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Weihnachten ist für die Katz

Weihnachtschallenge 2007

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Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

 

Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf...

... und alle hetzten durch die Stadt auf der verzweifelten Suche nach dem Geist der diesjährigen Weihnacht. Alle außer mir. Es ist nämlich nicht nur der Winter, den ich hasse. Ich mag auch Weihnachten nicht sonderlich. Alle heucheln Friede, Freude, Eierkuchen und am Ende gibt es immer Streit und Gezeter. Nein, danke!

Mein einziges Zugeständnis an die Weihnachtszeit waren ein paar rote Kerzen auf der Fensterbank, die nicht nur ein wunderbares Licht warfen, wenn ich sie abends anzündete, sondern auch halfen, den Raum einigermaßen warm zu halten. Denn damit war meine Heizung in dieser Jahreszeit regelmäßig überfordert. Außerdem stand auf meinem Couchtisch ein Teller mit Nüssen und Mandeln, die ich mir abends vor dem Fernseher knackte und dabei mit den Schalen den ganzen Fußboden vollkrümelte.

Eigentlich hätte ich an einem Tag wie diesem gar nicht mehr in die Stadt gehen wollen, aber da ich für den Heiligabend wieder einmal keine andere Option außer einem einsamen aber stilvollen Besäufnis hatte, musste ich noch einmal los, um den dazu notwendigen Alkohol zu erwerben.

Ich flitzte also rasch in den kleinen Supermarkt, der zum Glück nur zwei Straßen von meiner Wohnung entfernt war und in dem ich üblicherweise die paar Dinge einkaufte, die ich so zum Überleben brauchte.

Auch dort war es relativ voll, ganz im Gegensatz zu sonst. Ich drängte mich am Eingangsbereich durch die Menschenmengen, die einen dort stationierten semi-professionellen Weihnachtsmann belagerten. Er saß auf einem thronähnlichen, großen Stuhl und wirkte ein bisschen verzweifelt.

Pausenlos wurden dem armen Kerl plärrende Blagen auf den Schoß gesetzt, die dann von Mammi oder Pappi mit der Digicam abgelichtet wurden, während sie ihm gerade am Bart zogen oder zu flüchten versuchten. Ich dachte, dass die armen Zwerge sicher Zeit ihres Lebens Alpträume haben werden, wenn sie große, dicke Männer in roten Mänteln sehen. Nur gut, dass diese in der Natur nicht so oft vorkommen.

Ich warf dem armen Kerl, der da irgendwo in dem Weihnachtsmannkostüm stecken musste, einen mitleidigen Blick zu und kniff ihm ein Auge. Er lächelte zurück. Zumindest lächelten seine Augen, den Rest konnte ich unter dem ganzen Haar- und Bartgezumpel, das sein Gesicht umflatterte, nicht erkennen. Das wäre absolut kein Job für mich! Dann schob ich mich todesmutig in den Markt hinein.

Ich stand vor dem Spirituosenregal und hatte mich ziemlich spontan für eine eigentlich viel zu teure Flasche Cognac entschieden, obwohl ich ursprünglich nur eine oder zwei Flaschen Weißwein kaufen wollte. Aber während ich mich zwischen all den Leuten hindurch schob, die sicherlich das Fest glücklich im Kreise ihrer Lieben verbringen würden, war mir plötzlich nach härteren Drogen. Aber bitte stilvoll, das muss an Weihnachten schon mal sein!

Nach dem ganzen Geschiebe und Gedränge war ich froh, endlich dem tausendarmigen Ungeheuer aus unzähligen Körpern zu entkommen und den Rückweg antreten zu können. Auch wenn das bedeutete, dass ich erst einmal wieder durch die Kälte musste. Ich freute mich auf meine Wohnung, auf die Wolldecke auf meinem Sofa und eine heiße Tasse Tee. Mit eingezogenem Hals und mit tief in den Taschen vergrabenen Händen machte ich mich also auf den Heimweg, während mir die Schneeflocken ins Gesicht wirbelten. Eklig.

Ich fror. Und ich begann, meine Gedanken schweifen zu lassen. Mal ehrlich, findet man am 23.12. tatsächlich noch ein passendes Geschenk? Eins, das mit Liebe ausgewählt wurde? Oder noch besser, am 24.12.? Ich glaube nicht. Eher findet man eine Stecknadel im Heuhaufen! Und trotzdem würde es morgen in den Geschäften garantiert noch voller sein als heute. Nur gut, dass ich niemanden zu beschenken hatte und mir diesen ganzen Stress nicht antun musste. Noch besser war aber, dass ich niemanden hatte, der mich beschenkte, so konnte ich mir wenigstens die geheuchelte Freude über gut gemeinte aber schlecht getroffene Weihnachtsgeschenke sparen. Denn das, was ich mir wirklich wünschte, bekam ich ohnehin nicht.

Irgendwie hatte ich schon früher nie das bekommen, was ich mir gewünscht hatte. Da war es doch jetzt viel besser und vor allem einfacher. Ich hatte die ganzen Feiertage allein für mich. Heiligabend hatte ich geplant, mich auf mein Sofa zu verziehen und mir leise weinend einen anzupitschern. Es würde niemand da sein, mit dem ich streiten könnte und ich würde mich einfach gemütlich in eine Wolldecke einwickeln und einen Film anschauen. Die eine oder andere ungesehene DVD lagerte zum Glück noch im Schrank. Und mit Alkohol war ich jetzt ja auch versorgt.

