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Blickwinkel

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

Chapter 17

… Carstens Gegenüber war nur den Bruchteil einer Sekunde abgelenkt, doch es reichte Rachid, um den Täter zu überwältigen. Ein Schuss löste sich. Carsten lag am Boden …

»Gesichert! Bryan! Carsten?«, rief Rachid.

Bryan kam aus dem Dickicht. Lewis folgte ihm langsam in einigem Abstand. Die Taschenlampe seines Mobiltelefons beleuchtete gespenstisch den Ort des Geschehens. »Ist … ist Carsten tot?«, fragte er unsicher seinen Vater. Dieser ging zu Carsten. Die beiden Hunde lagen neben ihrem Herrchen. Erleichtert sah er, wie Leonardo und Salvatore ihm über das Gesicht leckten. »Ist dir etwas passiert?«, fragte er. »Nein. Alles okay«, antwortete Carsten und wandte sich an seine Hunde: »Es ist gut. Danke, ihr beiden.« Sowohl Leonardo als auch Salvatore beruhigten sich, blieben aber wachsam. »Wie heißt der dritte Hund?«, wollte Bryan wissen. »Wolf! Ist ihm etwas passiert?«, fragte Carsten besorgt. Bryan half Carsten wieder hoch. »Nein.« Währenddessen klopfte Lewis den Schnee von Carstens Jacke. Rachid hielt den vor Schmerzen stöhnenden Bruder des Organisten am Boden. Während Salvatore mit einem Sprung Carsten von den Beinen geholt hatte, verbiss sich Wolf in den Unterarm des Angreifers. Dabei löste sich ein Schuss.

»Wolf! Out-of!«, versuchte Bryan. Doch der Schäferhund reagierte nicht.

»Madadh-allaidh! A-mach à!«, übersetzte Carsten. Wolf blinzelte Carsten an und ließ von Mr. Cooper ab. Er trottete zu seinem Gastherrchen, der ihm sachte die Flanke tätschelte und ihm über den Kopf wuschelte. Salvatore und Leonardo kamen hinzu und bedankten sich bei Wolf auf ihre Art.

»Gälisch?«, meinte Bryan überrascht.

»Klar. Wir sind hier in den Highlands. Ben, sein Herrchen, spricht mit ihm so«, lautete die einfache Antwort. Lewis nährte sich nun vorsichtig den beiden Männern am Boden. »Vorsicht, die Waffe! Sag Bryan, er soll das Gewehr an sich nehmen«, wies Rachid seinen Sohn an, »das Gewehr ist leichtgängig, wie du gerade erlebt hast.« Bryan hob die Waffe auf und entfernte routiniert das Magazin. Dann prüfte er, ob sich noch eine Patrone im Lauf befand. Als er sich sicher war, hielt er die Waffe in die Luft und zog am Abzug. Mit dem leisen Klack entspannte sich auch die Situation.

Bryan gab Lewis sein Telefon: »Kurzwahl vier. Sag James Bescheid.« Danach begutachtete er die Situation vor sich. Rund um den Biss färbte sich der Ärmel rot. Im Hintergrund hörte er Lewis kurz und knapp die Situation schildern.

»In fünfzehn Minuten am Spielplatz. Ein Rettungswagen wird auch da sein«, teilte der Jugendliche seinen Vätern mit. »Danke.« Rachid sah sich noch einmal um.

»Carsten, soll der Arzt dich untersuchen?«, fragte er. Dieser schüttelte nur seinen Kopf. »Ich möchte nach Hause zu meiner Familie.« »Gut. Dann gehst du mit Lewis und den Hunden jetzt zurück.« Carsten nickte: »Leonardo, Salvatore, Wolf! Bei Fuß!« Die Worte wirkten. Leonardo wandte sich seinem Herrchen zu. Salvatore und Wolf gesellten sich zu Lewis. Kurz drehte sich Carsten zu Mr Cooper um: »Sie können froh sein, dass nur der Schäferhund zugebissen hat. Wie ich schon sagte, ist Salvatore kein Hasenfuß. Er hätte ihnen ohne weiteres den Knochen gebrochen.« Unter Schmerzen zischte der Angesprochene: »Ich hätte die Viecher sofort erschießen sollen …« Salvatore knurrte laut grollend. Selbst Carsten hatte ihn so noch nicht erlebt.

»Sie sollten sich mäßigen. Beleidigungen mag weder Salvatore noch Leonardo. Nicht dass sie ihnen doch noch die Knochen brechen.« »Das werden sie nicht wagen«, zischte der Täter. Doch Carsten vernahm bereits eine Unsicherheit in dessen Stimme.

»Es gibt keine Zeugen. Ich bin blind und die Hunde reden relativ wenig«, meinte Carsten scheinheilig. »Die drei anderen sehen aber …«, erwiderte Mr Cooper. »Ach ja? Darauf würde ich mich nicht verlassen. Wenn ich mich recht erinnere, erwähnten sie, dass es bereits dunkel ist. Nicht viele Menschen können bei solchen Verhältnissen etwas erkennen.« Lewis grinste bei der Aussage. Selbst seine Väter hatten Schwierigkeiten, ernst zu bleiben. Doch der Bruder des Organisten registrierte es nicht. In Begleitung der Hunde entfernten sich Lewis und Carsten vom Tatort.

»Danke Lewis, dass du Hilfe geholt hast.« »Carsten, ich trainiere zwar Selbstverteidigung, doch wenn Schusswaffen ins Spiel kommen, ist es besser, wenn Profis agieren. Abby und Abba haben die notwendige Erfahrung in solchen Dingen. Ihre Dienstwaffen liegen neben den Handschellen im Tresor. Beide müssen jedoch auch mit anderen Kalibern umgehen können. Abby hat mir einmal ihren Schießstand im Headquarter gezeigt, dort trainieren beide regelmäßig. Du hast ja mitbekommen, wie schnell Rachid das Gewehr erkannte, obwohl er es nur kurz gesehen hat.« Carsten war erstaunt, dass Lewis so detailliert berichtete. »Du weißt, was deine Väter beruflich machen?« »In erster Linie sind beide Kriminalbeamte einer Sonderkommission für Serienverbrechen. Daneben ist Abba auch Scharfschütze und war als solcher auch im Einsatz. Abby ist Informatiker und sorgt für die Hintergrundinformationen. Ich sag mal so: Er hätte keine Probleme, sich in die Bank of England zu hacken, ohne Spuren zu hinterlassen.« Carsten erkannte den Wirkungskreis seiner Bekannten. Daher entschied er für sich, sie als gute Freunde seiner Eltern zu betrachten. Freunde, die sich zum Wohle des Lebens einsetzten.

»Hattest du keine Angst?«, wollte Lewis noch wissen. »Klar hatte ich die. Vermutlich haben unsere Vierbeiner das auch gemerkt. Leonardo war sehr angespannt. Während seiner Ausbildung hat er gelernt, ruhig zu bleiben. Salvatore hat ja keine Ausbildung genossen. Ich habe aber in den letzten Monaten feststellen dürfen, dass die beiden als Team agieren«, erläuterte Carsten. »Das verstehe ich jetzt nicht. Wie als Team?« »Wenn ich mit ihnen unterwegs bin, macht Salvatore neuerdings seinen Bruder immer darauf aufmerksam, wenn ihm etwas nicht geheuer vorkommt. Dann verständigen sie sich untereinander. Leonardo reagiert dann entsprechend. Vorhin konnte ich hören, wie sie durch leise Laute kommuniziert haben. Ich vermute, dass Salvatore Leonardo beobachtet hat. Mein Hund hat mich auf seine Weise aufgefordert, meine Position nicht zu verändern. Das Resultat kennst du ja.« »Kann ich so etwas auch lernen?«, interessierte sich Lewis für diese Art der Kommunikation zwischen Mensch und Tier. »So wie ich Bryan verstanden habe, kannst du das schon. Dich und Notos verbindet etwas nicht Greifbares.« »Das ist nicht schwer. Ich bin ja mit ihm groß geworden. Wenn er seine Ohren in einem ganz bestimmten Winkel aufstellt, weiß ich, dass es ihm gut geht. Abba hat mir mal beim Striegeln geholfen. Da hat Notos seine Körperhaltung etwas verändert. Ich habe Abba sofort gewarnt, weil Notos sich gestresst fühlte. Abba sprach dann beruhigend auf ihn ein.« »Ja, Rachid kennt sich mit Tieren gut aus. Ich habe erlebt, wie er den Huf von Flower of Sahara behandelt hat.« »Nicht nur Abba, auch Abby kennt die Sprache der Tiere. Manchmal reiten sie Pferde ein. Erst geht Abby mit dem Tier auf die kleine Koppel. Dort sind sie dann unter sich. Egal, wie wild das Pferd auch sein mag, Abby spricht ruhig mit ihm. Er weiß die Gesten, Körperhaltung und Bewegungen des Tiers zu deuten. Wenn Abby mit dem Pferd gesprochen hat, teilt er Abba mit, wie und ob überhaupt das Pferd eingeritten werden kann.« Carsten zog seine Stirn fragend in Falten: »Er verbietet es auch?«

»Jedes Pferd hat seinen Charakter, seinen Willen, seinen Stolz: Geritten zu werden, muss ein Pferd auch wollen. Wenn Abby Abba sagt, er müsste dem Tier seinen Willen und Stolz brechen, nur weil jemand darauf reiten will, braucht Abba nicht lange zu überlegen. Das Tier ist ihm allemal wichtiger«, sagte Lewis mit sehr viel Respekt und Zuneigung, »die Besitzer vertrauen auf das Urteil meiner Väter. Mancher Araber wurde zur Zucht verwendet, aber nie geritten. Ein befreundeter Scheich schenkte ihnen zwei wertvolle Vollblüter. Prince of Fire ist einer von ihnen. Der andere Hengst lebt bei der Herde. Von ihm ist Notos.« »Bleibt die Herde eigentlich das ganze Jahr draußen?« »Ja. Abby hat für rund 50 Tiere eine Fläche von 1.5 mi2 gekauft. Neben 45 Pferden leben dort noch fünf Esel. Das sind die Wächter der Herde.« Während des Gesprächs nährten sie sich dem beleuchteten Haus.


Inzwischen brachten Rachid und Bryan Mr Cooper zum Treffpunkt. Schon von Weitem sahen sie es blau blinken. Außer einem Rettungswagen standen dort zwei Polizeiwagen und der Dienstwagen von James. Während der medizinischen Versorgung der Bisswunde bewachten zwei Beamte das Geschehen. Als der Arzt sein Einverständnis gab, wurde der Täter in Handschellen gelegt. Bryan sprach noch kurz mit dem Arzt. Dieser sollte noch ein ärztliches Gutachten ausstellen. »Natürlich, als Notarzt bin ich dazu verpflichtet. Kurz: Die Wunde war nicht tief. Ich habe sie gesäubert und desinfiziert. Vorsichtshalber bekam er noch eine Tetanusimpfung. Weitere Details stehen im Arztbericht. Eine Kopie erhält das Gericht.« Brain dankte dem Arzt. Dieser fuhr dann mit dem Rettungswagen davon. Rachid sprach mit seinem Kollegen: »James, bitte bring ihn nach Edinburgh. Er wird auch noch wegen weiterer Delikte gesucht. Ich werde den diensthabenden Richter informieren, damit er einen Haftbefehl ausstellt.« »Ja, Chef. Eskorte?« »Mr Cooper wird in einen Streifenwagen gesetzt. Du fährst hinterher, ein weiterer Streifenwagen voraus. Informiere heute noch die betroffenen Dienststellen in den Grafschaften. Ich denke, unsere Kollegen können dann ein ruhigeres Fest feiern, wenn sie wissen, dass es ein Problem weniger gibt.« James schmunzelte. Damit würde der Täter wohl einige Monate in der Zelle verbringen. Denn jede Dienststelle wird ein eigenes Verfahren gegen ihn einleiten wollen. Bryan übergab ihm das Gewehr, welches James sofort in eine große Plastiktüte steckte. »Das Gewehr soll noch heute in die Ballistik.«

Dann wandte sich Rachid einem der Streifenbeamten zu: »Sir, ich weiß, dass Sie und ihre Kollegen genug zu tun haben. Doch es ist uns wichtig, diesen Mann sicher in Gewahrsam zu wissen.« »Ich spreche mal für alle von uns. Es wird uns ein Vergnügen sein, ihren Kollegen nach Edinburgh zu begleiten. Meine junge Kollegin wollte schon immer mal wissen, wie schnell unser Dienstwagen ist.« Dabei grinste er Rachid zu. »Ich vertraue Ihnen. Hier ist noch etwas für Ihre Kaffeekasse.« Dem Beamten drückte er eine 100-Pfund-Note in die Hand, der nur ein überraschtes »Danke« hervorbrachte. Dann setzte sich die Polizeieskorte in Bewegung. Bryan und Rachid gingen zu ihren Gastgebern zurück.


Andreas hielt es nur schwer im Haus. Als er Geräusche aus dem Porch hörte, lief er hin. Carsten ließ sich die stürmische und leidenschaftliche Umarmung gefallen. Er spürte, wie Andreas zitterte. »Ist euch etwas passiert? Wir haben einen Schuss gehört«, fragte er besorgt. »Nein, es ist alles gut gegangen. Die Hunde haben mich beschützt. Auch wenn es etwas ruppig war. Rachid und Bryan haben Mr Cooper, den Bruder von Mr Johnson, in Gewahrsam genommen. Wolf war etwas übermütig und hat ihm seinen Ärmel gelöchert.« Andreas sah einige feucht-dreckige Stellen auf Carstens Kleidung: »Bist du gefallen?«, fragte er besorgt. »Salvatore hat mich von den Beinen geholt. Ich bin aber weich im Schnee gelandet. Leonardo und Salvatore haben sich auf mich gelegt. Sorry, dass ich euch in Sorge versetzt habe«, entschuldigte sich Carsten. »Tiger, du bist daran nicht schuld. Wie wäre es mit einem kräftigen Tee?«, schlug Andreas vor. »Gerne und dazu einen Whisky für uns beide. Kannst du noch Knochen für unsere Bande aus dem Kühlschrank holen? Sie haben es sich alle verdient.« Lewis sah Andreas seine Erleichterung an. Im Salon wurde es schlagartig still, als die beiden eintraten. Lewis‘ Brüder fanden als erstes ihre Worte wieder. Sie liefen auf ihren großen Beschützer zu und sprangen ihm förmlich an den Hals. Cedric wusste nicht, was er davon halten sollte. Er zog einen Schmollmund und tat laut seinen Unmut kund. Sein Gebabbel löste die Anspannung.

»Haben dich deine beiden Kumpel einfach so sitzen gelassen?«, meinte Andreas. Dann hob er ihn auf den Arm. »Baba …«, folgte ein längerer Kommentar. Andreas beruhigte seinen Sohn und knuddelte ihn am Bauch. Cedric lachte. »Papa, kannst du uns bitte einen Tee einschenken?«, bat Carsten. »Natürlich.« »Für Lewis, mich und jeden der mag noch einen Whisky. Nimm den linken aus der Bar.« Nach dem, was die beiden erlebt hatten, war der Wunsch durchaus berechtigt. Nach dem Tee ging er zur Bar. Er las das Etikett und staunte. Kurz darauf servierte er den beiden die gefüllten Gläser. Lewis war von dem Geschmack überrascht. »Wow!«, war sein überraschter Kommentar. Carsten schmunzelte über den Ausruf: »Nach dem Abenteuer mehr als verdient.«

»Woher habt ihr den?«, wurde Lewis neugierig. Carsten spürte, dass der Jugendliche bewusst vom Geschehen ablenken wollte und empfand das als sehr angenehm.

»Wir haben ihn durch Zufall in einer Destillerie in Irland entdeckt. Okay, ein Frevel an Schottland.« Lewis lachte herzerfrischend: »Wir haben zu Hause auch eine internationale Sammlung an Whisky. Rachid bevorzugt einen schottischen Single-malt, Bryan eher einen irischen.« Dann besann er sich auf etwas anderes: »Leute, ich habe mächtig Hunger.« Dieser Themenwechsel fand bei allen Anklang. »Komm«, schlug Nonno vor, »Andreas sagte vorhin, dass alles vorbereitet sei.« Nonno und Babi gingen, gefolgt von Lewis, in die Küche. »Ich mache die Falafel. Abby hat mir einige Tipps dazu verraten«, teilte er sich selbst ein. »Ich bekomme Falafel nicht so gut hin. Jihan meint immer, dass sie zu trocken wären«, erzählte Nonno und schob das Fladenbrot in den Ofen. Lewis grinste: »Andreas sagte mir, dass ihr ein Ristorante habt?« »Ich habe mich zur Ruhe gesetzt. Mein Sohn hat unser Ristorante übernommen und zu einem gemütlichen kleinen Gasthof erweitert.« »Du kochst gar nicht mehr?« »Privat und wenn im Hotel viel Betrieb ist. Die Familie hält zusammen. Kochst du viel?« »Regelmäßig. Abba und Abby arbeiten oft lange. Da bereiten meine Brüder und ich ihnen das Abendessen zu. Aaron und Sami haben immer Spaß dabei. Selbst wenn die Küche anschließend aussieht wie ein Schlachtfeld, freuen sich Abba und Abby immer. Sami hat einmal grünen Wackelpudding gemacht. Da er nicht wusste, wie viel Pulver er dafür benötigt, wurde es etwas sehr mächtig. Abba lobte ihn trotzdem. Auch wenn es etwas viel Pulver war, sei es doch ein guter Nachtisch. Abby nahm Sami in den Arm und bedankte sich für die Überraschung. Am folgenden Tag machten sie gemeinsam roten und grünen Wackelpudding. Sami war es peinlich, Fehler gemacht zu haben. Doch Abby meinte, dass er Kochen nur lernt, wenn er es auch macht und da passieren halt auch Fehler. Die Wackelpuddings waren sehr lecker und Abby zeigte Sami noch, wie er dazu eine Vanillesoße machen kann.« Nonno bestätigte den jungen Mann. Dann erzählten er und Babi einige lustige Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Zwischenzeitlich kamen auch Aaron und Sami hinzu. Zu fünft ging es dann noch etwas schneller.

Carsten, Paul und Merlin kümmerten sich um die Rationen der Tiere. Charaids Futter war als erstes im Napf. Dann folgte das Fressen für den Gasthund. »Merlin, Ben hat uns eine Liste gegeben. Die hängt am Küchenbrett. Richte dich bitte danach«, informierte ihn Carsten. »Ist es denn nicht das gleiche, was die anderen Hunde bekommen?« Paul erklärte Merlin, warum es nicht ungewöhnlich ist, fremden Hunden ihr spezielles Futter zu machen. Zumal Wolf ihnen in diesem Punkt ja vollkommen unbekannt ist. Merlin nickte. Er kannte zwar den Hund aus der Praxis des Tierarztes, doch was seine Gewohnheiten waren, wusste er auch nicht. Bald schon standen sechs gefüllte Näpfe bereit.

»Wir stellen die Rationen erst auf den Boden, wenn auch wir essen. So haben die Tiere ihre Ruhe«, entschied Carsten. »Wir brauchen noch eine viertel Stunde. Ihr könnt ja schon einmal den Tisch decken«, forderte Babi die Jungs auf. Im Diningroom war bereits alles vorbereitet. Jetzt zeigte sich einmal mehr, wie vorausschauend Andreas und Carsten ihr Haus eingerichtet hatten. Am Tisch konnten alle bequem Platz nehmen, ohne dass es eng wurde. Andreas hatte ihren Tisch mit den Einlegeplatten zu einem Oval verlängert. So war ausreichend Platz, ohne dass der Tisch überfüllt wirkte. Andrea, Stefano und Ercan hatten das Eindecken übernommen. Andreas sagte ihnen, dass es familiär wirken sollte. Er sah sich das Ergebnis zufrieden an. Zuletzt stellte er noch etwas Dekoration auf. Aus dem Keller holte er verschiedene Weine und für die kleinen Herren diverse Säfte aus der Küche. Carsten betrat als letzter den Speiseraum, da er die Fütterung der Raubtiere übernahm. Andreas rief ihn zu sich. Dann galt es, den Hunger zu stillen. Andreas fütterte Cedric mit einem Gemüsekompott, das Babi zubereitet hatte. Obwohl die Farbe ›grün‹ dominierte, mochte er sein Essen. Andreas hatte ein internationales Dinner angekündigt und es wurde eines. Es entwickelten sich interessante Gespräche. Vor allem Sami und Aaron sorgten für manches Schmunzeln. Der Überfall jedoch wurde mit keinem Wort erwähnt.

Cedric wurde immer ruhiger, daraufhin brachte Andreas ihn ins Bett. Zwanzig Minuten später erschien Andreas wieder im Diningroom. »Cedric ist im Reich seiner Träume.« »Geht Cedric immer früh schlafen?«, wollte Aaron wissen. »Ich weiß nicht, ob es für Cedric ›früh‹ ist. Er sagt uns auf seiner Weise Bescheid, wann er seinen persönlichen Service in Anspruch nehmen will. Es kommt vor, dass er länger aufbleiben will. Doch heute war es ein langer und aufregender Tag für ihn. Wir haben sehr viel miteinander gespielt.« Aaron gab sich mit der Auskunft zufrieden. Bryan sah ihm an, dass er auch nicht mehr lange durchhalten würde. Ein typischer Mokka beendete das Essen nach guten zwei Stunden. Trotz des Koffeins konnte auch Lewis seine Müdigkeit nicht mehr verbergen. »Klingt so, als täte mein Single Malt seine Wirkung«, flüsterte Carsten Rachid zu. »Wir sollten dann langsam los. Danke, dass ihr den Überfall nicht weiter erwähnt habt.« »Du und deine Familie seid unsere Freunde. Paul und Luise haben sich gefreut, euch wieder zu sehen. Meine Großeltern haben neue Eindrücke gesammelt. Du und Bryan habt in dieser Angelegenheit noch genug zu tun.« »Abby, fahren wir nach Hause?«, unterbrach Sami die Unterhaltung. »Ja. Sammle deine Brüder ein und verabschiedet euch.« Carsten hatte da noch eine kleine Bitte: »Rachid, Andreas und ich würden James gerne zu Weihnachten einladen, wenn er darf.« »Das ist eine gute Idee. Er würde sonst sein Fest allein verbringen. Seine Lebenspartnerin hat ihn diesen Sommer verlassen.« »Na dann erst recht. Er ist uns in der kurzen Zeit ein Freund geworden«, entschied Carsten. Eine viertel Stunde später fuhren ihre Gäste von dannen.

»Lewis’ Stunt war wohl heute unser Glück«, meinte Andreas etwas später. »Das Universum geht manchmal seltsame Wege«, sinnierte Carsten. »Es ist spät geworden. Wir sollten die Hunde alle noch einmal in den Garten scheuchen.« Am Porch rief Carsten nach ihren beiden Hunde. Wie selbstverständlich kamen alle Hunde angelaufen. Andreas hielt ihnen die Tür auf. Gemeinsam mit den Tieren gingen sie in den Garten. Alle Hunde suchten sich ein stilles Örtchen zum Lösen. Andreas und Carsten setzten sich auf die kleine Gartenbank. Arm in Arm hörten sie den Vierbeinern zu, wie sie sich noch etwas austobten. Leonardo war der erste, der genug vom Spiel hatte. »Leonardo, Salvatore!«, rief daraufhin Carsten. »Komm, wir sollten wieder hinein gehen. Das sollte bis morgen reichen.«

Nachdem die Hunde versorgt waren, verteilten sie sich im Haus. Andrea und Ercan waren in der Küche fleißig. Der Geschirrspüler tat seine Arbeit und auf der Anrichte standen die restlichen Speisen, mit Folie abgedeckt. »Es war ein sehr schöner Abend«, meinte Andrea, als sie Andreas‘ ansichtig wurde. »Ja, und wir hoffen, es werden noch viele weitere folgen.« »Euer Tisch ist echt genial«, ging sie auf ein kleines Detail beim Abendessen ein. »Es ist ein Design, welches ich in Italien gesehen habe. Jedoch ist unser Tisch ein Unikat. Als ich unseren Tischler bat, meine Idee umzusetzen, staunte er nicht schlecht. Maximal können daran 22 Personen speisen. Der Tisch kann ausgezogen und der Zwischenraum mit Einlegeplatten wieder gefüllt werden. Es gibt zwei Varianten an Einlegeböden, einmal die rechteckigen: Davon haben wir insgesamt fünf, damit können bequem 18 Personen am Tisch Platz nehmen. Dann diejenigen, welche heute zur Anwendung kamen. Es sind ebenfalls fünf und zusammen bilden sie ein Oval. Dadurch gibt es an jeder Längsseite jeweils zwei Sitzplätze mehr. Heute nutzen wir das erste Mal die zweite Variante, die erste kennst du bereits.« »Was, wenn ihr mehr als zweiundzwanzig Gäste habt?« Andreas lächelte charmant: »Dann machen wir ein Buffet und lassen mehrere Tische aufstellen.« »Mit allen Wassern gewaschen.« »Vielleicht. Ich nenne es Erfahrungen, welche ich im Ristorante machen durfte. Danke, dass ihr euch um den Abwasch gekümmert habt. Es wäre nicht nötig gewesen.« »Kleinigkeit«, wiegelte Andrea ab, »eure Spülmaschine macht die meiste Arbeit. Glaubst du, Mrs Sánchez wird morgen böse werden?« Andreas schüttelte beruhigend seinen Kopf: »Nein, Mrs Sánchez kommt erst nach den Feiertagen wieder. Wir hätten es ebenfalls heute stehen lassen, wäre nicht das erste Mal. Kommt, lasst uns den Abend im Salon beschließen.«

Gemeinsam gingen sie zu den anderen, er sah sich um und von Carsten keine Spur. Luise sah den fragenden Blick: »Carsten ist bei Cedric. Euer Sohn war unruhig.« Ihr Schwiegersohn zuckte lediglich mit den Schultern. »Mag jemand einen Drink?«, bot er seinen Gästen an. Luise hatte den Wunsch nach einem Cognac. Andreas ging zu ihrer kleinen Bar. Nahm ein Cognacglas und befüllte es aus einer entsprechenden Karaffe. »Für uns einen Grappa«, meinte Nonna. »Rot oder weiß?«, fragte der Gastgeber nach. »Überrasche uns, Bambino.« Andreas wählte entsprechende Gläser. Nach einem kurzen Zögern schenkte er ein. Babi und DÄ›da gaben sich mit einem Glas Wein zufrieden. Die jüngere Generation testete das Lebenswasser der Region. Bis auf Andrea, die sich einen alkoholfreien Fruchtcocktail wünschte. Dann kam auch Carsten von Cedric zurück. »Was hatte unser Stammhalter?« »Eine feuchte Windel und seinen Teddy verloren. Jetzt schläft er zufrieden im Beisein von Gina und Salvatore.« »Setzt dich. Einen Drink?« »Einen Rotwein bitte.« Andreas servierte ihm das Gewünschte und schloss sich dem an.

»Danke«, begann Carsten, »dass ihr eure Neugier gebändigt habt. So wie es aussieht, haben wir den Täter. Lewis, Leonardo, Salvatore und Wolf haben mich beschützt. Rachid, Bryan und ihr Team werden nun alle Beweise sichern. Der Typ kam ins Plaudern und gab zu, auf den Wagen geschossen zu haben. Hinzu kommt, dass diverse Polizeidienststellen wohl ebenfalls noch gegen den Täter ermitteln.« Luise fand als erste Worte: »Wir alle sind lebenserfahrene Menschen. Daher wissen wir, dass es gut ist, nicht zu neugierig zu sein. Gerade wenn Kinder anwesend sind. Wir sind froh, dass Dir, Lewis und den Hunden nichts passiert ist. Was wird nun geschehen?« »Wir lassen die Kriminalisten ihre Arbeit tun. Wie gesagt, es müssen Beweise und Indizien gesichert werden. Möglich, dass Rachid und Bryan noch Protokolle von unseren Aussagen aufnehmen. Wenn es soweit ist, wird Anklage erhoben«, berichtete Carsten weiter. »Rachid wird das schon dingfest machen. Ich weiß, wie er und Bryan arbeiten. Jedenfalls wird der Attentäter lange in Untersuchungshaft bleiben. Wenn du sagst, dass noch mehrere Verfahren anhängig sind, wird es kein Gericht wagen, ihn auf Kaution freizulassen«, informierte Paul, der anscheinend wusste, wie der juristische Hase läuft. Dennoch war die Luft aus dem Thema heraus.

»Bambino, das ist ein sehr vorzüglicher Grappa. Wo habt ihr den her?«, wechselte das Interesse von Nonna. Andreas stieg erfreut darauf ein: »Es ist eine kleine Kelterei in der Provinz Brescia, die diesen Grappa herstellt. Dieser Jahrgang wurde in einem Fass aus Birnbaumholz gereift. Daher seine hellgoldene Farbe. Daneben testen sie diverse Fässer anderer Hölzer. Dieser Tresterbrand ist eine Mischung aus drei Edelrotweinen der Region. Die Kelterei destilliert von jedem Jahrgang lediglich sieben Fässer aus unterschiedlichen Hölzern.« »Interessant. Ich denke, das wäre auch eine Überlegung für das Ristorante. Was meinst du, Gabrielle?« »Ich habe Zio davon bereits unterrichtet. Er hat sich drei Flaschen des letzten Jahrgangs zur Probe bestellt. Es ist jedoch kein günstiges Vergnügen«, ergänzte Carsten. Nonno nahm noch ein kleines Schlückchen von dem Brand. Carsten schmunzelte etwas, weil sein Großvater wie bei einer Probe ›schlürfte‹.

»Das mag sein Bambino. Unser Ristorante hat schon immer Wert auf Qualität gelegt. Dieser Grappa hat das gewisse Etwas. Er würde sich sehr gut auf der Weinkarte machen. Wie viele Flaschen, sagtest du, produziert die Kelterei?« »Insgesamt destillieren sie von jedem Jahrgang 10.000 Liter. Von diesem Grappa gibt es lediglich 1000 Liter. Fässer aus Birnbaumholz gibt es nicht sehr oft. Er wird für sehr gute Kunden reserviert, davon haben wir fünf Flaschen von dem hellen Grappa. Weitere fünf Flaschen von dem roten Grappa. Es gibt eine noch teurere Variante, doch der schmeckte uns nicht.« »Du weißt aber, dass ihr beide schon einen erlesenen Geschmack habt«, meinte DÄ›da, nachdem er ebenfalls davon probierte. »Ohne das Ristorante herabzusetzen, Gabrielle, es ist einer der besten Grappa, die ich kosten durfte.« »Karel, unser Brand hat wirklich nicht diese Klasse. Es wäre eine gute Investition«, schlussfolgerte Nonna. Andreas war sehr froh, dass der Genuss von Alkoholika eine lebhafte Diskussion entfachte. Gut, Andreas und Carsten hatten eine erlesene Auswahl an Bränden. Selbst Luise gab zu, dass ihr Cognac nicht aus dem Supermarkt war. Carsten bestätigte es ihr, denn der Franzose wurde in der Provinz Limousine destilliert. Es war eine Entdeckung von ihrem alten Schulfreund Ralph. »Du meinst Ralph aus dem Internat? Ich hätte nicht gedacht, dass er sich mit so etwas auskennt.« »Oh doch. Er und seine Gattin Britta reisen oft an die Westküste Frankreichs. Sie haben an der Biskaya ein Ferienhaus.« »Haben sie studiert?«, fragte Paul nach. »Britta hat ein Diplom in Lebensmitteltechnologie. Ralph hat Meteorologie studiert. Er hat darin sogar promoviert. Jetzt hat er eine Professur an der Uni Hamburg und dort ein maritimes Forschungsprojekt. Er schenkte uns eine Kiste mit diversen Flaschen Cognac. Wir haben sogar einen sehr edlen Brand aus der Champagne. Einzig die nordamerikanischen Destillate finden bei uns keine Anerkennung. Sie sind Massenware und haben für uns keinen Charakter.«

So langsam zeigte bei allen der hochprozentige Stoff Wirkung. So nach und nach wünschten sich die Familienmitglieder eine gute Nacht. Andreas machte seine letzte Runde, bevor er das Licht löschte. »Warst du bei Cedric?« »Den kleinen Mann vergessen? Er hat sich wie immer etwas losgestrampelt. Ich habe ihn liebevoll zugedeckt und ihm einen Kuss von uns beiden gegeben. Seinen Teddy habe ich ihm zur Seite gelegt. Er schläft tief und friedlich. Gina und Salvatore sind bei ihm.« »Danke, Tiger.« Carsten spürte, wie Andreas sich in seinen Armen entspannte.

»Lust, etwas zu kuscheln?« Dieser Aufforderung gegenüber seinem sehr attraktiven Mann zu widerstehen, fiel Andreas schwer. Nach dem Besuch im Bad ließ sich Andreas in Carstens Arme fallen. Sehr sinnlich erkundeten sie sich gegenseitig. Carsten wurde sich bewusst, wie sehr er diese Momente liebte. Wuschig gab er sich der Liebe hin, bis beide in einem tiefen Schlaf fielen.

Chapter 18

Leise klopfte es an ihrer Tür. »Ja, bitte?«, murmelte Carsten. »Morgen, ihr beiden. Cedric verlangt nach seinen Dads und einem Frühstück.« »Guten Morgen Papa. Wie spät haben wir es?«, wollte Andreas im Halbschlaf wissen. »Gleich acht. Gina hat uns geweckt, als Cedric munter wurde. Luise macht ihn gerade frisch.« »Danke. Wir stehen auf.«

Die jungen Väter beeilten sich mit ihrer Morgentoilette. Obwohl es beiden schwerfiel, unter der Dusche die Hände voneinander zu lassen. Als Luise und Paul mit ihrem Enkel dann die Küche betraten, standen bereits die Rationen der Tiere fertig auf der Anrichte. Carsten füllte den frischgebrühten Kaffee in die Thermoskanne um und Andreas goss heißes Wasser für den Tee auf. »Baba, Abba!«, freute sich ein kleiner Gentleman, zwei bekannte Gesichter zu erkennen. Dann folgte ein längerer Kommentar. Carsten hörte schmunzelnd zu. Nachdem Cedric eine Pause machte, meinte er schlicht: »Das war ein schöner Traum.« Dann gab er dem kleinen Mann einen Kuss. Anschließend gab es einen weiteren Kuss von seinem Baba. »Du magst sicher etwas frühstücken. Hier habe ich eine Flasche mit deiner Banane-Vanille-Milch«, dabei schwenkte Andreas die Flasche. An diesen Service konnte sich Cedric gewöhnen. »Danke Mama, dass du dich um Cedric gekümmert hast«, bedankte der Papa sich bei Luise. »Nicht der Rede wert. Es hat richtig Spaß gemacht. Cedrics Morgenroutine tat mir gut.« »Ging das denn mit dem Bein?« »Nicht so schnell wie ohne Schiene. Cedric hat sich gegenüber Carsten und Andrea in dem Alter recht ruhig verhalten. Mit der roten Ente war er in der Wanne sehr glücklich beschäftigt. Ich gebe es nur ungern zu, doch ihr habt dem Jungen ein echtes Luxusbad eingerichtet«, schwärmte Luise.

»Natürlich. Einmal wünschen wir uns für unseren Sohn, dass er sich wohlfühlt. Der zweite Aspekt ist eher praktischer Natur. Ich muss mich darin ja auch zurechtfinden«, meinte Carsten schlicht. »Mrs Sánchez macht sein Bad jedes Mal sauber, wenn sie hier ist. Andreas und ich wischen zwar nach Cedrics Morgentoilette das Bad durch, doch nicht gründlich genug für Mrs Sánchez.« Paul nickte verstehend. Doch so wie Carsten es sagte, zollte er ihr Respekt. »Wie dem auch sei, was möchtet ihr frühstücken?«, brachte Andreas die erste Mahlzeit ins Gespräch. »Etwas Einfaches reicht mir aus.« »Kaffee und etwas Brot? Kommt gleich. Paul?« »Ich schließe mich dem an. Deine Großeltern bevorzugen sicher auch etwas Bodenständiges.« »Wenn dem so ist, machen wir ein familiäres Frühstück.«

Als die restliche Familie sich versammelte, sahen sie sich einem einfach gedeckten Tisch gegenüber. Andreas servierte seinen Großeltern noch einen Cappuccino. »Ist nicht der von Nonna, doch ich hoffe, er schmeckt euch.« Nonno probierte. »Nein, der ist nicht von Antonia. Er erinnert mich an deine Mutter.« Ob dieses Kompliments nahm Andreas eine gesunde Gesichtsfarbe an. »Danke, Nonno.« »Ja, Francesca hat ihn auch so zubereitet. Die Tassen mit heißem Wasser vorgewärmt. Die warme Milch zuerst und dann mit frischem Espresso aufgefüllt. Woher hast du diese Tassen?«, interessierte sich Nonna. »Ich habe sie bei unserem letzten Besuch in Italien erworben. Keine Massenware, sondern ein kleiner Handwerksbetrieb im Viertel von Zio Jihan. Sie sind etwas schwerer und das Porzellan hält die Wärme länger. Eben echte italienische Cappuccinotassen«, beantwortete Andreas die Frage. Babi mochte diesen Charakterzug an ihrem Andreas. »Wir haben auch verschiedene Services für Tee und Kaffee. Ich hoffe, ihr findet es nicht zu spießig?« »Nein«, meinte DÄ›da schlicht. »In meinem Ristorante nutzte ich auch unterschiedliches Geschirr. Ein Geschäftsessen braucht ein anderes Service als eine Familienfeier«, fügte Nonno weiter aus. Cedric hatte bei Carsten seine Flasche geleert. Der Imbiss reichte ihm jedoch nicht und verlangte nach mehr. Sein Abba ließ sich eine Banane geben und gab ihm ein Stück. Der kleine Junge lutschte vergnügt an der Frucht. Das gemeinsame Frühstück wurde unterhaltsam. Cedric wollte bei jedem sein und bekam auch immer seine Aufmerksamkeit. Andreas servierte noch einmal seinen Cappuccino. »Schatz, würdest du unseren Sohn in sein Tagesbett legen?« Andreas nahm sich Cedrics an. Einmal in seinem Bett, fielen ihm die Augen zu, währenddessen machte sich Carsten für eine Gassirunde fertig. »Junge, willst du mit der Bande alleine raus?«, suchte Paul etwas Abwechslung. »Ich halte keinen auf, der mich begleiten möchte. Andreas wird sicher noch ins Dorf wollen. Heute Nachmittag schließen wir die letzten Vorbereitungen ab.«

Paul, Merlin und Andrea schlossen sich ihm an. »Hast du auch eine Idee, wohin wir gehen?«, fragte ihn seine Schwester. »Wir gehen durch den Garten zum Spielplatz. So können sich alle Tiere in Ruhe lösen. Dann machen wir einen Spaziergang durchs Dorf. Wolf wird sicher in seinem Revier nach dem Rechten sehen wollen. Wir nehmen uns die Zeit. Unsere Großeltern haben sicher genug mit Cedric zu tun. Ich glaube, es tut ihm gut, auch mal Abstand von seinen Vätern zu haben. Bei ihnen ist er in sicheren Händen. Nonno und DÄ›da werden von Andreas unterrichtet, unser Dinner vorzubereiten. Es gibt da noch einiges zu tun. Zio Jihan kommt heute. Ercan hat zugestimmt, dass er bei ihm unterkommt. Luise, Ercan und Stefano haben die Aufgabe, letzte Hand an die Dekoration im Salon zu legen.« »Mama wird meinen Gatten sicher quer durch das Haus jagen«, stimmte Andrea nachdenklich zu.

»Unterschätze Luise nicht. Sie ist schon recht mobil, trotz ihrer Hartschale. Ercan wird sicher auch noch Übungen mit ihr machen«, meinte Paul. »Als Physiotherapeut versteht er sein Handwerk. Da kann sich Mama noch so querstellen. Drum herum wird sie nicht kommen«, stimmte Carsten seinem Papa zu. »Ist auch ganz gut so. Luise wird schon wegen ihrer Behinderung quengelig. Sie braucht Action.« Paul sah sich nach den Hunden um. Leonardo hatte gerade eine ruhige Phase. Er lief gesittet neben Carsten. Leon schien an Merlin Gefallen gefunden zu haben. Beide spielten etwas miteinander. Wolf, Gina und Salvatore tobten um ihnen herum. Ihr Spielzeug war ein Stück Holz, welches sie sich gegenseitig abjagten. Am Inn trafen sie auf einen Mann in Polizeiuniform. Wolf lief auf ihn zu. »Hallo Wolf. Es ist alles in Ordnung«, begrüßte er den Schäferhund. »Mr von Feldbach, geht es Ihnen gut? Ich habe von dem Vorfall gehört.« »Ja. Ich hoffe, dieses Kapitel kann nun endgültig geschlossen werden. Ben sagte mir, dass Sie nach dem Rechten sehen? Ich wollte Wolf beruhigen, dass in seinem Revier alles in Ordnung ist. Obendrein braucht er auch seinen Auslauf.« Der Constable bestätigte diese Annahme. Er kannte Ben und seinen Hund von seinen Streifen durch die Gemeinde. »Es ist unser erstes Fest hier.« »Machen Sie sich keine Gedanken. Die Farmer gehen zwar ihren täglichen Pflichten nach, doch es bleibt ruhig. So, ich muss jetzt auch weiter. Ihnen ein gesegnetes Fest.« Nach dem Abschied gesellte sich Wolf zu Leonardo. Carsten schlug vor, noch kurz beim Pfarrer hineinzusehen.

Anders, als sich seine Gäste es sich vorstellen konnte, öffnete ein Patrick in Küchenschürze die Tür. Merlin grinste bei dem Anblick. »Hallo Patrick. Du kochst selbst?« »Klar, Merlin. Zu Weihnachten mache ich mir immer ein traditionelles irisches Menü. Etwas aus der Heimat muss einfach sein. Habt ihr einen besonderen Grund, hier zu sein?« »Wir sind auf einer großen Runde mit unseren Hunden. Da lag es für mich nahe, einem Freund der Familie unsere Aufwartung zu machen. Später hast du sicher viel mit der Liturgie zu tun.« »Weniger mit der Liturgie, es ist mehr das ganze Drumherum. Kommt doch herein. Ich habe mir gerade einen Kaffee gemacht, ihr sagt doch nicht nein.«

Die kleine Unterbrechung tat nicht nur den Hunden gut. Während sie einen wirklich guten Kaffee tranken, lud Patrick Merlin zur Silvesterparty der Jugendlichen ein: »Keine Panik, es wird nicht religiös. Die Jugendlichen möchten einfach nur etwas gemeinsam feiern. Sie organisieren alles selbst im Gemeindehaus der Nachbargemeinde«, lachte Patrick, nachdem er Merlins Miene sah. »Die Praxis von Dr. Miller ist geschlossen und Gwenda erlaubt mir ein paar Tage Ferien. Sie sagte mir auch, dass ich mich mehr unter Gleichaltrige mischen sollte. Ich freue mich darauf. Muss ich etwas mitbringen?« »Es wird für alles gesorgt. Es gibt sogar eine Band.« Carsten war mehr als zufrieden mit dieser Entwicklung. Merlin hatte lange Zeit auf der Straße isoliert gelebt. Jetzt arbeitete er daran, sich sein Leben wieder zu holen. Nachdem die Tassen geleert waren, machte sich die Gruppe wieder auf den Weg.

Zu Hause wurde Carsten schon sehnsüchtig erwartet. Cedric spielte gerade mit seinem Nonno auf dem Boden mit einem Ball. »Abba!«, rief der Junge und der Ball wurde zur Nebensache. »Hallo, kleiner Mann. Ich hoffe, du hast deinen Großvater in Grund und Boden gespielt?« Carsten wurde versöhnlich und als Cedric ihm am Bein zupfte, hob er ihn auf. »Zuletzt schon. Er hat dich vermisst. Nachdem er seine Siesta beendetet hatte, wollte er mit dir und den Hunden spielen«, informierte ihn Nonna, »als er euch nicht finden konnte, weinte er.«

Carsten knuddelte Cedric liebevoll: »Jetzt sind wir wieder bei dir. Deine Hunde sind sicher bereit, mit dir zu spielen. Weißt du, wir waren lange spazieren.«

Der kleine Mann legte seine Ärmchen um den Hals seines Abbas. Carsten drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss. »Babi und Nonna waren dann mit ihm im Pool. Das lenkte ihn ab. Die Enten schwimmen noch auf dem Wasser«, fuhr Nonno fort. Carsten lächelte bei der Vorstellung, wie Nonna, Babi und Cedric Gummienten jagen. »Anschließend wollte unser Enkel Ball spielen. Cedric kann bereits dem Ball gut folgen und wir hatten wirklich Spaß zusammen.« »Wie viele Tore hat er denn gemacht?« »Ich glaube, er hat zweistellig gewonnen«, meinte DÄ›da dann schelmisch. »Hast du denn Lust, mit deinem Teddy und mir zu toben?«, schlug Carsten vor. Cedric klammerte sich noch etwas enger an seinen Papa. Dieser wiegte ihn ein wenig. Dann kitzelte er seinen Sohn und entlockte ihm ein freches Giggeln. In diesem Moment blendete Carsten seine Umgebung aus und beschäftigte sich intensiv mit dem Jungen. Irgendwann kugelten sich die beiden auf dem Boden. Cedric lachte vor Freude. Als Salvatore und Leonardo dazukamen, nahm die Geräuschkulisse noch zu.

Andreas hörte seine Männer toben, als er das Haus betrat. Doch auf eine Gruppe Männer, die auf dem Boden saßen und wie Teenager mit einem Ball spielten, war er nicht gefasst. Die Ladies des Hauses waren aber nicht untätig und feuerten ihre ›Mannschaften‹ an.

»Welches Team gewinnt?«, brachte er sich ins Gespräch. »Bambino! Die junge Generation liegt mit drei Toren vorn.« Nonna feuerte gerade ihren Urenkel an, der sich gegen Nonno durchsetzten konnte. »Tor!!«, warf Luise dazwischen: »Jetzt sind es vier Tore.«

»Baba!«, rief Cedric und es folgte ein längerer Kommentar. »Da stimme ich dir zu. Dein Abba macht sich als Torwart gut. Sollen wir mal eine Halbzeitpause einlegen?«, schlug er den Mannschaften vor. Keiner der älteren Männer am Boden hatte etwas dagegen.

»Baba Nanane.« Andreas nahm Cedric auf: »Klar bekommst du eine Banane. Torjäger brauchen viel Energie.«

Nonno rappelte sich mit Ercans Hilfe auf. »Ich glaube, ich habe morgen einen Muskelkater. Cedric fordert einen wirklich heraus.« »Nicht nur du wirst deine Knochen neu sortieren müssen«, scherzte DÄ›da. »Ihr könnt ja Ercan fragen, ob er euch dabei hilft.«, schlug Luise vor. Der Genannte sah auf. »Natürlich. Eine gute Massage macht die Muskeln wieder geschmeidig.« »Ein verlockendes Angebot, Junge. Heute Nachmittag nach meinen Übungen?«, fand Paul die Idee durchaus ansprechend. »Klar. Laut Behandlungsplan sollen auch deine Bauchmuskeln trainiert werden. Ich zeige dir eine Übung, wo du das Korsett ablegen darfst. Im neuen Jahr …« Paul unterbrach seinen Sohn: »Mach mal halblang. Zuhause erwartet mich mein Hausarzt bereits zur Kontrolluntersuchung. Eine Frage habe ich da noch: Sehe ich bald aus wie ein Bodybuilder?«

Das Gelächter war einfach erfrischend. Selbst Ercan grinste von Ohr zu Ohr. »Nein. Dein athletischer Körper wird nicht darunter leiden. Deine Rippe ist nun mal weg. Die Muskeln sollen den Verlust kompensieren«, erläuterte der Physiotherapeut. Paul wusste um diesen Umstand. Als Tierarzt kannte er diesen natürlichen Vorgang. Ercan gab mit seinen Übungen lediglich unterstützende Hilfe.

In der Küche saß Cedric in seinem Stuhl und sabberte auf einem Stück Banane herum. Zwischendurch erzählte er Andreas von seinem Vormittag. Dieser hörte ihm sehr aufmerksam zu. Cedric fand es interessant, mit seinem Baba zu sprechen. Andreas servierte ihm auch einen Kakao. Dann setzte er sich zu ihm an den Tisch. Der Dialog wurde interessant. Andreas erkannte die Fortschritte in seiner Aussprache. »Baba? Dada buh buh machen?« »Natürlich. Du hast mit ihnen gespielt und jetzt ruhen sie sich aus. Ihr werdet sicher heute noch öfters miteinander spielen.« »Baba?«, Cedric gähnte etwas: »Teddy au buh buh?« »Ich weiß es nicht. Wir können mal nachsehen. Möchtest du dich auch ein wenig ausruhen?« Dem Jungen fielen immer wieder die Augen zu. Lediglich ein leichtes Nicken nahm Andreas noch war. Vorsichtig hob er seinen Sohn aus dem Stuhl. Wischte einige Bananenreste aus dessen Mundwinkel. Dann gingen sie in sein Zimmer. Andreas legte Cedric neben seinen Teddy ins Bett. Der kleine Mann bekam nicht mehr mit, wie Andreas ihn zudeckte.

»Unser Junge schläft«, meinte er zu Babi auf der Galerie. »Das machen unsere Männer auch gerade. Sie waren vom Toben geschafft.« Andreas konnte es sich lebhaft vorstellen. Er hatte schon die Erfahrung machen dürfen, dass sein Sohn eine Ausdauer an den Tag legen konnte und er selbst die Segel strich. Nur gut, dass Carsten dann seinen Platz einnahm und er ein Nickerchen halten durfte. Gemeinsam gingen sie in den Salon. »Dann soll ich dir von Nonno noch sagen, dass die Vorbereitungen für die Dinner abgeschlossen sind.« »Fein. Wo ist Carsten?«, fragte er, als er im Salon seinen Mann nicht sah. »Ich glaube, er hat sich in seinem Arbeitszimmer hingelegt. Gib ihm eine Stunde. Hast du alles in der Stadt erledigen können?«, wollte Luise wissen. »Ja. Ich war noch bei Edward und habe uns frische Milch besorgt. Jetzt können wir alle einen Gang zurückschalten.« »Wann wollte Zio kommen?«, interessierte sich Nonna. »Irgendwann heute vor dem Dinner. Er hatte keinen Zeitpunkt genannt. Gestern war er schon in London. Wir haben so manches Mal die Nacht zum Tag gemacht«, erinnerte sich Andreas, als sein Großonkel sie während des Studiums immer besucht hatte. »So ist Jihan. Er genießt sein Leben.« Die Unterhaltung wurde durch den Summer am Tor unterbrochen. Andreas sah erstaunt auf und ging zur Sprechanlage. Wenig später öffnete er die Eingangstür.

»Hallo Andreas«, grüßte Jihan. »Hallo Jihan. Ich freue mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?« »Gut. Carsten nicht da?« »Er hat sich hingelegt. Cedric hat ihn schon gut beschäftigt. Beide schlafen jetzt ein wenig. Komm herein. Die Familie ist im Salon. Nonna fragte schon nach dir.«

Kaum war die Tür geschlossen, kam Leonardo zu ihnen. Er begrüßte Andreas‘ Onkel mit einem wedelnden Schweif. Jihan ging in die Hocke. Der Hund genoss die Streicheleinheit.

»Du bist eine wirkliche Kuschelbacke.« Leonardo leckte ihm die Hand, zog sich danach zu seinem Papa zurück. Im Salon begrüßte Nonna den neuen Gast mit einer herzlichen Umarmung.

»Jihan. Schön, dass du da bist. Du magst sicher einen Tee mit uns trinken.«

»Wenn es keine Umstände macht, doch lieber ein Kaffee. Ich bin mit dem Wagen hier. Nach den Feiertagen möchte ich mir noch ein wenig die Highlands ansehen.«

»Nicht wahr? Du bist von London mit dem Auto gefahren?«, wunderte sich Babi.

»Ja, ein Freund lieh mir sein Wohnmobil.« »Das muss dann wohl draußen stehen. Wir haben zur Zeit einen defekten Ferrari in der Garage stehen«, informierte Andreas. »Du machst dich. Einen Ferrari? Du bist durch und durch ein Italiener«, schmunzelte Andreas’ Großonkel.

»Nur von einem Freund. Sein Sohn hat damit eine unglückliche Spritztour gemacht. Er wird in den nächsten Tagen wieder abgeholt.« »Klassisch? Ferrari-rot?«, ging Jihan auf ein für ihn wohl wichtiges Detail ein. »Oh ja, ein sehr schönes Rot. Klassisch? Ich weiß nicht. Jedenfalls hat er einen wunderbaren Klang. Ich habe ihn in die Garage fahren dürfen«, wirkte Andreas ein wenig stolz. Denn nicht viele können von sich behaupten, so einen Wagen gefahren zu haben. »Männer, immer geht es um ihre Spielzeuge«, lächelte Babi ihren Enkel an. »Klar. Kleine Männer, kleines Spielzeug. Große Männer, großes Spielzeug«, zwinkerte Jihan zurück.

»Andreas, fehlt am Tor nicht etwas? Waren da nicht Löwenköpfe auf den Pfosten?«, wusste Jihan von Fotos. »Ja. Arthur sagte, das es Sitte ist, wenn ein Lord nicht mehr existiert, dass auch sein Wappen entfernt werden müsste. Die beiden Löwenköpfe wurden zu Beginn der Renovierung beseitigt. Carsten und ich spendeten diese Figuren der Gemeinde. Wir haben jedoch schon ein neues Symbol bei unserem Steinmetz in Auftrag gegeben: Eine Note, die in einem Baum endet. Carsten schlug vor, unsere Berufungen dort kenntlich zu machen.« »Dein Gatte hat einen feinen Sinn für Kunst und Symbolik«, sprach der Künstler.

»Darf ich dir Merlin vorstellen? Er ist unser Gast«, stellte Andreas seinem Onkel den Jugendlichen vor. »Hallo Merlin. Ich habe schon viel von dir gehört. Gerade wie du dich beim Schutz von Tieren einsetzt.« »Hallo Sir.« »Bitte nenne mich einfach nur Jihan. Unsere Gastgeber halten bei der Familie nicht viel von steifen Umgangsformen.« »Gut: Jihan.«

»Andreas, wo bleibt mein Kaffee?«, erinnerte Jihan ihn an seinen Wunsch. »Ein normaler Kaffee oder Cappuccino, Latte macchiato, Café au Lait, Mocca, Espresso?«, konterte Andreas geschickt. »Wenn du schon so fragst, einen arabischen Kaffee«, forderte sein Onkel ihn heraus. »Kommt sofort.«

Es dauerte nicht lange und Andreas servierte seinem Großonkel das gewünschte Getränk. »Wo hast du das nur gelernt? Perfekt«, lobte Jihan seinen Neffen. »Ich bin halt neugierig. Du kannst dich an das Restaurant in London erinnern? Das arabische! Wir gingen dort öfters hin. Ich habe es mir von dem Inhaber zeigen lassen.« »Du bist nicht nur als Architekt ein Künstler, auch als Gourmet.« »Aus deinem Mund eine Auszeichnung. Doch erzähl einmal, wie war es in London? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du nur das Wohnmobil besorgt hast.« »Oh sehr interessant. Ich habe meine Bekannten dort getroffen. Es wurde eine feuchtfröhliche Nacht. Dann war ich noch das Haus besichtigen. Arthur und Luthais haben dort wirklich ganze Arbeit geleistet. Es wird eine schöne Unterkunft. Der Garten bleibt so, wie er ist. Deine Innovationen geben dem Ganzen einen besonderen Charme.« »Das hoffe ich doch. Carsten, die Hunde und ich haben gerne im Garten gechillt. Auch wenn Max so manches Loch gebuddelt hat.« Die Ladies konnten nicht verhindern, leise zu lachen. Sie kannten Max und wussten um ihre Leidenschaft, relaxt zu buddeln. Auch wenn ihre Löcher nicht sehr tief waren.

»Wir haben dort so manche lustige Episode mit ihr erlebt. Da gab es in der Nachbarschaft einen frechen Kater. Der hatte die ganze Nachbarschaft terrorisiert, mit Max hat er sich nur ein einziges Mal angelegt. Danach hatte er einige Löcher im Fell.« »Oh!«, entfuhr es Merlin. »Carsten und ich sind sofort mit beiden Tieren zu unserem Tierarzt gefahren. Mrs Handerson lachte nur und der Kater war schnell versorgt. Sie meinte dann zu uns, dass es nötig gewesen sei. Sie kannte Devil und seine Opfer. Max hat ihn in seine Schranken verwiesen. Danach war Ruhe im Viertel.«

»Was war mit Max?« »Nichts. Kein Kratzer. Sie hatte dem Kater keine Chance gelassen.« »Max ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Ihr Revier verteidigte sie mit Nachdruck«, stimmte Luise nachdenklich zu. »Natürlich. Dabei respektierte sie aber andere Reviere. Friedemann hatte nie Anlass, mit ihr in Streit zu geraten. Selbst in Leons Revier war sie gern gesehen. Sie übergab ihr Revier an Leonardo und Salvatore. Carsten freute sich, dass alles so reibungslos lief und Max ihren Ruhestand genießen konnte«, berichtete Andreas mit etwas Wehmut in seiner Stimme.

»Was wurde aus dem Kater?«, fragte Merlin nach. »Devil? Soweit ich weiß, starb er an Altersschwäche. Im übrigen traute er sich nicht mehr, seine Umgebung zu terrorisieren.«

Jihan räusperte sich: »Andreas, dürfte ich euren Garten mit den Statuen sehen?« »Den zeige ich dir. Hallo Jihan«, begrüßte Carsten überraschend den Besuch. »Ich gehe mal nach Cedric sehen. Er sollte lange genug geschlafen haben«, teilte sich Andreas ein, nach einem Blick auf die Uhr.

