ „Das will ich schwer hoffen. Resignieren hat wirklich noch niemandem geholfen. Vielleicht braucht man hin und wieder einen Freund, der einen mächtig in den Hintern tritt ...“. „Davon habe ich ja ausreichend. Es wird Zeit, dass ich“. „... Zurückzahlen? Vergiss es, sieh lieber zu, dass Du und Corinna die Kurve bekommt. Es wird noch schwer genug für Euch werden, ich kann davon ein Lied singen.“

„Du hast mir noch nie erzählt, wie es damals weiter gelaufen ist. Nach Deinem Coming Out bei deinen Eltern.“ „Alexander, dazu habe ich jetzt wirklich keine Lust. Vielleicht, wenn wir in der neuen Wohnung sind.“ Den Rest des Weges legten wir schweigend zurück. Auf der Station angekommen, trat uns ein Pfleger in den Weg. „Alexander, Du hast Besuch. Wir haben ihn in den Aufenthaltsraum geschickt. Dein Mitpatient braucht noch Ruhe.“ „Danke, wer ist es denn?“ „Schau selber nach, nur soviel, Sebastian hat sein OK gegeben.“ Alexander staunte nicht schlecht, als er seinen Besuch sah. Die halbe Klasse war gekommen und das, obwohl er ihnen das Leben in der Schule nicht leicht gemacht hatte. Ich verabschiedete mich von ihm und überließ ihn dem Besuch. Es freute mich, dass meine Mitschüler auch mal die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen konnten. Im Eingangsbereich traf ich auf Olaf Johansson, den Anwalt der Stiftung meines Großvaters. „Hallo Olaf, was führt Dich her?“ „Die Arbeit, Thomas, die Arbeit.“ „Am Samstagabend?“ „Ja, ich habe vorhin eine traurige Nachricht erhalten. Gestern Nacht wurde ein Junge hier eingeliefert. Ein Autounfallopfer. Ich habe von der zuständigen Polizeibehörde einen Anruf erhalten, dass seine Eltern den Unfall nicht überlebt haben. Herr Hausach wird gleich auch noch kommen, wir müssen es ihm sagen.“ „Sch..., wie kommt die Polizei auf Dich, normalerweise ist das doch deren Aufgabe?“ „Die haben hier im Krankenhaus angerufen, und dann ging es über Felix direkt an mich weiter.“ „Ich weiß, das mag jetzt etwas geschmacklos klingen, glaubst Du die Stiftung kann ihm helfen?“ „Es ist nicht geschmacklos. Dafür bin ich hier, dein Großvater hätte es gewollt, dass wir dem Jungen helfen. Brigitte hat schon in Erfahrung gebracht, dass es wohl noch Großeltern gibt. Entsprechende Anweisungen an die Behörden sind schon in die Wege geleitet. Ich denke, morgen sind sie hier, und dann werden wir weiter schauen.“ „Wie machst Du das bloß, alles am Wochenende?“ „Ich habe viele Kollegen, da wäscht ganz schnell mal eine Hand die Andere.“ „Olaf, ich möchte Dich jetzt nicht weiter aufhalten.“ „Schon gut, tschüs und grüße Hans von mir.“ „Mach ich.“

„Thomas, Du kommst spät.“ „Sorry Hans, ich bin vom Krankenhaus hierhergelaufen. Ich musste mal wieder nachdenken.“ „Und wie war das Lernen, seid ihr weitergekommen?“ „Ja, ich habe einen ganzen Nachmittag in Mathe Nachhilfe bekommen. Alex konnte Herrn Schneider mobilisieren. Frag* mich nicht, wie er das geschafft hat. Dann hat die Krause unser Referat gestrichen. Und viele Grüße von Olaf.“ „Danke, wo hast Du ihn getroffen?“ „Im Krankenhaus, heute mal als Bote schlechter Nachrichten.“ „Erzähl!“ „Ein neuer Patient. Er hat wohl als Einziger einen Autounfall überlebt. Olaf wurde von der Polizei informiert.“ „Wieso Olaf?“ „Felix hatte ihn wohl angerufen, der Patient ist ein Kind ...“. Hans schaute mich einfach nur an, in seinen Augen lag sehr viel Traurigkeit. Ich nahm ihn in den Arm. „Hey! Du weißt doch, wenn Felix und Olaf mitmischen, dann wird das Beste für den Jungen getan.“ „Das schon, aber sie können die Eltern nicht ersetzen“. Ich konnte darauf nichts antworten. Was denn auch, Hans hatte Recht.