Am ersten Feiertag würde ich faulenzen bis zum gehtnichtmehr, außerdem könnte ich mal wieder meine Schränke durchforsten und ein bisschen ausmisten. Für den zweiten Feiertag hatte ich mir vorgenommen, mal wieder ein bisschen im Internet zu surfen und ein paar Geschichten bei nickstories.de zu lesen. Dazu hatte ich schon lange keine Zeit mehr gehabt und mir fehlten da noch ein paar Fortsetzungen meiner Lieblings-Autoren. Für abends hatte ich einen Kneipenbesuch geplant. Im letzten Jahr war es dort total lustig gewesen. Wir waren eine eingeschworene Truppe von Weihnachtsüberdrüssigen und Familienverweigerern gewesen und hatten einen tierischen Spaß zusammen gehabt, obwohl ich keinen von den Anderen vorher gekannt hatte.

Auch in diesem Jahr würde spätestens nach zwei Tagen sogar der größte Weihnachtsfan genug vom Weihnachtswahnsinn haben und unter einer Überdosis heile Welt leiden. Der zweite Weihnachtstag ist einfach der Klassiker dafür, von der Familie die Nase voll zu haben.

Familie! Eigentlich hatte ich schon längst keine mehr. Zumindest keine, die sich für mich interessierte. Nach meinem Coming out mit sechzehn hatten wir uns zu Hause noch drei endlose Jahre bekämpft, bis ich endlich studieren und damit ausziehen konnte. Seitdem hatte ich keinen Kontakt mehr zu meinen Eltern und dem Rest der unseligen Sippe, was ich nicht wirklich bedauerte.

Ich wohnte alleine in der Stadt in meiner kleinen Wohnung, die ich mir durch mein Bafög und meinen Nebenjob einigermaßen leisten konnte. Inzwischen bereits seit zweieinhalb Jahren. Ich konnte zwar keine großen finanziellen Sprünge machen, aber ich fühlte mich besser als je zuvor. Meistens jedenfalls.

Gerade in der Weihnachtszeit wurde mir allerdings trotz allem immer wieder bewusst, dass ich alleine war. Die Kälte und die frühe Dunkelheit waren für die in mir aufkeimende Melancholie leider förderlich und alle Weihnachtsbeleuchtungen der Welt, wie bunt und geschmacklos sie auch waren, schafften es nicht immer, dagegen anzuleuchten. Wenn Kuschelzeit ist und man niemanden zum kuscheln hat, macht das eben ein bisschen nachdenklich.

Auf Mr. Right wartete ich schon viel zu lange vergeblich. Jeder hier schien nur an One-Night-Stands und schnellen Nummern interessiert zu sein. Jemanden, der wie ich auf der Suche nach einer richtigen, festen Beziehung war, hatte ich noch nicht gefunden. Also würde ich, wie immer, Weihnachten alleine verbringen und den Jahreswechsel wohl auch. Es sei denn, ich ging vielleicht zu einer öffentlichen Party.

Wenn ich allerdings an die Jahreswende dachte, bei der ich eben dies ausprobiert hatte, packte mich immer noch das nackte Grauen. Das Ganze hatte nach einer sektgetränkten Knutscherei im Bett irgendeines Typen geendet, an den ich mich hinterher nicht mehr wirklich erinnern konnte. An den AIDS-Test danach konnte ich mich allerdings noch ausgesprochen lebhaft erinnern. Die Warterei auf das Ergebnis hatte mich fast in den Wahnsinn getrieben. Aber immerhin hatte ich Glück gehabt und war heile aus der Nummer heraus gekommen.

Mein Bedarf an öffentlichen Feiern war also eher gering. Nein, lieber würde ich wieder auf eine Feier verzichten und mir vom Dachfenster aus das Feuerwerk ansehen. So lange ich mit mir alleine war, war ich wenigstens mit jemandem zusammen, der mich gern hatte.

Wenn wenigstens meine Kommilitonen da gewesen wären. Selbst wenn sie die Feiertage mit ihren Familien verbracht hätten, hätten wir uns doch wenigstens zwischendurch mal treffen können. Aber die hatten alle die Semesterferien genutzt und hatten sich quer durch Deutschland verstreut. Blieben also nur ich und die Flasche Cognac in meiner Tasche.

Ich bog - immer noch vor mich hin grübelnd - um die letzte Ecke und musste trotz allem lächeln. Das dort war mein erstes eigenes Zuhause! Auch wenn ich dort meistens alleine war, hatte es riesige Vorteile, dort zu wohnen. Es war ganz alleine meins und niemand redete mir rein.

Mit kalten, klammen Fingern fummelte ich den Schlüssel aus der Jackentasche und versuchte, ihn in das wie immer hakelnde Türschloss zu bekommen, als mich plötzlich jemand ansprach.

"Mau!"

Wie bitte? Mau? Was sollte das denn heißen? Und woher kam das überhaupt? Ich zog den Schlüssel wieder aus dem Schloss, trat zurück und sah um die Hausecke. Niemand zu sehen.