Jihan begleitete Carsten in den Garten. Die Beleuchtung der Statuen war bereits eingeschaltet. Andreas hatte ganze Arbeit geleistet. Die Spots setzten die Statuen in ein sanftes Licht. Jihan war begeistert von der Wirkung. »Ich muss schon sagen, ihr habt aus den Statuen alles Wesentliche herausgeholt.« »Das ist allein Andreas‘ Verdienst. So weit ich weiß, haben er und unser Steinmetz einige Diskussionen geführt. Ich habe lediglich die Gruppierung vorgeschlagen. Merlin meinte, die bronzenen an der Terrasse aufzustellen und die marmorne im Garten. Ich bin da anderer Ansicht gewesen. Andreas stimmte mir zu. Mir wurde gesagt, sie wirken wie Wächter.« »Das tun sie auch. Athene und Mars habe ich mit Schild, Bogen und Helm ausgestattet. Pan wirkt mit seinen Hörnern schon imposant. Artemis und Apollon sind die größten Figuren. Sie passen zur Terrasse. Hestia und Julianus runden das Bild ab. Ich finde, Pan macht sich in der Mitte des ganzen Ensembles genau richtig.« »Ich weiß. Ich habe die Figuren versichern lassen.« »Du kennst den Wert?« »Für uns ist der ideelle Wert unbezahlbar. Doch ich war schon baff, als ich nur den Wert des Materials erfuhr. Diese Kunstwerke verdoppeln den Wert des Anwesens.« »Ich wollte euch lediglich etwas Muse in den Garten bringen.« »Das hast du auch geschafft. Wir lieben diese Statuen. Selbst unsere beiden Rabauken schleichen öfters drum herum.« »Heben sie denn ihr Bein?« »Nein, dafür haben sie ihre Bäume und Ecken. Salvatore legt sich gerne neben der Athene zum Relaxen ab. Merlin berichte mir davon, dass Charaid gern auf Julianus herumklettert. Cedric mag sie alle. Ganz angetan war er vom Pan. Er findet ihn scheinbar sympathisch.« »In ihm schlummert ein Künstler. Glaubst du, er hat euch beiden darin erkannt?« »Ist er dafür nicht noch ein wenig jung?«, gab Carsten zu bedenken. »Uns reicht es aus, wenn er die Statuen mag. Den tieferen Sinn entdeckt er sicher mit der Zeit.« Carsten ließ sich von seinem Onkel führen. Sie gingen einmal um das Haus. An der Garage machten sie halt. Jihan holte aus seinem mobilen Appartement eine kleine Tasche. »Macht es euch nichts aus, dass eure Wagen draußen stehen?« »Die Geländewagen? Nein. Andreas hat da eine gesunde Einstellung. Es sind einfache Fortbewegungsmittel. Wenn sie das nicht aushalten, haben wir eine falsche Investition getätigt. Lediglich die Familienkutsche und der Ferrari stehen drinnen. Andreas hat mit seinem kleinen Traktor die Einfahrt geräumt. Weil er den nicht extra umbauen wollte, hat er ihn ebenfalls in die Garage gestellt.« »Steht er sonst nicht drinnen?« »Schon, aber drüben im Geräteschuppen. Mit dem Vorbau passt er dort aber nicht hinein. Möglich, dass er noch einmal die Einfahrt vom Schnee befreien muss. Der Umbau dauert immer etwas, die Zeit will er lieber mit uns verbringen.« »Da hat er recht. Das Fest gehört der Familie. Sollen wir wieder hinein?« »Gern. Zu einem Kaffee sage ich jetzt nicht nein. Später gehe ich noch mit den Hunden raus.«

»Bietet ihr Sandwiches zum Kaffee an?«

»Manchmal, unsere Großeltern bevorzugen Kekse und Gebäck. Ich mache dir welche, denn etwas Handfestes könnte ich auch gebrauchen. Mein Lunch ist heute ausgefallen.«

Andreas öffnete die Tür zu Cedrics Zimmer. Ganz erstaunt war er, seinen Sohn samt seinem Teddy auf dem Bett sitzen zu sehen. Salvatore lag davor und hörte dem Jungen zu. Dieser babbelte mit seinem Schnuller im Mund vor sich hin. Als er Andreas bemerkte, freute er sich. »Baba.« Danach schwang seine Stimme um. »Baba Aah un Iih!« Erst wusste sein Papa nicht, was der Junge meinte. Dann sah er den feuchten Fleck im Bett. Er zog lächelnd seine Schultern hoch. »Das kommt vor Cedric und ist nicht schlimm. Ich mache dich jetzt frisch und die Sache ist wieder gut. Dein Bett machen wir dann gemeinsam wieder schön. Einverstanden?« Ein fröhliches Gesicht war ihm Antwort genug. Wohl auch, weil Cedric gerne badet. Im Bad befreite er den Jungen von seinem Malheur. Die schmutzige Wäsche landete in dem Wäschekorb. Der kleine Mann planschte begeistert im Wasser. Dann bekam er saubere Sachen an. Andreas setzte ihn anschließend auf dem Boden. Unter den Argusaugen seines Sohnes wechselte er die feuchte Bettwäsche samt Matratze. »Siehst du, alles wieder in Ordnung. Deine Papas haben alles im Griff. Magst du jetzt mit mir zu den anderen gehen?« »Abba un Leonardo?« Andreas nickte. »Baba! Teddy!« Andreas gab ihm sein Kuscheltier und zufrieden gesellten sie sich zu den anderen.

Jihan saß neben Nonno. Sie unterhielten sich angeregt. »Guck einmal, Cedric, da ist dein Urgroßonkel.« Das Resultat war eine fragende Mimik. »Andreas macht es immer kompliziert. Du kannst mich auch Zio nennen«, klang seine warme Stimme. Die Wirkung war verblüffend. Cedric begann zu lächeln. Andreas nahm es erfreut zur Kenntnis. »Willst du deinen Zio kennenlernen?« Mit seinem freien Arm wedelte er zu Jihan. Andreas übergab den kleinen Mann.

»Heute Sandwiches zur Tea Time?«, fragte Andreas nach. »Carsten machte welche. Ich hatte in London lediglich ein Breakfast und er selbst hat wohl auch sein Lunch ausfallen lassen«, antwortete Jihan, wobei er sich mit Cedric beschäftigte. »Eigentlich ist das auch ursprünglich so Sitte. Sandwiches sind eine Erfindung, um die Damen der Gesellschaft zwischen Lunch und Dinner nicht verhungern zu lassen. Dabei erhielten sie auch die klassische Form der kleinen Dreiecke. Es schickte sich nicht für die Dame von Ansehen, das sie sich eine große Scheibe Brot zwischen den Zähnen schieben. Regional änderte es sich etwas. Die einen bevorzugen kleine belegte Cracker. Hier wurden Scones serviert und so weiter. Carsten und ich haben in London während der Tea Time nichts gegessen. Seit wir hier leben, servieren wir auch Scones. Mrs Sánchez’ sind ein Gedicht für den Gaumen. Wobei wir Zugezogenen diese ohne Sahne und Konfitüre genießen.« Ein leises Gelächter erfüllte den Raum.

»Cedric mag dich.« »Der kleine Charmeur schleicht sich auch in jedes Herz. Bekommt er nichts?« »Wir haben eine Flasche vorbereitet. Er kann sich schon sehr gut bemerkbar machen, wenn er etwas haben möchte.« Wie auf Stichwort ertönte ein »Nanane!« »Kommt sofort, kleiner Mann.« »Was meint er?«, wunderte sich Jihan. »Er möchte ein Stück Banane. Er lutscht gerne darauf herum. Es ist eigentlich etwas früh, doch er hat bereits zwei Durchbrüche der Schneidezähne.« »Ich verstehe. Die Frucht lindert die Schmerzen und massiert das Zahnfleisch«, wusste Jihan aus Erfahrung. »Wir sind ganz froh, das er seine Methode gefunden hat.« »Habt ihr auch Alternativen?«, wurde Jihan neugierig. »Carsten hat ein linderndes Mittel. Damit massiert er die entsprechenden Stellen. Was soll ich sagen, es wirkt«, erklärte ihm Andreas. »Mein Sohn hat erstaunliche Fähigkeiten. Ich wusste nicht, dass er sich damit auskennt«, schob Luise dazwischen. »Ich bin der Sohn eines Tierarztes. Papa hat mir viel erklärt oder glaubst du, wir haben in der Praxis nur gespielt?«, meinte Carsten nicht ganz ernst. »Das Mittel enthält eine schmerzlindernde Substanz, die auch in der Tiermedizin Anwendung findet. Ich habe mir das Mittel von Andrea anfertigen lassen.« »Deine Schwester? Chemie war im Studium nicht gerade ihre Stärke«, wunderte sich Paul. »Das kann ich nicht beurteilen. Doch in Pharmakologie hat sie von dir sehr viel gelernt. Du magst es nicht glauben, doch deine kleine Hexenküche mag sie.« Paul sah zu seiner Tochter. Bewundernd hob er seine Augenbrauen. »Tja, Papa. Seit ich dich mit den alternativen Heilungsmethoden hantieren sehe, interessiere ich mich dafür. In unserer Bibliothek gibt es genug Literatur zu diesem Thema. Da ist die Pharmakologie das Fundament. Wenn ich heute eine Prüfung in Chemie und Pharmakologie machen müsste, würde ich wohl keine Schwierigkeiten haben, diese zu bestehen.« »Hört hört. Meine Kleine stellt ihren Vater in den Schatten.« Jeder im Salon hörte den Stolz in der Stimme. »Dann bleibt meine Hexenküche bestehen?« »Mehr noch. Stefano schlug mir vor, die Räumlichkeiten entsprechend auszustatten. Darunter auch eine Werkbank mit Abzug. Du bist mir nicht böse?« »Warum sollte ich? Es ist deine Praxis. Und eine Ehre für mich, dass diese Innovation erhalten bleibt.«

»Abba? Dada iih und aah?« Carsten verstand die Frage. »Du bist sehr aufmerksam. Wir gehen gleich mit den Hunden Gassi. Du möchtest mit?« »Da!« »Dann machen wir uns fertig. Leonardo und Salvatore waren schon längere Zeit nicht mehr im Garten.« Carsten stand auf. »Ich mache unseren Sohn fertig und begleite euch. Ich denke, wir nehmen alle Hunde mit. Wolf wirkt auf mich etwas unruhig.« »Gute Idee. Gehen wir eine größere Runde ums Haus. Dann haben wir bis nach dem Dinner unsere Ruhe.«

Am Porch trafen sich die Gassigänger. Die Unruhe bemerkten auch die Vierbeiner und warteten geduldig auf die Zweibeiner. Andreas trug Cedric im Tuch. Carsten gab an der offenen Tür ein leises Kommando und die Hunde stürmten hinaus. »Tiger, du hast das gewisse Etwas, das die Hunde respektieren. Selbst Cedric ist immer ganz erstaunt, wie gut sie auf dich hören.« »Ich denke, das zeichnet uns als gute Rudelführer aus: Zu wissen, was deren Bedürfnis ist. Bei unseren Familienhunden ist es recht einfach. Bei Wolf ist es eher sein Bedürfnis, mit seinen Kumpels abzuhängen. Leonardo und Salvatore haben ihn immerhin als Gast in ihrem Revier willkommen geheißen.«

Während die drei sich auf dem Weg machten, lösten sich die Hunde. Cedric war zufrieden, mit seinen Papas an der frischen Luft zu sein. Er kommentierte, was ihm durch den Kopf ging. Das Gemurmel gefiel Carsten. Andreas bot Carsten seinen Arm zum Führen durch ihren gut ausgeleuchteten Garten an. »Dada, Wolf!«, meinte ihre junge Begleitung plötzlich. Carsten holte aus seiner Manteltasche das Spielseil und gab es Cedric. »Gib es Wolf. Er spielt gerne damit«, forderte er ihn auf. Cedric ließ das Seil einfach fallen. Wolf hob es auf. Dann lief er davon. Cedric versuchte es einzuordnen. Dann bemerkte er Salvatore, wie er hinter dem Gasthund herlief. Er luchste ihm das Seil ab und eine Verfolgungsjagd begann. »Siehst du. Die Hunde spielen jetzt miteinander um das Seil.« Cedric giggelte. Lediglich Leon blieb in ihrer Nähe. »Dada nich pielen?«, bemerkte Cedric dazu. »Leon ist schon alt. Er mag es lieber ruhiger. Das Toben überlässt er den jungen Hunden«, antwortete ihm Andreas vernünftig. »Er begnügt sich, mit seiner Nase neue Gerüche aufzunehmen. Und er hat ein wachsames Auge auf Gina. So wie wir beiden auf dich achtgeben«, fuhr er weiter fort. Carsten hörte seinem Gatten zu. Er konnte Cedric den Sachverhalt gut erklären. Kurz vor dem Spielplatz schlugen sie den Weg zur Pforte ein. »Wer wird sich um unser Abendessen kümmern?«, fragte Carsten plötzlich. »Děda, Nonno und ich. Děda habe ich für die Salate eingeteilt. Nonno und ich stehen an den Herden. Ich habe uns ein leichtes internationales Dinner vorbereitet. Für jeden ist etwas dabei. Du kannst dich noch an unsere erste Begegnung mit Jihan in Milano erinnern? Ich mache uns einige der Speisen, die du da gekostet hast. Möglich, dass Zio Jihan mich dabei unterstützt. Er macht einige der Speisen einfach einzigartig.« »Was machst du für Cedric?« »Ich gar nichts. Nonna hat für ihn alles Wesentliche zubereitet. Ich denke nicht, dass wir ihm schon mit den vielen verschiedenen Gewürzen einen Gefallen tun werden. Wenn ich das Gelesene dazu richtig interpretiere, dominiert die Geschmacksrichtung ›süß‹ bei Babies. Die Gemüsekompotts schlagen in die gleiche Richtung, wenn auch nicht so intensiv«, erklärte Andreas. »Ich habe mit Nonna vereinbart, das er einen Kartoffel- und Karottenbrei bekommt. Dazu ein Klecks Spinat. Zum Dessert habe ich für ihn einen Vanille-Schoko-Pudding vorgesehen. Damit es nicht so mächtig wird, benutzt Nonna nur Kuhmilch. Wenn er mag, darf er auch von den anderen Gerichten probieren. Das entscheiden wir aber spontan.« »Gut, du hast alles im Griff. Ach, bevor ich es vergesse, lade James zum Dinner morgen Abend ein. Er würde sonst allein feiern.« Andreas war erfreut. »Klar, ich rufe ihn nachher an. Sollen wir ihm auch ein Zimmer vorbereiten? Falls es spät wird.« »Wir fragen Merlin, ob er bei ihm unterkommen kann.« Carsten machte eine Pause. »Erlaubst du mir, dass ich noch etwas Klavier spiele? Ich habe das heute sträflich vernachlässigt.« Andreas gab ihm einen Kuss. »Natürlich. Konntest du denn Luise im Studio helfen?« »Ja. Die Aufnahme gefällt uns beiden. Luise beurteilt ihre Darbietung selbst kritisch.« »Entscheidend ist doch, dass es ihr selbst gefällt.« »So sieht sie es auch. Vor allem empfindet sie es entspannend. Es ist eines der schönsten Komplimente an die Musik.« Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander. Lediglich Cedric begeisterte sich für die Aktivitäten der Hunde. »Guck einmal,«, wies Andreas seinen Sohn auf eine Begebenheit hin. »Gina hat jetzt das Seil. Die kleine Lady hat die großen Hunde ausgetrickst.« Cedric entfuhr ein ›Oh‹, gefolgt von einem Giggeln. Wolf, Salvatore und Leonardo hatten sich ausgetobt. Gemütlich liefen sie mit Gina und Leon voraus. »Wie machen wir es morgen?« »Deine Großeltern und meine Eltern haben ihre Traditionen. Wir haben uns eine eigene Tradition angeeignet und die führen wir fort. Lediglich wird Cedric morgen das erste Geschenk öffnen dürfen.« »Vor dem Frühstück?« »Das müssen wir abwarten. Es liegt an Cedric. Wenn er erst frühstücken möchte, geben wir dem nach. Das Fest läuft uns nicht davon. Jedoch ist ein quengeliger Cedric alles andere als angenehm.« »Du kennst unseren Sohn erstaunlich gut.« »Kunststück. Er hält uns schon seit Monaten auf Trab«, zwinkerte Carsten den beiden zu. »Abba brum brum!« Cedric hatte das Wohnmobil seines Onkels entdeckt. »Du hast recht, es ist ein wirklich großes Auto. Weißt du, es ist ein kleines Haus auf Rädern. Dein Onkel möchte noch unsere Highlands erkunden. In dem Auto kann er schlafen, essen und wohnen.« Cedric verarbeite das Gehörte. Er machte sich wohl seine eigenen Gedanken dazu. »Sagst du Andrea und Ercan Bescheid, mir beim Trocknen der Hunde zu helfen?« »Das können wir doch gemeinsam machen.« »Ich glaube, Cedric friert. Er braucht etwas warmes. Nein, meine Geschwister dürfen sich ruhig um ihre Hunde kümmern.«

Im Porch warteten die besagten Personen bereits. »Na, hat sich die Bande ausgetobt?« »Ja, wartet ihr auf uns?« »Nein. Also nicht direkt. Ercan und ich waren gerade im Garten unsere Beine vertreten, da haben wir euch kommen gehört. Wir helfen dir, unsere Vierbeiner wieder salonfähig zu machen.« Andreas ging seinen Sohn versorgen. Cedric war ganz froh, wieder im Haus zu sein. Auf dem Wickeltisch zog Andreas ihm seinen Hausanzug an. Dabei stellte er fest, dass die kleinen Händchen sich wirklich kalt anfühlten. »So, ist dir wieder warm?« »Baba good.« Der Papa nahm den Teddy und seinen Sohn auf den Arm. Gemeinsam gingen sie erst in die Küche. »Baba, Dada mmh!« »Deswegen sind wir hier. Wir füllen frisches Wasser in die Näpfe. Dein Abba macht ihre Rationen später. »Baba mil?«»Mal gucken, ob deine Großmutter schon eine Flasche für dich vorbereitet hat.« Im Flaschenwärmer stand eine fertige Flasche. Andreas probierte ein paar Tropfen. »Es ist Erdbeermilch.« Andreas gab dem Jungen die Flasche. Cedric hatte den Dreh bereits heraus. Er nahm die Flasche mit beiden Händen und begann zufrieden zu nuckeln. Er beobachtete Andreas, wie er die Näpfe mit frischem Wasser befüllte. Kaum war er damit fertig, stoben die Hunde an und leerten die Näpfe. Cedric lallte etwas. »Du hast recht, dann fülle ich halt noch einmal auf. Deine Hunde sollen nicht dürsten.« »Baba lieb.«

Carsten ging in sein Zimmer und zog sich um. Auf der Treppe kamen ihm Merlin und Zio Jihan entgegen. »Ich zeige deinem Onkel das Zimmer.« »Macht nur. Sind noch alle im Salon?« »Nein, Paul und Luise machen gerade eine Runde durch den Garten. DÄ›da und Nonno sind in der Küche. Babi hat sich etwas hingelegt. Nonna ist im Salon und liest. Stefano leistet ihr Gesellschaft.« »Danke.« Carsten ging daraufhin in sein Arbeitszimmer. Er öffnete seinen Flügel und begann mit einigen seiner typischen Etüden. Er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. »Tiger, Cedric langweilt sich etwas.« »Kein Thema, vielleicht mag er mit mir Klavierspielen?«

Nach dem langen Spaziergang benötigte Cedric Aktion. Klavierspielen schien ihm da ganz recht zu sein. Auf dem Schoß seines Papas machte es ihm sehr viel Spaß, auf den Tasten herum zu hauen. »Bum bum bum«, freute sich Cedric. Carsten schlug nacheinander die Tasten für das c’ - e’ - g’ an. Sein Sohn sah ihm genau dabei zu. Dann versuchte er es selbst. Der Dreiklang gefiel ihm. Immer wieder drückte er die Tasten. Auch wenn er die Reihenfolge änderte und dabei die danebenliegenden Tasten erwischte. »Das machst du wirklich gut.« Cedric giggelte über das Lob. »Jetzt machen wir es zusammen. Du spielst deine Tasten und ich begleite dich dabei. Einverstanden?« Munter spielte der kleine Mann weiter. Carsten begleitete ihn mit einigen einfachen Harmonien. Cedric gefiel, was er hörte. Gemeinsam machten sie noch einige Varianten dazu. Als Musikpädagoge wusste er um die beruhigende Wirkung der Tonart A-Dur bei kleinen Menschen. Er lenkte ihr Spiel zu dieser Tonart. »Abba, iih«, meinte Cedric plötzlich. »Danke, dann gehen wir jetzt zur Toilette.«

Am besagten Ort setzte er seinen Sohn auf seinen kleinen Thron. Leise entleerte Cedric seiner kleinen Blase. Nachdem Carsten ihn wieder salonfähig gemacht hatte, musste Cedric unbedingt noch die Spülung testen. »Magst du jetzt weiter mit deinem Papa Klavierspielen?« »No. Ball Dada.« Carsten gab sich damit zufrieden. Dann eben mit den Hunden etwas Ball spielen. Im Salon ließ sich Leon auf das Spiel mit dem kleinen Mann ein. Immer wieder schubste er das klingende Etwas zu Cedric. »Es ist wirklich schön mit anzusehen, wie Cedric sich mit den Tieren versteht.« »In Leon hat er auch einen geduldigen Spielgefährten. Dennoch werden wir im neuen Jahr mit ihm zur Kindergruppe gehen. Er soll auch andere Babys kennenlernen. Und ich lerne noch mehr über Kleinkinder«, meinte Carsten. Babi lachte: »Cedric und Leon haben es sich gemütlich gemacht. Cedric hat sich bei ihm angelehnt. Anscheinend erzählt er ihm von seinen Abenteuern.« Der junge Vater schmunzelte. Dann ging er hinüber in sein Arbeitszimmer und schloss den Flügel wieder. In der Küche war schon einiges los. »Darf ich schon einmal die Rationen für die Tiere vorbereiten?« »Mach nur. Der Teil deiner Anrichte ist frei«, informierte ihn Děda. »Carsten, habt ihr auch Koriander?« »Andreas hat sicher noch welchen in seinem Gewächshaus. Alternativ haben wir auch getrockneten. Wozu brauchst du ihn, Jihan?« »Für meine Falafel.«

Jihan ging über die Terrasse zum Gewächshaus. Dort fand er einige Töpfe mit frischen Kräutern. Jetzt zeigte sich der positive Aspekt eines Gärtners. Andreas hatte einiges an frischen Kräutern vorrätig. Zurück in der Küche, sah er Andreas bei Carsten stehen. Sie bereiteten gemeinsam die Rationen der Tiere vor. »Eure Küche bietet viel Platz.« »Das war ganz in unserer Absicht. In London war unsere Küche schon beengt, wenn zwei Menschen und ein Hund sich darin befanden. Wir kochen gern und brauchen entsprechend Platz«, antwortete ihm Andreas. »Es ist auch der Ort, wo Carsten und ich uns oft beraten. Daher auch der große Tisch. Er eignet sich auch ganz gut, um mehrere Dinge gleichzeitig zu machen. Mrs Sánchez nutzt ihn gern, um ihre Scones zu machen und ihre Teeutensilien griffbereit bei sich zu haben. Wir lieben es einfach. Morgens, wenn wir mit Edward und Merlin frühstücken, können wir gut dabei über die Aufgaben sprechen, die erledigt werden müssen.« »Andreas hat recht. In entspannter Atmosphäre lassen sich viel leichter Probleme lösen. Außerdem habe ich genügend Platz auf der Anrichte, um die Rationen vorzubereiten. Die Anrichte hinter dem Tresen dient für die Elektrogeräte. Auf der gegenüberliegende finde ich unsere Gewürze. Ich glaube, wenn Cedric soweit ist, selbst den Kochlöffel zu schwingen, kann er sich hier liebend gern austoben. Die Näpfe stehen drei Meter von meiner Anrichte entfernt. Ich finde mich hier dank Andreas gut zurecht. Obendrein hat Nonno genug Platz zum Kochen«, grinste Carsten. »Du willst ja nur meine spezielle Minestrone à la Natale haben«, konterte der Angesprochene. »Du hast es erfasst. Es ist ein Genuss, genau passend zum Fest.« »Was macht euer kleiner Mann?« »Eben hat er sich mit Leon beschäftigt. Nonna und Babi haben ein Auge auf ihn. Ich mag es, wenn er seine eigenen Wege ausprobiert.« »Junge, für diese Weisheit habe ich gute 25 Jahre benötigt.« »Nonno, ich lerne von den Besten.« »Alter Charmeur«, meinte Nonno. »Wie man alten Männern Honig um den Bart schmiert, weißt du genau.« »Warum sollte ich dir Honig um den Bart pinseln?«, antwortete Carsten ernst. »Das klebt doch nur und erst die Sauerei …«

Merlin wunderte sich etwas. In der Küche lachten herzhaft fünf Männer. »So, die Rationen bleiben erst einmal hier auf der Anrichte. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Hunde ruhiger sind, wenn wir gemeinsam essen.« »Sind sie denn da sicher? Friedemann hatte eine feine Nase.« »Das haben unsere Hunde auch. Ich habe Friedemann nie dabei erwischt, wie er ohne deine Erlaubnis sein Futter angerührt hat. Selbst Charaid frisst nur, wenn sein Napf auf dem Boden steht. Ja, die Rationen sind dort sicher«, bestätigte auch Andreas. »Darf ich fragen, wie weit ihr seid?« »Die Minestrone braucht noch eine halbe Stunde. Die anderen Gerichte werden im Ofen warmgehalten. Karel, wie weit bist du mit den Salaten?« »Die sind alle servierfertig. Ich mache jetzt nur noch Saucen und Dressing. Gibst du mir einmal den Dijon-Senf?« Nonno gab ihm das gewünschte Produkt. »Bambini, ihr könnt schon einmal den Tisch vorbereiten.« Nonno konnte es nicht lassen. Sowohl Andreas als auch Carsten mochten es, wenn ihre Großeltern sie mit dieser Koseform ansprachen. »Komm, Tiger. Ich brauch deine Hilfe bei dem Tisch.«

Carsten folgte seinen Partner. Im Dining Room machten sich die beiden daran, ihren Tisch vorzubereiten. »Ich hätte nicht gedacht, dass wir so schnell die Kapazität unseres Tisches ausreizen«, dachte Carsten laut nach. »Wir sind auch eine große Familie. Meine Nonni stellen bei den Familienfesten immer einige Tische aus dem Ristorante zusammen. Das wäre bei uns unpraktisch.« Während sie sprachen, verwandelten sie den Tisch in eine festliche Tafel. Andreas legte letzte Hand an. »Wo habt ihr denn den Tisch her?«, fragte Nonno. »Es ist der gleiche wie gestern. Carsten schlug vor, nur einen schmalen Tischläufer zu verwenden. Es sieht einfach familiärer aus. Sollen wir bei den Speisen helfen?« »Nicht nötig. Ich habe die restliche Familie eingespannt. Ihr solltet nach eurem Sohn sehen.«

Cedric beschäftigte seine Oma. Welches Spiel sie genau spielten, konnte keiner der beiden Väter sagen, doch ihr Sohn lachte dabei viel. »Guck mal, Cedric«, meinte Luise und deutete auf Tür. Der kleine Mann drehte seinen Kopf. »Baba, Abba. Mmh?« »Ja, wir wollten euch zum Essen holen.« Carsten nahm Cedric. Andreas half Luise auf. Gemeinsam gingen sie zum Dining Room. Luise nahm neben ihrem Mann Platz. Andreas führte Carsten zu Cedrics Stuhl. Geschickt setzte er seinen Sohn in den komfortablen Stuhl. »Abba?« »Ja, was gibt es?« Cedric wirkte unsicher. Carsten beugte sich zu ihm vor. Der Papa lauschte seinem Sohn. Carsten nahm Cedric lächelnd wieder hoch. Dann gingen sie zur Toilette. »Es ist gut, Cedric. Ich kenne das.« »Abba?«, seufzte der kleine Mann. »Wenn du zur Toilette musst, darfst du es sagen. Die Natur will es einfach so. Deine Papas kümmern sich dann um den Rest.« »Abba lieb«, bedankte sich Cedric erleichtert.

Zurück im Dining Room warteten die anderen. Wieder in seinem Stuhl eröffnete er das Dinner. »Andreas, ich habe die Hunde vergessen«, flüstere Carsten seinem Mann zu. »Ercan und Merlin haben die Rationen verteilt. Die Tiere sind versorgt«, antwortete Andreas ebenfalls leise. Dabei fütterte er seinen Sohn. Zwischen zwei Löffeln gab Cedric seinen Kommentar zum Besten. Andreas wischte immer wieder seinen Mund ab.

Das Abendessen zog sich hin. Cedric hielt sich gut. Nach dem Pudding wollte er noch etwas Tee.

»Das war ein leckeres Menü«, bedankte sich Carsten. »Der Dank gebührt Andreas. Er hat das Menü zusammengestellt«, wiegelte Nonno ab. »Hätte er unser Ristorante übernommen, würde er wohl Michelinsterne haben. Es war eine echte Gaumenfreude.« Andreas lief etwas rosa an. »Wenn dem so ist. Darf ich euch in den Salon zum Kaffee bitten?«, lud er ein. Er nahm Cedric aus seinem Stuhl. Die halbe Flasche Tee hielt der Junge fest. »Carsten, kümmere dich um den Kaffee. Stefano, Ercan und Merlin räumen den Tisch wieder ab«, bot Andrea an. »Ich scheuche die Hunde in den Garten.« »Das musst du nicht. Carsten geht mit ihnen später noch eine kleine Runde.« »Ich kenne die Zeichen. Gina wird ungeduldig, ihre Blase drückt.« Andreas gab sich dem Argument geschlagen. Im Salon übernahm Paul den kleinen Mann. Andreas und Carsten gingen in die Küche, um Kaffee und Tee zu machen. »Wirklich ein sehr leckeres Menü, welches du zusammengestellt hast.« »Alles einfache Kost. Ich wusste ja, dass es heute eng werden würde. Also musste ein Essen her, welches Nonno und DÄ›da zubereiten können. Für morgen habe ich ein Festmahl. Nach dem Aperitif serviere ich eine Gemüsebouillon. Dann gibt es gedünsteten Lachs an einer Weinsauce. Es folgt dann schon das Sorbet: Mango in Champagnercreme. Es gibt zwei Hauptgerichte. Ein vegetarisches und Entenbrust an Orangenscheiben. Kroketten, Reis und Salate als Beilagen. Dann folgt bereits die Käseplatte. Für jeden habe ich eine Portion Waldbeeren an Weinschaumcreme. Zum Abschluss genießen wir classico espresso italiano im Salon.« »Das ist aber mächtig.« »Nicht wirklich. Ich erlaube mir, die Portionen festzulegen. Im Grunde ist das Essen Nebensache. Mir geht es darum, der Familie eine Freude der Sinne zu bereiten.« Carsten legte letzte Hand an die Teezubereitung. Andreas füllte den Kaffee in eine klassische Kaffeekanne. Im Salon wurden sie bereits erwartet. Paul war noch immer mit Cedric beschäftigt. Nachdem alle bedient waren, übernahm ihn Carsten.

»Andreas und Carsten, würdet ihr euch bitte in den Dreisitzer setzten? Ich habe da etwas vorbereitet.« Erst jetzt bemerkte Andreas, dass Luise den Hocker aus dem Studio holen ließ.

»Merlin war so freundlich, eure Musikanlage für mich einzurichten. Ich möchte euch etwas vorspielen und hoffe, es gefällt euch.«

Merlin drückte auf Luises Zeichen hin den Startknopf der Fernbedienung. Erste Orchestertöne klangen aus den Lautsprechern. Dann setzte Luise mit ihrer Violine sehr leise und zart ein. Andreas überkam eine Gänsehaut. Carsten erkannte die Komposition schon nach dem ersten Takt: Max Bruchs Opus 46. Populär unter den Namen Scottish Fantasy bekannt. Es war das erste Mal, dass in ihrem Haus ein solches intimes Konzert stattfand. Andreas war sichtlich gerührt. Ohne es zu bemerken, legte er seinen Arm um Carsten. Cedric war für die späte Stunde noch recht munter und obendrein sehr aktiv auf Carstens Schoß. Als er Musik hörte, wurde er neugierig. Er sah sich im Zimmer um. Interessierte sich für das Spiel seiner Oma. Was er da hörte, gefiel ihm.

Paul hatte erst Bedenken. Er wusste, wie laut eine Violine klingen kann. Das Gehör von Cedric war empfindlich. Doch Luise spielte ihr Instrument entsprechend der Örtlichkeit leise. Immer wieder sah er zu seinem Enkel. Dieser hörte sehr konzentriert zu. Instinktiv hielt er sich an seinem Papa fest. Das Hauskonzert neigte sich dem Ende zu. Der Schlussakkord und es wurde still im Salon. Carsten musste sich etwas sammeln und zweimal setzte er zum Sprechen an: »Du hast uns wirklich mit diesem Stück überrascht. Es passt nicht nur zu unserer Familie und dem Fest. Es ist auch eine Hommage an Schottland. Danke, Mama. Selbst Cedric ist ganz angetan.« »Ich weiß, ich sah es in seinen Augen. Sie leuchteten förmlich wie kleine Sterne.« »Oma lieb«, kommentierte Cedric. »Danke.« Luise machte eine Pause, bevor sie fortfuhr.

»Doch ich gestehe: Es war auch nicht sehr einfach. Ich hatte die Idee bereits vergangene Weihnacht. Einige Tage später war Signor Pittore zu Besuch und wir kamen ins Plaudern, dabei erzählte ich ihm von meiner Idee. Was soll ich sagen, er sagte mir sofort seine Unterstützung zu.« »So ist mein alter Klavierlehrer«, berichtete Andreas, »er kann sich für solche Ideen begeistern. Darf ich fragen, welches Orchester dich begleitete?« »Signor Pittore vermittelte mir das Junge Orchester der Akademie der Scala. Wir haben viel Spaß bei den Proben gehabt. Die Aufnahmen haben wir in der Scala gemacht. Es war ein Erlebnis. Ich beneide dich nicht, Carsten. Die Aufnahmen waren harte Arbeit. Die Toningenieure brauchten eine Stunde, nur um alle Mikrofone richtig zu positionieren. Dann gab es Diskussionen um die Aufnahme. Letztendlich haben sie sich für Dolby Surround Pro Logic 7.1.2 - was immer das auch bedeuten mag - entschieden. Wir haben einen ganzen Tag für die Aufnahmen gebraucht. Ich bin abends nur noch ins Bett gefallen. Wie hältst du das nur durch, Junge?« »Mit Konzentration und viel Humor.« Dann unterbrach er sich selbst. Wandte sich Andreas zu: »Schatz, wir sollten unseren Sohn ins Bett bringen.« Andreas sah sich das Ensemble an. Cedric lag nun ganz entspannt an Carsten gelehnt. Behutsam nahm er ihn an sich und beide Dads brachten ihn in sein Zimmer.

Im Salon wurde weiter über das Konzert gesprochen. »Jetzt weiß ich, woher Carsten sein musikalisches Talent hat«, meinte DÄ›da. »Ehrlich, Karel? Ich könnte noch sehr viel von meinem Sohn lernen. Ich habe für dieses Konzert sogar Unterricht genommen, nur damit ich leise spielen lernte. Dann gab es ein Dutzend Proben. Mir fiel es wirklich schwer, mich länger als zwei Stunden auf das Instrument zu konzentrieren. Geschweige auf das Konzert.« Paul reichte ihr ein Glas Wein. »Darling, du hast uns heute Abend einen einmaligen Auftakt zum Fest geschenkt.« Er gab ihr einen liebevollen Kuss. Dann half er ihr, es sich gemütlich zu machen. Jihan räusperte sich: »Cedric wächst mit den schönen Künsten auf.« »Wie meinst du das?« »Die Musen werden von seiner Familie kultiviert. Andreas und Carsten sind damit aufgewachsen. Sie haben für sich ihre Sinne verfeinert. Ich habe selten ein Baby gesehen, welches in dem Alter so aufmerksam seine Umwelt wahrnimmt«, führte Jihan weiter aus. »Andreas und Carsten leben es ihm quasi täglich vor. Carsten ist blind. Seine Umgebung nimmt er schon aus Gewohnheit mit seinen anderen Sinnen wahr. Andreas hat sich darauf eingestellt«, berichtete Nonna. »Ich sehe es an seiner Entwicklung, wie er Landschaften gestaltet. Von seinem Vater hat er schon als Junge viel gelernt. Ich sehe es immer in seinen Entwürfen. Bei den Feinheiten fließt mittlerweile viel von dem ein, was er täglich mit Carsten erlebt. So wird es auch bei Cedric sein. Der Junge hat bereits die Erfahrung gemacht, dass sein Abba nichts sieht. Doch er fühlt sich bei ihm sicher. Er vertraut ihnen.«

Die besagten Väter betraten den Salon. »Der Junge schläft den Schlaf der Gerechten. Salvatore und Leonardo sind bei ihm.« Andreas blickte zu den Kudden, wo die anderen Tiere lagen. Zu seiner Überraschung lag auch Charaid dazwischen. »Wann willst du mit ihnen noch in den Garten?« »Ich gebe der Bande noch eine Stunde zum Verdauen«, resümierte Carsten. Daraufhin machten sie es sich gemütlich. Andreas stand noch einmal auf und schenkte seinem Mann eine Tasse Kaffee ein. Er selbst holte sich ein Lager. Ein Moment wurde es still im Raum. »Mama, ich habe nachgedacht. Du könntest beide Konzerte gut mit einem Orchester aufführen.« »Woran denkst du dabei?«, interessierte sie sich für den Vorschlag. »Ich dachte einmal an das Orchester des College. Die jungen Musikerinnen und Musiker benötigen einfach mehr Erfahrung bei Aufführungen. Dann würde sicher auch das BBC Scottish Symphony Orchester nicht abgeneigt sein. Bei ihnen würde die Scottish Fantasy noch ein wenig anders klingen. Was meinst du?« »Nun, ab dem Sommer bin ich in Pension. Da hätte ich die Zeit und Muße, mich darauf einzulassen. So mein Gatte keine Einwände hegt.« Paul schüttelte seinen Kopf: »Nein, wir sind noch jung genug, um solche Abenteuer gemeinsam zu erleben. Außerdem sehen wir so unseren Enkel öfters.«

»Ich sage mal gute Nacht. Ich war heute schon früh auf den Beinen«, bekundete Zio Jihan seine Absicht, ins Bett zu gehen. »Eine gute Idee«, pflichtete ihm Ercan bei. So nach und nach wünschten auch die anderen eine gute Nacht. Andreas und Carsten waren die letzten. Während Andreas etwas aufräumte, rief Carsten die Vierbeiner zu sich. Am Porch ließ er die Bande in den Garten. Er selbst ging ein paar Schritte hinaus. Ein paar Flocken fielen auf sein Haupt. Da würde Andreas wohl doch noch einmal die Einfahrt räumen. Gina und Leon waren die ersten, die wieder ins Haus wollten. Der junge Mann rief sie kurz zu sich, um sich zu vergewissern, dass sie nicht nass waren. Anscheinend hatten sie schnell ihre Geschäfte gemacht und wollten einfach nur in die Kudde. Gerade als er die restlichen Hunde rufen wollte, trotten sie gesittet an. »Sie sind alle wohl fertig«, sprach Andreas ihn an. »Da brauchen wir nichts zu machen.« »Da stimme ich dir zu. Wir haben sie heute auch ganz schön gefordert. Sie wollen einfach nur noch schlafen«, bestätigte sein Gatte. »Wirst du noch die Einfahrt räumen?« »Morgen Nachmittag. Ich glaube nicht, dass Besuch kommen wird. Es eilt also nicht«, beurteilte Andreas die Schneedecke. Nachdem alle wieder im Haus waren, schloss er die Tür ab und schaltete die Alarmanlage ein. Bevor sie selbst auf ihr Zimmer gingen, sahen sie noch nach Cedric. Diesmal schlief er ruhiger. Dennoch bekam er von seinen Dads einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Salvatore hatte bereits alle Viere von sich gestreckt. Leonardo blinzelte nur kurz, als sie ihr Schlafzimmer betraten. »Na mein Kleiner. Hast du Ruhe vor der Bande gesucht?« »Sieht ganz so aus, Schatz.« »Na dann. Sweet Dreams, Leonardo.« Es dauerte nicht lange und Ruhe kehrte ein.

»Schläfst du schon?«, fragte Andreas in die Dunkelheit. »Nein, nicht wirklich. Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Warum?« »Mir geht es ähnlich. Ich stelle mir die Frage, ob wir uns verändert haben? Wir haben ein großes Haus, Personal und so weiter. Heben wir uns vom Durchschnitt ab?« Carsten drehte sich zu ihm. »Nein, Schatz. Wir sind noch immer bodenständig und haben uns ein gemütliches Heim geschaffen, weil wir einfach genug vom Stress in der City hatten. Hier kommen wir zur Ruhe und lassen uns inspirieren. Ich fühle mich nicht als neureich, falls du darauf hinaus willst. Sicher, das Anwesen ist schon groß. Unsere Hunde benötigen einfach Platz. Ich weiß, du liebst Experimente, wenn es um die Gestaltung von Landschaften geht. Warum auch nicht? Hast du dich einmal in Jihans Werkstatt umgesehen? Ich habe einige Skulpturen kennengelernt, von dem ich bisher noch nicht weiß, was es darstellen könnte. Er experimentierte mit Wasserspielen: Material, Funktion und so weiter. Es ist einfach unser Ausdruck, unsere künstlerische Art auszuleben. Unser Eigentum braucht Pflege. Mit Mrs Sánchez und Edward sind wir gut aufgestellt. Wir haben Autos. Doch das sind keine besonderen Wagen, wenn ich einmal von der Ausstattung absehe. Es war ein durchaus guter Deal mit dem Autohaus. Dr. Miller fährt ebenfalls einen Jeep. Mr Gilles besitzt ein Jaguar, Ben benötigt für seinen Pub einen robusten Lieferwagen und so weiter. Wir sind da eher durchschnittlich, reden mit den Menschen und sind überall willkommen. Selbst auf dem Markt rümpfen sie nicht ihre Nasen, wenn sie uns sehen. Ich glaube, wir geben ihnen Perspektiven«, gab Carsten seine Ansicht kund. »Wirklich? So habe ich das noch nicht betrachtet. Was ist mit unserer Familie?« »Was soll mit ihnen sein? DÄ›da und Babi hatten ein Dachdeckerunternehmen. Deine Eltern eine florierende Gärtnerei. Nonna und Nonno hatten ihr Restaurant. Papa hatte seine Praxis und Mama ist auch in ihrem Metier keine Unbekannte. Sie wird sicher noch oft Gastvorlesungen halten. Papa hat einige Veröffentlichungen in der Fachliteratur über alternative Heilmethoden in der Tiermedizin. Finanziell sind unsere Familien unabhängig. Denk doch einmal an uns. Gut, wir leisten uns einige Extras, doch das tun andere auch. Britta und Ralph haben ein Ferienhaus in Frankreich. Chris und Marco haben mittlerweile mehrere gutlaufende Eiscafés. Marco versteht sein Handwerk als Glacier. Chris ist Journalistin. Einige ihrer Dokumentationen haben eine Auszeichnung erhalten. Sie haben einen Zweitwohnsitz in Firenze. Ihre Kinder gehen, was für Deutschland nicht gerade üblich ist, auf Privatschulen. Cedric wird einmal auch auf eine private Schule gehen. Doch nur, weil wir hier ein anderes System haben.« »Du hast sicher recht, weiser Mann.« »Es ist lediglich eine reale Perspektive, die ich vertrete. Konnte ich deine Gedanken denn dahingehend zerstreuen?« »Das konntest du. Woran hast du denn gedacht?« »Wie es morgen sein wird. Es ist das erste Mal, dass ich Weihnachten mit meiner eigenen Familie feiere. Ein seltsames Gefühl, das Fest aus der Sicht von Eltern zu begehen.« »Ich verstehe, was du meinst. Wir werden auf Cedric Rücksicht nehmen, das wird wohl unser Standard sein. Mit den Jahren werden wir sicher auch einige Traditionen über Bord werfen und neue hinzufügen. Damit beginnen wir morgen.«

Andreas kuschelte sich an Carsten. Er spürte, wie sein Partner sich entspannte. »Morgen, jetzt versuchen wir noch etwas zu schlafen …«, fügte er an. Carsten hörte Leonardo etwas brummen. »Das muss jetzt etwas warten. Ich gehe mal sehen, was unser Sohn hat …« Kaum ausgesprochen, kamen erste Geräusche aus dem Babyphon. Carsten drehte sich um und stand auf. Im Kinderzimmer hörte er Cedric leise wimmern. Behutsam tastete er nach den Jungen. »Hast du schlecht geschlafen oder bekommst du einen weiteren Zahn?«, stellte er beruhigend eine wichtige Frage. Cedric fuchtelte mit seinen Händen herum und als er Carstens Hand spürte, griff er nach einem Finger und hielt diesen fest. Carsten ahnte schon, dass es dauern würde. So schnell würde Cedric seinen Finger nicht loslassen. Behutsam nahm er Cedric auf seinen Arm. Er fühlte, wie sich der kleine Körper anschmiegte. Daraus schloss er einen neuen Zahn vorerst aus. Dann wiegte er das kleine Energiebündel in seinem Arm. »Komm, bei deinen Papas schläft es sich bestimmt besser.« Salvatore folgte ihnen. »Tiger, rutsch etwas rüber. Wir lassen Cedric bei uns schlafen. Gott weiß, was er hatte. Morgen früh tasten wir noch einmal seinen Kiefer ab, falls ein Zahn ihm gerade wieder Probleme bereitet.« »Kein Thema, unser Kingsize bietet ausreichend Platz. Doch Schmerzen scheint er im Moment nicht zu haben.« Cedric bekam von der leisen Unterhaltung nichts mit. Andreas sah, wie fest er wieder schlief. »Leg dich hin, ich decke euch zu. Anscheinend braucht er gerade unsere Nähe«, flüsterte Andreas weiter. »Danke.« Andreas legte zum Schluss seinen Arm um seine Männer. Beruhigt schlief er ein.

Cedric öffnete seine Augen und sah das Gesicht seines Babas. Es interessierte ihn und mit seinen Händchen tastete er darin herum. Andreas spürte die Berührungen, ließ seine Augen jedoch geschlossen. Sein Sohn strich ihm über die Bartstoppeln und entlockte ihm ein Giggeln. Dann wurde seine Neugier auf die Nase gelenkt. Ein kleiner Finger im Nasenloch löste bei Andreas dann doch ein Niesreflex aus. Erschrocken zog Cedric seine Hand zurück. »Gesundheit!« »Morgen Tiger, Cedric untersucht gerade meine Nase. Du hättest wohl auch geniest, wenn ein kleiner Finger im Nasenloch steckt.«

Carsten lachte bei der Vorstellung. »Baba! Abba!«, freute sich ein kleiner Mann. Zur Belohnung knuddelten seine Väter ihn. Alle drei zerwühlten mit Freude das große Bett. »Baba, Cedric padsch?«, fragte Cedric auf einmal. Andreas sah auf die Uhr. Es war gerade sechs Uhr durch. »Was meinst du, Carsten? Eine Runde im Pool planschen?« »Warum nicht? Im Haus ist es noch ruhig«, pflichtete Carsten dem Wunsch bei.

Andreas schubste ein Schiffchen in Richtung Cedric. Das Spielzeug brachte das Baby zum Jubeln. Gemeinsam spielten sie im Wasser. Sowohl Andreas als auch Carsten stellten fest, dass Cedrics Bewegungen im Wasser für ein Baby seines Alters kraftvoll wirkten. Kaum 20 Minuten später hatte Cedric genug gespielt. Er fragt nach seinem Frühstück und bei Carsten im Arm, fühlte dieser, dass Cedric sich kühl anfühlte. »Schatz, ich kümmere mich um unseren Sohn.« »Ist gut. Ich mache mich tagesfertig.« Dreißig Minuten später übergab Carsten Cedric an Andreas. »Du bist aber fein angezogen. So flauschig mit einem knuffigen Teddy auf deinem Outfit. Wie macht dein Abba das immer nur?« »Cedric hilft mir dabei. Ich zeige ihm eine Auswahl und er entscheidet. Bisher hat es immer gut geklappt«, grinste Carsten und diesem Lächeln konnte sich Andreas nicht verwehren. Er glaubte nicht, dass ihr Sohn eine bewusste Auswahl traf, sondern einfach nur irgendetwas. »Ich mache mich mal für die Familie fertig. Die Bescherung machen wir nach seinem Frühstück. Ich denke, Cedric würde es uns nicht verzeihen, wenn er noch lange auf sein Frühstück warten soll«, stellte Carsten aus Erfahrung mit Cedric am Morgen fest. »Ist gut. Komm, gehen wir mal nachsehen, was wir für dich haben«, übernahm Andreas den zweiten Part, Cedric zu versorgen. Während er für seinen Sohn einen Hafer-Fruchtbrei zubereitete, unterhielten sie sich: »Du überrascht mich immer wieder. In den letzten Wochen hast du immer länger geschlafen. Warum hast du uns ausgerechnet heute schon um sechs geweckt?«, fragte Andreas ernst seinen Sohn. Dieser guckte nur verständnislos: »Baba?« Andreas interpretierte in diese eine Frage seine Antwort: »Na wenn du ausgeschlafen hast. Dann ist es natürlich selbstverständlich, dass deine Papas ebenfalls ausgeschlafen zu haben. Gut, dass du uns lange Zeit trainiert hast.« Cedric machte ein fragendes Gesicht und babbelte vor sich hin. »Nein, du hast vollkommen recht, Cedric«, antwortete Andreas in einer Pause. »Deine Papas sind dafür da. Du kannst dir ja schlecht schon selbst dein Frühstück machen. Wir machen das gern für dich.« »Führst du schon Selbstgespräche?«, meinte Carsten plötzlich. »Nein, ich unterhalte mich mit unserem Sohn. Ich stellte ihm die Frage, warum er heute so früh auf ist.« »Und was sagte er?« Andreas sah Carsten erstaunt an: »Er meinte, ausgeschlafen zu haben. Da er sein Frühstück noch nicht selbst zubereiten kann, bedarf es unsere Hilfe.« Carsten zog bewundernd seine Brauen hoch: »Eine plausible Antwort. Jedoch wenn er uns in zwanzig Jahren deswegen immer noch so früh aus dem Bett holt …«, er machte eine Pause. »Ja? Was dann?«, wurde Andreas neugierig. »… dann haben wir irgendetwas falsch gemacht!«, fuhr Carsten verschmitzt fort. Andreas stutzte ein wenig und begann dann zu lachen. Das Geräusch animierte auch Cedric, mit einzustimmen. Andreas beruhigte sich langsam. »Sag mal, was ist mit den Hunden?« »Die habe ich eben in den Schnee gescheucht. Der Rest des Hauses ist noch ruhig. Hast du schon Kaffee für uns?« »Ist eben durchgelaufen. Kannst du ihn in die Thermoskanne umfüllen?« Carsten tat, worum er gebeten wurde. »Machst du schon die Rationen für die Tiere?« »Nein, dafür ist es noch zu früh. Wenn sie sich draußen ausgetobt haben, reicht erst einmal, wenn sie ihren Durst stillen.« Carsten schenkte zwei Tassen Kaffee ein. »Abba au?« »Du bekommst dein eigenes Getränk. Ich denke, Kaffee ist dir noch etwas zu bitter.« »Seinen Tee habe ich bereits in den Flaschenwärmer gestellt. Du kannst ihm ruhig schon ein wenig zu trinken geben. Ich brauche noch etwas.« Carsten testete die Temperatur. Danach gesellte er sich zu seinem Sohn. In Erwartung etwas Flüssigkeit zu bekommen unterstütze Cedric seinen Papa. Mit beiden Händen hielt er die Flasche und nuckelte zufrieden. »Das machst du wirklich gut. Wo hast du das nur gelernt?« Cedric rülpste leise. Dann schob er nach wenigen Schlucken die Flasche beiseite. »Abba du au!« »Danke.« Carsten genoss den ersten Schluck Kaffee. Andreas machte einen sehr guten Morgenkaffee. Stark, schwarz, mit einem besonderen Aroma. »So, magst du jetzt schon etwas essen?«, fragte Andreas mit der Schüssel Brei in der Hand. Cedric schüttelte seinen Kopf. »Baba du au?« Andreas stellte die kleine Schale mit dem Brei vor Cedric ab. Er nahm seine Tasse und trank. »Das habe ich jetzt benötig.« »Habe ich dir schon mal gesagt, dass du einen sehr guten Kaffee machst?« »In letzter Zeit weniger. Passt du ein wenig auf unseren kleinen Helden auf? Dann kann ich schon mal für uns die Brötchen vorbereiten.« »Du backst die Brötchen selbst?«, frage ein erstaunter Carsten. »Nein, das kann der Ofen besser als ich. Ich bringe den Teig lediglich in Form. Dann können sie noch etwas in Ruhe aufgehen. Nonno kann sie dann in den Ofen schieben. Lange brauchen sie nicht. Wir machen uns ein einfaches Frühstück.« »Es muss auch nicht immer ein üppiger Start in den Tag sein.« »Wir lassen uns einfach Zeit. Seit Děda und Babi in Italien leben, sind meine Großeltern kleine Morgenmuffel geworden.« Carsten hörte, wie respektvoll sein Schatz das sagte. »Ich finde es gut, sie sind Rentner und haben ihr Leben lang gearbeitet. Jetzt werkelt Nonna auch nicht mehr den ganzen Tag. Sie liest gerne morgens in Ruhe ihre Zeitung nach dem Frühstück oder lernt mit mir Italienisch. Nonno geht gern in den kleinen Garten und sieht dort nach dem Rechten. Dann sitzen alle oft unter dem Baum und trinken ihren Cappuccino …« »Oh, da sagst du etwas: Wir sollten uns mal bei meinem Onkel melden. Der wartet sicher auf einen Anruf«, unterbrach Andreas Carsten. »Geht das nicht auch per Video?«, dachte Carsten an die moderne Technik: »Ich denke, sie würden uns auch gerne alle sehen« »Klar geht das. Ich müsste nur mit Alessandro vorher telefonieren. Der kennt sich damit am besten aus. Sagen wir gegen Mittag?« »Ja, denk aber an den Zeitunterschied.« »Nicht dringend erforderlich, das Ristorante ist eh heute geschlossen …« Andreas wurde durch seinen Sohn unterbrochen: »Mau!« Andreas sah Charaid um den Wassernapf schleichen. Sein Fell wirkte feucht. Anscheinend war er ein wenig draußen im Schnee gewesen. »Wow, du bist aber sehr aufmerksam. Magst du jetzt etwas essen?« »Abba? Mmh?« Carsten begann den kleinen Mann zu füttern, wobei sein Sohn ihm sogar ein wenig mit seiner kleinen Hand half. Derweil machte sich Andreas daran, den Hefeteig zu teilen. Die Portionen formte er in kleine Brote. Dabei summte er vor sich hin. »So, die Schale ist leer. Magst du noch mehr?« »No«, dabei schüttelte Cedric seinen Kopf. Doch irgendetwas fehlte ihm: »Dada wo?« »Die sind noch im Garten. Sollen wir sie mal hereinholen?« »Da!« Carsten hob seinen Sohn aus dem Stuhl. Auf dem Arm fühlte sich Cedric wohl. Am Porch öffneten sie die Tür. »Dada!«, rief Cedric. Es dauerte nicht lange und alle Hunde standen vor ihnen. »Abba, Dada padsch.« »Dann machen wir sie wieder trocken. »Dada nich brr?« »Nein. Die Hunde haben ein dichtes Fell. Das hält sie schön warm. Selbst wenn es feucht ist.« Salvatore ließ sich von dem kleinen Mann bespaßen. Während Carsten eins um andere Tuch in den feuchten Zustand versetzte. Zuletzt rubbelte er gemeinsam mit Cedric Salvatore trocken. »Das hast du wirklich gut gemacht, Cedric«, lobte er die tatkräftige Unterstützung. »Dada mmh?« »Ja, jetzt machen wir ihre Rationen. Du darfst dann das Kommando geben.« Cedric begleitet Carsten auf dessen Arm in die Küche. »Abba?« »Natürlich musst du mir helfen. Du sagst mir, was heute in die Näpfe kommt?« »Uui!«, lallte der kleine Mann. Gemeinsam bereiteten sie die Rationen vor. Carsten entnahm dem Kühlschrank die Zutaten. »Wolf au?« »Ja, aber nicht alles. Ben schrieb mir auf, was er essen darf.« Carsten unterbrach seine Tätigkeit und knuddelte Cedric am Bauch. Cedric wehrte sich etwas dagegen. »Magst du jetzt noch die Getreideflocken über Leonardos und Salvatores Ration streuen?« Carsten gab ihm die abgewogenen Mengen. Dieses mal verteilte der Junge die Zutat über zwei der Näpfe. »Bist du zufrieden?« »Da!« »Dann stelle ich die Näpfe auf den Boden. Und du gibst das Kommando.« Andreas grinste über die Aktion seiner beiden Männern. Jeden Napf den Carsten auf den Boden stellte, korrigierte Cedric um einige Zentimeter. Selbst die Hunde sahen dem treiben geduldig zu und als Cedric zufrieden mit dem Arrangement war, forderte er seine Hunde auf: »Dada mmh!«

Beide Papas lächelten über dieses Kommando, doch es wirkte. Geräuschvoll machten sich Hunde und Katze über ihr Frühstück her. Cedric sah ihnen etwas zu. Dann gab es an der Tür eine Bewegung. »Da! Babi!« »Oh, wie schön von dir in den neuen Tag begrüsst zu werden. Dobré ráno Cedriku. Spal jsi dobÅ™e?« »Babi? Da!« Sowohl Carsten als auch Andreas wandten sich erstaunt zu ihrem Sohn. Hatte er das wirklich verstanden? »Ich denke nicht das er meine Worte verstanden hat«, beantwortete Babi ihre stumme Frage: »Sein Gefühl sagt ihm wohl, dass ich ihn Begrüßt habe. So hast du auch reagiert als Windelfüller.« Lachte sie Andreas an: »Děda braucht noch etwas im Bad. Nonno wird auch bald erscheinen.« Andreas antwortete ihr auf Tschechisch und Babi nickte: »Mach nur. Ich sage Gabriele er soll die Brötchen in den Ofen schieben.« Danach zog sich Andreas zurück.

»Ich kann schon etwas Tschechisch, doch was meinte Andreas zum Schluß?«, fragte Carsten seine Großmutter. »Er geht in den Salon und bereitet die Bescherung vor. Er sagte, dass Cedric sich freuen wird und wir frühstücken anschließend. Dann kann unser kleiner Held seine Siesta halten, wenn er mag.« Es war eine hervorragende Lösung für alle. »Ihr wäret uns nicht böse?«, fragte er noch einmal nach.

