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Die Bielefelder Verschwörung

Weihnachtschallenge 2016

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Müde setzte ich mich aufs Bett und schaute auf den Wecker. Die Zeiger standen auf vier Uhr. Ich hatte gerade mal drei Stunden geschlafen. Es war noch stockdunkel und nur die Straßenbeleuchtung auf der anderen Straßenseite warf ein schummeriges Licht durch das Fenster in meinem Schlafzimmer. „War das wirklich alles passiert“, fragte ich mich.

Vorsichtig, voller Angst wandte ich meinen Blick nach rechts und atmete erleichtert auf, im dämmrigen Licht sah ich Stefan, der neben mir lag und tief und fest schlief. Gott sein Dank hatten die Beruhigungsmittel und Schmerzmittel gewirkt. Die Verbände hatten sich am Rücken leicht rosa gefärbt, aber das hatte mir der Arzt schon gesagt, dass das passieren wird. Der Verbandswechsel hatte aber noch Zeit, ich war froh, dass er nach all dem, was passiert war, überhaupt schlafen konnte und wollte ihn jetzt nicht wecken. An seinem Hals schaute das Lederband mit dem silbernen kleinen Engel hervor. Ich schaute ihn an, lächelte glücklich. Sanft strich ich über seine Wange und dachte an die letzten 8 Tage zurück…….

18.12.1999

Es war gegen vier Uhr morgens am 18. Dezember 1999. Ein kalter Wind pfiff durch den Bielefelder Hauptbahnhof. Ich zog meinen Kragen hoch und schloss den Reißverschluss bis zum Anschlag, mir war kalt und ich fröstelte. Wir kamen gerade aus dem Fever-Club in Hannover, einem riesen Gay-Club und warteten jetzt auf den ICE, der uns zurück nach Bielefeld bringen sollte.

Noch eine halbe Stunde bis unser Zug fuhr. Wir schlenderten weiter durch den Bahnhof und

plötzlich musste ich an die Leipziger Lerche denken. Nein – nicht was ihr jetzt denkt, es handelt sich hierbei nicht um einen Vogel, sondern um ein berühmtes Leipziger Gebäck. Lecker sag ich euch, das haben wir letztes Jahr auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt, ich hatte mit meinen Eltern am Wochenende einen Besuch gemacht, gegessen, aber wieso kam mir das jetzt in den Sinn.

„Jens“, tönte es plötzlich neben mir. Ich drehte mich um und schaute meinen Arbeitskollegen Marco fragend an.

„Weißt du an was ich gerade denken musste?“

„Nein“, antwortete ich, „denn sonst wäre ich Hellseher und müsste nicht mein Geld mit ehrlicher Arbeit verdienen.“

„Hm“, murmelte Marco, „ich musste eben an Topfenpalatschinken mit Marillenfüllung und Schlagobers denken.“

„Wow“, antwortete ich, „hast du Hunger?“

„Nein, das ist ja das seltsame“, bekam ich zur Antwort. Wobei ich verschwieg, dass ich auch eben an etwas Essbares gedacht hatte und im selben Augenblick musste ich an Schweinshaxen denken.

Ich schüttelte mich und drehte mich zu Peter um, der auch ganz versonnen drein schaute.

„Na Pit, an was denkst du gerade?“, fragte ich ihn. „An Matjes“, kam wie aus der Pistole geschossen.

Ich musste laut lachen, was war denn hier los?

„Hat hier jemand „Denk an Essen“ versprüht“, lachte ich weiter und Pit und Marco mussten auch lachen. „Sieht fast so aus“, meinte Marco, „aber besser als was zum Essen wäre es, wenn der Zug kommen würde, mir ist nämlich kalt und dann gehen wir erstmal frühstücken und dann in die Falle.“

„Da hast du recht“, antwortete Pit und zeigte gleichzeitig nach gegenüber.

Ich schaute in die Richtung in die Pit gedeutet hatte und da sah ich ihn. Er lehnte an der Wand in der Nähe der Toiletten, hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben und man konnte deutlich sehen, dass er fror. Na ja, für diese Jahreszeit war er mit seiner dünnen Jacke auch mehr als schlecht angezogen. Er hatte braune kurze Haare war so 1,80m groß, sehr schlank und hatte ein engelsgleiches Gesicht. Es war als hätte mich der Schlag getroffen, ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihm abwenden und mein Magen schlug plötzlich Purzelbäume.

„JEEEENS, hallo Erde an JEEENS“, hörte ich plötzlich Pit neben mir rufen. „Oh mein Gott“, meinte Marco, „Jens hat‘s erwischt, Amor hat zugeschlagen.“

Marco und Pit waren meine besten Freunde, Marco kannte ich schon aus der Schulzeit und wir hatten nach der Schule dieselbe Ausbildung gemacht, zwar in unterschiedlichen Betrieben aber beide hier in Bielefeld wo wir nach Beendigung auch beide als Medizinisch technische Laborassistenten übernommen worden sind. Marco wusste schon seit der Schulzeit, dass ich schwul bin und hatte sich dann auch schnell vor mir geoutet. Aber wir waren immer nur beste Freunde gewesen. Keiner von uns hatte je eine Beziehung untereinander angestrebt.

Pit habe ich bei einer Polizeikontrolle kennengelernt. Ja ihr habt richtig gehört, bei einer Verkehrskontrolle schaute Pit süß lächelnd in mein Auto und meinte: “Ihre Papiere bitte.“ Nachdem er um mein Auto herumgelaufen war lächelte er mich noch süßer an, gab mir meine Papiere wieder und meinte, „alles in Ordnung, ich wünsch eine gute Fahrt“.

Warum er mich plötzlich geduzt hatte und so zuckersüß lächelte, wurde mir erst später klar, als ich auf meinem Führerschein das Post-It mit einer Telefonnummer und der Bemerkung „Lust auf nen Kaffee?“ fand.

Zuerst war ich ziemlich verwirrt, doch als mein Blick beim Öffnen meines Kofferraumes auf die Regenbogenflagge fiel, die auf meiner Heckscheibe prangte, da verstand ich.

Ich habe Marco davon erzählt und er meinte natürlich, ich müsste ihn auf jeden Fall anrufen und mich mit ihm verabreden, was ich dann auch tatsächlich tat. Wir haben uns dann in einem Café verabredet und stundenlang nur geredet. Schnell wurde uns klar, dass wir uns heiß und innig liebten, aber nicht so wie zwei Verliebte, sondern eher wie beste Freunde oder sogar wie Brüder.

Seitdem unternahmen wir sehr viel zu dritt, ja wir haben auch schon so manche Nacht in einem Bett verbracht, aber nur um Druck abzubauen und nicht aus einer Verliebtheit heraus, es ging uns dabei immer nur um den puren Sex, der zugegebenermaßen meistens ziemlich heiß war.

„JEEEEEEEENS“, ich zuckte zusammen und merkte, dass ich den Jungen an der gegenüberliegenden Wand immer noch anstarrte.

„Lass gut sein“, meinte Pit und legte mir die Arme um die Schultern, „du wirst dich doch nicht in einen Stricher verlieben, der bricht dir nur dein Herz“.

„Der ist kein Stricher“, antwortete ich.

Dann dachte ich laut „Mutatis Mutandi“.

„Was hast du gesagt?“, fragte Marco „Muta…. Was?“

„Ach nichts“, sagte ich und verstand selber nicht warum mir diese lateinische Redewendung jetzt in den Kopf gekommen war. „Mutatis Mutandi“ – Nach Änderung des zu Ändernden – was sollte ich hier jetzt ändern?

Dann sah ich wie ein älterer Mann zielstrebig auf meinen Engel zusteuerte und ihn ansprach. Mein Engel schüttelte den Kopf und blickte hektisch nach links und rechts und starrte dann auf den Boden.

„Siehste“, meinte Pit, „hab ich‘s doch gewusst, ein Stricher“.

Der Mann packte meinen Engel am Arm und wollte ihn mitziehen, aber der begann sich zu wehren. Nach einem kurzen Gerangel ließ er von ihm ab und verschwand im Getümmel. Mein Engel sah sich mit hochrotem Kopf um. Er wirkte total ängstlich und verschüchtert. Gerade als er weggehen wollte, lösten sich aus dem Menschengewühl zwei Männer und gingen schnellen Schrittes auf ihn zu. Der eine bekam meinen Engel gerade zu fassen als dieser weglaufen wollte. Dann packten ihn die beiden Männer von je einer Seite und schoben ihn weg.

Als mein Engel sich zu wehren begann, drehte einer der beiden ihm den Arm auf den Rücken und mit schmerzverzerrtem Gesicht verschwand er mit den beiden Männern in der Menschenmenge.

„Was zum Teufel war das denn“, meinte Pit. „Sah ja fast aus wie Zuhälter die ihren Stricher eingesammelt haben. Sei nicht traurig Jens, ich weiß das du dich nach einem Freund sehnst, aber das wäre wirklich nicht das richtige“.

„Na ja“, antwortete ich, „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick…..?“

„Komm her“, sagte Marco und nahm mich in den Arm, „auch für dich gibt’s irgendwo den richtigen Deckel. Unser Zug ist im Anflug, wir müssen.“

Also machten wir uns auf den Weg zum Bahnsteig. Unser Zug war gerade eingefahren und so konnten wir direkt einsteigen. Gerade als ich die erste Stufe betrat, sah ich aus dem Augenwinkel, wie zwei Waggons weiter vorne jemand in den Zug geschoben wurde und meinte einen der beiden Männer von vorhin zu erkennen. Ich seufzte, schüttelte den Kopf und betrat den Zug, der bedingt durch die frühen Morgenstunden noch recht leer war. So fanden wir auch schnell ein leeres Abteil und ließen uns müde in die Sitze fallen. Gottseidank war heute erst Sonntag, ich brauchte dringend eine Mütze voll Schlaf.

Fünfzig Minuten später stiegen wir in Bielefeld aus dem Zug aus und machten uns auf den Weg zum gelben M direkt beim Bahnhof. Kurze Zeit später saßen wir gemütlich in einer Ecke, versorgt mit Rührei, Croissants, Marmelade und vor allem mit frischem Kaffee.

„Das tat gut“, meinte Pit, „da kommen meine Lebensgeister doch gleich zurück. Nee oder? Schaut mal schnell auf den Parkplatz.“ Marco und ich drehten uns um und sahen gerade noch wie die zwei Typen aus Hannover meinen Engel in einen Benz schubsten, die Türen zuwarfen und davonrauschten.