"Mau!" sagte wieder jemand und mein Blick wanderte in Richtung der Stimme abwärts. Dort saß eine getigerte Katze zwischen einigen Schnee-Klecksen und sah mich mit unergründlichen, smaragdgrünen Augen an. Ich mag Katzen. Sie sind die ehrlichsten Haustiere, die ich kenne. Keine unterwürfigen Speichellecker wie Hunde, und keine Nervensägen wie Vögel, sondern eigensinnige, selbstbewusste, kleine Persönlichkeiten. Eigentlich ist eine Katze eher ein Freund als ein Haustier.

"Na, Du?" fragte ich sie freundlich. "Warst Du das etwa gerade?"

"Mau." bestätigte sie als hätte sie mich verstanden.

"Du meinst wirklich mich, oder?"

Sie stand auf, kam langsam zu mir herüber und rieb sich an meinem Hosenbein. Ganz offensichtlich meinte sie mich. Von oben sah ich auf sie herunter als sie wieder den Kopf hob und ihre grünen Augen auf mich richtete.

"Sieht aus, als hättest Du auch noch kein Date für die Feiertage." sagte ich. "Hast Du Hunger?"

"Mau."

"Ja wenn das so ist... Dann komm mal mit rein."

Sie sah mich an als hätte sie jedes meiner Worte verstanden und als ich zurück zur Tür ging, folgte sie mir, als hätte sie nur auf mich gewartet.

Geschmeidig lief sie hinter mir die Treppen hinauf, überholte mich schließlich und blieb vor meiner Tür sitzen. Es war die letzte, oben unter'm Dach und es schien, als hätte sie genau gewusst, wo ich wohne. Nein, nicht ganz. Als hätte ER genau gewusst, wo ich wohne. Bei dem Überholmanöver auf der Treppe hatte ich nämlich sehr deutlich erkennen können, dass es sich bei dem Tigerpelz zu meinen Füßen nicht um eine Katze, sondern um einen wunderschönen Kater handelte. Wenn er mir die Dinger auch quasi ins Gesicht hält...

Das mit der richtigen Tür konnte natürlich auch Zufall sein. Woher hätte er wissen sollen, wo ich wohne? Er war nur ein Kater und ich hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Vielleicht war er einfach bis zum Ende durchgerannt und hatte dann gewartet, weil es nicht weiter ging.

Ich schloss die Wohnungstür auf, ging hinein und machte eine einladende Handbewegung.

"Bitte sehr, der Herr. Immer rein in die gute Stube."

Er folgte mir in die Wohnung, wartete artig im Flur bis ich mir den Schal vom Hals gezogen und die Mütze von der völlig zerstörten blonden Strubbel-Frisur gepflückt hatte. Ich hängte meine Jacke auf und sagte: "Komm, Kleiner." Dann trabte er brav hinter mir her in die Küche.

"Mau!" forderte er dort angekommen mit Nachdruck.

"Ja, doch. Immer mit der Ruhe, Kollege! Es gibt ja gleich was. Mal sehen, was ich überhaupt für dich habe. Mit Besuch hatte ich heute eigentlich nicht gerechnet."

Ein katzenloser Haushalt konnte kein Katzenfutter im Schrank haben, soviel war klar. Aber das Bedürfnis, heute noch einmal loszuziehen, hatte ich auf keinen Fall. Ich öffnete den Kühlschrank und überlegte, was ich ihm geben konnte.

Milch würde er sicher gern nehmen, ist aber nicht unbedingt gut für Katzen, jedenfalls nicht als Hauptnahrungsmittel. Die fiel also schon mal aus. Hmmm, ich warf einen Blick auf ihn hinunter. Er saß neben mir und richtete seine Smaragdaugen direkt auf mich.

"Mau." erinnerte er mich daran, was ich hier tun sollte.

"Ja, mein Freund. Ich suche ja schon. Nicht nervös werden."

Dann hatte ich eine zündende Idee! Wenn früher bei uns zu Hause das Katzenfutter ausgegangen war, gab es Leberwurstschnittchen für den Stubentiger. Das konnte dem Kleinen hier gewiss auch nicht schaden. Es sollte ja keine Dauereinrichtung sein.

Ich nahm Butter und Leberwurst aus dem Kühlschrank, dazu Brot aus dem Schrank. Dann setzte ich Teewasser auf und schmierte derweil zwei Schnitten. Eine für ihn und eine für mich. Seine schnitt ich in kleine Stücke. Ich stellte meinen Teller auf den Tisch und seinen auf den Boden. Er sah mich kurz an, bevor er hungrig darüber her fiel.

"Ja, ich wünsche Dir auch einen guten Appetit." sagte ich zu ihm.

Dann machte ich den Tee fertig, setzte mich damit an den Tisch und beobachtete ihn, inzwischen ebenfalls kauend.

Er war ein wirklich hübscher Kerl und sah so gar nicht aus wie ein Streuner. Sein dichtes, glänzendes Fell war vom Kopf bis zur Schwanzspitze durchgehend getigert, abgesehen von seinem linken Hinterfuß, der war weiß. Und er hatte diese wunderschönen, leuchtenden Smaragdaugen, die mich tief berührten. Woher er wohl gekommen war? Ich konnte mich nicht erinnern, ihn hier schon einmal gesehen zu haben.

