zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Die Verratenen

Teil 3 - Im Feuer

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Vorwort:

Wie versprochen geht es hier mit der Geschichte um Max und Konstantin weiter. Ich freue mich schon auf eure Feedbacks und Anmerkungen dazu. Erneut möchte ich mich bei Lupodicorridore Wolfgang für die tatkräftige Unterstützung bedanken.

Als Triggerwarnung möchte ich noch erwähnen, dass dieser Teil die Grausamkeiten des Krieges und auch das Sterben teilweise detailreich und unverblümt beschreibt und deswegen wohl nicht für jedermann geeignet ist.

Prolog

Liebe Mutter, lieber Vater,

Ihr habt jetzt lange nichts mehr von mir gehört und ich weiß selbst, dass mein letzter Brief eine Schande war. Dafür bitte ich um Entschuldigung. Vielleicht könnt Ihr euch denken, warum ich damals solche Worte gewählt habe, vielleicht auch nicht. Ich möchte jedoch nicht näher darauf eingehen. Ehrlicherweise muss ich gestehen, ich wollte gar nicht mehr an Euch schreiben. Doch der Gedanke wurde von Tag zu Tag unerträglicher.

Darum möchte ich Euch zumindest wissen lassen, wie es mir gerade geht. Nun. Mir geht es derzeit gut. Hubert, Konstantin und ich sind nun Teil der 275. Infanterie-Division geworden. Endlich sind wir diesen Makel des Ersatz-Heeres los. Wobei ich zugeben muss, dass es mich schmerzt, dass wir Herdelsheimer Buben jetzt auseinandergerissen wurden. Während Hubert und ich als Sturmgrenadiere von Anfang an ganz vorne mit dabei sein werden, wenn es zum Kampf kommt, haben sie Konstantin in eine Reserveeinheit gesteckt. Es ist nicht leicht, meine Gefühle dafür zu beschreiben, gerade, weil ich nicht so gut mit Worten umgehen kann. Trotzdem versuche ich es. Ich fühle mich mit Konstantin tief verbunden. Vielleicht genauso tief wie mit Hubert, wenn auch auf eine ganz andere Weise. Viel mehr von Herzen, könnte man sagen. Weil Konstantins Lager einige Kilometer von unserem Biwak entfernt ist, sehen wir uns nur selten. Es ist schon schwer, überhaupt mit ihm in Kontakt zu bleiben. Es tut mir weh zu wissen, ihn nicht an meiner Seite zu haben, wenn hier die Kämpfe beginnen. Bestimmt ist das dumm. Habe ich doch die Hoffnung, dass er größere Überlebensmöglichkeiten hat als Hubert und ich. Und dennoch komme ich gegen diese Gefühle nicht an.

Doch ich will auch nicht zu viel jammern. Lieber sende ich Euch beste Grüße aus der idyllischen Nordeifel. Es geht uns hier recht gut. Schon alleine, weil uns hier die strengen Offiziere und Goldfasane des Stabs nicht direkt im Nacken sitzen und wir dort, wo wir sind, Freiheiten haben, die für Militärverhältnisse fast schon zu schön sind, um wahr zu sein. Mit unserer Sturmtrupp-Kompanie sind wir sogar noch vor der Hauptverteidigungslinie des Westwalls postiert und dort in die einzelnen Trupps verstreut. Der Kompanieführer und seine Stellvertreter haben zwar ein Lager in der Nähe errichtet, trotzdem bekommt sie nur der Gruppenführer Zerbst zu Gesicht, der sich dreimal die Woche zur Lagebesprechung mit ihnen trifft. Unser Trupp hat sich im dichten Wald, den wir verteidigen sollen, zwei Hütten gezimmert, die sozusagen unser Zuhause sind. Keine Sorge, das ist heimeliger, als es jetzt vielleicht klingt.

Ich hoffe nun, Euch geht es genauso gut wie mir, und dass zu Hause in Herdelsheim die Welt in Ordnung ist. Bitte vergesst nicht, auch Traudel wieder von mir zu grüßen. Ich liebe Euch und hoffe auf ein baldiges Wiedersehen. Und Mama: Ich weiß ja selbst, dass ich immer gerne über unseren Herrgott gelästert habe. Aber trotzdem wird das eine oder andere Gebet, das du für mich sprichst, sicher nicht schaden.

Max

1

Stundenlang hatte der Neun-Mann-Trupp, dem Max und Hubert jetzt angehörten, an diesem Tag das ihnen zugeteilte Areal im tiefsten Eifelwald durchstreift. So, wie am Tag zuvor. Und an den Tagen davor. Sie hatten Erkennungsmerkmale wie Felsnasen, markante Baumstämme oder natürliche Bachüberquerungen in ihre selbstgezeichneten Karten eingezeichnet, die von Tag zu Tag detailreicher wurden. In diesem Bergwald – ein finsterer Moloch aus dicht bei dicht stehenden Baumstämmen, deren Kronen kaum Tageslicht durchließen – war eine solche Vorbereitung im Krieg überlebenswichtig. Die wenigen befestigten Wege, die sich zwischen den oftmals steilen Hängen hindurchzogen, waren allesamt vermint, und um die begehbaren Trampelpfade zu erkennen bedurfte es einiger Fantasie. Obwohl es hier für ungeschulte Augen überall gleich aussah glaubte Max inzwischen, jede einzelne Wurzel zu kennen, die ihm als Stolperfalle in dem oftmals halsbrecherischen Gelände zum Verhängnis werden konnte.

Dazu hatten sie auch heute wieder schweißtreibende Schanzarbeit verrichtet. Schützenlöcher und Gräben hatten sie ausgehoben. Alte Westwallhöhlen und -unterschlupfe, die es hier noch als Überbleibsel des letzten großen Krieges gab und furchtbar marode waren, hatten sie freigegraben und mit Stützen abgesichert. Munitions- und Konservendepots angelegt, die sie dann mit Ästen, Zweigen und Laub getarnt hatten. Tag für Tag war das eine üble Plackerei.

Nun, wo sie mit ihrer täglichen Maloche fertig waren, hatte ihr Gruppenführer, der Unteroffizier Zerbst seinen kleinen Trupp auf den Felsvorsprung geführt, den die Soldaten auf den Namen Affenarsch getauft hatten. Zur Feindbeobachtung, wie Zerbst das nannte. Der Vorsprung ragte als blankes Gestein – eben wie der Hintern eines Affen – gen Westen aus dem Wald heraus. Dieser exponierte Punkt war wegen seiner Nähe zum Feind nicht ganz ungefährlich, bot dafür jedoch einen ungehinderten Blick über die Baumwipfel bis weit hinein in die belgische Wallonie. Kaum einen Steinwurf entfernt lag unter ihnen der Grenzort Roetgen. Fast schon hätte das Städtchen beschaulich gewirkt, trotz der Spuren, die der Krieg dort hinterlassen hatte. Aber die Idylle täuschte. In den Straßen sah man Jeeps und Lastwagen aller Variationen. In olivgrün; der Farbe der US Army. Roetgen war nämlich in den Händen der Alliierten. Doch trotz der Schmach, dass der Feind in diesem Eifelzipfelchen schon auf urdeutschem Boden stand und nicht einmal bedrängt wurde, spielte die Musik weiter entfernt, fast schon hinterm Horizont.

Max klopfte seinem Kameraden Alfred Junghans an die Schulter. Als dieser nicht reagierte, zischte er: „Gib.“ Junghans brummte, reichte den Fernspäher aber weiter. Als Max hindurchschaute und das drohende Unheil nun zum Greifen nah schien, stockte ihm der Atem. Was mit dem bloßen Auge im Grau des diesigen Herbstwetters eher zu erahnen war, nahm im Fernrohr nun Gestalt an. Eine ehrfurchtgebietende Macht aus schweren Artilleriegeschützen, Panzerverbänden, Lastwagen, Bulldozern, kleineren Fahrzeugen und regelrechten Zeltstädten in Oliv waren Vorboten der Invasion. Die Höckerlinie, die sich zwischen ihrem Sturmgrenadiertrupp und den Invasoren als ein graues Band aus eng stehenden Reihen an Stahlbetonzähnen von Nord nach Süd zog, war Max und Hubert einst im Schulunterricht als unüberwindbare Panzersperre verkauft worden. Doch der Glaube, dass sich der Feind dadurch lange aufhalten ließe, erschien nun alleine der schieren Massen wegen als lächerlich.