Die Einweihungsparty ging in den frühen Morgenstunden zu Ende. Alexander, Corinna, Hans und ich wohnten nun seit einer Woche ganz offiziell in den neuen Wohnungen. Felix hatte zugestimmt, dass Alex schon früher das Krankenhaus verlassen konnte. Aus medizinischer Sicht stand dem nichts entgegen. Einzig Alex musste dem Doc versprechen, die begonnene Therapie weiterzuführen. Bei der Einrichtung und den Umzügen in unsere Wohnungen hatte die ganze Jahrgangsstufe geholfen. Als Belohnung wurde diese Fete organisiert, und es wurde ein Megaevent. Die Nachbarn hatten in weiser Vorsicht das Weite gesucht.

„Mann bin ich froh, gleich ins Bett zu kommen.“ Hans stellte noch einige Flaschen beiseite.
„Alexander und Corinna?“ „Alex bringt sie ins Bett. Danach wollte er noch einmal runter kommen.“ „Ihr sprecht von mir?“ „Yep, ich habe da noch etwas. Kommt mit ins Wohnzimmer.“

Neugierig folgten Alexander und ich Hans in den besagten Raum. Der hatte es irgendwie geschafft, drei saubere Gläser aufzutreiben. Jedem von uns gab er eines, und in der anderen Hand hielt er eine kleine Flasche Schampus. Mit einem leisen „Pöff“ öffnete er sie und schenkte uns ein. „Auf unsere kleine WG!“, schlug Hans an. „Auf unsere WG!“, klang es im Chor zurück.

Wir stießen mit einem leisen Klirren unsere Gläser zusammen und tranken das prickelnde Getränk. „Das war eine super Fete, sieht aber noch nach Arbeit aus, beim Aufräumen.“ „Kathrin und Peter wollen helfen, sie kommen wahrscheinlich so gegen Eins. Ich schlage vor, wir gehen auch schlafen.“ „Gute Idee, ich bin saumüde. Ich schlafe gleich im Stehen ein.“ Hans stellte sein Glas weg, stand auf und ging. Ich folgte ihm. Alex setzte sich auch in Bewegung und löschte die Lampen. In den Wohnungen kehrte Ruhe ein. Hans kuschelte sich dicht an mich heran. „Du Thomas, weißt du eigentlich, was mit Andreas geschehen ist? Der Junge, der bei Alexander auf dem Zimmer gelegen hat.“ „Hans, es ist mitten in der Nacht!“ „Und?“ „Andreas wurde nach München verlegt, dort wohnen seine Großeltern, die sich um ihn kümmern wollen. Felix hat alles medizinische in die Wege geleitet und Olaf alles juristische. Ich wünsche, es wird ihm nun besser gehen.“ „Danke, Schatz. Du bist einfach lieb.“ Es reichte mir mit Hans Geplapper, ich drehte mich um und küsste ihn. Nun war endlich Ruhe.

Mitten in der Nacht klingelte es an der Tür. „Machst Du mal auf, Hans?“ „Nee, Du bist dran, Tommi. Wie spät ist es denn?“ Mit einem zugekniffenen Auge lugte ich zum Wecker. Die Zahlen deuteten etwas mit zwölf an. „Irgend etwas nach Zwölf und vor Eins, Schatz.“ „Wird wohl die Aufräumtruppe sein, ich geh dann mal. Aber morgen bist Du dran.“ „Okay, aber nun dreh ich mich um.“ Hans zog sich eben schnell noch seinen Morgenrock über und ging zur Tür. Da mich mein schlechtes Gewissen zwar nicht besonders plagte, mich jedoch nicht schlafen ließ, stand ich ebenfalls auf. Schlüpfte in den Freizeitanzug und machte mich auf in die Küche. „Kommen sie doch herein Andreas.“, sprach Hans. „Sorry, wir hatten gestern eine Fete, schauen Sie sich bitte nicht so genau um.“ „Nee, mach' ich schon nicht, außerdem habe ich selber Kinder im Teenageralter.“ Im Flur trafen wir zusammen. „Guten Morgen Thomas.“ „Guten Morgen, was führt Sie her?“ „Eine gute Nachricht, wir haben den Täter gefunden. Kennen sie einen gewissen Herrn Nauheimer?“ „Ja, der war bis Anfang des Jahres Lehrer an unserer Schule.“ „Nun, wir wissen, dass er im Haus gewesen ist. Der Fingerabdruck auf der Glühlampe war seiner. Können sie sich vorstellen, was er gegen Sie hatte?“ „Gegen Thomas hatte er wohl nichts“, mischte sich nun Hans ein. „Meine Eltern haben durch einen Elternbeschluss bewirkt, dass er von der Schule verwiesen wurde und seine Stellung verloren hat.“ „Dann galt die Aktion ihnen und nicht Thomas. Sie haben Glück gehabt.“ „Glück gehabt? Fast wäre mein Freund draufgegangen und da soll ich ...“ „Hans, lass gut sein. Er ist es nicht wert, sich weiter über ihn aufzuregen. Konnten sie ihn auch überführen?“ „Ja, der Händler hat ihn als denjenigen Kunden identifiziert, welcher die Sachen erworben hat, die verwendet wurden. Manchmal liebe ich den Strichcode.“ „Und was geschieht jetzt?“ „Anklage ist erhoben worden, ab jetzt läuft es seinen Gang in der Justiz. Der Staatsanwalt kümmert sich drum.“ „Und wie sind die Aussichten?“ „Gut bis sehr gut. So, das war es auch schon. Ihr bekommt noch einmal Besuch von Staatsseite wegen Aussagen und so. Macht euch nun keinen Kopf mehr drum. Justitia’s Mühlen mahlen langsam, aber dafür recht gründlich.“