Ich drehte mich wieder um und sah wie Pit eine Nummer auf eine Serviette kritzelte. „BI-MB 69“, murmelte er, „mal sehen was ich da rausbekommen kann, irgendetwas stimmt doch da nicht. Schon komisch das wir das Gespann ausgerechnet hier wieder sehen.“

„Stimmt“, sagte ich, „und ich glaube nach wie vor nicht, dass das ein Stricher ist“.

„Na na, nicht, dass du dich da in was verrennst“, sagte Pit, „ich schau mal was ich rauskriegen kann, aber jetzt brauch ich erstmal ein Bett, ist ja schon viertel vor sieben.“

Dann machten wir uns jeder auf den Heimweg und zwanzig Minuten später lag ich erschöpft in meinem Bett und schlief sofort ein.

Als ich die Augen aufschlug und auf meinen Wecker blickte, zeigte er bereits 15 Uhr. Solange wollte ich eigentlich nicht pennen, aber der Schlaf hatte mir gut getan und außerdem begann mein Magen zu knurren.

Ich stieg also aus den warmen Federn, nahm eine ausführliche Dusche und machte mich dann auf in meine kleine Küche, um mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Ich koche zwar sehr gerne, aber heute hatte ich keine Lust mich in der Küche zu verausgaben und so musste eine Pizza genügen. Zwölf Minuten später saß ich mit meiner Pizza und einem Glas Rotwein gemütlich auf meiner Couch und zappte durch die Fernseh-Programme.

Noch eine Woche, nächste Woche war schon Heilig Abend.

Eigentlich mochte ich diese Jahreszeit und das Weihnachtsfest sehr, aber ich wünschte mir nichts sehnlicher als das Fest endlich mit einem lieben Freund, meinem Freund, an meiner Seite genießen zu dürfen. Meine Eltern hatten sich entschlossen, dieses Jahr die Festtage im Süden zu verbringen und so würde ich wohl Weihnachten alleine in meiner kleinen Wohnung verbringen müssen. Bei dem Gedanken daran musste ich schlucken und bekam einen Kloß in den Hals. Mein Engel tauchte plötzlich wieder vor meinen Augen auf und ich fragte mich, ob Pit schon was rausgefunden hatte, er müsste ja eigentlich schon beim Dienst sein. Heute hatte er Spätdienst. Ich entschloss mich bei ihm anzurufen und nachzufragen.

„Hi Pit, hast du wegen der Autonummer schon was rausgefunden?“

„Hallo Jens, hab deinen Anruf schon erwartet, aber du weißt doch, das ich eigentlich nichts sagen darf, zumal das auch nicht dienstlich war, sondern privat und ich dürfte das eigentlich auch nicht.“

„Jetzt komm schon, stell dich nicht so an“, meckerte ich.

„Also gut, dich scheint‘s ja wirklich mächtig erwischt zu haben, aber kein Wort zu niemanden, ist das klar?“

„Ja ja, kannst dich drauf verlassen.“

„Der Wagen ist auf Muttis Bierstube zugelassen, aber es liegt nichts gegen den Besitzer vor.“

Muttis Bierstube kannten wir, eine Szene Bar in Bielefeld, die auch ein Bistro beherbergte wo wir schon ein paar Mal waren.

„Hm“, meinte ich, „eigentlich passt da doch so eine Luxuskarre gar nicht hin, was meinst du?“

„Du hast recht, weißt du was, wir könnten doch morgen Abend mit Marco zusammen dort Essen gehen, die haben im Bistro ne gut bürgerliche Küche.“

„Ok“, antwortete ich, „ich ruf gleich mal Marco an, dann treffen wir uns so um sieben dort.“

„Alles klar, dann bis morgen.“

Ich rief sofort bei Marco an und machte mit ihm alles klar. Er war sofort einverstanden und lachte in den Hörer, „Huuu, die schwarzen drei auf der Suche nach der Verschwörung….“

„Ja ja, mach dich nur lustig, also dann bis morgen.“

Ich legte auf und zappte noch eine Weile zwischen den Programmen hin und her. Aber ich bekam gar nicht so richtig mit, was da lief, immer wieder musste ich an meinen Engel denken und ich stellte mir vor, wie schön es sein musste, mit ihm zusammen Weihnachten zu feiern.

19.12.1999

Am nächsten Morgen kam ich dann doch recht schwer aus dem Bett raus, so langsam werde ich zu alt für durchgemachte Nächte. Auf der Arbeit konnte ich mich gar nicht so richtig konzentrieren und so war ich froh, als der Arbeitstag rum war, ich nicht sämtliche Laborergebnisse und Proben vertauscht hatte und irgendjemandem wegen mir fälschlicherweise der Blinddarm entfernt werden würde und ich mich daheim auf den Abend vorbereiten konnte.

Dann saßen wir gemütlich in Muttis Bierstube und stöberten in der Speisekarte. „Na ihr hübschen, was darf’s denn sein?“

Ein blonder Jüngling, der so ziemlich alle Schwulenklischees bediente, tänzelte vor uns herum und klimperte mit den Augen.

„Also“, sagte Pit, „ich nehme den Matjes“. „Und ich die Schweinhaxe“, entgegnete ich. „Auja“, stimmte Marco zu, „die nehm ich auch“.

„Bäh, Hüftgold“, sagte unsere Bedienung, schüttelte den Kopf und wackelte davon.

Wir mussten alle lachen und prosteten uns zu.

„Und nun, was hast du vor?“, fragte ich Pit.

„Wie, was habe ich vor?“

„Na wegen meinem Engel.“

Pit grinste, „hat dich ja tatsächlich ganz schön erwischt, na mal sehen“.

Als unsere Bedienung mit dem Essen an den Tisch geschwebt kam, fragte Pit ganz nebenbei, ob denn der Chef auch da wäre. Der Junge schaute ihn komisch an und erklärte dann, der Typ hinter der Bar sei der Chef.

Wir schauten rüber und die Enttäuschung war groß, dieser Mensch hatte mit keinem der beiden die meinen Engel mitgenommen hatten im Entferntesten Ähnlichkeit.

„Das war wohl ein Griff ins Klo“, sagte ich zu Pit.

„Das sieht wohl ganz so aus“, antwortete Pit. Marco, der die ganze Zeit relativ still war meinte daraufhin, „aber wenn die Karre auf den Laden hier zugelassen worden ist, dann muss es doch einen Zusammenhang geben.“ „Ja“, sagte Pit, „die Karre war auch nicht als gestohlen gemeldet, also hängen die beiden Typen irgendwie mit der Bude hier zusammen.“

„Lasst uns doch erst mal Nachtisch fassen“, meinte Marco. Und so blätterten wir in der Karte und suchten uns auf der Dessertseite etwas aus. Pit hatte als erster seine Wahl getroffen, „Hmmmm, Topfenpalatschinken mit Marillenfüllung und Schlagobers“. „Au ja“, rief Marco, „das nehm ich auch.“

Ich schaute noch ein wenig in die Karte und dann las ich es. „Leipziger Lerche“, sagte ich laut vor mich hin. „Gute Wahl“, tönte es auf einmal neben mir. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass unsere Bedienung an unserem Tisch stand. „Also dann zwei mal Topfenpalatschinken und eine Lerche, kommt sofort“, sprach‘s und verschwand mit einem enormen Hüftschwung in der Küche.

„Habt ihr denn nichts bemerkt“, fragte ich die beiden.

„Jo“, meinte Pit, „der Typ ist ne ganz schöne Tucke.“

„Ja äh, nein“, antwortete ich, „das mein ich doch gar nicht. Erinnert ihr euch noch, auf dem Bahnhof, Marco du hast an Topfenpalatschinken mit Marillenfüllung und Schlagobers gedacht und ich an Schweinshaxen und Pit, als ich dich gefragt habe, an was du denkst hast du Matjes gesagt und davor ging mir die ganze Zeit die Leipziger Lerche durch den Kopf….. und jetzt seht was wir gegessen und gerade bestellt haben.“

Jetzt wurden die beiden ganz still. „Oh Mann“, flüsterte Marco, „ganz schön unheimlich.“

„Ja“, bestätigte Pit, „ich glaube zwar nicht an Übersinnliches, aber das hier ist ganz schön starker Tobak.“

„Und nun?“, fragte ich in die Runde.

„So meine Hübschen“, wurden wir unterbrochen, „etwas Süßes für die Süßen.“

Und dann standen unsere Desserts vor uns und warteten darauf verspeist zu werden.

„Sag mal mein hübscher“, flötete Pit plötzlich dem Kellner entgegen, „wie lange arbeitest du schon hier?“ „Seit einem halben Jahr, ich bin der Steve“, sprach‘s und drückte sich neben Pit auf die Bank.

„Na, was kann ich denn für dich tun.“ Er legte Pit die Hand auf den Oberschenkel und schaute ihm erwartungsvoll in die Augen.

„Fährt dein Chef zufällig einen Benz, BI-MB 69?“, fragte Pit ganz unverblümt.

Steve schoss wie von der Tarantel gestochen von der Bank hoch und blieb wie angewurzelt stehen. Er sah aus, als ob gerade alles Blut aus seinem Gesicht entschwunden wäre. „Keine Ahnung“, antwortete er ziemlich barsch und trat recht schnell den Rückzug an.

„Habt ihr die Reaktion gesehen“, fragte Pit, „hier stinkt etwas gewaltig. „Der macht mich erst an und dann, als ich wegen der Karre gefragt habe…..“

„Leute, hier ist was oberfaul, ich fresse nen Besen, wenn hier alles sauber ist“, meinte auch Marco.

„Und wie wollen wir rauskriegen ob hier was nicht stimmt?“, fragte ich.

„Wir müssen den Laden beobachten“, meinte Pit. „Irgendwann muss die Karre ja mal hier aufkreuzen, auf dem Parkplatz steht sie jedenfalls nicht und ne Garage hat der Laden nicht.“

„Wäre es nicht besser wir würden versuchen das über Steve rauszukriegen?“, fragte Marco ganz vorsichtig.

Ich horchte auf, Marco war schon eine ganze Weile solo und ich wusste, dass er, übrigens im Gegensatz zu Pit, der lieber ungebunden das schwule Leben in vollen Zügen genießen wollte, nach etwas festem suchte. Ich schaute unauffällig nach links, zwei Tische weiter bediente Steve an einem anderen Tisch. Na ja, schlecht aussehen tat der Junge ja nicht, gute Figur, ungefähr in unserem Alter, aber halt ziemlich tuckig, aber das konnte ja auch nur Show sein. Sollte Marco tatsächlich auf den Knaben abfahren?

„Also ich würde mal versuchen über ihn was rauszukriegen“, sagte Marco.

„Ok, gute Idee“, sagte Pit, „ich bin ja wahrscheinlich bei ihm durchgefallen, versuch mal dein Glück“.