Max gab den Stecher an Hubert weiter und der seufzte: „Da kommt was auf uns zu. Das wird übel, Leute.“

„Ei, zumindescht müsse mer uns in unserm Wald um die Panzer keine Sorge mache“, meinte Heinz Bosbaum, ein 19jähriger Gefreiter, den alle nur 'den Hessen' nannten. Unteroffizier Zerbst lachte zustimmend, und Eugen Bodden knarzte: „Scheiß dir bloß nicht ins Hemd.“

Dumpfes Schweigen folgte; wie so häufig, wenn der Stabsgefreite Bodden nörgelte. Auch wenn der 21jährige Unteroffizier Zerbst der rechtmäßige Anführer des Sturmgrenadiertrupps war, sah sich Bodden als der heimliche Führer. Gut zehn Jahre älter als Zerbst war Bodden vom ersten Tag des Krieges an mit dabei gewesen. Wenn er abends im Flackern der Hindenburglichter von den Gemetzel der Ostfront erzählte und einen nach dem anderen mit stechendem Blick fixierte, hingen alle an seinen Lippen. Falls es überhaupt jemanden gab, der wusste wie man überlebt, so war das wohl Bodden, glaubte Max. Es war bestimmt gut, dass so einer in ihrer Gruppe war. Auch wenn Bodden ein Ekelpaket vor dem Herrn war. Kaum einer hatte es von der Wolga bis zurück in die Heimat geschafft. Bodden schon. Und auch von den 275ern, die zuletzt innerhalb weniger Wochen aus dem tiefsten Frankreich zurückgedrängt worden waren, hatten es von einst 10.000 Mann nur etwa 800 wieder zurück über die Grenze geschafft. Bodden und Zerbst gehörten dazu. Max und Hubert fühlten sich zwar auch als so etwas wie Überlebende, denn von ihrer einstigen 12. Gruppe der Grundausbildung waren sie neben Konstantin und dem schwer verwundeten Otto Karlitz die einzigen, die den Luftangriff auf ihren Transportzug lebend überstanden hatten, doch im Vergleich zu den Schlachten, wie sie die zwei Haudegen geschlagen hatten, war das gar nichts.

Bodden sog an seiner Zigarette und blies den Rauch durch die Nase aus, ehe er sich bequemte, weiterzureden. „Mich würde es sowieso wundern, wenn wir hier im Wald überhaupt angegriffen würden. Mit ihren verdammten Panzern können sie da gar nichts ausrichten. Die Luftwaffe sieht durch die Bäume nicht durch und die Artillerie kann auch nur blind feuern.“ Beim nächsten Zug an der Kippe schien es, als ob die Glut seine aufgerauten Finger berühren würde, aber Bodden störte das nicht. „Das gäbe einen dreckigen Kleinkrieg. Mann gegen Mann“, fuhr er fort. „Die Russen hätten sich so etwas getraut. Die waren so verrückt. Aber die Amis? Die feigen Amis machen nur Materialschlachten. Und wo sie das nicht können, suchen sie sich einen anderen Weg.“

„Ich glaube, wir können froh sein, dass wir gegen den Ami stehen und nicht gegen die Russen“, sinnierte Jürgen Eberl, und Bodden brummte: „Die Russen sind so zäh, wie wir es gerne wären, Jürgen.“

Eberl schaute angestrengt in die Ferne. „Und ich würde auch lieber bei den Amis als bei den Russen in Gefangenschaft kommen.“

„Du klingst ja schon, wie ein Deserteur“, fuhr ihn Walter Nonnemacher an – Boddens Schleimer vom Dienst – und Eberl schob kleinlaut: „Äh ... Natürlich nur, wenn es nicht anders ginge“, hinterher. Nonnemacher gab einen abschätzigen Laut von sich, während Huberts Seufzen auf den Punkt brachte, was er, wie auch Max von dem lächerlichen Vorwurf hielt.

Bodden drückte seine Zigarette auf dem Felsboden aus und zerbröselte den mickrigen Stumpen mit der Daumenkuppe. „Im Leben möchte ich nicht den Amis in die Hände geraten, Männer. Lieber setz ich mir vorher 'ne Kugel in den Kopf“, sagte er, und der wortkarge Eberl fragte artig: „Echt?“

„Die Russen waren ja schon üble Zeitgenossen. Nur waren die zumindest noch so was ähnliches wie Menschen. Aber die Amis haben Neger mit dabei. Die ziehen euch bei lebendigem Leib die Haut ab und essen euch auf.“

Unteroffizier Zerbst lachte, Nonnemacher schluckte hörbar und Bodden nahm die Reaktion seines persönlichen Speichelleckers als Bestätigung hin. „Das könnt ihr mir glauben, Jungs. Lieber auf dem Feld verrecken, als diesen Wilden aus Afrika in die Hände fallen.“

„Afrika? Ich dachte, die kommen aus Amerika“, mischte sich Seppi Tenhagen ein, ein dürrer 18jähriger, der so gut wie immer am Quatschen war. Einige der Kameraden glucksten und Bodden murrte: „Schnauze, du Labersack. Oder ich werfe dich denen als Ersten zum Fraß vor. Dann kannst du sie selber fragen.“

Gruppenführer Zerbst meinte zu Bodden: „Hör auf, den Jungs so einen Blödsinn einzureden.“ Bodden kräuselte die Lippen, schluckte dann aber die Antwort hinunter, die ihm auf der Zunge lag. „Ich mach doch nur Spaß“, knurrte er und Zerbst beließ es dabei. Max hätte sich gewünscht, der Unteroffizier wäre mehr darauf eingegangen, ob in Boddens Worten ein Körnchen Wahrheit steckte, oder ob er sie auf den Arm nahm. Schwarze Menschen kannte er bisher nur aus Räuberpistolen und der Rassenlehre. Er war sich nicht einmal sicher, ob es Menschen mit dunkler Haut überhaupt gab oder ob sie nur Erfindungen waren, um Kindern Angst zu machen.

„Die Amis umgehen die Eifel eh, das werdet ihr schon sehen“, wechselte Nonnemacher das Thema. „Was wollen die denn hier? Die versuchen bei Aachen den Stolberg-Korridor zu knacken.“ Bodden grunzte und Unteroffizier Zerbst, dessen melodiöse rheinische Stimmfarbe einen Gegensatz zu Boddens Reibeisen bildete, sagte: „Wenn sie kommen, machen wir sie fertig. Dafür sind wir da.“

„Ist eh das Beste, wenn wir die Scheißer vor die Flinte kriegen und nicht die Anderen“, fügte Bodden an.

Der Rückweg war zwar nicht weit, aber in dem schroffen Terrain zog er sich. Erst mussten sie vom Affenarsch herunter kraxeln, dann einen Bach überqueren, der dank des Sauwetters der letzten Tage viel Wasser führte, auf der anderen Seite erklommen sie einen Erdhang, weiter ging es tief gebückt durch den Wald – es war nämlich nicht auszuschließen, dass hier feindliche Späher auf der Lauer lagen – und dann am fetten Findling, den sie Churchill nannten, steil nach rechts den Hang runter. Ihre beiden Hütten, zwei gut getarnte Bretterverschläge der Marke Eigenbau, sah man erst, wenn man direkt davor stand. Hier fand ihr Leben statt.