"Weißt Du was, mein Kleiner?" sagte ich. "Ich finde, Du brauchst einen Namen, so lange Du hier bist. Ich kann ja nicht die ganze Zeit 'Mein Kleiner' zu Dir sagen."

Er hörte kurz auf zu fressen und sah mich an. Dann machte er ein kleines Geräusch, so etwas wie "Purrrr", das ich als Zustimmung deutete. Ich betrachtete nachdenklich sein leuchtend weißes Hinterpfötchen.

"Ich nenne Dich einfach 'Socke'. Ich finde, das passt zu Dir. Was hältst Du davon?"

Er kniff die Augen zusammen und lächelte mich damit auf Katzenart an. Ich schloss ebenfalls kurz die Augen und lächelte damit zurück. Wir waren uns also einig.

"Ich bin dann drüben im Wohnzimmer." sagte ich zu ihm, stellte meinen Teller auf die Spüle und nahm meine Tasse mit hinüber auf die Couch. Irgendwie war ich verdammt froh, endlich mal jemanden hier zu haben, mit dem ich reden konnte. Vielleicht gibt es Leute, die nicht nachvollziehen können, dass man mit einer Katze reden kann, aber ich hatte von Anfang an das Gefühl, ihm mehr zu sagen zu haben, als den Typen, die ich sonst schon mal mit hierher genommen hatte.

Ausgenommen Marcel, von dem ich mir blöderweise deutlich mehr versprochen hatte, als nur eine heiße Nacht. Zugegeben, diese Nacht war wirklich richtig heiß gewesen, aber ich hätte lieber länger auf kleinerer Flamme gekocht als in nur einer Nacht zu verbrennen.

Ja, Marcel war verdammt süß gewesen. Er hatte mich mit seinen unglaublich blauen Augen nur einmal ansehen müssen, dann war es um mich geschehen gewesen. Ich hatte ihn bei einem 'Verzweiflungsausgang', wie ich diese Aktionen zu nennen pflege, kennen gelernt. An diesem Tag war mir die Decke mal richtig auf den Kopf gefallen und da kam er mit seiner sonnigen Art gerade recht.

Dass er nur auf der Suche nach einem schnellen Abenteuer gewesen war, hatte ich irgendwie ignoriert, obwohl von Anfang an alle Anzeichen da gewesen waren. Leider hatte er es mir später unmissverständlich klar gemacht, als ich gefragt hatte, wann wir uns wiedersehen. Was wäre bloß geworden, wenn...

Ich wurde aus meinen sehnsüchtigen Gedanken gerissen, als Socke mich plötzlich wieder ansprach.

"Mau?"

Er saß vor dem Sofa und sah mich fragend an, als wolle er um Erlaubnis bitten, darauf springen zu dürfen. Meine Möbel waren weiß Gott keine Designerstücke, also machte ich mich nicht wegen der paar Katzenhaare oder einem kleinen Kratzer verrückt. Ich klopfte neben mir auf die Sitzfläche und lockte leise: "Na, dann komm."

Geschmeidig hüpfte er an meine Seite, setzte sich und begann, sich zu putzen. Er arbeitete inbrünstig daran, sein Fell, vor allem im Gesicht, zu reinigen. Die leichten Vibrationen, in die er dabei das Sofa versetze, vermittelten mir ganz deutlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Ich lächelte, griff nach der Fernbedienung und schaltete die Glotze ein. Was sie uns wohl am Vorabend von Weihnachten auf dem Bildschirm servieren würden?

Geil! Es gab einen sehr 'besinnlichen' Film. 'The Ring'. Ich hätte mich jedes Jahr auf's neue amüsieren können, dass ausgerechnet in dieser Zeit des Jahres zu fortgerückter Stunde irgendwelche blutigen Streifen laufen.

Ich persönlich hatte überhaupt nichts dagegen. Immer noch besser als irgendeine Schmonzette ansehen zu müssen. Ich machte es mir auf dem Sofa richtig gemütlich. Kuschelte mich in die Decke und ließ mich soweit abwärts rutschen, dass mein Nacken auf der Sofalehne ruhte.

Neben mir begann Socke leise zu schnurren. Er hatte sich zu einer kleinen, gestreiften Pelzkugel zusammen gerollt und wirkte sehr zufrieden in seinem Schlaf. Hoffentlich gehörte er niemand, sonst würde ich ihn wieder abgeben müssen. Ein Halsband trug er jedenfalls nicht.

Ich wagte es, mich ihm so weit zu nähern, dass ich einen vorsichtigen Blick in sein Ohr werfen konnte um nachzusehen, ob er vielleicht tätowiert war, aber ich konnte nichts erkennen. Außerdem wollte ich ihm an unserem ersten gemeinsamen Abend auch nicht allzu sehr auf die Pelle rücken. So lange kannten wir uns ja noch nicht. Schlimmstenfalls war er gechippt aber das würde ich hier nicht herausfinden können. Und um ehrlich zu sein, wollte ich es auch gar nicht wissen. Ich wollte, dass er blieb. Ich mochte ihn nach der kurzen Zeit schon viel zu sehr, um ihn wieder abgeben zu können.