Dann lachte er und meinte, „ist ja echt spannend, drei Freunde und die Bielefelder Verschwörung, ein richtiger Krimi.“

„Hört sich ja gut an, ok“, meinte Marco, „dann lasst uns mal bezahlen.“

Das taten wir dann auch. Steve schaute uns beim Kassieren ganz komisch an. Als wir alle unsere Zeche beglichen hatten, sagte Marco, „Ach ich hätte gerne noch einen Cappuccino, kannst du mir bitte noch einen bringen?“

Pit und ich schauten uns verstehend an und ich sagte „ok, wir machen uns schon mal auf die Socken, wir sehen uns, ruf mich morgen mal an.“

Dann ließen wir Marco alleine und machten uns auf den Heimweg. Ich war ziemlich aufgewühlt und lag noch sehr lange wach in meinem Bett. Immer wieder sah ich das Bild wie mein Engel von den beiden Typen in das Auto gezerrt wurde und ich sah seinen ängstlichen Blick. Was zum Teufel hatte es mit dem Essen an das wir am Bahnhof gedacht hatten und heute tatsächlich verspeist hatten auf sich? War es nur ein Fingerzeig, dass wir auf der richtigen Spur waren und wenn von wem oder wie. Aber ich verwarf die Gedanken schnell wieder. Auch ich glaubte nicht an Übersinnliches, demzufolge konnte es sich nur um einen Zufall handeln. Was Marco wohl herausbekam. Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf und irgendwann schlief ich endlich ein.

20.12.1999

Als am Morgen der Wecker klingelte, fühlte ich mich wie gerädert. Gott sei Dank war schon Dienstag. Noch 2 Tage arbeiten, dann hatte ich Urlaub. Schon im Bad kreisten meine Gedanken wieder um das, was wir gestern erlebt hatten und ich ging schnell ins Wohnzimmer, um auf meinem Handy nachzusehen, ob ich eine Nachricht von Marco hatte. Aber nichts, kein Anruf, keine SMS, keine Mail – gar nichts.

Enttäuscht ging ich wieder ins Bad, um mich für die Arbeit fertigzumachen.

Als ich fertig angezogen in die Küche ging um meinen Kaffee zu trinken, summte plötzlich mein Handy. Marco hatte sich gemeldet. „Es gibt Neuigkeiten, ich rufe dich in der Mittagspause an, Marco.“

Ich starrte auf mein Handy und dachte, super, wie soll ich den Vormittag in Unwissenheit überstehen und meinen Job ordentlich machen?

Und so war es dann auch, ich konnte mich bei der Arbeit kaum konzentrieren und schaute ständig auf meine Uhr. Mein Kollege merkte natürlich auch, dass irgendetwas nicht stimmte und fragte: „Na Jens, frisch verliebt?“

Ich schnauzte ziemlich barsch zurück, „ach halt die Klappe“, was mir direkt wieder leid tat. „Sorry, hab nur schlecht geschlafen.“

Irgendwann gegen Mittag klingelte dann endlich mein Handy, ich schaute auf mein Display, es war Marco. Ich sprang nervös vom Stuhl hoch und fegte dabei einen Aktenordner vom Tisch. Mein Kollege grinste nur und murmelte, „ja, ja, schlecht geschlafen….“

Ich reagierte gar nicht und ging nach draußen, um in Ruhe zu telefonieren. Auf dem Weg nach draußen nahm ich das Gespräch an.

„Hallo Jens“, ertönte es aufgeregt aus dem Hörer.

„Hi Marco – und – erzähl“, sagte ich.

„Also, Steve ist echt schnuckelig, als ihr weg wart und er sich nach Feierabend zu mir gesetzt hat, war der ganz anders, gar nicht mehr tuckig, der ist echt in Ordnung und sieht soooo süß aus. Ach das war echt schön, ich glaube….“

„Dich hat‘s ja total erwischt“, antwortete ich.

„Ja“, stöhnte Marco, „zum Abschied hat er mir einen Kuss gegeben und mich in den Arm genommen, ich glaube ich hab mich total verschossen.“

Ich musste lachen, „freut mich echt für dich mein Lieber, wurde ja auch mal Zeit, aber weißt du was mich noch mehr interessiert?“

„Klar“, antwortete Marco, „also, am Anfang wollte er nicht so recht raus mit der Sprache, aber später hat er dann doch erzählt. Werner Dröger, das ist sein Chef, der Besitzer der Bierstube, scheint in irgendwelche zwielichtigen Geschäfte verwickelt zu sein. Steve weiß nicht genau was, aber Dröger habe ihm auch schon mal angeboten, ob er nicht noch ein paar Euro nebenher verdienen wollte, er sehe doch super aus und mit der Figur könne er nebenher ganz schön Kohle machen. Werner Dröger scheint übrigens auch schwul zu sein. Er habe aber gleich abgelehnt, weil ihm das nicht ganz geheuer vorgekommen ist. Der Benz gehöre auch ihm, aber meistens seien seine zwei Bodyguards damit unterwegs. Vorgestern seien die wieder dagewesen und haben einen Schnuckel aus dem Auto gezerrt und gleich durch den Hintereingang reingeschleift. Mehr habe er nicht mitbekommen und auch nicht gesehen, ob die wieder zusammen gegangen sind. Seinen Chef habe er an diesem Abend nicht mehr gesehen und der BMW war auch vom Parkplatz verschwunden als er wieder rausgesehen hat.“

„Na Klasse, das hört sich ja wirklich wie ein schlechter Krimi an, aber schlauer sind wir jetzt auch nicht. Wer weiß, was die mit meinem Engel inzwischen gemacht haben.“

„Na hör mal, das sind doch wichtige Infos, ich finde die sollten wir so schnell wie möglich Pit erzählen. Ich schlage vor, ich komme heute nach Feierabend mit Pit bei dir vorbei und wir besprechen wie wir weiter vorgehen.“

„Ok“, sagte ich, „dann treffen wir uns um sieben bei mir.“

„Alles klar, dann bis später, ciao“

Nachdenklich kehrte ich zurück zur Arbeit. Ich dachte nochmal darüber nach, was mir Marco erzählt hatte. Irgendetwas war auf jeden Fall oberfaul. Vor meinen Augen taucht mein Engel auf und ich musste lächeln, ich sah sein Gesicht und in meinem Magen begann es zu kribbeln. Auf jeden Fall musste ich alles daran setzen ihn zu finden. Dann kam mir Steve in den Sinn und wieder musste ich lächeln. Marco hatte es wirklich verdient jemanden kennenzulernen. Und wenn Steve wirklich nicht so tuckig ist, wie er in Muttis Bierstube rübergekommen war, dann würden die beiden gut zusammen passen.

Inzwischen war ich an meinem Arbeitsplatz angekommen und mein Kollege grinste. „Na, so wie du lächelst hat der Anrufer deine Stimmung ganz schön aufgeheitert.“

Mein Kollege weiß, dass ich schwul bin und hatte auch kein Problem damit, deshalb auch seine Vermutung, dass es ein Anrufer war.

„Na mal sehen“, lächelte ich, „wenn es konkret wird erzähl ich es dir“.

Nun lächelte mein Kollege, der übrigens Ronny heißt und meinte nur, „ich drück dir die Daumen.“

Ich grinste zurück und machte mich über die Reagenzglasreihe her, die darauf wartete von mir unter das Mikroskop gebracht zu werden.

Den Nachmittag brachte ich ganz gut rum und machte mich durch die festlich geschmückte Stadt auf nach Hause. Als ich am Weihnachtsmarkt vorbeikam, seufzte ich und wünschte mir mit meinem Freund gemeinsam über den Platz zu schlendern und zusammen ein Glas Glühwein zu trinken.

Gegen sieben schellte es dann an meiner Tür und als ich öffnete, stürmten Pit und Marco zur Tür herein und schlotterten.

„Scheiße ist das kalt“, wetterte Pit, „es riecht nach Schnee, machst du uns bitte gleich nen heißen Tee“.

„Steht schon im Wohnzimmer auf dem Tisch, geht durch“, sagte ich.

Als ich mit ein paar Keksen ins Wohnzimmer kam, goss sich Pit gerade einen Tee ein und meinte: „Jens du bist ein Goldschatz.“

„Und noch zu haben“, sagte ich und nahm Pit von hinten in den Arm. Er drehte sich um, lächelte und gab mir einen Kuss auf die Wange, „ich weiß und für dich finden wir auch noch einen Deckel.“

Das liebe ich an Pit, er war der beste Freund den man sich wünschen konnte und das sollte auch so bleiben, deshalb würden wir auch nie eine Beziehung eingehen und außerdem wollte ich ja meinen Engel.

„Also“, sprach Pit weiter, nachdem wir alle auf dem Sofa Platz genommen hatten. „Marco hat mir auf der Hinfahrt alles erzählt und ich muss sagen, das stinkt zum Himmel.“

„Das haben wir auch schon festgestellt“, sagte ich, „aber was machen wir jetzt? Könnt ihr, also die Polizei, nicht was machen?“

„Leider nicht“, entgegnete Pit, „dafür gibt es nicht genügend Verdachtsmomente, da kommen wir offiziell nicht weiter, aber ich glaube ich hab da einen Plan, das wird aber nicht ganz einfach und auch nicht ganz ungefährlich.“

Marco schaute auf und fragte, „wie meinst du das?“

Pit schaute nachdenklich in den Teebecher. „Na ja, wenn wir wirklich was rauskriegen wollen, beziehungsweise Jens‘ Traummann finden wollen, dann müssen wir zunächst mal rauskriegen was der Dröger noch im Verborgenen so alles am laufen hat.“ Dabei schaute er Marco nachdenklich an.

„Was guckst du mich dabei so an“, fragte Marco, „kann ich da was machen?“

„Hm“, machte Pit, „nicht direkt du, eher deine neue Flamme.“

„Was“, schrie Marco und sprang auf, „das kommt ja gar nicht in Frage, dann denkt Steve doch gleich ich hätte mich nur deswegen an ihn herangemacht, vergiss es.“

„Ganz ruhig Brauner“, grinste Pit, „und keine Angst, ich rede mit Steve, aber das ist unsere einzige Chance hinter Drögers Machenschaften zu kommen und vor allem Jens‘ Engel zu finden.“

Marco setzte sich wieder und fragte leise, „und was hast du vor?“

„OK, was ich euch jetzt erzähle ist absolut vertraulich und geheim, ihr dürft mit niemandem darüber sprechen, ich habe natürlich nachgeforscht und Freund Dröger ist kein unbescholtenes Blatt, er ist bei der Sitte bestens bekannt und steht schon sehr lange im Verdacht, dass er ein kleines feines Nebengewerbe betreibt, aber wir haben ihm niemals auch nur das kleinste bisschen nachweisen können.“

„Was“, warf ich ein, „Zuhälterei, willst du damit sagen er hat seine Mädels die für ihn anschaffen?“

„Nicht direkt“, antwortete Pit, „anschaffen schon, aber keine Mädels…..“

Ungläubig schauten Marco und ich ihn an.