Die Siebte Gruppe – oder einfach 'Gruppe Zerbst' - war Teil einer Sturmgrenadiers-Kompanie. Ein Sturmtrupp, wie es hier, in dem etwa 30 Quadratkilometer großen Waldareal noch weiter 25 gab. Wenn es zur Invasion käme, die nun jeden Tag erfolgen konnte, sollten sie als frei bewegliche Kleinstgruppen noch vor den befestigten Verteidigungsbunkern des Westwalls agieren. Aus Hinterhalten würden sie den Feind beim Vorstoß aufreiben, zermürben und auseinanderreißen, bevor er an die eigentliche Front kam. Eigentlich war das eine Aufgabe für erfahrene Spezialisten. Nur dass solche Soldaten selten geworden waren. Außer Bodden und Zerbst waren alle Soldaten der Siebten Gruppe noch grün hinten den Ohren. Max und Hubert kamen direkt aus der Grundausbildung, und die restlichen fünf waren vom Stab einer Luftlandedivision als frisches Blut für die gebeutelte 275ste hierher verlegt worden und hatten ebenfalls noch keine Fronterfahrung.

„Willkommen daheim. Jetzt hau ich mich erst mal in die Badewanne“, unkte Seppi Tenhagen, als sie an ihren mit Zweigen und Geäst getarnten Bretterbuden ankamen.

„Verbrauch aber nicht das ganze warme Wasser“, erwiderte Hubert und Tenhagen konterte: „Ich kann ja reinpieseln, Rollmops. Dann hat es für dich genau die richtige Temperatur.“ Hubert wieherte. Er selbst hatte dafür gesorgt, dass sein geliebter Spitzname, den ihm einst der Obergefreite Klingenberg in Pforzheim verpasst hatte, auch hier unter die Leute kam. Und wahrscheinlich war es eher Huberts eigensinnige Art zu lachen als Tenhagens Witz, was den Rest der Gruppe ansteckte. Alle bis auf Bodden, den solche kindische Albernheiten anwiderten. Tja. Eine Badewanne. Die würden sie vielleicht in ein paar Wochen wieder sehen, falls sie dann noch lebten. Die Wirklichkeit sah trauriger aus. Bäche, wie es hier einige gab, waren die einzige Möglichkeit zur Körperhygiene. Und hier in der Eifel war deren Wasser Anfang Oktober schon empfindlich kalt.

„Herein in die gute Stube“, sagte Zerbst, als er mit einem Ruck die verzogene Tür öffnete. Für Max fühlte es sich befreiend an, als er gemeinsam mit dem Gruppenführer Zerbst, Hubert und Seppi Tenhagen ins düstere Innere der Hütte ging, die sich die Vier teilten. Einfach mal für einen Moment diesen Großkotz Bodden los sein.

Hubert blickte gespielt resigniert auf den blanken Waldboden. „Hier könnte mal einer durchfegen.“ Max klopfte ihm ins Genick: „Klappe, Rollmops.“ Ein Schnauben deutete Huberts typisches Wieher-Lachen an.

Die Vier legten ihre Ausrüstung auf den unebenen Erdboden. Sie wechselten aus ihren nassen und speckige Uniformen in trockene und nicht ganz so speckige Kleidung. Dann stand Materialreinigen und Gewehre ölen an. Keiner redete dabei. Nur ab und zu das Seufzen und Ächzten von erschöpften Männern war zu hören, während durch die Bretter hindurch Boddens Weisheiten über Socken-Trocknen und den Zusammenhang mit abgefaulten Fußzehen drang. Die Vier beließen es bei ironischen Blicken.

Tenhagen war der Erste, der wieder sprach, als die Arbeiten beendet waren. Er kramte einen Kartenstoß aus seinem Gepäck und meinte: „Spielt jemand eine Runde Skat mit?“

„Erst nach dem Ausrüstungsapell“, entgegnete Zerbst und nahm vor den Hütten eine schnelle Materialkontrolle vor. Die Soldaten ließen das ohne zu murren über sich ergehen. Denn die Menschenführung des Unteroffiziers hatte mit den Schikanen der Unteroffiziere, wie sie Max in der Grundausbildung erlebt hatte, nichts gemein. Zerbst war bedacht und wurde von den jungen Soldaten schon wegen seiner Erfahrung respektiert.

Auf dem sogenannten Paradeplatz – einer unebenen 30-Quadratmeterfläche zwischen den Bäumen, die hier schon so etwas wie eine Lichtung war, ließ Zerbst sich die Waffen und die wichtigen Ausrüstungsgegenstände präsentieren, um auf Nummer sicher zu gehen, dass alles auf dem besten Stand war. Dann ließ er die Gruppe antreten Acht zerlumpte Gestalten mit strähnigem Haar und aufgerauten Gesichtern.

„Männer!“ Die Soldaten schauten ihren Gruppenführer erwartungsvoll an. Tenhagen verdrückte ein Grinsen – weil er so gut wie immer grinste. Zerbst nahm Blickkontakt mit der Frohnatur auf und seine Mundwinkel zuckten ebenfalls. „Feierabend!“, rief er und die Gruppe antwortete mit dem obligatorischen: „Hurra.“

„Jetzt direkt zum Bach, sonst krieg ich noch Läuse. Wer kommt mit?“, fragte Jürgen Eberl, ein 20jähriger Gefreiter, der es trotz seiner jungen Jahre schon zu zwei Kindern gebracht hatte. „Jo, bin däbei“, schloss sich der Hesse Bosbaum an.

Als sich kein weiterer anschließen wollte, machten sich die beiden mit geschulterten Gewehren und frischen Unterhosen auf den Weg. „Lasst aber die Finger voneinander“, rief ihnen Nonnemacher noch hinterher. Obwohl Bosbaum und Eberl schon nach wenigen Metern im dichten Wald nicht mehr zu sehen waren, kam noch ein „Arschloch“ als Antwort.

Max wandte sich verlegen an den Unteroffizier Zerbst: „Äh ... Ich glaube, ich geh auch noch mal los. Ist das in Ordnung?“

Zerbst versuchte, Max kritisch zu betrachten, musste aber doch schmunzeln. Und obwohl Max leise geredet hatte, brach Tenhagen in einen Lachkrampf aus. „Du bist unmöglich, Haim. Unmöglich.“

Max spürte, wie er rot wurde, grinste aber.

„Was ist denn los?“, rief Bodden, der mit Nonnemacher etwas außerhalb der kleinen Lichtung Munitionskisten sortierte, und Tenhagen blaffte: „Der Haim will wieder … losziehen!“

Zerbst klopfte Max beinahe väterlich auf die Schulter. „Ich halte dich nicht auf, auch wenn ich es sollte.“ Max nickte dankbar und Zerbst ermahnte ihn: „Aber sei bis Sonnenuntergang wieder zurück. Sonst war das das letzte Mal.“

„Gut“, murmelte Max. Er wollte schnell in die Hütte gehen, um Gewehr und Rucksack zu holen, aber Nonnemacher und Bodden verstellten ihm den Weg. Mit seinem zerfurchten Gesicht und dem stets messerscharfen Pervitinfresser-Blick musterte Bodden Max von Kopf bis Fuß. „Ich glaub's nicht. Ausgerechnet unser Jüngster hat's am dicksten hinter den Ohren. Na ja, du weißt, wie Krieg funktioniert.“ Er tippte Max mit der Zehe, die aus seiner löchrigen Socke herauslugte, gegen das Schienbein. „Kannst mich ja mitnehmen.“

„Besser nicht“, meinte Max gehemmt.

„Na gut, na gut. Aber schieb 'ne Nummer für jeden von uns mit. Und trau dich nicht, mit leeren Händen zurückzukommen.“

„Bestimmt nicht“, entgegnete Max. Er drückte sich zwischen Bodden und Nonnemacher durch ins Innere, schulterte den standardmäßig gepackten Rucksack, hängte sich den Karabiner über die Schulter und schaute, dass er fort kam. Huberts angedeutetes Kopfschütteln ignorierte Max so gut er konnte, ehe er sich vom tiefen Wald verschlingen ließ.