»Bambino! Ein absurder Gedanke. Weihnachten ist die Zeit der Familie und eine magische für Kinder. Genieße solange du kannst. Obendrein braucht es noch eine Weile, bis die Brötchen fertig gebacken sind. Nutzen wir diesen Moment zusammen mit Cedric«, meinte Babi zuversichtlich. »Morgen zusammen«, begrüßten Stefano, Ercan und Jihan die Anwesenden. »Frühstück?«, stellte Ercan seinen Status nach Hunger fest. »Dauert noch etwas. Andreas möchte uns warme Brötchen servieren.« »Welch ein Komfort! Welche Bäckerei hat am Weihnachtsmorgen geöffnet?«, wunderte sich Jihan. »Unsere Hausbäckerei!«, überraschte ihn Carsten. »Den Teig hat Andreas wohl gestern schon vorbereitet. Nonno soll ihn gleich in den Ofen schieben.« »Dann warten wir solange. Euer kleiner Mann hat schon gefrühstückt?« »Natürlich! Wir sind schon seit Stunden auf den Beinen. Er brauchte einfach seine kleine Mahlzeit, damit er für die Familie Energie hat. Immerhin sind seine Tante und Onkels noch gut zu beschäftigen …«, plauderte Carsten locker vor sich hin.

Jihan lachte: »Ihr hätte eure Gesichter gerade sehen sollen. Carsten hat euch kalt erwischt.« »Wie Bitte?«, fand Stefano als erster seine Sprache wieder.

»Kinder haben ihren eigenen Schlafrhythmus. Da ist die Nacht auch schon mal vor sechs für die Eltern vorbei. Ihr werdet es bestimmt noch erleben«, klärte Jihan seine Verwandtschaft auf. »Habt ihr auch schon Kaffee oder Tee?« »Kaffee. Da ihr alle hier seid, könnt ihr euch auch nützlich machen«, übernahm Carsten die Initiative. »Stefano setzt doch noch frischen Kaffee an. Ercan, wenn deine Schwester gleich erscheint, dann deckt doch schon den Tisch. Jihan, könntest du bitte Tee zubereiten?« »Veronika, bevorzugt ihr einen bestimmten Tee am Morgen?«, wandte sich Zio Jihan an Babi. »Einen Breakfast Tea?«, äußerte sie ihren Wunsch. »Kräftig oder eher milder? Wir haben zwei Sorten an Breakfast Tea«, informierte Carsten. »Den kräftigen bitte.« Jihan nickte ihr zu. Dann suchte er sich entsprechende Utensilien zusammen. »Abba, Dada bubuh!«, meldete sich Cedric zu Wort und tat seine Beobachtungen kund. »Du meinst, ich soll mal die Näpfe einsammeln?« »Da!« »Kommt gar nicht infrage, da brauche ich deine Hilfe.« Carsten nahm Cedric an sich und gingen zu dem Platz, wo die geleerten Hundenäpfe standen. »Da Mau mmh.« Die Anwesenden schmunzelten über die Ausdrucksweise, als Carsten den Napf des Katers nehmen wollte. »Dann lass ich ihn noch stehen. Charaid wird bestimmt später noch weiter fressen«, bestätigte er seinen Sohn. Die Hundenäpfe stellten sie auf der Spüle ab. »Die machen wir später wieder sauber. Erlaubst du deinem Papa etwas Kaffee zu trinken?« »Da!« Carsten setzte Cedric wieder in seinen Stuhl. Babi gab ihm eine Scheibe Toastbrot: »Hier. Darauf darfst du sabbern, was das Zeug hält.« Als Antwort bekam sie ein strahlendes Lächeln. Carsten schenkte sich eine Tasse, ein. Cedric sah, dass er einen Finger in die Tasse hielt. Als der Kaffee den Finger berührte, hörte Carsten auf. Babi sah den Jungen sich seine kleinen Finger ansehen. »Cedric hat gerade eine neue Erfahrung mit deiner Gewohnheit, wie du dir Kaffee einschenkst, gemacht.« »Ein aufgeweckter Junge. Er lernt, wie ich mich zurechtfinde, obwohl ich nichts sehe. Er hat schon die Erfahrung gemacht, dass ich um mich herum alles zur Kenntnis nehme.« »Wie das?« »Ich habe ihm eine Flasche zubereitet und wandte ihm meinen Rücken zu. Dabei fragte ich ihn, ob er mit mir zufrieden ist. Ich fühlte, wie er mich beobachtete. Danach schwieg er eine Weile. Möglich, dass er darüber nachdachte.« »Ja, kleine Menschen lernen in den ersten Monaten wirklich sehr schnell. Vor allem, was um sie herum geschieht.« Carsten hörte Babi interessiert zu. Ihre Unterhaltung wurde durch weitere Gäste unterbrochen. Als Nonno hinzukam, unterrichtete Babi ihn. Carsten staunte nicht schlecht, dass sie ihm alles auf italienisch erklärte. »Klar mache ich das. Es dauert etwa 30 bis 45 Minuten«, war seine schlichte Antwort. »Kannst du mir bitte schon einen Tee einschenken?«, bat er Jihan. »Welchen Ofen benutzt du?«, fragte ihn Carsten. »Den großen, es sind ca. 25 Brötchen. Das geht ganz gut auf zwei Ebenen. Warum?« »Wegen der Zeit. Bei dem E-Ofen gibt es eine Einstellung zur Backzeit. Die fehlt bei dem Gasofen.« »Ist nicht weiter tragisch. Ich stelle mir eure Küchenuhr entsprechend ein.« »Vergiss es nicht, Andreas möchte für Cedric mit der Bescherung beginnen, wenn alle auf sind.« »Lange kann es nicht mehr dauern. Merlin, Paul und Luise sind ebenfalls schon auf den Beinen.«

Müde trudelten alle ein. »Morgen zusammen«, begrüsste Luise alle. »Wo ist denn Andreas?« »Der bereitet den Salon vor. Cedric hatte schon sein kleines Frühstück.« »OK. Habt ihr schon Kaffee?« Fragte Paul und Merlin gleichzeitig. »Bedient euch. Tee in der weissen Kanne und Kaffee in der roten.« »Ich habe deine Tabletten mitgebracht«, wandte sich Děda an seine Lebensgefährtin. »Du bist ein Schatz. Die habe ich vollkommen vergessen«, bedankte sich Babi. »Es war mein Fehler. Ich habe das Journal gestern Abend darüber gelegt. Möchtest du ein Glas Wasser?« Ohne eine Antwort abzuwarten stellte neben der Tablettenbox ein Glas ab. Cedric fand die bunte Dose interessant und wollte sie haben. Babi legte ihre Hand darauf. »Ich denke das ist nichts für dich. Da sind meine Tabletten drin.« Cedric begann zu schmollen und das nicht geräuschlos. »Da kannst du ruhig schmollen! Deine Oma ist da unerbittlich«, meine Děda versöhnlich, »ich darf damit auch nicht spielen.«

Die Familie grinste über diese Aussage und der Junge schaute sein Urgroßvater mit großen Augen an. »Oh!«, meinte Cedric nur. Die Familie lachte laut und die heitere Stimmung wirkte: Langsam änderte sich der Gesichtsausdruck zu einem schelmischen Lächeln.

Andreas bekam lediglich eine sehr vergnügte Familie zu Gesicht, als er die Küche betrat. »Madainn mhath! Es ist alles vorbereitet.« Mischte er Scots in seine Begrüßung. Die Familie ging gemeinsam zum Salon. Cedric wunderte sich etwas über diese kleine Prozession. Dann öffnete Andreas die Tür. Der Salon erstrahlte in einem weichen Licht. Anstelle üblicher Weihnachtsmusik ertönte ihr spezieller Song ›O Holy Night‹ in einer besonderen Interpretation. Cedric wurde ganz ruhig auf Carstens Arm. In seinen Augen spiegelten sich die kleinen Kerzen des Weihnachtsbaums und das kleine Gesicht leuchtete vor Staunen. »Frohe Weihnachten!«, wünschte Andreas seiner Familie leise. Dann bedachte er jeden seiner Männer mit einem zärtlichen Kuss. Es dauerte einen Moment, bis die Musik verstummte.

»Ohne Beleuchtung sah alles schon sehr beeindruckend aus«, begann Paul, »jetzt wirkt alles zauberhaft auf mich.« Andreas sah sein Erstaunen. »Dieses kleine Wunder hast du Andrea, Stefano und Luise zu verdanken.« Nonna war von der Musik fasziniert. »Bambini, ihr habt Stil in der Auswahl eurer Musik. Der Song passt einfach zu euch und diesem Ort.« »Danke. Wir sollten langsam zur Bescherung übergehen. Hat einer etwas dagegen, wenn Cedric beginnt?« Andreas stellte diese rein rhetorische Frage. Carsten setzte sich mit dem kleinen Mann in einen Sessel. Andreas ging zum Baum und entnahm dort ein in buntes Papier gewickeltes Geschenk. Damit ging er zu seinem Sohn. »Baba?«, fragte dieser überrascht. »Frohe Weihnachten Cedric Francis. Eine kleine Überraschung von deinen Papas.«

Cedric versuchte das Papier mit seinen kleinen Händen zu entfernen. Andreas und Carsten halfen ihm ein wenig. Dann sah er den kleinen Hund aus Holz vor sich. Es dauerte einige Sekunden, bis er das Spielzeug wiedererkannte. »Oh! Dada!«, freute sich der kleine Mann. »Mir scheint, unsere Wahl war genau richtig«, kommentierte Andreas leise in Carstens Ohr.

Es war diese ehrliche Freude, welche allen die Bedeutung des Festes verdeutlichte. »Dada. Abba lieb. Baba lieb.« Bedankte sich Cedric auf seine Weise. Beide Papas gaben ihm einen liebevollen Kuss. Mit dem Spielzeug in der Hand wedelte Cedric ein wenig. Dann ging es weiter. Von seinen Omas bekam der kleine Mann den schönen Strampelanzug mit den vielen bunten Enten. Dazu noch einiges an Spielzeug von Andrea und Stefano. Ercan bedachte seinen Neffen mit dem Bilderbuch der kleinen Raupe Nimmersatt.

Ein Highlight war, als Andreas Carsten mit einem beigen Westernhut überraschte. »Du bist hier oft mit den Hunden unterwegs, er wird dich vor Regen schützen«, war seine begleitende Worte. »Danke.« Dann war Andreas dran. Ganz überrascht war er, als Carsten ihm mit einem dunkelbraunen Cowboyhut bedachte. Die Familie lachte. Andreas bekam feuchte Augen, als er das Geschenk seine Großeltern in den Händen hielt. Zur Probe hielt er den Pullover an seine Brust. »Passt perfekt.« Beurteilte Babi das Bild. So ging es weiter. Luise überraschte Paul mit einer vierwöchigen Kreuzfahrt im Spätsommer auf der Sea Cloud II. »Darling, ich bin sprachlos.« »Dich einmal sprachlos erleben kommt einem Wunder gleich.« Kam es keck zurück. Paul gab Luise einen liebevollen Kuss. Luise war an der Reihe. Paul gab ihr eine kleine Schachtel und einen Umschlag.

Nach dem öffnen, beschrieb Andreas Carsten die Situation. Luise hielt nach dem öffnen ihres Geschenkes ein Spielzeug Ferrari in den Händen. Sprachlos und enttäuscht sah sie ihren Gatten an. Paul schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben und wies auf den Umschlag. Luise machte große Augen: Im Umschlag lagen zwei Tickets. »Meine kleine Rennmaus, ich hoffe du magst hochgezüchtete Rennwagen?«, klang Pauls Stimme versöhnlich. »Welch eine Frage.« »Mama?« »Dein Papa hat mich zum Rennwochenende in Silverstone eingeladen. Inklusive Backstage bei Ferrari. Dazu darf ich einige Runden in einem klassischen Rennwagen drehen.« »Wow, das ist ein Herzenswunsch von dir.« »Ich kenne halt deine Mutter.« So ging es weiter. Carsten spürte wie sehr sich die anderen mit kleinen persönlichen Aufmerksamkeiten eine Freude bereiteten. Auch Merlin wurde mit kleinen Präsenten bedacht. Zuletzt meldete sich Andreas noch einmal zu Wort. »Carsten, ich weiss das unser Sohn gerne Bilderbücher betrachtet. Daher habe ich noch eine kleine Überraschung für ihn: Ein Bilderbuch. Bitte gib du es ihm.« Carsten tat wie ihm geheißen und Cedric guckte interessiert das bunte Buch an. »Tja, da wirst du ihm viele Geschichten daraus erzählen«, schlussfolgerte Carsten. »Das kannst du auch«, widersprach sein Schatz. »Du weißt aber schon, dass ich keine Bilder sehe?«, machte Carsten auf ein kleines Hindernis aufmerksam. Andreas schmunzelte. »Probiere es einmal«, forderte er ihn auf. Carsten schlug die erste Seite des recht großen Buches auf und ließ seine Finger über das Bild gleiten. Dann spürte er die kleinen Noppen. »Wow. Ich kann Bildbeschreibungen lesen«, war er mehr als überrascht. »Ich wollte dir gemeinsame Zeit mit Cedric schenken. Das ist doch ein guter Anfang.« »Danke.«

Dann räusperte sich Nonno: »Also wir, eure Großeltern haben uns gedacht, für euch noch ein gemeinsames Geschenk zu machen.« DÄ›da stand auf und holte ein recht großes und flaches Geschenk hervor. Andreas nahm es in Empfang und gemeinsam mit seinen Männern öffneten sie es. Zum Vorschein kam ein handkoloriertes Foto. »Also es ist euch wirklich gelungen. Ein Porträt von euch allen im Garten. Mit Friedemann und Max. Das war bei unserem ersten Besuch in Milano«, beschrieb er das Bild. »Du erinnerst dich? Es war zwei Tage vor deinem Geburtstag. Nonna hatte die Idee dazu, ein Foto monochrom auf Leinwand auszudrucken und es anschließend von einem Maler wieder mit Ölfarbe zu kolorieren. Das Bild haben wir entsprechend rahmen lassen. Carsten, auf der unteren Leiste ist der Titel in Braille. Es ist ein strukturierter Rahmen und wir hoffen alle deinen Geschmack getroffen zu haben.« Carsten fuhr mit seinen Händen über den Rahmen. Es war etwas besonderes. Das Holz fühlte sich warm an. Die künstlichen Strukturen verrieten ihm, wer wo zu sehen war. Es war ein kleines Kunstwerk. »Wenn Du einverstanden bist, hängen wir es hier im Salon auf. So haben wir alle etwas davon«, fragte Andreas vorsichtig. »Ja, das hätte ich dir auch vorgeschlagen«, stimmte Carsten dem Vorschlag zu. Andreas stellte das Bild zur Seite. Die Geschenke waren verteilt und doch machte Cedric ein nachdenkliches Gesicht. Dann tat er seine Überlegungen mit einem Wort kund: »Dadas?« »Oh, du bist sehr aufmerksam«, beantwortete Carsten die Frage. »Leonardo! Salvatore!« Die Hunde setzten sich vor den Dreien ab. Andreas übergab seinem Sohn zwei neue Spielseile. »Gib du ihnen ihre Spielzeuge«, forderte er seinen Sohn auf. Cedric verstand es zunächst nicht. Dann machte es Klick in seinem kleinen Kopf und übergab die Seile. Die anderen Hunde wurden mit ähnlichen Spielzeugen versorgt. Wolf bekam als Gasthund einen besonderen Knochen. Mit einem ›Teddy buh buh‹ beendete der kleine Mann diese Aktion. Carsten legte seinen Sohn in sein Tagesbett, seinen Teddy und das neue Spielzeug dazu. »Schlaf ein wenig«, flüstere Carsten, doch Cedric bekam es nicht mehr mit. Seine Augen fielen einfach zu.

Dann galt es sich um das Frühstück zu kümmern. Da alle mithalfen, konnte das Breakfast bald beginnen. Die Hunde machten sich rar.

»Bambini, es war eine schöne Bescherung.«, meinte Nonno. »Wir haben in London uns ein Ritual angeeignet. Daran wollten wir eigentlich festhalten«, erläuterte Carsten. »Seit wir hier her gezogen sind, ist einiges passiert. Mit Cedric hat sich alles geändert«, fuhr Andreas fort, »nicht nur, das wir unseren Alltagsablauf geändert haben. Hand aufs Herz. Wer steht schon gern mitten in der Nacht auf, um einen kleinen Menschen die vollen Windeln zu wechseln, füttern und das alles.« Wissendes schmunzeln machte sich auf den Gesichtern breit. »Doch es ist ein wunderschönes Gefühl, einfach neben dem Bett zu sitzen. Wenn eine kleine Hand sich an deinen Fingern festhält und du spürst, dass du ihm Sicherheit gibt. Allein dieses Gefühl ist für mich all der Mühen wert. Carsten und ich haben uns darauf geeinigt, ein wenig von unserer Tradition beizubehalten. Die Musik, das die Lichter erst am Weihnachtsmorgen leuchten. Alles andere wird von nun an durch uns Dreien gelenkt.« »Es ist klug von euch. Als Andrea und du in unser Leben getreten seid, haben wir ebenfalls viele kurze Nächte gehabt. Im Gegensatz zu euch mussten wir beide immer aus den Federn. Ihr habt fast immer alles synchron gemacht.« »Oh, ja. Und oft genug auch gleich zweimal direkt hintereinander.« Lachte Paul.

»Luise, darf ich dich zu dem Konzert von gestern etwas fragen?«, wechselte Nonno das Thema. »Natürlich, was möchtest du wissen?« »Das Stück heißt doch Schottische Fantasie. Was war denn daran typisch für Schottland?« »Nun eigentlich ist die offizielle Bezeichnung Fantasie für die Violine mit Orchester und Harfe unter freier Benutzung schottischer Volksmelodien Opus 46«, antwortete Luise. »Angeblich hat Max Bruch darin diverse Themen aus Volksliedern verewigt. Das ist aber schon alles, was ich dazu weiß«, gab Luise zu.

»Max Bruch schrieb das Werk im Winter 1879«, sah sich Carsten in der Pflicht, Nonno’s Frage zu beantworten. »Es ist ein viersätziges Werk. In jedem Satz wird der Charakter eines Volksliedes wiedergegeben. Der erste Satz endet melodisch mit dem Volkslied: Auld Rob Morris, vertont von Robert Burns. Im zweiten Satz verwendete Bruch die Volksweise: The Dusty Miller. Ebenfalls von Robert Burns vertont. Für Bruch war es wohl die in dem Lied charakterisierte überschwängliche Weise eines staubigen Müllers. Besonders ist jedoch die Verwendung eines Borduns. Also ein tiefer Halteton, der von einem A' phìob mhòr bekannt ist.« »A' phìob mhòr?«, unterbrach DÄ›da fragend. Merlin grinste, weil Carsten ebenfalls hin und wieder ins Scots verfiel. »A' phìob mhòr ist die in den Highlands verwendete Große Sackpfeife oder bekannter als großer Dudelsack.« »Genau, danke Merlin. Der dritte Satz wird von der Melodie des Stücks I’am Down for Lack of Johnnie dominiert. Die Violine und Harfe stehen da in einem Dialog. Das Orchester übernimmt das Motiv und die Geigen beginnen mit den Soloinstrumenten ein Zwiegespräch. Ich finde es ist ein sehr poetischer Satz.« Carsten machte eine Pause. Er nahm ein Schluck Kaffee. Seine Familie blieb still und mit seiner kleinen Exkursion hatte er einen wahren Spannungsbogen aufgebaut. Andreas hing förmlich an seinen Lippen.

»Der vierte Satz steht zu den drei vorherigen thematisch im Kontrast. Es ist sozusagen ein Kontrapunkt in der Komposition. Roibert a Briuis oder besser bekannt als Robert the Bruce König von Schottland intonierte bei der Schlacht um Bannockburn 1314 Scots wha hae. Der Legende nach ist das die Ansprache des Königs an seine Armee vor der entscheidenden Schlacht gegen Eduard II. von England und in der Fantasie wirkt es kriegerisch. Stellt jedoch den Mut und die Entschlossenheit der schottischen Clans in den Unabhängigkeitskriegen dar.« Carsten war in seinem Element. Er vermittelte sein Wissen, ohne aufdringlich zu wirken. »Max Bruch hat mit dieser Fantasie ein musikalisches Bild der Highlands gezeichnet. Mit all den Charakteren der hier leben Menschen. Es ist neben der Schottischen Symphonie und die Hebriden-Ouvertüre von Felix Mendelssohn - Bartholdy eine ehrliche Hommage an Schottland.«

Wieder machte er eine künstlerische Pause seiner Worte Wirkung wohl bewusst. »Da kommt ganz der Musikwissenschaftler in dir durch«, unterbrach Jihan die Stille: »Musst du so etwas wissen?« »Es gehört mit zur Musikgeschichte und interessiert mich einfach. Wir leben hier. Die Komponisten ließen sich von den verschiedenen Kulturen inspirieren. Wo wir bei Max Bruch sind, die Inspiration zu dieser Komposition hatte er wohl durch den schottischen Schriftsteller Walter Scott erlangt. Zumindest sagte es Bruch der Überlieferung nach selbst. Nach dem ersten und zweiten Violinkonzert sollte man meinen, er würde sich mit Spieltechnik einer Violine auskennen. Doch zu diesem Stück bat er seinen Freund Joseph Joachim, beim Fingersatz und der Bogenbezeichnung mitzuwirken. Ich müsste einmal meinen Kollegen fragen, was das Besondere an dieser Applikatur ist.« Luise räusperte sich: »Jedenfalls ist sie ungewohnt. Erlaubt aber ein ergonomisches greifen der Töne. Dazu muss der Bogen etwas anders angesetzt werden. Mein Violinlehrer sagte mir, dass der Sound diese Komposition nur mit diesem speziellen Fingersatz zur vollen Geltung kommt.«

»Gibt es Fingersätze auch für andere Instrumente?«, wurde nun Nonna neugierig. »Ja. Vor allem bei Saiteninstrumenten gibt es unzählige. Sie verhelfen dem Interpreten bei Ausdruck einer Komposition. Meine Schüler lernen erst den grundsätzlichen Fingersatz für Tasteninstrumente. Später erfolgen weitere Varianten«, meinte Carsten, »Kreuzen, Springen und so weiter.«

»Bambino. Machst du deswegen immer diese Fingerübungen?«, hakte Nonna nach. »Nicht nur deswegen. Vor allem dient es dazu, die Finger und die Hand zu lockern. Ich glaube, es ist so ähnlich wie beim Stricken. Es dauert immer etwas, bis die Gelenke geschmeidig sind. Danach klappern die Nadeln gleichmäßig.« Die Ladies kicherten. Carsten kannte sich auch mit Handarbeiten aus. Aus dem Babyphon drangen undefinierte Geräusche. »Tiger, ich gehe mal nach unserem Sohn sehen.«

Als Andreas die Tür zum Salon öffnete, bot sich ihm ein lustiges Bild. Cedric saß in seinem Bett. Fünf Hunde lagen in einem Halbkreis davor und sahen zu dem kleinen Mann. Cedric babbelte vor sich hin und die Hunde hörten ihm zu. »Baba!« Freute sich der kleine Mann. »Wie ich sehe hast du Leonardo und seinen Freunden von deinen Träumen berichtet. Magst du auch deiner Familie davon erzählen?« »Da!« »Dann gehen wir alle mal zu ihnen. Vielleicht hat dein Papa auch noch ein wenig zu trinken für dich.« Andreas nahm seinen Sohn aus dem Bett. Gab ihm seinen Teddy. »Baba. Dada!«, wollte der Junge auch sein neues Spielzeug haben. Beides ging jedoch nicht. Da Cedric sich mit einem Arm an Andreas festhielt. Der Papa erkannte das Problem: »Weisst du was? Ich gebe dir dein Hund und trage für dich deinen Teddy. Dann hast du alle dabei.« Seiner Mimik nach schien Cedric mit dem Vorschlag einverstanden zu sein. Er gab seinen Teddy an seinen Baba weiter und erhielt dafür seinen kleinen Spielzeughund. »Siehst du! So hat alles seine Richtigkeit.« Gemeinsam gingen sie in den Dining Room. »Abba, da Dada un Teddy.« Tat er seinen kleinen Erfolg kund und wedelte mit seinem Holzhund. Andreas setzte Cedric in seinen Stuhl neben Carsten. »Das ist ja Großartig«, widmete sich Carsten dem kleinen Mann. »Abba, mmh? Teddy und Dada?« »Oh, ich habe nur eine Flasche. Magst du mit deinem Teddy und deinem Hund teilen?« Cedric fand die Idee gut und gab zuerst seinem Teddy ein wenig zu trinken. Dann fiel ihm ein, das Hunde ja nicht aus einer Flasche trinken. Also versuchte er eine Untertasse zu greifen. Merlin erkannte sein Vorhaben. Er nahm die Tasse herunter und schob den kleinen Teller zu Cedric. Dieser gab einige Tropfen aus der Flasche darauf und stelle den Hund dazu. »Dada mmh?« »Das ist genau richtig so. Dein Hund kann jetzt trinken.« Kommentierte Merlin. Zwischenzeitlich hielt Carsten dem Jungen die Flasche hin. Geschickt lenkte dieser den Nuckel zu seinem Mund und begann zufrieden daran zu saugen. Immer seinen Spielzeughund im Blick.

»Das war ein gutes Frühstück«, meinte ein zufriedener Stefano. »Dem stimme ich zu. Also Männe, gehen wir mit den Hunden raus.« »Gibst du mir eine halbe Stunde?« »Keine Sekunde länger. Gina wird ungeduldig«, stichelte Andrea ihren Mann an. »Schwesterchen, unsere Bande muss auch raus. Den ganzen Tag im Haus macht sie nur quengelig. In einer halben Stunde am Porch? Willst du uns begleiten Cedric?« »Abba? Dada wee un ahh?« Carsten nahm es als Zustimmung. »Natürlich. Und sie wollen sicher auch miteinander toben.« »Uii.« Wurde Cedric hibbelig.

Eine halbe Stunde später trafen sich fünf Hunde und junge Leute im Porch. Carsten und Andreas hatten ihre neuen Hüte auf. Cedric trug seine kleine Pudelmütze. »Luise hat dir eine schicke Mütze gestrickt.« Bewunderte Stefano das bunte Kleidungsstück. »So ganz geheuer war ihm die Mütze nicht. Es bedurfte ein wenig Überzeugungsarbeit. Er hat das Teil genau untersucht. Weil sie so schön weich ist fand er es dann ganz lustig, als ich sie ihm aufsetzte. Scheinbar mag er sie.« »Er sieht glücklich aus.« Andrea band ihrem Stefano seinen Schal. »So erkältest du dich nicht. Es wird Zeit, Ginas Schweif rotiert wie ein Propeller.« Andreas öffnete die Tür. Die Vierbeiner stürmten hinaus. »Dada wee!« Kommentierte Cedric den Vorgang. Die Gruppe machte sich auf. Am Tor waren die Hunde wieder bei ihnen. Die kleine Gina scheuchte Leon ein wenig. Leonardo blieb an Carstens Seite. »Lauf schon, Leonardo. Andreas und Cedric passen ein wenig auf mich auf. Erst etwas skeptisch, dann stürmisch begann er Salvatore ausgelassen zu jagen. »Es ist immer wieder schön mit anzusehen, wenn unsere Bande tobt. Selbst Leon kann Ginas Aufforderung nicht widerstehen.« »Es tut ihm gut. Seine Knochen kann er später in aller Ruhe wieder sortieren.« So als ob Leon Stefanos Worte verstand, ließ er sich weiter von Gina gängeln. »Abba pielen dada?« »Ja. Leon lässt sich von Gina animieren. Ich kenne Leon schon als Welpen. Er hatte als junger Hund immer Flausen in seinem Kopf«, beantwortete Carsten die Frage. »Die Flausen hat er noch immer in seinem Kopf, Cedric«, fügte Andrea dem Dialog hinzu. »Als Ginas Papa hat er ihr all die Flausen beigebracht. Vielleicht denkt er jetzt, dass es ein Fehler war. Denn so wie sie ihn jetzt zum Spielen auffordert, hat er auch seine große Schwester Max aufgefordert. Dafür hat Max ihn manchmal ganz schön gezeigt, wo es langgeht.« »Leon baba?«, fragte Cedric nach. »Ja. Leon ist Ginas, Leonardos und Salvatores Papa. Er lässt sich viel gefallen, doch wenn seine Kinder es übertreiben, dann zeigt er, wo die Grenzen sind.« »Leon good Baba!« Dann gähnte er. »Ich glaube, dein Sohn ist einem Nickerchen nicht abgeneigt.«, flüsterte sie ihrem Bruder zu. Genauso leise antwortete er: »Ich weiß. Er kann in dem Tuch ruhig etwas schlafen. Bis wir zurück sind, dauert es noch etwas. Wenn ich mich nicht irre, benötigen wir mindestens noch zwanzig Minuten. Die Runde fällt dafür etwas kürzer aus.« Andrea hakte sich bei ihrem Bruder ein. »Sei es drum. Dann gehen wir heute Nachmittag noch einmal raus. Wo sind wir eigentlich?« »Wir sind quasi einmal um das Haus gegangen. Weil der Wanderweg zur Zeit überflutet ist, haben wir den anderen Weg genutzt. By the way, Andreas und ich haben vor, das Gelände zu erwerben. Zur Landschaftspflege möchten wir Borerayschafe einsetzen.« »Interessant. Das wird allein nicht ausreichen. Die Schafe fressen zwar selektiv, doch sie lockern den Boden nicht auf. Da braucht es Großtiere. Ideal wären Pferde. Mit ihren Hufen reißen sie Grasnarben.« »Kann man sie das ganze Jahr draußen halten? Du weißt wir haben keine Boxen oder einen Stall.« »Ich müsste mal Papa um Rat fragen, doch ich denke Shetland Ponys oder eine Gruppe Dülmener Ponys könnten sich hier wohlfühlen. Es würde ausreichen, wenn ihnen ein trockener Unterstand zur Verfügung stünde. Wie groß ist den das Gelände?« »Genaue Daten haben wir noch nicht. Es müssten so um die 10 Hektar sein.« Andrea dachte einen Moment nach. 10 Hektar sind wirklich nicht viel, wenn Schafe und Pferde sich das Gelände teilen sollten. »Fünf Tiere von jeder Gattung, vielleicht …«

»Wir sind jetzt östlich von eurem Haus?« Meinte Stefano zu Andreas. »Ja. Die Wege im Westen sind zur Zeit nicht passierbar.« »Wem gehört das Gelände?« »Der Gemeinde. Sie wollte es ursprünglich als Bauland verwenden, doch die Natur machte deren Pläne einen Strich durch die Rechnung. Ein hydrologisches Gutachten bestätigte, dass ein Trockenlegen des Areals negative Auswirkung auf die Region haben würde. Seitdem überlässt es die Gemeinde sich selbst. Carsten hat mir den Vorschlag unterbreitet, es zu erwerben. An sich ein schöner Landstrich, da braucht es nur viel Pflege. Paul meinte, eine Gruppe Borerayschafe würde ideal zur Landschaftspflege sein. Es gehörte mal zum Gut und diente als Wirtschaftsbereich. Es gab sogar mal eine Wassermühle. Davon ist jetzt aber nichts mehr zu sehen.« »Wenn ich bedenke, das in den vergangenen Jahrzehnten alles sich selbst überlassen wurde.« Resümierte Stefano. »Genau genommen seit dem letzten Krieg. Lord Rutherford benötigte finanzielle Mittel und veräußerte ein Teil seines Besitzes. Wahrscheinlich wegen der Wirtschaftskrise. Den Krieg überlebte er leider nicht.« »Leider?« »Ja leider. Von den Lords war er wohl der fortschrittlichste. Die kleine Mühle diente der Gemeinde zur Stromversorgung. Kommt nicht oft vor, dass jemand Geld investiert, um es letztendlich der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.« »Und das zu einer Zeit, wo die Wirtschaft quasi am Boden lag. Vielleicht hat er dafür anderes bekommen.« »Was zum Beispiel?« »Nun, die Menschen hatten kaum Arbeit. Da bot es sich an, für den Lord die Felder zu bewirtschaften. Zumindest konnte die Gemeinde sich so selbst versorgen.« »Der Gedanke hat etwas. Jedenfalls bin ich dem Vorschlag nicht abgeneigt. Es gibt uns mehr Raum zum Anwesen.« »Ich bin nur ein Betriebswirt, doch wenn ich mir das alles so ansehe. Es steigert den Wert eurer Immobilie.« »Das ist uns nicht so wichtig. Du hast die Skulpturen von Zio Jihan gesehen? Carsten hat etwas recherchiert. Die allein haben den Wert schon verdoppelt.« »Ehrlich? So wertvoll sehen sie eigentlich nicht aus.« »Es sind die Materialien. Der Marmor stammt aus Griechenland. Der Kubikmeter kostet rund 1,000 Euro. Es ist ein seltener Farbton. Für die Bronzen stellt Jihan die Legierung selbst her. Aus Erfahrung weiß ich, dass er sogenanntes Korinthisches Erz bevorzugt. Für seine Statuen nutzt er eine Legierung aus eben diesem Kupfererz mit 3% Gelbgold-, 3% Silberanteil, Palladium und Wolfram. Diese Legierung kostet pro Kilogram rund 400 Euro. Wir haben drei Bronzen mit jeweils 200 Kg und vier Marmorstatuen. Wenn ich das überschlage - und Jihan verschwendet kein Material - wurden etwa 10 Kubikmeter Marmor benötigt. Der Wert beläuft sich auf rund £ 215,000.« »Wow. Dabei wurde nicht einmal das Kunsthandwerk berücksichtigt.« »Carsten hat die Figuren mit einer halben Million Pfund versichern lassen. Dazu kam dann auch die Videoüberwachung des Haupteingangs.«

Stefano lachte plötzlich auf. »Gina! Du hast ja ganz schwarze Pfoten.« Andreas sah sich den Hund an. Tatsächlich. Doch nicht nur ihre Pfoten waren schlammig, sondern auch ihre Schnauze. »Ich würde sagen, eindeutig die Tochter von Leon. Der hatte oft genug seinen Fang in der Erde geschoben, um anschließend zu buddeln.« »Das macht sie gern. Leon achtet jedoch darauf, dass sie Mamas Beete nicht zu nahe kommt. Da gibt es so eine Tanne, da darf sie nach Herzenslust pflügen. Papa geht einmal die Woche dorthin, um mit einer Schaufel und Harke ihre Spuren zu beseitigen. Dort sind einige Löcher von Mäusen. Sie hält die kleine Sippe im Zaum.« »So ist die Natur, halt: Neugier, Räuber und Beute.« »Sie möchte mit den Mäusen spielen. Sie frisst sie nicht.« »Habt ihr keine Katze?« »In der Nachbarschaft gibt es genug Freigänger. Die sorgen schon dafür, dass Ratten, Mäuse und solch Getier keine überhandnehmen. Gina war sogar so mutig und hat sich mit einem Igel angelegt. Vor denen hat sie nun Respekt.« »Erwachsen werden ist manchmal schmerzhaft«, stellte sich Andreas die Situation vor. »Mama ist ganz froh, einen Igel im Garten zu haben. Mit Papa hat sie ein ganzes Wochenende daran gewerkelt, den Garten für diese Tiere zu gestalten. Hinter dem Stall gibt es einen geschützten Bereich. Dort ist alles, was ein kleines Igelherz begehrt für die Winterruhe. Ich weiß nicht einmal, wie Leon es geschafft hat, doch die Hunde meiden den Bereich.« Andreas wunderte sich etwas. Er kannte die Neugier, welche Leon an den Tag legen konnte: »Ob sich Igel und Leon mal unterhalten haben?« »Wäre ein lustiges Gespräch.« »Stefano, ich glaube, die Tiere haben eine eigene Universalsprache. Schnuppern, Körperhaltung, Bewegungen. Leon ist ein erfahrener Hund.« »Du hast sicher Recht. Jedenfalls hat der Igel dort seine Ruhe.« »Komm lass uns weitergehen. Bis zum Haus dauert es noch etwas. Vielleicht fällt bis dort hin noch einiges vom Schlamm ab«, orakelte Andreas. »Selbst dann, Gina ist eine kleine Wasserratte, sie will wohl noch geduscht werden.« »Nicht nur symbolisch. Ich kannte Arco und Max. Beide waren schon recht groß für Retriever.« »Gina ist da wohl eine Ausnahme. Andrea meinte einmal, dass sie vielleicht noch 10 cm zulegen wird. Damit bleibt sie jedoch unter dem Durchschnitt für Hündinnen ihrer Rasse. Aber uns macht es nichts aus. Sie hat genug Power, um mit jedem ihrer Brüder fertig zu werden.« Stefano hatte ein etwas verträumten Blick, als er davon sprach. »Weißt du, ich habe sie mal auf dem Rücken eines Pferdes gesehen. Sie wirkte da sehr glücklich.« »Andrea sagte bereits, dass Gina eine mutige Hündin sei. Auf bewegten Untergründen, die obendrein noch hoch über dem Boden sind, mögen Hunde normal nicht. Ich habe mal in London mit Salvatore einen Agilityparcours abgelaufen. Eine kleine Wippe wollte er einfach nicht betreten.« »Weigert er sich noch immer?« »Nein. Mittlerweile macht es ihm nicht mehr aus. Auf einem Ausflug ins Valley stand er mal auf einen schwimmenden Baumstamm. Das hat ihm Leonardo beigebracht. Die beiden standen darauf und hielten Balance. Dann begann der Stamm leicht zu rotieren. Es dauerte keine 2 Sekunden, da liefen beide auf einem sich drehenden Stamm. Salvatore hatte den Spaß seines Lebens«, erzählte Andreas verträumt von dem Tag. »Lass mich raten. Der Spaß endete mit einem Bad im Wasser?« »Klar!« Grinste Andreas seinen Schwager an. »Hey, ihr beiden. Wir sind wieder Zuhause«, holte sie Carsten aus ihrem Dialog. »Ist gut. Wir kümmern uns um die Vierbeiner. Gina mag wohl noch geduscht werden.« »Macht nur. Ich denke, unsere beiden hätten auch nichts gegen etwas feuchten Spaß. Der Teich ist zugefroren?« »Ein wenig. Jedoch denke ich, das Wasser ist ihnen etwas zu kalt.« »Na dann. Ich versorge unseren kleinen Mann«, informierte Carsten. Zu seinem Sohn: »Magst du einen kleinen Snack?« »Abba Pudding mmh!«, bestätigte Cedric. »Dann lass uns mal nachsehen, ob wir noch einen Pudding für dich finden.« »Tiger, wenn du einen kochen möchtest. Im Schrank stehen die Zutaten und ich denke, Schafmilch ist genau richtig.« »Glaubst du Babi kann uns helfen? Cedric möchte sicher zusehen.« »Frag sie einfach.«

In der Küche saßen Babi und Nonno bei einem Tee. »Sieh einmal, unsere Ausflügler sind zurück. Hat es Cedric Spaß gemacht?« »Klar. Einem Abenteuer ist er nicht abgeneigt. Allerdings fordert er ein Tribut.« Babi sah erstaunt zu ihrem Urenkel. »Babi Pudding!« »Das ist eine machbare Bezahlung. Dafür, das er dich beschäftigt hat.« Antwortete sie nicht ganz ernst. »Andreas schlug Schafmilch vor. Nur weiß ich nicht, welche Geschmacksrichtung dazu passt. Ich kenne eigentlich nur den griechischen Joghurt mit Honig.« Nonno dachte einen Augenblick über das Gehörte nach. »Grießpudding und dazu etwas Honig. Nicht zu süß und ist sättigend. Dauert nur etwas.« »Wir haben Zeit. Wir ziehen uns jetzt die warmen Sachen aus. Spielen und dann darf er sein Lunch genießen.« Meinte Papa Carsten bestimmt. »Abba Pudding?« »Den bekommst du auch. Babi und Nonno machen dir einen ganz leckeren.« »Weißt du was? Wir suchen uns die Zutaten zusammen und dann darf Cedric uns dabei helfen.« Schlug Nonno vor. Carsten fand die Idee ganz gut. Zumal er selbst auch etwas dabei lernen konnte. Es dauerte gerade mal eine viertel Stunde, da waren Cedric und sein Papa zurück. »So kleiner Mann, jetzt lernen wir, wie deine Nonni einen Grießpudding zubereiten.« »Da!« Nonno hatte so weit alles vorbereitet. Gemeinsam machten sie sich daran einen Pudding für Cedric zu kochen. Babi unterstützte Cedric beim Umrühren. Der Junge war so neugierig, dass er immer wieder in den Topf guckte. Babi lachte, wenn sich wieder einmal ein kleiner Kopf ihr die Sicht nahm. Nonno erklärte Carsten das Grundsätzliche. Dazu gab er auch einige Tipps, worauf Carsten achten sollte. Welche feinen Unterschiede es bei der Verwendung verschiedener Milcharten zu beachten sind. Carsten hörte aufmerksam zu. Obwohl es weitere 30 Minuten dauerte, war Cedric ganz bei der Sache. Im Topf blubberte es. »Hi hi bub, bub …«, machte er nach. »Jetzt dauert es etwas, bis der Pudding abkühlt.«, meinte Babi lediglich. »Dann machen wir es Cedric vor, das Kochen Spaß macht und Aufräumen dazu gehört.« »Eine glänzende Idee.« Gemeinsam räumten sie die Küche wieder auf. Dabei durfte Cedric den Erwachsenen zusehen. Untätig war er jedoch nicht. Er kommentierte in seiner Sprache die Tätigkeiten. Die ganze Aktion machte den Jungen müde. Nonno flüsterte Carsten zu, dass Cedric schläfrig wirkt. »Dann legen wir uns etwas hin. Könnt ihr den Pudding warm halten?« »Klar. Wir stellen ihn in den Ofen. Da kühlt er langsamer ab. Den Honig stellen wir separat dazu. Es schmeckt besser, wenn er kurz vor dem Verzehr auf dem Pudding kommt.« »Danke.« Carsten nahm Cedric an sich und sie gingen in sein Arbeitszimmer. Dort legten sie sich auf das Canapé. Es dauerte keine Minute und Carsten spürte, wie sein Sohn sich bei ihm entspannte. Er selbst nickte auch ein.

»Babi hast du Carsten gesehen?«, suchte Andreas seine Familie. »Er und Cedric haben sich hingelegt. Ich glaube, du findest sie in seinem Büro. Lass sie noch etwas ruhen.« »Was machst du da?« »Ich schreibe ein weiteres Rezept auf. Unser Urenkel war dabei, als wir ihm einen Grießpudding gekocht haben. Dabei hat Gabriele uns einige interessante Tricks verraten. Solche Feinheiten gehören einfach in die Rezeptsammlung der Familie.« »Wenn dem so ist, darf ich mir Kopien anfertigen?« »Mehrzahl?« »Sicher doch. Ich kann eure Rezepte ja lesen. Auf italienisch, tschechisch, deutsch. Carsten kann das nicht. Daher schreibe ich sie ab und drucke sie in Braille aus. Es wird sicher ein größeres Werk, aber macht sich bestimmt gut in dieser Küche.« Babi sah sich um. Andreas hatte recht. Im Regal standen schon diverse Rezeptbücher. Sie gaben dem Raum eine persönliche Note. »Stimmt. Und wenn Cedric sich dafür interessiert, lernt er auch Braille lesen und schreiben.« Andreas nickte nur. Dann fiel sein Blick auf ihre urige Küchenuhr. »Was meint ihr zu einem späten Lunch?« »Aber nur, wenn es keine Arbeit macht. Etwas leichtes?« »Es mach keine Arbeit. Einige Sandwiches sollten reichen. Stefano und ich haben unsere Hunde geduscht. Wolf hatte einige kleine Knötchen im Fell. Stefano hat ihn etwas getrimmt. Na ja, er sieht jetzt um Jahre jünger aus.« »Keine Angst, dass sein Besitzer ihn nicht mehr zurückhaben will?«, scherzte Babi. »Nein. Ben und Gwenda lieben ihn. Ich hatte das Gefühl, er genoss die Verjüngungskur.« Schlussfolgerte Andreas. »Tee?« »Mach du die Sandwiches. Ich kümmere mich um die Getränke.« Wenig später standen zwei Teller mit diversen kleine Broten vor ihnen und drei Kannen Tee und Kaffee. »Machen wir es uns im Salon gemütlich.«

»Abba? Wee!« Weckte Cedric seinen Papa. »Danke. Dann gehen wir zur Toilette. Du darfst auch die Spülung betätigen.« »Abba! Wee!!« Carsten beeilte sich. Cedric legte eine Dringlichkeit an den Tag, die sein Papa überzeugte. Die abschließende Spülung belustigte Cedric. »Ich denke, wir könnten eine kleine Stärkung vertragen. Was meinst du?« »Abba Budding?« »Daran habe ich auch gedacht. Gucken wir nach, ob er noch da ist.« Der Pudding war noch da. Carsten nahm ihn und den Honig aus dem Ofen. Gemeinsam verteilten sie den flüssigen Honig über die Portion. »Oh, ihr seid schon auf? Ich wollte euch gerade zu einem kleinen Lunch im Salon holen«, begrüßte Andreas seine Männer. »Das trifft sich gut. Cedric wird sich über etwas Gesellschaft bei seinem Pudding freuen.« Carsten nahm Cedric auf den Arm. »Abba, Baba un Budding?« »Den nehme ich mit. Im Salon sind auch deine Nonni und die Hunde.« Andreas nahm die kleine Schüssel mit dem Pudding. Im Salon saßen die anderen bei einem gemütlichen Lunch. Carsten setzte sich. Andreas reichte ihm die kleine Schüssel. »Der Löffel ist auf drei Uhr.« Carsten tastete nach dem Gegenstand. Dann begann er Cedric mit dessen Hilfe zu füttern. »Etwas Musik zur Unterhaltung?« »Gerne«, antwortete Carsten. »Andreas, wie wäre es mit einem weiteren Stück von Bruch?« »Was schwebt dir da vor?« »Ich dachte an das ›Romantische‹ Violinkonzert?« »Ich sehe mal nach, ob ich es finde.« Andreas ging in die Bibliothek. Im zweiten Teil orientierte er sich an Carstens System. Schnell fand er die CD mit dem Konzert. Es war ein wenig außergewöhnlich, zum Lunch ein klassisches Konzert zu hören. Doch Carsten wusste, wie welches Stück eine schöne Stimmung verbreiten konnte. Gerade zur Weihnachtszeit. Im Salon schaltete er die Musikanlage ein. »Nicht zu laut«, äußerte sich Carsten dazu. Luise dachte über die Konzerte von Bruch nach. Obwohl sie Bruchs Werke kannte, hatte sie keinen blassen Schimmer, was ihr Sohn mit dem ›Romantischen Konzert‹ meinte. »Hören wir gleich das G-Dur Violinkonzert?« Carsten reichte seinem schmatzenden Sohn einen weiteren Löffel Pudding. »Nein, das erste Violinkonzert ist zwar das bekannteste seine Konzerte, doch es ist weniger romantisch. Sein D-Dur Konzert trifft die Stimmung besser. Es gehört mit zu seinen Meisterwerken. Das Besondere des Konzertes ist der dritte Satz. Ganz speziell dem Virtuosen Joachim, seinem Freund gewidmet, wird dieser Satz von vielen sogenannten Doppelgriffen geprägt. Hört es euch einfach an und taucht in die Stimmung ein.« Antwortet ihr Carsten. Leise Orchestertöne wurden hörbar. Cedric unterbrach sein Schmatzen kurz. »Oh.«, meinte er, »Nonna?« »Nein, es ist nicht deine Oma. Doch du hast es gut erkannt. Noch ein wenig Pudding?« »Da!« Eigentlich wollte Carsten mit seinem Vorschlag lediglich die Situation musikalisch untermalen. Jedoch wurde es still von den Geräuschen seines Sohnes abgesehen. Andreas hatte den Sound gut ausbalanciert. Carsten wusste nicht, ob ihre Gäste sich wirklich für ein so frühes Konzert interessierten oder es einfach nur ihrem Anstand geschuldete war. Sein Sohn und er genossen es einfach. Nach ihrem Empfinden endete das Konzert viel zu schnell.

»Wow«, meinte Paul lediglich. »Es ist wirklich ein romantisches Werk.«, fügte DÄ›da hinzu. »Wieso wird es selten gespielt?« Carsten wischte gerade Cedric einen Puddingbart weg. »Ich glaube nicht, das es selten aufgeführt wird. Es ist einfach nicht so bekannt. Violinkonzert und Max Bruch verbinden die meisten mit dem 1. Violinkonzert. Es ist ja auch nicht ohne. Die Melodie des G-Dur Konzertes ist einfach geläufiger. Vielleicht ist es auch die Anlehnung an die Werke von Brahms, Mendelssohn-Bartholdy, Beethoven. Ich finde, dieses Konzert prägt einen besonderen Charakter der Violinkonzerte. Spieltechnisch ist es halt auch nicht gerade einfach zu handhaben. Einige von sich überzeugte Violinisten sind daran einfach gescheitert. Man muss die ganze Atmosphäre des Stücks fühlen.« Carsten unterbrach sich. Cedric hatte den Pudding verzehrt. Er wurde etwas hibbelig auf seinem Schoß. Er setzte ihn auf dem Boden ab. Andreas gab ihm seinen Teddy und den Spielzeughund. Damit konnte sich der kleine Mann eine Weile beschäftigen.

»Und Andreas kennt das Konzert? Immerhin hast du nur ›Romantisches Konzert‹ gesagt.«, schlussfolgerte Babi. »Für uns ist es ein besonderes Konzert. Carsten überzeugte mich während des Studiums einer Aufführung dieses Konzertes beizuwohnen. Anschließend gingen wir essen. Da hat Carsten mir einen Heiratsantrag gemacht. So etwas vergesse ich nicht. Daher reicht es für uns aus, es einfach so zu benennen. Bei anderen Werken benötige ich dann schon genauere Bezeichnungen.« »Ach, wie romantisch unsere Enkel sind.« Rutsche es Nonna heraus. Andreas lächelte verliebt seinen Tiger an. »Wo sind eigentlich Jihan, Merlin und Ercan?« Unterbrach Carsten eine momentane Ruhe. »Sie sind unterwegs. Kurz nachdem ihr weg ward«, berichtete Luise, »wollte Jihan sich die Umgebung ansehen. Merlin bot sich ihm als Fremdenführer an und Ercan wollte auch nicht den ganzen Tag im Haus sein.« »Hm. Das kann dann doch etwas dauern. Merlin kennt sich hier gut aus und mittlerweile genug Anekdoten der Farmer.«, grinste Andreas wissend. »Anekdoten?« »Natürlich Babi. Die Menschen haben einen besonderen Schlag. Sie können stur sein, streiten bei einem Bier aus Herzenslust und manchmal gibt es kleine Rangeleien. Doch sobald es um ihre Existenz geht, halten sie zusammen. Der Traktor eines Farmers streikte bei der Ernte. Es dauerte keine Stunde und es standen vier Traktoren zur Verfügung. Die Ernte wurde damit schnell eingebracht. Die Bezahlung erfolgte bei Ben mit einigen Lokalrunden. Ein anderes Mal, büxste eine Ziege aus. Sie verirrte sich in einem Vorgarten und fraß alles kahl. Die Diskussion am Gartenzaun war nicht ohne …«, erzählte Andreas. »Wie ging es weiter?«, war DÄ›da’s Neugier geweckt. »Letztendlich einigten sich beide Seiten auf einem Deal. Der Garten wurde von Grund auf neu angelegt. Bei der herbstlichen Gartenshow wurde der Garten ausgezeichnet. Die Besitzerin hoffte schon seit Jahren auf eine solche Anerkennung. Den durch die Ziege verursachten Schaden erwies sich im Nachhinein als Glücksfall. Merlin kennt sicher noch viele weitere Stories aus der Praxis.« »Sein Highlight wird wohl der Bulle mit dem gebrochenen Bein sein.« »Ich muss zugeben, er hat seine Sache wirklich gut gemacht. Selbst als es diese Infektion gab, behielt er einen klaren Kopf.« »Stimmt. Als er es feststellte, rief er Dr. Miller an. Dem Besitzer sagte er erst einmal nichts davon«, berichtete Andreas. »Warum nicht?« »Er wollte ihn einfach nicht beunruhigen«, pflichtete Andrea bei. »Ein Cattle bringt als guter Zuchtbulle einige £10,000. Ich denke, das sind Summen, die Farmer nicht aus der Portokasse begleichen.« »Du hast dich damit auseinandergesetzt?«, hakte ihr Vater nach. »Notgedrungen. Peter Huber denkt über eine kleine Herde dieser Gattung nach. Da will ich vorbereitet sein. Die Heriot-Watt University war so freundlich, mir entsprechende Informationen zur Verfügung zu stellen. Mich interessierte vor allem die veterinären Unterlagen: Krankheiten, Symptome, Behandlungsmethoden. Ich muss sagen, diese Rasse kann einiges bei guter Pflege wegstecken.« »Das ist der Vorteil bei Tieren, welche das ganze Jahr draußen bleiben. Der Nachteil ist eine geringere Milchleistung. Mit den hochgezüchteten Milchkühen können sie nicht mithalten.« »Das habe ich Peter Huber schon erklärt. Er meinte, dass es der EU-Milchquoten Verordnung entgegenkommt. Das Ministerium verlangt von ihm 30% weniger Milchproduktion. Mit dieser Rasse kompensiert er den Verlust. Ein Teil des Stalls lässt er zu einem Silo umbauen.« »Scheint ein guter Plan zu sein. Wenn er aufgeht.« Die beiden Veterinäre hatten ihr Thema.

»Baba?«, ertönte eine bittende Stimme: »Baba Dada wo?«, fragte ihn eine weinerliche Stimme. Andreas sah Cedrics traurige, tränenerfüllte Augen. Neben ihm lag lediglich sein Teddybär. »Leute, ich glaube wir müssen ein Spielzeug suchen!«, dann nahm er Cedric auf dem Arm. Erste kleine Tränen kullerten über seine Wangen. »Wir werden deinen Hund finden.« Es folgte ein liebevoller Kuss. Carsten war der erste, der auf dem Boden herumkroch. Ihm folgten Stefano, Andrea und Paul. Luise sah sich genau um. Die Großeltern standen auf und gingen mit wachen Augen umher. »Hat jemand gesehen, wo er überall war?«, fragte Nonno. »Ich sah ihn kurz am Baum. Dann war er unter dem Flügel«, antwortete Babi. »Bei den Hunden war er auch«, fügte Paul an. »Ich suche mal beiden Kudden«, kündigte Carsten an. Bei den Kudden fand er einen Schnuller, doch der Spielzeughund blieb verschwunden. Andreas ging mit Cedric ebenfalls umher. »Unser kleiner Held hat wohl kein Quadratinch ausgelassen. Auf dem Boden scheint er jedenfalls nicht zu liegen.« »Leonardo, Salvatore!«, ertönte die Stimme ihres Herrchen. Ohne ein weiteres Wort liefen sie mit ihren Nasen schnüffelnd umher. Am Dreisitzer machte sich Salvatore bemerkbar. Paul, Carsten und Stefano schoben das Möbel etwas zur Seite. Darunter lag der gesuchte Gegenstand. »Dada!«, freute sich Cedric. Dabei fuchtelte er wild mit seinem Arm. Stefano hob den kleinen Holzhund auf und übergab ihn seinen Neffen: »Dein kleiner Hund mag sich wohl gern verstecken. Das machen Hunde manchmal.« »Da, da.« »Es heißt so viel wie Danke.«, raunte Andreas ihm zu. Stefano nickte verstehend. Das glückliche Gesicht seines Neffen war ihm dank genug. Dann gähnte Cedric herzhaft. »Sieht so aus, als ob du nach diesem Abenteuer einer Pause nicht abgeneigt bist«, klang Andreas freundlich. »Buh buh machen!« »Carsten dürfen wir dein Arbeitszimmer nutzen?« »Mach nur. Dort hat er seine Ruhe und stell das Babyphone um.« Andreas sah ihn dankbar an. Cedric lag kaum in seinem Tagesbett, da schlief er auch schon. Andreas legte ihm seinen Hund und den Teddy zur Seite. »Sweet dreams.«

»Das war knapp«, meinte Carsten, als Andreas wieder bei ihnen war. »Gut, das seine Bodyguards eine feine Nase haben.« »So etwas werden wir noch öfters erleben.« »Willkommen im Kreis sorgender Eltern«, schmunzelte Luise. »Danke für die Warnung, Mama. Was würden wir ohne deine Weisheit nur machen?« »Noch immer nach einem Spielzeughund suchen?«, kam es keck zurück. »Wo du recht hast. Andreas haben wir noch Kaffee?« »Ich wringe mal die Kanne aus.« Andreas schenkte eine heiße Tasse Kaffee ein. »Vier Uhr Milch und Zucker 12«, gab er als Information. »Nein, nach dem Abenteuer schwarz.« Carsten genoss den schwarzen Aufguss. Andreas ging kurz aus dem Salon. Er rief Alessandro an. »Frohe Weihnachten. Wie steht es alles bereit?«, fragte Andreas. »Ja. Ich rufe mal die Familie zusammen.« Im Salon ging er zum TV schaltete diesen ein und aktivierte eine Webcam. »Eine kleine Überraschung haben Alessandro und ich für euch vorbereitet. Da die Familie heute nicht komplett gemeinsam feiern kann, haben wir ein kleinen Videochat vorbereitet. Andreas drehte sich um. Auf dem Bildschirm erschien Alessandro. »Buon natale a tutti voi. Mamma e papà hanno dormito qui oggi. Quindi non siamo svegli da così tanto tempo.« Nonna und Nonno lachten auf. »Bambino, non succede così spesso.« Dann wurde es ein gemütlicher Chat. Selbst aus der Ferne, spürte jeder die Freude sich zu sehen. »Sagt einmal«, wurde Andreas Zio neugierig, »Mamma sprach von einem Urenkel?« »Cedric schläft gerade. Wir möchten ihn nicht extra wecken.« »Nein, Mamma hat uns bereits ein Foto von ihm gemailt. Deine Zia fragte mich gerade wo er sei.« »Ich hoffe es ist noch eine Überraschung, dein Neffe heisst Cedric Francis.« »Wie Francesca? Ein schöneres Geschenk konntest du mir nicht machen.« Alle hörten wie betroffen Zio wirkte.