Pit fuhr fort. „Er muss irgendwo einen privaten Club oder ein Stundenhotel haben und dort die Jungs an solvente Herren verkaufen für, na ja, sagen wir mal für außergewöhnliche Spielarten, Beweise haben wir aber noch nie gefunden.“

Mir wurde schlecht und mir war klar was das bedeutet, mein Engel war in großer Gefahr. „Was hast du vor?“, fragte ich Pit.

„Nun, Marco hat erzählt, dass Dröger Interesse an Steve gefunden hat….“

„Nein“, schrie Marco auf, „vergiss es, du kannst ihn da nicht reinziehen und in Gefahr bringen.“

„Marco“, Pit sprach leiser und eindrucksvoll weiter, „das ist die Chance an Dröger ranzukommen und ihm endlich das Handwerk zu legen. Das wird alles unter Polizeischutz passieren, keine Angst, deinem Schatz wird nichts passieren. Ich werde morgen mit den Kollegen von der Sitte alles besprechen und dann mit euch und Steve reden. Kannst du Steve bitten, morgen nach Dienstschluss zu dir zu kommen?“

„Das ist kein Problem, er hat morgen seinen freien Tag und wollte eh zu mir kommen.“

Pit lächelte und meinte, „ok, dann machen wir das so, aber bitte sag ihm noch nichts, lass mich das machen, bitte.“

„OK“, seufzte Marco. Ich schaute ihn an und flüsterte leise, „danke Marco“.

Marco kam auf mich zu und nahm mich in den Arm, „keine Angst Kleiner, wir kriegen das hin, wird schon alles gut werden.“

21.12.1999

Der nächste Tag im Geschäft, der letzte Arbeitstag in diesem Jahr für mich, war die Hölle. Ich musste verdammt aufpassen, um nicht alle Proben durcheinander zu bringen und die richtigen Analysen zu starten. Irgendwann war es dann endlich geschafft.

„Einen schönen Urlaub“, sagte Ronny und reichte mir die Hand. „Und schöne Weihnachten, du bist ja echt urlaubsreif, ich hoffe du kannst dich ein wenig erholen und hast mir wenn du wieder da bist, etwas erfreuliches zu berichten.“

„Das hoffe ich auch“, antwortete ich, „dir auch schöne Weihnachten und sorry für meine üble Laune.“

„Kein Ding und jetzt hau schon ab“, lächelte Ronny.

Das tat ich denn auch und kam gleichzeitig mit Pit bei mir zu Hause an.

„Hi Jens, ich dachte ich hol dich besser ab, du schienst mir gestern Abend schon total durch den Wind.“

„Danke“, sagte ich und Pit fragte zögerlich: „Bist du dir eigentlich sicher, dass aus euch beiden was wird? Ich meine ja nur, nicht das du dich da in was verrennst und am Ende ist der Typ noch nicht mal schwul.“

„Weißt du Pit, wir haben uns am Bahnhof nur kurz in die Augen gesehen und dann nochmal als ihn die beiden Terrier mitgeschleift haben, aber was ich da in seinen Augen gesehen habe…ich weiß nicht warum, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, er ist schwul und wir gehören zusammen, ich kann’s auch nicht richtig erklären, so was ist mir auch noch nie passiert.“

Mir liefen die Tränen aus den Augen und Pit nahm mich ganz lieb in den Arm.

„Na dann komm, wir fahren zu Marco, mit meinen Kollegen habe ich alles besprochen. Jetzt kommt‘s auf Steve an, hoffentlich macht er mit, das ist unsere einzige Chance.“

Ich brachte schnell meine Tasche nach oben und kam gleich wieder runter. Dann stieg ich bei Pit ein und wir fuhren zu Marco.

Als wir das Treppenhaus nach oben kamen, fiel durch Marcos Türspalt etwas Licht. Sofort erwachte der Polizeiinstinkt in Pit. Vorsichtig drückte er gegen die Tür, die war nicht geschlossen sondern nur angelehnt.

„Was hat das wieder zu bedeuten, bleib dicht hinter mir und leise, keinen Mucks“, flüsterte er mir ins Ohr.

Dann drückte er die Tür so leise wie möglich auf und wir schlichen durch den Flur in Richtung Wohnzimmer. Von dort kamen eigenartige Geräusche. Wir drückten uns an der Wand entlang und spähten ins Wohnzimmer. Pit drehte sich um und legte den Finger auf seine Lippen.

Ich schaute nun auch um die Ecke und musste grinsen.

Marco lag bei spärlicher Beleuchtung die von einer kleinen Stehleuchte herrührte auf der Couch, mit nacktem Oberkörper und halb runtergezogener Jeans. Auf ihm drauf saß Steve ohne Hose mit aufgeknöpftem Hemd. Er hatte sich zu Marco hinuntergebeugt und gerade seine Zunge in Marcos Hals versenkt. Beide gaben ziemlich laute schmatzende Geräusche von sich. Sie hatten beide die Augen geschlossen und Steve bearbeitete mit seine freien Hand, mit der anderen musste er sich abstützen, etwas hinter seinem Rücken, was sich bei näherer Betrachtung als ein ziemlich steifes Körperteil von Marco herausstellte, der immer lauter stöhnte.

Pit grinste mich an, er legte die Hand an den Lichtschalter und in dem Moment, als er das Licht anmachte rief er laut, „Polizei, keine Bewegung, Waffen fallenlassen.“

Mit einem Aufschrei sprang Steve von Marco herunter, stolperte über seine am Boden liegenden Klamotten und landete direkt vor mir auf den Bauch. Marco stand vor dem Sofa, hatte die Hände über den Kopf gehoben und rief „nicht schießen.“

Ich musste losprusten, das sah wirklich zu komisch aus, Marco, mit erhobenen Händen, großen Augen und ausgefahrenem Schwert. „Sorry“, sagte ich, „aber die Tür stand offen….“

So langsam realisierten die beiden was passiert war und Marco fand als erster wieder zu sich. „Manm, seid ihr fies, musste das sein?“

„Sorry“, meinte Pit, „hätte ja auch was passiert sein können, aber als ich euch da so liegen sah, da konnte ich nicht widerstehen.“

Ich grinste Marco an und fragte, „hast du für das Teil da eigentlich einen Waffenschein?“, und deutete auf seine Hose in der sich sein Schwanz in der Zwischenzeit wieder zur Normalgröße zurückgebildet hatte.

Jetzt musste Steve, der inzwischen aufgestanden war, auch grinsen und meinte, „das hab ich mich auch schon gefragt.“

Marco hatte sich inzwischen wieder beruhigt und halbwegs angezogen. Auch Steve hatte seine Hose hochgezogen und knöpfte gerade sein Hemd zu, als Marco auf ihn zukam und ihm einen zärtlichen Kuss gab. „Sorry für meine Freunde“, sagt er zu Steve. Der sagte nur, „ist schon ok“, und grinste mich an.

„Ok meine Süßen“, grinste Pit, „dann lasst uns mal zu den unangenehmen Themen kommen.“

Wir setzten uns um den Couchtisch herum und Pit begann.

„Hat Marco dir schon was erzählt?“, fragte er Steve. „Ein paar Andeutungen, aber noch nichts genaues“, antwortete er.

Dann erzähle Pit ihm erst mal die Geschichte von der Nacht am Bahnhof und von meinem Engel und wie wir die Spur zu Muttis Bierstube gefunden haben.

„Bitte, was du hier hörst muss unbedingt vertraulich belieben! Du hast ja bestimmt schon mitbekommen, dass ich Polizist bin und jetzt wird es ein wenig brenzlig. Wir haben rausgefunden, dass Dröger wohl nebenher einen kleinen exklusiven Zuhälterbetrieb am Laufen hat, wir vermuten, dass er Jens‘ Engel dort unfreiwillig anschaffen lässt.“

„Ja“, antwortet Steve, „das könnte passen, das erklärt auch das Nebenjobangebot, dass mir Dröger angeboten hat, das sieht dem schmierigen Typ ähnlich.“

„Und genau das ist der springende Punkt“, warf Pit ein.

„Wie meinst du das“, fragte Steve unsicher.

„Steve, dieses Jobangebot ist unsere einzige Chance Dröger hochgehen zu lassen und Jens‘ Engel zu finden.“

„Nein“, schrie Steve und sprang auf, „ihr glaubt doch nicht, dass ich dafür anschaffen gehe und mich von irgendwelchen alten Knackern vögeln lasse“

„Nein“, sagte Pit, „das ist keine Privataktion sondern eine Polizeiaktion, du hast Polizeischutz und bist die ganze Zeit mit uns verbunden, wir können jederzeit eingreifen bevor etwas passiert.“

Steve setzte sich wieder hin und schaute unsicher von einem zum anderen. An meinem Blick blieb er dann hängen und schaute mich lange an. Ich weiß nicht, ob es an meinem verzweifelten Blick lag, aber er meinte dann, „na ja, wenn es die einzige Möglichkeit ist, aber wenn das klappt dann werde ich auch meinen Job verlieren.“

Jetzt mischte sich Marco an, er nahm seinen Steve in den Arm und fragte, „möchtest du, wenn das alles stimmt, bei so einem weiter arbeiten?“

„Nein, du hast recht, dem Schwein gehört das Handwerk gelegt und wenn ich der einzige bin mit dem ihr das schaffen könnt, dann soll es wohl so sein.“

Pit strahlte und klatschte in die Hände. „Ok, Operation Bielefelder Verschwörung kann starten, dem Schwein werden wir es zeigen. Ich werde jetzt aufs Revier fahren und alles mit den Kollegen besprechen und in die Wege leiten, dann melde ich mich bei euch. Bitte Steve, gib mir noch deine Handynummer, damit ich dich erreichen kann. Sobald ich näheres weiß, melde ich mich und noch etwas, kein Wort zu niemanden, dass das klar ist! Jens, kannst du bei Marco bleiben, damit wir nicht ewig durch die Gegend telefonieren müssen und alle Bescheid wissen. Marco du hast doch jetzt auch Urlaub oder?“

„Ja klar, Jens du kannst auf dem Sofa schlafen, in meinem Bett wird es zu dritt etwas eng.“ Dabei warf er Steve einen lüsternen Blick zu.