2

Der Eifelwald machte Max Angst, jetzt wo er alleine war. Während er sich über den nicht vorhandenen Weg, den er schon im Schlaf kannte, nach Nordosten durchschlug, spielten ihm seine Gedanken Streiche. Heckenschützen, die im Verborgenen gerade auf einen unvorsichtigen Landser warteten, um seinem Leben ein jähes Ende zu bereiten. Sprengfallen, die einem die Beine abreißen konnten. Es gab sie hier im Wald. Max hatte beim Aufbauen helfen müssen und wusste, wo jede einzelne war – glaubte er zumindest. Und jetzt auch noch diese dunkelhäutigen Kannibalen, die ihm bei lebendigem Leib die Haut abziehen würden, wenn er in ihre Fänge käme.

Unter den tiefhängenden Herbstwolken wirkte der Geisterwald noch finsterer, als er es sowieso schon war. Im Wind wiegende Baumkronen warfen schleichende Schatten. Oder war das doch ein Mensch? Ein Knacken, das von fernem Motorengrollen fast übertönt wurde. Max drehte ruckartig den Kopf. Ein Vögelchen hüpfte über den Boden und flatterte davon.

Er kam auf einen breiteren Weg, der ihn schon bald aus dem Wald herausführen würde. Zur Linken ging es steil hangaufwärts. Seine Stiefel machten in dem morastigen Boden, der von schweren Fahrzeuge durchpflügt worden war, bei jedem Schritt schmatzende Geräusche. Er fühlte Augen, die auf ihn gerichtet waren, ohne dass er sie sah. Im Berghang über ihm lagen die Schützenbunker und Schießscharten der Hauptverteidigung, von denen sich Max sicher war, dass sie zumindest mit Wachleuten besetzt waren. Bestimmt war gerade in diesem Augenblick mehr als ein Gewehrlauf auf ihn gerichtet. Er winkte fahrig in die Richtung, in der er seine Kameraden vermutete und beschleunigte seine Schritte. Erst als er aus dem Wald herauskam, verlangsamte sich sein Schritt und sein Herzschlag wieder. Wurde er immer noch beobachtet? Bestimmt. Aber in der Wiesen- und Felderlandschaft, durch die er nun streifte, fühlte sich das alles ein bisschen weniger beklemmend an.

Wie jedes Mal, seit sich Konstantin vor zwei Wochen über seinen Körpergeruch beschwert hatte, machte Max an einem Bach Rast, der den Weg kreuzte. Argwöhnisch ließ er den Blick kreisen, ehe er sich all seiner Kleidung entledigte und der Kälte zum Trotze auf Zehenspitzen zum Bachbett hinunterstieg, um sich den Dreck und den Gestank vom Körper zu schrubben. Sein ganzer Körper überzog sich mit einer Gänsehaut, als er seine Hände in die gurgelnde Strömung tauchte und sich das Wasser über Brust und Bauch schaufelte. Er biss die Zähne zusammen, knurrte und legte sich vollends in den Bach hinein. Lange hielt er das Soldatenbad nicht durch. Doch als er Minuten später wieder aus dem Graben stieg, erfüllte ihn der Stolz, nun der mit Abstand sauberste Soldat seines Trupps zu sein. Wahrscheinlich sogar der ganzen Kompanie.

Seine Zähne klapperten zwar nun aufeinander und seine Finger und Zehen pochten vor Kälte, trotzdem fühlte sich Max frei. Es tat seiner Seele gut, dieser ewigen Finsternis, in der sich der Trupp schon seit vielen Tagen aufhielt, für wenige Stunden entkommen zu können. Sein Blick ging über die Ebene zur Burg Nideggen, die weit im Hintergrund scheinbar die Wolken kitzeln wollte und zu den Kirchtürmen und Häusern der Dörfchen Schmidt und Kommerscheidt. Ein Grinsen huschte über Max' Lippen. Es war ja eigentlich gar nicht seine Absicht gewesen. Aber seine verlegene Art, mit der er es anfangs versucht hatte, seine einsamen Streifzüge zu erklären, hatte natürlich unweigerlich zu Spekulationen und Gerede geführt. Eins führte zum Anderen. Am Ende gab es für die Kameraden gar keine andere Erklärung, als dass ihr Kompanieküken sich während der Tage, bevor sie in den Wald abkommandiert worden waren, in einem der Dörfer eine Flamme geangelt hatte. Max' ungeschickte Ausreden waren zu einem galanten Schweigen geworden. Wie es sich für Kameraden während der langatmigen Zeit des Wartens wohl gehörte, wurden Max dabei keine Steine in den Weg gelegt. Auch weil er jedes Mal etwas mitbrachte, wenn er wieder zurückkam.

Je weiter Max den Wald und die Grenze zu Belgien hinter sich ließ, umso mehr wähnte er sich in Sicherheit. Der Weg, der ein Stück dem Bachverlauf gefolgt war, mündete in eine Straße, auf der manchmal Truppenfahrzeuge unterwegs waren. Heute jedoch nicht. Heute hatte er die Piste für sich alleine. Er fingerte ein Rachengold aus der Dose und summte eine Melodie, als er wie ein Vagabund mitten auf der Straße schlenderte und sich der Ansammlung von Aussiedlerhöfen näherte, die sich Halfenbroich nannte. Den ersten Hof ließ Max links liegen. Dann ging er auf einen Feldweg, der nach rechts abbog, vorbei an Ställen und einem Pferch. Obwohl die Tiere genauso wie die Menschen das Kaff während der Zwangsevakuierung verlassen hatten, kitzelte Max noch immer der Geruch von Ziegen in der Nase. Am wuchtigen Haupthaus des Hofes ging er vorbei, direkt auf die Scheune zu. Das hölzerne Schiebetor stand einen spaltbreit offen, was er als gutes Zeichen deutete. Es ächzte und knarzte, als Max das Tor gerade weit genug aufschob, dass er durchpasste, dann ging er ins Schattenlicht des Inneren.

„Ähm. Hallo?“

Keine Antwort. Vor sich sah Max das eingestaubte Gespann, das sich seit seinem letzten Aufenthalt keinen Zentimeter bewegt hatte und sich vielleicht auch nie wieder bewegen würde. Aber das war es dann auch. Er brummte enttäuscht und wollte schon wieder kehrt machen, als direkt neben ihm jemand kicherte. Sein Fuß berührt etwas Weiches, als er sich nur ein klein wenig bewegte, und als Max nach unten schaute, saß da Konstantin direkt neben ihm auf den Boden. Den Rücken gegen die Bretter gelehnt und einen Strohhalm lässig im Mundwinkel.

„Blind wie immer“, sagte Konstantin zur Begrüßung.

Max lachte und setzte sich neben ihn. Er stupste mit dem Knie gegen Konstantins Knie und tadelte: „Und du bist gerissen wie immer. Letztes Mal hast du mich ja ganz schön versetzt.“

Konstantin legte seine Hand auf Max' Oberschenkel und streichelte sich an die Innenseite vorwärts. „Die Deppen haben mich zum Wachdienst abkommandiert.“ Er schaute Max mit herzerweichendem Dackelblick an und säuselte: „Ich hab dich vermisst, Langer.“

„Ich dich auch, Süßer. Ich dich auch.“ Es passierte ganz automatisch, dass sie sich die Gesichter zuwendeten, ihre Lippen aufeinander legten und sich küssten. In dieser dramatischen Zeit war es für Max ein Lebenselixier, Konstantins Speichel zu schmecken und mit seiner Zunge zu spielen. Das Bonbon in Max' Mund hatte den Besitzer gewechselt, als sich ihre Lippen wieder trennten. Es folgte ein behagliches Schweigen. Dann fragte Konstantin: „Wollen wir uns nicht ein bisschen hinlegen?“

Max hatte nichts einzuwenden. Während er das Scheunentor wieder ganz zuzog und verriegelte, breitete Konstantin die Decke aus, die sie während ihres ersten Erkundungsganges hier gehamstert hatten. An den ersten Tagen, nachdem Max mit seiner Kompanie in den Wald geschickt worden war, war er bei jeder sich bietenden Gelegenheit die etwa 10 Kilometer nach Hürtgen gelaufen, wo Konstantin in der Nähe des Stabes stationiert war. Die Zeit, die sie füreinander gehabt hatten, hatte vorne und hinten nicht gereicht, von Privatsphäre ganz zu schweigen. Konstantin hatte jedoch bald von den evakuierten Bauernhöfen gehört, die etwa auf halber Wegstrecke lagen. Eigentlich waren sie für die Stationierung von Truppen geräumt worden. Doch bis jetzt war noch nichts geschehen. Und so hatten sie hier ihr kleines Liebesnest, auch wenn sie sich auf die Scheune beschränkten. Zum Eindringen in die Wohnhäuser waren die Beiden nicht kaltschnäuzig genug.