Nachdem ich während der letzten Werbepause des Films schon fast eingeschlafen war, war ich froh, als endlich der Abspann des Films lief und ich ins Bett gehen konnte. Socke ließ ich auf dem Sofa zurück. Er schlief bereits tief und fest und ich wollte ihn nicht wecken.


Dann kam Heiligabend. Morgens wachte ich zum ersten mal seit Tagen nicht frierend auf, obwohl es im Schlafzimmer so kalt war, wie immer. Diese Heizungen in meiner Wohnung machten mehr Krach als Temperatur, aber der Vermieter kam einfach nicht aus dem Quark, das reparieren zu lassen. So blieb mir nichts anderes übrig, als ständig bei ihm nachzufragen und ansonsten abends dick eingemummelt mit einer Wolldecke auf dem Sofa zu sitzen und literweise heißen Tee in mich hinein zu gießen.

Der Grund dafür, dass ich an diesem Morgen nicht fror war, dass sich der Kater irgendwann in der Nacht auf die Bettdecke gelegt und an mich gekuschelt hatte. Meine Mutter hätte Anfälle bekommen, wenn sie hätte sehen können, dass eine Katze in meinem Bett schlief. So sehr sie selbst diese Tiere mochte, so sehr lehnte sie es ab, dass sie in den Betten schlafen.

Warum nur? Es fühlte sich unheimlich gut an, wie dieser kleine, warme Körper neben mir lag und sich an mich drückte.

Vorsichtig strich ich über seinen Kopf. Es war das erste mal, dass ich ihn streichelte. Gestern hatte ich irgendwie das Gefühl gehabt, ihn dafür noch nicht lange genug zu kennen, aber jetzt erschien es mir in Ordnung. Sein Fell war seidig weich und fühlte sich warm an. Ein Zittern lief durch den kleinen Körper als er aufwachte und sich streckte. Er gähnte herzhaft, blinzelte mich mit seinen grünen Augen an und sagte leise: "Mau."

"Auch Dir einen guten Morgen." antwortete ich zärtlich. Er räkelte sich und schien sich bereits wie zu Hause zu fühlen. Auch ich hatte das Gefühl, als sei er schon ewig bei mir.

"Na, Socke? Wie wäre es mit Frühstück? Keine schlechte Idee, oder?"

"Mau." stimmte er zu und begann unter meiner kraulenden Hand bereits wieder leise zu brumseln.

Vor dem Frühstück würde ich allerdings noch einmal in die feindliche Welt hinaus müssen, denn die kompletten Weihnachtstage ohne Katzenfutter - das ging einfach nicht. Ich quälte mich aus dem gemütlichen Bett und ging ins Bad, um schnell zu duschen. Während ich dort drinnen war, drehte sich dieser unverschämte Kerl tatsächlich noch einmal um und schlief schon wieder tief und fest, als ich zurück ins Schlafzimmer kam, um mich anzuziehen.

"Ich gehe mal schnell einkaufen, du Faulpelz." sagte ich zu ihm. "Mach keinen Mist, während ich weg bin, hörst Du?"

Er sah mich an, als würde er mich verstehen. Dann machte er wieder dieses leise, gurrende Geräusch und blinzelte mich an. Ich streichelte über seinen Kopf und kraulte ihn unter dem Kinn, worauf er schon wieder zu schnurren begann. So ein süßer Schmusekater!

"Bis gleich, mein Kleiner."

Ich packte mich in Schal, Mütze und Jacke, nahm den Schlüssel vom Schlüsselbrett und zog die Tür hinter mir zu.

Wie ich es mir schon gedacht hatte, war es immer noch kalt, immer noch eklig und die Stadt war tatsächlich noch voller als gestern. Ich betrat den Supermarkt und dachte wieder an den Weihnachtsmann von gestern. Er hatte irgendwie nett ausgesehen unter dem Bart und der Kapuze. Vielleicht hätte er nach Feierabend ja noch Lust auf einen Kaffee...

Tja, das war wohl nichts. Offensichtlich hatte er inzwischen das Schlimmste hinter sich, denn der Thronsessel und die Dekoration waren bereits abgebaut. Stattdessen hatte man dort Platz geschaffen für reduzierte Weihnachtsware. Hoch lebe die Schnelllebigkeit des deutschen Einzelhandels!

Ein bisschen niedergeschlagen betrat ich den Ladenbereich. Ich war plötzlich sicher, für immer alleine bleiben zu müssen. Wenn nicht mal der Weihnachtsmann mit mir ausgehen wollte...

Aber egal jetzt, ich war wegen etwas anderem gekommen. Zielstrebig steuerte ich das Tierfutter an. Während ich vor dem Regal mit dem Katzenfutter stand, fiel mir ein, dass Socke vielleicht auch noch ein Katzenklo benötigen würde. Hoffentlich hinterlegte er mir nicht bereits ein 'Geschenk' in der Wohnung, während ich weg war.