„Danke“, sagte ich und zu Steve gewandt, „du bist echt in Ordnung und sorry, dass ich dich am Anfang für eine Tucke gehalten habe.“

„Schon OK“, antwortete Steve, „das ist nur mein Schutzschild, damit ich nicht von jedem bei der Arbeit gleich angemacht werde.“

Pit musste lachen und meinte nur, „na du bist ja einer, aber gute Masche, Kompliment!“

Dann ging Pit und Marco holte mir Bettzeug für das Sofa. „Kennst dich ja aus“, sagte er, dann nahm er Steve bei der Hand und verschwand mit ihm im Schlafzimmer.

22.12.1999

Am nächsten Tag wachte ich gegen neun Uhr auf. In der Wohnung war es noch totenstill. Ich war auch erst spät eingeschlafen, Marco und Steve hatten es ganz schön getrieben, jedenfalls ließ die Stöhnerei, die mich auch am Einschlafen gehindert hatte, darauf schließen.

Gerade als ich in der Küche die Kaffeemaschine in Gang gesetzt hatte und den Tisch gedeckt hatte, klopfte es an der Tür. Ich öffnete die Tür und vor mir stand Pit, der mir eine Tüte mit frischen Brötchen unter die Nase hielt.

„Na alles fit?“, fragte er.

„Leise“, kam es von mir, „die zwei liegen im Bett, scheinen ne anstrengende Nacht hinter sich zu haben.“

In dem Moment kamen Steve und Marco in die Küche, beide nur mit Boxershorts bekleidet und Marco fragte schelmisch grinsend: „Wer hatte ne anstrengende Nacht?“

„Na ihr doch, dem Gestöhne nach zu urteilen“, antwortete ich.

„Na na, wohl neidisch“, sagte Pit.

„Nein natürlich nicht oder doch, ach ich mach mir einfach Sorgen ob alles gut geht, sorry war nicht so gemeint. Ich freue mich echt für euch.“

„Na dann ist ja gut“, meinte Pit, „und jetzt lasst uns erst mal frühstücken, ich hab nen Bärenhunger und brauch erst mal nen Kaffee. Und Jens, keine Sorge, glaub mir es wird alles wieder gut.“

Also ließen wir uns alle in der Küche nieder und verspeisten die knusprigen frischen Brötchen und ließen uns den starken Kaffee munden.

Nachdem wir uns so gestärkt hatten, berichtete Pit, dass er alles mit den Kollegen besprochen hatte und das ganze Revier sehr dankbar für die Hilfe und die sich damit bietende Chance war.

Als nächstes müsste Steve mit aufs Revier, damit er mit Sender und Mikrofon ausgestattet werden konnte und in die Technik eingewiesen werden konnte. Dann sollte er am Abend bei der Arbeit Dröger wegen des Nebenjobs ansprechen. Pit würde im Polizeiauto mit einem Kollegen über Funk alles mithören und könnte jederzeit eingreifen. Marco und ich, wir sollten als Gäste getarnt in der Bierstube sitzen.

Steve hörte sich alles an und man merkte ihm an, wie seine Anspannung immer weiter wuchs.

„Wie gefährlich ist Dröger?“ fragte er zögerlich.

„Nun“, antwortete Pit, „ganz ehrlich, wir wissen es nicht. Fakt ist, er hat sich noch nichts zu Schulden kommen lassen, wir haben ja nur Verdachtsmomente und bislang konnten wir ihm nichts nachweisen. Er steht zwar ständig unter Beobachtung, aber irgendwie kommen wir nicht an ihn ran, um ihm was nachweisen zu können, dabei sind wir hundertprozentig sicher, dass er Dreck am Stecken hat. Deshalb wirst du ja auch verkabelt, damit wir jederzeit eingreifen können. Wir wissen nicht wie gefährlich er ist, aber wir verhalten uns und planen so, als ob er gewaltbereit wäre, dann sind wir auf der sicheren Seite und dir kann nichts passieren. Keine Angst Steve, wir passen auf dich auf.“

„Ok, dann man los“, sagte Steve, allerdings klang das nicht gerade überzeugend. Wir schauten den beiden nachdenklich hinterher und Marco seufzte schwer. Ich schaute meinen Freund an und sah, wie ihm eine Träne die Wange herunterkullerte.

„Dich hat’s ja mächtig erwischt“, sagte ich und Marco antwortete: „Total und ich hab eine scheiß Angst….“

Zwei Stunden später war Steve wieder da und eigentlich ganz locker drauf.

„Mann“, begrüßte er uns, „das ist ja wie im Fernsehen.“ Dann zeigte er uns, wo das Mikrophon in seine Jacke eingebaut war und wo der Sender war. Das war echt Wahnsinn, was das für eine Technik war. Total Miniatur und man konnte das Ding echt nicht sehen.

Steve hatte von unterwegs noch Kuchen mitgebracht und so machten wir es uns gemütlich und tranken zusammen noch einen Kaffee und vernichteten den Kuchen.

Und dann war es soweit, Steve musste als erster aufbrechen und seinen Dienst in Muttis Bierstube antreten. Als er sich verabschiedete, merkte man doch wie aufgeregt er war. Am liebsten hätten wir ihn ja begleitet, aber das wäre zu auffällig gewesen, zumal er ja schon vor der Öffnungszeit da sein musste und außerdem musste er ja noch mit Dröger sprechen.

Marco und ich starteten auch, wir wollten das Gespräch mithören und Pit hatte uns erlaubt im Zivilfahrzeug das Ganze mit zu verfolgen.

Als wir in der Nebenstraße bei Muttis Bierstube ankamen, sahen wir Pit schon neben einem unscheinbaren Audi stehen und uns zuwinken.

Wir stiegen alle ein und begrüßten seinen Kollegen, der kurz berichtete, dass noch nichts passiert war.

Dann saßen wir im Wagen und warteten. Still saßen wir da und starten auf den Lautsprecher, als wir plötzlich Steves Stimme hörten.

„Nabend Chef.“

„Hallo Steve, na alles im Lot?“

„Klar, alles im Lot, ach Chef kann ich kurz mal mit ihnen reden?“

„Kein Problem, wo drückt der Schuh?“

„Ach, ich hab da ein paar finanzielle Probleme und bin momentan etwas knapp bei Kasse, ich hatte eine reichlich teure Autoreparatur, dazu hat auch noch meine Waschmaschine den Geist aufgegeben und nun steh ich ziemlich in den Miesen.“

Ich schaute Pit fragend an und der grinste nur und sagte, „alles abgesprochen, wir haben uns das heute Nachmittag ausgedacht.“

Dann hörten wir Dröger: „Das tut mir leid Steve, aber eine Gehaltserhöhung ist nicht drin, sorry.“

„Nein, nein, das mein ich ja auch gar nicht, aber neulich haben sie mir doch was von einem Nebenjob erzählt und ich dachte…..“

Dann war es still, keiner der beiden sagte etwas und wir schauten gebannt auf den Lautsprecher. Pit wurde schon nervös und fragte, „verdammt was ist da los?“, als sich im Lautsprecher jemand räusperte, dann hörten wir Drögers Stimme.

„So, so, hast du es dir also doch überlegt. Kluger Junge. Aber ich muss erst mal sehen was ich da machen kann. Evtl. kannst du morgen oder übermorgen gleich einen Job haben, da ist mir nämlich jemand ausgefallen.

„Das wäre ja super, um was geht es da eigentlich genau und was kann ich da verdienen.“

„Ganz schön neugierig, aber OK, wie schon gesagt meine Kunden sind solvente Herren die gut zahlen und denen du einfach ein paar schöne Stunden bescheren sollst. Alles safe natürlich und alles ganz sauber. Du bekommst pro Job dreihundert Euro bar auf die Hand. Mehr brauchst du jetzt noch nicht zu wissen.“

„Dreihundert Euro“, hörten wir Steves erstaunte Stimme.

„Ja dreihundert Euro, wie gesagt, das sind alles Typen mit viel Kohle. Ich muss das später klären und geb dir dann Bescheid wie das abläuft.“

„OK, Chef und danke.“

„Kein Problem Steve und jetzt geh nach vorne, mach den Laden auf und fang an zu arbeiten.“

Wir schauten uns an und Pit meinte, „so weit so gut, jetzt bleibt abzuwarten wann das erste Rendezvous stattfindet.“

„Toll“, meinte Marco, „ich glaube das war eine Scheißidee, wenn ich mir vorstelle, das mein Schatz mit irgendwelchen alten Knackern in die Kiste soll wird mir schlecht….“

„Langsam, langsam…“, meinte Pit, „soweit wollen wir es ja gar nicht kommen lassen. Wir wollen ja den Laden bevor es dazu kommt hochnehmen.“

„OK“, meinte ich, „dann können Marco und ich ja jetzt reingehen.“

„Ja“, erwiderte Pit, „aber lasst euch nichts anmerken.“

Fünf Minuten später saßen wir in Muttis Bierstube und bestellten bei Steve zwei Bier und zwei Pizzen. Steve nahm die Bestellung auf und grinste uns an. Unauffällig gab er uns ein Daumen hoch Zeichen.

„Mensch Jens, ich hab total die Hosen voll, hoffentlich geht das gut“, meinte Marco.

„Pit passt schon auf, mach dir mal keine Sorgen, wird schon gutgehen.“

„Schläfst du wieder bei mir oder gehst du nach Hause?“

„Ich würde sagen wir fahren bei mir vorbei und ich hole schnell ein paar frische Klamotten, dann komme ich wieder mit zu dir, Steve schläft doch sicher auch bei dir oder?“

„Klar, tut er“, strahlte Marco mich an, „so machen wir das.“

Inzwischen war es schon elf Uhr vorbei und wir beschlossen zu zahlen und dann loszufahren. Steve hatte noch eine Stunde Dienst und würde dann nachkommen. Heute würde eh nichts mehr passieren.

Ich lag schon auf der Couch bei Marco und war gerade am einschlummern, als ich das Türschloss hörte. Kurz darauf schlich sich Steve am Wohnzimmer vorbei und nahm Kurs auf das Schlafzimmer.

Ich musste lächeln, hoffte inständig, dass mein Engel auch bald den Weg in mein Schlafzimmer finden würde und schlief bald darauf ein.

23.12.1999

Es war der Tag vor Heiligabend. Marco war schon früh auf und als ich aufwachte, roch es nach frisch aufgebrühtem Kaffee, was mich dazu veranlasste, die Couch zu verlassen und mich schnurstracks in die Küche zu begeben. Dort gab mir Marco sofort einen Becher dampfenden Kaffee und begrüßte mich mit einem guten Morgen Kuss.

„Na gut geschlafen?“, fragte er mich.