Es tat gut, Konstantins Körperwärme zu spüren, seine Haut zu schmecken und seinen Herzschlag zu fühlen. „Ist bei euch alles in Ordnung?“, flüsterte Konstantin an Max' Hals.

„Ja.“

„Und Hubert?“

Max lachte: „Das blühende Leben. Der fühlt sich als Waldschrat pudelwohl.“

Konstantin lachte leise mit. „Nennt ihr euch so?“

„Ja. Nicht offiziell. Nur unter uns, im Trupp.“ Er wurde ernst. „Hubert weiß ganz genau, was zwischen uns läuft. Und ich glaube auch, er ahnt, wo ich immer hingehe. Blöde ist er ja nicht.“

„Nicht?“, gluckste Konstantin. Max tadelte ihn mit einem Kniff in die Pobacke. „Hör auf, über Hubert zu lästern“, sagte er, schaffte es aber kaum, ernst zu bleiben. „Dass er uns deckt ist mehr, als man eigentlich von ihm verlangen könnte. Er ist ein guter Freund.“

„Hast ja recht“, nuschelte Konstantin und drückte sein Gesicht an Max' Wange. Wieder wurde lang nicht mehr geredet und sich stattdessen einfach nur geliebt. Dann sagte Max, als wenn er zu sich selbst reden würde: „Die Alliierten stehen zu Tausenden hinter Roetgen.“

„Hmmm.“ Konstantin spielte mit dem Zeigefinger an Max' Brustwarze und Max hatte seine Hand in die roten Haare gewuschelt.

„Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Die sammeln sich für den Großangriff und niemand unternimmt etwas. Die Luftwaffe könnte doch ...“ Er redete nicht weiter, sondern ließ den Gedankengang im Raum stehen.

Konstantin legte sich neben Max auf die Seite und stützte seinen Oberkörper auf dem Ellenbogen auf. Mit der Fingerkuppe zeichnete er die Linie zwischen Max' Bauchmuskeln nach, die sich vom Brustbein bis zum Nabel zog. „Die sagen, im Norden wird Aachen in die Zange genommen. Wenn das stimmt, wird sich die Luftwaffe bei uns wohl kaum blicken lassen.“

Max schluckte. Diese Nachricht musste er erst einmal verdauen. „Dann zieht der Krieg vielleicht wirklich an uns vorbei. Vielleicht ziehen die Amis von Roetgen nach Norden ab. Die werden sich sowieso nicht auf eine Schlacht im Eifelwald einlassen, meint der Bodden.“ Den Namen seines Kameraden hatte Max mit einem Gesicht ausgesprochen, als ob er sich übergeben müsste und Konstantin lästerte: „Aha. Wenn dein Lieblingsbodden das sagt ...“

Max biss ihn zärtlich in die schmale Schulter: „He. Das ist nicht mein Lieblingsbodden. So viele Leute sind gestorben und ausgerechnet der Hurensohn hat überlebt. Ts ts ts.“

„Noch ist der Krieg nicht vorbei“, versuchte Konstantin Max' zu trösten. Nach allem, was Max ihm über den Stabsgefreiten erzählt hatte, hasste Konstantin Bodden ebenso und das, obwohl Hass normalerweise keine seiner Eigenschaften war. Er wurde wieder ernster. „In der Führung gehen sie davon aus, dass es genau hier bald losgehen wird. Die müssen durch den Wald. Erstens kommen sie nur so zur Ruhrtalsperre.“

„Ruhrtalsperre“, fiel Max Konstantin ins Wort. In einem Ton, in dem er auch 'Als ob es darauf ankäme' hätte sagen können.

„Ja, Ruhrtalsperre. Von dort haben sie die Kontrolle über die Wasserversorgung des Ruhrgebiets. Und zweitens können sie so ihre Flanke schützen, wenn sie Aachen eingenommen haben und den Stolberg-Korridor nehmen.“

„Ist ja gut“, motzte Max und zog Konstantin mit der Hand an dessen Pobacke wieder an sich. In der kurzen Zeit, die sie hier miteinander hatten, hatte er besseres zu tun, als über Kriegstaktiken zu dilettieren. Auch wenn es natürlich Gold wert war, sich trotz seines abgelegenen Waldschrat-Daseins auf den neuesten Stand bringen zu lassen.

Konstantin hielt sich Max zwar zärtlich, aber bestimmt vom Leib. „Ich hab mir Gedanken gemacht, Maxl.“ Max seufzte, doch Konstantin ignorierte das. „Wir hauen ab. Wenn du willst, noch heute. Jetzt.“

Max rollte sich Bauch an Bauch auf Konstantin und kam seinem Gesicht so nahe, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. „Aha. Fahnenflucht. Und dann?“

„Den herablassenden Ton kannst du dir ruhig sparen“, sagte Konstantin und räkelte sich lasziv unter Max. Mit beiden Händen knetete er dessen Rückenmuskeln rechts und links der Wirbelsäule. „Ich hab nämlich einen Plan. Du kennst deinen Waldkorridor doch wie aus dem FF. Oder? Wir schleichen uns durch, wenn's dunkel ist, und auf der anderen Seite werfen wir uns einfach den Amis in die Arme. Die sollen ganz umgänglich sein - hab ich gehört. Und dann gehen wir zwei – du und ich – zusammen nach Amerika. New York.“ Konstantins Augen leuchteten und Max tat so, als wolle er den süßen Träumer mit einem Kuss zum Schweigen bringen. Konstantin spitzte erwartungsvoll die Lippen, doch in letzter Sekunde stoppte Max.

„Fahnenflucht und Hochverrat.“, tadelte er ihn und wartete auf irgendein Anzeichen des schlechten Gewissens. Aber Fehlanzeige. Also versuchte er es anders. „Selbst, wenn wir uns durch den Wald mogeln könnten ... Und bei Nacht wird das schwer genug. Dann kommen gut zwei Kilometer freies Gelände. Minenfelder. Scharfschützen. Vergiss es, Konstantin. Wir tun das, was wir tun müssen, und wir tun das aus Überzeugung. Für unser Land. Richtig?“

Konstantin schaute Max an, als ob dieser gerade einen schalen Witz gemacht hätte. Seine Hände griffen nach Max' Pobacken, drückten zu, und beide begannen ihre nackten Hüften rhythmisch aneinander zu reiben.

„Richtig?“, hakte Max mit anrüchigem Unterton nach.

Konstantins Gesichts errötete. Wie immer, wenn sich seine Erregung steigerte: „Du bist mir der liebste Dummkopf von allen, Maxl. Aber gut. Sterben wir halt für Volk, Vaterland und den Hurenführer. Wie es sich für dumme Schafe gebührt.“

Max ließ den Kopf sinken und drückte seine Wange an Konstantins heiße Wange. „Das wollte ich hören.“

„Und jetzt pscht“, nuschelte Konstantin noch, und dann gab es nichts mehr als leises Stöhnen und das gleichmäßige dumpfe Schmatzen von sich aneinander reibenden Körpern. Doch fallen lassen konnte Max sich nicht. Obwohl Konstantin immer so harmlos daher kam, hatte er es einmal mehr geschafft, seine Gefühlswelt durcheinander zu wirbeln. Fahnenflucht. Ha. Und Hubert? Sollte er seinen besten Freund einfach so zurücklassen? Nein. Das kam nicht infrage. Sie hatten die Entscheidung getroffen, zur Wehrmacht zu gehen, wenn auch nicht ganz freiwillig. Aber was geschah heutzutage schon freiwillig ... Jetzt waren sie hier. Und jetzt mussten sie sich ihrem Schicksal stellen.