»Raphael, wie macht ihr das über die Feiertage mit dem Ristorante?«, fragte Nonno seinen Sohn. »Wir haben es geschlossen. Meine bessere Hälfte meinte, dass wir es uns leisten können. Obendrein möchte sie nach den Feiertagen eine Grundreinigung machen. Alessandro hatte auch bemerkt, dass wir ein technisches Upgrade benötigen. Gemeinsam mit einigen Freunden nutzen wir die kommende Woche dafür. Du kennst ja unsere Küche. Hast du da einige Vorschläge zu machen?«, fragte er seinen Vater. »Lediglich das sich die Fachfirma den Pizzaofen ansieht. Ich habe das Gefühl, die Temperatur ist nicht gleichmäßig.« »Wird sofort am Montag erledigt. Wir liegen zeitlich etwas vor euch. Marias Eltern kommen zum Mittagessen.« »Wir können uns ja später noch mal unterhalten«, machte Andreas bekannt. »Dann wirst du deinen Neffen sicher in Aktion erleben. Grins nicht so frech«, lautete seine letzte Antwort. Alessandro unterbrach die Verbindung. »Wie wäre es mit ein wenig Hausmusik? Ein paar Weihnachtslieder?«, schlug Luise vor. »Warum nicht? Am Klavier saß ich heute noch nicht.« Paul sah sich in der Pflicht, die Instrumente zu holen. Andrea bat ihren Gatten, ihre Querflöte zu holen. »Stefano, bring doch bitte auch die Bongos mit. Vielleicht hat Ercan ja auch später Lust, etwas zu spielen.« Stefano zog lediglich seine Schultern etwas hoch.

Wenig später ertönten die ersten Melodien. Es waren nicht nur bekannte Lieder. Nonno und Nonna gaben ein italienisches Duett zum Besten. Babi sah sich dazu aufgefordert, tschechische Volksweisen mit ihrem Enkel beizutragen. Andreas war ganz angetan. Dann machte die Familie von Feldbach ein kleines, aber feines Quartett. Anstelle eines Weihnachtsliedes spielten sie ein Kinderlied. Doch mit Violine, Gitarre und Flöte, begleitet von einem Flügel wurde ein lieblicher Song daraus.

»Das war wirklich ein schöner Nachmittag. Abrunden können wir den Tag heute Abend mit einigen Spielen?«, meinte Andreas. »Eine gute Idee. Doch nun sehe mal nach Cedric. Ich denke, er hat genug geschlafen.« Andreas ging zu seinem Sohn und wunderte sich. Cedric war wach. Wie er aus dem Bett kam, war ihm einfach ein Rätsel. Er saß mit seinem Teddy, umrundet von drei Hunden auf dem Boden und babbelte munter vor sich hin. Andreas lauschte seinen Ausführungen. Cedric hatte etwas Besonderes in seiner Stimme, sodass Salvatore ihm aufmerksam zuhörte. Wolf und Leonardo lagen lang ausgestreckt vor ihm, jedoch konzentrierten sie sich auch auf den kleinen Mann. Andreas räusperte sich ein wenig. »Baba! Dada lieb …« Danach folgte noch etwas Undefinierbares. »Du hast ihnen etwas erzählt. Da hören sie dir gerne zu. Magst du uns auch davon erzählen?« Zur Antwort breitete Cedric einfach seine Ärmchen aus. Andreas nahm ihn auf. Den Teddy hielt Cedric fest. Aus dem Bett nahm er noch den Holzhund. Sicher ist sicher. »Baba? Mmh Budding?«, fragte er. »Da muss ich mal nachsehen, ob wir noch welchen haben. Wir fragen einfach Carsten.« Gemeinsam gingen sie zur Familie. »Sag einmal Carsten, haben wir noch von dem Pudding?« »Natürlich«, antwortete ihm Nonno stattdessen, »wir haben drei Portionen gemacht. Standen in dem kleinen Ofen. Nur von dem karamellisierten Honig nicht. Vielleicht gibt sich Cedric mit etwas Erdbeer- oder Schokosoße zufrieden?« »Gute Idee, dann kreiere ich ein Smiley.«

Cedric sah sich den Pudding und das kleine rote Gesicht darauf an. »Hi!« Dann begann die kleine Zwischenmahlzeit. Cedric genoss den Pudding. Andreas half ihm ein wenig den Löffel zu halten. Den Rest schaffte er schon allein. Selbst wenn ein kleiner roter Bart seinen Mund zierte. »Ich mache ihm mal eine kleine Flasche mit Fruchttee.« Bot sich Nonna an. »Baba. Mehr Budding?« »Später gibt es noch eine kleine Schale. Jetzt muss sich dein Bauch erst etwas erholen oder willst du Bauchweh bekommen?« Es dauerte einen Moment, bis Cedric das Gehörte verarbeitete. Dann meinte er seinen Kopf schütteln zu müssen. Andreas nahm eine Serviette, um den roten Bart abzuwischen. Doch der kleine Mann drehte sich etwas und schwupp war die Soße auf dem Hemd seines Papas. »Du machst wirklich keine halben Sachen. Sei es drum. Dein Mund ist sauber. Magst du jetzt etwas spielen?« »Ball Dada.« Andreas setzte den kleinen Sportler auf dem Boden und gab ihm den Ball. Gina war die erste, die mit ihrer kleinen Schnauze das runde etwas vor sich her schob. Cedric hinter ihr her. Juchzend tollten beide auf dem Fußboden. Dann schlossen sich die anderen Hunde diesem Spiel an. Es dauerte keine halbe Stunde, da mischten auch beide Väter mit. Cedric freute sich. »Du, Paul, glaubst du Carsten wird einmal erwachsen werden?«, bemerkte Luise. »Warum sollten unsere Söhne erwachsen werden? Guck sie dir doch an. So viel Spaß hat man als nur als junger Mensch.« »Och, du willst doch nur mitspielen.« »Du hast es erfasst.« Den Worten liess er Taten sprechen. »Opa! Ball.« Paul schubste seinem Enkel den klingenden Ball zu. Mit beiden Händen griff er danach. Dann rollte er diesen zu seinem Abba. Carsten machte sich lang. Cedric krabbelte zu ihm. Als Carsten ihn spürte, tollte er mit ihm herum. Kitzelte ihn am Bauch. Kleine Hände wehrten sich. Doch er lachte vergnügt. Der kleine Mann schien langsam genug vom Toben zu haben. Er lehnte sich an seinen Abba. »Abba?« »Ja, was hast du auf deinem Herzen?« »Dada gucken?« Carsten brauchte etwas. Dann fiel der Penny. »Natürlich, dann gucken wir uns eine Bildergeschichte an. Dein Papa hat uns ein Buch geschenkt, darin blättern wir jetzt etwas.« Carsten rappelte sich auf und ging mit Cedric zu dem Zweisitzer. Dort machten sie es sich gemütlich. Andreas überreichte Carsten das entsprechende Buch. Der kleine Mann nahm beide Hände und schlug die erste Seite auf. Carsten ließ seine Hand über das Bild gleiten und las. Dann spürte er eine kleine Hand. »Dada.« Rief er aus. Carsten dachte sich eine Geschichte zu den Bildern aus. Cedric hörte ihm ganz aufmerksam zu. Doch nicht nur er allein. Die Familie war von dem Dialog angetan. Carsten flochte immer die Bemerkungen seine Sohnes mit ein. Er ließ sich auch durch die Rückkehr der Ausflügler nicht ablenken. Mit Handzeichen bat Andreas Jihan, frische Getränke zu holen. Wenig später brachten Jihan und Ercan eine Auswahl an Tee, Kaffee und für Cedric frischen Fruchttee. »Abba mmh!« »Jihan hat eine Flasche Tee für ihn gemacht«, sprach Andrea ihren Bruder an. »Dann einmal ein kleiner Imbiss für unseren Helden.« Carsten legte das Buch beiseite und reichte die Flasche. Cedric nahm sie mit beiden Händen und schwupp war der Nuckel im Mund. Carsten hörte die schmatzenden Geräusche. Es befriedigte ihm, wie sein Sohn es schon ganz gut allein hinbekam. »Tiger, ich bereite einmal das Dinner vor. Es bedarf einiges an Zeit.« »Ist gut.« »Euer Sohn ist ganz schön bei der Sache«, bemerkte Jihan. »Wenn es um Hunde geht, gibt es nichts, was seine Neugier ablenken könnte. Dennoch, es war genug für ihn. Papa, wenn er gleich seine Flasche geleert hat. Lege ihn doch bitte in sein Bett. Teddy und sein Dada nicht vergessen.« »Wenn er nicht will?« »Er will. Spiel ihm die CD vor, das beruhigt ihn. Lieber er schläft jetzt ein wenig, als das er beim Dinner unruhig wird.« »Was machst du?« »Ich gehe mit den Hunden raus. Ich brauche etwas Ruhe und Bewegung an frischer Luft.«

Anscheinend waren Leonardo und Salvatore der gleichen Meinung. Im Garten war ihr erster Weg zu ihren Bäumen und anschließend liefen sie gesittet um Carsten herum. Das Buch war eine wunderbare Idee, sinnierte Carsten. Mit den Bildbeschreibungen konnte er unzählige Geschichten erfinden. Jedoch war er davon angetan, dass auch die kleinen Finger von Cedric immer wieder über die Zeichen glitten. Sicher wusste Cedric nicht, was diese zu bedeuten hatten, doch es interessierte ihn irgendwie. Plötzlich wuselte Wolf um ihn herum. »Hier seid ihr.« Machte sich Ercan bemerkbar. »Sind die anderen Hunde auch raus?« »Nein. Leon liegt bei Cedric und Gina lässt sich von Andrea massieren.« »Wie war euer Ausflug?« »Lustig. Wir sind einmal um euer Städtchen gegangen. Dabei erzählte Merlin uns einiges. Amüsante Anekdoten, aber auch traurige Ereignisse. Er kennt sich hier wirklich gut aus. Der Höhepunkt war die Herde Cattles. Sie kennen wohl Merlin. Sie kamen alle zum Zaun. Wirklich schöne Tiere. Aber respekteinflößend, wenn man ihre Statur aus der Nähe sieht. Merlin stellte uns einen kleinen Bullen vor. Dabei ist ›klein‹ relativ. Der bringt sicher eine halbe Tonne auf die Waage. Und seine Hörner erst. Also allein würde ich sicher nicht so dicht zu ihnen gehen.« »Eine gesunde Einstellung. Cattles sind Familientiere. Ich kenne den Leitbullen. Ein mächtiges Tier. Die Tiere sind einmal ausgebüxt. Wir fanden den Bullen allein am Wegesrand stehen. Mit Leonardo bin ich zu ihm. Die beiden fanden sich auf Anhieb sympathisch. Es vermisste seine Herde.« »Das sagte auch Merlin. Er erklärte mir auch, wie man auf der Ferne zwischen den Geschlechtern unterscheiden kann. Das männliche Rind hat waagerechte, nach vorn gebogene Hörner. Die Ladys - ob es dem Geschlecht typisch ist - weit ausladenden, meist nach oben gebogene.« »Jedenfalls solltest du keinem Kalb zu nahe kommen, ohne dich der Sympathie seiner Mutter sicher zu sein.« Leonardo sprang auf die Bank. Er quetschte sich zwischen seinem Herrchen und Ercan. Dort legte er seinen Kopf auf Carstens Schoß. Carsten fühlte sich an Max erinnert. Automatisch kraulte er seinen Kopf. »Ercan, könntest du nachher die Rationen für die Hunde machen? Ich möchte Andreas beim Kochen helfen.« »Was bekommen sie denn?« »Es ist Samstag. Kohlenhydrate. Halte dich einfach an das Rezept auf Seite 13. Wolfs Liste hängt am Board. Bei euren beiden kennst du dich aus. Dazu kannst du jedem einen Knochen geben. Damit sind sie genug beschäftigt.« »Keine Angst, dass sie zunehmen?« »Nicht wirklich. Andreas und ich haben gute Erfahrung gemacht, was Mengen und Abwechslung betrifft. Hier bewegen sie sich auch mehr als in London. Last but not least: Cedric hält sie ganz gut beschäftigt.« Ercan lachte. Er sah die Hunde ja schon öfters mit dem Jungen spielen. Cedric forderte seine Teddybären. Dafür relaxten alle gemeinsam gern im Anschluss. »Was gibt es denn Gutes für uns?« »Lass dich überraschen.«

Nach dem Porch ging Carsten direkt in die Küche. Andreas werkelte gerade am Herd. »Willst du mir helfen? Dann wasch mal das Grünzeug. Rechts von der Spüle habe ich den Salat und die Kräuter für die Sauce. Willst du schon die Rationen machen?« »Ich habe Ercan gebeten diese zu machen. So kann ich zwischen Gemüse und Grünzeug putzen noch mit einem appetitlichen Mann flirten.«

Eine halbe Stunde blieben sie allein. Dann betrat Babi den Raum. »Jungs, Cedric ist wieder wach und verlangt nach seinen Papas. Können Nonno und ich euch ablösen?« Andreas sah sich um. Die Speisen waren bereits alle fertig. Lediglich das Portionieren stand noch an. »Carsten, geh du zu unserem Sohn. Nimm vorsichtshalber seine Flasche mit: Bananenmilch. Ich weise Nonno noch ein und komme dann nach.« Besagte Person bekam die letzten Worte noch mit. »Was darf ich tun?« »Ich habe hier die Menükarte mit der Speisefolge. Wir brauchen vierzehn Portionen aus den Speisen. Mr Muller wird noch kommen. Für Cedric habe ich bereits die Portionen fertig. Versuche die Speisen optisch dem anzugleichen. Dann gibt es vom Hauptgericht zwei Varianten.« »Du forderst mich in meiner Disziplin. Das bekomme ich hin.« »Babi, ich habe bereits den Tisch entsprechend dekoriert. Jeder Gang wird separat aufgetragen. Würdest du bitte letzte Hand anlegen? Servierten, Besteck etc. hier ist sind die Speisekarten. Lege doch bitte bei jedem Service eine dazu. So weiß jeder, was kommen wird.«

Carsten kam mit Cedric die Treppe hinunter. Andreas sah, dass Carsten ihren Sohn umgezogen hatte. »Bereit, sich von Cedric beschäftigen zu lassen?« »Immer doch. Ich denke, ein wenig Pair lenkt uns eine Zeit lang ab.« Cedric war begeistert bei der Sache. Da machte es auch nichts weiter aus, dass die Familie ihrem Enkel zuspielte. Nonno kam hinzu. »Andreas, das Dinner ist vorbereitet.« »Gib uns noch ein paar Minuten. Cedric spielt uns alle in Grund und Boden.« Keine zehn Minuten später stand der glorreiche Sieger fest. »Abba, mmh? Dada mmh?« »Ercan hat die Rationen bereits fertiggemacht. Leonardo, Salvatore und Freunde warten jetzt nur auf dein Kommando. Sollen wir sie füttern?« »Da.« Gemeinsam gingen sie in die Küche. Die Rationen standen alle noch auf dem Tresen. Mit Cedrics Hilfe verteilte Carsten die Näpfe auf dem Futterplatz. Neugierig stand die ganze Bande plötzlich um sie herum. »Hi. Dada mmh!« Gab Cedric das Kommando. Genüsslich machten sich die Hunde über ihre Näpfe her. »Mau nich da?« »Charaid frisst sicher später. Die Hunde lassen seinen Napf in Ruhe.« »Good. Cedic mmh!« Stellte er fest. Carsten nahm ihn auf den Arm. Im Diningroom wurden sie schon erwartet. Er hatte nicht einmal mitbekommen, dass James ebenfalls anwesend war. Dieser begrüßte beide mit dem typischen Weihnachtsgruß. Andreas wandte sich an Cedric. »Die Hunde sind versorgt?« »Da!« Meinte Cedric bestimmt. Dann setzte Carsten seinen Sohn in seinen Stuhl. Andreas räusperte sich. »Es ist unser erstes Festessen in diesem Haus. Wie ihr der Menükarte entnehmen könnt, ist es etwas umfangreich. Einzig Cedric hat die Freiheit, zeitig die Segel zu streichen. Wir hoffen, es sagt euch allen zu.« Als Aperitif schenkte er jedem ein Sherry ein. Damit Cedric nicht zugucken musste, bekam er etwas Tee. Nonno trug dann die Gemüsebouillon auf. Ercan wunderte sich, wie lieblich die Suppe schmeckte: »Also Andreas, das ist ein Gedicht.« Bescheiden, wie der Gastgeber war, lächelte er lediglich. Cedric bekam eine seiner Verdauung entsprechende Variante. Am Tisch entstanden unterschiedliche Dialoge. Carsten hörte lediglich kleine Fetzen. Seine Konzentration galt Cedric. Zwischen zwei Löffel babbelte er fröhlich vor sich hin. Guckte umher und fand die Stimmung einfach toll. James war in ein Gespräch mit Luise vertieft.

»Gedünsteter Lachs an Weinsauce?«, kommentierte Paul: »So etwas Feines für meinen Gaumen? Davon werde ich jetzt wochenlang träumen. Hat Cedric auch Lachs?« »Nein, es ist ein Vanillepudding. Es hat etwas gedauert, bis ich die Form hinbekommen habe. Dazu hat er eine etwas verdünnte Erdbeer-Vanillesauce. Ich übernehme Tiger.« Carsten war erleichtert. Für den Fisch benötigte er beide Hände. Paul hatte wirklich nicht übertrieben. Der Lachs war Poesie für seinen Gaumen. Da Cedric schmatzend seinen ›Fisch‹ genoss, widmete er sich seinem Tischnachbar. Jihan versuchte die Aromen zu erraten: »Etwas Muskatnuss. Eine pfiffige Variante.« »Andreas versucht mit den Gewürzen immer neue Varianten zu kreieren. Nach dem Dünsten gab er auf jedem Fisch einige Tropfen aus Zitronen- und Limettensaft. Damit der Fisch nicht austrocknet, bestrich er ihn mit einer Marinade aus flüssiger Nussbutter, die mit Rosmarin und Dill verfeinert.« Dann wechselte er das Thema. »Sag einmal, was wurde eigentlich aus dem Wasserspiel aus deinem Atelier?« »Oh, das habe ich einem Kindergarten geschenkt. Die Kinder haben mit dem feuchten Element ihren Spaß. Dazu wird das Mikroklima in der näheren Umgebung positiv beeinflusst. Für den ursprünglichen Kunden war es einfach zu schnöde. Er verlangte eine Fontana di Trevi. Nur kleiner.« Nonna sah ihn wissend an. »Da ist er bei dir sicher an der falschen Adresse gewesen. So bekannt der Brunnen auch sein mag. Es ist einfach ein imposantes Bauwerk. Unter Kunst verstehe ich etwas anderes. So wie das gleich folgende Sorbet«, meinte Andreas schlicht. »Sagt einmal, sind die vielen Speisen nicht etwas viel für den Jungen?« »Zio? Nein. Als ich das Menü zusammenstellte, habe ich seine Speisen seinem Bedarf angepasst. Es ist genauso viel, wie er normal zu sich nimmt. Lediglich sein Dessert ist Extra. Du magst es nicht glauben, doch er isst zur Zeit mehr.« Luise bekam den letzten Satz noch mit. »Es ist nicht ungewöhnlich, dass Cedric einen Wachstumsschub hat. Da braucht er mehr Nahrung.« »Wenn er eher satt ist. Wen kümmert es? Seinen geliebten Vanille-Bananenpudding kann er auch morgen noch genießen. Darf ich eine kleine Pause vorschlagen? Unser kleiner Held benötigt eine Verschnaufpause«, beurteilte Andreas seinen Status. »Das trifft sich gut. Ich muss noch meine Tabletten einnehmen.« Freute sich Babi über den Vorschlag. »Junge, ich befürchte nach dem Fest eine Diät machen zu müssen.« »Mila, das sagst du jedes Mal. Dabei siehst du immer noch wie eine Primadonna aus«, flirtete DÄ›da mit seiner Gattin. Babi schüttelte geschmeichelt mit ihrem Kopf. Dann stand sie auf, um ihre Tabletten zu holen. Cedric bat seinen Papa zur Toilette zu müssen. Carsten kümmerte sich darum. Derweil bereitete Andreas den Tisch für die weiteren Gänge vor. Merlin sprach mit ihrem Gast. »Ist das hier immer so?« »Was meinst du?« Merlin verstand die Frage nicht. »Na beim Dinner sind alle irgendwie in Gespräche vertieft. Dann ist das kein typisches Weihnachtsessen.« »Oh ja. Die Familie redet gerne bei Tisch. Auch in anderen Sprachen. Andreas wechselt fließend von der einen in die andere Sprache. Nebenbei kochen Carsten und Andreas sehr gerne. Dabei ist Finesse und Abwechslung an der Tagesordnung. Andreas hat ein kleines Geheimnis aus diesem Dinner gemacht. Ich denke bei den vielen Personen hätte eine Gans sicher nicht gereicht.« James schmunzelte bei der Vorstellung.

Auf der Toilette pieselte Cedric etwas. Dann war schon die Spülung dran. Gerade als sie das Bad verließen, rülpste Cedric sich die Luft vernehmlich aus dem Bauch. »Wow. Das war aber wirklich gekonnt. So viel Luft geschluckt?« »Da.« »Besser so, als das du Bauchweh bekommst.« »Abba Dada buh buh?« »Ich weiß nicht. Sehen wir doch einfach mal nach.« Gemeinsam gingen sie in den Salon, wo Carsten die Vierbeiner vermutete. Wie erwartet lagen die Hunde in ihren Kudden. »Abba. Dada mach buh. Dada noch wee?« »Natürlich gehen wir später noch mit ihnen in den Garten. Die Hunde verdauen ihre Rationen. Das braucht etwas Zeit.« Cedric wurde ruhig. Carsten spürte, wie er nachdachte. Dann schien er zu einem Ergebnis gekommen zu sein. »Good.« »Abba bum bum?« »Wenn du magst, spielen wir etwas Klavier.« An Andreas Flügel machten sie sich bereit. Wie so oft drückte Cedric einige Tasten und Carsten spielte etwas dazu. Wenige Minuten später meinte Cedric genug zu haben. »Darf ich dir noch etwas vorspielen?« »Da Abba!« Carsten begann ein bekanntes weihnachtliches Kinderlied. Der kleine Mann auf seinem Schoß freute sich über die lustige Melodie.

Das Spiel blieb nicht ungehört. Die Gäste sahen den beiden einfach nicht nur zu, sondern sangen das Lied. So langsam wurde dabei Cedric schläfrig. Andreas sah sich in der Pflicht. »Tiger, unser Sohn nickt gleich ein.«, flüsterte er. »Bringe ihn auf sein Zimmer. Es war ein langer Tag für ihn.« Andreas nahm Carsten den kleinen Mann ab. Bevor er jedoch ging, gab ihm Carsten einen sanften Kuss auf die Stirn. »Träum etwas Schönes.«

Diese Unterbrechung nutzen alle, um sich kurz die Beine zu vertreten. Es dauerte etwas, bis Andreas wieder erschien. »Cedric war müde. Er lässt sich entschuldigen, nicht weiter am Dinner teilhaben zu wollen.« Die Anwesenden lachten. Eine süße Entschuldigung dafür, dass Cedric seine Nachtruhe vorzog. »Der kleine Gentlemen ist entschuldigt, Bambino«, meinte Nonna für alle.

So langsam gingen alle wieder in den Diningroom. Andreas servierte das Sorbet. Die kleine Zwischenmahlzeit genossen alle. Andreas kannte seine Familie. Es gab siebenmal Entenbrust, die Restlichen wählten die vegetarische Variante. Dazu tranken sie Wein. Die Gespräche wechselten. Dabei fiel Carsten auf, dass Musik und Gartenbau ausgeschlossen blieben. Jihan erzählte einige Episoden aus seiner Jugendzeit. Trotz, dass es seiner Familie nicht immer leicht hatte, blieb er stets ein Optimist. Die Kunst bot ihm Gelegenheit, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Nonna bestätigte einige seiner Erzählungen. »Ach, das waren Zeiten. Jihan, kannst du dich noch an den kleinen See erinnern?« »Klar. In den heißen Sommern die ideale erfrischende Oase. Wir waren schon eine bunte Clique. Mario, Giuseppe, Maria, Donna, Carlo … Warst du denn auch dabei, als Carlo seine Short verlor?« »Oh ja. Der verrückte Junge ….« Gespannt hörten alle dem Dialog zu. »Wie ist das denn passiert?«, hakte Nonno nach. »Du kennst doch den See. In der kleinen Bucht hatten wir unseren Stammplatz. Ein alter Olivenbaum hatte einen sehr ausladenden Ast bis über den See. Carlo kletterte darauf und sprang. Als er wieder auftauchte, war er außergewöhnlich still. Mario brachte es auf den Punkt: ›Carlo kann es sein, das du nackt bist?‹ Es war eine Feststellung, denn die Hose trieb etwas weiter auf dem Wasser.« Wir lachten alle. Selbst Carlo stimmte mit ein. Er schwamm zu seiner Hose und musste feststellen, dass diese zerfetzt war. Aus Solidarität zogen sich alle Jungs die Hosen aus …«, schmunzelte Nonna. »Es war unser letzter unbeschwerter Sommer«, wurde Jihan wehmütig.

Das Hauptgericht zog sich etwas hin. Was jedoch keinem störte. Die anschließende Käseplatte wurde herum gereicht. Merlin wunderte sich ein wenig. Jeder nahm sich ein kleines Stück aus dem Sortiment. Dabei waren auf dem Holzbrett wirklich mehr als ein halbes duzend Käsesorten. »Es heißt, der Käse schließt den Magen«, bemerkte Nonno den fragenden Ausdruck in dem Gesicht des Jugendlichen. »Da bedarf es nur ein kleines Stück. Weiter haben unsere Gastgeber edle Sorten an Käsespezialitäten. Sie sind im Geschmack sehr unterschiedlich. Dieser dort ist ein Schafskäse.« Dabei deutete er mit der Messerspitze auf ein grünliches Stück. »Der zum Reifen verwendete Pilz macht ihn sehr würzig. Der gleiche Pilz, jedoch mit Kuhmilch macht daraus einen eher lieblicheren Geschmack. Jeder von uns hat ein anderes Geschmacksempfinden.« Merlin musste unwillkürlich grinsen: »Und ich dachte die Käsewelt beschränkt sich auf Cheddar und Edamer.« Nonno guckte etwas unverständlich bis es ihm klar wurde auf den Arm genommen worden zu sein. Doch er wusste auch zu kontern: »Genau genommen ist Edamer kein Käse sondern ein Industrieprodukt ohne Charakter.« »Schach Matt!«, fügte Andreas an. »Ehrlich Merlin. Guter Käse bedarf Ruhe und Zeit zum Reifen. In Frankreich gibt es hunderte verschiedene Käse. Regional variieren sie sogar im Herstellungsprozess.« »Wie dem auch sei. Der Ziegenkäse war sehr lecker.« Andreas räumte die Käseplatte beiseite. Gemeinsam mit Carsten servierte er die Waldbeeren an Weinschaumcreme. Der Genuss fand bei allen Anerkennung.

Im Salon servierte Andrea und Stefano den abschliessenden Espresso. Carsten und Andreas räumten im Dining Room den Tisch wieder ab. »Danke Schatz. Es war wirklich ein aussergewöhnliches Menü. Nicht zu mächtig, Abwechslungsreich und doch im Geschmack eine Linie. Mal etwas anderes als die traditionellen Gerichte.« »Ich gebe zu, dass ich schon etwas länger darüber nachgedacht habe. Immerhin saßen fünf Nationen an einem Tisch. Dann die Besonderheit Diabetiker dabei zu haben. Ein Gänsebraten wäre diesen Aspekten nicht wirklich gerecht geworden. Doch am wichtigsten ist mir das es alle genossen haben. Bereit für den Espresso?« Beide gingen in ihren Salon. Dort hatten sich alle bereits verteilt und - man glaubt es kaum - bereit um Gemeinsam ein Würfelspiel zu spielen. So ging der Abend gemütlich weiter. Später gingen Carsten und Andrea mit den Hunden auf eine Runde ums Haus hinaus. Danach war für die Vierbeiner Ruhe angesagt. James verabschiedete sich von allen. Am Hauptportal bedankte er sich für diesen außergewöhnlichen Abend. »James, du bist hier immer willkommen. Meine Familie mag dich einfach und glaube mir, mit diesem Kompliment gehen sie sehr sparsam um. Carsten, Cedric und ich laden ich dich zu einem Spieleabend plus Dinner zu Silvester ein.« »Danke Andreas.«

Weit nach Mitternacht erlosch das letzte Licht im Haus. Lediglich Cedric unterbrach seinen Eltern die Nachtruhe. Andreas stand auf und ging nachsehen. Sein Sohn war ein wenig quengelig. Papa Andreas schnupperte kurz und erkannte das Problem. »Du hast ja vollkommen recht. Mit einer vollen Windel schläft es sich wirklich nicht gut. Komm, lass uns das Problem gemeinsam lösen.« Geschwind pellte Andreas Cedric aus der beschissenen Windel. Machte den Jungen sauber und schwups war alles wieder gut. Er legte den Jungen wieder in seinem Bett. Cedric war noch ein wenig aufgeregt von der Aktion. Daher nahm sich Andreas die Zeit, ihm ein Lied vorzusingen. Die Wirkung war grandios. Schon bei der dritten Strophe schlummerte der kleine Mann friedlich neben seinem Teddy. Andreas blickte kurz zu den Hunden. Salvatore blinzelte ein wenig. Gina hatte von allem nichts mitbekommen. »Sorry, dass Cedric deinen Schlaf unterbrochen hat.« Andreas kam es vor, dass der Hund lediglich ein wenig grinste. Scheinbar hatte er sich bereits an solchen kleinen Unterbrechungen gewöhnt. »Alles wieder OK?« »Ja. Unser Sohn ist wieder in seinem Reich der Träume.« Andreas kuschelte sich an seinen Carsten. Gemeinsam schliefen sie noch einige Stunden.

Nonno wurde als erster wach. Er zog sich seinen Morgenmantel über und verließ leise das Zimmer. In der Küche machte er sich einen Espresso. Leonardo und Wolf standen plötzlich bei ihm. »Ihr wollt sicher in den Garten.« Er öffnete die Schiebetür. So als ob beide wussten, was Sache ist, liefen sie gesittet hinaus. Nonno genoss die frische Luft. Sie schmeckte nach Schnee und Feuchtigkeit. Gemütlich setzte er sich an den Tisch. Genoss seinen Espresso. »So früh auf Nonno?«, begrüßte ihn Carsten. »Woher weißt du, dass ich es bin?« »Das Aroma. Espresso vor dem Frühstück passt nur zu dir.« »Kluges Köpfchen. Warum bist du schon auf?« »Leonardo wollte raus. Da weckte er mich. Doch ich befürchte, ich bin etwas zu spät.« »Schon gut. Cappuccino à la Nonno?« »Gerne«, bedankte sich Carsten. »Liegt viel Schnee?« »Etwas mehr als gestern, doch es scheint auch wieder wärmer geworden zu sein.« »Der Atlantik hat hier das Sagen. Ist mir persönlich ganz recht. Es gibt vier Jahreszeiten, doch keine Extreme wie auf dem Kontinent momentan.« »Genießen wir unseren Espresso.« Salvatore, Gina und Leon betraten die Küche. »Ihr wollt sicher auch raus. Dann sprintet mal zu den anderen«, kommentierte Nonno den Vorgang. »Bitte schließe die Tür. Hier ist es nun frisch genug. Obendrein heizen wir. Ich mache die Tür zum Porch auf. Dort können sie sich schon mal aufwärmen, bevor sie ins Haus dürfen.« Carsten stand auf und setzte seine Ankündigung in die Tat um. Anschließend gesellte er sich wieder zu Nonno. »Entschuldigung Bambino. Ich hatte an die Heizung nicht mehr gedacht.« »Halb so wild. Nachts heizen wir auf Sparflamme. Andreas lüftet morgens auch durch. Nur weiss er wo die Heizung hier abgeschaltet werden kann. Warum bist du eigentlich schon auf? Es wurde doch recht spät«, fragte Carsten nach. »Es ist Gewohnheit. Antonia dreht sich gern noch einmal um. Das kann ich nicht. Lieber lege ich mich Nachmittags noch einmal hin. Ich geniesse meinen Espresso. Bereite ein kleines Frühstück für uns vor. Manchmal ist Karel ebenfalls zeitig auf, dann gehen wir gemeinsam zum Bäcker. Es macht uns wirklich Spaß Rentner sein zu dürfen.« »So soll es auch sein.« »Sag einmal, glaubst du wir können noch einmal mit unserer Familie in Italien ein Videochat - so heisst es wohl - halten?« »Natürlich. Sag Andreas bescheid und er richtet alles ein. Wenn du magst erklärt er es dir auch. So kannst du später auch aus der Ferne die Entwicklung deines Urenkels miterleben.« »Ach Gott. An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht. Ist das denn nicht sehr teuer?« »Nein. Wir haben ein Gesamtpaket für das Internet. Andreas benutzt es sehr häufig um mit seinen Klienten zu sprechen. Ich nutze es immer als zweite Möglichkeit zur Sprechstunde für meine Studenten. Außerdem bleiben wir so auch in Kontakt mit unserer Clique aus dem Internat. Wenn ich mich recht erinnere, hat Zio ebenfalls eine sogenannte Flatrate. Alessandro benötigte für die Schule oft das Internet für eine grundlegende Recherche. Man muss nicht permanent surfen. Doch die Technik bietet eine gute Alternative, in Kontakt zu bleiben.« Nonno nickte bestätigend, was Carsten jedoch nicht sah. Dieser erinnerte sich an die Tiere. »Ich gehe mal in den Porch. Die Hunde sollten sich jetzt schon ein wenig erleichtert haben«, verkündete Carsten. »Mach das. Magst du frische Brötchen zum Frühstück?« »Eigentlich schon. Doch ich denke, die Zeit reicht nicht, um den Teig ausreichend gehen zu lassen für Babi und DÄ›da. Wenn du dich austoben magst. Ich würde mich über ein italienisches Frühstück nicht beschweren.« Sprachs und verschwand. Eine Servierte flog ins Leere. Dennoch, Nonno fand den Vorschlag ausgesprochen reizvoll. Also machte er sich daran für ein ebensolches Frühstück zu sorgen.

Im Porch wurde der junge Mann schon erwartet. Fünf Hunde hatten im Schnee getobt und waren entsprechend feucht. Gina drängelte sich vor. Carsten schüttelte nur mit seinem Kopf und machte sich ans Werk, die Fellknäuel wieder trocken zu legen. Leonardo war der letzte. Neben der kleinen Massage knuddelte Carsten ihn liebevoll: »Danke, das du und Salvatore so vorbildliche Gastgeber seid. Mit eurer Ration dauert es aber noch eine Weile.« Leonardo leckte ihm die streichelnde Hand. Anscheinend hatte gerade keines der Vierbeiner großes Verlangen, etwas Festes zu sich nehmen zu wollen. Carsten entschied sich noch etwas vor die Tür zu gehen. Ganz in Gedanken bemerkte er seine Gatten nicht kommen. »So in Gedanken Tiger?« »Ich genieße die feuchte, kühle Luft.« »Nicht die Ruhe?« »Die auch. Unser kleiner Mann kann manchmal ganz schön fordernd sein.« »Das schwere Schicksal, Eltern sein zu dürfen. Doch wenn Cedric so lustig vor sich hin babbelt oder giggelt, ist es Entschädigung genug.« »Oh ja, weiser Papa. Ist er denn schon auf?« »Nein, ich habe nach ihm gesehen. Er schläft friedlich bei seinem Teddy. Es wurde gestern auch recht spät für ihn. Heute Nacht habe ich ihm noch die Windel gewechselt.« »War es sehr viel?« »Normal. Ein wenig streng im Aroma.« Unwillkürlich musste Carsten grinsen. Er hatte ich immer gewundert, warum Ausscheidungen bei Eltern ein normales Thema zu sein scheint. Jetzt hatte er Gewissheit: So konnte der Gesundheitszustand und das Wohlergehen auch nonverbal erkannt werden. »Er hat gestern auch recht viel gegessen. Ich glaube, ihm bekommt das abwechslungsreiche Essen.« Andreas bemerkte den schmunzelnden Gesichtsausdruck seines Partners. »Hat er zugenommen?«, interessierte es Carsten weiter. »Das kann ich dir nach dem Bad sagen. So, ich gehe mal nachsehen, was Nonno so macht.« »Er bereitet uns ein Frühstück vor. Zumindest bot er es vorhin an.« »Wenn dem so ist, mache ich mal das Frühstück für Cedric.« »Ich würde vorschlagen, etwas leicht verdauliches.« »Das hatte ich auch vor. Nonna hat da ein Rezept für einen Fruchtbrei. Dazu gibt es heute ein wenig Ei. Als Getränk mache ich ihm eine Vanille-Milch. Das sollte für seinen Start in den Tag reichen.« Andreas hatte sich schon einige Gedanken gemacht. »Das denke ich auch. Kannst du später unseren Nonni erklären, wie es mit der Einrichtung eines Videochats funktioniert? Wenn Bedarf besteht selbstverständlich. So komm rein, ein erfrorener Carsten bringt keinem etwas.«

»Guten Morgen Bambino. Allein?«, wunderte sich Nonno. »Cedric schläft noch. Er soll ruhig ausschlafen.« »Natürlich.« »Er braucht sicher seine Kräfte, um dich später noch zu fordern«, wurde Andreas keck. »Oh, dann sollte ich ebenfalls gut frühstücken.« Kam es ebenso humorvoll zurück. Andreas machte sich daran, das Rezept in die Tat umzusetzen. Carsten setzte sich wieder an den Tisch und trank seinen Cappuccino. Andreas und Nonno unterhielten sich auf italienisch. Carsten folgte dem Dialog. Es ging um Nonna’s Rezept. Er lernte die Sprache klassisch mit Vokabel lernen, Grammatik und was alles dazu gehörte. Andreas konnte es nicht lassen, ihn dahingehend auch zu fordern und zu testen. Aber auch ihre Nonni sprachen mit ihm italienisch, wenn sie in Milano waren. Seine Gedanken wurden von seinem Gatten unterbrochen. »Tiger, ich brauche hier doch etwas länger. Kannst du dich bitte um Cedric kümmern?« »Natürlich. Falls er noch schläft, mache ich mich schon mal tagesfertig.«

Als Carsten nach einer gefühlten halben Stunde noch immer nicht zurück war, ging Andreas nachsehen. Aus Cedrics Bad kamen diverse Geräusche. Anscheinend hatten die beiden mächtig viel Spaß dort und das Bild, welches sich ihm bot, war einzigartig. Cedric saß in seinem Bademantel auf dem breiten Waschbeckenrand. Carsten stand davor und rasierte sich. Immer wieder unterbrach er seine Tätigkeit. Beugte sich leicht zu ihrem Sohn hinunter. Dann trat der kleine Mann in Aktion. Mit seiner kleinen Hand fuhr er über Carstens Gesicht. »Da Abba!« Patschte mit seiner Hand auf eine Stelle. »Du bist aber sehr gründlich«, meinte er schlicht. Dann rasierte er die Stelle ein weiteres mal. Anschließend prüfte Cedric die Stelle. »Abba good.« »Dann bist du mit mir zufrieden?« »Da.« Carsten legte den Rasierer beiseite. Nahm Cedric hoch und bedankte sich mit einem Kuss bei seinem Helfer. »Was war denn das?«, machte sich Andreas bemerkbar. »Cedric half mir. Nach dem Baden bemerkte er meine Bartstoppeln. Auf seine Weise fand er es nicht gut. Also habe ich mich rasiert. Dann spürte ich seine kleine Hand auf meine Haut. Ihm war es noch nicht gründlich genug. So haben wir wohl jeden Quadratzoll abgearbeitet. Jetzt ist er zufrieden.« »Ist ja süß.« »Du bist sicher auch noch dran, den Dreh hat er jetzt heraus.« Andreas tat es Cedric gleich uns strich sanft über Carstens Gesicht. Dabei flüsterte er ihm ins Ohr, dass er sich anschließend etwas Pflegecreme auftun sollte. »Ich spüre es. Doch ein wenig Leiden für einen glücklichen Sohn ist kein hoher Preis.« Andreas gab ihm daraufhin einen sanften Kuss auf die gerötete Stelle. Dann übernahm er den kleinen Mann. Jetzt galt es das Tages Outfit zu wählen. Carsten ging direkt mit dem Rasierer in sein Bad. Die Creme kühlte seine strapazierte Gesichtshaut.

Andreas legte Cedric auf den Wickeltisch. Dann galt es den kleinen Mann zu pflegen. Doch so leicht wollte es ihm Cedric auch nicht machen. Erst als er seinen Holzhund in den Händen hielt, lief es besser. Aus dem Schrank nahm Andreas eine kleine Auswahl an Strampler. Sein Sohn entschied sich spontan für einen Hausanzug mit einem großen Teddybären. Andreas gab ihm einen Kuss. Cedric wehrte sich etwas, als er die Bartstoppeln bemerkte. Dann sah er sich seinen Baba genauer an. Mit seiner kleinen Hand strich er ebenfalls über die Bartstoppeln seines Papas. Er zog eine ablehnende Schnute. »Baba da!«, meinte er und schlug sachte auf die raue Wange. »Klar rasiere ich mich noch. Doch glaube mir, so glatt wie dein Popo wird es nicht mehr.« Er nahm Cedric auf seinen Arm und ging mit ihm in sein eigenes Bad. Wie schon bei Carsten setzte er ihn auf dem Rand des Waschbeckens ab. Cedric sah, wie sein Papa sich etwas Weisses ins Gesicht schmierte. Dann mit einem Gegenstand den Schaum wieder entfernte. Nachdem er sich so seine Gedanken über seinen Papa gemacht hat, giggelte er los. Gefolgt von seinem typischen Kommentar. Andreas versuchte so gründlich wie möglich zu sein. Nachdem er glaubte fertig zu sein, wollte er Cedrics Meinung erfahren. Dieser strich mit seiner kleinen Hand über die Haut. »Da Baba!«, beurteilte er die Rasur. Andreas strich sich über die Stelle. Er musste feststellen, dass es sich ein klein wenig rau anfühlte. Also wiederholte er die Prozedur. Weil Cedric mit kleinen Argusaugen die Tätigkeit beobachtete, nahm Andreas etwas Schaum und strich diesen auf dessen Nase. »Süß siehst du damit aus.« Cedric verteilte mit einer Hand den Schaum in seinem Gesicht. Dann leckte er seine Hand. Andreas sah, wie sich seine Miene verfinsterte: »Bäh!« »Das ist Rasierschaum und schmeckt nicht.« Mit einem feuchten Waschhandschuh wischte er seinen Sohn wieder sauber. Wie Carsten beugte er sich etwas vor, damit Cedric das Ergebnis der Rasur prüfen konnte. Die kleine Hand patschte auf die Stelle. »Baba good.« War seine fachkindische Meinung. »Gut. Dann sind wir hier fertig.« Wie Carsten räumte er seine Rasiersachen in den Spiegelschrank. Dann gingen sie ins Schlafzimmer. Carsten hatte sich bereits umgezogen. »Abba!…«, dann folgte Cedrics Zusammenfassung aus dem Bad. »Unser kleiner Mann ist sehr gründlich.« »Sagte ich dir doch. Ich hoffe, dein Gesicht ist unverletzt geblieben.« Andreas lachte etwas. »Ja. Nimmst du ihn? Ich denke, er mag schon etwas trinken.« Der Wunsch war für den Papa selbstverständlich. In der Küche waren bereits die Großeltern eifrig dabei, mit Nonno ein Frühstück vorzubereiten. Dabei tranken sie Tee und Kaffee. »Sieh einmal an«, begrüßte Babi die Ankömmlinge. »Guten Morgen. Babi, Andreas wollte etwas Milch für Cedric zubereiten. Ich glaube, der kleine Mann benötigt etwas Flüssiges.« »Wenn du erlaubst, übernehme ich das«, bot DÄ›da sich an. »DÄ›da! Mmh?« Mischte Cedric mit. »Dann ist es beschlossen. Ich mache mal die Rationen für die Hunde.« Der Junge konnte es kaum erwarten, seinen Flüssigkeitshaushalt aufzufüllen. Dabei beobachtete er die Tätigkeiten um sich herum. Sein Papa machte Futter für seine Dadas. Nonno werkelte am Ofen herum. Nonna schüttete Wasser in eine Kanne und Babi tat etwas in eine komische Maschine. Nur sein DÄ›da saß bei ihm und trank ebenfalls etwas. Seine Neugier war geweckt. Also sprach er seinen Großvater an. Dieser verstand, was er meinte. »Nun, mein Schatz, heute geht es mir nicht ganz so gut. Deine Babi sagte mir, dass ich mich schonen soll.« Ein großes Fragezeichen stand in dem kleinen Gesicht. »Cedric, ich bin kein junger Mann mehr. Da braucht es einfach auch Zeit, um sich zu erholen. Außerdem widerspricht man deiner Oma nicht einfach. Das könnte gravierende Nachteile haben.« Carsten hörte den beiden schmunzelnd zu. Das es seinem DÄ›da nicht so toll ging, beunruhigte ihn nicht. Er wusste ja um den Gesundheitszustand seiner Großeltern. Sie hatten es alle gut ihm Griff. »Abba Schnee?« Carsten stutze etwas: Schnee? Dann fiel der Penny. »Die Getreideflocken kommen noch. Du hast sehr gut aufgepasst. Deine Hunde freuen sich, dass du so gut auf sie aufpasst. Du darfst auch gleich das Kommando geben.« Ob Cedric das alles verstand? Jedenfalls juchzte er auf. Carsten stelle die fertigen Näpfe auf den vorgesehenen Platz. »Leoardo!«, rief Carsten einfach. Gina war die erste, die ihren Kopf durch die Tür steckte. Dann folgte auch schon der Rest der Meute. Leon trank erst noch etwas. Dann meine ein kleiner Mann einfach nur »Dada mmh!« Die Geräuschkulisse nahm zu, als sich fünf Hunde über ihr Fressen hermachten. »Jetzt haben wir erst einmal etwas Ruhe vor den Hunden. Ich gehe mal zu Mama, Papa und den anderen.« Sprach Carsten. Er klopfte an die Tür des Gästezimmers. »Ja, Bitte!« Hörte er seine Mutter antworten. Carsten öffnete die Tür. »Guten Morgen, seid ihr schon auf?« »Papa ist noch im Bad. Deine Schwester und Stefano waren schon fertig. Was Merlin und Jihan machen, weiß ich nicht. Ebenso nicht, wie weit Ercan ist.« »Danke, dann werfe ich ihn mal aus dem Bett«, meinte der Gastgeber lapidar.

Ercan lag nicht mehr im Bett. Er war gerade unter der Dusche. »Carsten? Gibst du mir noch ein paar Minuten?« »Klar. Frühstück gibt es in circa eine halbe Stunde. Leon ist schon versorgt.« »Danke.« Auf der Galerie traf er auf Andreas. »Bereit, sich den Aufgaben zu stellen?«, fragte dieser. »Natürlich. Nach dem Frühstück stelle ich die Waschmaschine mit Cedrics Kleidung an. Ich möchte nicht das, die vor sich hin gammelt.« »Weiser Tiger. Es hat sich einiges angehäuft. Das wird heute nicht bei einer Maschine bleiben. Dann setze ich mich auch auf den Traktor, um die Einfahrt zu räumen. Glaubst du das Cedric es spannend findet?« »Probiere es einfach aus. Nur achte darauf, dass er nicht zu viel von den Abgasen einatmet.« Andreas bestätigte Carstens Anliegen. Gemeinsam gingen sie zu den anderen in die Küche. »Bambini, gebt uns noch etwas Zeit.« Meinte Babi. »Sollen wir uns schon einmal um den Tisch kümmern?« »Es wird familiär«, antwortete Nonno.

Im Diningroom machten sich die Gastgeber daran, den Tisch vorzubereiten. »Was meinte Nonno mit ›familiär‹?«, fragte Andreas. »Er will ein einfaches italienisches Frühstück zubereiten.« »Oh, dann familiär.« Carsten hörte die schmunzelnde Stimme seines Partners.

»Wo …?«, staunte Luise, als sie den Raum betrat. Ihre Jungs hatten den Tisch mediterran dekoriert. Dann kamen schon die ersten Speisen. Andrea und Stefano trugen zwei Tabletts hinein. Andreas verteilte alles. Cedric kam mit DÄ›da. Also, DÄ›da trug ihn, seinen Teddy und welch Wunder den kleinen Holzhund. »Baba! Cedic mmh.« »Du bist also hungrig. Dann wollen wir auch nicht mehr so lange warten.« Er nahm DÄ›da den Jungen ab. Setzte ihn in seinen kleinen Stuhl. Den Teddy und den Hund platzierte er dazu. So langsam kamen auch weitere Gäste herein. Jeder nahm einen Platz ein. Babi und Nonna brachten die Getränke. Für Jihan servierte Nonno einen kräftigen Kaffee. »Carsten meinte, ein mediterranes Frühstück wäre nach dem gestrigen Tag genau das richtige«, kommentierte Nonno den Grund. »Wir haben keine Brötchen, ich hoffe, Brot und Toast erfüllen den gleichen Zweck.« Er blickte sich um. Jeder kommentierte die Aussage mit einem Schmunzeln. In ganz entspannter Atmosphäre begann das Frühstück. Andreas servierte seinem Sohn den Fruchtbrei. Skeptisch beurteilte er seinen Brei. »Baba bäh.« Andreas wunderte sich etwas. Dann mischte Carsten mit. »Cedric, probiere doch erst. Wenn es dir dann nicht zusagt, gibt es immer noch eine Alternative.« Der Junge vernahm eine kleine Nuance in der Stimme. Daraufhin gab er nach. Andreas staunte nicht schlecht, wie sein Gatte mit nur einem Satz dem Jungen den Wind aus den Segeln nahm. Zugegeben, der Fruchtbrei war nicht ganz so bunt. Also konnte nur der Geschmack überzeugen. Andreas selbst hatte davon gekostet. Er war sehr lecker und den Zutaten nach enthielt er alles, was ein kleiner Junge benötigte. Cedric testete von dem Löffel, den Andreas ihm hinhielt. Es dauerte etwas, doch sein Gesicht hellte sich auf. »Mmh, Baba mehr.«

»Wie sich doch die Szenen wiederholen. Andreas, du hattest bei dem Brei auch ein gewisses Argwohn. Francesca brauchte etwas länger als Carsten, um dich von dem Geschmack zu überzeugen.« »Ich habe mir gerade die Frage gestellt, wie Carsten das gemacht hat.« Paul setzte seine Tasse Kaffee ab. »Es war eine kleine Nuance in seiner Stimme. Es ist die Erfahrung, die er schon mit den Hunden gesammelt hat. Arco, Max, jetzt Leonardo und Salvatore. Wenn er diese Nuance verwendet, gibt es keinen Protest.« »Das funktionierte auch bei mir«, mischte Ercan mit. »Mein großer Bruder verwendete immer dazu auch Worte, die überzeugend wirken. Er stellte sogar eine Alternative in Aussicht. Cedric hat das ganz gut erkannt. Ein kluger Junge.« »Genug davon«, wurde es Carsten etwas peinlich. »Es wird ein langer Tag. Andreas möchte noch die Einfahrt räumen. Da ich auch nicht den ganzen Tag im Haus bleiben will, gehe ich nachher mit den Hunden raus. Wer mag, kann sich mir anschließen.« »Jungs, ich würde die Zeit dazu nutzen, einige meiner Sachen zu waschen, bevor ich mir die Highlands ansehe.« »Mach nur. Wir selbst müssen auch noch waschen. Die Maschine ganz links ist für die Hundewäsche.« Informierte Andreas. »Da fällt mir ein, dass die Hundedecken ebenfalls wieder gewaschen werden müssen.« Am Sonntag ist Waschtag?«, argwöhnte Luise. »Wir waschen unsere Wäsche ja nicht jeden Tag. Lediglich Cedrics Wäsche war täglich dran. Doch ich denke, das relativiert sich nun auch etwas. Du weißt selbst, dass eine halbe Maschine Wäsche nicht sehr energieeffizient ist, Mama. Wir haben zwar keinen Trockner, dafür aber einen großen Trockenraum. Wer ebenfalls seine Kleidung waschen möchte …«, ließ Carsten den Satz unvollendet. Die Ladies sahen sich an. Die Idee hatte etwas. »Ercan und ich gehen später meine Übungen durch. Es wirkt jedenfalls, ich fühle mich trotz der Hartschale gut.« Tat sie ihren Plan kund. »Paul, wenn du magst, ich könnte noch Nachhilfe beim Gitarrenspiel gebrauchen.« Carstens Papa wunderte sich etwas über das Ansinnen. Doch er wusste, wozu Merlin fähig ist, da brauchte es neue Inspirationen. Er gab sich dieser Aufgabe gern hin. So peu à peu hatte jeder eine Idee, etwas zu unternehmen. Das Frühstück zog sich etwas hin. Nachdem Cedric seine kleine Schale geleert hatte, gab Andreas ihm eine Henkelflasche. Der Junge konnte sich so selbst bedienen, wenn er etwas trinken wollte. »Carsten, ich scheuche Gina noch einmal in den Garten. Normalerweise erleichtert sie ihre kleine Blase nach der ersten Ration.« »Mach nur. Wenn die anderen Hunde sich dem anschließen wollen, meinen Segen haben sie. Merlin, Charaid war heute Morgen schon draußen.« »Ich weiß. Er kam mit feuchten Fell zu mir und vollführte auf meinem Bett eine ausgiebige Fellpflege.« Paul grinste bei der Vorstellung.

Zur Gassirunde begleitete ihn Ercan und Andrea. »Wir machen eine große Runde. Halten das eure beiden durch?« »Wenn es im ruhigen Schritt geht, wird Leon nicht müde.« Sprach Ercan für seinen Hund. Andrea meinte schlicht, dass Gina sich ruhig auspowern sollte. So machten sich die Geschwister auf.

Andreas hatte die erste Waschmaschine mit Cedrics Wäsche in Gang gesetzt. Cedric hatte sich den Vormittag mit seinen Opas beschäftigt. Jetzt galt es an die frische Luft zu gehen. »Hast du Lust, mit deinem Papa etwas Schnee zu räumen?«, löste er seine Nonni von ihm ab. »Baba Dada wo?« »Carsten ist mit ihnen auf einen Spaziergang. Das wird eine Weile dauern, bis sie wiederkommen«, antwortete ihm Andreas ernst. »Good. Cedic au Schnee?« »Natürlich komm ziehen wir uns etwas Warmes an und dann spielen wir etwas im Schnee.«

Cedric wunderte sich etwas, als sein Baba mit ihm auf einem kleinen Trecker fuhr. Dann wirbelte plötzlich Schnee auf. Cedric jubelte vor Freude. Andreas fuhr so, dass der leichte Wind die Abgase zur Seite blies. Die ganze Aktion dauerte eine dreiviertel Stunde. Damit es Cedric auch Spaß machte, durfte er auch selbst lenken. Na zugegeben, Andreas half, die Richtung beizubehalten. Jedenfalls genossen beide das Zusammensein. Nachdem das Gefährt wieder in der Garage stand, meine Cedric müde zu sein. Andreas beglückwünschte sich. Cedric legte er behutsam in sein Bett. Den Teddy und sein Spielzeughund legte er zu seiner Seite.

Auf dem Weg in den Salon klingelte das Telefon. Er ging in sein Arbeitszimmer und nahm das Gespräch an. »Zahradník - von Feldbach!« »Oh, guten Tag mein Name ist David, ich wollte mit Carsten von Feldbach sprechen.« »Mein Mann ist noch mit den Hunden unterwegs. Darf ich ihm etwas ausrichten oder kann er Sie zurückrufen?« »Sagen Sie ihm doch bitte, das der Termin im College steht. Wenn er dazu noch Fragen hat, kann er mich unter meiner Privatnummer erreichen. David Garrett ist mein vollständiger Name.« Es dauerte ein wenig, dann wurden Andreas Augen groß. »Entschuldigen Sie, wie der Violinist David Garrett?« »Nicht ›wie‹ ich bin der Geigenspieler. Carsten lud mich ein, für seine Studenten eine Gastvorlesung zu halten. Mein Manager gab mir dafür sein OK, da ich zu der Zeit auch einige Konzerte in London gebe.« »Ich werde es ausrichten, Mr Garrett.« Aus dem Hörer ertönte ein sympathisches Lachen. »David reicht aus. Ich wünsche Ihnen einen schönen zweiten Weihnachtstag.« Dann wurde die Verbindung unterbrochen. Andreas lächelte vor sich hin. Carsten hatte wirklich gute Beziehungen.

»War es etwas Wichtiges?« Fragte DÄ›da nach. »Ich weiß nicht. Es war für Carsten. Wie ich höre, ist er von seinem Spaziergang zurück. DÄ›da, Cedric schläft, achtest du ein wenig auf das Babyphone?« Ein Kopfnicken bestätigte seine Bitte.