„Klar, alles gut bei euch?“

Verträumt schaute mich Marco an und flüsterte, „ja, ich bin total glücklich.“

„Das freut mich für euch.“

„Was freut dich“, kam eine Stimme von der Tür die Steve gehörte.

Ich drehte mich um und sagte: „Dass ihr euch gefunden habt.“

Steve strahlte und versenkte zur Begrüßung erst einmal seine Zunge in Marcos Hals.

„Hey ihr zwei, wenn die Mandeln sauber sind könnten wir vielleicht erst mal frühstücken, ich hab Hunger.“

„Na klar“, meinte Steve und ließ von Marco ab. „Was habt ihr denn heute vor?“

„Keine Ahnung“, meinte Marco, „nach dem Frühstück ins Bett gehen und den Trieben folgen?“

Steve musste grinsen, „gute Idee.“

„Dann tut euch keinen Zwang an, ich muss eh los noch was besorgen. Ihr könnt also bedenkenlos Krach machen. Ich bin dann gegen vier wieder hier, dann können wir zusammen in die Bierstube.“

„Alles klar, dann bis später“, sprach Marco. Er zog Steve vom Stuhl hoch und zog ihn ins Schlafzimmer.

Ich räumte noch die Küche auf und ging dann Duschen. Inzwischen war es schon kurz vor zwölf und ich machte mich auf den Weg in die Stadt. Ich musste eigentlich gar nichts besorgen, aber ich wollte den beiden einfach etwas Zeit zu zweit verschaffen und mir etwas Zeit für mich alleine.

Also schlenderte ich durch die weihnachtlich dekorierten Straßen und schlug den Weg zum Weihnachtsmarkt ein, heute war der letzte Tag. Morgen war Heilig Abend und ich hatte noch keine Ahnung wie ich den Tag und vor allem den Abend verbringen würde. Meine Eltern waren bereits im Urlaub, ich hatte vorher noch vor der Abreise kurz bei ihnen angerufen und ihnen einen schönen Urlaub und schöne Weihnachten gewünscht. Marco war auch alleine, seine Eltern waren vor zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, aber der hatte ja jetzt seinen Steve, da wollte ich auf keinen Fall das dritte Rad am Wagen sein. Und Pit hatte Dienst, na ja. Wir werden sehen. Mittlerweile war ich an einem Stand mit Schmuck angekommen und sah auf der Auslage ein schönes Lederhalsband mit einem silbernen Anhänger der einen kleinen Engel darstellte. Sofort dachte ich an meinen Engel und beschloss die Halskette zu kaufen. Wer weiß, vielleicht brauchte ich die ja noch.

Dann setzte ich mich am Marktplatz in ein Café und bestellte mir eine heiße Schokolade und eine Punschtorte. Versunken saß ich am Fenster und schaute dem hektischen Treiben der Menschen zu, die wohl alle noch auf der Jagd nach den letzten Geschenken zum Fest waren. Ich holte die Halskette aus meiner Tasche und strich sanft über den kleinen Engel, als gegenüber ein BMW der mir bekannt vorkam an der Ampel anhielt. Als ich hinüberschaute, sah ich auf der Rückbank meinen Engel sitzen, er hatte einen verzweifelten Gesichtsausdruck und erspähte mich in dem Moment, als ich vom Stuhl aufsprang, durch die Scheibe und legte die Hand an die Wagenscheibe und schaute mich hilfesuchend an. Ich sprang vom Stuhl auf und rannte zur Tür als mich jemand am Arm packte und meinte: „Halt, Moment junger Mann, zuerst wird bezahlt.“

„Das ist ein Notfall, bitte lassen sie mich“, flehte ich. Aber der Ober meinte nur, “Ja, ja , das kenne ich, erst zahlen!“

Ich fischte meinen Geldbeutel aus der Hose und drückte dem Mann zehn Euro mit den Worten „stimmt so“ in die Hand, riss mich los und rannte auf die Straße. Wie angewurzelt blieb ich stehen, der BMW war verschwunden, keine Spur von meinem Engel. Ich lief einfach ziellos in die Richtung, in die der BMW verschwunden war.

Unterwegs rief ich schnell bei Pit an und berichtete, was ich gesehen hatte. Er konnte auch nicht viel dazu sagen und meinte nur, dass wir das schon hinkriegen würden.

Dann sagte ich Marco Bescheid, dass sie nicht auf mich warten sollten und wenn was wäre, bei mir anrufen sollen.

So irrte ich in Gedanken ziellos durch die Stadt. Den BMW fand ich natürlich nicht wieder und die Zeit vergaß ich auch, besser gesagt ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr.

Es war schon dunkel und als ich auf meine Uhr schaute, war es bereits neun Uhr. Ich war total in Gedanken stundenlang durch die Stadt geirrt und fix und fertig.

Traurig kehrte ich um und ging zurück zu Marco. Dort angekommen, ließ ich mich auf die Couch fallen und schlief sofort ein.

24.12.1999

„Guten Morgen Schlafmütze, frohe Weihnachten“, weckte mich eine sanfte Stimme. Als ich aufblickte sah ich Marco in die Augen. „Zeit zum Aufstehen mein Lieber, wir gehen zu Mutti zum Frühstück.“

Marco berichtete mir, dass Steve heute Frühschicht hatte und schon zum Dienst losgegangen war. Er berichtete außerdem, dass am Abend nichts mehr passiert war und Dröger gar nicht in der Kneipe gewesen sei.

Ich erzählte ihm kurz was ich gestern erlebt hatte und dann machten wir uns auf den Weg zu Muttis Bierstube, die hatte heute an Heiligabend bereits morgens zum Weihnachtsfrühstück offen.

Wir gingen direkt rein und kaum saßen wir, kam auch schon Steve auf uns zu und nahm unsere Bestellung auf. Wir bestellten das große Weihnachtsfrühstück und als er uns den Kaffee brachte, flüsterte er uns zu, dass er scheint‘s heute Abend einen Job bekommen würde.

Kurz darauf kam Pit herein und setzte sich zu uns an den Tisch. „Verdammt was ist denn mit Steve los? Ich habe noch keine Verbindung mit ihm.“

Marco wurde bleich. „Oh mein Gott, heute morgen haben wir verschlafen und dann war‘s schon zu spät und Steve musste sich höllisch beeilen und dann, mein Gott, er hat glaube ich die falsche Jacke angezogen, ja ich bin ziemlich sicher, die mit dem Micro und dem Sender hing als ich ging noch an der Garderobe, er hat die falsche Jacke an.“

Pit blieb der Mund offen stehen. „Das darf doch nicht wahr sein, habt ihr euch den Verstand rausgevögelt oder was ist mit euch los?“

„Tut mir ja leid“, meinte Marco, „was machen wir denn jetzt?

„Hoffen, dass wir das wieder hinkriegen“, meinte er, „ich bleibe auf jeden Fall hier und habe ein Auge auf euch und vor allem auf Steve. Marco du gehst am besten sofort nach Hause und holst Steve die richtige Jacke.“

In dem Moment kam jemand um die Ecke, „Habt ihr das große Weihnachtsfrühstück bestellt?“

Wir schauten den Typen total entgeistert an.

Ich fand als erster meine Sprache wieder und antwortete: „Ja haben wir, wo ist denn Steve?“

Der musste mit dem Chef weg, deshalb habe ich euren Tisch übernommen.

Jetzt wurden wir alle auf den Schlag kreidebleich.

„Jetzt haben wir den Salat, ich hätte mich nie darauf einlassen sollen. Ich geh raus zu meinem Kollegen.“

Marco und ich saßen schweigend vor unserem Frühstück, uns war der Appetit gründlich vergangen.

„Was, was nun?“, fragte Marco, „die Jacke brauch ich wohl nicht mehr zu holen.“

„Sicher nicht, keine Ahnung was wir machen, wir zahlen, ich habe keinen Hunger mehr und schauen dann raus nach Pit.“

In dem Moment klingelte Marcos Handy, er schaute aufs Display und meinte nur, “Pit.“

Als er wieder aufgelegt hatte sagte er: „Wir sollen heim gehen und warten ob Steve sich meldet. Er würde jetzt mit seinem Kollegen auf die Wache, dann würden sie versuchen eine verdeckte Fahndung nach Dröger bzw. seinem Fahrzeug auszulösen um Steve darüber zu finden. Mann Jens, hoffentlich finden sie ihn.“

Als wir bei der erstaunten Bedienung zahlten, fragte der, ob das Frühstück nicht in Ordnung sei.

Wir sagten ihm nur, dass uns was wichtiges dazwischen gekommen sei und wir dringend weg müssten.

Inzwischen war es Nachmittag geworden und Marco und ich saßen zusammen auf der Couch und sprachen kein Wort. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt und stierte einfach ins Leere.

Marco fand als erster seine Stimme wieder. „Mensch Jens, ich hab eine Scheiß Angst, wenn das mal gut geht, ich mag mir gar nicht vorstellen was gerade mit Steve passiert.“

„Ich weiß und alles wegen mir und meinem Engel, dazu weiß ich noch nicht mal ob er mich mag, ich weiß ja noch nicht mal ob er schwul ist.“

„Hey, du kannst wirklich nichts dafür, es war unser aller Entscheidung und Steve hat das freiwillig gemacht. Ob ich ihn wohl wiedersehe?“ Dabei liefen ihm die Tränen über die Wangen. Ich legte meinen Arm um seine Schulter und zog ihn an mich.

„Keine Angst, Pit wird ihn schon finden, ihm wird nichts passieren und du wirst sehen, ihr seid Ruck-Zuck wieder zusammen“, versuchte ich ihn zu trösten.

„Hoffentlich“, meinte Marco, „meinen Weihnachtsabend habe ich mir jedenfalls anders vorgestellt, kannst du vielleicht bei mir bleiben?“

„Nichts lieber als das, jetzt alleine in meiner Bude zu sitzen wäre einfach unerträglich, auch ich habe mir den Weihnachtsabend anders vorgestellt, was machen wir jetzt?“

„Was sollen wir schon machen“, antwortete Marco. „Warten, was anderes können wir nicht machen, aber so langsam bekomme ich trotz allem Hunger. Sollen wir uns was kochen?“

Inzwischen war es schon nach acht geworden und auch mir knurrte der Magen. „Gute Idee“, antwortete ich deshalb, „wenn wir verhungern dann helfen wir Steve damit auch nicht. Was hat denn deine Küche zu bieten?“

„Nicht viel, ich war ja nicht mehr einkaufen, aber wir können uns Spaghetti machen, ist zwar nicht gerade sehr weihnachtlich aber Hauptsache was im Magen.“

Also machten wir uns in die Küche und bereiteten eine Riesenladung Spaghetti Bolognese zu.