Die klare Entscheidung tat Max gut. So konnte er sich gegen Ende hin Konstantin doch noch mit allen Sinnen hingeben, bis es zwischen ihren Hüften klebrig-feucht wurde. Wie immer hatten sie sowieso weniger Zeit füreinander, als ihnen lieb war. Viel zu früh trennten sie ihre Umklammerung und standen bald danach angekleidet beieinander.

Konstantin öffnete das Schiebetor einen Spalt und lugte hinaus. „Die Luft ist rein“, sagte er zu Max. „Schau'n wir mal, was wir deinen Kameraden Gutes tun können.“ Max nickte. Hintereinander schlichen sie aus der Scheune heraus über den Hof. Vielleicht etwas übertrieben vorsichtig, aber sie wollten sich auch nicht unbedingt dabei erwischen lassen, wie sie hier in den Bauernhöfen herum stromerten. Heute war in dieser Gegend zum Glück nichts los. Sie gingen zu der kleinen Staffel am Rande des Haupthauses, die hinunter in einen Keller führte, den Max und Konstantin als Vorratskammer ausgemacht hatten. Die schwere Holztür ächzte, als Max sie aufdrückte, und ihnen kam eine Geruchsmixtur aus Moder und Rauchfleisch entgegen.

„Ein Hoch auf die Halfenbroicher Gastfreundschaft“, sagte Konstantin und setzte seinen Dosenöffner an einer Büchse an, die mit Eisbein beschrieben war. Max schaute ein bisschen verkniffen drein und murmelte: „Mir gefällt das nicht, wie wir uns hier bedienen.“

Die Büchse knirschte, als Konstantin sie öffnete. „Ach was. Die werden sowieso nicht mehr so schnell zurückkommen. Und die Amis und Franzosen kommen auch ohne unsere Büchsenwurst zurecht, wenn sie das hier besetzen.“

„Als ob die so weit kommen würden“, grummelte Max, aber er hatte schon das Fahrtenmesser gezückt und wartete darauf, sich über das Eisbein herzumachen.

Die Speisekammer hatte sich von Anfang an als richtige Fundgrube erwiesen. Wurstbüchsen, eine Tonne voller Äpfel, ein Wandregal voller Wein-, Schnaps- und Likörflaschen, Schinkenlaibe, die an Haken an der Decke hingen und ringförmige Rauchwürste, die ein unwiderstehliches Aroma verbreiteten. Nachdem Max und Konstantin gevespert hatten, wollte Max sich den Rucksack vollmachen. Konstantin hielt ihn jedoch zurück. „Ich hab da was vorbereitet.“

Er öffnete einen Werkzeugschrank und zauberte einen Weidenkorb hervor. Max schaute Konstantin ironisch an, und Konstantin rechtfertigte sich: „Ich war ja schon fast eine Stunde vor dir da. Da hab ich mich im Haus umgesehen.“

„Du warst im Haus?“ Max schaffte es nicht ganz, seinen Unmut zu verbergen.

„Lage-Erkundung“, säuselte der Rotschopf und Max seufzte. „Die lachen mich doch aus, wenn ich mit dem Körbchen zurückkomme.“

Zu allem Überfluss holte Konstantin nun auch noch eine samtrote Decke heraus. „Ach was. Stell dir vor, wie gerührt die Waldschrate sind, wenn dir dein Mädchen einen Fresskorb für sie hergerichtet hat.“ Konstantin formte einen Kussmund und Max schüttelte grinsend mit dem Kopf. „Du bist ein verrücktes Huhn.“

„Gack“, sagte Konstantin und das Lachen brach aus beiden heraus. Es war eine dieser komischen Situationen, wo man einfach nicht aufhören konnte zu lachen, während sie den Korb mit allen Leckereien füllten, die der Keller zu bieten hatte. Mal wurden sie wieder beherrschter, aber dann mussten sie sich nur in die Augen schauen, und es ging wieder los.

Konstantin legte einen Apfel in den gut gefüllten Korb mit der Resolutheit, die das ist genug andeutete. „So. Fehlt noch was?“

„Gibt's hier noch Strychnin? Für den Bodden?“, fragte Max, und Konstantin schaute sich spaßhaft suchend um. Schließlich zuckte er mit den Schultern und Max meinte: „Egal. Das wäre sowieso nur Verschwendung. Der frisst das Zeug wahrscheinlich jeden Morgen zum wach werden, weil ihm das Pervitin nicht mehr stark genug ist.“ Seine Stimme veränderte sich in Boddens Knarz-Röhre: „An der Ostfront macht man das so.“ Konstantin lachte.

Max grinste, ehe er das sagte, was ihm beinahe das Herz brach. „So. Es wird langsam Zeit.“

Konstantin kaute von innen auf seinen Lippen, ehe er antwortete: „Wird es wohl.“

Die Beiden schauten sich unentschlossen an. Dann gab sich Max einen Ruck und legte die rote Decke über den Weidenkorb. „Sieht das Scheiße aus“, brummelte er.

„Soll es ja auch.“

Sie gingen ein paar Schritte und standen nun direkt an der Tür. „Gut. Bis … Sonntag?“, fragte Max.

„Ja. Ich denke schon. Und Maxl?“

Max zog fragend eine Augenbraue hoch. Konstantin legte seine Hand an Max' Wange und gab ihm einen letzten Kuss. Zärtlich, feurig und voller Zungenspitzengefühl.

„Hui“, schnaufte Max. Er fühlte die Röte seines Gesichts als Hitze und Konstantin lächelte sein unschuldigstes Lächeln. „Bis Sonntag“, sagte der Rotschopf zum Abschied.

3

Max verließ als Erster den Vorratskeller und ließ seinen Geliebten hinter sich. Sie wollten nicht das geringste Risiko eingehen, zusammen gesehen zu werden. Schon alleine die Vorstellung, in den Verdacht einer schwulen Liebe zu kommen, war mindestens genauso furchteinflößend, wie der Kriegseinsatz, der vor ihnen lag. Nach dem Hochgefühl fiel Max fast augenblicklich in ein tiefes Loch. Er fühlte sich nun einsamer denn je. Natürlich. Wenn alles gut liefe, würde er Konstantin schon bald wiedersehen. Aber wer wusste schon, ob es die Höfe von Halfenbroich in drei Tagen überhaupt noch gab. Oder Konstantin. Oder ihn selbst. Kälte überzog seinen Körper, als sich die Bilder des Todes in seinen Kopf fraßen, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.

Tagträumend folgte er der Staubstraße, die ihn aus Halfenbroich herausführte und die er in etwas mehr als einem halben Kilometer verlassen würde, um zurück in seinem Geisterwald zu kommen. Hätte er sich besser konzentriert, wie es sich für die Frontnähe gehörte, hätte er das Fahrtgeräusch des PKW, der sich von hinten näherte, schon von weitem gehört und vielleicht wäre er dann rechtzeitig in einer der Wiesen in Deckung gegangen. Aber als er es merkte, war es dafür zu spät. Max blieb stehen und wartete, bis der Stoewer ihn erreicht hatte und zu allem Überfluss auch neben ihm halten blieb.

Er musste sich zusammenreißen, nicht zu aufzustöhnen, als ihn der Beifahrer musterte und sich theatralisch viel Zeit ließ, Max anzusprechen. Er ließ es über sich ergehen. Kettenhunde nannten sie diese Art von Soldaten, mit denen er es hier zu tun hatte. Wegen der an eine Hundekette erinnernden Halskette, an der ein Blechschild mit der Aufschrift 'Feldgendamerie' angehängt war.