Seufzend sah ich ein, dass es mit einem Blitzeinkauf heute nicht getan sein würde. Also ging ich zurück zum Eingang und holte mir einen Einkaufswagen. Da ich nun schon einmal hier war, konnte ich ja auch gleich noch ein paar andere Dinge kaufen. Auf solch spartanische Weihnachten wie im letzten Jahr hatte ich auf einmal keine Lust mehr. Schließlich hatte ich in diesem Jahr einen Gast.

Ich packte eine Katzentoilette, Streu, verschiedene Sorten Futter und eine kleine Fellmaus in den Wagen. Grinsend dachte ich bei mir, dass ich jetzt doch tatsächlich jemanden zu beschenken hatte. Und ich freute mich sogar schon darauf, ihm sein Geschenk zu überreichen.

Dann legte ich noch Brötchen zum Aufbacken, ein Päckchen Lachs, Hähnchenbrust, Brokkoli und Kaffee in den Wagen und schob damit zur Kasse.

Das war jedenfalls der Plan. Die Schlange reichte allerdings schon fast bis zum Horizont und ich musste mich wohl auf eine längere Wartezeit einstellen. Mir war nicht wohl dabei, den Kater so lange zu Hause alleine zu lassen. Aber es war nicht zu ändern und ich nutzte die Zeit, um meine Mitwartenden zu beobachten.

Ganz vorn an der Kasse stand eine alte Dame, die jetzt trotz bereits erheblicher Wartezeiten ihr Portemonnaie intensiv nach Kleingeld durchsuchte, während die Kassiererin ihr geduldig beim Sortieren half. Unfassbar, es sind immer die selben. Neben mir in der Schlange wartete ein Typ, der die klassische Mischung 'Steaks und Bier und Zigaretten' im Wagen hatte und vermutlich auch nicht mit Gästen zum Fest rechnete. Ganz kurz überlegte ich, ihn anzusprechen, verwarf die Idee aber ganz schnell wieder, als er sein Gesicht in meine Richtung drehte. Um Himmels Willen, wer so frustriert aus der Wäsche schaut, sollte nicht mit einer Einladung zu einem Date rechnen.

Daneben stand eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, die aller Weihnachtshektik zum Trotz erstaunlich gut gelaunt und ausgeglichen war. Sie scherzte mit den beiden Kleinen und hatte trotz des Trubels noch die Nerven, in der Warteschlange des Supermarkts zu lachen. Sie war übrigens die einzige. Alle anderen hatten mehr oder weniger bis sehr genervte Gesichter.

Eins der Kinder winkte mir zu und ich winkte zurück und lächelte. Wenigstens war hier doch noch jemand, der sich offensichtlich auf Weihnachten freute.

Ein Blick in meinen Einkaufswagen machte mir sofort noch bessere Laune. Ich war jetzt tatsächlich auch jemand, der zu Hause sehnsüchtig erwartet wurde. Eine ganz neue Erfahrung.

Genau so war es wirklich, als ich ungefähr eine dreiviertel Stunde später in meiner Wohnung eintraf. Socke saß bereits hinter der Tür und begrüßte mich aufgeregt plappernd, während ich die Einkäufe in den Flur schleppte. Obwohl er bis gestern noch ein freier Kater gewesen war, versuchte er nicht mal, durch die geöffnete Wohnungstür zu entwischen. Offensichtlich fühlte er sich wirklich wohl bei mir.

"Hallo, mein Schöner." Ich neigte mich zu ihm herunter und streichelte ihn, während er direkt die Einkaufstaschen inspizierte.

"Ja, mein Freund, das ist fast alles für Dich. Kannst Du Dir ruhig alles ganz genau anschauen." Bis auf die Lebensmittel ließ ich ihn alles ausgiebig beschnuppern.

Ich füllte als erstes sein Katzenklo, schließlich hielt er jetzt schon seit gestern Abend ein und ich wollte nichts riskieren. Er beobachtete mich dabei kritisch aus gebührender Entfernung. Dann stellte ich die Kunststoff-Kiste ins Badezimmer und machte eine einladende Handbewegung für ihn.

"Bitte sehr, mein Herr. Ich ziehe mich jetzt dezent zurück und werde das Frühstück bereiten." Er sah mich an und machte keine Anstalten, die Katzentoilette zu benutzen aber als ich das Bad verließ, hörte ich drinnen leise das Katzenstreu knirschen. Wusste ich es doch!

Kurze Zeit später kam er in die Küche, setzte sich auf einen der Stühle und sah mir zu, während ich die Kaffeemaschine mit Wasser füllte, die Falzkanten des Filters umknickte um ihn danach in die Maschine zu stecken und mit Kaffeepulver zu füllen. Ich hatte mir das irgendwann mal so angewöhnt, ob es nun Sinn macht oder nicht. Jedenfalls lag dann der Filter im Halter viel besser an und sackte nicht in sich zusammen sobald Wasser hinein lief.

Sockes Augen folgten jeder meiner Bewegungen und erst als ich eine Dose Katzenfutter öffnete und etwas davon auf einen Teller schaufelte, wurde er unruhig.

"Mau."

"Na, bist Du hungrig?" fragte ich lachend als er auf dem Stuhl herum trippelte und seine Schwanzspitze nervös durch die Luft zuckte.

"Mau!"

"Das dachte ich mir. Dann komm mal mit."