»Da seid ihr ja wieder. Oh wie sehen denn Leonardo und Salvatore aus?« »Ich weiß nicht, jedenfalls wälzten sie sich im Schneematsch Ercan will sie gleich duschen. Jetzt besetzt Gina die Ecke. Wo ist unser Sohn?« »Der schläft gerade. Er hat schwer gearbeitet, als wir die Auffahrt räumten«, meinte Andreas nicht ganz ernst. »Wenn dem so ist. Mir steht der Sinn nach einem kräftigen Kaffee.« »Komm lassen wir deine Geschwister allein werkeln. Da fällt mir ein Mr Garrett hat dem Termin zugestimmt. Er rief vorhin an.« »Oh, das klingt gut.« »Du lässt den Violinisten auf deine Studenten los? Warum?« »Er hat einen besonderen Stil, wenn er Geige spielt. Meine Studenten sollen sich mit verschiedenen Arten der Interpretation auseinandersetzten. Gerade die Violine ist ein Instrument, welches ein sehr breites Spektrum auf diesem Gebiet hat. Du hast es doch selbst gehört, als Mama die Fantasie gespielt hat. Sie ist eine gute Hobbyviolinistin. David hat als Berufsmusiker ein noch viel umfangreiches Wissen. So etwas findest du in keinem Lehrbuch.« In der Küche machte sich Carsten daran, Espresso zuzubereiten. Während Andreas für ein Getränk ihres Sohnes sorgte. »Ich kann meinen Studenten nur das vermitteln, was auch ich kenne. Doch höre dir mal an, wie Cellisten die verschiedenen Konzerte interpretieren. Während meines Studiums habe ich eine Cellistin kennenlernen dürfen. Sie brachte mir eine Technik bei, eine ganz bestimmte Stimmung zu erzeugen. Diese Fähigkeit nutze ich gerne, um den romantischen Konzerten eine besondere Note zu geben.« Andreas dachte über die Konzerte nach. Das ›Emperor Concerto‹ von Beethoven kannte er noch immer am besten. Seit der Aufführung in der Scala hatte sein Tiger es weiter verfeinert. Er konnte sogar heraushören, ob Carsten das Konzert spielte oder jemand anderes. Dann besann er sich eines anderen Themas: »Tiger, ich habe jetzt lange genug darüber nachgedacht. Wir sollten das Gelände erwerben.« »Und was wollen wir mit dem Areal anstellen? Das ist eine große Fläche.« »Wir benutzen einige Hektar direkt am Park für uns. Allein schon weil dort der Burn ist. Ich möchte den Teil dafür nutzen, um unser Wasserproblem zu lösen. Das mit den Schafen ist eine gute Idee. Andrea schlug vor, eventuell einige Ponys anzusiedeln. Den Rest können wir verpachten, laut dem mir vorliegenden hydrologischen Gutachten würde eine landwirtschaftliche Bewirtschaftung sinnvoll sein.« »An, was denkst du da? Ackerbau? Ist der Grund dafür nicht zu feucht?« »Weiden. Ich müsste noch einige Kollegen kontaktieren, doch was ich bisher gesehen habe, ist es gutes Weideland. Neben Paul und Andrea können wir auch Edwards Bruder und seinen Vater fragen. Sie sind Experten, was die Haltung von Herdentieren angeht.« Carsten stimmte dem brummend zu.

Die kleine Espressokanne gurgelte vor sich hin. Dann ging er zielstrebig zum Schrank. Dort holte er zwei Sets Espressotassen hervor. Andreas bewunderte ihn noch immer, wie sicher er das alles bewerkstelligte. Anschließend schenkte er den fertigen Espresso ein. Zum Schluss lutschte er sich seinen Zeigefinger ab. Dann genossen beide den Espresso.

Andrea und Ercan hatten die Duschorgie der Hunde beendet. »Also ich überlege, ob ich nicht Gina gegen Leonardo und Salvatore eintausche. Die beiden sind manierlicher als die kleine Lady.« »Du bist doch nur sauer, weil dein Hund sich nach dem Duschen ordentlich schüttelte. Kein Wunder, das du da ebenfalls geduscht wirst.« Scherzte er beim Betreten der Küche. »Doch letztendlich würdest du dein unverbesserliches Mädchen vermissen. Zieh dich um, bevor du dir noch etwas holst.« Meinte Ercan bestimmend. Dann folgten schon Leonardo und Wolf, um ihren Durst zu stillen. Dann wandte sich Leonardo zu seinem Herrchen. »Mein Kuschelbär, keine Angst, meine kleine Schwester hat eine vorlaute Zunge. Um nichts in der Welt würde ich dich hergeben.« Anscheinend verstand der Hund seine Worte. Er drückte sich an Carsten. »Kleine Schwester?« »Klar doch, du bist dreissig Sekunden jünger als ich.« Andrea knuffte Carsten liebevoll. »Ich stimme auch Ercan zu. Du solltest dir etwas Trockenes anziehen.« Andrea stutzte einen Moment. »Das schwere Schicksal, zwei Brüder zu haben. Beide passen auf mich auf«, meinte sie schelmisch zu Andreas. »Dazu kann ich nicht viel sagen. Doch ich stimme den beiden zu. Cedric würde sich wehren, wenn du so mit ihm kuschelst.« »Du nicht auch noch.« Hörten sie Andrea sagen, bevor die holde Weiblichkeit sich umwandte. »Habt ihr noch einen Kaffee für mich?«, fragte Ercan. »Begnügst du dich auch mit einem Espresso? Frisch aufgebrüht.« Der junge Mann stimmte sofort zu. Die traute Gemeinschaft wurde durch Salvatore unterbrochen. »Ich sehe mal nach Cedric. Salvatore kommt nicht ohne Grund zu uns«, entschied Andreas.

Wenig später kamen zwei Männer in die Küche. Ercan sah noch ein kleines verschlafendes Gesicht. Sein Neffe schien noch nicht ganz munter zu sein. Er kuschelte sich noch ein wenig an seinen Papa. »Baba mil?«, meinte er leise. »Dein Tee kommt sofort. Der macht dich bestimmt munter.« Carsten reichte ihm die vorbereite Flasche. Viel wollte der kleine Mann nicht trinken. Jedoch weckte der fruchtige Flascheninhalt seine Lebensgeister. Als dann Gina ebenfalls ihren Wassernapf aufsuchte. Schreckte Andreas ein wenig zusammen. Cedrics ›Dada!‹ wirkte sehr laut direkt neben seinem Ohr. Da sein Sohn hibbelig wurde, schlug er ihm vor, mit ihm zu seinen Großeltern zu gehen. Nonno nahm sich ihm an. Mit dem Teddy und dem Holzhund beschäftigte er sich spielerisch mit ihm. Nonna sah den beiden verträumt zu. Da kamen Erinnerungen zum Vorschein, als Andreas selbst in Cedrics Alter war. Das Gabriele immer auch mal in seiner Muttersprache mit ihm sprach, tat dem Vergnügen, welches Cedric dabei hatte, keinen Abbruch. Carsten kam sich ein wenig deplatziert vor. Er entschied etwas am Flügel zu spielen. Leise Töne erfüllten den Raum. »Abba bum bum!« Kommentierte Cedric erfreut. Dennoch konzentrierte er sich weiter auf das Spiel mit seinem Großvater. Luise erkannte das Thema aus der Kunst der Fuge: Den Kontrapunkt. Gegenüber Johann Sebastian spielte Carsten es etwas moderner. Mit mehr Swing. Ihr gefiel das Gehörte. Sie stieß Paul an und flüsterte ihm etwas zu.

Wenig später wiederholte Carsten das ursprüngliche Thema. Daraufhin mischte Luise mit ihrer Violine mit. Sie übernahm das Thema. Angenehm angetan ließ sich ihr Sohn darauf ein. Es entwickelte sich ein Dialog der Instrumente. Andrea hörte auf der Treppe die Musik. Spontan drehte sie sich um und holte ihre Querflöte. Luise lächelte, als sie ihre Tochter eintraten sah. Geschickt lenkte sie das Duett wieder auf das ursprüngliche Thema von Friedrich dem Großen. Sie machte eine Pause. Carsten machte Andreas etwas Platz auf der Klavierbank. Sein Mann hatte in den vergangenen Jahren einiges gelernt. Er übernahm das Thema. Carsten spielte dazu eine zweite Stimme. Andreas bewies etwas Mut und erhöhte das Tempo. Sein Gatte schmunzelte. Ob Luise auch in der Lage wäre, mit ihrer Violine einen Ragtime zu begleiten? Diese Antwort folgte auf dem Fuß. Aus dem Duett wurde ein Ragtime Terzett. Luise nickte Andrea ihren Einsatz zu. Jetzt war Carsten vom Können seiner Familie angetan. Der Kontrapunkt im Ragtime Stil mit drei Instrumenten war keine leichte Sache. Doch es hörte sich einfach genial an. Er hatte eine neue Idee für seine Studenten. So konnte er ein schwieriges Thema noch besser vermitteln.

Jetzt war auch Cedric von der musikalischen Darbietung fasziniert. Da machte es nichts aus, das er immer auch sein Kommentar dazu beitrug. Die Darbietung beendete Andrea durch ein geschickt eingefädelten Akkord. Es blieb einen Moment still nach der Darbietung. »Good.« Meinte eine sehr junge Stimme. Dabei paschte er mit seinen kleinen Händen zusammen. Danach folgte eine typische längere Kommentierung in seiner Sprache. Das er dabei etwas lauter wurde, störte niemanden im Salon. Jedoch weckte es die Aufmerksamkeit der Hunde. Neugierig, was ihr kleiner Schützling hatte, liefen sie direkt zu ihm. »Dada! Leonado, Savatore. Hi.«

»Also, das nenne ich aufmerksame Beschützer«, meinte Stefano. »Das sind sie«, bestätigte Andreas. »Schon beim ersten Kontakt lag ihnen Cedric am Herzen. Seitdem passen sie auf ihn auf. Wird er lauter, sind sie bei ihm. Sie überzeugen sich selbst, ob es dem Jungen gut geht.« Stefano dachte darüber nach. »Wird Gina auch einmal so ein Verhalten an den Tag legen?«, äußerste er seine Gedanken laut. »Das kommt darauf an, wie sie sozialisiert wird. Es ist wichtig, dass Gina von Beginn an mit eingeschlossen wird.« »Salvatore und Leonardo wurden doch plötzlich mit einer neuen Situation konfrontiert«, warf er berechtigt ein. »Das schon«, meinte Carsten nachdenklich, »doch es waren die beiden, die den ersten Kontakt mit Cedric hatten. Leonardo ist wohl durch seine Ausbildung darauf vorbereitet.« »Dem stimme ich zu. Salvatore war schon als Welpe sehr anhänglich. Er begleite mich auf meinen Hausbesuchen und hatte immer sehr viel Freude daran, wenn er mit Kindern toben konnte. Das sind positive Erfahrungen«, fügte Paul hinzu. »Doch ich glaube nicht, dass ihr euch deswegen groß Gedanken machen müsst. Gina kuschelt gern mit Cedric. Sie spielt mit ihm und selbst wenn er etwas grober wird, bleibt sie ruhig.« »Das hat er schon gelernt. Er zupfte Leonardo einmal am Fell. Ich sah mich in der Pflicht, ihm zu erklären, dass ein Hund das nicht mag. Ich zeigte ihm, wie Leonardo reagierte, wenn man ihm einfach streichelt. Cedric probierte es auch und Leonardo leckte ihm die Hand. Seitdem ist er sensibler. Er hat auch schon erfahren, dass unsere Hunde ihre Ruhezeiten benötigen.« Sprach Andreas aus Erfahrung. »Er fragt dann schon mal mit seinem ›Dada buh buh‹ nach.« Selbst Carsten musst bei diesem Satz schmunzeln. »Dada buh buh?«, folgte auch sofort von Cedric. »Ich denke nein. Magst du mit ihnen etwas toben?«, forderte Andreas seinen Sohn auf. Nonno setzte den Jungen auf den Boden ab. Salvatore schien verstanden zu haben. Jedenfalls stupste er mit seiner Schnauze den Stoffball zu Cedric. Im Salon wurde es lauter. Cedric hatte seinen Spaß.

»Leute, wir haben das Lunch ausfallen lassen. Dennoch hat jemand Hunger?«, fragte Andreas die Runde. »Gegen ein Sandwich habe ich eigentlich nichts«, meldete sich Andrea. »Gut, ich mach eine kleine Auswahl. Carsten?« »Essen? Nein, jedoch etwas Kaffee oder Tee hätte ich nichts.«

Es dauerte etwas, bis Andreas mit einem Tablet wieder im Salon erschien. Er hatte eine größere Auswahl zubereitet, dazu noch frischen Kaffee für Carsten. Außer Andrea bediente sich auch Stefano bei den Sandwiches. Carsten genoss die Tasse Kaffee.

»Ich weiß zwar nicht, was ihr machen wollt, doch ich denke, etwas Bewegung täte mir gut.« »Mir auch, Tiger. Können wir Cedric bei euch lassen, dann mache ich mit Carsten einen längeren Spaziergang.« Seine Großeltern und Eltern stimmten ihm sofort zu. Dann machten sich die beiden fertig. »Wie lange willst du Cedric allein lassen?« »Ich glaube, er wird uns sicher zwei Stunden entbehren können. Er hat seine Omas, Opas und Hunde bei sich. Wir sollten eventuell Wolf mitnehmen. Dann gehen wir bis zum Pub und zurück. Dauert etwa eineinhalb Stunden.«

Wenig später gingen zwei junge Männer mit Wolf in Richtung der Stadt. Wie auch immer Carsten es erriet, der Hund benötigte diese Bewegung. Er blieb gesittet an der Seite seiner Gastgeber. »Seltsam, mit dir durch den Schnee zu gehen. Das Quietschen des Schnees unter den Schuhen haben wir in den vergangenen Jahren nur selten vernommen«, sinnierte Andreas. »Ich mag es. Es ist so ruhig. Die Geräusche werden gedämpft. Auch wenn ich mich mehr konzentrieren muss. Es ist eine gute Übung«, lautete seine schlichte Antwort. »Sollen wir direkt zum Pub gehen? Wolf will sich wissen, ob dort alles okay ist.« »So hatte ich es vor.«

Am Pub lief Wolf direkt zum Eingang. Er bellte. »Seltsam. So hat sich der Hund noch nicht verhalten«, argwöhnte Andreas. »Vielleicht ist der Constable drinnen. Ben sagte ja, dass er nach dem Rechten sehen wird.« Andreas ging zum Eingang. Die Tür war nicht verschlossen. »Hallo, ist jemand da?« Wolf lief durch die geöffnete Tür direkt zu einem Tisch. Dort saß der Constable in Zivil. Vor ihm stand ein leeres Glas. »Constable Smith?« Der Angesprochene sah sich zwei jungen Männern und einem Hund gegenüber. »Hallo Wolf«, begrüßte er den Hund. »Es ist alles in Ordnung in deinem Revier«, besänftigte er ihn und streichelte ihn. »Verzeihung, ist es nicht ein wenig früh für einen Whisky?«, brachte sich Andreas in Erinnerung. »Sorry. Mr Zahradník. Mr. von Feldbach. Eigentlich schon …«, begann er, »… es ist wegen meines Sohns Eric.« »Ist ihm etwas passiert?«, fragte Carsten. »Nein. Es ist eher das Gegenteil. Der Junge macht mir das Leben zur Zeit nicht leicht. Wir haben uns gestritten. Es ist …«, brach er wieder ab. Carsten hörte die Sorge in der Stimme. »Darf ich fragen, was er angestellt hat?« »Eric ist eigentlich kein schlimmer junger Mann. Nun ein Lausebengel … manchmal …« Andreas und Carsten setzten sich zu ihm. »Er ist in einer sehr schwierigen Phase. Er findet keinen Job, dabei ist er durchaus intelligent. Kein Streber in der Schule, doch er hat einen sehr guten Abschluss. Ihm stünden alle Wege offen.« »Er weiß jedoch nicht, wonach ihm sein berufliches Herz steht?«, brachte es Carsten auf den Punkt. »Genau. Er ist handwerklich talentiert. Gepaart mit seiner schnellen Auffassungsgabe wünschte ich, er würde sich für ein technisches Studium entscheiden.« Andreas lachte leicht auf: »Die Wünsche der Eltern sind da nicht sehr hilfreich.« »Sicher nicht. Ich habe vor einigen Tagen unseren Schuppen im Garten aufgeräumt und dabei eine leere Sprühdose roter Farbe entdeckt. Ich befürchte, er war bei den Schmierereien auf dem Spielplatz beteiligt. Jetzt stecke ich in einem Dilemma. Die Dose müsste ich eigentlich der Polizei übergeben. Doch als Vater kann ich meinen Sohn nicht einfach der Strafverfolgung aussetzten …«, erzählte er.

»Das müssen Sie auch nicht«, begann Andreas, »sprechen sie mit Mrs Baker, Mr Palmer und den Hills. Wenn ihr Sohn gerade viel Freizeit hat, kann er in jedem Betrieb den angerichteten Schaden abarbeiten. Gerechtigkeit ist nicht immer nur eine Frage der Buchstaben in den Gesetzestexten. Es ist nicht einfach, das Thema zu vermitteln, doch es ist allemal den Versuch wert. Sprechen sie mit ihm als Vater und auch als Polizist. So wie Sie von Eric berichteten, scheint er mir ehr ein Mitläufer zu sein.« Der Constable dachte über das Gehörte nach. Nach wenigen Augenblicken schlich ihm ein verlegenes Lächeln ins Gesicht. »Das könnte funktionieren. Dafür, dass Sie beide noch junge Väter sind, haben Sie eine gesunde Einstellung.« Jetzt war es Carsten, der verlegen grinste. »Es ist die Summe der Erfahrung, selbst einmal Teenager gewesen zu sein.« Mit diesem Spruch brachte er auch beim Constable Smith etwas in Erinnerung. »Wolf, es ist alles in Ordnung. Ben und Gwenda kommen heute Abend zurück.« Andreas stellte das leere Glas hinter dem Tresen ab. Der Constable begleitete alle nach draußen und schloss ab. »Danke. Sie haben mir sehr geholfen.« Damit trennten sich ihre Wege.

»Du bist sehr großzügig, Schatz.« »Warum? Meinst du, eine Anklage würde den Schaden wettmachen? Wenn der Junge in jedem Handwerksbetrieb vier Wochen arbeitet, dann ist der Schaden schon beglichen. Carsten, wir sind hier nicht im anonymen London. Hier in der Region kennt jeder jeden. Da ist ein ›guter‹ Ruf viel wichtiger.« Gemeinsam gingen sie nach Hause. »Schatz, gehst du morgen einkaufen?« »Ja. Warum?« »Könntest du beim Fleischer Zutaten für die Hunde besorgen? Ich schreibe dir auf, was wir benötigen. Könnte mehr als üblich werden.« »Kein Thema. Vier Hunde von dem Kaliber brauchen einfach ihre Portionen. Dafür sind sie treue Seelen. Obendrein hält sie Cedric ganz schön auf Trab«, wurde Andreas schelmisch.

Ihr Weg führte sie an ihrer Garage vorbei. Die drei Wagen zierte eine kleine Schneehaube. »Ich glaube, Cedric würde sich freuen, unsere eingeschneiten Autos zu sehen.« »Wir sollten heute Nachmittag mit ihm noch einmal raus gehen. Mir scheint, er mag es, draußen zu sein. Selbst wenn es frisch ist.« »Willst du unsere Bande gleich in den Garten schicken?« »Ich denke, das haben Andrea und Ercan schon getan. Sie kennen Gina und Leon und dieser mag es ruhiger. Ercan sagte mir, dass er sein Bein nicht mehr richtig heben kann. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, es wäre ihm peinlich vor seiner Familie, wenn mein Bruder ihm anschließen das Hinterteil säubern muss. Ginas Blase hat noch nicht das Volumen, um viel Wasser bei sich zu behalten. Daher gibt sie Andrea zeitig Bescheid, wenn sie pieseln möchte. Wenn Gina mit ihrem Schweif wie ein Propeller rotiert, dann solltest du sie in den Garten lassen.«

Andreas stutze etwas: »Rotiert ihr Schwanz nicht permanent?« »Bei Retrievern nicht unbedingt. Max ließ ihren Schweif nur immer wedeln.« Andreas grinste bei der Beschreibung. Wedeln war eine gängige Umschreibung des Zustandes. Doch wenn Carsten sich mit ihr auf dem Boden wälzte, musste man aufpassen, dass sie nicht abhob. Die Turbine eines Jets war nichts dagegen. »Ob Cedric unsere Nonni in Grund und Boden gespielt hat?«, wechselte Carsten das Thema. »Klar. Unser Sohn hat Energie für eine ganze Kompanie Großeltern«, schmunzelte Andreas.

Der kleine Mann machte ein Nickerchen zwischen seinen Dadas. Seine Großväter hatten sich auf diverse Sitzmöglichkeiten verteilt und schlummerten. Luise sah sich bemüht, die Hausherren auf den neusten Stand zu bringen. »Babi und Nonna sind ihm Pool. Sie brauchten eine Pause von Cedric.« Andreas sah zu dem kleinen schlummerten Mann. »Hatte er nicht heute Morgen den Strampler mit dem Teddybären an?« »Paul hat ihn frisch anziehen müssen. Als ihr weg wart, haben sie mit dem Ball gespielt. Cedric war so begeistert dabei, dass er selbst überrascht war, dass seine Sachen nass waren. Darüber fing er an zu weinen. Paul nahm sich der Sache an. Ihr wisst schon, in abgeschiedener Atmosphäre ein Mann-zu-Mann-Gespräch.« »Ich hoffe, er hat ihm gesagt, dass es nichts Schlimmes ist.« »So wie ich dein Vater kenne, sagte er ihm das auch. Er machte ihn sauber. Zog ihm einen ähnlichen Hausstrampler an. Anschließend gingen sie in den Waschraum. Dort haben sie den schmutzigen Strampler in die Waschmaschine gesteckt. Die Wäsche sollte eigentlich sauber sein.« »Ich werde mich darum kümmern, und wie ging es weiter?« »Cedric fand es interessant und hat Paul mit vielen Fragen gelöchert. Hier im Salon hat ihm Paul eine Geschichte vorgelesen. Abgelöst wurde er von euren Hunden. Cedric sah sie und wollte etwas mit ihnen toben. Dann haben sie sich zurückgezogen und schlummern friedlich in den Kudden.« »Ein abenteuerreicher Nachmittag für Cedric. Wo sind die jungen Leute hin?« »Sind mit Gina und Leon etwas raus gegangen. Ist auch schon eine dreiviertel Stunde her.« Andreas sah Luise an. Scheinbar brannte ihr eine Frage unter den Nägeln. »Sagt einmal, woher bekommt ihr eure Dekoration? Es passt einfach zu eurem Interieur.« »Das meiste sind Flohmarktfunde. In London waren wir oft auf den diversen Trödelmärkten unterwegs. Die Leselampe in der Bibliothek ist so ein Fund. Da brauchte es lediglich einen neuen, modernen Stoff für den Schirm.« »Und die kleinen Statuen?« »Gehören ebenfalls zu den Funden. London hat viele Bezirke und wir waren viele Wochenenden unterwegs. Die kleine Plastik aus Marmor auf Carstens Schreibtisch ist ein besonderer Fund.« »Der kleine Hund? Er ist nicht wirklich geglückt, etwas unsymmetrisch.« »Stimmt. Carsten meinte seinerzeit, dass sie ihn an Arco, Max, Leonardo und Salvatore erinnern. Allen gemein ist eine gewisse familiäre Asymmetrie. Weiter ist diese Statue auch ein Lehrstück eines Schülers von Bartolomeo Ammanati.« Luise dachte einen Moment nach. »Bartolomeo Ammanati?«, fragte sie. »Ein italienischer Bildhauer aus dem 16. Jahrhundert. Sein bekanntestes Werk ist der ›Il Biancone‹, die Fontana del Nettuno in Florenz. Jedenfalls fanden wir die Statue auf einem Flohmarkt in Soho. Carsten tastete die Skulptur ab und fand sie auf Anhieb angenehm. Er handelte den Preis auf 40 Pfund herunter. Ich hatte da schon das Gefühl, der Händler wollte das Stück einfach nur loswerden. Zu Hause meinte Carsten, dass wir ein gutes Schnäppchen gemacht hätten.« »Warum? 40 Pfund ist nicht gerade viel für den Marmor«, war Luises Ansicht. »Jetzt kommt Carstens Tastsinn ins Spiel, denn er fühlte eine verblasste Initiale und ein Datum. Ich recherchierte erfolglos und wenn ich nicht weiter weiß, ist Zio Jihan meine erste Adresse in Sachen Bildhauerkunst. Ich schickte ihm Fotos und als sich mein Onkel bei einem Besuch in London das Stück genauer ansah, ließ er die Katze aus dem Sack. Obwohl der Schüler Sebastiano keine Berühmtheit erlangte, werden seine wenigen Werke bei Kunstkennern hoch gehandelt. Die Statue ›Il mio piccolo amico Peppino‹ aus dem Jahr 1582 hat einen Kunstwert von mehr als 700 Pfund. Jihan liebt den kleinen Hund, weil die Asymmetrie die Skulptur geradezu perfekt macht.« Luise war angenehm überrascht. Carsten hatte einen sehr sensiblen Sinn für besondere Kunst. »Der Poseidon im Wellnessbereich ist eine Empfehlung unseres Architekten Arthur Brown. Er meinte, dass die Statue den Bereich um den Pool auflockert.« »Jetzt fehlen da nur noch Nixen …« »Oder Wassermänner«, brachte Carsten eine Alternative ins Spiel. »Immerhin sind wir ein Männerhaushalt. Apropos Männer. Wo ist Papa?« »Der ist mit Merlin im Studio. Merlin bat ihn um etwas Unterricht.« »Dann lassen wir sie machen. Papa kann sein Instrument wirklich gut vermitteln.«

Im Pool schwammen die beiden Ladies eine um die andere Runde. Nach einer gefühlten halben Stunde verließen sie das Wasser und hüllten sich in ihre Bademäntel. »Ich lege mich jetzt noch etwas hin. Cedric hat für sein junges Alter ganz schön Energie.« »Wirklich? Andreas war nicht viel anders und Francesca war auch so manchen Abend ins Bett gefallen. Da hat Pawel die Nachtschicht übernommen«, wusste Babi zu berichten. »Ja, sie waren ein wirklich eingespieltes Team. Unsere Tochter war dann ganz froh, als Andreas dann öfters bei seinem Papa in seinem Betrieb war. Glaubst du, sie wären stolz auf ihren Bambino?«, gab Nonna zu denken. »Mehr als das. So wie Andreas sein Leben meistert, seine Familie unterstützt, leben seine Eltern in ihm weiter. Anders hätten unsere beiden es nicht gewollt«, antwortete ihr Babi. Dann kehrte eine nachdenkliche Ruhe in die kleine Schwimmhalle ein. Lediglich das Brummen der Umwälzpumpe hörten beide im Hintergrund.

Cedric bot sich ein süßes Bild, als er mit Andreas nach seinen Omas sah. Beide Nonni lagen schlummernd auf den Liegen am Pool. Durch ein sehr lautes ›Oma‹ holte er sie aus ihrem Nickerchen. »Bereit für eine neue Runde mit eurem Enkel?«, schmunzelte Andreas. »Sagen wir in einer halben Stunde? Machst du uns etwas Erfrischendes, einen Fruchtsaft?« Andreas wandte sich Cedric zu. »Was meinst du? Dürfen deine Nonni sich frisch machen und etwas zu sich nehmen?« Der kleine Mann guckte fragend in die Runde. »Da!«, entschied er souverän. »Ich denke, in einer Stunde ist es ihm auch recht. Einen besonderen Wunsch zum Fruchtsaft? Kirsche, Apfel, Birne, Banane, Mango …?« »Kirsche-Banane für mich«, wählte Babi. »Eine Apfelschorle für mich«, äußerte Nonna ihren Wunsch. »Steht bereit, wenn ihr fertig seid. Cedric wird mir dabei helfen. »Da?«, fragte Cedric ungläubig. »Natürlich. Wenn deine Omas mit dir spielen sollen, würden sie sich darüber freuen, wenn du ihnen ihren Saft machst.« Diese Antwort gab Cedric zu denken.

In der Küche machten sie sich daran, zwei wunderschöne Cocktails zuzubereiten. Das Spiel der Farben gefiel Cedric. »Babi da! Nonna da!«, entschied er, wo auf dem Tablett die Gläser stehen sollten. »Entscheide du, was soll ich zuerst in den Salon bringen?« »Nonno?« »Glaubst du nicht, dass Nonno mir etwas zu schwer zum Tragen ist? Jedoch denke ich, du möchtest erst zu deinem Urgroßvater.« Andreas nahm seinen Sohn und brachte ihn in den Salon. Dann holte er das Tablett. »Wow, für wen sind denn die Cocktails?« »Für Nonna und Babi. Möchtest du auch einen?« »Wenn es dir keine Umstände macht? Einem Vitaminschub bin ich nicht abgeneigt.« Andreas ging noch einmal in die Küche. Wenig später kam er mit zwei Karaffen zurück. Aus der Vitrine holte er zwei Longdrinkgläser. Schenkte erst den Kirschsaft ein und dann den Bananensaft dazu. Cedric fand es interessant, wie die Farben sich langsam vermischten. Er kommentierte, was er sah und freute sich.

Carsten setzte sich zu seiner Mutter. »Ich wollte dich schon immer einmal etwas zu deinen Vorlesungen fragen.« »Nur zu.« »Ich kenne das ja nur aus Filmen und so. Doch trägst du einen Talar in der Vorlesung?« »Nein und ja. Also während der normalen Vorlesung trage ich Jeans, ein Hemd und ein Sakko. Jedoch bei offiziellen Feiern tragen alle Dozenten einen Talar. Ein wenig Tradition für ein renommiertes College. Der Prinzipal steht nicht so auf steife Umgangsformen. Daher dieser Kompromiss. Im Übrigen ist mein Talar aus einem edlen Satin. Als Dozent steht mir ein dunkles Design zu. Meine Wahl fiel auf ein Anthrazit mit einem Absatz in Royalblue. Wegen der Ladies verzichten wir auf den Doktorhut. Einige haben wohl eine aufwendige Frisur.« Luise brauchte ein wenig, um das Gehörte zu verstehen. Dann entfuhr ihr ein Schmunzeln. »Obendrein finde ich diese Quaste einfach nur lästig. Selbst Leonardo ist der argwöhnisch gesinnt.«

Die Unterhaltung wurde durch eintretende Ladies unterbrochen. »Setzt euch. Eure Cocktails hat Cedric bereits serviert.« Angenehm überrascht setzten sich Babi und Nonna zu ihren Gatten. Diese reichten ihnen ihre Getränke. »Abba Dada!«, begrüßte Cedric Gina. Die kleine Hündin schob ihren Kopf durch die Tür. »Du bist aber ganz schön aufmerksam, mein kleiner Mann«, bestätigte Carsten seinen Sohn. »Magst du mit ihr spielen?« »No! DÄ›da.« Karel lächelte. Dann übernahm er seinen Enkel und beschäftigte ihn. Auch hier verfiel er immer wieder in seine Muttersprache. Carsten hörte, wie Cedric die gehörten Worte in seinen Wortschatz mit aufnahm. Auch wenn die Aussprache typisch für kleine Kinder war.

Ein wenig Tumult kam auf, als die jungen Leute sich zu den anderen gesellten. »Ist ja schon recht frisch draußen«, meinte Stefano. »Weichei!«, knuffte Andrea ihren Gatten an. »Wir waren ja auch eine Stunde im Freien. Kein Wunder, dass es einem da kalt wird.« »Wo wart ihr denn?«, fragte Andreas. »Wir sind eine größere Runde gegangen. Bis zum Spielplatz und dann über den Weg wieder zurück. Merlin war so freundlich und hat dann die kleine Pforte geöffnet.« »Sorry, wir haben nicht so viele Schlüssel.« »Ist doch nicht so tragisch. Notfalls hätten wir auch die Klingel benutzt. Jungs, da ist mir etwas aufgefallen. An eurem Portal ist so ein Gestänge. Ist das eine mechanische Glocke?« »Ja, und sie funktioniert auch. Nur kann man die nicht hören, wenn wir in unseren Arbeitszimmern oder im Keller sind. Daher gibt es noch den Klingelknopf. Dann läutet es im ganzen Haus«, klärte Carsten auf. »Seltsamerweise«, fügte Andreas zu, »benutzen die meisten die mechanische Klingel. Liegt wohl im Spieltrieb der Menschheit. Wo es etwas zu drücken oder ziehen gibt, wird das erst einmal getestet.« Just in diesem Moment ertönte die Klingel an der Pforte. Andreas ging nachsehen. Wenig später kam er zurück. »Mrs und Mr Gilles machen uns ihre Aufwartung.« »Wer ist das?« »Ein Nachbar und der Ortsvorsteher. Er ist der Besitzer der Highland Cattle, die vor einigen Tagen ausgebüxt sind. Wir haben ihn eingeladen, uns nach dem Fest zu besuchen.«

Andreas geleitete den Besuch in den Salon und stellte ihnen ihre Familie vor. Merlin grüßte ihn kurz und verschwand anschließend. Er ging zur Küche und bereitete Tee vor.

»Ihr habt ja wirklich etwas aus dem Haus gemacht«, begann Mrs Gilles. »Eine schöne Einrichtung und so stilvoll.« »Hört nicht auf das, was meine Angetraute von sich gibt. Sie ist nur neidisch, weil ihr so etwas nicht eingefallen ist. Ihr habt einen sehr gemütlichen Salon. Einen schönen Baum«, unterbrach er seine Frau nicht wirklich ernst gemeint. »Wenn es euch gefällt, umso besser. Der Baum ist das Ergebnis von familiärer Zusammenarbeit. Cedric liebt ihn jedenfalls. Wie wäre es mit einem Tee?«, schlug Andreas vor. Just kam Merlin mit einem Tablett hinein. Frischer Tee und eine Auswahl vom Weihnachtsgebäck. Babi nickte dem Jungen stumm zu. Merlin verstand den Wink, dass die Familie damit einverstanden war. »Ich habe mich noch nicht wirklich bei euch bedankt. Die Herde einzusammeln ist für Fremden nicht einfach«, kam ihr Gast auf ein älteres Thema zurück. »Nun«, begann Paul, »wir sind mit Tieren groß geworden. Dann sind da auch die Hunde. Die Tiere haben ihre eigene Sprache. Ich weiß nicht, wie sie es machen, doch Leonardo und Salvatore bauen Brücken. Da wird selbst der wildeste Stier lammfromm.« »Titan, der Leitbulle, ist eigentlich ein sehr friedliches Tier. Normal verlässt er seine Herde nicht, beschützt seine Ladies und Kälber«, umschrieb Mr Gilles den Charakter des Tieres. »Hast du denn schon herausbekommen, warum das Gatter offen war?«, fragte Andreas nach. »Nein. Jetzt habe ich das Gatter mit einem Fahrradschloss gesichert.« »Titan haben wir jetzt seit vier Jahren. Seine Herde hat sich wirklich gut entwickelt«, fügte Mrs Gilles hinzu und lachte. »Sorry. Als wir Titan kauften, wirkte er eher schüchtern. Doch seine ersten Kälber überzeugten. Einige seiner Jungs sind preisgekrönte Zuchtbullen. Unsere Kinder sind gern bei ihnen. Einmal die Woche ziehen sie los und lassen den Tieren eine umfangreiche Fellpflege zukommen.« »Darf ich Sie fragen«, mischte nun auch Andrea mit, »stutzen sie bei den Kälbern die Hörner?« »Nein. Früher wurden die Hornansätze gern weggeätzt. Man war der Auffassung, dass Hörner beim Säugen Verletzungen hervorrufen würden. Aber das sind Märchen. Falls ein Kalb wirklich seine Mutter beim Säugen piekst, macht die Kuh dem ganz schnell ein Ende.« Merlin schenkte den Gästen Tee ein. Rückte die Zuckerdose und das Milchkännchen zurecht. Andreas räusperte sich: »Wie steht es um die Feier für den Spielplatz? Die Unternehmen liegen ja vor dem Zeitplan.« »Der Frauenverein steht ihn den Startlöchern«, begann die Frau des Ortsvorstehers, »organisatorisch ist jetzt nur noch die Verköstigung dran. Weil es um die Kinder geht, wird kein Alkohol ausgeschenkt. Gwenda hat da ganz einfach entschieden. Mr Goodman hat dem sofort zugestimmt. Es werden Kekse, Kuchen, Sandwiches angeboten. Dazu Fruchtsäfte, Softdrinks und was Kinder so gerne trinken.« »Die Pavillons stellt die Gemeinde zur Verfügung«, brachte sich John ins Gespräch. »Mr. Hill Junior bestätigte mir, dass auch die Unternehmen bereits alle Informationen zusammengetragen haben. Andreas, vielleicht könntest Du einige Skizzen dazu beitragen?« »Natürlich, wenn Bedarf besteht, stelle ich einige Entwürfe zur Verfügung.« Paul stand auf und schenkte Luise eine Tasse Kaffee ein. Dazu legte er noch einige Scones. Lynn nahm von dem Weihnachtsgebäck. »Darf ich fragen, woher Sie das Gebäck haben? Es ist einfach wunderbar«, war Lynn von der Kostprobe begeistert. »Es ist nicht zu kaufen. In diesem Gebäck stecken mehrere Generationen Familienerfahrungen«, beantwortete Nonna die Frage. »Dafür hatten wir drei Tage Küchenverbot«, lächelte Carsten verlegen. »Doch Andreas und ich unterstützen diese Maßnahme. Die Rezepte sind ein Familiengeheimnis, so soll es auch bleiben. Das macht dieses Gebäck auch so einmalig.« Lynn wirkte enttäuscht: »Also keine Chance, an eines der Rezepte zu kommen?« Luise lachte auf: »Nein. Oder Sie wollen Mrs Sánchez zum erbitterten Feind haben. Es war ihre Bedingung.« »Nein, das würde in ärgerlichen Terror ausarten. Mr Sánchez spielt leidenschaftlich Dudelsack. Er wäre imstande, zu nachtschlafender Zeit vor dem Haus aufzuspielen.«

»Abba Cedic mmh?«, meinte Cedric sich bemerkbar machen zu müssen. »Magst du einen Keks haben? Dann bekommst du auch einen.« Carsten stand auf. Nonno reichte ihm den kleinen Mann. Dazu noch ein Scone. Der junge Papa tastete sich wieder zu seinem Sessel. Positionierte Cedric und gab ihm den Keks. Cedric besah sich das runde Etwas in seiner Hand. Dann, schwupp, war eine kleine Ecke in seinem Mund. Das Bröseln störte dabei nicht.

Andreas lenkte die Unterhaltung zu einem weiteren Event. »Wie ihr wisst, planen wir im März ein Konzert zur Einweihung der restaurierten Orgel. Wie steht es um Übernachtungsmöglichkeiten? Carsten, was sagtest du, dreißig Musiker plus ihre Instrumente?« »Ja. Sie kommen mit zwei Bussen.« Lynn schien sich besser damit auszukennen. »Patrick hat es bei der letzten Gemeindeversammlung erwähnt. Die Musiker werden wir samt Instrumente im Taigh-òsta ›White Swan‹ unterbringen. Das Hotel ist ideal. Es hat auch einen Konferenzraum, wo sich die Musiker einspielen können. Anne und William freuen sich darauf.« »Was ist mit den Kosten?«, wollte Andreas weiter wissen. »Die Gemeinde übernimmt diese«, beantwortete Mr Gilles die Frage. »Patrick sprach bei mir vor. Eigentlich wegen etwas Belanglosem. Dabei kamen unsere alten Collegeerinnerungen auf. Wie wir neben dem Studium jobbten und so. Kurzum, unser Gemeindepfarrer wickelte mich um seinen kleinen Finger. Bevor ich es realisierte, sagte ich ihm die Unterbringung und Kostenübernahme des Orchesters zu.« »Das reißt sicher ein Loch in den Etat?« »Nicht wirklich. Letztendlich fördern wir den Tourismus. Es wäre natürlich schön, wenn so ein Event sich wiederholen ließe.« »Kaum möglich«, meinte Nonna trocken. »Warum?« »Na das würde bedeuten, die Orgel jedes Jahr restaurieren zu lassen.« Carsten drehte sich ein wenig weg, um sein Grinsen zu verbergen. »Oh«, bemerkte John sein Fauxpas. »Sie haben natürlich Recht. Ich dachte da mehr an ein Konzert im Allgemeinen.«

DÄ›da zog etwas seine Augenbrauen hoch. »Gibt es hier keine vergleichbaren Konzerte? Gigs - so nennen es wohl die Jugendlichen. Nicht auch Highland Games mit Bagpipes oder beteiligen sich die Gemeinden an den BBC Proms?« »Die Proms finden hier in der Nähe nur alle drei Jahre statt. Leider fiel es beim letzten Mal aus. Ich würde gern auch mal ein kleines Rockevent für die jüngere Generation veranstalteten. Das scheiterte bislang jedoch am Widerstand der älteren Generation.« Carsten wunderte sich etwas. Rockmusik war doch eigentlich prägend für deren Zeit. Bevor er jedoch sich dazu äußern konnte, wurde er von Nonna unterbrochen. »Was für engstirnige Leute sind denn das? Ich liebe ein gutes Konzert mit Rockmusik. Meine Eltern und ich haben uns die Übertragung des Live Aid Konzerts 1985 angesehen. Bei dem Auftritt von Queen waren wir uns einig, 10.000.000 ₤, umgerechnet etwa £4500 zu spenden. Dabei waren meine Eltern bestimmt keine Fans der Rockmusik. Doch gute Musik, egal welcher Richtung, mochten sie«, wusste sie zu erzählen. »10.000.000 ₤ sind aber sehr viel Geld für die damalige Zeit. Das habt ihr doch nicht einfach so gestemmt.« Andreas kannte die alte italienische Währung ›Lira‹ noch. Ohne Schwierigkeiten konnte er mit den Beträgen etwas anfangen. »Bisnonna hatte entschieden. Die Familie legte zusammen, Gabrielle und ich hatten die Tageseinnahmen beigesteuert. Schnell hatten wir so die Summe zusammen. Bisnonna rief bei der Spendenhotline an und machte den Deal perfekt.« »Wie dem auch sei«, kam Carsten auf das eigentliche Thema zurück. »Konzerte würden sich gut machen. Egal welcher Stil. Es gibt der Region Impulse. Jedoch würde ich auch andere Events etablieren. Warum nicht auch mal eine Kunstausstellung heimischer Künstler. Ich nehme an, ein klassischer Bauernmarkt mit Preisauszeichnungen gibt es schon?« »Den hatten wir vor Jahren mal«, wirkte Lynn wehmütig. »Gibt es den denn nicht mehr?« »Nein. Die bekannteren überregionalen Auktionen für Landwirtschaft haben den Markt überflüssig gemacht. Lediglich die kleine regionale Gartenschau blieb erhalten.« Babi fragte Andreas auf tschechisch etwas. Carstens Angetrauter diskutierte einen Augenblick mit ihr. Carsten vernahm sein ›dobrý‹. »Also Babi meinte, dass man regional einige andere Attraktionen auszeichnen könnte. Wir leben hier quasi auf dem Land. Also warum nicht das Können der Menschen hier in den Fokus stellen. Wer macht das beste Haggis, Scones, Shepard Pie … Wer dekoriert zu bestimmten Anlässen die Örtlichkeit am schönsten und so weiter. Etwas Anerkennung durch die Gemeinde respektive Gemeinden ist wie Balsam auf den Seelen der Bewohner. Ich bin zwar nicht ein großer Fan von Crossrennen, doch gibt es hier einige Ecken, die sich für solche Aktionen anbieten. Zum Beispiel die Kiesgrube vier Meilen südlich. Ideal für ein Mountainbike-Rennen. Da kann sich die jüngere Generation messen.« Luise folgte den Ausführungen aufmerksam. »Wie ist es mit einer Rallye?«, schlug sie vor. John nahm den Faden auf: »Die Landwirte mögen es nicht besonders, wenn ihre Felder und Weiden zerwühlt werden.« »Das hat mit einer guten Rallye nichts zu tun. Ja, es wird schnell gefahren, aber auf befestigten Wegen und Straßen.« »Ich stimme Mama zu. So ein Rennen ist eine Herausforderung. Vor allem an die Teams im Auto. Die Fahrerinnen und Fahrer müssen sich sprichwörtlich blind auf die Kommandos des Beifahrers verlassen …« »Abba?«, unterbrach Cedric seinen Papa leise. Carsten wandte sich dann auch seinem Sohn zu. »Abba Teddy buh buh«, flüsterte er fast. »Dann bringen wir deinen Teddy ins Bett«, flüsterte er genauso leise seinem Sohn zu. »Ihr entschuldigt uns«, meinte Carsten zu den Anwesenden, stand auf und ging mit Cedric zu seinem Kinderzimmer. Dort legte Cedric seinen Teddy ins Bett und dann sich selbst daneben. Sein Papa deckte beide zu und gab Cedric einen Kuss auf die Stirn. Ein sehr leises ›Da!‹ vernahm er, dann hörte er regelmäßige Atemgeräusche. Er ertastete auf seiner Uhr die Zeit. Als er das Zimmer verlassen wollte, kamen ihm Salvatore und Leonardo entgegen. Carsten ließ sie passieren. »Danke, das ihr auf Cedric aufpasst.« Leonardo kam kurz zu ihm und schmiegte sich an sein Bein. Diese kleine Geste beruhigte Carsten. Auf der Treppe kam ihm sein Onkel entgegen. »Jihan! Du hast dich rar gemacht.« »Naja, ich bin spazieren gegangen. Dabei habe ich nicht nur die Zeit vergessen. Auch den Weg zurück. Eurer Pfarrer hat mich dann im Nachbardorf aufgelesen.« »Oh. Du hättest auch anrufen können. Andreas hätte dich abgeholt.« Zio Jihan wirkte etwas verlegen. »Ich habe schlicht vergessen, mein Cellphone zu laden. Jedenfalls lud er mich auf einen Kaffee ein. Dort haben wir uns sehr ausführlich unterhalten. Ich glaube, er brauchte jemanden, um einfach mal zu reden.« »Habe ich dir schon einmal gesagt, dass du den Menschen guttust? Du hast die seltene Gabe, zuhören zu können.« »Danke.« Dann trennten sich ihre Wege. »… er ist aber wirklich ein süßes Baby«, hörte Carsten seinen Gast sagen. »Stimmt, du hattest noch nicht die Gelegenheit, ihn kennenzulernen.« »Schläft er denn noch sehr viel?«, wurde Lynn neugierig. »Wie man es nimmt.« »Wie meinst du das?« »›Viel schlafen‹ ist relativ …«, fing Andreas an. »… nachts schläft er seine guten sechs Stunden und dazu noch einmal vier Stunden über den Tag verteilt.«, beendete Carsten den Satz. »Ansonsten hält er seine Umgebung durch seine Neugier in Schwung. Doch ich habe da noch eine Frage. Gibt es hier im Dorf etwas Vergleichbares wie eine Babykrippe? Wir sind der Ansicht, dass Cedric ruhig mit anderen Kindern in seinem Alter spielen sollte.« Jetzt zeigte sich, dass Lynn die Frau des Ortsvorstehers war. Ohne lange nachzudenken, beantwortete sie die Frage. »Zweimal die Woche gibt es im Gemeindehaus ein Elterntreffen. Die kleinen Gäste dürfen im Spielraum herumtoben, während die Erwachsenen sich bei einem Tee austauschen. Es ist ein Treffen der drei umliegenden Gemeinden. Ansonsten gibt es noch in der Nachbargemeinde eine Tagesstätte. Dort gibt es drei nach dem Alter eingeteilte Gruppen.« »Danke. Dann probieren wir es im kommenden Jahr. Bin schon gespannt, wie Cedric das sieht.« Mr Gilles sah auf seine Uhr. »Schatz, wir sollten wieder los. Die Kids warten sicher schon auf uns.« »Oh ja. Ich bin mal gespannt, womit sie uns heute überraschen werden.« »Macht ihr keine Bescherung am Weihnachtstag?« »Doch natürlich. Aber unsere drei machen seit einigen Jahren immer schöne Tage daraus. Sie sind der Meinung, dass wir uns auch einmal verwöhnen lassen dürfen. Bis zum Weihnachtstag bereiten wir alles vor. Nach Weihnachten bis zum Neujahrsmorgen sorgen die Kinder für uns. Lediglich unsere landwirtschaftlichen Pflichten machen wir gemeinsam. Heute Morgen servierten sie uns ein Breakfast am Bett.« »Das ist wirklich schön. Bereiten sie auch ein Dinner vor?« »Nein, wir fahren nach Inverness zum Essen. Sie haben uns eingeladen. Deswegen sollten wir auch langsam machen.«

Andreas öffnete leise die Tür zum Kinderzimmer. Cedric bot ihm ein süßes Bild. Leonardo lag in der Kudde uns blinzelte den Jungen immer wieder an. Salvatore saß vor seinem Bett und hörte ihm zu. Dabei spielte der Junge mit seinem Teddy. Andreas räusperte sich und erlangte so die Aufmerksamkeit der Hunde. Cedric sah sich um. Dann folgte schon ein fröhliches »Baba!« Andreas hob seinen Sohn aus dem Bett. »Baba iih!« Andreas ging mit ihm zur Toilette. Wenige Augenblicke später tröpfelte es. Dann war die Spülung dran. Andreas dachte darüber nach, ob das Verhältnis zwischen den fünf Millilitern Urin und den drei Litern Spülwasser gerechtfertigt ist. Das Lachen über den Erfolg von Cedric war es jedenfalls wert. Daher lobte Andreas seinen Sohn auch. »Baba? Dada iih un ahh?« »Die Hunde zeigen es uns, wenn sie nach draußen wollen. Dann lassen wir sie einfach in den Garten.« Cedric sah fragend Andreas an. »Deine Papas denken aber auch daran. Deswegen gehen wir mit Salvatore und Leonardo auch öfters spazieren. Du hast es ja schon erlebt, wie dann die Hunde ihre Haufen machen und Pipi.« »Da«, bestätigte der Junge auf seinem Arm. Auf der Galerie kam ihnen Carsten entgegen. »Abba!«, jubelte wild gestikulierend Cedric. Andreas übergab Cedric an Carsten. »Ich spüre, du bist recht munter«, meinte er zu ihm gewandt. »Magst du mit deinen Nonni spielen?« Cedric schüttelte seinen Kopf. »Abby, Baba, Cedic padsch?« Bevor Carsten antworten konnte, übernahm Andreas die Initiative. »Eine gute Idee. Ich frage Paul und Andrea, ob sie bereit wären, uns ein Abendessen zuzubereiten. Etwas Poolspaß würde uns sicher guttun.« Carsten gab sich geschlagen.

Eine halbe Stunde später tummelten sich fünf Männer im Pool. Ercan und Stefano schlossen sich den Dreien an. Der kleine Mann schien in seinem Element. Seine Bewegungen wurden koordinierter. Dennoch mochte er auf den Rücken der Großen reiten. Davon gab es genug. In einem stillen Moment fragte sich Carsten, woher Cedric das Volumen in seiner Stimme nahm. Sein fröhliches Quietschen übertönte alle anderen Geräusche. Andreas machte dem Badevergnügen dann ein Ende. Die Zeit im Wasser kühlte selbst den aktivsten Jungen ab. Cedric war zwar nicht begeistert und protestierte etwas. Doch das flauschig warme Handtuch überzeugte ihn. »Ihr könnt noch bleiben. Cedric braucht jetzt etwas Warmes zum Anziehen«, tat er sein Vorhaben kund. Carsten nickte lediglich. Wenig später folgte er seinen beiden Männern. Doch bevor er ging, bat er darum, die Schwimmspielzeuge einzusammeln. Stefano sah sich um. »Klar. Sind ja nicht viele.« »Bis auf die rote Ente können alle anderen hierbleiben«, informierte der Papa. »Und was ist mit der roten Ente?« »Die brauchen wir in Cedrics Bad. Es ist sein bevorzugtes Spielzeug, wenn er badet«, kam es trocken von Carsten zurück. Ercan grinste. Irgendwie erinnerte es ihn an seine Badewannenzeit. Bei ihm waren es bunte Plastikfische gewesen. »Ich hatte immer einen Gummikraken als Badewannenbegleiter. Papà achtete immer darauf, dass der Krake vor mir in der Wanne war. So war es einfacher, mich ins Wasser zu locken.«

Das Spielzeug war schnell eingesammelt. Neben einem Boot waren es einige Gummienten und Schwimmhilfen. Die besagte Ente nahm Ercan an sich. »Ich bringe sie Andreas. Hast du Lust, morgen zu saunieren? Dann kann ich Andreas fragen, ob er sie morgen einschaltet.« Stefano stimmte dem Vorschlag zu. Selbst wenn es im Haus angenehm warm war, so spürte er doch die Kälte des Winters.

Paul, Andrea und Luise bereiteten ein einfaches Dinner zusammen. Neben dem obligatorischen Salat machte Paul eine wärmende Bouillon. Luise widmete sich der Zubereitung der Speisen für Cedric. Andreas schlug einen fruchtigen Haferbrei vor und dazu einen Grießpudding als Nachspeise. Andrea nahm eines der Kochbücher. Darin blätterte sie eine Weile. »Kleines, suchst du etwas Bestimmtes?«, fragte Paul. »Ja. Andreas hatte ein Rezept für Reibeplätzchen. Die gingen schnell und waren leicht bekömmlich.« Ohne dass sie es bemerkte, betrat Carsten die Küche. Die letzten Worte bekam er noch mit. »Kochbuch Nr. 3 Seite 45. Es ist ein traditionelles Rezept aus der Tschechischen Republik. Andreas’ Mutter hat einige verwendete Gewürze dazugeschrieben. Darunter auch Kümmel. Andreas mischt etwas Kurkuma und Safran unter den Teig.« »Du kennst das Rezept?« »Natürlich. In London wurde es immer mal spät bei uns. Ich habe mich dann mit den Hunden auf eine Gassirunde begeben und Andreas machte uns dann diese Kartoffelpuffer. Es ist eine gute Idee, Andrea. Wenn du nicht mit der Hand die Kartoffeln reiben willst, in dem Schrank neben dem Kühlschrank steht unsere Küchenmaschine.« »Was machst du?« »Ich lasse unsere Hunde in den Garten. Dann bereite ich deren Rationen zu. By the way, Wolf wird uns heute wieder verlassen.«

Ben und Gwenda kamen spät. »Sorry, doch auf dem Motorway gab es durch Schneeverwehungen einige Behinderungen. Wie hat sich denn Wolf benommen?« »Euer Hund hat den Aufenthalt genossen. Ich denke, unsere Bande hat sich vorbildlich um ihn gekümmert …« Abwechselnd erzählten Andreas und Carsten, was sich in den letzten Tagen zugetragen hat. Ben war erstaunt, als er die Episode mit dem Überfall hörte. »Und Wolf hat zugebissen? Normal ist er lammfromm«, war Ben ein wenig stolz auf seinen Hund. »Oh ja. Er ließ erst ab, als ich ihn rief. Wie dem auch sei, euer Hund ist wirklich ein ruhiger Geselle. Er hat mit Charaid friedlich seine Kudde geteilt und mag Cedric. Der kleine Mann hat wohl einige Male Wolf als Kopfkissen genutzt. Doch wie war es bei eurer Familie?«

Gwenda seufzte leise. »Nicht so gut, wie wir es uns vorgestellt haben. Benny vermisste Wolf. Er mag einfach unseren Hund. Doch unser Schwiegersohn verbot es wegen seiner Allergie. Deswegen lag ein Schatten über dem Fest.« »Gegen Allergien gibt es doch schon genug Medikamente und Möglichkeiten der Desensibilisierung«, meinte Andreas: »Allein für Cedric würde ich schon von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen. Daneben kann ich mir vorstellen, dass ein tägliches Leben mit einer solchen Allergie nicht gerade entspannend ist.« »Ist es auch nicht. In der Nachbarschaft gibt es unzählige Tiere. Jacobs Augen tränen öfters und er niest auch ständig.« Paul folgte dem Gespräch wissend. »Ich würde als Tierarzt deswegen zu einer Therapie der Desensibilisierung raten. Ist zwar etwas langwierig, doch stehen die Aussichten auf Erfolg sehr gut.« »Meinst du? Dann werde ich mal mit Jacob ein ernstes Wort sprechen. Es wird Zeit, dass ich mal den bösen Schwiegervater mime«, grinste Ben. Selbst Carsten schmunzelte. Er konnte sich seinen Bekannten nicht wirklich als bösen Schwiegervater vorstellen. Andersherum wusste er, dass Ben als Wirt auch eine andere, harte Seite zeigen musste. »Trotz allem hat sich euer Enkel über euren Besuch gefreut?« »Der Junge war ganz überrascht, als wir vor der Tür standen. Wir sehen uns ja nicht so oft«, antwortete Gwenda. Carsten hörte die Liebe zu ihrem Enkel in ihrer Stimme. »Benny gehört ja schon zur Generation der sozialen Medien. Dennoch haben wir ihm ein klassisches Brettspiel geschenkt. Was soll ich sagen: Schach und Monopoly haben seinem Handy den Rang abgelaufen. Wir haben wohl wirklich vier Stunden gemeinsam gespielt. Lilly meinte bei unserer Abfahrt, dass sie schon lange nicht mehr so viel gemeinsame Zeit mit ihrem Sohn verbracht hat. Gibt es ein schöneres Kompliment für Eltern?« Luise nickte wissend. »Die Zeit mit den Kindern vergeht viel zu schnell. Erst halten sie einen nachts vom Schlafen ab und dann gehen sie schon ihre eigenen Wege. Ich gestehe, dass ich mit meiner Familie ein großes Glück habe.« Zwischenzeitlich kamen die Hunde zu ihren Herrchen. Wolf schien sich über die Anwesenheit seiner Familie zu freuen. Ben und Gwenda knuddelten ihn ausgiebig. »Dada, Wolf!«, mischte plötzlich Cedric mit. »Wow, Du kannst die Hunde auseinanderhalten?«, fragte Gwenda ernsthaft. »Da!«, ertönte eine junge Stimme selbstbewusst. »Mittlerweile unterscheidet er seine Teddys auf vier Pfoten. Leonardo und Salvatore kennt er bereits sehr genau. Er nennt auch manchmal schon ihre Namen. Leon, Gina und Wolf sehen ja unterschiedlich aus. Er vergleicht auch andere Hunde mit unseren. So hat er beispielsweise Lucky von den Hills mit Wolf verglichen. Vom Aussehen waren sie sich wohl ähnlich.« »Lucky starb doch diesen Sommer.« »Er sah ein Foto von ihm bei den Hills. Im übrigen haben sie nun drei Rottweiler-Schäferhund Mischlinge«, ergänzte Andreas. Ben sah überrascht zu Andreas. »Drei Hunde und wer kümmert sich um sie?« »So wie ich Mrs Hill verstanden habe, alle drei. Eine Hündin begleitet Victor und eine zweite Hündin Andrew. Mrs Hill wird nun von einem Rüden betreut. Sie sind auch ihre Wachhunde.« »Wie sind sie dazu gekommen?«, wurde Gwenda neugierig. »Das haben wir Merlin zu verdanken. Er schlug den Hills vor, im Tierheim auszuhelfen. Dabei blieben wohl aus einem Wurf diese drei Welpen übrig. Mrs. Hill hat sie dann alle drei adoptiert, weil diese Mischung nicht gerade jedermanns Sache ist. Anscheinend hat sie ihre Familie davon überzeugt, dass sie eine gute Nachfolge für Lucky sind. Ich habe den Eindruck, dass sie damit recht behalten wird.« »Nun, Lucky war auch nicht gerade ein einfacher Hund. Mrs Hill hatte ihn jedoch ganz gut unter Kontrolle«, gab Ben sein Wissen zum Besten. »Sagt einmal, dürfen wir euch zum Dinner einladen? Dann kann Wolf noch einmal mit unserer Bande gemeinsam seinen Napf leeren«, schlug Paul vor. Ben sah nur kurz zu seiner Gattin. »Das wäre freundlich, wenn es keine Umstände macht.« Luise beeilte sich, die Bedenken zu zerstreuen. Während die Gastgeber sich weiter mit dem Besuch beschäftigten, machten sich andere Familienmitglieder daran, das Dinner vorzubereiten. Ercan machte die Rationen der Hunde. Dabei achtete er penibel darauf, dass Wolf sein spezielles Fressen bekam.