Schließlich blieb der Blick des Gendarmen an Max' Weidenkorb hängen, den er bei sich trug. Der Fahrer und der Beifahrer tauschten einen belustigten Blick, ehe der Beifahrer Max ansprach. Weder machte er sich die Mühe auszusteigen noch die Zigarre, die er rauchte, aus dem Mund zu nehmen.

„Wohin des Weges, Kamerad?“

„Zurück zu meiner Einheit“, sagte Max. „Grenadier-Regiment 985, Vorpostenkompanie 23, sechster Zug.“

Der Kettenhund griente. „Ah. Ein Himmelfahrer.“ Max konnte nicht einordnen, ob das jetzt spöttisch, anerkennend oder mitleidig gemeint war. Der Gendarm nickte zu dem Korb. „Und was ist da drin?“

„Privatsache.“ Max versuchte, frivol zu grinsen und zog die samtrote Decke zurück. Noch während die Gendarmen aus dem Auto heraus einen Blick hinein warfen, holte er eine Flasche mit gelblichem Inhalt heraus, der wahrscheinlich ein Kräuterlikör war, und hielt sie den beiden entgegen. Der Zigarrenraucher nahm sie an und auf der Stelle wurde sein Blick sonniger.

„Ich kann es mir schon denken, du Lausbub. Na gut. Wer will's dir verübeln. Und jetzt beweg deinen Arsch, damit du zu deinen Leuten zurückkommst.“

„Mach ich“, sagte Max.

„Und sag ihnen, sie sollen auf der Hut sein. Es wird gemunkelt, dass beim Feind langsam Bewegung in die Sache kommt.“

Max nickte. Kurze Grüße wurden ausgetauscht, dann brauste der Stoewer weiter. Er atmete durch. Die Kettenhunde waren ihm unheimlich. Und die Sache, dass er gerade etwas Verbotenes getan hatte, machte es nicht besser.

Die Dämmerung war schon weit fortgeschritten. Das machte den Wald noch dunkler und dramatischer. Max riskierte nun mehr als auf dem Hinweg. Er versuchte nur manchmal Deckung zu finden, wenn es die Gelegenheit gerade zuließ. Lieber wollte er schnell sein. Er war schließlich spät dran. Das Tageslicht wich mehr und mehr der Dämmerung. Und wenn es etwas gab, was er gar nicht wollte, so war es, bei Dunkelheit noch unterwegs zu sein und sich mit der Taschenlampe über Kilometer hinweg zur Zielscheibe zu machen. „Was bist du nur für ein Trottel“, schimpfte er sich selbst. Zehn Minuten früher und alles wäre halb so wild gewesen. Er stolperte über einen Stein, der aus dem Boden herausragte, stieß einen überraschten Schrei aus, und schaffte es gerade noch, den Sturz abzufangen, der ihn sicherlich mehrere Meter den Hang neben sich hinunter geworfen hätte. Sein Herz schlug. War das zu laut gewesen? Fast drei Minuten lang hielt er sich geduckt, regte sich nicht und lauschte stattdessen wie ein sprungbereites Fluchttier in die Umgebung. Nichts tat sich. Dann nahm er seinen Korb und ging mit zittrigen Knien weiter. „Du bist mir ein Soldat“, murmelte er vor sich hin. „So überlebst du im Kampf nicht mal einen Tag.“

Ohne weitere Zwischenfälle kam Max dem Lager näher. Zwischen den Bäumen sah es im Dämmerlicht aus wie ein besonders dichtes Gebüsch. Es gehörte schon sehr viel Beobachtungsgabe dazu, hier zwei Hütten zu vermuten. Es war totenstill, als er sich näherte; nur ein Stieglitz warnte seine Kameraden mit melodiösem und unaufhörlichem Ditlidit. Man hätte denken können, Max wäre hier auf dutzende Kilometer alleine. Doch da ertönte ein Ruf aus dem Nichts.

„Parole?“

„Morgenröte“, zischte Max zurück. So laut wie nötig und so leise wie möglich.

„Wird auch langsam Zeit, Haim“, motzte Alfons Junghans aus dem Wachnest zurück, von dem Max zwar wusste, wo es war; und trotzdem sah er es nicht. Er hielt seinen Korb in die Richtung des Nestes. „Hat sich aber gelohnt.“

„Wehe, ihr lasst uns nichts übrig“, ertönte jetzt Seppi Tenhagens Stimme von derselben Stelle.

„Wer zuerst kommt ...“, flachste Max und erkannte im selben Moment die Ironie der Situation, als er genau jetzt direkt durch das Schussfeld des Maschinengewehrs ging. Schnell machte er sich auf den Weg zur Hütte. Er stieß die Tür auf und der Geruch von ungewaschenen Menschen und verdampftem Kerzenwachs kam ihm entgegen. Die beiden Hindenburglichter spendeten nur so viel Licht, wie unbedingt nötig war. Sechs Augenpaare schauten ihn gefährlich an, denn alle verbliebenen Soldaten der Gruppe saßen nun, wie jeden Abend, im Kreis und betrieben Kameradschaftspflege im Flüsterton.

„Hier könnte man mal durchlüften“, scherzte Max zaghaft. Den Weidenkorb hielt er hinter dem Türrahmen versteckt.

„Aha. Unser Feldstecher hat seinen Humor noch nicht verloren“, erwiderte der Gruppenführer Zerbst sauer.

„Ist sowieso blöde, dass der Haim immer solche Extrawürste bekommt“, moserte Nonnemacher, aber der war eh immer nur am Nörgeln.

Max zauberte den Weidenkorb hervor. „Dann nehme ich an, du legst heute keinen Wert auf Extrawürste, Nonne“, sagte er und es war ulkig, wie schnell die Stimmung wechselte.

„Haim! Du Gauner!“, rief Bosbaum und als Zerbst Max den Korb abnahm und die rote Decke zurückschlug, lachte sogar Bodden – ein Meckern wie das Knattern eines Zweitaktmotors mit Startschwierigkeiten.

In Boddens Ziegenmeckern mischte sich Huberts Pferdewiehern. „Wer soll das denn glauben? Wir haben Rotkäppchen in unserer Einheit.“

„Und du bist die Großmutter“, foppte Max Hubert, während Bodden schon daran war, eine Schnapsflasche zu öffnen und Zerbst Kommissbrot für den Schinken auspackte.

„So ein Schwerenöter“, lästerte der Gruppenführer dabei. „Lässt seine Liebste sogar schon Fresskörbe zusammen richten. Dabei siehst du so brav aus, Haim.“

Max räusperte sich. „Übrigens muss ich den Korb am Sonntag wieder zurückbringen.“

Raues Gelächter der Kameraden. Nur Hubert nickte Max mit einem gequälten Grinsen zu.

In den folgenden Minuten verebbten die Gespräche, dafür setzte leises Schmatzen ein. Schließlich sagte Max: „Die Kettenhunde haben mir mit auf den Weg gegeben, dass sich die Amis für einen Angriff rüsten.“

Nonnemacher erwiderte: „Bestimmt nicht hier. Die ziehen dann Richtung Norden.“

„Angeblich doch. Das ist der direkte Weg zur Ruhrtalsperre.“

„Und wenn schon. Dafür sind wir hier.“ Bodden steckte sich eine Zigarette an und nahm sich Zeit, durch die Rauchfäden hindurch gefährlich den Blick kreisen zu lassen. „Das ist unser Land, Jungs. Und wir sind hier die Wölfe in diesem Wald. Wir lassen Blut fließen.“

Ehrfürchtiges Schweigen der jungen, unerfahrenen Soldaten folgte. Nur der Gruppenführer Zerbst biss unbeeindruckt in sein Schinkenbrot. Bestimmt sah er im flackernden Licht eher Lämmer vor sich als Wölfe. Bodden nahm einen tiefen Schluck aus der Schnapsflasche, machte eine besinnliche Pause und begann mit leiser, bronzener Stimme zu reden. „Damals ... In Rschew … hat der Iwan auch gedacht, er kann uns überrennen. Und dagegen ist die Eifel ein Waldspaziergang. 40 Grad Kälte. Der Nachschub ist nicht mehr durchgekommen und trotzdem haben wir gekämpft bis wir totgeschossen worden sind oder erfroren sind. Und den Iwan haben wir das Fürchten gelehrt, das kann ich euch sagen. Männer wie ihr. Und die Besten haben überlebt.“