Er folgte mir, als ich den Teller zur Seite trug und ihn dort auf den Boden stellte. Dann fiel er gierig über sein Frühstück her. Da ich mindestens genau so hungrig war, wie er aussah, tat ich es ihm gleich und setzte mich ebenfalls an den Tisch, um endlich etwas zu frühstücken und meinen Kaffee zu trinken.

Nachdem er seinen Teller restlos leer gefressen und säuberlich abgeschleckt hatte, bis aber auch jede Mikrobe des Futters in seinem gierigen Rachen verschwunden war, setzte er sich wieder auf den zweiten Stuhl. Er sah mich direkt an, während er sich genussvoll sein Schnäuzchen ableckte. Dann begann er, sich dort oben zu putzen, als hätte er nie etwas anderes getan. Er war schon irgendwie ein seltsames Kerlchen.

Den restlichen Tag verbrachten wir beiden in trauter Zweisamkeit. Es war fast als wäre er schon immer da gewesen. Alles war so selbstverständlich und von Anfang an waren wir ein richtig gut eingespieltes Team.

Wir faulenzten zusammen auf dem Sofa, sahen fern und spielten miteinander. In Ermangelung eines Wollknäuels rollte ich ihm eine Walnuss von meinem Nussteller über den Boden und er jagte sie mit Begeisterung durch die halbe Wohnung. Natürlich hätte er viel besser mit der Fellmaus spielen können, aber die hatte ich bereits in Geschenkpapier eingepackt. Die sollte er erst morgen früh bekommen, schließlich war ja eigentlich noch gar nicht richtig Weihnachten.

Abends machte ich dann für uns tatsächlich so etwas wie ein Weihnachtsessen. Es gab Hähnchenbrust. Natur für ihn und mit Brokkoli überbacken für mich. Nur mühsam widerstand ich der Versuchung, ihn beim Essen mit am Tisch sitzen zu lassen, aber ich besann mich darauf, dass er ja ein Kater war und so musste er doch am Boden fressen.

Danach setzte er sich dann sofort in zwar erst kurzer, aber schöner Tradition wieder zu mir an den Tisch. Einmal fragte ich ihn sogar "Was ist?" weil der Blick aus seinen grünen Augen mich irgendwie irritierte. Ich sprach tatsächlich mit einem Kater! Und es kam mir nicht einmal merkwürdig vor.

Nach dem Essen räumte ich dann rasch die Küche auf und wir verbrachten den Rest des Abends auf dem Sofa, wo er zuerst wieder neben mir lag. Später schlich er sich dann auf meinen Schoß, wo er sich mit einem leisen Seufzer halb auf den Rücken drehte und mich damit quasi aufforderte, seine kleine, vollgefressene Plauze zu kraulen.

Wir sahen zusammen irgendeinen romantisch-schmalzigen Hollywood-Schinken aber der ganze Schmus störte mich dieses mal nicht. Die fest zusammengerollte Pelzkugel auf meinem Schoß hielt mich so in ihrem Bann, dass auf der Mattscheibe auch eine Dauerverkaufsveranstaltung für Heizdecken hätte laufen können.

Die Cognac-Flasche leerte sich in diesem Jahr deutlich langsamer als sonst und ich hatte das Gefühl, vielleicht mal einen Weihnachtsmorgen ohne Kater erleben zu können. Ach, Blödsinn! Natürlich MIT Kater! Allerdings ausnahmsweise nicht mit dem in meinem Kopf, der von zu viel Alkohol und Einsamkeit kam, sondern mit dem kleinen, pelzigen, der mich in Windeseile um seine Pfote gewickelt hatte.

Dort sitzend, den warmen, schlummernden Kater auf meinem Schoß, fühlte ich mich plötzlich gar nicht mehr so einsam. Endlich hatte ich jemanden gefunden, der es ganz offensichtlich genoss, mit mir zusammen zu sein und der deutlich länger bleiben würde als nur eine Nacht. Immerhin war dies schon seine zweite und er machte nicht den Eindruck als wolle er jederzeit wieder aufbrechen. Ich streichelte sein weiches Fell und er brumselte sofort zustimmend.

"Na, mein Süßer? Das hast Du gern, was?" Ich seufzte. Und dann wurde ich trotzdem wieder mal sentimental.

"Ach weißt Du, Socke. Ich wünschte, es gäbe einen Menschen, der mich so ansieht wie Du. Und der hier mit mir auf dem Sofa liegt. Leider weiß ich nicht, ob ich den jemals finden werde. Aber soll ich mal ganz ehrlich sein? Du bist mir tausendmal lieber als all die Idioten, die dort draußen herum laufen."

Er hob den Kopf und richtete wieder diese unergründlichen, leuchtenden Smaragdaugen auf mich. Komischerweise durchfuhr es mich dabei ganz merkwürdig. Ich hatte fast den Eindruck, er würde meine Worte verstehen, dabei war er doch nur ein Kater.

Er blinzelte, dann schloss er die Augen, rollte sich wieder fest zusammen und seufzte. Zärtlich betrachtete ich ihn. Unfassbar, wie dieses schnuffige Bündel dort auf meinem Schoß lag und mir ein solches Vertrauen entgegen brachte. Das zwischen uns war wirklich Liebe auf den ersten Blick gewesen.