Gwenda war von der einfachen Speisefolge angetan. Selten hatte sie ein so gutes bodenständiges Menü genossen. Dann war es so weit, nach dem Kaffee verabschiedeten sich alle von dem Besuch und dem Hund. Cedric wirkte ein wenig traurig, dass der wuschelige Hund nicht mehr da war. Andreas erklärte ihm, warum das der Fall war. Mit dieser freundlichen Antwort hellte sich sein Gesicht wieder auf. »Wolf, Dada Hause!« Was soviel bedeutet, dass er damit einverstanden war, dass der Hund wieder bei seiner Familie war. Jedoch wirkte er noch etwas munter zu der späten Stunde. »Schatz, ich gehe mit unserer Bande noch eine Runde.« »Glaubst du, Cedric würde sich über eine kleine Nachtwanderung freuen?« »Probieren wir es aus. Pack ihn warm ein und wenn ihm unterwegs die Augen zufallen, kann er im Tuch ruhig schlafen.«

Alle drei machten sich mit den Hunden auf den Weg. Cedric war ganz angetan, dass er spazieren gehen durfte, wo es doch schon dunkel war. Eine Weile blieb er ruhig und neugierig. Dann protestierte er, da er seine Hunde nicht richtig sehen konnte. »Das ist nicht schlimm. Hör doch einmal genau hin, dann wirst du deine Dadas hören«, schlug Andreas ihm vor. Der kleine Mann wurde leiser. Selbst Andreas musste eingestehen, dass es eine interessante Erfahrung war. Leon blieb in ihrer Nähe, während sich die anderen drei irgendwo in der Gegend herumtrieben. Hecheln, Knurren und leises Bellen drangen an sein Ohr. Dann nahm er wahr, dass es Unterschiede in den Lauten gab.

»Unsere Hunde haben ganz unterschiedliche Stimmen. Leonardo ist etwa dreißig Schritt vor uns links«, bestätigte ihn Carsten: »Er hat ein leichtes Timbre beim Hecheln. Das fehlt Salvatore, dafür hat er tiefere Laute. Das leichte Bellen ist von Gina, denn sie fiepst ein wenig. Salvatore hat gerade seine Nase am Boden und schnuffelt, er befindet sich rechts vom Weg.« »Du kannst unsere Tiere an deren Stimmen unterscheiden?« »Etwas anderes bleibt mir nicht übrig, wenn ich sie nicht ständig an der Leine halten will.« Dann besann sich Carsten auf ein anderes Geräusch: »Hörst du das Knistern im Gebüsch?«

»Ja, was ist das?« »Ganz genau weiß ich es nicht, doch es ist ein Tier auf kurzen Beinen. Es wühlt gerade unter der Schneedecke.« Andreas sah zu Cedric in dem Tuch. Dieser hörte scheinbar genau hin. Hin und wieder murmelte er etwas. Dann hörte auch sein Baba zu. So langsam hatte er sich an die leiseren Geräusche gewöhnt. Ein Uhu machte sich bemerkbar. Etwas, was er schon seit seiner Kindheit nicht mehr gehört hatte. »Was ist das für ein leichtes Flattern?«, flüsterte er. Ebenso leise antwortete ihm Carsten. »Das sind eventuell Flügelschläge von einem nachtaktiven Vogel. Ich tippe auf einen Kauz.« Aus der Entfernung erschallte ein seltsamer Ruf. »Das war gerade ein Luchs. Sein Ruf ist unverwechselbar, wenn man ihn kennt.« Andreas war überrascht, was Carsten so alles wusste. Sicher hat Paul mit ihm ebenfalls so einige Wanderungen in der Nacht gemacht. Seine Gedanken wurden durch eine Bewegung in dem Tragetuch unterbrochen. Als er hinuntersah, bemerkte er, dass Cedric eingeschlafen war. »Tiger, ich denke, wir sollten zurück. Unser Sohn schläft.« »Wir sind gleich zu Hause. Selbst unsere Hunde waren nicht auf eine sehr große Runde aus.« Andreas sah sich um. Tatsächlich, er konnte bereits die mild beleuchteten Statuen erkennen. »Pass mal auf. Du kümmerst dich um Cedric. Vorher scheuche mir Andrea und Ercan in den Porch. Ich habe keine Lust, alle vier wieder in einen hausfreundlichen Zustand zu versetzten.« Andreas sah sich nach den Hunden um. Carsten hatte deren Zustand - wie auch immer - richtige erkannt. Gina hatte sich wohl mehrmals im Schnee gewälzt und Leons Pfoten zeigten auch deutliche Schlammspuren. Bei Salvatore musste er unwillkürlich lächeln. Seine weiße Schnauze kontrastierte mit seinem üblichen Erscheinungsbild. Lediglich Leonardo hatte nur ein feuchtes Fell.

Andreas gab Carsten am Porch einen Kuss. Papa Carsten küsste anschließend seinen Sohn auf die Stirn. Dann besann sich jeder auf seine Aufgabe. Zur Überraschung erschien lediglich Paul im Porch. »Die jungen Leute haben sich bereits zurückgezogen«, informierte er. Paul nahm eines der Handtücher uns rubbelte die kleine Hündin ab. »Konntet ihr unserem Enkel etwas vermitteln?« »Den Ruf eines Uhus und das Flügelschlagen eines Kauzes. Dann hörte ich noch ein Lynx. Bei einem Geräusch war ich mir nicht sicher. Möglich, dass es der Meles Meles war, doch halten sie nicht Winterruhe?« »Bei den momentan herrschenden Temperaturen sehr wahrscheinlich. Ich würde eher auf einen Mustelidae tippen. Marder werden durch ihr Fell gut geschützt.« Carsten hörte, wie Gina entlassen wurde. Wasser rauschte. Paul nahm einen Lappen und reinigte die Pfoten des Rüden. »Seit wann bist du kitzelig, Leon?« »Ich glaube eher, er hat sich erschrocken. Salvatores Pfoten sind allesamt recht warm. Ist er denn sehr schmutzig?« »Ich habe es schon schlimmer gesehen. So, nur noch abtrocknen und er kann ins Haus. Wie weit bist du?« »Ich bin fertig«, meinte sein Sohn. »Ab mit euch.« Carsten ging zur Tür, schloss ab und aktivierte die Alarmanlage. Als auch Paul soweit war, gingen sie wieder in den Salon. Andreas‘ Großeltern spielten Bridge. Als Andreas um Hilfe gebeten hatte, hatten Luise und Paul ihre Partie Dame unterbrochen. Luise hatte die Pause genutzt, um sich etwas zu bewegen. Sie ging zum Baum und betrachtete ihn. So aus der Nähe entdeckte sie weitere Feinheiten in der Dekoration. Insgeheim war sie auf Andrea und Stefano stolz. Sie dachte über die beiden nach. Als Tierärztin war ihre Tochter phänomenal. Stefano unterstützte sie nicht nur privat, sondern er nahm ihr die ganze theoretische Geschäftsführung ab. Die Innovationen, welche sie neu einführte, machten sich bezahlt. Weniger schön war, dass der Firmenwagen immer wieder in der Werkstatt war. Doch von ihrem Vater wusste sie, dass in die Jahre gekommene Autos einfach anfälliger für Reparaturen war. Dennoch war ein neues Auto einfach nicht drin. Dazu kam, dass ihr Kollege im Herbst ankündigte, sich selbstständig zu machen. Da war einfach nicht mehr genug finanzieller Spielraum. Zum Glück hatte sich dieses Problem erledigt. Dennoch, der Herbst war immer die arbeitsreichste Zeit. Überstunden waren da schon an der Tagesordnung. Gerade in der Landwirtschaft. Die letzten Tage hier bei ihrer Familie taten ihr richtig gut. »Kommst du?«, unterbrach Paul ihre Gedanken. »Ja. Soweit ich weiß, bin ich am Zug.«

»Cedric ist im Reich der Träume«, meinte Andreas, als er zurück war. »Die neuen Eindrücke von dem Spaziergang haben ihn wohl müde gemacht.« »Oder das Geschaukel an Papas Bauch«, meinte Carsten schelmisch. »Wie dem auch sei. Magst du etwas haben?« »Einen Wein.« Andreas tat, worum er gebeten wurde. Dann ging er zur Anlage und sorgte für leise Unterhaltung. Ganz gemütlich klang dieser Abend spät aus.

Andreas hörte, wie sich am nächsten Morgen die Tür vom Schlafzimmer leise öffnete. Anscheinend waren ihre Hunde ins Zimmer gekommen. Mit geschlossenen Augen blieb er an Carsten gekuschelt liegen. »Ich glaube, wir haben Besuch«, flüsterte Carsten ihm liebevoll ins Ohr. Kurz darauf kam auch schon die Bestätigung. »Baba hi!« Andreas riss die Augen offen. Tatsächlich. Cedric krabbelte auf allen vieren durch ihr Zimmer. Andreas löste sich von seiner besseren Hälfte, stand auf und nahm den kleinen Mann an sich. Mit einem Kuss wünschte er seinem Sohn einen guten Morgen. Dann huschten sie gemeinsam ins Bett. Fast schon obligatorisch durchwühlten die drei die Laken. Cedric giggelte vor Freude. Irgendwann hatte Cedric genug und kuschelte sich an seinen Abba.

»Deine Schwester wirkt glücklich. Ihr bekommen die Tage hier in Schottland«, stellte er ihren Status fest. »Ja. Stefano sagte mir, dass sie vor ihrem Abflug noch beim Kalben helfen musste. Er war hörbar froh, dass Andrea diese Tage zur Erholung nutzt. Immerhin sollte sie ein wenig auf sich acht geben.« »Warum?« »Sie ist schwanger.« Andreas stutze: »Hat sie dir das gesagt?« »Musste sie nicht. Als sie ankamen, habe ich es irgendwie bei unserer Umarmung gefühlt. Dann war da noch Leonardo. Du weißt ja, dass er sie normal recht stürmisch begrüßt. Dieses Ritual fiel dieses Mal aus. Er holte sich sogar Bestätigung bei Leon. Hunde haben eine feine Nase. Möglich, dass er es schlichtweg gerochen hat. Ich bitte dich, es für dich zu behalten. Andrea hat zu entscheiden, wann sie es der Familie sagt.« »Gut. Sollen wir uns mal um das Frühstück kümmern?« »Nicht nötig. Paul, DÄ›da und Nonno bereiten alles vor. Ich war schon kurz unten, um die Hunde in den Garten zu lassen. Papa versprach, sich um alles zu kümmern und schickte mich wieder hoch.« »Lieb von ihm.« »Baba?« »Ja, was hast du auf dem Herzen?«, fragte er freundlich nach. »Mmh?«, lautete die schlichte Bitte. Cedric hatte Hunger und sein Wunsch war durchaus berechtigt. »Dann mal los!«, trieb Carsten seine bessere Hälfte an.

In der Küche war ein schöner Tisch gedeckt. Die Familie befand sich in unterschiedlichen Phasen eines geregelten Morgens. Die kleine Familie setzte sich an den Tisch. Babi hatte bereits ein kleines Frühstück für Cedric im Ofen warm gestellt. »Guten Morgen, ihr Langschläfer«, begrüßten Andrea und Stefano die drei. »Luise und Paul sind raus in den Garten. Merlin und Ercan machen mit den Hunden bereits eine größere Runde und eure Großeltern vergnügen sich im Wellnessbereich. Zio Jihan ist ins Dorf gefahren, um sich für sein Abenteuer einzudecken«, lautete die schlichte Information. »Dann machen wir ja als Gastgeber alles richtig. Jeder fühlt sich hier wohl«, bestätigte Carsten. Dann galt es, für Energie zu sorgen. Am Tisch wurde gemütlich gefrühstückt. Andreas fütterte Cedric mit Brei. Dabei sah der sich immer wieder neugierig um. Anscheinend gefiel ihm, was er sah. Als etwas störend empfand er, zwischendurch von seinem Papa den Mund abgewischt zu bekommen. Dann hatte er anscheinend genug. Den letzten Löffel Brei spuckte er wieder aus. Andreas wischte ihm erstaunt den Mund ab. »Gut, du hättest auch sagen können, das du bereits satt bist.« Als Antwort lächelte Cedric ihn frech an. »Gewonnen«, meinte Andreas, nahm seinen Sohn aus dem Stuhl, setzte ihn auf dem Boden ab und gab ihm den Spielzeughund. Cedric krabbelte etwas und beschäftigte sich mit dem Spielzeug. »Keine Angst, dass er euch entwischt?« »Nicht wirklich. Er ist zwar schon ein kleiner Marathonläufer, doch nach dem Frühstück wird er auch schnell müde. Wir vertrauen ihm und lassen ihm seine Freiheiten«, beantwortete Andreas ihre Frage. Dann widmete er sich weiter seinem Frühstück.

Die Türglocke unterbrach Carsten bei seinen Vorbereitungen für das kommende Semester. Andreas erwähnte beim Frühstück, dass er sich um den Jahresabschluss in der Buchführung kümmern würde. Stefano hatte angeboten, ihm dabei zu helfen. Carsten nahm das Telefon in die Hand und meldete sich. »Hallo Carsten. Francis und ich sind hier, um das Auto abzuholen«, hörte er Bryan sagen. Wenig später stand ein Gespann vor der Garage. Carsten wusste, dass ein Ferrari ein sehr wertvolles Auto ist. Dieser Oldtimer sicher noch etwas mehr. »Francis, würdest du das Auto vorsichtig auf den Anhänger fahren und fixieren? Dann decke alles mit der Plane sorgfältig ab. Ich habe mit Carsten noch etwas zu besprechen. »Okay Abby.«

»Schafft dein Sohn das allein?« »Ist nicht das erste Mal, dass er einen Wagen auf den Anhänger fährt. Er weiß, worauf er achten muss. Da mache ich mir keine Sorgen. Bevor wir wieder fahren, kontrolliere ich, ob der Wagen richtig verzurrt und die Plane auch wirklich gesichert ist. Aber das machen Rachid und ich jedes Mal.« Carsten akzeptierte die Antwort. Er merkte sich diese Vorgehensweise, seinem Sohn Verantwortung zu übergeben, für die Zeit, wenn Cedric selbst flügge wird.

»Also der Täter wird für lange Zeit keine frische Luft atmen können. Die Staatsanwaltschaft wird nach der Beweislage Anklage erheben. Hinzu kommen noch weitere Delikte, die aber separat verhandelt werden. Wegen der Schwere des Verbrechens wird die Anklage auf versuchten Mord lauten. Dazu wird ein Schwurgericht einberufen. Der Lord Justice Clerk hat die Verhandlung in zwei Monaten angesetzt. Davor werden alle anderen Delikte abgehandelt. Die Urteile werden letztendlich auch Auswirkungen auf die zu erwartende Strafe haben.« »Darf ich fragen, ob der Lord Justice Clerk klassische Musik favorisiert?« »Lady! Wenn deine Gedanken darauf hinauslaufen, ob eine Befangenheit vorliegen könnte, weil du ein berühmter Konzertpianist bist, so kann ich dich beruhigen. Die Strafe wird vorsorglich durch ein Richtertribunal festgesetzt. Unabhängiger kann ein Gericht nicht sein.« Dann sah Bryan sich um. »Wo ist deine Familie?« »Alle noch unterwegs. Luise und Paul sind mit Andrea unterwegs. Luise sagte etwas von Shoppingtour. Zio Jihan hat sich verabschiedet. Er will mehr von Schottland sehen. Merlin, Ercan und meine Großeltern haben sich die Hunde geschnappt und sind ebenfalls spazieren gegangen. Merlin sollte ihnen ein wenig von der Region zeigen. Cedric schläft. Andreas und Stefano kümmern sich um die Steuerunterlagen. Ich bin dabei, das kommende Semester vorzubereiten.« Carsten wurde nachdenklich. »Hast du noch etwas auf dem Herzen?«, fragte Bryan. »Du bist auf einmal nachdenklich.« »Ich hätte da noch etwas Privates. Du und Rachid habt doch Zugriff auf die Einwohnermelderegister. Könntet ihr etwas über die leibliche Mutter von Cedric herausbekommen? Wir haben lediglich ein DNA-Profil von ihm und eine handschriftliche Notiz.« »Willst du wirklich etwas darüber erfahren?« »Es wäre sicher nicht verkehrt, etwas darüber zu wissen, falls er einmal Fragen hat.« Das Argument leuchtete Bryan ein. Daher brauchte er für seine Entscheidung keine lange Bedenkzeit. »Gut. Ich setzte unsere Profiler darauf an. Ich nehme an, DI Blackmoore hat die entsprechenden Hinweise?« Carsten bestätigte die Vermutung. Ihre Unterhaltung wurde von Francis unterbrochen. »Abby, ich benötige Hilfe bei der Plane.« »Wir kommen.« Zu dritt ging es recht schnell, die Plane auf dem Anhänger zu verzurren. Gemeinsam mit Francis ging er anschließend noch einmal um den Ferrari herum. »Gut. Francis, du fährst uns wieder nach Hause. Denk bitte daran, dass der Anhänger in Kurven ausschwenkt.« Der junge Mann grinste seinen Vater lediglich an. Dann verabschiedete er sich von Carsten. »Du lässt ihn fahren?« »Er hat einen Führerschein und braucht Erfahrung mit Gespannen. Er wird auch mal Tiere transportieren müssen. Auch wenn das Emblem von Ferrari ein Hengst ist, so bewegt er sich recht wenig.« »Ich verstehe. Ich wünsche euch eine gute Heimfahrt.« Bryan verabschiedete sich ebenfalls und stieg ins Auto.

Carsten hörte ihn langsam davonfahren. Plötzlich wuselten Leonardo und Salvatore um ihn herum. Anscheinend waren einige Ausflügler zurück. »Ist alles gut, ihr beiden.« Dabei streichelte er Leonardo zwischen seinen Schlappohren. Im Haus suchten die Hunde ihre Wassernäpfe auf. Carsten ging zu Andreas. »Gut, damit haben wir alles erledigt«, hörte er Stefano sagen. »Hier sind die Unterlagen für euren Wagen.« Dabei übergab Andreas eine Mappe seinem Schwager. »Darin ist auch eine Schenkungsurkunde, die ich unterzeichnet haben. Ich hoffe, das Finanzamt akzeptiert die Urkunde.« Stefano warf einen prüfenden Blick auf das Dokument. »Das geht klar. Danke.« »Störe ich?«, fragte Carsten. »Nein, wir sind fertig. Da du gerade hier bist: Wir haben mit allem sehr gut gewirtschaftet. Ich bin geneigt, Mrs Sánchez eine Gehaltserhöhung zukommen zu lassen. Was meinst du?« Carsten dachte nach. »Ja, geht in Ordnung. Ab Januar und dazu gewähren wir einen Bonus für dieses Jahr. Sie hat kein Wort gesagt, als Cedric hier einzog. Dazu reinigt sie sein Bad jedes Mal, wenn sie hier ist. Das ist alles freiwillig.« Andreas stimmte zu. Er stellte einen Cheque über dreihundert Pfund dafür aus. »Habe ich richtig gehört, dass die Hunde wieder zurück sind?« »Das hast du. Kaffee oder Tee?«

In der Küche machten es sich die drei bei einem Kaffee gemütlich. Charaid machte ihnen seine Aufwartung. Er wählte Stefano und kuschelte sich bei ihm ein. »Der kleine Kater ist wirklich kuschelbedürftig«, stellte er vergnügt fest. »Oh ja. Sei dir der Ehre bewusst.« »Hält er sich denn viel im Haus auf?« »Im Sommer war er die meiste Zeit draußen. Da kam er lediglich zum Fressen und Schlafen ins Haus«, resümierte Andreas. »Ich habe schon viele Katzen in der Praxis kennenlernen dürfen. Doch Charaid macht da eine Ausnahme. Dr. Miller ist mit ihm mehr als zufrieden. Selbst Spritzen lässt er sich geduldig geben«, dachte Carsten laut an den letzten Besuch bei seinem Tierarzt. »Dann mag er Cedric. Ich habe ihn schon so manches Mal in seinem Bett gesehen. Eingerollt am Fußende. Eigentlich mögen wir es nicht, wenn Tiere in seinem Bett sind. Bei ihm machen wir eine Ausnahme«, fügte Andreas an. »Viel anderes bleibt euch wohl auch nicht übrig. Katzen sind eigenwillig.« »Das würde ich nicht sagen. Er bekommt sein Futter wie die Hunde auf dem Boden. Ich habe ihm einmal auf der Anrichte erwischt. Da habe ich ihn mir geschnappt, den Napf dazu und auf seinem Platz abgesetzt. Seitdem wartet er auch mit dem Fressen, bis der Napf auf dem Boden steht. Intelligent ist er jedenfalls.« »Merlin sagte mal, dass er angefahren wurde. Davon sieht man aber nichts.« »War nicht schön. Die OP hat lang gedauert. Wenn du ihn genau beobachtest, bemerkst du, dass er etwas humpelt. Die Natur hat ihre eigenen Gesetze. Charaid hat es sehr gut kompensiert.« Stefano unterbrach sein Kraulen und tastete die Muskulatur ab. Die Muskeln der Hinterbeine waren asymmetrisch gut ausgebildet. »Du kannst Tiere abtasten?« »Andrea hat es mir gezeigt. Immerhin bin ich der Ehemann einer erfolgreichen Veterinärin. Dazu kam dann ein Erste-Hilfe-Kurs für Tiere. Da können Andrea und Paul unerbittlich sein.« Andreas und Carsten lachten wissend. »Es kam mir sogar schon mal zugute. Paul und Andrea waren samstags unterwegs, da klingelte ein Notfall an der Praxistür. Ich hatte mir gerade ein Bad eingelassen, als Luise meiner Hilfe bedurfte. Gemeinsam haben wir dann den Notfall versorgt, bis Andrea wieder zurück war. Sie lobte uns beide. Dann nahm sie sich mit Papa des Tiers an.« »Das schwere Los, mit einem Tierarzt verheiratet zu sein.« »Wirklich als schweres Los bezeichne ich es nicht. Ich wusste von Anfang an, worauf ich mich einlasse. Obendrein gibt es einem ein gutes Gefühl.« Leonardo tapste zu ihnen und gesellte sich an Carstens Seite. »Na, suchst du Gesellschaft?« Leonardo schob sich noch etwas näher an sein Herrchen. Dann vergrub er seine Schnauze in dessen Kniekehle. Carsten kannte das Zeichen. Es war Zeit, sich seinem vierbeinigen Freund zu widmen. »Komm, etwas Wellness wird dir guttun.« Gemeinsam gingen sie zum Porch. Dort sprang der Hund direkt in die Dusche. Mit handwarmem Wasser duschte er seinen Hund. Anschließend nahm er eine weiche Bürste. Leonardo grinste, er genoss die Massage. »Du hast ein sehr seidiges Fell, mein Freund.« Carsten ließ sich viel Zeit. Dann war die lästige Kontrolle der Pfoten. Zwischen zwei Krallen spürte er einen kleinen Knubbel. »Tut mir leid, mein Freund, doch das sollte sich Andrea einmal ansehen. Nicht, dass es etwas Ernstes wird.« »Höre ich da meinen Namen?« »Richtig. Leonardo hat an der rechten Pfote einen Knubbel zwischen den Krallen. Möglich, dass es eine kleine Wunde war.« Andrea untersuchte die Stelle. »Nichts Ernstes. Wie du schon sagtest, war es eine kleine Wunde. Die hat er sich wohl geleckt und durch seinen Speichel konnte sie nicht richtig heilen. Ich gebe dir eine Salbe von Papa.« »Was ist darin?« »Kräuter, welche die Wundheilung unterstützen, und ein wenig Zitrusöl. Letzteres verhindert, dass er mit seiner Zunge daran geht. Es hat sich bereits in der Praxis bewährt. Morgens und abends einmassieren. Dann sollte es in vierzehn Tagen gut sein.« »Danke. Du, Andrea, könntest du mir einige der Salben, Tinkturen und Tabletten für unsere Hundeapotheke überlassen?« »Nicht praktisch. Es muss bis auf einige Ausnahmen frisch zubereitet werden. Ich könnte Papa bitten, dir einige Rezepte zu überlassen, dann könnt ihr diese selbst herstellen. Schwierig ist es jedenfalls nicht.« »Dann machen wir es so.« Andrea verließ die beiden wieder. Carsten wandte sich seinem Hund zu. »Komm, gehen wir noch etwas toben.« Im Salon machte Carsten, was Leonardo liebte. Sie wälzten sich auf dem Boden. Bis sich Leonardo dann nur noch seinen Bauch kraulen ließ. »Guck mal, Cedric. Dein Papa mag es auch, sich auf dem Boden zu wälzen. »Abby! Dada!« Andreas setzte den kleinen Helden ab und dieser kroch geschickt zu den beiden. Dann begann auch er, den Hund am Bauch zu streicheln. Leonardo brummte etwas. Dann galt es für ihn, die Etikette zu wahren. Er drehte sich und leckte die kleine Hand. »Lust auf Tee und Kekse?«, schlug Andreas vor. »Cedic mmh?« »Natürlich bekommst du Kekse und dazu einen Kakao«, bestätigte sein Baba. Carsten stand auf und Leonardo kuschelte sich ein wenig an Cedric. »Leonardo mag gerade die Nähe des Jungen«, stellte Paul fest. »Ich gestehe, dass ich ihn wegen der vielen Aufregungen der vergangenen Tage etwas vernachlässig habe. Das holen wir jetzt wieder nach. Ich glaube, Cedric wird mich dabei unterstützen.« Dann stand er auf und machte etwas Musik. Aus der Anlage ertönten leise Töne. Nicht zu laut, um eine Unterhaltung zu stören. »Andreas, Bryan hat seinen Wagen abgeholt. Wundere dich nicht, dass wieder Platz in der Garage ist.« »Oh, habe ich nicht mitbekommen. Ist auch ganz gut so, ein Ferrari war dann doch etwas übertrieben.« »Obwohl diese Autos schon etwas hermachen«, war Luises Kommentar. »Mama, dir kann es nie schnell genug gehen. Das hat Opa dir in deine Gene gelegt«, mischte Andrea mit. »Ich finde es gut«, bestätigte Paul. »Mit deinem Wissen haben wir alle Kurse in Fahrsicherheit gemacht.« »Ich nicht!«, wurde Carsten frech. »Du hast auch keine Lizenz.« Andreas lachte. »Dennoch hat er sich mutig hinter das Steuer eines Autos gesetzt. Während des Studiums habe ich ihm eine Runde Fahren auf dem Silverstone Circuit geschenkt. Der Fahrlehrer kannte sich aus und hat Carsten sicher drei Runden begleitet. Auch er hat ein Gefühl für Autos in den Genen.« Andreas machte eine Pause. Dann fiel ihm die Gegebenheit vom Morgen ein. »Noch etwas. Cedric hat uns heute Morgen besucht. Damit nichts passiert, wird das Gitter an der Treppe geschlossen. Ihr könnt es beiseiteschieben. Dann schließt es sich wieder von selbst.« »Ist das denn nötig?« »Wir möchten nicht, dass Cedric die Treppe hinunterfällt, solange er noch nicht sicher auf den Beinen ist.« Paul gab ihnen Recht. »Ich finde, es ist eine gute Maßnahme. Immerhin ist die Treppe wirklich lang und trotz des Läufers recht hart.« Die Großeltern nickten zustimmend. Dann wurde es interessant. Thema waren die Spaziergänge und was jeder so erlebt hatte. Leonardo gesellte sich zu Salvatore in ihre Kudden, nachdem Cedric sich Kakao und einen Keks gönnte.

Plötzlich meinte er: »Abby! Bum Bum.« Erst wusste keiner, was er meinte. Stefano sah sich um und dann fiel der Penny. »Ich glaube, er meint das Konzert. Ist das nicht Beethoven?« »Wow. Das ist meine Aufnahme mit dem Symphony Orchestra der BBC des dritten Klavierkonzerts. Dass Cedric das erkannt hat!«, sprach er nicht ohne Stolz. Luise nahm ihn ein wenig Wind aus den Segeln. »Ich nehme an, er hat ein Klavier erkannt und nicht, dass du spielst.« Dem kleinen Mann war es jedoch egal. Auf dem Schoß seines Papas wandte er sich ihm zu und schmatze ihm ein Kuss auf die Wange. »Wie dem auch sei«, mischte auch Andreas nun mit, »immerhin ist er sehr aufmerksam, was um ihn herum passiert. Denn keiner von uns hat auf die Musik geachtet.« »Da stimme ich Andreas zu«, unterstütze Paul den Stolz seiner Söhne. »Wir waren alle in Gesprächen vertieft. Keiner hat die Musik im Hintergrund wirklich zur Kenntnis genommen, bis auf Cedric. Da hat er nicht nur Musik erkannt, sondern dass es sich um ein Klavierkonzert handelt. Das ist eine erstaunliche Leistung für einen so jungen Mann.« »Das hast du wirklich gut gemacht, Cedric«, lobte Carsten. »Woher weißt du, dass es dein Konzert ist?«, wollte Nonna wissen. »Es ist die Art meines Anschlages. Für diese Sequenz habe ich damals zwei Wochen täglich geübt. Der Partitur nach soll das Klavier dynamisch lauter werden. Ich habe mich entschieden, die Dynamik erst eineinhalb Takte später beginnen zu lassen. Damit unterstreiche ich die Begleitung des Orchesters. Das kam bei den Musikern gut an und gibt diesem Konzert einen besonderen Charakter.« Das Telefon unterbrach Carsten. Andreas nahm das Gespräch an. »Moment Alessandro«, gab er zur Antwort. »Carsten, schaltest du mal das TV an? Alessandro bittet um ein Videocall.« Carsten nahm die Fernbedienung und tat, wie ihm geheißen. »Gut, Alessandro, wir sind online.« Auf dem Bildschirm erschien das Bild aus Italien. Neben Alessandro waren auch Andreas’ Zia und Zio zu sehen. »Ciao Andreas.« »Ciao, wie du siehst, sind wir alle beisammen …« Es wurde ein unterhaltsamer Chat. Selbst Cedric beteiligte sich daran. Zum Schluss ging es noch einmal um das Ristorante. »… wenn das so ist, brauchst du einen neuen Ofen. Es hat keinen Sinn, den Ofen reparieren zu wollen, wenn es keine Originalteile mehr gibt. Über die Finanzierung sprechen wir, wenn wir wieder zurück sind. Sieh zu, dass der neue Pizzaofen energieeffizient ist. Dann bleibt das Ristorante eben zwei Wochen zu. Unsere Stammkunden werden es verstehen.«, entschied Nonno souverän. Alessandro beendete das Gespräch. Für einen Moment schwiegen alle. »Nonno, ich habe nicht alles verstanden, was ist mit dem Ofen?«, interessierte Andreas das Problem. »Der Ofen ist nach drei Jahrzehnten einfach hinüber. Die Reparaturen werden immer umfangreicher. Jetzt ist das Scharnier einer der Klappen gebrochen. Ohne das Originalersatzteil ist unsinnig, es zu versuchen. Ein neuer Ofen kostet mit dem Einbau rund 20.000 Euro.« Andreas blickte nur kurz zu Carsten, der sich spielerisch mit Cedric beschäftigt. Dieser hatte jedoch dem Gespräch aufmerksam zugehört. Er nickte nur und Andreas hatte seine Zustimmung: »Uns dreien ist daran gelegen, dass unser Ristorante weiter bestehen bleibt. Daher steuere ich die Hälfte für einen neuen Ofen bei.« »Das können wir nicht annehmen«, lehnte Nonna den Vorschlag ab. »Doch, das könnt ihr. Denn das Ristorante ist auch ein Teil von mir. Mammà ist darin groß geworden. Ich habe mit Nonno dort meine Leidenschaft zum Kochen gelernt. Vielleicht wird Cedric ebenfalls dort die Raffinessen für gutes Essen kennenlernen. Dann sagte Zia, das auch im Hotel einiges gemacht werden müsste. Last but not least, das Ristorante ist für zwei Wochen geschlossen. Das schmälert die Einnahmen.« Andreas blieb dabei. Seine Worte klangen selbstbewusst. »Antonia, Andreas hat Recht«, ging Nonno auf den Vorschlag ein. »Unsere finanzielle Lage ist angespannt. Für den Ofen hätten wir einen Kredit aufnehmen müssen. Wir akzeptieren deinen Vorschlag.« »Gut, da das nun geklärt ist. Wer mag sich um das Dinner kümmern?«, hakte Andreas das Thema ab. »Paul, Andrea und Stefano kümmern sich um das Dinner«, bestimmte Luise schmunzelnd. »Ich mache etwas für Cedric«, schlug Babi vor. »Kartoffeln, Möhren und etwas Spinat«, ergänzte sie ihr Vorhaben. »Danke«, meinte Carsten schlicht. Dann tastete er nach einem weiteren Keks und gab diesen Cedric. Erfreut nahm er diesen und begann belustigt vor sich hin zu krümeln. »Ich werde mich gleich an die Tasten setzten. Das Klavierspiel habe ich ein wenig vernachlässigt.« »Ich übernehme dann unseren Sohn. Heute habe ich mich nicht wirklich um ihn gekümmert.« Spielerisch wechselte der kleine Mann von einem Papa zum anderen. Dezent zog sich Carsten in sein Arbeitszimmer zurück. Dort suchte er sich seine Partitur von Tschaikowskys Klavierkonzert heraus. »Es ist eine Herausforderung für mich.«, sprach er zu sich selbst. Dann konzentrierte er sich auf seine Fingerübungen.

Andreas begann mit dem Fingerspiel. Immer wenn Cedric einen zu fassen bekam, tauchte ein weiterer auf. »Baba. Teddy un Dada pielen.« Andreas sah sich um und fand die genannten Spielzeuge. Gemeinsam spielten sie mit dem Teddy. Dazu begann Andreas eine Geschichte zu erfinden. Cedric musste immer auch seinen Kommentar dazu geben und lenkte seinen Papa beim Erzählen. Die beiden bekamen nicht mit, wie sich einer nach dem anderen zurückzog.

Luise ging mit Ercan in den Wellnessbereich. Sie fragte ihren Sohn nach einer entspannenden Massage. Ercan stimmte dem sofort zu. Was Luise nicht ahnte, war, dass der Physiotherapeut auch den Koffer mit der Elektrostimulation mitnahm. »Also Mama, neben der Massage werde ich auch die Muskeln deines Beins stimulieren. Als Fachmann darf ich dir sagen, dass die Muskeln kaum abgebaut haben. Du wirst kaum Probleme haben, wenn die Hartschale wieder entfernt wird.« »Schatz, auch wenn ich diese Innovation nicht liebe: Aus der Vergangenheit weiß ich sie dennoch zu schätzen. Als ich mir damals bei dem Skiunfall das Bein brach, brauchte ich gute vier Wochen, bis ich wieder ohne Krücken gehen konnte. Das muss ich nicht noch einmal haben«, lautete ihre ehrliche Antwort. Dann entspannte sie sich und ihr Sohn begann mit der Therapie.

Paul zog sich seine gefütterte Jacke an. Dann ging er hinaus in den Garten. Plötzlich wuselten Gina und Salvatore um ihn herum. »Auch frische Luft tanken?« Gina lief ganz schnell zu dem Ort, wo sie sich lösen konnte. »Du hast es nötig gehabt. Ich sollte doch noch einmal mit deinem Frauchen sprechen«, meinte er nicht ganz ernst. »Warum willst du mit mir sprechen? Ich sah Gina quengelig werden. Da habe ich sie rausgelassen. Salvatore als Hundegentleman begleitet sie natürlich«, ertönte fröhlich Andrea im Bewusstsein, ihren Vater ein wenig zu erschrecken. »Erstens, wenn deine Hundelady quengelig wird, hast du schon zu spät reagiert. Zweitens, wenn du vorhast, mich zu erschrecken, dann solltest du nicht wie eine wildgewordene Elefantenherde herumtrampeln«, kam es schelmisch zurück. »Habt ihr Lust, mit eurem alten Papa etwas durch den Garten zu gehen?« Jetzt war Andrea doch sprachlos. Amüsiert nahm Paul das zur Kenntnis. »Liebes«, begann er sanft, »ich bin lange genug Tierarzt, um zu sehen, wann Weibchen trächtig sind.« Dieser Spruch veranlasste Andrea, ihren Vater liebevoll zu knuffen. »Du hast so ein Leuchten in den Augen. Ganz unverkennbar: Du bist schwanger.« Andrea harte sich bei Paul ein und legte ihren Kopf auf seine Schulter. »Weiß Mama davon?« »Machst du Witze? Wer bin ich denn, dass ich dir die Show stehlen will?« Andrea lachte bei dem Gedanken, dass Carsten vor nicht allzu langer Zeit Ähnliches gesagt hatte. »So etwas sagte mir Carsten auch. Ihr seid euch ziemlich ähnlich.« »Ich weiß. Er macht sogar einige meiner Gesten, wobei er diese sicher niemals sah. Du und deine Mutter habt auch viel Gemeinsames. Besonders euer Lächeln.« »Wir sind halt eure waschechten zweieiige Zwillinge.« Paul drückte sie leicht an sich. Gina gängelte Salvatore zum Spielen. Dann kam ganz der Gastgeber in ihm durch. »Salvatore hält sich etwas zurück.« »Kein Wunder, er ist schwerer und hat längere Beine. Gina soll auf ihre Kosten kommen und Spaß haben. Den beschert ihr Salvatore. Im übrigen ist Leonardo ebenso rücksichtsvoll gegenüber ihr und Leon.« »Ja, das haben sie wohl von Arco. Er hat Max als Welpe gefördert, aber auch gefordert. Beim Spielen ließ er sich einiges gefallen. Im Gegenzug lernte sie dadurch, sich auf ein anderes Lebewesen einzustellen. Das sah ich, als Arco krank wurde. Dein Bruder hatte keine Sekunde gezögert, sie sollte bei ihrem Papa sein. Und sie war bei ihm, als er starb.« Andrea dachte an das Weihnachtsfest zurück. »Glaubst du, dass Carsten an die beiden denkt?« »Natürlich. An ihren Todestagen wird er immer etwas still und zieht sich zurück. Leonardo merkt das und ist dann bei ihm. Dann gibt er ihm Halt.« In Gedanken sahen sie den beiden spielenden Hunden zu. »Gina, Salvatore!«, rief Paul und beendete den Besuch im Garten. Jedoch waren die Hunde über das Ende nicht seiner Meinung. Mit seinem satten Platsch sprangen beide in den Teich. Andrea lachte laut los. »So wie es aussieht, haben wir noch etwas zu tun.« Paul wirkte erst etwas verärgert, doch dann siegte seine Pragmatik. »Gut. Die Tiere haben entschieden, machen wir uns nützlich.« Im Porch sprang Gina direkt in die Duschecke. Andrea duschte sie kurz und rubbelte sie dann wieder trocken. Dabei kontrollierte sie Pfoten und Ohren. Paul kümmerte sich um Salvatore. Sein kurzes Fell machte es ihm leichter. Die Kontrolle integrierte er bei der Massage. Selbst das Gebiss begutachtete er. »Andreas und Carsten machen es richtig. Seine Beißerchen sind in einem tadellosen Zustand. Kein Zahnstein, kein Mundgeruch, eine schön durchblutete Zunge. Seine Lefzen sehen gesund aus.« »Der Vorteil von abwechslungsreichen Barfen. Schade, dass nicht viele Hundebesitzer diese Philosophie teilen.« Paul wusste, was seine Tochter meinte. So manches Mal musste er Hunden kariöse Zähne ziehen. Was auf Fertigfutter zurückzuführen war.

DÄ›da ging in die Bibliothek. Ihn interessierte, etwas mehr über die Geschichte Schottlands zu erfahren. Die Bibliothek war wirklich gut ausgestattet. Neben der Fachliteratur war der Bereich Geschichte außergewöhnlich gut bestückt. Schnell fand er ein Werk, welches ihm beim Lesen einen historischen Einblick des Fleckchens Erde bot. Jetzt bemerkte er auch, dass jede Geschichte zwei Seiten hat. Bekannt ist ja die Sicht seitens Englands mit der Historie um die Rivalität zwischen Mary Stuart und Queen Elisabeth I.. Jedoch las er erstaunt, wie sich Schottland über die Jahrhunderte selbstbewusst entwickelte. Erst mit Queen Viktoria entspannte sich die angespannte Lage zwischen den beiden Ländern. Was wohl auch an ihren Prinzgemahl lag, der ein Faible für Schottland hatte. Prinz Albert und seine Gattin Queen Victoria erwarben das Balmoral Castel in der Grafschaft Aberdeenshire als königliche Sommerresidenz. Dass sich Queen Elisabeth II. unter die Bevölkerung mischte, wurde wohlwollend zur Kenntnis genommen. »Karel, bist du eingeschlafen?«, wurde er von Babi beim Lesen unterbrochen. »Du bist schon seit gut zwei Stunden hier.« »Oh nein. Ich bin nicht eingeschlafen. Ich lese gerade über die Geschichte Schottlands. Ein interessantes Werk, gut recherchiert und lebhaft geschrieben.« »Ja. Die Jungs haben einen erlesenen Geschmack bei der Wahl ihrer Literatur. Ich habe beim Stöbern einige sehr alte Bücher zur Gartengestaltung gesehen. Pavel hat ihm eine schöne Basis vererbt. Doch komm jetzt. Es ist kalt und ich will heute Nacht nicht neben einem Eiszapfen schlafen.« Děda sah auf und lächelte verliebt seine Babi an. Dann legte er das Buch beiseite und folgte ihr.

Paul, Andrea und Stefano gingen in die Küche. Salvatore und Gina folgten ihnen. Es galt schließlich, die Blase nachzufüllen. »Was machen wir?«, fragte Paul. »Spaghetti und dazu zwei Varianten Tomatensoßen. Bolognese und eine vegetarische. Geht recht schnell und passt zu einem familiären Abend.« »Ich mache uns einen italienischen Salat«, meinte Stefano dazu. Ein wenig später kam Nonna hinzu. Sie hatte sich ja bereiterklärt, etwas für Cedric zu machen. »Antonia, Kartoffelbrei mit Möhrenkompott und Spinat?« »Eine spezielle Variante. Die Kartoffeln werden nach dem Kochen nur zerdrückt, so dass einige feste Stückchen erhalten bleiben. Da auch zwei kleine Augen Appetit haben sollen, mache ich ein Smiley. Cedric findet es bestimmt lustig.« Andrea lachte ihren Stefano an. Das mussten sie sich unbedingt merken. Erstaunt sahen sie, wie Nonna aus dem Regal ein Buch entnahm und ein entsprechendes Rezept aufschlug. »Kennst du das Rezept nicht auswendig?« »Das Grundrezept auf jeden Fall. Doch in der Familie haben wir immer auch an Feinheiten bei den Gewürzen und Kräutern gefeilt. Was dir schmeckt, ist noch lange nicht gut für ein kleines Kind. Viele neigen dazu, Kinderessen zu überwürzen, überzuckern und so weiter. Da halte ich mich lieber an die Erfahrung vergangener Generationen. So manches Mal gab es Diskussionen zwischen Pavel und Andreas, nur weil es etwas zu süß war oder zu salzig. Francesca hat das dann zu dem Rezept geschrieben. Sieh her: Andreas, einige Salzkristalle, sehr wenig Zucker.« Andrea sah die Notiz. Auch dass schon Andreas etwas hinzugefügt hatte. »Cedric bevorzugt Saccharum officinarum«, las sie laut vor. »Das versteht doch keiner!«, wandte Nonna ein. »Saccharum officinarum bedeutet Rohrzucker. Möglich, dass Cedric den Zucker aus den Zuckerrüben nicht verträgt«, schlussfolgerte Andrea. »Darf ich fragen, ob ich mir das Buch kopieren dürfte?« »Das ist nicht nötig, Andrea. Alessandro hat es abgeschrieben und auf unserem Computer gespeichert. Wenn du ihn fragst, schickt er dir sicher eine Kopie. Andreas hat das Original meiner Großmutter. Es wird eigentlich immer von der Mutter an ihre Tochter weitergegeben, daher gehört es ihm.« »Stefano und ich haben daraus schon mal etwas für Cedric zubereitet, doch ich gestehe, dass ich nicht so gut die italienische Schriftsprache lesen kann.« Nonna lachte herzerfrischend auf: »Meine Großmutter hatte schon eine eigenwillige Handschrift. Selbst meine Mutter hatte bei einigen Rezepten ihre Schwierigkeiten.« »Andreas kann so etwas lesen?« »Ich denke, er kann es deswegen, weil viele Überlieferungen im Gartenbau ebenfalls noch handschriftlich verfasst wurden. Hast du mal in seinem Archiv gestöbert? Ich habe eine handschriftliche Aufzeichnung eines viktorianischen Parks entdeckt«, berichtete Nonna, wobei sie Karotten putzte. »Nein, der Bibliothek bin ich bisher fern geblieben. Beruflich habe ich einiges an Fachliteratur zu bewältigen. Da habe ich mir vorgenommen, für ein paar Tage kein Buch anzufassen.« Stefano sah verliebt zu seiner Angetrauten. Er wusste, dass sie es nicht wirklich lange durchhalten würde. Doch die letzten Tage hatte sie sich an ihr Vorhaben gehalten. Jetzt machte sie Nonna neugierig, einmal in der Bibliothek ihrer Gastgeber zu stöbern. Er selbst wusste, was dort alles stand. Schließlich hatte er beim Einzug geholfen, die Bücher einzuräumen. Nonna nahm einen Topf zum Dünsten des Gemüses. Die Kartoffeln kochten bereits. »Was meint ihr zu einer Vanillecreme als Nachtisch?«, fragte Nonna die Anwesenden. »Geht recht schnell.« Stefano antwortete ihr auf italienisch, dass es ein sehr guter Vorschlag sei. Er bot sogar an, dabei zu helfen. Während der Zubereitung wurde auch viel gelacht.

Andreas klopfte leise an die Tür zu Carstens Arbeitszimmer. »Komm rein. Leonardo und Salvatore sind bereits bei mir.« »Ich habe gehört, dass dieses Konzert dir Probleme bereitet«, stellte Andreas fest. »Tschaikowsky ist schon recht anspruchsvoll. Ich kann nicht jedes Konzert auf Anhieb gut spielen. Es bedarf da einiger Stunden Arbeit.« Carsten blieb da ganz realistisch. »Ich wollte dich fragen, ob du noch lange hierbleiben willst?« »Nein, ich hatte vor, Schluss für heute zu machen. Einen Abstecher in den Garten und dann sollte es auch bald Zeit fürs Dinner sein.« Andreas begleitete seinen Carsten, Leonardo und Leon nach draußen. »Die frische Luft tut gut«, meinte Andreas nur. Carsten rückte etwas näher zu ihm.

»Ich mag deinen Duft, Schatz.« »Ja?« »Sicher. Ganz unverwechselbar, der Duft nach Baby.« »Arsch. Cedric hat beim Spielen etwas gesabbert …« »Nein, das meine ich nicht. Cedrics Aroma haftet auch mir an. Puder, Creme und alles, mit dem wir ihn pflegen, meine ich nicht. Nein, dein Duft ist unverkennbar. Ich mag ihn schon, seit wir uns das Zimmer im Internat teilten. Während deiner Ausbildung kamen auch noch weitere Komponenten wie Erde und Natur hinzu. Ich mag ihn einfach und, zugegeben, er macht mich auch immer wuschig.« »Ein schönes Kompliment. Du hast auch einen so unverkennbaren Duft. Maskulin. Ich liebe ihn. Vor allem, weil du auf ein sehr dezentes Deodorant setzt«, gab Andreas sanft zu. »Ehrlich, ich habe als Teenager einiges ausprobiert. Doch weder Arco noch Max waren damit einverstanden. Auch Chris meinte einmal zu mir, dass ich nach abgestandenem Brackwasser riechen würde«, lachte Carsten bei dieser Erinnerung. »Sie sagte mir, das ich so ein Duftwasser nicht nötig habe. Ich hätte ein sehr sympathisches Aroma.« Andreas bestätigte diese Aussage mit einem sehr verliebten Kuss. Dann kroch langsam die kalte Luft an ihnen hoch. »Salvatore, Leonardo …« »Leon und Leonardo«, verbesserte Carsten. Dennoch kamen beide Hunde zu ihnen. Carsten ließ Andreas los und ging in die Hocke. Beide Hunde kamen zu ihm. Leon leckte die kraulende Hand. Leonardo schmiegte sich an ihn. »Habt ihr euch erleichtert? Dann gehen wir jetzt wieder ins Haus. Später machen wir noch eine größere Runde«, meinte er sanft zu den Tieren. Carsten stand auf, hakte sich bei Andreas ein und gemeinsam gingen sie ins Haus.

»Ich wollte euch gerade zum Dinner holen.« »Ich muss noch die Rationen für die Tiere machen«, meinte Carsten zu Andrea. »Papa hat sich eines der Rezepte aus dem Brafenbuch angenommen. Merlin hat ihm dabei geholfen. Die Rationen stehen bereit.« »Wenn dem so ist, können wir essen.«

Im Diningroom war alles vorbereitet. Cedric mampfte mithilfe seines Babas seinen Kartoffelbrei und das Karottenmus. Andreas gab ihm auch ein Spaghetto zwischendurch. Nach dem Dinner zogen sich alle in den Salon zurück. Diesmal waren es Nonno und DÄ›da, die mit Erfrischungen aufwarteten. Andreas schenkte sich und Carsten Espresso ein. Cedric spielte noch etwas mit Salvatore. Andreas bemerkte, wie er langsam schläfrig wurde. »Ich bringe unseren Sohn zu Bett«, flüsterte er Carsten zu. Aus dem Babyphon erklang wenig später ein Schlaflied, welches Andreas sang. Nonno mochte, wie er das italienische Lied sang. Es hörte sich so an, als ob sein Urenkel langsam einschlief. Die Stimme wurde leiser.

Paul schenkte seiner Gattin einen Rosé ein. Dann fragte er die anderen nach ihren Wünschen. Andrea wählte dieses Mal einen Fruchtsaft, welches die Großeltern etwas seltsam fanden. Andrea blickte nur kurz zu Stefano. »Eigentlich ist die Zeit der Bescherungen ja vorbei. Doch ich habe noch eine kleine Überraschung für uns. Mama, Papa, ihr werdet wieder Großeltern. Ich bin schwanger.« Paul lächelte seine Tochter warmherzig an. Luise stand auf und umarmte ihre Tochter, danach ihren Schwiegersohn. Sie wirkte glücklich. »Darf ich zu diesem Anlass einen Sekt vorschlagen?« Andreas wartete keine Antwort ab. Er ging in den Keller und holte zwei Flaschen eines besonderen Jahrgangs. Carsten blieb nicht untätig und brachte mehrere Champagnergläser auf einem Tablett. »Carsten, das sind keine Sektflöten«, bemerkte Luise den angeblichen Faux pas. »Au contraire, ma chère maman«, antworte ihr Carsten in fließendem Französisch. »Le soi-disant ›Sekt‹ est de Champagne et le millésime est celui d'Andrea et mon année de naissance.« Just in dem Augenblick erschien Andreas mit dem edlen Traubensaft. »Danke Carsten, genau die richtigen Gläser.« Auf diesen besonderen Anlass stießen sie an. Luise räusperte sich: »Ich gebe es ungern zu, aber dieser Champagner hat Charakter. Genauso wie alle meine Kinder.«

In einem ruhigen Moment kam Stefano auf Carsten zu. Sein Schwager druckste etwas herum: »Ehrlich, ich bin mir nicht sicher, ob ich dazu schon bereit bin, Vater zu sein. Dann ist da noch der finanzielle Aspekt …« »Moment, Stefano. Was braucht denn ein kleiner Mensch? Ist es nicht vor allem Liebe, Geborgenheit und dass du dir Zeit für ihn nimmst?« Carsten sprach mit einer sanften, doch festen Stimme. »Luise und Paul, deine Eltern werden schon dafür sorgen, damit ihr Enkel gut ausgestattet wird.« »Was ist, wenn ich etwas falsch mache? Ich habe noch nie Windeln gewechselt oder gar ein Baby gebadet«, gab er seine Bedenken preis. »Das lernst du alles während der neun Monate Schwangerschaft. Doch so schwer ist das nicht. Andreas lernte das alles in nur drei Monaten. Dazu noch die Grundlagen der physischen und psychologischen Entwicklung. Ich durfte es lernen, weil Mama und Papa Andrea und mich bei der Pflege von Ercan mit einbezogen haben. Ihr beide werdet sehr gute Eltern sein.« Stefano blickte Carsten an. So hatte er es nicht bedacht. Klar, er würde mit Andrea die Vorbereitungskurse während der Schwangerschaft machen. Womöglich bei der Geburt mit dabei sein. Das alles konnte er lernen. Dann waren da ja auch noch Luise und Paul, die er immer um Rat fragen konnte. Carsten hatte recht. Gemeinsam würden sie es schaffen. »Es gibt sicher viel Literatur zu lesen.« »Eigentlich ist Andreas mit nur zwei Büchern ausgekommen. Ein Buch über die Anatomie und eines zur geistigen Entwicklung. Doch er sagte mir, dass die Pflegerin, welche sich um Cedric während der Adoptionsphase kümmerte, ihm riet, sich daran zu erinnern, wie er selbst seine Kindheit erlebt hat. Ich finde, einen besseren Ratschlag konnte sie ihm nicht geben.« »Was ist, wenn das Kind behindert ist?« Carsten fand diese Frage irgendwie berechtigt. Er kannte solche Bedenken aus seiner eigenen Familie: »Sieh mich an. Ich bin blind. Meine Familie liebt mich, selbst wenn es für sie nicht einfach war. Sie haben mich immer auf meinem Weg begleitet. Für einen Teil meiner Verwandtschaft war ich einfach nur behindert. Luise und Paul widersprachen ihnen konsequent. Carsten, sagten sie immer, ist ein besonderer junger Mann, der sich allen Widrigkeiten des Lebens stellt und als Sieger daraus hervorgeht. Vor allem kümmert er sich vorbildlich um Andrea. Steht ihr zur Seite. Gibt ihr sicheren Halt.« »Wow! Jetzt verstehe ich Stellina. Sie hält große Stücke auf dich. Sie erzählte mir von der schlimmen Grippe, welche ihr arg zusetzte.« Carsten hörte sehr wohl die Bewunderung in Stefanos Stimme. »Oh, das war für uns beide nicht einfach. In dem Jahr bekam ich diverse Impfungen, die ich als Sohn eines Tierarztes bekam. Eine Grippeimpfung kam damals nicht infrage, da die Wirkstoffe einfach nicht kompatibel waren. Prompt fing ich mir die Grippe ein. Mama und Papa haben uns zu Hause gepflegt. Doch während ich mich so langsam erholte, ging es meiner Schwester immer schlechter. Nach drei Tagen musste sie dann ins Krankenhaus. Papa war schlichtweg ratlos. Da habe ich ihm den Vorschlag unterbreitet, mich ebenfalls zu ihr ins Krankenhaus zu bringen.« »Du warst doch auch krank. Keine Angst vor einer erneuten Ansteckung?«, warf Stefano berechtigt ein. »Nein, zu unserem Glück hatten wir uns das gleiche Virus eingefangen. Mein Immunsystem hatte da schon die Oberhand gegen das Virus. Jedenfalls wurde ich zu Andrea gelegt. Ich brauchte nur ihre Hand zu halten. Selbst der Arzt wunderte sich, wie sich auf dem Überwachungsmonitor schon nach wenigen Stunden einiges änderte. Bereits nach 24 Stunden hatte sich Andreas Zustand stabilisiert. Es brauchte da lediglich meine Nähe.« »Warum?« »Einfach weil wir Zwillinge sind. Neun Monate haben wir dicht an dicht gelegen. Als Babys haben wir immer in einem Bett geschlafen. Später teilten wir uns einen Raum, bis wir als Teenager jeder sein eigenes Reich bekamen. Alle Kinderkrankheiten haben wir gemeinsam durchgestanden. Die Grippe war seinerzeit die erste Krankheit, die wir unabhängig bekamen. So wie mir Andreas Nähe fehlte, fehlte meine ihr. Es dauerte zwar noch weitere zwei Wochen, bis der Arzt uns grünes Licht gab. Doch das war es uns allemal wert«, berichtete Carsten. »Daraus ist dann auch Papas alternative Heilmethode bei Tieren entstanden. Er hat beobachtet, dass kranke Tiere, welche in Gruppen lebten, durch ihre Artgenossen gepflegt werden und damit den Heilungsprozess beschleunigten. Das überzeugte auch so manche Landwirte.« »Ich weiß. Andrea hat es mir erklärt. Bei Nutzvieh sind Medikamente immer ein zweischneidiges Schwert. Manche Pharmazeutika schließen anschließend das Tier für die humane Lebensmittelverwendung aus. Da lobe ich mir die Innovation der natürlichen Heilkräuter.« Carsten nickte bestätigend. Auch wenn er Musik studierte, war er immer daran interessiert, was seine Schwester in der Tiermedizin erlebte. »Im übrigen bist du ein sehr guter Partner für Andrea. Wir sind gar nicht so unterschiedlich. Luise schrieb mir während des Studiums, wie Andrea wieder an einer Grippe erkrankte und du dich dann vorbildlich um deine Freundin gekümmert hast. Anscheinend haben wir so manche Pheromone gemeinsam.« »Wie meinst du das?« »Sieh einmal, dass ich Andrea helfen konnte, lag schlichtweg an der körpereigenen Chemie, auch als Pheromone bekannt sind. Wissenschaftlich nachgewiesen suchen sich Weibchen - profan ausgedrückt - immer auch Männchen aus, deren Pheromone zu einem Teil der eigenen Familie ähnlich sind. Der andere Teil dient der Fortpflanzung. Du magst es nicht glauben, doch Andrea hat mich vor eurer Hochzeit gefragt, ob du der rechte Mann seist. Ich sagte ihr, dass sie keinen besseren im Universum finden könnte.« »Wie konntest du das wissen?«, wollte Stefano erfahren. »Da kommt mir meine Blindheit zugute: Ich mochte dich von Anfang an gut riechen. Für das Äußere ist Andrea zuständig«, grinste Carsten Stefano an. »Es wird Zeit für eine letzte Runde mit den Hunden.« »Ich komme mit«, bot Stefano an. Beide jungen Männer zogen sich warm an. Am Porch rief Carsten nach den Hunden. Wobei Leonardo und Salvatore bereits auf ihn warteten. Kaum war die Tür offen, stoben vier Hunde raus. Stefano wunderte sich etwas, wie flink seine kleine Hündin eine Stelle zum Lösen suchte. »Kann sein, dass du Leon noch sein Hinterteil reinigen musst.« »Ich weiß. Dafür habe ich auch immer einige Papiertücher dabei.« Stefano entwich ein Lachen. »Was ist so lustig?« »Ich war letzten Sommer mit den beiden am See. Da haben sich einige Passanten gewundert, weil ich ganz ungeniert seinen Schweif anhob und abwischte. Dann packte ich alles in einen Kotbeutel. Einige fanden es unhygienisch und sagten es mir auch. Warum, fragte ich zurück. Glauben Sie allen Ernstes, Sie wären glücklich mit einem Schiss in der Hose …« Carsten lachte wegen der Antwort ebenfalls. »… die Leute waren wegen meiner direkten Antwort echt geschockt. Weiter sagte ich ihnen, dass selbst dem Hund es nicht gefällt, mit einem schmutzigen Hinterteil in den See zu springen. Das tat Leon dann auch mit viel Freude.« »Ich nehme an, die Passanten sind dann nachdenklich weitergegangen?« »Ob sie weiter darüber nachgedacht haben? War mir wirklich egal. Leon und Gina waren im Wasser glücklich und ich habe den Beutel dann sicher entsorgt.« »Hier brauchst du den Beutel nicht wirklich. Andreas geht manchmal mit einer Harke durch deren Bereich, damit ist alles wieder in Ordnung.« Beide gingen ein wenig im Garten auf und ab. Stefano genoss die ruhige Atmosphäre des Gartens. Dann besann er sich auf den Badespaß am Nachmittag: »Sag einmal, können wir morgen eure Sauna benutzen?« »Klar. Wenn du willst, programmieren wir das Aufheizen. Damit steht dem Vergnügen nichts mehr im Weg.« Ihre Aufmerksamkeit wurde auf die Hunde gelenkt. »Lass uns ein wenig ums Haus gehen.« Carsten nahm seinen Stock und ging los. Die Hunde folgten ihnen in einiger Entfernung. Während Leonardo und Salvatore sich jagten, blieb Gina bei ihrem Papa. Gemütlich liefen sie nebeneinander her. »Gehen wir weit?« »Nein. Vielleicht zwanzig Minuten. Unsere beiden powern sich gerade gut aus. Warum?« »Gina begleitet Leon im ruhigen Tempo. Ein Zeichen, das sie nicht mehr lange durchhält. Zwanzig Minuten sind gut.« »Du kennst die kleine Lady wirklich gut.« »Ist nicht sehr schwer, wenn man ihre Signale zu lesen weiß. Ich kenne sie ja schon seit ihrer Geburt. Normalerweise ist sie ein Energiebündel. Doch wenn sie bei ihrem Papa bleibt, mag sie nicht mehr lange auf ihren Beinen bleiben.« »Sie kann ja nachher alle viere von sich strecken. Ihre Familie wird schon dafür sorgen, dass as sie relaxen kann.« Ohne dass Stefano es bemerkte, nährten sie sich wieder dem Hintereingang. Im Porch kontrollierten die Herrchen ihre Hunde. Leon und Gina durften ohne weiteres ins Haus. Die beiden Gastgeberhunde genossen die Massage beim Trockenrubbeln. »Stefano, kannst du Leonardos Pfote mit dieser Salbe einreiben? Er hat dort eine Wunde, die er sich leckt.« »Oh, Papas Produkt. Ich kenne das Zeug. Klar mache ich das.« Nach der kleinen Behandlung verzogen sie sich schnell zu ihren Schlafplätzen. Carsten kontrollierte die Tür und aktivierte die Alarmanlage.