„Mein Gott“, meinte Marco, „wer soll denn das alles essen?“

Wir schauten uns an und mussten trotz aller Sorgen lachen, als es an der Tür klingelte. Marco stürzte zur Tür und bleib erstaunt stehen. Vor der Tür standen Pit und sein Kollege.

„Und“, fragte Marco, „habt ihr ihn gefunden?“

Pit schüttelte den Kopf und kam mit seinem Kollegen durch in die Küche. „Wir haben zwar ein paar Hinweise bekommen, aber nichts brauchbares, bis jetzt keine heiße Spur.“

„Mist“, sagte ich und fragte, „wollt ihr was mitessen, es gibt aber nur Spaghetti.“

„Für mich nicht“, meinte Pits Kollege, „ich muss wieder aufs Revier, aber Pit hatte vorhin schon Kohldampf, der hilft euch sicher, ich fahr dann mal.“

Pit grinste, „darauf könnt ihr wetten und du meldest dich sobald es was Neues gibt.“

„Mach ich und schöne Weihnachten“, womit er die Wohnung eilig wieder verlies.

„Jetzt macht mal nicht so trübe Gesichter, wir müssen einfach etwas Geduld haben, ihr werdet sehen, wir finden ihn schon.“

Dann machten wir uns über unser Weihnachtsessen her und verspeisten die Spaghetti.

Die Stimmung war ziemlich gedrückt und wir sprachen nicht viel. Irgendwann ging Pit dann auch nach Hause und Marco und ich waren alleine.

„Ich glaube ich gehe ins Bett“, meinte Marco.

„Ja, ich auch“, antwortete ich, „obwohl ich bestimmt nicht schlafen kann.“

„Ich bestimmt auch nicht“, seufzte Marco, „kannst du heute bitte bei mir schlafen, ich glaube ich kann heute Nacht nicht alleine sein, sonst dreh ich durch.“

Ich nahm Marco in den Arm und drückte ihn. Er legte seinen Kopf an meine Schulter und begann zu schluchzen.

„Na, na, na, das wird sicher alles sehen, wirst sehen, bald hast du deinen Steve wohlbehalten zurück“, versuchte ich ihn zu trösten.

Kaum waren wir im Bett, rückte Marco dicht an mich heran und kuschelte sich an. Wir lagen noch ewig wach und redeten und redeten, das tat gut und lenkte ein wenig ab. Irgendwann in den frühen Morgenstunden, die Sonne war schon aufgegangen schliefen wir dann endlich ein.

25.12.1999

Ich wachte auf, weil mein Arm, auf dem Marco immer noch lag, eingeschlafen war. Ein Blick auf die Uhr und ich erschrak. Es war schon ein Uhr. Marco war auch schon aufgewacht und stürzte sofort aus dem Bett und rannte aus dem Schlafzimmer, als er sah wie spät es schon war. Als er wieder ins Schlafzimmer kam, schaute er mich betrübt an und meinte, „nichts, kein Anruf, scheint so als gäbe es immer noch keine Neuigkeiten.“

Wir duschten und zogen uns an, als es an der Tür klingelte. Pit kam herein, mit dunklen Augenringen schaute er uns müde an.

„Immer noch keine Spur“, meinte er traurig, „wir sind den ganzen Tag die halbe Stadt abgefahren auf der Suche nach dem BMW, keine Spur.“

Pit hatte Pizza mitgebracht, es war ja schon später Nachmittag und wir hatten ja auch noch nichts gegessen. Also setzten wir uns in die Küche und machten uns über die Pizza her.

„Mein Weihnachten habe ich mir wirklich anders vorgestellt“, meinte ich zu den anderen, die nur zustimmend nickten.

Wir waren fast fertig, als mein Handy piepste und eine SMS mit frohen Weihnachtswünschen meiner Eltern ankam. Pit schaute nachdenklich auf mein Handy und sprang plötzlich auf.

„Mensch, ich Idiot, dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin. Marco, hat Steve sein Handy dabei?“

„Ich schau mal“, antwortete Marco und verschwand ins Schlafzimmer.

„Wozu willst du das denn wissen?“, fragte ich Pit, als Marco schon wieder um die Ecke kam und berichtete, dass Steves Handy nicht im Schlafzimmer sei und er es wohl mitgenommen hätte.

Schon hatte Pit seine Handy rausgeholt und wählte eine Nummer. Kurz drauf sprach er in den Hörer, „wir brauchen eine Handy-Ortung, ich geb euch mal die Nummer.“

Er diktierte Steves Nummer und sagte, dass man seinen Kollegen Dieter benachrichtigen solle, wenn sie das Handy geortet hätten.

Nachdem er aufgelegt hatte meinte er, „jetzt können wir nur hoffen und beten, dass er das Handy bei sich trägt, es eingeschaltet ist und der Akku nicht leer ist.“

„Das Handy müsste eigentlich voll sein, es hing die ganze Nacht am Ladekabel bevor Steve verschwunden ist. Meinst du das funktioniert?“

„Klar, wenn er das Handy eingeschaltet hat und der Akku noch Saft hat, dann können wir es auch orten und dann finden wir ihn auch. Mein Gott, dass ich da nicht dran gedacht habe das zu überprüfen, ich bin einfach davon ausgegangen, wenn er die falsche Jacke anhat, hat er auch das Handy nicht dabei und das ist auch in der anderen Jacke, ich Vollidiot.“

„Komm, mach dir keine Vorwürfe, hoffentlich klappt das. Wie lange dauert so eine Ortung?“, meinte Marco, als Pits Handy klingelte und er aufgeregt etwas auf ein Stück Papier kritzelte, „oK, das kenne ich, wir machen uns auf den Weg, beeilt euch.“

Er legte auf und meinte, „los jetzt, Abmarsch wir haben das Handy, wir müssen los.“

„Steve, mein Gott“, flüsterte Marco.

„Langsam“, meinte Pit, „bisher haben wir das Handy geortet, wir wissen nicht ob Steve auch da ist, es kann auch irgendwo in einem Abfalleimer liegen, dann sind wir so schlau wie vorher.“

„Nein“, kam es von Marco, „er ist bestimmt da.“

Wir stürmten die Treppe hinunter und stiegen in meinem Wagen ein. Pit nannte mir die Adresse und ich schaute ihn groß an, „das ist doch das Stundenhotel außerhalb der Stadt im Südviertel.“

„Genau“, meinte Pit, „so ist es, los geht’s, drück aufs Gas.“

Wir fuhren los und nach einer halben Stunde kamen wir im Südviertel an. Inzwischen war es neunzehn Uhr und es war stockdunkel. Die Straßen waren fast menschenleer, klar, jeder saß jetzt mit seinen Liebsten zusammen und feierte Weihnachten.

Pit fuhr langsamer, ich war zu aufgeregt um selber zu fahren und ließ lieber ihn das machen. Als wir um die Ecke kamen, sah ich als erstes den dunklen BMW in der Nebenstraße des Hotels. „Schaut mal, wir sind richtig“, flüsterte ich. Wir fuhren eine Ecke weiter und Pit parkte den Wagen in einer anderen Nebenstraße.

„Ihr bleibt sitzen, die Kollegen sind noch nicht da, rührt euch nicht vom Fleck, ich sondiere schon mal das Terrain.“

„Aber wir….“

„Ihr macht gar nichts, ist das klar“, fauchte uns Pit an und verließ den Wagen.

Wir sahen Pit um die Ecke verschwinden und starrten ihm hinterher. Wortlos saßen wir da und schauten in die Richtung in die Pit verschwunden war, Minute um Minute……

„Ich halte das nicht mehr aus“, meinte Marco plötzlich, „diese Warterei macht mich wahnsinnig, ich gehe jetzt da raus und schaue nach was da los ist.“

„Nicht“, sagte ich und hielt Marco am Arm fest, „du hast doch gehört was Pit gesagt hat.“

„Scheiß drauf, mach was du willst, ich gehe jetzt da raus!“

„Marco, warte, dann komm ich eben mit.“

Wir stiegen aus und liefen vorsichtig bis zur Ecke. Als wir in Richtung Hotel schauten war da alles ruhig, nichts zu sehen.

„Komm“, rief Marco und lief in Richtung Hotel.

Eh ich etwas erwidern konnte, lief er schon los. Also blieb mir nichts anderes übrig als hinterher zu laufen.

Wir betraten das Hotel und sahen Pit mit einem Typen an der Rezeption reden. Als wir näher kamen, hörten wir Pit gerade sagen: „Wenn sie nicht kooperieren, können sie dafür zur Verantwortung gezogen werden, das kann ganz böse für sie ausgehen.“

„Fünfundzwanzig, erster Stock“, antwortete der Portier. „Na also, geht doch und wagen sie es nicht abzuhauen.“

Pit drehte sich um und fauchte uns an, „hab ich nicht gesagt….., ach was solls kommt mit, aber ihr bleibt hinter mir!“

Wir wollten gerade die Treppe rauf, als uns zwei Typen umrannten und zur Tür stürmten. Im selben Moment kamen von draußen zwei Polizisten rein, denen die beiden geradezu in die Arme liefen.

„Langsam, langsam“, sagte der eine Polizist und zu Pit gewandt, „na, ist das Timing?“

„Ich hab schon geglaubt ihr kommt gar nicht mehr und nehmt die Qualle von Portier auch gleich in Gewahrsam, der hat die beiden garantiert gewarnt.“

Dann stiegen wir die Treppe rauf und suchten Zimmer fünfundzwanzig. Leise schlichen wir über den schummrigen Flur. Pit legte den Finger auf seine Lippen als wir vor der fünfundzwanzig angekommen waren und horchte an der Tür. Er zog seine Waffe aus dem Halfter, fasste die Türklinke an und drückte sie leise nach unten, vorsichtig drückte er gegen die Tür, aber sie war verschlossen.

Dann wies er uns an von der Tür wegzugehen und zu warten. Er ging bis an die gegenüberliegende Wand und rannte dann mit der Schulter gegen die Tür. Die Tür gab sofort nach und flog mit einem Krachen auf.

„Polizei, keine Bewegung“, schrie Pit und trat in das Zimmer. Dann war es totenstill. Wir hielten es nicht mehr aus und schauten ins Zimmer, wo uns ein mehr als bizarrer Anblick erwartete.

Steve lag auf dem Bauch im Bett, vollkommen nackt und an Händen und Füßen ans Bett gefesselt. Neben dem Bett stand ein älterer nicht gerade schlanker Typ, wenig sympathisch, nackt bis auf eine schwarze Lederhose, die ziemlich lächerlich wirkte. Die rechte Hand über den Kopf erhoben und in der Hand eine schwarze Lederpeitsche, bereit diese auf Steve hinunter rasen zu lassen.