Ich lächelte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zuletzt einen so schönen Heiligabend verbracht hatte. Ich war mit mir selbst absolut im Reinen und fühlte mich einfach gut.

Selig schlummernd glitt ich hinüber in den Weihnachtsmorgen. Ich wachte auf und bemerkte sofort, dass irgendetwas anders war. Etwas fehlte. Ich rieb mir die Augen, dann wusste ich, was es war. Der Kater lag nicht auf dem Bett.

"Socke?" fragte ich ins Badezimmer hinein. Vielleicht war er mal für kleine Königstiger. Nichts rührte sich. Kein Scharren, kein 'Mau'. Gar nichts.

Dann bemerkte ich, dass die Schlafzimmertür nur angelehnt war. Hatte ich die nicht gestern Abend geschlossen um über Nacht nicht hier drinnen erfrieren zu müssen? Bei offener Tür zog das bisschen Wärme, das ich hier erzeugen konnte immer viel zu schnell wieder ab.

Ich hatte es wohl vergessen und jetzt hatte der Kleine die Tür aufgedrückt und sich raus geschlichen. Wahrscheinlich hatte der Hunger ihn schon in die Küche getrieben. Warum sind alle Katzen nur solche verfressenen Viecher?

Ich schob mich unwillig aus dem Bett und tappte barfuß durch die wieder einmal eisig kalte Wohnung. Solche Tage sollte man einfach im Bett verbringen! Einfach die Decke über den Kopf ziehen und dann...

In der Küchentür blieb ich wie angewurzelt stehen, denn dort stand ein mir völlig unbekannter Mann. Er drehte mir den Rücken zu, so dass ich nur sein dunkles, kurz geschnittenes Strubbelhaar, seinen breiten Rücken und seine - zugegebenermaßen - ziemlich wohlgeformten Pobacken, die in zwei ebenso wohlgeformte Beine übergingen, sehen konnte.

Mir fehlten die Worte. Was wollte dieser Typ in meiner Wohnung? In meiner Küche? Wer war das überhaupt? Vielleicht wollte er mich ausrauben. Oder gar vergewaltigen! Und wie kam er hier herein? Und warum wirkte er so selbstverständlich, wie er dort an der Arbeitsplatte stand? Was um alles in der Welt tat er da überhaupt?

Ich fand meine Sprache wieder. "Hey, was...? Wer bist Du? Wie bist Du hier herein gekommen? Was soll das alles?"

Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich nur Shorts und ein T-Shirt trug und mir ein völlig fremder Kerl in meiner Wohnung gegenüber stand. Ich wäre total schutzlos wenn er es tatsächlich auf irgendetwas anlegen sollte.

Er drehte sich langsam zu mir um und ich erkannte, dass er in etwa in meinem Alter sein musste. Vielleicht etwas älter. Sein Blick war fest auf etwas geheftet, das er in den Händen hielt. Es war eine Filtertüte und er war gerade dabei, die untere Kante umzuknicken, genau wie ich es immer tue. Auf der Arbeitsplatte hinter ihm stand meine Kaffeedose, die ich nun fassungslos anstarrte.

Hallo? Was ging da denn ab? Wollte der Fremde etwa Kaffee kochen? Welcher Einbrecher kocht denn bitteschön Kaffee für sein Opfer? Ich glaube, ich bin hier in einem ganz schlechten Film gelandet.

"Wie ich hierher komme?" fragte er und sah dabei auf seine Hände. "Du hast mich doch selbst mit hierher genommen. Vorgestern. Erinnerst Du Dich nicht mehr?"

Ich beobachtete, wie er den Kaffeefilter hinter sich auf die Arbeitsplatte legte und starrte wie blöde darauf. Keine Ahnung, was er mir mit diesen Worten sagen wollte, ich konnte mich nicht erinnern, ihn je gesehen zu haben.

Dann kam er langsam auf mich zu. Mühsam löste ich die Augen von dem Filter und sah ihn endlich wirklich an. Er hob ebenfalls den Blick und ich sah direkt in seine unergründlichen, smaragdgrünen Augen. Er lächelte leicht und näherte sich mir noch weiter bis wir schließlich direkt voreinander standen.

Mein Herz setzte einen oder zwei Schläge aus und raste dann los wie verrückt. Er sah direkt in mich hinein. Wie hypnotisiert stand ich ihm in meiner Küche gegenüber. Das konnte doch unmöglich wahr sein! Seine Augen... Er war... Nein, nein, das war doch völlig undenkbar! Sicherlich schlief ich noch und träumte einen wilden Traum. Das war die einzige passende Erklärung dafür. Eine andere konnte es gar nicht geben.

Allerdings glaube ich nicht, dass ich jemals in einem meiner Träume so geküsst worden bin, wie er mich dann küsste.


Draußen fielen dicke, weiche Schneeflocken wie kalte Wattebäusche am Fenster vorbei, als 'Socke' und ich uns nach dem Weihnachtsfrühstück wieder ins Bett kuschelten, wo wir auch den Rest des Tages verbrachten.

Irgendwie finde ich den Winter plötzlich gar nicht mehr so schlimm...

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