Im Salon waren nur noch Andrea und Andreas. »Alle haben sich schon zurückgezogen«, informierte Andreas. »Wollt ihr noch lange aufbleiben? Ich laufe bereits auf Reserve.« »Nein, wir können auch Feierabend machen.« Hinter sich löschte Andreas das Licht. Auf der Galerie trennten sich ihre Wege. Andreas und Carsten sahen noch bei Cedric rein. Jeder gab dem kleinen Mann einen sanften Kuss auf die Stirn. Arm in Arm suchten sie ihr Schlafgemach auf.

Mrs Sánchez begrüßte die junge Familie mit einem fröhlichen Guten Morgen. »Cedric, du bist schon wieder gewachsen!«, stellte sie fest. »Vielleicht weniger als ein Inch. Er ist ein guter Esser und schon recht mobil. Wir haben beschlossen, das Sicherheitsgitter zu schließen, weil er gestern zu uns ins Schlafzimmer gekommen ist.« Mrs Sánchez nickte zustimmend: »Gut. Ich werde heute sein Zimmer machen.« Erst jetzt bemerkte Cedric die Lady: »Hallo!« »Madainn mhath Cedric«, begrüßte sie den Jungen in Scots. Dann wanderte sein Interesse zu dem Kompott vor ihm. Andreas hatte die Aufgabe, seinen Sohn mit der nötigen Energie zu versorgen.

Carsten nahm den Faden von vor der Unterbrechung wieder auf: »Den Poolbereich können Sie auslassen. Unsere Großeltern gehen gerne dort ihrem Bewegungsdrang nach. Dann wird auch die Sauna heute noch in Betrieb gehen. Lassen sie es ruhig angehen. Nächste Woche werden wohl alle Gästezimmer gründlich gereinigt?« Mrs Sánchez bestätigte die Annahme. Sie hatte sich dafür schon einen Plan zurechtgelegt. »Mrs Sánchez, wir haben uns überlegt, ihnen für dieses Jahr einen Bonus zu geben. Es war kein einfaches Jahr und durch Cedric haben sie mehr Arbeit. Dann wird auch ihre Entlohnung im kommenden Jahr angehoben.« »Das ist doch nicht nötig. Sie zahlen schon gut«, protestierte Mrs Sánchez. Just in dem Moment lächelte Cedric sie charmant an. »Sie haben keine andere Wahl als zu akzeptieren. Ein durchschnittlicher Haushalt ist sicher einfacher zu managen«, meinte Andreas ernsthaft. »Sie nehmen sich auch Zeit für unsere Hunde, lassen sie raus in den Garten oder spielen etwas mit ihnen. Das geht doch weit über ihre eigentliche Aufgaben hinaus. Nein, wir schätzen ihre Zuverlässigkeit.« Mrs Sánchez bedankte sich über dieses gute Zeugnis. Dann machte sie sich einen Tee und setzte sich zu den dreien an den Tisch. Während sich Cedric weiter seinem Frühstück mit seinem Baba widmete, besprachen sie die Aufgaben, die nach der Jahreswende anstehen würden. Carsten wunderte sich, wie weit ihre Raumpflegerin sich Gedanken machte. »… Ich habe eine Firma gefunden, die professionell Teppiche reinigt. Ich schlage vor, neben dem Teppich unter Ihrem Flügel auch den Läufer zum Porch reinigen zu lassen. Er riecht etwas streng nach Hund.« »Machen Sie nur. Jedoch alles ohne Parfüm. Die Hunde mögen es einfach nicht in ihrem Revier.« »Das habe ich bereits geklärt. Beide Teppiche werden lediglich gewaschen. Keine Farbveredelung oder andere Chemie. Immerhin dienen sie einem bestimmten Zweck und nicht der Optik.« »Danke«, lautete Carstens schlichte Antwort. Mrs Sánchez räumte ihre Utensilien zur Seite und machte sie sich an ihr Tagewerk.

»Tiger, könntest du dich nachher um Cedric kümmern? Ich möchte ein wenig recherchieren und dann meinen alten Professor für Hydrotechnik und -dynamik kontaktieren. Ich brauche eine Expertenmeinung, wie wir mit dem Burn umgehen können. Weißt du zufällig, ob hier in den Highlands Biber heimisch sind?« »Ursprünglich war hier mal der europäische Biber beheimatet. Doch ich denke, dass Paul dir mehr dazu sagen kann. Wozu brauchst du diese Information?« »Es ist nur eine vage Idee. Während meines Studiums sagte unser Professor, dass die besten Wassermanager Biber sein. Effizient erhalten sie den Wasserstand für ihren Lebensraum. Wenn wir oberhalb des Grundstücks einen Biber ansiedeln könnten, hätten wir einen wahren Meister im Wasserbau.« Carsten staunte nicht schlecht über diese Aussage. Andreas zog auch die Tierwelt in seiner Landschaftsgestaltung mit ein.

»Ich unterstütze deine Idee. Doch wie gesagt, Papa sollte mehr über diese Gattung wissen. Wie hält sich denn unser Sohn?« »Ich denke, einer Siesta ist er nicht abgeneigt.« »Gut. Dann nehme ich ihn zu mir ins Arbeitszimmer. Dort kann er seine Siesta halten und ich bin in seiner Nähe. Doch zuvor gehe ich mit den Hunden raus«, machte Carsten sein Vorhaben bekannt. Die Gassirunde mit vier Hunden dauerte eine gute Stunde. Carsten wählte eine große Runde, damit die Hunde auch ausreichend Nasenarbeit bekamen.

Andreas hatte den kleinen Mann bereits in seinem Büro gebettet. Leonardo hatte sich nach dem Auslauf zu seinem Bodyguard erkoren und legte sich neben dem Bettchen ab. Carsten machte es sich an seinem Schreibtisch bequem. Erst arbeitete er seine Korrespondenz ab. Dabei machte er sich auch Gedanken, mit welchem Orchester er das Tchaikovsky-Klavierkonzert aufführen konnte. Er dachte an Studenten aus der Ukraine. Warum nicht? Ein Orchester aus der Ukraine sollte mit den Eigenschaften eines russischen Komponisten fertig werden. Seinen Entschluss setzte er in die Tat um. Er kontaktierte das Kiew Symphony Orchester. »Abby!«, freute sich ein kleiner Mann, seinen Papa zu sehen. »Oh, du bist schon wieder wach? Das habe ich gar nicht mitbekommen.« Carsten stand auf und ging auf die junge Stimme zu. Dann hob er Cedric aus dem Bett. Carsten stellte wieder einmal fest, welch feines Aroma von dem Jungen ausging. Vom Schlafen war er noch etwas warm. »Hast du Lust, mit deinem Papa etwas zu trinken? Einen fruchtigen Tee?« Cedric zögerte einen kleinen Moment, bevor er antwortet: »Cedric mil?« »Wenn du einen Kakao haben möchtest. Ich habe nichts dagegen. Sehen wir mal nach, ob wir welchen in der Küche auftreiben können.« Die Bestätigung erfolgte mit einem längeren quietschenden Kommentar. Carsten lachte. »Sieh einmal, ein kleiner Engel ist wieder aufgewacht«, begrüßte Mrs Sánchez die beiden. »Oma!«, lachte er zurück. »Nun, vom Alter her kommt es hin. Wenn es deinem Papa nichts ausmacht?« »Irgendwann wird er Sie auch mit Namen nennen können. Lassen wir es vorerst dabei.« An Cedric gewandt: »Wolltest Du etwas Bestimmtes?« »Cedric mil!«, beeilte dieser zu antworten. »Richtig, Cedric möchte einen Kakao haben und ich bin einem Kaffee nicht abgeneigt«, führte Carsten ihr Anliegen weiter aus. »Machen wir Arbeitsteilung. Sie machen sich einen Kaffee und ich koche mit Cedric einen Kakao«, schlug sie eine Arbeitsteilung vor. »Okay. Bitte mit Schafsmilch. Im Augenblick verträgt er Kuhmilch nicht so richtig.« Während des Gesprächs sah Cedric genau hin, was Mrs Sánchez in einem Topf tat. Als die Milch langsam wie Kakao aussah, jubelte er.

»Oh, das kann sein. Timothy hatte als Dreijähriger ein ähnliches Problem. Bei Kuhmilch bekam er stets Durchfall.« »Eine Allergie?«, fragte Carsten nach. »Nein. Dr. Peters meinte, dass es bei einer Änderung in der Ernährung vorkommt. Es legte sich dann auch nach zwei Monaten wieder.« »Das ist eine lange Zeit.« Während des Gesprächs präparierte er die Kaffeemaschine. »Ja und Nein. Mein Mann hatte Übergewicht und musste Diät halten. Da haben wir auf Vollwertkost umgestellt. Eine lange Übergangsphase«, erläuterte Mrs Sánchez die Gründe. »Könnte hinkommen. Wenn es nicht besser wird, konsultieren wir seinen Arzt.« Mrs Sánchez bestätigte, dass es ein gutes Vorgehen wäre.

Ein wenig später trank Cedric zufrieden seinen Kakao und Carsten genoss seinen Kaffee. »Ein wirklich verführerisches Aroma nach Kaffee«, meinte der zweite Papa, als dieser die Küche betrat. »Bediene dich, wir machen gerade auch eine kleine Pause.« Andreas schenkte sich eine Tasse ein und setzte sich zu seiner Familie. Carsten machte einen exzellenten Kaffee. »Das tat gut. Jetzt werden meine Lebensgeister wieder munter.« »Was hast du gemacht?« »Rachid hat mir alte Karten von dem Gelände gemailt. Ich habe einige Koordinaten in meine Karte übertragen. Mein Plotter hatte einiges zu tun. Dabei ist das Gelände weitläufiger, als wir gedacht haben. Es sind fast 23 ha! Die Gemeinde will dieses Areal gerne wieder loswerden. Es ist für sie lediglich Brachland.« »Irgendetwas zu dem Burn?«, harkte Carsten noch einmal nach. »Auf eine der Karte ist dieser sehr genau eingezeichnet. Die Karte selbst ist aus dem frühen 19. Jahrhundert. Oberhalb der Wassermühle gab es einen kleinen künstlichen See.« Carsten zog erstaunt seine Augen hoch. Wie konnte Andreas so sicher darüber sein? »Deshalb künstlich, weil eine Seite durch einen kleinen Damm stabilisiert wurde. Nach der Nutzung floss das Wasser in sein natürliches Bett ab.« »Hast du eine Ahnung, warum anschließend das Bachbett versumpfte?« Andreas dachte an verschiedene Möglichkeiten. Dann besann er sich auf das, was er einmal in Physik gelernt hatte: »Sehr wahrscheinlich ist eine zu geringe Fließgeschwindigkeit, so dass Sedimente sich ablagerten.« »Abby, Cedric mehr Kao?«, meldete sich ihr Sohn. Carsten stand auf und füllte die kleine Henkeltasse auf. »Bitte, Cedric«, meinte er und stellte die Tasse vor dem kleinen Mann ab. »Würde es ausreichen, den Abfluss freizulegen?«, fragte Carsten dann auch nach. »Das allein reicht nicht aus. Es muss auch die Fließgeschwindigkeit erhöht werden. Sonst stehen wir bald wieder an demselben Punkt. Da wir keine Mühle mehr haben, welche das Wasser bremst, nimmt meine Idee mit einem Biberteich Gestalt an.« »Da braucht es doch wohl schweres Gerät«, dachte Carsten laut nach. »Wenn die Geologie stimmt, ist es weniger tragisch. Der Bereich um den Mühlteich ist den Karten nach recht steinig. Mit einem kleinen Bagger könnte es innerhalb eines Tages zu schaffen sein. Das Fundament des Dammes zurückbauen und alles renaturieren. Als Starthilfe werden einige Pappeln samt Geäst platziert. Dazu rund um den See entsprechende mehrjährige Bäume pflanzen.« Carsten grinste. »Dann werden wir jedes Jahr wohl nachpflanzen müssen.« »Zunächst werden die Bäume durch Zäune geschützt. Sobald die Tiere sich etabliert haben, sollte es sich auch die Balance halten.« »Klingt gut durchdacht. Ich bin stolz auf dich. Du reagierst mit gesundem Menschenverstand auf alle Aspekte, welche die Natur dir bietet.« »Das gibt meiner Berufung einen besonderen Kick«, meinte Andreas bescheiden. »Mein Professor für Hydrodynamik ist von meiner Idee ebenfalls angetan. Er möchte sich das gern selbst ansehen.« »Lade ihn ein. Er kann hier bei uns unterkommen. Ihr könntet euch in aller Ruhe darüber unterhalten. Möglicherweise gibt es ja noch weitere Alternativen«, brachte Carsten ein weiteres Argument ins Spiel. Derweil spielte Cedric mit seiner Tasse und sein Finger schmierte etwas Kakao auf den Tisch.

»Du scheinst mir ein kleiner Wissenschaftler zu sein«, meinte Andreas freundlich: »Dir macht es Spaß, allem auf den Grund zu gehen.« »Baba?«, fragte der kleine Mann nach. »Du untersuchst doch die Viskosität von Kakao auf unserem Küchentisch!« Cedric verstand es wohl nicht genau. Doch die freundlichen Gesichter seiner Papas beruhigten ihn. Dann besann der Junge sich, seine Hunde noch nicht gesehen zu haben. »Dadas wo?« »Ich weiß es nicht. Aber wenn du magst, können wir nachsehen, wo sie sind.« »Da! Baba.« Andreas nahm seinen Sohn aus dem Stuhl. »Was machst du?«, fragte er Carsten. »Ich gehe Klavierspielen. Nichts Besonderes, lediglich einige Etüden«, antwortete ihm sein Partner. »Weißt du, was unsere Gäste machen?« »Deine Eltern sind mit Ercan im Fitnessraum. Meine Großeltern? Ich weiß es nicht. Ich habe sie auch seit dem Breakfast nicht mehr gesehen.« Carsten zuckte lediglich mit den Schultern. Anscheinend wussten sich ihre Gäste auch ohne Gastgeber zu beschäftigen. In seinem Arbeitszimmer setzte er sich an seinen Flügel und begann mit seinem Repertoire an Etüden und Fingerübungen. Ohne dass es ihm wirklich bewusst wurde, spielte er Etüden des Komponisten Chopin. Irgendwie gefielen ihm die Werke. Auch wenn diese selbst für ihn immer auch eine Herausforderung waren. Unterbrochen wurde seine Tätigkeit durch seine Liebsten. »Tiger, Cedric meinte, mit den Hunden rausgehen zu müssen.« »Ist gut. Ich halte die Stellung. Nehmt ihr alle Hunde mit?« »Nein, Leon relaxt nach einem kleinen Spiel mit unserem Sohn. By the way, Nonna und Babi sind schwimmen. Nonno und DÄ›da haben sich auf den Weg ins Dorf gemacht. Die jungen Leute sind mit Merlin und Gina noch einmal zum Reiterhof unterwegs. Möglich, dass Andrea ihn heute auf ein Pferd setzt. Luise und Paul haben sich dazu entschieden, Dr. Hathaway zu konsultieren. Ercan begleitet sie nach Edinburgh.« »Haben sie Probleme?«, fragte Carsten nach, ohne sein Spiel zu unterbrechen. »Eher das Gegenteil ist der Fall. Scheint, dass Ercans Übungen wirken.« Carsten nickte ihm bestätigend zu. »So. Cedric wird nicht mehr lange so ruhig bleiben.« Wie auf Stichwort erschallte ein lautes ›Baba?‹. Andreas lächelte. »Komme schon. Ruf doch mal deine Hunde zusammen«, antwortete er ihm laut. »Dada! Leonado, Savatore!«, ertönte eine junge Stimme. »Werdet ihr lange unterwegs sein?« »Nein, sicher nicht länger als 30 Minuten.«

Im Salon wartete ein ungeduldiger Cedric. Als Andreas eintrat, war sein Sohn bereits auf allen vieren unterwegs. »Wir ziehen uns jetzt etwas Warmes über und dann geht es auch schon los.« Es dauerte wirklich nicht lange und sie trafen auf die wartenden Hunde im Porch. Andreas ließ die Bande hinaus. »Baba? Dada wee und ahh?« »Klar. Mit einer vollen Blase lässt es sich schlecht spielen. Guck mal«, dabei zeigte er mit einem Finger auf die beiden, während die Rüden ihr Bein hoben. Dann gingen sie ein Stück des Weges. »Baba, wo Dada?« »Sie folgen uns gleich. Es dauert ja auch immer, bis alles erledigt ist. Nur keine Bange, sie folgen uns.« Der kleine Mann versuchte, sich im Tuch etwas umzusehen. Andreas tat ihm den Gefallen und drehte sich etwas. Genau richtig. Die Hunde stürmten auf sie zu. Der Papa übergab Cedric das Seil. Ohne ein weiteres Wort warf er das Stück Tau ein wenig von sich weg. Leonardo schnappte sich das Tau. Dann begann eine Verfolgungsjagd, wo viel Schnee aufgewirbelt wurde. Cedric lachte bei dem Anblick. Gemütlich gingen sie den Weg in Richtung des Spielplatzes. Andreas hatte etwas Mühe, seinen Sohn im Tuch zu halten. Er war sehr aktiv. Bevor er es registrierte, tönte schon ein fröhliches: »Dada Wolf!« »Du hast ja alles im Blick«, lobte Andreas. »Hallo Cedric!«, begrüßte Gwenda die beiden. »Gehst du mit Andreas etwas spazieren?«, wandte sie sich an den Jungen. »No. Dadas spielen«, beantwortete er die Frage. »Gwenda, du gehst mit eurem Hund raus?« »Ja, Ben ist unterwegs, noch einige Utensilien für Silvester besorgen. Was werdet ihr machen, kommt ihr ins Pub?«

»Nein. Wir machen uns einen schönen gemütlichen Familienabend mit Spielen. Zum Feuerwerk gehen wir vor die Tür. Carsten und ich bereiten uns ein abwechslungsreiches Fondue vor.« Gwenda sah sich nach den Hunden um. »Fondue, das könnte uns auch gefallen.« »Ein Fondue kann man auch ruhig mal zwischendurch machen. Es muss nicht immer ein Anlass wie Silvester oder Weihnachten sein. Es braucht lediglich viel Zeit.« »Ich werde es mir merken. Mir scheint Cedric wird langsam müde.« Der Papa sah zu seinem Sohn hinunter. »Cedric hält noch eine viertel Stunde durch. Dann kann er in dem Tuch auch schlafen.«

Ihm fiel das Gespräch mit Carsten über das Areal ein: »Sag mal, Gwenda, kennst du noch das alte Gelände hinter unserem Anwesen?« »Ja, doch die Bebauung nur noch als Ruinen. Wir Kinder haben dort so manche Sommertage verbracht. Es muss dort mal einen Anger gegeben haben. Ich weiß noch, wie ich beim Spielen bis zu den Knien in eine Pfütze getreten bin. Warum willst du das wissen?«, wurde sie neugierig. »Wir haben doch das Problem mit der Überschwemmung. Jetzt habe ich einige Informationen bekommen, wo dort einmal ein kleiner Mühlteich angelegt wurde. Ich würde einen Teil gern renaturieren und gegebenenfalls einen Biberteich etablieren.« »Oh. Aus den Erzählungen meiner Großeltern gab es hier mal Biber. Doch die wurden wegen ihres Pelzes bejagt. Glaubst du, so ein Tier könnte wieder hier heimisch werden?« »Es braucht da noch einige fachliche Informationen, doch es würde dem Problem entgegenwirken. Biber stehen mittlerweile unter Naturschutz. Also spricht aus Sicht eines Landschaftsgärtners nichts dagegen. Den alten Burn werden wir wohl wieder freilegen müssen«, resümierte Andreas seine Gedanken. »Baba, Cedric mmh?« »Was meint dein Sohn?« »Er wird bald Hunger haben. Wir sollten uns langsam aufmachen.« »Das sollte ich auch machen … Ben wird sich schon fragen, wo sein Hund bleibt«, lachte Gwenda verschmitzt. Ihre Wege trennten sich. Andreas sah, wie sich die Hunde schon gut ausgepowert haben. Leonardo lief gesittet neben ihnen her und beschäftigte Cedric. »Baba. Leonado nicht spielen?« »Nein, dein Hund lässt es ruhig angehen. Dafür streunt Salvatore gern durch die Büsche. Guck doch einmal dort hin.« Dabei zeigte er Cedric die Richtung. Dann sprach der kleine Mann so vor sich hin. Andreas gefiel, wie er alles kommentierte. Ohne es richtig wahrzunehmen, nährten sie sich ihrem Haus. »Baba? Da Abby und Nonna?« Mit seiner kleinen Hand zeigte er auf den Giebel ihres Heims. »Ja, da wohnen wir …«, erklärte ihm Andreas. Dann sah er sich kurz um. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Hunde Anlauf nahmen. »Guck mal dort hin, Cedric«, bemerkte er. »Oh!«, meinte Cedric. »Dadas patsch. Hihi.« Dann lachte er, als die Vierbeiner mit Schwung in den Teich sprangen. Das Wasser spritzte. »Baba? Dadas kuddel?« Andreas brauchte eine Sekunde, um zu verstehen, was Cedric meinte. »Klar. Wir gehen zum Porch. Dort rubbeln wir sie wieder trocken. Du hilfst mir doch dabei?« »Da!«, klang eine feine Stimme fest. Andreas rief die Hunde zu sich. Nach gefühlten 20 Minuten beendeten sie diese Aktion. Cedric war scheinbar mit dem Ergebnis zufrieden. »Baba, Cedric mmh!« »Dann gucken wir mal in der Küche nach.«

Carsten hatte seine Übungen am Klavier beendet. Er wollte gerade zum Salon, da kam ihm Leon entgegen. »Ich denke, du suchst Gesellschaft und vorher magst du sicher noch in den Garten?« Ohne eine Reaktion abzuwarten, ging er zum Porch. Dort zog er sich seine Jacke an und setzte sich seinen neuen Hut auf. So gewappnet gingen beide eine ruhige Runde durch den Garten. Carsten dachte an Arco und welche Auswirkungen das Alter auf seine Bedürfnisse gehabt hatte. So, als ob er nichts anderes gemacht hätte, rief er ein wenig später Leon zu sich, hob dessen Schweif an und reinigte mit einem Papiertaschentuch sein Hinterteil. Dann galt es, den Hund zu etwas Nasenarbeit zu verhelfen. »Komm, gehen wir etwas spazieren. Zur Lodge?« Carsten schlug die Richtung ein. Es war gut, dass Andreas den Hauptweg etwas geräumt hatte. So konnte er mit dem Stock tastend gemütlich gehen. Leon nutze die Gelegenheit, seine Schnauze durch den noch vorhandenen Schnee zu pflügen. Den Geräuschen nach hatte er dabei mächtig viel Spaß. Mit Wehmut dachte er an seine beiden Hunde Arco und Max. Gerade Max hatte es gemocht, die vielen News in den Hundetimes zu lesen. An der Lodge setzte er sich auf eine kleine Bank. Bei den Gedanken an seine beiden ersten Freunde kamen ihm einige Tränen. Leon hatte wohl genug geschnuffelt. Langsam kam er auf Carsten zu. Wegen seines fortgeschrittenen Alters legte er sich vor der Bank ab. »Glaubst du nicht, dass es dir dort zu kalt wird? Komm, ich helfe dir auf die Bank.« Carsten stand auf. Wie bei Arco nahm er den Hund hoch und setzte ihn auf der Bank wieder ab. Dann setzte er sich daneben und aus Gewohnheit kraulte er den Hund zwischen seinen Ohren. Leon genoss diese sanften Berührungen. »Du hast sehr viel von deinem Papa. Nur bist du etwas schwerer«, sprach er seine Gedanken aus. »Kein Wunder, Brüderchen. Leon ist etwas größer und muskulöser. Danke, dass du dich seiner angenommen hast.« Carsten lächelte: »Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Leon hat sich meiner angenommen. Nach meinen Etüden brauchte ich Bewegung. Obendrein wollte er sich erleichtern. Die Bewegung tat uns beiden gut. Ich denke, er hat den Schnee am Rand gut durchpflügt. Wie war es in Edinburgh?« »Dr. Hathaway ist ganz zufrieden mit unseren Eltern. Er gab ihnen die Unterlagen für ihren Hausarzt mit. Ich selbst habe mich dann noch ein wenig mit dem klinikeigenen Physiotherapeut unterhalten. Er gab mir noch einige gute Ratschläge für Patienten mit Handicaps, wie sie Papa und Mama haben, mit. Er war auch ganz erstaunt, wie gut ihre Konditionen waren.« »Es war sicher nicht einfach. Die meisten sprechen hier doch Gälisch.« »Im Gegenteil. Der Physiotherapeut sprach ein gutes Englisch.« Ercan fühlte langsam die Kälte in sich aufsteigen: »Carsten, wir sollen langsam wieder zurück. Die Kälte ist auf Dauer nicht mehr gut für Leon.« »Schön, dass du immer noch so ein fürsorgliches Herrchen bist.« Dabei stand er auf. Leon sah sich kurz um und stieg langsam von der Bank. Carsten hakte sich bei seinem Bruder ein. So ging es ein wenig schneller. Zuhause kontrollierte Ercan Leons Zustand. Zufrieden wirkend verzog sich der Hund anschließend ins Haus. Carsten hatte sich bereits in die Küche begeben, um sich frischen Kaffee zu machen. »Machst du Kaffee für uns?« »Ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich nur an mich denken würde«, meinte er schlicht. Ercan sah Carsten Kaffeebohnen in einer Mühle mahlen. »Du weißt schon, dass du einen einmaligen Kaffee machst?«, stellte er fest. »Mama bekommt ihn nicht so hin.« »Ich habe während meines Studiums einiges ausprobiert, bis ich meine Mischung gefunden habe. Dazu noch eine kleine Prise Kakao und selbst Andreas ist hin und weg.« Ercan stutze etwas. »Mischung?« »Ja. Wir haben Arabica und Robusta in reinen Sorten. Robusta-Bohnen werden vorzugsweise für Espresso benutzt. Andreas macht daraus einen sehr bekömmlichen Espresso und Cappuccino.« Die Kaffeemaschine brühte bereits den Kaffee. Carsten nutze die Gelegenheit und las die Zeit an seiner Uhr ab. »Guck doch mal drüben im Schrank, ob wir noch Scones und Kekse haben. Für ein Lunch ist es bereits zu spät.« Ercan tat, worum er gebeten wurde. Neben dem Genannten sah er noch einiges aus der Weihnachtsbäckerei. »Glaubst du, unsere Damen wären sehr böse, wenn wir ihre Backkünste anbieten?« »Nein. Im Gegenteil, es ist eine sehr gute Idee. Ich müsste nur Mama fragen, ob Lebkuchen auch für Cedric gut ist.« »Wo ist er eigentlich?« »Er begleitet Andreas und unsere Hunde auf ihrer Runde. Sie sollten auch bald zurück sein.« Carsten hörte tapsende Hundepfoten. Anscheinend waren seine Männer von ihrer Runde zurück. »Würdest du den beiden beim Trockenrubbeln helfen? Cedric war lange draußen und ich kann mir vorstellen, dass ihm kalt ist«, bat er seinen Bruder. »Gerne.« Ercan ging zu den Ankömmlingen. Im Porch sah er Cedric und sein Papa schon eifrig Leonardo rubbeln. Salvatore wartete. »Salvatore, bei Fuß.«, meinte er schlicht und der Hund kam zu ihm. Mit dem Tuch begann er ihn wieder trockenzulegen. »Carsten bat mich, euch zu helfen. Er möchte nicht, dass sich Cedric unterkühlt.« »Wir waren auch länger unterwegs, als ich gedacht habe. Macht er denn etwas Warmes für uns?« »Ich war bei ihm in der Küche. Für uns Großen hat er Kaffee angesetzt. So wie ich ihn kenne, macht er auch etwas für Cedric.« Andreas nahm es zur Kenntnis. In der Küche bereitete Carsten nicht nur warmen Kaffee zu, sondern machte dazu auch einen leckeren Kakao. Gerade füllte er diesen in eine Henkeltasse, als Andreas durch die Tür sah. Mit Cedric auf dem Arm ging er zu seinem Liebsten und gab ihm einen Kuss. »Tiger, ich gehe Cedric etwas aufwärmen«, flüstere er. Es dauerte nicht sehr lange. Cedric hatte Hunger. In der Küche saßen Carsten und Ercan gemütlich am Tisch. »Unser Sohn liebt den neuen Strampler. Doch er hat auch mächtigen Appetit.« »Ich habe ihm noch einen Bananenbrei gemacht. Steht im Ofen.« Andreas setzte den kleinen Helden in seinen Stuhl. Danach holte er den Brei aus dem Ofen und stellte die kleine Schale vor dem Jungen ab. Derweil hatte Carsten ihm seinen Sabberlatz umgelegt. Zuerst griff sich Cedric seinen Kakao. Ercan sah fasziniert zu, wie er daraus einen kleinen Schluck nahm. Andreas entschied sich dazu, den kleinen Mann machen zu lassen. Warum nicht mal seine Selbstständigkeit einfach unterstützen? Cedric spielte ein wenig mit seinem Löffel. Es wurden dann mehrere Mahlzeiten über den Tag verteilt. »Doch das Ergebnis spricht für sich«, antworte ihm Carsten. »Es geht weniger vorbei. Obendrein ist er sehr zufrieden.« »Da stimme ich Carsten zu. Sein Platz ist recht sauber nach der Mahlzeit. Dafür mag er es, den Dingen auch gern mal auf den Grund zu gehen. Manchmal kippt er etwas Kakao auf den Tisch und dann schmiert er mit seinem Finger da durch.« Genau wie auf Stichwort vollführte Cedric genau diese Tätigkeit. Ercan schmunzelte. Doch er fand es interessant, wie locker es Andreas und Carsten nahmen. Sie ließen ihrem Sohn diesen Spielraum. »Baba Dada und Teddy auch mmh?« »Klar. Wo hast du denn deinen Teddy und deinen Hund gelassen?« Cedric überlegte einen Moment. »Teddy buh buh und Dada au.« Ercan stutzte. Andreas ging das Spielzeug holen. »Sag mal, Carsten, was meinte Cedric gerade?« »Dass sein Teddy und sein Holzhund noch in seinem Bett liegen. Wir wissen bereits, was er ausdrücken will. Mit jedem neu gelernten Wort klappt es auch immer besser. Cedric hat schon ein erstaunliches Repertoire.« Andreas brachte das Gewünschte. Cedric nahm seinen Hund und stellte diesen neben der kleinen Kakaopfütze ab. »Abba, Teddy mil nuc?« Carsten stand auf und holte die kleinste der Flaschen. Füllte ein klein wenig warmen Kakao hinein und verschloss diese mit einem Nuckel. Dann stellte er sie neben Cedric ab. Cedric freute sich. Geschickt schnappte er sich die Flasche und fütterte seinen Teddy. »Einfach süß, wie er sich um seine Tiere kümmert«, stellte Ercan fest. »So lernt er es wohl am besten. Papa und Mama haben es ähnlich gehandhabt. Du hast dich schon als kleiner Junge immer auch um Arco gekümmert. Er hat sich sogar manchmal in dein Bett geschlichen«, wusste Carsten zu berichten. »Woher weißt du das?« »Ich bin zwar blind, doch meine anderen Sinne sind davon nicht betroffen. Arco roch einfach nach dir und dann war da noch Papa. Er half Mama ja auch immer im Haushalt und fand beim Betten machen seine Haare in deinem Bett. Er fragte mich, ob denn Arco in meinem Bett schlafen dürfe. Damit war die sprichwörtliche Katze aus dem Sack.« »Du hast es geduldet?« »Es war dein Bett und ihr beide wart einfach glücklich. Das ist doch ausschlaggebend.« »Da hast du recht. By the way: Gina darf nicht ins Bett oder auf die Couch. Da hat Andrea konsequent entschieden. Dafür hat sie ihre kuschelige Kudden.« »Abba? Cedric spielen mit Dada?« »Bist du denn schon satt?« »Da! Spielen?« »Klar darfst du spielen.« Cedric versuchte, aus seinen Stuhl zu klettern. Weil ihm das noch nicht gelang, half Andreas ihm und setzte ihn auf dem Boden ab. Mit seinem Teddy und dem Hund krabbelte er quer durch die ganze Küche. Die jungen Männer nahmen es gelassen, dass er dabei lauter wurde. Als Gina hinzukam, quiekte er vor Freude. Die beiden verstanden sich prächtig und Cedric knuddelte die wuschelige Hundedame. »Ich glaube, es wird schwer für Cedric werden, wenn Gina uns wieder verlässt«, bemerkte Andreas am Tisch. »Irgendwann wird er diese Erfahrung machen müssen. Da kommen wir nicht drum herum. Er hat dann noch unsere beiden Hunde.« »Wir können ja auch Videochats machen. So sieht er sie regelmäßig«, schlug Ercan vor. »Das auf jeden Fall. Obendrein seid ihr auch immer willkommen«, antwortete Andreas.

»Hier duftet es nach herrlichem Kaffee!«, meinte Luise beim Eintreten. »Setzt dich, Mama. Wir sind gerade bei einem Snack«, meinte Ercan. »Unser Gebäck?« »Du hast doch nichts dagegen?« »Absolut nicht. Es ist doch zum Genießen da.« »Sag mal, darf Cedric Lebkuchen essen?«, fiel Carsten ein. »Nein, die vielen Gewürze bekommen ihm nicht. Nächstes Jahr sollte er dann alles vertragen können.« Zwischenzeitlich hatte Andreas ein weiteres Gedeck bereitgestellt und goss Kaffee ein. Luise genoss den Aufguss. Zwischendurch bedienten sich alle bei den Keksen. Selbst Cedric bekam ein Plätzchen. Die Krümel las anschließend Gina auf. »Hat Andrea schon mal über den Wagen gesprochen und wie dieser nach Deutschland überführt werden soll?«, schnitt Andreas ein neues Thema an. »Sie hatte mich um meine Meinung gebeten. Was meint ihr denn?« »Am sichersten wäre wohl, eine Spedition mit der Überführung zu beauftragen. Doch das kann bis zu einer Woche dauern. Eine Alternative wäre selbst fahren. Aber bei den rund 2000 Kilometern eine lange Tour«, gab Carsten seine Gedanken preis. »Also aus Erfahrung würde ich ebenfalls auf eine Spedition setzen. Eine Woche ist nicht ewig. Dann wird auch der ganze Papierkram professionell bearbeitet. Andreas, könntet ihr nicht Jihan damit beauftragen?« Der Angesprochene hob seine Augenbrauen. Daran hatte er überhaupt nicht gedacht: »Natürlich. Seine Leute haben das richtige Know-how. Ich frage mal seinen Speditionskaufmann.« »Abba, Cedric Ahh!« Carsten stand auf, orientierte sich an den Geräuschen und nahm seinen Sohn auf den Arm. »Dann gehen wir mal zur Toilette.«

Mrs Sánchez war mit ihrer Arbeit fertig. Ihre Gerätschaften hatte sie verstaut und machte sich auf in die Küche für eine letzte Tasse Tee. Dort traf sie auf eine muntere Gruppe. »Gerda, wir genießen das Weihnachtsgebäck. Setz dich zu uns«, lud Luise ein. »Hast du auch Tee für mich?« »Ich mache Ihnen welchen. Meine Großeltern sind sicher auch nicht abgeneigt.« Andreas wartete keine Antwort ab und setzte einen Kessel Wasser auf. Dann nahm er eine Porzellankanne, wärmte diese vor und füllte entsprechend Tee ein. Anschließend stellte er das Stövchen auf den Tisch. Als das Wasser blubberte, füllte er das nicht mehr siedende Wasser in die Kanne. »Dein Sohn hat es wirklich drauf, Tee traditionell aufzusetzen.« »Ja, er lernt schnell. Doch ehrlich? Auch in good old Germany wissen wir, wie man in grauer Vorzeit Tee zubereitet hat. Auch wenn diese Tradition durch Teemaschinen und Teebeutel weitestgehend in Vergessenheit geraten ist.« Mrs Sánchez lachte bei der Antwort. Sie kannte ja den Vorrat und es waren darunter auch wertvolle Sorten. Jedenfalls schenkte sie sich nach wenigen Minuten eine Tasse ein. Luise sah, wie sehr sie den Tee mit Milch und Zucker genoss. Dann langte sie bei dem Weihnachtsgebäck zu. Immer noch fasziniert schwärmte sie von dem Gaumengenuss. Carsten betrat allein die Küche. »Cedric schläft. Nach seinem Geschäft wurde er müde und meinte, dass sein Teddy ungern allein ist«, berichtete er von seinem Sohn. »Das hat er dir alles erklärt?« »Na klar, zeigen kann er es mir ja nicht«, kam es trocken zurück. Mrs Sánchez lachte. »Nein, ich musste schon einiges in seine Aussage interpretieren. Immerhin haben Andreas und ich schon viel von Cedric gelernt. Wir kennen seine wichtigsten Vokabeln bereits.« »Und lernen jeden Tag neue Vokabeln dazu«, ergänzte Andreas. »Andersherum lernt Cedric auch von uns allen viele neue Ausdrucksweisen. Seine Aussprache und Artikulation wird von Tag zu Tag besser«, meinten beide Papas fast synchron. Das brachte Luise wieder zum Lächeln. Sie durfte es bereits dreimal erleben. Bald sogar noch einmal ein viertes Mal. Dann brachte sie ein neues Thema an. »Wie wollen wir den Jahreswechsel verbringen?« »Wir dachten an einen gemütlichen Abend im Kreis der Familie mit Spielen und einem leckeren Fondue. Zum Feuerwerk gehen wir vor die Tür. Kann man das Feuerwerk von uns aus sehen?«, wandte sich Andreas an Mrs Sánchez. »Ja. Das Event findet zwischen den Gemeinden auf einer kleinen Anhöhe statt. Das lassen sich die Gemeinden auch etwas kosten. Es wird von einem professionellen Pyrotechniker und Feuerwerker durchgeführt. Im vergangenen Jahr war die Südsee Thema. Am Himmel waren viele Palmen und sogar Delphine zu sehen.« »Und dieses Mal?«, fragte Carsten. »Das wird immer erst an Silvester bekanntgegeben. Es soll ja auch eine Überraschung sein«, antwortete die Angesprochene. »So, ich mache mich wieder auf. Mein Göttergatte fragt sich sicher, wo ich bleibe.« »Darf ich Sie fahren? Ich muss noch etwas in der Stadt erledigen«, bot Andreas an. Erfreut nahm Mrs Sánchez das Angebot an. Ihr Rad war schnell im Geländewagen verstaut. Wenig später half Mr Sánchez, das Rad wieder aus dem Wagen zu heben. Anschließend fuhren Andreas und Salvatore zum Markt. Am Käsestand erwarb er Käse für ihr Fondue. Danach fuhr er zu ihrem Fleischer. Auf gälisch kaufte er dort ein. Andreas hatte eine sehr gute Vorstellung, was zum Fondue geboten werden sollte. Dann galt es, Carstens Wunsch nach Tiernahrung zu erfüllen. »Hast Du noch Rinderknochen, Schienbein?«, fragte er in fließenden Scots. »Natürlich, Andreas. Hier sind welche mit Fleischresten. Ideal für eure Hunde.« Andreas nickte zustimmend, als er die Ware sah. Vollgepackt stellte er wenig später die Taschen in seinen Wagen. »Hallo Andreas.«, begrüßte ihn Patrick. Salvatore wuselte um den Priester herum. Dieser ging etwas in die Hocke und knuddelte den Labrador. Andreas nahm es wohlwollend zur Kenntnis. »Hallo Patrick. Wie geht es Dir?« »Ganz gut. Ich habe jetzt mehr Ruhe und kann einen Gang zurückschalten.« »Wie das? Bereitest du nicht die Party für die Jugendliche vor?« Der Pfarrer lachte herzerfrischend. »Nein. Das können die Jugendliche bereits sehr gut. Es ist auch immer eine Gelegenheit, ihre Selbstständigkeit und Verantwortung zu fördern. Mr Johnson wurde noch einmal zu unserem Bischof zitiert. Dabei ging es wohl um etwas Privates. Jedenfalls wurde er danach recht kleinlaut. Der Chor konnte sich durchsetzten und singt wieder ein gut gemischtes Repertoire«, berichtete Patrick schmunzelnd. »Was ist mit Nancy? Carsten setzt sich ja für sie ein.« »Da habe ich von Angesicht zu Angesicht mit dem Kirchenmusikdirektor gesprochen. Er ist der Ansicht, dass wir sie unterstützen müssen. Also gab er mir grünes Licht, sie für ihren Einsatz zu entlohnen. Da sie ja das Konzert spielen wird, meinte er, dass allein dafür 1000 Pfund gerechtfertigt sei.« »Das wird sie sicher freuen. Welcher junge Mensch kann nicht Geld gebrauchen?«, stellte Andreas grinsend fest. »Weiter hat er beschlossen, dass sie zweimal die Woche Mr Johnson vertreten wird. Ich habe daraufhin mit dem Kirchenvorstand gesprochen. Nancy erhält für jeden Einsatz £50. Immerhin hat sie sich stets für den Erhalt des Instruments eingesetzt.« »Das freut uns.« Andreas dachte darüber nach, was sie schon alles in dieser Angelegenheit erreicht hatten. »Du, Andreas, kennst du dich auch in der Floristik aus? Ich meine Blumengestecke, Sträuße und das alles?« »Ja, warum?«, wurde er neugierig. »Ich würde es begrüßen, wenn Du die Kirche zu diesem Konzert dekorierst. Du hast schon einiges bei den Konzerten von Carsten gesehen«, mutmaßte der Pfarrer. »Ob du es glaubst oder nicht, das hat Carsten auch schon im Voraus geplant. Ich werde mich darum kümmern.« Jetzt war Patrick doch sprachlos. »Patrick, wenn Carsten etwas vorhat, dann macht er das gründlich. Er berücksichtigt Dinge, die mir nicht im Traum einfallen würden. Dass er mich mit der Dekoration beauftragt, liegt daran, dass ich seiner Meinung nach Akzente setzte, welche die Menschen tiefer in die Tasche greifen lassen.« »Wirklich, Andreas, seit ihr beiden hierhergezogen seid, lerne ich täglich neue Sichtweisen kennen. Ihr beiden öffnet den Menschen hier die Augen.« Andreas ließ sich seine Verlegenheit nicht anmerken. »Patrick, wenn du magst, komme doch an Silvester zu uns. Meine Großeltern und Eltern würden sich gerne mit dir unterhalten.« »Es könnte später werden. Erst muss ich mich bei den Jugendlichen sehen lassen. Sie haben wohl eine Liveband organisiert. Wird Merlin auch zur Party kommen?«, fragte er interessiert nach dem Jungen. »Gwenda hat es ihm wohl ans Herz gelegt. Was die Zeit betrifft, bis auf Cedric werden wir wohl auch nicht früh schlafen gehen.« Patricks Lachen hatte etwas Erfrischendes, selbst Salvatore sah zu dem Mann hinauf. Ein leichter einsetzender Nieselregen beendete die Begegnung. Andreas öffnete die Hecktür und Salvatore sprang mit einem Satz hinein. Entweder mochte sein Hund mal wieder nicht nass werden oder er wollte einfach nach Hause.

Carsten hatte Ercan zum Babysitting abkommandiert. Ercans Protest war nicht wirklich ernst gemeint. Im Gegenteil, er beschäftigte sich gern mit seinem Neffen. Während sie gemeinsam im Kinderzimmer spielten, studierte er seine Bewegungen. Als Physiotherapeut hatte er auch mit kleinen Patienten zu tun. Einen besseren Lehrmeister als ihn konnte er nicht finden. Beide Papas wussten ganz genau, wie sie Cedric in seiner Mobilität unterstützen. Auch wenn noch nicht alle Spielzeuge wie eine kleine Rutsche oder der Schaukelbär zum Einsatz kamen. Sie machten sich doch als Dekoration und Animation gut. »Du Ball spielen?« Ercan sah sich um und fand einen Tennisball. Diesen rollte er zu seinem Neffen. Er sah, wie geschickt der Junge den Ball zu greifen suchte. Als er diesen endlich hatte, untersuchte er diesen erst einmal. Ercan sah interessiert zu. Obwohl der Ball recht klein war, nutzte Cedric beide Hände. Dann warf er ihn mehr oder weniger weg und folgte ihm krabbelnd. So ging es eine ganze Weile. Carstens Bruder bewunderte den kleinen Mann. Ob Bauklötze, Bälle, Stofftiere und was er so in seine kleinen Hände bekam, der Gegenstand wurde genau untersucht. Erst danach spielte er eine Weile damit, bis ihm etwas neues ins Auge fiel. Cedric verwickelte seinen Onkel auch in Dialoge. Ercan musste so manches Mal nachfragen, bis er Cedric verstand. Nach einer gefühlten Stunde begann sein Neffe immer öfters zu gähnen. »Teddy und Dada buh machen!«, dachte er an seine Lieblingsspielzeuge. »Stimmt, Cedric. Dein Teddy und dein Hund sehen sehr müde aus. Doch ich sehe ihnen an, dass sie nicht allein schlafen möchten«, jubelte er Cedric einen Vorschlag unter. Es dauerte einige Augenblicke. Cedric dachte über das Gehörte nach. Dann kam er zu einem Entschluss: »Cedric au.« Dabei streckte er seine Arme etwas aus. Ercan nahm seinen Neffen auf den Arm. Gemeinsam legten sie den Teddybären und den Holzhund ins Bett. Cedric lächelte ein wenig. Dann legte Ercan ihn dazu. Sein Neffe bekam nicht mehr mit, wie er zugedeckt wurde. Bevor er das Zimmer verlassen konnte, machte er Salvatore Platz. Der Hund schlich einmal ums Bett und verzog sich dann in seine Kudde. Auf der Galerie schüttelte Ercan darüber seinen Kopf.

»Was ist?«, fragte ihn Paul. »Ich habe gerade Cedric schlafen gelegt, da kam auch schon Salvatore an. Er ging einmal um sein Bett und legte sich dann selbst ab. Ich denke nicht, das er den Jungen aus seinen Augen lässt …« Paul nickte zustimmend, er kannte das von allen Hunden seiner Familie. »Was mich aber an Cedric fasziniert, ist seine Beweglichkeit. Obwohl es noch recht unbeholfen aussieht, ist sein ganzer Bewegungsapparat gut konditioniert. Muskeln, Sehnen und Skelett koordiniert er perfekt.« Er machte eine kleine Pause. »Ich beneide ihn darum, weil er seinen Fuß ohne Probleme in den Mund nehmen kann«, schwärmte er seinem Vater vor. Dieser grinste seinen Jüngsten nur an. »Nicht viele können von sich behaupten, dass sie beim Spielen Studien am Menschen machen. Wozu brauchst du diese Beobachtungen?« »Papa, ich habe auch Kinder unter meinen Patienten. Ich kenne die Anatomie des Menschen. Dennoch müssen die Übungen der geringeren Stabilität eines Kinderskelettes gerecht werden.« Paul hob seine Augenbrauen. Sein Sohn hatte seine Aufgaben gemacht.

»Ich habe da noch eine Bitte«, fing Paul an. »Wegen des Korsetts habe ich zur Zeit Probleme beim Schlafen. Ich würde darauf gern in der Nacht verzichten. Was sagt der Fachmann dazu?« »Gut, dass ich mit dem Physiotherapeuten in Edinburgh gesprochen habe. Er gab mir ein Bodysuit mit. Mama soll ihn dir geben. Damit solltest du deine Nachtruhe genießen können.« Dann zierte ein schelmisches Grinsen sein Gesicht: »Das Teil ist so gut, dass du mit Mama kuscheln kannst.« Erst knuffte Paul seinen Sohn. »Das ging auch mit dem Korsett ganz gut«, konterte er trocken. Ercan schüttelte lediglich den Kopf. Dann gingen sie gemeinsam die Treppe hinunter.

Andreas kam aus seinem Arbeitszimmer: »Schläft Cedric?« »Natürlich. Sein Teddy war müde und ihn wollte er nicht allein schlafen lassen. Salvatore ist bei ihm.« »Gut. Wisst ihr, wo Carsten ist?«

»Sieh doch mal im Studio nach«, schlug Paul vor.

Carsten war wirklich im Studio und spielte auf seinem Instrument. Was es war, konnte Andreas nicht sagen, es klang modern. Er setzte sich einfach hin und hörte zu. Seine Nackenhaare stellten sich auf und er spürte die Leidenschaft, mit der Carsten musizierte. Als er in sich hineinhorchte, fühlte er Emotionen: Liebe, Vertrauen, Zuversicht, Hoffnung und wieder Liebe. Er dachte an Carsten, an ihren gemeinsamen Sohn und ein Wohlbehagen erfüllte ihn. Durch die Scheibe sah er, wie Carsten sein Piano abschaltete.

»Hast du dir eine ruhige Ecke gesucht?«, machte er auf sich aufmerksam. »Nein. Ich habe an den Tasten etwas ausprobiert. Ich habe hier mehr Möglichkeiten, durch Samples bestimmte Effekte zu erzielen. Wie fandest du es?«

»Kurz: Meine Nackenhaare haben sich aufgestellt und die Version weckte verschiedene angenehme Emotionen in mir. Was war das für ein Stück?«

»›To make my life beautiful‹ von Alex Harvey, einem amerikanischen Country Sänger und Songwriter. Jedoch mit meinem Arrangement«, gab Carsten ihm Antwort. »Was macht unser Stammhalter?«

»Er schläft oben in seinem Zimmer. Es sieht danach aus, als würde er seinen Rhythmus ändern. Nach dem Lunch bleibt er jetzt länger auf. Wie sollen wir es eigentlich in Zukunft machen, wenn Du in London bist und ich unterwegs; eine Kinderbetreuung?«

»Ich würde gerne erst unsere Familie zurate ziehen. Noch sind wir mit Mrs Sánchez, Edward und Merlin gut aufgestellt. Meinst du nicht auch?«

Carsten ging auf Andreas zu. Da dieser noch saß, legte er ihm seine Hände von hinten auf die Schultern. Fast schon automatisch streichelte Andreas eine Hand seines Partners.

»Ja, fragen wir mal die älteren Generationen. Dann habe ich auch vergessen, dass wir diese Kindergruppen testen wollten. Wenn Cedric es mag, darf er dort auch einen halben Tag lang bleiben«, bestätigte Andreas.

»Warten wir einfach mal ab, wie unser Sohn sich verhält. Dann entscheiden wir gemeinsam«, machte Carsten eine abschließende Bemerkung zum Thema. »Hast du hier noch etwas vor oder hast du mich gesucht?«

»Zweites. Silvester wird sehr familiär. Merlin ist bei den Jugendlichen feiern. Edward hat frei und Mrs Sánchez kommt auch erst im neuen Jahr wieder.« »Kommt mir wirklich gelegen. Seit dem Vorfall konnte ich nicht wirklich abschalten. Ich freue mich auf diesen Abend mit Spielen, einem ausgedehnten Fondue und was Silvester so ausmacht.« »Wirklich etwas anderes als sonst im hektischen London. Sag einmal, spricht etwas dagegen, in den Pool zu springen? Cedric schläft, die Hunde relaxen und die Familie beschäftigt sich auf ihre Weise. Was Merlin gerade macht, weiß ich nicht.« »Der Junge lernt normal um diese Zeit. Ein interessanter Charakterzug, sich kontinuierlich mit dem Lernstoff auseinanderzusetzten.« »Ich denke, etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Während er jobbt, kann er schlecht seine Hausaufgaben erledigen.« »Doch wenn ich mich recht entsinne, ist er mit Andrea und Stefano zu dem Reiterhof gefahren«, erinnerte sich Carsten an eine Bemerkung seiner Schwester beim Frühstück. Carsten massierte Andreas‘ Schultern. Sein Liebhaber wirkte sehr verspannt, daher kam er auf den Vorschlag, in den Pool zu springen zurück.

Wenig später schwammen zwei nackte Männer mehr oder weniger im Wasser. Zwischendurch flirteten sie miteinander, spielten und tobten.

»Guck mal, Cedric«, machte Ercan sich bemerkbar, »da sind ja deine Papas.« »Baba! Abba! Cedric auch padsch«, wurde der Junge laut. »Dann komm mal, du kleiner Wassermann«, lud Andreas seinen Sohn ein. Am Beckenrand übergab Ercan seinem Schwager seinen Sohn. Vorsichtig ließ er seinen Sohn ins Wasser. »Danke, dass Du ihn schon entsprechend vorbereitet hast«, flüsterte er Ercan zu. Carstens Bruder nickte lediglich. Dann hatten drei Männer viel Spaß beim Planschen. Sowohl Carsten als auch Andreas stellten dabei fest, dass Cedric das Element liebte. Er konnte bereits gute drei Meter ohne fremde Hilfe überbrücken. Auch wenn sein Schwimmstil eher daran erinnerte, wie die Hunde sich in dem Element fortbewegten. Natürlich durfte er auch auf den Rücken seiner Väter durch das Wasser reiten. Nach weiteren zehn Minuten standen beide Hunde am Rand des Pools. Cedric bemerke sie als erster und wollte, dass sie ebenfalls ins Wasser kommen. Doch Carsten widersprach ihm. »Cedric, Leonardo und Salvatore dürfen hier nicht planschen. Das Wasser ist nicht gut für ihr Fell. Sie haben ihren eigenen Pool im Garten, da dürfen sie nach Herzenslust baden.« Andreas sah erst das enttäuschte Gesicht des Jungen. Doch er schien seinen Abba verstanden zu haben. Sein Gesicht hellte sich auf und er paddelte auf ihn zu. In seinen Armen fühlte sich Cedric wohl. Andreas fühlte jedoch, dass es Zeit wurde, sich wieder aufzuwärmen. »Magst du einen heißen Kakao haben?«, schlug er seinem Sohn vor. »Kao?!«, wiederholte Cedric begeistert. Damit war es beschlossen. Gemeinsam verließen sie den Pool. In ihre Bademäntel gehüllt suchten sie ihre Küche auf.