Nachdem der Kriminalist gegangen war, gingen wir in die Küche und bereiteten unser Frühstück. In Gedanken waren wir wohl beide noch bei dem eben Erfahrenen. Das sollte sich ganz schnell ändern. Hans zog die Decke von Xavier’s Käfig und schwups war Leben in der Bude. Dem Gekrächze nach zu urteilen, war er etwas sauer. Er kletterte aus dem Bauer und flog einige Runden durch die Küche. Dann landete er auf einer Stuhllehne und krächzte weiter vor sich hin. Irritiert schauten wir uns an. Dann fiel mir siedend heiß ein, dass ich ihm am Vorabend noch frisches Wasser hatte geben wollen. Also, erst einmal die Futterschale frisch auffüllen und auf den Tisch stellen. Dann rüber zu seiner Behausung und frisches Nass einfüllen, und wo ich schon einmal dabei war, gleich auch seinen Futtervorrat erneuern. Der Papagei wurde leiser. „Puh, das war kurz vor knapp.“ „Wie meinst du das?“ „Das letzte Mal, als ich vergessen habe Wasser aufzufüllen, hat er mich zwei Tage nicht angeschaut. Heute ist er besser drauf.“ Damit setzte ich mich zu meinem gefiederten Freund und beschäftigte mich mit ihm. Er ließ sich von mir füttern, streicheln und er kletterte auf mir herum. Hans grinste nur, laut loslachen tat er, als Xavier mir leicht in die Nase zwickte. Danach pfiff er wieder vor sich ihn und unsere Welt war wieder in Ordnung. „Hallo!“ „Hallo Corinna, schon wieder auf?“ „Ja, ich konnte nicht mehr schlafen. Ich habe Hunger.“ „Dann setz dich zu uns, wir wollten gerade auch etwas essen. Ist Alexander auch schon wach?“ „Nein, der schläft noch.“ Das Mädchen guckte zum Papagei hinüber. Geheuer war ihr der Vogel noch immer nicht. Respektvoll schauten sich beide an. Corinna holte sich eine Nuss und gab sie dem Vogel. „Gelle, Du bist lieb zu mir, Xavier!“ Xavier nahm sie an und vor Freude wiegte er sich hin und her. Das brachte uns alle zum Lachen. Corinna half uns beim Tischdecken. Schon nach kurzer Zeit konnten wir uns an den Tisch setzen. Corinna erzählte uns, was sie so alles erlebt hatte in der vergangenen Woche. Heute, am Samstag, war sie zum Spielen bei einer Freundin eingeladen. Ramona würde sie später abholen und abends dann Alexander. So meine getreuen Fans, Thomas und Hans verabschieden sich. Das Abitur steht an: Das heißt lernen, lernen und nochmals ... nee, es gehört auch eine Portion Spaß dazu.

Die kleine WG wurde freundlich in die Nachbarschaft aufgenommen. Zu ihrem Geburtstag bekam Corinna ein Zwergkaninchen geschenkt. Xavier hat vor kurzem auch eine Lebensgefährtin bekommen. Der Tierarzt sagte, sie sei in etwa seinem Alter. Es war Alex Überraschung. Er wusste, wie sehr mir Xavier am Herzen lag und dass durch die viele Lernerei unsere Zeit mit dem Papagei begrenzt sein würde. Olaf ließ seine Kontakte spielen und fand einen Tierarzt, der einen weiblichen Papagei vermitteln konnte. Dieser wurde vom Zoll beschlagnahmt und hätte eigentlich eingeschläfert werden sollen.

Einzig Alexander ist noch immer auf der Suche nach seinem Mr. Right. Doch diesen würde er sicher noch finden. Im Jugendcafé engagierte er sich ebenfalls und konnte so Jugendlichen mit seinen eigenen Erfahrungen helfen.

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