Pit nahm dem Typen, der total verblüfft mit offenen Mund dastand, die Peitsche weg und mit geübten Griff drehte er ihm den Arm auf den Rücken, wo im nächsten Augenblick die Handschellen klickten bevor sich der zweite Arm dazugesellte.

Marco hielt es nicht mehr aus und rannte in das Zimmer. Er löste die Fesseln von Steve und drehte ihn um. Steves Augen waren tränenverschmiert und im Mund hatte er einen Knebel, den Marco ihm gleich entfernte.

„Steve, alles in Ordnung, ist dir was passiert?“

Steve blickte ihn an, fiel ihm um den Hals und brach in Tränen aus, „Mein Gott, wenn ihr nur ein paar Minuten später gekommen wärt“, schluchzte er und zeigte auf die am Boden liegende Peitsche.

„Jetzt ist ja alles gut mein Schatz“, sagte Marco und streichelte Steve sanft über den Rücken.

„So, jetzt zu dir, was soll das hier“, herrschte Pit den Typen an. „Das ist Freiheitsberaubung und versuchte Körperverletzung mit sexueller Nötigung, dafür gehst du in den Bau.“

„Nein“, rief der Typ aufgebracht, „Dröger hat mir zugesagt, dass der Junge das alles freiwillig mitmacht und einverstanden ist. Ich habe 1000 Euro dafür geblecht und den Kleinen schön verpackt wie abgesprochen hier vorgefunden.“

Pit schüttelte den Kopf, „so,so, Dröger also, Wenn du vor der Polizei auspackst und alles erzählst, dann stimmt das den Staatsanwalt bestimmt milder.“ Der Typ ließ den Kopf sinken und nickte stumm.

„Ähem“, räusperte ich mich, „und mein Engel“, brachte ich stotternd hervor.

Pit wandte sich an den Typen und sah ihn scharf an. „OK, Junge, wenn du dir noch was Gutes tun willst, dann pack jetzt aus, wir suchen noch einen Jungen, Jens, beschreib ihn doch mal bitte.“

„Braune kurze Haare, so 1,80m groß, sehr schlank“, und dann fügte ich leise hinzu, „ein engelsgleiches Gesicht.“

„Und“, Pit fuhr den Typen an, „sagt dir das was?“

„Stefan“, kam es leise als Antwort.

„Wie, Stefan? Etwas genauer bitte“, herrschte Pit ihn an.

„Die Beschreibung passt auf Stefan. Dröger hat ihn mir ein paar mal verkauft, aber zuletzt hat er ihn an einen Freier gegeben und der hat ihn so zugerichtet, dass er nicht mehr zu gebrauchen war.“

Mir stockte der Atem als ich das hörte. Wie eiskalt dieses Schwein das rüberbrachte. Ich wollte mich gerade auf ihn stürzen, als Pit sein Funkgerät rauszog und über Funk einen RTW zum Stundenhotel orderte und den Kollegen die Adresse von Muttis Bierstube gab. „Nehmt den Besitzer Werner Dröger fest, wegen Menschenhandel, Freiheitsentzug und Zuhälterei, und du sagst uns jetzt wo der Junge sein kann. Und du Jens halt die Füße still.“

„Dröger hat hier auf dem Stock ein paar Zimmer, kann sein, dass er in einem der Zimmer noch ist.“

In dem Moment kam ein Kollege von Pit ins Zimmer.

„Du kommst gerade recht, schaff mir dieses Schwein aus den Augen“, sagte Pit zu ihm.

Dann gingen wir den Flur entlang und untersuchten die Zimmer, die ersten beiden waren leer, das nächste Zimmer war abgeschlossen. Pit klopfte an die Tür und rief „aufmachen Polizei“. Nichts rührte sich. Dann hörten wir ein leises Wimmern hinter der Tür. Pit überlegte nicht lange und trat die Tür ein. Ein Bild des Grauens tat sich vor uns auf. Vor der Heizung an ein Heizungsrohr mit Handschellen gefesselt, nur mit einer Jeans und T-Shirt bekleidet kauerte zusammengekrümmt mein Engel.

Der Rücken des T-Shirts war blutverschmiert. Mir stockte der Atem und ich blieb wie angewurzelt stehen.

Pit reagierte als erster, er rief seinen Kollegen über Funk und rief ins Funkgerät „bringt mal einen Bolzenschneider hoch.“

Inzwischen war ich zu meinem Engel, der wie wir erfahren hatten wohl Stefan heißt, gegangen und nahm ihn sanft in den Arm. Er blickte zu mir hoch und flüsterte: „Du hast mich tatsächlich gefunden, nie hätte ich das zu hoffen gewagt, aber du hast mich tatsächlich gefunden.“ Er legte seinen Kopf gegen meine Schulter und ich drückte ihn an mich, „ich bin Jens.“

Er stöhnte laut auf und ich spürte etwas feuchtes an meiner Hand. In dem Moment kamen Pits Kollege mit dem Bolzenschneider und zwei Sanitäter ins Zimmer. Pits Kollege schob mich zur Seite und erlöste Stefan von den Handfesseln. Marco und Steve, die an der Seite standen, zogen mich sanft in ihre Mitte.

„Jetzt wird alles gut“, murmelte Marco und strich mir über den Kopf.

Inzwischen hatten die Sanitäter Stefan von seinem T-Shirt befreit. Was ich dann sah, führte bei Marco und Steve zu einem Aufschrei und mir schossen die Tränen in die Augen. Der ganze Rücken wies rote Striemen auf. Einige schon älter und abgeheilt, andere noch frisch und teils gingen die bis auf das rohe Fleisch und bluteten.

„Mein Gott, welches perverse Schwein macht denn so was“, murmelte der eine Sanitäter.

Sie reinigten vorsichtig die Wunden und verbanden ihn. Dann meinte der eine, „wir müssen ihn zur Untersuchung mit ins Krankenhaus nehmen.“

„Ich fahre mit“, rief ich sofort.

Der Sani schaute mich kurz an, lächelte dann wissend und meinte, „OK, du kannst mitfahren, aber nur weil Weihnachten ist.“

Inzwischen hatte Pit über Funk erfahren, dass Dröger festgenommen worden ist. „Die ganze Mannschaft wird sich vor Gericht verantworten müssen und wohl einige Jahre bekommen. Stefan muss auch noch aussagen, aber das hat Zeit bis morgen oder übermorgen.“ Er lächelte mich an und nahm mich in den Arm. „Frohe Weihnachten“, flüsterte er, „pass gut auf deinen Engel auf.“

Ich lächelte ihn an, gab ihm meine Autoschlüssel und folgte dann den Sanitätern zum Krankenwagen.

26.12.1999

Ich durfte hinten neben der Liege sitzen, Stefan lag auf dem Bauch und hatte den Kopf zur Seite gelegt und lächelte mich an. „Jens also, schon in Hannover am Hauptbahnhof hab ich mich gefragt wie der süße Kerl wohl heißen mag.“

Ich nahm seine Hand in meine und streichelte sie, dann beugte ich mich vor und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.

In der Klinik angekommen, wurde er sofort in ein Behandlungszimmer gebracht und ich musste auf dem Flur warten, als sich plötzlich jemand neben mich setzte.

Als ich zur Seite sah, saß da Pit und lächelte mich an.

„Na du, alles ok?“

„Ich hoffe es und Pit, danke für alles.“

„Schon gut, ist doch mein Job.“

„Dröger hat wohl diese Zuhälterei schon eine ganze Weile betrieben, bin gespannt was da alles bei hochkommt.“

„Sind Sie Jens, der Freund von Stefan Jäger?“, fragte mich ein Herr in Weiß, der aus dem Behandlungszimmer kam.

Ich schaute ihn an, musste lächeln und sagte, „ja das bin ich, was ist mit ihm?“

„Er hat ganz schön was abbekommen, aber das wird heilen. Wir haben die Wunden gereinigt und verbunden. Er kann nach Hause, ich gebe ihnen was zum Abtupfen, eine Salbe und Verbandsmaterial mit. Wenn es wieder durchblutet, müssten Sie das frisch verbinden, können Sie das?“

„Kein Problem, ich war beim Bund bei den Sanitätern.“

„Na dann“, lächelte der Arzt. „Schmerzmittel und ein paar Beruhigungsmittel hat er schon bekommen, damit müsste er eigentlich schlafen können. Ich gebe ihnen noch welche mit. Wenn sich ein Zustand verschlechtert oder was ist, kommen Sie bitte sofort her.“

„Ok und danke“, sagte ich als eine Schwester mit Stefan aus dem Behandlungszimmer kam.

Er kam auf mich zu und ich nahm ihn sanft in den Arm und stütze ihn. Der Arzt lächelte uns an und meinte, „gute Besserung und frohe Weihnachten.“

„Na los“, meinte Pit, „ich fahr euch nach Hause.“

Im Auto saß ich mit Stefan im Arm auf dem Rücksitz. Als Pit uns im Rückspiegel beobachtete, lächelte er und meinte nur: „ihr seid ein schönes Paar, ich freue mich echt für dich, halt ihn gut fest und pass auf ihn auf, ich glaube er hat ne Menge hinter sich.“

„Das glaube ich auch“, antwortete ich ihm und schaute lächelnd auf Stefan der in meinem Arm wieder eingeschlafen war.

Daheim angekommen sagte ich zu Pit, „du kannst das Auto mitnehmen, ich nehme an, dass du sowieso morgen wegen der Vernehmung vorbeikommst.“

„Ok, mach ich und passt auf euch auf, bis morgen.“

Dann weckte ich Stefan auf und brachte ihn behutsam in meine Wohnung. Ich legte ihn vorsichtig ins Bett und er drehte sich gleich auf den Bauch, um seinen Rücken zu entlasten. Ich legte mich neben ihn und schaute ihm in die Augen.

„Endlich habe ich dich bei mir“, flüsterte ich. „Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick…..?“

„Ja, und ich bin glücklich“, antwortete Stefan und gab mir einen innigen Kuss auf die Lippen.

In meinem Bauch regten sich tausend Schmetterlinge. Ich blickte auf den Wecker und der zeigte, dass es bereits vier Uhr in der Nacht war. Plötzlich fiel mir etwas ein, ich fischte aus der Nachtischschublade die Halskette mit dem Engel als Anhänger, die ich auf dem Weihnachtsmarkt gekauft hatte und legte sie Stefan um.

„Frohe Weihnachten mein Schatz“, flüsterte ich, dann schlief ich vollkommen erschöpft aber zufrieden und sehr, sehr glücklich ein.

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