»Guck einmal da!«, empfing sie Nonna, »wart ihr schwimmen?« »Cedric padsch und Kao!«, berichtete ihr Urenkel. »Lädst du mich auch auf einen Kakao ein?«, fragte sie nach. »Da! Baba?«

»Natürlich machen wir für alle einen Kakao. Du auch, Carsten?« »Klar, einer so charmanten Einladung kann ich einfach nicht widerstehen«, antwortete der Angesprochene zustimmend.

Gemeinsam mit Cedric kochten sie einen Kakao. Bereits nach wenigen Minuten stand für alle Kakao mit Schafsmilch bereit. Zufrieden trank Cedric aus seiner Henkeltasse, während für die Großen Andreas den Kakao mit einer kleinen Sahnehaube servierte.

»Wirklich, Jungs, ich habe noch nie Kakao mit dieser Milch getrunken, doch er ist vorzüglich. Kommt das Rezept in unsere Rezeptsammlung?«

»Selbstverständlich!«, meinten beide Papas synchron. »Nur darf man nicht vergessen, dass die Milch von Schafen fetthaltiger ist als die von Kühen. Da kommt einiges an Energie zusammen. Da Cedric es nur leicht gezuckert mag, kompensiert es sich bei ihm ganz gut. Ich hoffe, für dich als Diabetikerin treten keine Probleme auf«, gab Andreas zu bedenken.

»Nein, ich habe das ganz gut im Griff. Gabrielle und ich haben gemeinsam mit einem Ernährungsberater einen guten Plan zusammengestellt. Er meinte sogar einmal, dass wir ganz unbewusst immer eine sehr ausgewogene Ernährung pflegen. Da sind kleine Sünden kein Problem.« »Nonna Kao?«, fragte plötzlich Cedric. »Ja, dein Papa hat auch mir einen Kakao gemacht. Und weißt du was? Der Kakao schmeckt mir richtig gut.« Zufrieden lachte der kleine Gentleman seine Uroma an. Dann galt es wieder etwas herumzumatschen. Nonna sah dem gespannt zu. »Entschuldige, Nonna, doch Cedric geht jedem und allem erst einmal auf den Grund«, meinte ein etwas verlegener Andreas. »Och, das konnten alle meine Enkel sehr gut. Auch deine Mutter hat so manche Pfütze auf unseren Tischen hinterlassen. Aber warum entschuldigst du dich? Neugier ist ein guter Antrieb, seine Umwelt kennenzulernen oder habt ihr Angst um euren Tisch?« Carsten hob seine Augenbrauen. »Nein, der Tisch kann einiges abhaben. Wir wussten nicht, wie Du auf solche Untersuchungen reagierst. Manche mögen es halt nicht.« »Da braucht ihr euch bei uns keine Gedanken zu machen. Andreas ist so manches Mal im Sommer mit schlammigen Füßen ins Haus gelaufen. So etwas gehört einfach dazu.« »Ach habe ich das?«, fragte Andreas bewusst unschuldig. »Si bambino. Doch nicht nur du hast es geschafft. Gabrielle, dein Zio und Alessandro haben sich keine Gedanken dazu gemacht. Lediglich dein Nonno durfte seine Hinterlassenschaften selbst beseitigen. Danach hat er seine Schuhe und Schlappen immer vor der Tür ausgezogen. Das habt ihr dann alle zu eurer Sitte gemacht.« Carsten grinste bei der Beschreibung. Bei ihnen hat Paul immer darauf geachtet, dass dreckige Schuhe entweder im Flur oder auf der Terrasse abgestellt wurden. Sein Papa hatte eigentlich immer die Küche gewischt, während Luise dann ihre Beine hochlegen durfte. Natürlich brachten ihre eigenen Hunde immer auch mal Schmutz ins Haus, doch trugen sie das ganze Jahr auch keine Schuhe. »Wie habt ihr es denn bei euch in London gehalten?«, wurde Nonna neugierig. »Wir hatten im Eingangsbereich eine kleine Bank, wo wir unsere Schuhe drauf abstellten«, begann Andreas, »immerhin trug ich in der ersten Zeit ja immer Arbeitsschuhe und die waren alles andere als sauber.« »Hier haben wir im Porch die kleine Schuhbank aufgestellt. Dort ist es auch recht trocken, so dass die Schuhe auch immer gut auslüften können«, setzte Carsten hinzu.

Das Gespräch wurde von Cedric mit einem lauten Quietschen unterbrochen. Etwas von dem Kakao tropfte auf seinen Strampler. Diesen Umstand mochte er wohl nicht und gab seine Meinung dazu laut kund. »Tja, das passiert nun einmal«, sprach Andreas beruhigend zu ihm, »Kakao ist nun einmal relativ flüssig.« »Baba!« »Gibst du dich auch mit deinem Abba zufrieden? Dann ziehe ich dir jetzt einfach frische Sachen an.« »Abba, da!« Carsten stand auf und ging um den Tisch herum, nahm Cedric aus seinem Stuhl und ging mit ihm auf sein Zimmer. Keine zwanzig Minuten später kamen sie wieder zurück. »Siehst Du. Das kleine Malheur ist schnell beseitigt. Alles wieder sauber«, berichtete Nonna. »Da! Abba? Dada spielen?« »Sicher, wir gehen gleich in den Salon. Nonna, wie entfernt man Kakaoflecken?«, fragten Carsten und Andreas gleichzeitig. »Wenn ihr erlaubt, erledige ich das. Es wäre schade um den schönen Strampelanzug. Es bedarf ein wenig Fingerspitzengefühl und Erfahrung. »Was meinst du, Cedric, darf deine Nonna deinen Strampelanzug waschen?« Andreas wunderte sich, warum Carsten Cedric um seine Zustimmung bat. »Da, Nonna?«

Gemeinsam gingen sie in den Salon, wo Cedric und Carsten auf dem Fußboden schon nach wenigen Minuten mit ihren Hunden herumtollten.

»Sag einmal, Tiger, warum hast du Cedric um seine Erlaubnis gefragt? Er hat sie doch sicher nicht verstanden«, wollte Andreas wissen, bevor sie ins Bett gingen. »Es ist sein Strampelanzug, da lag es für mich auf der Hand. Er soll das Gefühl haben, dass er auch Verantwortung trägt, was mit seinen Sachen passiert. Ich denke nicht, dass er es verstanden hat, doch das ist nebensächlich«, gab Carsten seine Ansicht kund. Dann kuschelte er sich an seinen Schatz.

Am Silvestermorgen bereitete die Familie den Abend vor. Nach dem Frühstück verzogen sich Ercan und seine Eltern in den Wellnessbereich. Luise bekam ihre Physiotherapie, während Paul im Pool einige Bahnen schwamm. »Sag mal, Sohnemann, ist es nicht etwas früh für Paul, sich so anzustrengen?« »Nein. Er soll seine Muskeln trainieren, überanstrengen wird es ihn nicht, da das Wasser sein Gewicht trägt. Darf ich fragen, wie ihr mit seinem Bodysuite klarkommt?« »Wunderbar. Es wirkt auch etwas erotisch, wenn er ihn anhat. Körperbetont und ich muss feststellen, dass er immer noch eine sehr gute Figur hat.« Ercan grinste seine Mama an. Er kannte beruflich diese Teile und bei so manchen seiner Patienten kam der Bierbauch deutlich hervor. »Warum wurde er eigentlich nicht sofort benutzt?«, war dann auch die nächste Frage. »Nun, das klassische Korsett sollte nach der OP seinen Oberkörper stützen. Das geht jedoch nur, wenn es eine gewisse Steifigkeit vorhält. Der Arzt war mit dem Resultat nach der kurzen Zeit zufrieden, jetzt gilt es, seine Mobilität zu trainieren. Dazu ist der Suite besser geeignet, weil er flexibler ist. Wenn ihr zu Hause seid, wechselt ruhig die beiden Teile ab. Wenn Papa so weitermacht, seid ihr beiden zur gleichen Zeit wieder mobil. Doch das wird euch euer Hausarzt noch genau erklären«, beantwortete Ercan die Frage.

»Guck mal, Cedric, dein Opa«, besuchte Andreas mit Cedric auf dem Arm die Gruppe. »Hi hi, Opa padsch. Cedric au padsch?«, fragte er seinen Papa. »Wenn du magst und dein Opa nichts dagegen hat, darfst du auch in den Pool.«

»Dein Opa hat nichts dagegen. Es ist ja genug Wasser für uns beide«, scherzte Paul. Es dauerte nicht lange und Cedric planschte mit seinem Nonno im Wasser. Natürlich durften diverse Enten, Schiffe und Schwimmhilfen nicht fehlen. Andreas sah den beiden noch etwas zu. »Dann habt mal viel Spaß«, meinte er, bevor er ging. Noch beim Hinausgehen hörte er seinen Sohn laut quietschen und lachen.

»Sehen die beiden nicht süß im Wasser aus? Ich hätte auch Lust, da mitzumischen, leider bin ich etwas gehandicapt.« »Mama, in zwei Monaten kannst du es ohne Bedenken nachholen. Dann wird mein Neffe dich sicher auch fordern«, meinte der Physiotherapeut in Ercan zuversichtlich.

»Mal ehrlich, Junge, keine Bedenken, weil Cedric adoptiert wurde?« »Absurde Frage, Mama. Andreas und Carsten sind schwul. Ich habe noch nirgendwo gelesen oder gehört, dass ein Mann schwanger wurde. Da bleibt nur die Adoption oder - was bei meinen Brüdern unwahrscheinlich ist - Leihmutterschaft. Ohne jetzt darauf herumzureiten, Carsten ist blind und Cedric wird ihn auf seine Weise fordern. Hast du noch nicht bemerkt, wie er bereits sensibler seine Familie wahrnimmt?«, antwortete Ercan und die Frage löste sich in Luft auf. »So, du hast es überstanden. Wie fühlst du dich?« »Danke, Ercan. Ich fühle mich entspannt und fit für den letzten Tag des Jahres. Weißt du, was die Jungs heute geplant haben?« »Es gibt ein abwechslungsreiches Fondue zum Dinner und dann warten die Spiele auf uns«, wusste Ercan über den Verlauf des Abends. »Falls du noch Violine spielen möchtest: Gegen etwas Hausmusik mit Dir und Papa hätte ich keine Einwände …«

»Opa hü«, hörten sie aus dem Pool. Luise und Ercan lachten. Paul schwamm mit seinem Enkel auf dem Rücken zum Rand. »Ercan, würdest du Cedric aus dem Wasser holen? Er friert etwas.«

Ercan schnappte sich seinen Neffen und wickelte ihn in ein Badetuch. »No! Cedric no padsch« protestierte der Junge. »Später können wir deine Papas fragen, ob du noch planschen darfst. Dein Opa hat vollkommen recht, du fühlst dich kalt an«, ließ Ercan sich nicht aus der Ruhe bringen. Dabei trocknete er Cedric ab. Der kleine Mann giggelte dabei, anscheinend gefiel ihm, was Ercan machte. »Du solltest ihm etwas anziehen. Ich kümmere mich um deinen Vater«, bot Luise an. Ercan grinste seine Mama an: »Ihr wollt doch nur ungestört flirten. Ich liebe euch.« Dann wandte er sich an Cedric: »Dann lass uns mal deinen Kleiderschrank plündern.« »Da?«, fragte der Junge und machte ein fragendes Gesicht.

Ercan nahm Cedric auf den Arm und verließ den Keller. In seinem Zimmer legte er den Jungen auf die Wickelunterlage und pflegte ihn. Dann galt es, das passende Outfit zu wählen. Ercan erinnerte sich an seine große Schwester, die ihm immer auch mal einige Vorschläge machte. Andreas und Carsten hatte eine große Auswahl an Stramplern und Unterwäsche für Cedric. Ercan kam mit einer kleinen Auswahl aus dem Schrank und zeigte sie seinem Neffen. Die zufällige Wahl fiel auf einen hellblauen Strampler mit einem Hundemotiv und diversen Pads. Nachdem Cedric wieder salonfähig war, meinte dieser, mit Ercan noch etwas spielen zu wollen.

Luise reichte Paul ein Badetuch, als diese aus dem Wasser stieg. Obwohl einige Jahrzehnte ins Land gegangen waren, sah Paul immer noch athletisch aus. Vor allem gefiel ihr sein Spitzbubengesicht. »Sorry Darling. Ich habe einen kleinen Rettungsring«, entschuldigte sich Paul und griff mit einer Hand eine Bauchfalte. »Liebes, glaubst du allen Ernstes, ich hätte selbst nicht einiges zugelegt? Andreas und Carsten verwöhnen uns und wenn wir beide wieder mobil sind, gehen wir gemeinsam dagegen vor. Ich würde gern das neue Fitnessstudio testen. Die haben sogar Kurse speziell für unsere Altersgruppe«, schlug Luise unverbindlich vor. Paul zog sich einen Bademantel über. »Eine gute Idee. Reiten allein ist für mich zu einseitig. Was meinte unser Sohn zu deiner Kondition?«, interessierte sich Paul. »Wir sind momentan zufrieden. Da die Hartschale leichter ist als ein Gips, bietet diese mir mehr Bewegungsfreiheit. Dann finde ich die Übungen genau passend. Im Unterschied zu meinem Skiunfall fühle ich mich nicht wirklich gehandicapt. Im Gegenteil, die ganze Familie fordert mich, in Bewegung zu bleiben.« Paul machte einen Schritt auf seine Gattin zu und nahm ihr Gesicht liebevoll in seine Hände. Es wurde ein sehr sinnlicher, intimer Kuss. Luise freute es, da war er wieder: Der junge Student, etwas schüchtern wie ein Backfisch. »Liebes, ich denke, etwas relaxen tut uns sicher gut. Hier ist es so schön ruhig«, schlug Luise augenzwinkernd vor. »Oh ja. Unser Enkel ist ein kleines Energiebündel. Eine Kernbrennkammer ist ein Nichts dagegen«, lachte er verschmitzt. »Da kommt er ganz nach Carsten und Andrea. Viel ruhiger waren die in seinem Alter auch nicht.« »Ich finde es gut, Darling. Es gab Zeiten, wo ich diese Quirligkeit und die ständigen Fragen nach dem ›Warum‹ vermisste.« Luise lachte: »Oh ja, gerade die Frage ›Papa, warum sind die Bananen krumm?‹ hast du gut und anschaulich erklärt. Nicht diese stupide Story über den Mann, der die Bananen mit einem Hammer krumm schlägt. Sondern ganz anschaulich. Du bist mit den beiden zum botanischen Garten gefahren und hast ihnen an einer Bananenpflanze ein praktisches Beispiel gegeben.« Paul grinste bei der Erinnerung, hatte er doch seiner Assistentin einen plötzlichen Notfall weisgemacht und zwei Stunden mit seinen Kindern verbracht, während seine Patienten in der Praxis warteten. Die Zeit holte er an dem Abend nach.

In seinem Arbeitszimmer spielte Carsten eine Sonate anstelle seiner gewöhnlichen Etüden. Anschließend widmete er sich dem Konzert von Tschaikowsky. Zuvor hatte er sich bei Andreas erkundigt, was ihr Sohn machte. »Cedric ist mit Paul im Pool. Vor ihm sind wir jetzt einige Zeit sicher. Ich nehme an, dass sich Ercan anschließend weiter mit ihm beschäftigt.« »Gut, ich nutze die Zeit zum Klavierspielen. Was machst Du?« »Ich bereite mit Nonno und DÄ›da das Fondue vor. Nonna und Babi sollen sich schon einmal um den Spieleabend und den Salon kümmern. Andrea, Stefano und Merlin gehen mit der Meute Gassi. Lassen wir unseren beide die Freiheit, Urlaub zu haben.« Carsten stimmte dem zu.

Den zweiten Satz des Konzertes hatte er sich leichter vorgestellt. Gerade die Feinheiten in der Dynamik zwischen Orchester und Klavier bereiteten ihm Schwierigkeiten. Doch seiner Berufung geschuldet arbeitete er jeden Abschnitt konzentriert durch. Dazu machte er sich regelmäßig Notizen auf seinem Notebook. Nach guten zwei Stunden spielte er den Satz so, wie er sich ihn erarbeitet hatte. Es war nicht das Nonplusultra, doch eine solide Basis, darauf aufzubauen. Zufrieden schloss er seinen Flügel und machte sich auf, sich nach seiner Familie zu erkundigen. Die Ladies saßen in der Küche bei einem Plausch, Tee und Kaffee. »Na Junge, du hast schwer gearbeitet«, machte Babi eine Feststellung. »Ja. Es bleibt nicht aus, wenn ich mich mit dem Charakter eines Klavierkonzertes auseinandersetzte. Tschaikowsky ist sicher nicht der einfachste Komponist der Romantik. Gerade sein Klavierkonzert schnitt stilistisch bereits die Epoche der modernen Musikgeschichte an«, gab Carsten Auskunft. »Sagt mal, habt ihr noch eine Tasse Kaffee für mich? Danach sollte ich mal feststellen, was Cedric so macht.« Nonna schenkte ihm eine Tasse ein. »Cedric macht gerade ein Nickerchen. Nach dem Ausflug im Pool hat sich Ercan um ihn gekümmert. Sie haben wohl noch eine Stunde gemeinsam gespielt, als dein Sohn meinte, sein Holzhund müsse unbedingt etwas schlafen. Ercan konnte den Hund doch nicht ohne seinen Beschützer schlafen lassen. Er bat uns, anschließend auf das Babyphon zu achten und ist selbst raus gegangen, um sich seine Beine zu vertreten.« »Dann ist ja alles in bester Ordnung«, bescheinigte der Papa den Ladies. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück und genoss den Kaffee.

»Also«, begann Babi, »die Herren haben das heutige Abendessen vorbereitet, es muss nur noch angerichtet werden. Die Frage ist, wo wir essen: im Diningroom oder im Salon?« »Wir essen im Diningroom. Wir nehmen uns Zeit für das Dinner. Ich finde es schöner, wenn die Familie gemeinsam isst und dabei ungezwungen Gespräche führt. Dann haben wir James einladen und Patrick könnte später auch noch hereinschauen. Je nachdem, wie die Party der Jugendliche sich gestaltet.«

Carsten wurde durch das Telefon unterbrochen. Nach zweimaligem Klingeln verstummte es. »War wohl nicht so wichtig«, schlussfolgerte Nonna. »Vielleicht hat Andreas das Gespräch entgegengenommen. Wenn es speziell für mich ist, leitet Andreas das Gespräch an mich weiter. Das Telefon klingelt dann mit einer anderen Melodie.« »Ihr seid mit allen Wassern gewaschen.« »Ich bin nicht so schnell, daher klingelt es länger.« Wenig später betrat Andreas die Küche. »Nonna wir benötigen zwei Gedecke mehr, Dr. Miller und Begleitung machen uns ihre Aufwartung.« Carsten stutzte einen Moment. »Sag mal, Schatz, wollte er zwischen den Jahren nicht etwas unternehmen? Merlin sagte doch, dass die Praxis geschlossen sei.« »Ich weiß es nicht, doch es schien dringend zu sein. Mal sehen, womit er uns überrascht. Babi, ihr spielt doch auch Bridge?« »Gerne sogar. Seit wir alle Rentner sind, können wir uns damit Stunden die Zeit vertreiben. Sollen wir eventuell das Spiel vorbereiten, falls eure Gäste mitspielen mögen?« »Daran hatte ich gedacht. Ich denke, Pair, Ludo und die einfachen Brettspiele sind nicht ihr Ding«, lächelte Andreas charmant seine Großeltern an. »Ach Quatsch. Du und Carsten müsst euren Sohn bei Laune halten. Da sind die einfachen Spiele ideal, um Spaß zu haben. Wir, die ältere Generation, bevorzugen da eher die ruhigeren Spiele.« »Gut, bereiten wir auch den Salon entsprechend vor«, beschloss Carsten die Diskussion und erntete entsprechende Zustimmung.

»Guck mal, Cedric, deine Papas machen Pause«, kam Paul mit Cedric auf dem Arm in die Küche. »Cedric Kao?«, fragte er auch sofort. »Na klar. Ich mache dir und deinem Teddy frischen, damit ihr beiden genug Energie zum Toben habt«, bot Andreas an. »Da un Dada au?« »Natürlich auch für deinen Hund«, beeilte sich Andreas seinen Sohn zu bestätigen.

Es dauerte nicht lange, da hantierte Cedric mit seiner Tasse Kakao. Für den Teddy hatte Andreas eine kleine Nuckelflasche vorbereitet und der Holzhund durfte von einer Untertasse mit einigen Tropfen Kakao trinken. Zufrieden mit sich und der Welt spielte Cedric mit seinem Teddy und dem Holzhund.

Chapter 19

Nach der Unterbrechung bereiteten alle den Abend vor. Während Andreas mit seinen Großvätern das Fondue im Salon anrichtete, räumte der Rest der Familie den Salon für den Spieleabend um. Damit Cedric sich nicht langweilte, ging Carsten mit ihm und den Hunden raus. Begleitet wurden sie von Luise und Paul. »Also wir werden nur eine kleine Runde gehen«, begann Carsten, »die Hunde sollen sich einfach nur lösen und miteinander toben. An der Lodge machen wir eine Pause. Dort ist eine Bank.« »Ist es nicht ein wenig zu kalt, um sich hinzusetzen?«, argwöhnte Paul. »Liebes, wir wollen ja dort nicht picknicken. Aber mit den Krücken brauche ich zwischendurch eine Rast. Zehn Minuten zum Kräftesammeln sollten ausreichen.« »Was ist mit Cedric?« »Den habe ich schön warm eingepackt. Die Runde dauert gerade mal 30 Minuten. Cedric war auch schon mit uns über eine Stunde draußen, bei weit tieferen Temperaturen. Solange die Hunde dabei sind, ist er zufrieden«, wischte Carsten die Bedenken beiseite. Damit Cedric auf seine Kosten kam, verteilte er zwei Kauseile an die Hunde. Gina, Leonardo, Salvatore und selbst Leon balgten um ihr Spielzeug. Der Junge kommentierte alles, was er sah, giggelte und freute sich. Wie Carsten es vorausgeahnt hatte, war die kleine Unterbrechung eine willkommene Gelegenheit, sich auszuruhen. Selbst Paul war froh, sich setzten zu können. Obwohl noch Schnee lag, gefiel Luise der Ausblick. »Also wenn das Pförtnerhaus fertig ist, lädt diese Bank dazu ein, nach einem langen Tag bei einem Bier die Beine langzumachen. Wird Andreas hier noch gärtnerisch tätig werden?« »Soweit ich weiß, hat er sich hier schon ausgetobt. Wir sind der Ansicht, dass sich Edward hier sein privates Reich einrichten darf. Vom Hauptweg ist dieser Bereich abgetrennt und kann nicht eingesehen werden. Es soll für Edward ein Ort werden, wo er sich in seine Privatsphäre zurückziehen kann«, erklärte Carsten seinen Eltern. »Ihr erlaubt euren Angestellten viel Raum, sich selbst zu entfalten.« »Edward lebt bei uns, da braucht es auch Platz, um seinen eigenen Interessen nachzugehen. Wir haben schon ein größeres Anwesen, Platz haben wir genug. So, wie sieht es aus, habt ihr schon wieder genug Energie für den Rückweg?«, fragte Carsten seine Eltern. Paul half Luise beim Aufstehen und übergab ihr die Gehhilfen. Cedric guckte aus dem Tuch neugierig, was nun passieren würde. Sein Papa hatte seine Jacke ein wenig wärmend um ihn herumgeschlagen. Als der Junge die Hunde bemerkte, wurde er wieder etwas lebhafter. Jetzt begleitete Leon seine Menschen im ruhigen Schritt. »Abby? Leon buh buh machen?«, fragte er seinen Beschützer. »Ja, er überlässt seinen Kindern das Herumtollen. Hilfst du mir denn gleich, Leon ein wenig zu trocknen?« »Da!«

Im Porch übernahm Paul die jüngere Generation, während sich Cedric bemühte, mit Carsten Leon abzureiben. Dann hob Leon seine Pfote und Cedric verglich daraufhin seine kleine Hand mit der Tatze. »Du hast vollkommen recht«, bemerkte Paul die Situation, »es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen deiner Hand und einer Hundepfote.« Cedric sah ihn fragend an und sah plötzlich nachdenklich aus. »Bist du mit unserer Arbeit zufrieden, Cedric?« »Da, Abba. Leon buh buh machen.« Leon leckte noch die kleine Hand und verzog sich ins Haus. Kurz darauf folgten die anderen Hunde. »Ich hänge jetzt noch die Tücher auf und komme dann nach. Zieh deinen Sohn fürs Haus um.« »Danke, Papa.

Das Abendessen war angerichtet. Babi legte letzte Hand an die Dekoration und Andreas sah ihr dabei zu. »Warum möchte Carsten hier essen? Im Salon ist doch genug Platz.« »Es ist die Gewohnheit und hier kennt er sich aus. Stell dir vor, er läuft im Salon gegen den Tisch, wo ein Spiritusbrenner drauf steht. Das gibt nicht nur eine Sauerei, sondern es könnte dann zu einem Brand kommen.« »Ach Gott, daran habe ich gar nicht gedacht. Er bewegt sich so selbstsicher im Haus« »Das war auch harte Arbeit für ihn. Dann denken wir auch an unseren Sohn und die Hunde. Cedric koordiniert seine Bewegungen noch nicht so gut, da kann er auch wild gestikulieren. Leonardo und Salvatore sind bei offenem Feuer argwöhnisch. Sie mögen es einfach nicht. Im Salon können sie sich entspannen«, erklärte Andreas weiter. »Babi, du hast es noch drauf. Du hast alles sehr schön angerichtet und dekoriert.« Babis Gesicht wurde leicht rosa. »Aus deinem Mund ist es ein schönes Kompliment.«

»Guten Abend, Mrs Miller, Dr. Miller. Kommen sie doch herein«, begrüßte Andreas die Ankömmlinge zuvorkommend. »Hallo Andreas, war es sehr unverschämt von mir, uns einzuladen?«, entschuldigte sich der Tierarzt. »Nein. Nur wir dachten, Sie wären nicht hier. Merlin sagte etwas, dass die Praxis geschlossen sei.« »Das ist auch so, wir beide sind im Tierschutz tätig. Meine Gattin arbeitet ehrenamtlich für Tierheime der Region«, erklärte Dr. Miller. »Also genauer gesagt, ich leite organisatorisch drei Tierheime der Region. Vor allem kümmere ich mich um die Finanzen. Da gibt es immer viel zu tun, da in den letzten Jahren die Ausgaben gestiegen sind, wobei die Spenden und staatlichen Zuwendungen geringer wurden. Ich vermittle auch schwierige Tiere, die kaum eine Chance haben, das Tierheim wieder zu verlassen. Daher habe ich Peter vorgeschlagen, in einem Fall um eure Hilfe zu bitten.« Andreas zog erstaunt seine Augenbrauen hoch. »Ich denke, wir sollten erst kurz unter acht Augen in meinem Büro reden.« Beide Gäste nickten zustimmend. »Carsten, kommst du bitte mal?«, rief er nach seinem Tiger.

In Andreas‘ Arbeitszimmer verteilten sie sich auf diverse Sitzmöglichkeiten. »Was gibt es?«, wurde Carsten neugierig. »Dr. Miller und Mrs Miller bitten um unsere Hilfe in Sachen Tierschutz.«

»Also, vor einem halben Jahr«, begann Mrs Miller, »wurde ein Briard bei uns im Tierheim abgegeben. Ein schönes Tier, doch dessen Besitzer waren mit dem Hund einfach überfordert.« »Nun, so ein Hund ist ein Arbeitstier, braucht klare Ansagen und ist kein Familienhund im Sinne unserer Retriever. Aber das ist sicher noch nicht alles. Oder?«, hörte er eine gewisse Zurückhaltung heraus. Dr. Miller räusperte sich: »Davon abgesehen, leidet er unter einer Augenkrankheit. Seine Sehfähigkeit lässt nach und das zeigt er durch unsicheres und aggressives Verhalten. Wir haben da so eine Idee …« Andreas ahnte, worauf das hinauslaufen würde. »Ihr glaubt, er wäre bei uns besser aufgehoben?« »Im Tierheim wird er von anderen Hunden gemobbt«, wusste Mrs Miller zu berichten. »Also für uns wäre es schwierig, einen solchen Hund aufzunehmen. Wir haben eigentlich keinen passenden Aufgabenbereich für einen Arbeitshund«, warf Carsten berechtigt ein. »Wir dachten da an Edward. Clòimh, also der Briard ist gern draußen und hat eine feine Nase. Ist weder wasserscheu noch ängstlich. Ich kenne Edward, er hat ein Gespür für schwierige Hunde und ich würde es ihm schmackhaft machen«, meinte Dr. Miller zuversichtlich. Andreas sah Carsten an. Dieser kam zu einem Ergebnis: »Wie dringend ist es? Wir würden erst mit ihm reden.« »Clòimh ist noch drei Wochen in Behandlung. Merlin lernt ihn in der Praxis kennen und pflegen.« Andreas lächelte: »Dann würde ich sagen, einem gemütlichen Abend steht nun nichts mehr im Weg.«

»Baba!«, rief Cedric seinem Papa zu. Paul hatte mit ihm eine Bilderbuchgeschichte gelesen. Jetzt wurde der Junge quengelig und wollte etwas zu essen haben. Andreas ging auf seinen Sohn zu und nahm ihn auf den Arm. »Darf ich euch Mrs und Mr Miller, unseren Tierarzt, vorstellen?«, stellte Carsten die Gäste vor. Wobei Luise und Paul den Kollegen schon kannten. »Noch ein Tierarzt?«, schmunzelte Nonno. »Ist hier irgendwo ein Kongress der Veterinäre?« »Wieso?«, fragte Mrs Miller nach. »Paul, meinen Vater kennen Sie bereits, meine Schwester Andrea ist in die Fußstapfen meines Vaters getreten und hat Tiermedizin studiert«, erklärte Carsten. »Meine Großeltern kennen Sie vielleicht schon vom Sehen. Doch ich würde sagen, wir sollten uns langsam dem Fondue zuwenden. Cedric hat seinen Unmut schon bekundet, Hunger zu haben. Beim Essen gibt es sicher genug Gelegenheiten, euch näher kennenzulernen.«

»Hallo Carsten«, begrüßte sie James. »Andrea hat mich reingelassen, als ihr beschäftigt wart.« »Hallo James, schön, dass du da bist. Cedric will dich gleich bei Pair in Grund und Boden spielen«, zwinkerte Andreas ihrem Freund zu. »So leicht gebe ich mich nicht geschlagen«, nahm James den symbolisch geworfenen Handschuh lächelnd auf.

Die Gäste staunten nicht schlecht, als sie den Diningroom betraten. Auf dem Tisch standen mehrere Caquelon auf Rechauds. Bequem in Reichweite mehrerer Personen. Neben jedem Gedeck lagen paarweise die Spieße. Andreas hatte sich entschieden, zwei Varianten vorzubereiten: klassisch mit Käse und eine mit Brühe. Für Cedric gab es Portionen mit unterschiedlichem Brei. Daneben gab es diverse Beilagen, Salate und Dips. Ein reichhaltiges Angebot für einen gemütlichen Abend.

Schnell waren die Gäste in kleine Gespräche verwickelt. Cedric wurde abwechselnd von seinen Papas versorgt. Anscheinend hatte er sich bereits daran gewöhnt, dass beim Essen gesprochen wurde. Jedenfalls wickelte er seine nähere Umgebung in seine spezielle Konversation mit ein.

»Gibt es Probleme?«, fragte in einem ruhigen Moment Paul seinen Sohn in Anspielung auf das Eintreffen des Tierarztes. »Nicht direkt, Papa. Was weißt du über die Rasse Briard?« »Eigentlich ist die Rasse ideal als Herdenschutzhund. Sie wurde vor allem in den französischen Pyrenäen eingesetzt, weil sie es auch mit Wölfen aufnahmen. So war es noch vor einem halben Jahrhundert. Heute kennt man den Typ als Familienhund wegen seines langen Fells. Wozu er sich nur bedingt eignet. Er ist ein Arbeitshund und braucht Aufgaben, die ihn auch geistig beschäftigen. Absolut kein Anfängerhund, da er eine konsequente Führung benötigt. Besteht eine feste Bindung zu seinem Rudel, ist ein Briard eine wirklich treue Seele. Warum willst du das alles wissen?« »Dr. Miller möchte eben einen solchen Hund an uns vermitteln. Genauer an Edward und Merlin. Der Hund leidet an einer Augenkrankheit.« »Nicht schön, aber die Idee hat etwas. Edward ist doch oft bei euch unterwegs. Mit ein wenig Training kann ein solcher Hund ein guter Spür- und Wachhund werden. Ich glaube nicht, dass er mit Leonardo oder Salvatore Probleme bekommt, da jeder seine eigene Aufgabe hat.« »Wir werden es mit den beiden besprechen. Ganz etwas anderes: Was hältst du von Andreas‘ Idee mit dem Biber?«, wechselte Carsten das Thema. Paul war davon angetan. Als Tierarzt wusste er einiges über diese Tiere zu erzählen.

Da es zwanglos zuging, verteilten sich alle nach und nach zwischen Salon und Diningroom. Bald schon waren mehrere Spielgruppen dabei, einen Gewinner zu küren. Stefano, Andrea, Ercan spielten Ludo. Während sich Carsten und Dr. Miller beim Schach maßen. Mrs Miller interessierte sich für die Anthropologie und war bei Luise genau in den richtigen Händen. Paul, Andreas, Cedric und James spielten Pair. Der Bodyguard war überrascht, wie gut Cedric sich dabei konzentrieren konnte.

Zwischendurch versorgte sich jeder auch mal mit Köstlichkeiten des Fondue und Buffets.

Andreas brachte Cedric später zu Bett, zuvor wünschte jeder dem kleinen Mann schöne Träume. Genau passend, als Andreas seinen Sohn ins Bett legte, kamen die Hunde von ihrer letzten Runde zurück. Anscheinend waren sich alle vier einig, bei Cedric bleiben zu wollen. Selbst Charaid quetschte sich noch dazwischen.

Im Salon wurde weiter gespielt. Wobei Andreas und Carsten sich etwas im Hintergrund hielten. »Wie machen wir es nachher?«, fragte Andreas seinen Tiger. »Das entscheiden wir spontan. Wenn Cedric durch die Knallerei Angst bekommt, sollte jemand von uns bei ihm sein. Die Tiere allein würden dann wohl nicht ausreichen. Falls er neugierig wird, darf er ruhig mit raus und sich alles ansehen.« Andreas stimme seinem Vorschlag zu. Dann begab er sich in die Küche und stellte Sekt zum Anstoßen kühl.

Patrick war von den Jugendlichen angetan. Sie hatten den Gemeindesaal sehr angenehm dekoriert und die Band spielte ein gutes Repertoire. Einige tanzten dazu. Das kalte Büfett wurde von einigen Gemeindemitgliedern gestiftet, daneben gab es auch ausreichend Knabberzeug. Über die paar alkoholischen Getränke sah der Pfarrer großzügig hinweg. Die ganze Party machte ihn auch ein wenig stolz auf ›seine‹ Jugendlichen. Hin und wieder unterhielten sich Anwesende mit ihm. In einer Ecke entdeckte er Merlin. Er machte sich auf dem Weg zu ihm, der Jugendliche sollte nicht allein dastehen. Auf halben Weg stellte er fest, dass sich ein weiterer Junge Merlin mit zwei Bechern nährte. Einen davon gab er Merlin. Die beiden schienen sich gut zu unterhalten.

»Hallo Merlin, hallo Eric. Wie ich sehe, bin ich etwas fehl am Platz, amüsiert ihr euch?«, sprach er die beiden an. »Klar, Patrick«, antwortete ihm Merlin. »Die Musik und die Stimmung sind gut. Den Jugendlichen ist es egal, dass ich auf der Straße gelebt habe. Ich habe beim Aufbau erzählt, dass ich jetzt bei Doc Miller jobbe. Einige hätten es sich nicht zugetraut, mit den vielen fremden Tieren zu arbeiten. Dass ich meinen Abschluss nachhole, finden einige echt cool.« »Sie wissen, was das für eine Schinderei ist«, meinte Patrick schlicht. »Wie ich sehe, habt ihr alles im Griff. Ich fühle mich hier ein wenig deplatziert.« »Hatte Andreas dich nicht eingeladen?«, fragte Merlin wissend nach. »Ja, da werde ich jetzt auch hinfahren. Wie kommst du später nach Hause?« »Mit dem Rad. Eric ist auch mit dem Rad gekommen. Wir fahren dann gemeinsam, sind ja keine 5 Meilen.« »Gut. Wenn ihr möchtet, ruft an, ich kann euch auch abholen.« »Nein, wir fahren mit dem Rad und Du kannst gerne von dem Irish Single Malt kosten, den Carsten und Andreas anbieten«, dabei zwinkerte Merlin dem Pfarrer schelmisch zu. Patrick stutzte erst und lächelte dann.

Auf dem Weg zu Rutherford Hall bemerkte Patrick den leichten Schneefall. Dieses Jahr wollte sich weiß verabschieden.

»Hallo Patrick, schön, dass du es geschafft hast. Die Party ist in festen Händen der Jugendlichen?«, begrüßte Carsten den Pfarrer. »Oh ja, dieses Jahr haben sie sich selbst übertroffen. Eine wirklich gute Band spielt live. Es gibt ein reichhaltiges Buffet, Knabberzeug, eine gute Auswahl an Getränken und keinen hartern Alkohol. Damit die Mädchen und Jungs nachher auf das Neue Jahr anstoßen können, habe ich zwei Kisten Sekt gespendet.« »Keine Angst dass sie es übertreiben?« »Nein. Es gab einmal einen Vorfall, wo ein Mädchen so betrunken war, dass sie vom Rettungsdienst abgeholt wurde. Da habe ich mit allen ein sehr ernstes Wort gesprochen, wenn sie wollen, als junge Erwachsene akzeptiert zu werden, dann müssen sie auch die Kröte schlucken, verantwortlich zu handeln. Seitdem haben wir ein gutes Verhältnis.« »Was wurde aus dem Mädchen?«, wurde Carsten neugierig. »Im Krankenhaus hat sie eine gute Bekannte von mir besucht. Ich muss dabei sagen, dass sie Alkoholikerin war. Sie hat der Jugendlichen den Kopf gewaschen, weil sie aus eigener Erfahrung berichtete, was der Alkohol anrichten kann.« Carsten nickte verstehend. Dann gingen sie in den Salon, wo eine gesellige Runde spielte. »Im Diningroom ist noch angerichtet. Es gibt Fondue und ein Buffet.« Im Salon standen noch einige Spiele herum. »Eh, ihr habt ja Ludo! Das habe ich lange nicht mehr gespielt«, rief Patrick begeistert aus. Andreas und James grinsten. »Dann lade ich dich jetzt zu einer Partie ein«, schlug Andreas vor.

Carsten tastete seine Uhr ab. Noch wenige Minuten bis zum Jahreswechsel. »Carsten, wenn Du mit den anderen raus gehen möchtest, bleibe ich bei Cedric und Gina«, bot Ercan an, »die Kleine bekommt bei Knallgeräuschen Angst.« »Nein, Brüderchen. Ich sollte bei Cedric sein und um Gina brauchst du dir keine Gedanken machen. Leon habe ich selbst die Angst genommen, als er als Welpe zu uns kam. Bei ihrem Papa und ihren Brüdern wird sie ganz relaxt bleiben. Du wirst sehen. Mrs Sánchez sagte, dass es jedes Jahr ein Themen-Feuerwerk gibt. Sieh es dir mit der Familie an. Doch wo ich dich schon mal bei mir habe, hilfst du mir, den Sekt zum Anstoßen zu servieren?«

In der Küche war Andreas bereits dabei, dutzende Sektgläser zu füllen. Auf Tablets servierte Ercan ihren Gästen. Andrea wählte ein Mineralwasser. Erste Knallgeräusche wurden hörbar. Die Familie zog sich für einen kleinen Ausflug ins Freie an. Carsten ging zu Cedric. Die Geräusche schienen ihm nicht geheuer zu sein und er wimmerte vor sich hin. Als er eine zärtliche Hand fühle, beruhigte er sich. »Abba?«, fragte er in die Dunkelheit. »Ich bin bei dir, Cedric«, antwortete Carsten ihm. Dann nahm er ihn aus dem Bett und wiegte ihn auf seinem Arm. Instinktiv spürte er, dass Cedric sicher nicht an Schlafen dachte. Also packte er Cedric warm ein und ging mit ihm und seinem Teddy zu den anderen. Andreas empfing beide, schnell war Cedric in seinem Tragetuch verstaut und Carsten zog seine Jacke etwas zu. Dann gingen sie ebenfalls hinaus. Andreas sah erste Lichter am Himmel explodieren. Das Knallen kam etwas verspätet und relativ leise. »Prosit Neujahr!«, stieß er mit seinem Tiger und Sohn an. »Es ist schön, mit meinen beiden liebsten Männern das neue Jahr willkommen zu heißen.«

So nach und nach stieß jeder mit jedem an. Selbst Cedric wurde bedacht, wobei Andrea ihm etwas von ihrem Mineralwasser gab. Gespannt sahen alle zum Himmel. Es gab ein munteres Raten, welches Thema die Gemeinden sich ausgedacht hatte. Nach einer gefühlten halben Stunde einigten sich alle auf das Thema ›Zoo‹. Denn es gab wirklich viele verschiedene abstrakte Tiermotive zu sehen. Die Familie wollte sich gerade ins Haus zurückziehen, als Andreas sich an eine englische Tradition erinnerte. »Should auld acquaintance be forgot, and never brought to mind? Should auld acquaintance be forgot, and auld lang syne?…«, begann er zu singen und wenige Augenblicke später sangen alle dieses spezielle Lied. Nach dem Refrain wechselte die Sprache. Babi, DÄ›da und Andreas sangen die folgende Strophe auf tschechisch. Carsten spürte, wie Cedric dem Gehörten interessiert folgte. Hin und wieder stimmte er mit ein, wenn es auch nicht gerade harmonisch klang. Doch das tat allem keinen Abbruch. Nach der tschechischen Einlage folgte wieder der Refrain auf Scots. Patrick und James wandten sich zum Gehen, als Nonna, Nonno, Stefano in der italienischen Sprache die nächste Strophe sangen. »… For auld lang syne, my jo, for auld lang syne, we'll tak' a cup o' kindness yet, for auld lang syne«, beendete der schottische Refrain ebenfalls die Strophe und dieses Mal auch das Lied. Alle murmelten beim Hineingehen etwas. Andreas nahm Carsten am Arm und begleitete seine Männer. Gemeinsam brachten sie den einschlafenden Cedric auf sein Zimmer. Andreas sah sich die vier Hunde und eine Katze an. Selig schlummerten sie in den Kudden und schienen von allem nicht viel mitbekommen zu haben. Lediglich Salvatore blinzelte sein Herrchen an und signalisierte Andreas, dass alles in Ordnung war. Als Cedric in seinem Bett lag, platzierte er seinen Teddy und den Spielzeughund dazu. »Sweet dreams«, flüsterten beide Papas ihm zu.

Im Salon hatten Andrea und Stefano die Spiele beiseite geräumt. Es galt nun, den Abend in friedlicher Runde beenden zu wollen. James unterhielt sich mit DÄ›da über den Song. Während sich Patrick mit Nonna über irgendwelche moderne Musik unterhielten. »… nein, ich mag die weltliche Musik sehr gerne. Meine Sammlung umfasst alle Kategorien von Musik. Angefangen bei den Chorälen über Arien, Rock, Rap bis hin zu modernem Jazz und Blues. Mein Bischof weiß um meine Leidenschaft und verteidigte sie bereits vor einigen Kirchenmitgliedern. Er meinte schlicht, dass in jedem Musikstil auch etwas Göttliches zu finden sei. Diese Leidenschaft hilft mir auch in der Gemeindearbeit. Mit einem guten Rap habe ich schon so manchen Jugendlichen erreicht.« Nonna zog bewundernd ihre Augenbrauen hoch, als Patrick schmunzelte: »Ich habe auch einmal eine Predigt im Rap gehalten. Kam zwar nicht bei jedem Gemeindemitglied an, doch die Jugendlichen fanden mich obercool. Seitdem haben wir ein gutes Verhältnis zueinander. Was will ich mehr?« »Ich würde gern mal den Papst rappen hören«, meinte sie schelmisch zum Pfarrer.

Die Party der Jugendliche klang weit nach Mitternacht aus. Merlin und Eric machten sich auf ihren Rädern auf den Weg nach Hause. Auf halben Weg fluchte Eric über einen platten Reifen. »Du kannst schon mal vorausfahren, ich werde den Rest des Weges gehen«, resignierte der Junge. »Quatsch, es ist eine schöne Nacht. Ideal für einen Spaziergang. Außerdem würde ich einen Freund nicht allein mit seinem Pech hadern lassen«, schob Merlin sein Rad ebenfalls. »Carsten würde es wohl Entschleunigung des Alltags nennen.« »Wie ist es, mit zwei Schwulen zusammenzuleben? Hast du keine Angst, das sie sich an dich ranmachen?«, fragte Eric neugierig, doch in einem abwertenden Ton. Merlin wurde ungehalten: »Stell dir einmal vor, ich kann noch nicht einmal meine Zimmertür abschließen. Carsten und Andreas haben ganz anderes im Sinn, als mich zu belästigen«, klang seine Antwort patzig. »Sie sind wie jedes andere Paar. Noch mehr, sie respektieren die Menschen, was nicht in jeder Familie der Fall ist. Mein Zimmer ist dort mein privates Reich und sie würden es ohne meine Erlaubnis nicht betreten. Wobei es doch ihr Zuhause ist. Sie haben mich aufgenommen, als es mir schlecht ging und haben nie Fragen gestellt. Bei allem, was ich mache, unterstützen sie mich. Eigentlich sind Carsten, Andreas, Cedric, Edward und Mrs Sánchez meine Familie. Ich kann, wenn ich will, jeden um Rat fragen und werde nicht mit irgendwelchen Floskeln abgespeist.« »Selbst Cedric? Spricht er denn schon?«, wunderte sich Eric. »Selbst der kleine Mann. Er drückt sich zwar in seiner Sprache aus, doch er kann mir sehr gut zeigen, was er mir sagen will. Er wird von allen als vollwertiges Mitglied behandelt«, sprach Merlin mit Bewunderung von ›seiner‹ Familie. »Andreas und Carsten machen kein Hehl daraus, ein schwules Paar zu sein und wurden in unsere Gemeinde akzeptiert. Allein dass sie für die Kids einen Spielplatz kreieren, ließ so machen Skeptiker bleich aussehen. Der Beschluss durch die Gemeinde fiel fast einstimmig aus, ich war dabei. Ich war es auch, der vor einigen Wochen feststellte, dass die wenigen Spielgeräte und Pflanzen dort beschädigt wurden. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wütend ich darüber war. Andreas informierte sofort die Unternehmen, die sich bereit erklärten, alles wieder zu reparieren. Wir wollen alle, dass die Kinder einen sicheren Ort zuspielen haben«, redete sich Merlin in Rage. Eric wurde still, als er das alles hörte. »Ich hatte nie einen solchen Spielplatz zum Spielen. Bei uns gab es eine Clique, die den Spielplatz in Beschlag nahm. Keine Chance für kleine Ladies und Gentlemen, dort zu spielen. Später wurde dort gedealt und alle Spielgeräte waren kaputt. Ich würde mich freuen, wenn unserem Spielplatz das Schicksal erspart bliebe«, wusste Merlin weiter aus seiner Kindheit zu berichten. Der Schneefall nahm etwas zu und das Schieben der Räder wurde mühseliger. »Scheiße, scheiße, scheiße …«, rief Eric aus. Merlin dachte, es wäre wegen des kaputten Rades. »Scheiße. Ich habe nicht nachgedacht. Einer der Jungs aus dem Ort meinte, dem ›schwulen‹ Spielplatz einen Besuch abzustatten. Wir hatten zuvor eine Flasche Whisky geleert. Dann ging es nachts zum Spielplatz. Ich hatte meine Sprühdose dabei. Ein wenig Schmiererei traute ich mir noch zu. Doch bevor ich anfangen konnte, hatte man schon einige Pflanzen und die Wippe ausgerissen. Das war mir dann doch zu viel und ich warf die Dose den Jungs vor die Füße und lief davon. Die Dose bekam ich, leer, zwei Tage später mit den Worten: ›Du warst dabei. Ein Wort und dein Vater erfährt, was du getan hast!‹, zurück.«

Wie angewurzelt blieb Merlin stehen. Er wusste nicht, ob er Eric jetzt hassen sollte oder nicht. Auf der Party fand er ihn auf Anhieb sympathisch. Mit ihm konnte er sich irgendwie gut unterhalten, selbst mit wenigen Worten. Schweigend ging er neben Eric weiter. Er dachte nach. Eine halbe Meile gingen sie so nebeneinander her. »Du hasst mich jetzt sicherlich?«, machte Eric einen Versuch, das Schweigen zu brechen. Merlin erschrak ein wenig. »Nein. Du hast ja nicht direkt mitgemacht. Doch ich hätte gedacht, du wärst mutig genug gewesen, es deinem Vater zu erzählen. Nicht nur, dass du deinen Erpressern den Wind aus den Segeln nehmen würdest, sondern um den Kids Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« Eric lachte verhalten: »Mein Vater hat es selbst herausbekommen. Ich hatte die leere Dose in unserem Schuppen versteckt. Dort hat Papa sie vor Weihnachten gefunden. Meine Eltern haben mir zu Weihnachten einen neuen Computer geschenkt, für den sie sicher einiges hingeblättert haben. Nach dem Fest hat Papa mich gefragt, ob ich etwas von dem Vorfall wüsste und ob ich daran beteiligt gewesen sei. Er hielt mir die leere Sprühdose vor meine Nase. Ich gab mich geschlagen, ich erzählte ihm alles. Er war von meinem Verhalten enttäuscht, das sah ich ihm an.« Eric hatte Mühe, gefasst zu bleiben. »Noch am gleichen Tag packte ich den Computer wieder ein und wollte meinen Eltern das Geschenk zurückgeben. Verdient hatte ich dieses Geschenk nicht. Was soll ich sagen, sowohl Papa als auch Mama schüttelten ihren Kopf. Den Computer solle ich behalten, ich würde ihn gebrauchen, um meine Zukunft zu gestalten. Dagegen machten beide mir einen Vorschlag. Ich würde meine Freizeit ehrenamtlich verbringen und zwar in jedem Betrieb, der am Spielplatz beteiligt ist. Mrs Baker wird mir im Januar auf die Finger sehen. Den Februar werde ich bei Mr Palmer verbringen …« »Lass mich raten, Andrew und Victor beschäftigen dich im März in ihrer Gärtnerei?« Eric grinste und nickte zustimmend. »Papa meinte, dass ich damit den angerichteten Schaden wettmachen könnte, selbst wenn ich keinen Schaden angerichtet habe. Soweit, wie er mein Vater ist, doch er ist auch Constable der Region. Er nahm die Sprühdose mit auf das Revier und lässt diese nun auf Spuren untersuchen. Er sagte auch sofort, dass seine und meine Fingerabdrücke darauf zu finden sind, da sie ja bei uns im Schuppen lag. Ob sich daraus etwas ergibt, wird die Polizei ermitteln, doch Papa hält mich so heraus.« »Das ist doch super. Okkay, ich war wirklich wütend auf euch, auch Andreas und Carsten. Der Spielplatz ist auch für beide ein besonderes Projekt, gerade jetzt, wo Cedric bei uns lebt. Doch dann siegte ihr Pragmatismus, Andrew hat noch am gleichen Abend einen ersten Bericht dazu abgegeben. Zwei Tage später gab es von allen Unternehmen Entwarnung. Der Schaden hielt sich in Grenzen und kann leicht behoben werden.« »Da bin ich wohl noch mit einem blauen Auge davongekommen.« »Sieht ganz so aus. Wirst du die drei Monate auch durchhalten?« »Keine Frage. Einmal guckt mir Papa auf die Finger. Dann hat er gemeint, dass ich so auch einmal in alternative Berufe schnuppern kann. Ich würde gern etwas studieren, doch ich weiß nicht, was.« Merlin schob sein Rad eine Weile schweigend. Der frische Schnee knirschte unter ihren Füßen. »Andreas ist gelernter Gärtner. Carsten meinte, dass er oft mit Dreck unter den Nägeln nach Hause gekommen ist. Jetzt ist er Landschaftsarchitekt, hat studiert und ist sehr erfolgreich in Europa.« »Das wäre keine Herausforderung für mich. Ich liebe die Naturwissenschaften«, schwärmte Eric ihm vor. »Andreas hat mir einmal erklärt, wie wichtig Physik für das Wachstum eines Baumes ist. Wenn ich jetzt daran denke, was ich bei Gwenda in Biologie gelernt habe, dann ist Physik da ein entscheidender Faktor. Hast du dir nie die Frage gestellt, wie eine zarte Pflanze einem Orkan standhält? Oder wie Wasser ins Blatt eines 30 Meter hohen Baums gelangen kann? Das ist hauptsächlich Physik und ein wenig Chemie. Oder bei einem Schmied. Es gibt unzählige Legierungen und da ist die Chemie die Grundlage.« »Klar, und ein Steinmetz? Ich denke, Chemie und Physik sind da nicht bedeutend.« Merlin dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: »Nun, ein Stein ist ein natürliches Produkt, doch was ist mit der Oberflächenbehandlung? Das Wetter greift auf unterschiedlichen Weisen den Stein an. Da sollte Mr Palmer schon wissen, wie er seine Objekte bestmöglich schützen kann. Und Physik ist da auch nicht ohne. Wie haben es zum Beispiel die Ägypter geschafft, Pyramiden zu bauen und die Dinger stehen schon einige Jahrtausende in der Gegend herum. Die Obelisken, die irgendwie in die Senkrechte gebracht werden mussten. Ich war dabei, als Mr Palmer und sein Team die Kletterwände auf dem Spielplatz aufstellten. Ohne Hebel und Flaschenzüge hätten die es nicht geschafft. Eric, sieh es einmal anders: Du lernst in jedem Praktikum deine Lieblingsfächer auf eine ganz spezielle Weise kennen, welche dir später womöglich zugutekommen könnte. Das sind Erfahrungen, die du wahrscheinlich nie aus einem Lehrbuch lernen könntest.« Seine Begleitung machte große Augen. »Mensch, Merlin, an so etwas habe ich noch gar nicht gedacht. Natürlich, ich kenne bisher ja nur überwiegend die Theorie, aber es ist etwas anderes, als diese auch in der Praxis anzuwenden. Woher diese Weisheit?« »Dr. Miller brachte mir bei, wie ich Tiere sicher halten kann, ohne ihnen wehzutun. Oder wie er einer Katze ein Bein einrenken kann. Es bedarf da eines guten Tastsinns und gewisser anatomischer Kenntnisse, um anschließend mit richtigen Handgriffen die Physik einwirken zu lassen. Carsten ist Musiker, auch da spielt die Physik eine wichtige Rolle und ich meine nicht nur die Akustik. Zu Weihnachten hat er den Flügel von Andreas gestimmt. Allein, was zwischen Taste und Tonerzeugung an Mechanik vonnöten ist, das ist schon beeindruckend. Dann das Wissen darum, welchen Einfluss die Umgebung auf den Ton hat. Ehrlich, ich glaube, in Naturwissenschaften kann Carsten gut punkten. Dazu hat er eine Begabung, Materie sehr gut vermitteln zu können.« Eric sah sich um. Er erkannte die Gegend und stellte fest, dass sie bereits zwei Drittel der Strecke hinter sich hatten. Just in dem Moment stellte Merlin die entsprechende Frage: »Hast du eine Ahnung, wie lange wir noch brauchen? Mir wird langsam kalt.« »Noch zwanzig Minuten bis zum Pub. Du musst ja zum Herrenhaus, da sind es, am Spielplatz vorbei, weniger als 15 Minuten. Dort drüben ist der Fußweg.« Dabei deutete er mit dem Kopf auf einen unscheinbaren Weg. »Bis nach Hause brauche ich noch eine halbe Stunde zu Fuß.« Merlin stutze. Er hatte gedacht, dass Eric es ebenfalls nicht mehr so weit hatte. »Weißt du was, tauschen wir unsere Räder. Die viertel Stunde werde ich noch überstehen und mit dem Rad solltest du schneller zu Hause sein. Ich nehme an, dein Vater wird sich schon Gedanken machen, wo du bleibst.« »Das würdest du tun? Was ist mit den Rädern?« »Du kommst später zu uns und dann können wir dein Rad reparieren. So schwer sollte das nicht sein.«

An der Abzweigung setzten sie den Vorschlag um. »Danke. Sagen wir um vier? Ich könnte heute etwas mehr Schlaf gebrauchen.« »Nicht nur du. Also um vier.«

Merlin beeilte sich, nach Hause zu kommen. Als er den Porch betrat, kam ihn Salvatore entgegen. Anscheinend hatte er ihn kommen gehört. »Hallo Salvatore, war ich zu laut?«, fragte er den Hund, wohl wissen, dass dieser ihn sicher nicht verstand. Anstelle irgendwie darauf zu reagieren, verschwand der Hund nach draußen. Merlin machte etwas Licht und sah noch, wie Salvatore genüsslich sein Bein an seinem Baum hob. Kurz darauf schlich der Hund erleichtert durch die Tür und verschwand im Haus. Merlin schüttelte nur mit dem Kopf. Dann schloss er die Tür ab und schaltete die Alarmanlage wieder ein. Zuletzt löschte er noch das Licht vor der Tür.

Ein wenig später betrat er sein Zimmer. Charaid lag eingerollt auf seinem Bett. Als das Licht aufflammte, blinzelte er und zeigte ganz deutlich, dass er nicht damit einverstanden war. »Schon gut, ich mache die kleine Lampe am Bett an«, besänftiget Merlin seinen Kater. Im Bad zog er sich aus und bemerkte, wie seine Sachen unangenehm nach Qualm rochen. Er warf die Sachen in seinen Wäschekorb. Eine halbe Stunde später lag er endlich im Bett und schlief schnell ein.

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