Huberts Blick, dessen Bruder Jakob das nicht überlebt hatte, wurden düster, aber das bemerkte Bodden nicht, als er weiter schwadronierte und mit jedem Schluck ausschweifender wurde. „Übel“, murrte Eberl irgendwann, als die Erzählungen von Kältetod, abgerissenen Gliedmaßen und verzweifelten Überlebenskämpfen immer bildreicher wurden. Bodden lächelte kalt wie der sibirische Winter. „Richtig übel. Aber die Ostfront hatte auch ihre guten Seiten. Gerade dem Haim, dem Feldstecher - dem hätte das gefallen.“ Manche kicherten kindisch, und Max schmunzelte pflichtbewusst. „Muschis, soweit das Auge reichte, kann ich euch sagen.“ Das Gluckern von Nonnemacher und Bosbaum wurde versauter und Bodden ließ sich davon anstacheln. „Die Nataschas und Olgas haben Temperament, das glaubt ihr nicht.“

„Haben sich bestimmt mit Händen und Füßen gewehrt“, murrte Max ins Lachen von Nonnemacher und Bosbaum hinein und bemerkte erst, als es zu spät war, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Doch Bodden schien den Vorwurf nicht einmal zu realisieren. „Haben gekratzt und gebissen. Aber am Ende hatten sie alle ihren Spaß.“ Max lief es eiskalt den Rücken runter. Und während er um Selbstbeherrschung rang, mischte sich der Unteroffizier Zerbst ein. „Euch Vergewaltiger hätte ich mit dem Pimmel am nächstbesten Baum aufgehängt.“ Zwar sagte Zerbst das humorig, aber seine Augen waren hart.

„Da sieht man mal, wie grün du noch hinter den Ohren bist, Herbert“, entgegnete Bodden. „Das hat einfach dazugehört. Die Männer brauchen bei all dem Scheiß auch ihren Spaß. Für solche Kleinigkeiten ist keiner bestraft worden. Waren doch nur Ostfrauen.“

Max spürte, wie Huberts Knie gegen seinen Oberschenkel stieß und dachte an das Strychnin, über das Konstantin und er gescherzt hatten. Durch all die Ohnmacht drangen Boddens nächste Worte in sein Ohr: „Der Haim versteht's, unser Feldstecher. Gell?“

Max schaute den altgedienten Stabsgefreiten finster an. „Als Vergewaltiger würde ich mich nicht mehr trauen, meinen Eltern oder irgendeinem anderen Menschen unter die Augen zu treten.“ Wusch. Man sah, dass die Worte seines vermeintlich Verbündeten bei Bodden einschlugen wie eine Ohrfeige. Boddens Blick war der eines Mörders. Ein bleischweres Schweigen setzte ein.

Die Stimmung blieb angespannt, und die Gespräche drehten sich danach um den Kriegsverlauf und was ihnen wohl noch alles bevor stünde. Irgendwann meldete sich Hubert zu Wort. „Ich muss mal pissen.“ Keiner machte sich die Mühe, auf diese Information einzugehen. Erst als Hubert beim Herausgehen Max scheinbar zufällig streifte, meinte dieser: „Ich geh auch mal.“

„Müsst euch wohl gegenseitig halten, was?“, ulkte der Kasseler Bosbaum, und Max sagte: „Nee. Wir sind ja keine Hessen.“ Er belegte noch zwei Schinkenbrote für die Jungs im Wachnest und ging hinter Hubert hinaus. Die Luft war zwar kalt, tat aber gut.

„Parole?“, rief Junghans aus dem Nest, als Hubert und Max auf sie zuschritten, und Hubert raunzte zurück: „Parole: Ich piss dir 'ne Linie auf den Rücken.“

„Ihr müsst uns schon Bescheid geben, wenn sich die Parole ändert“, gluckerte Tenhagen hervor. Die Brote nahmen sie natürlich gerne entgegen, um sich die letzte Stunde ihres Wachdienstes zu versüßen. Dann schritt Hubert vorsichtig in die Dunkelheit und außer Hörweite der beiden Wachen. Max stellte sich neben ihn und beide ließen laufen. Während der Urin plätscherte, erfüllte Max wieder das unselige Gefühl, beobachtet zu werden.

Hubert flüsterte: „Hast ja wieder gute Beute von deinem Raubzug mitgebracht.“

„Ja. Hat sich gelohnt“, wisperte Max zurück.

„Und ... wie geht’s dem Wüstrach?“

Max lachte ertappt: „Gut. Die leben in Hürtgen wie die Maden im Speck.“

„Klar. Sein Alter ist ja auch ein treuer NSDAPler. Den Wüstrach kann man nach hinten in eine Reserve-Einheit stecken. Und weil unsere Alten nicht linientreu sind, werden wir als Kanonenfutter verheizt. Das kotzt mich so an.“

„Mensch, Hubert“, wollte Max seinen Freund bremsen, und als er sah, dass Hubert abschüttelte, tat er es ihm nach.

„Hör mir auf mit 'Mensch, Hubert'. Ich hab doch recht. Hier vorne gibt es nicht mal Sanitäter, die uns zusammenflicken können, wenn es uns erwischt.“

Max nickte. Auch wenn er es nicht zugab, hatte er dieselben Gedanken auch schon gehabt. „Wir können nichts daran ändern. Vielleicht überlebt der Konstantin wenigstens. Ich fände es gut, wenn zumindest einer von uns wieder nach Hause kommt.“

„Weil du in ihn verknallt bist“, flüsterte Hubert. Sie hatten ihre besten Stücke zwar schon wieder eingepackt, trotzdem blieben sie stehen. Max sagte nichts. Statt des ätzenden Nachhakens, das er erwartete, murrte Hubert als angedeuteten Schlussstrich und wechselte das Thema.

„Immerhin hast du dem Bodden vorhin Paroli geboten. Respekt, Max.“

Max lachte humorlos. „Der Bodden ist ein Schwein.“

„Ja. Aber trotzdem. Dir hätte ich es am aller Wenigsten zugetraut, dass du dich dem alten Drecksack entgegenstellst.“

„Ist halt so“, knurrte Max. Er wandte sich, um zurückzugehen, aber dann platzte es aus ihm heraus. „Das ist doch alles zum verrückt werden. Den Bodden und seinesgleichen lassen sie vergewaltigen und die übelsten Dinge machen, die ich mir gar nicht vorstellen möchte, und das wird dann alles toleriert oder sogar noch gutgeheißen. Und wenn der Wüstrach und ich ganz freiwillig und harmlos aneinander rumschrauben - dafür kann man uns an die Wand stellen. Oder in so ein Konzentrationslager stecken und uns dort verrecken lassen.“ Er schaute Hubert an, der aber nicht viel mehr als ein schwarzer Umriss war. „Ist das noch normal?“

„Nein. Aber das ändert nichts daran, dass euch das passieren kann. Zu sagen, dass ihr damit aufhören sollt, hab ich schon längst aufgegeben, Max. Aber tu mir den Gefallen und treibt es nicht zu weit.“ Er gluckste versöhnlich. „Ihr Zwei raubt mir zwar den letzten Nerv, aber ich hab euch trotzdem ins Herz geschlossen.“

„Schön gesagt“, scherzte Max und war sogar ein bisschen gerührt.

Hubert seufzte. „Dann lass uns zurückgehen, du Feldstecher.“

4

Tiefes Motorengrollen ließ die Luft vibrieren und drang bis in die Magengrube; ausgerechnet am Morgen jenes Sonntags, an dem sich Max wieder mit Konstantin treffen wollte. Es war der 8. Oktober 1944, an dem die Invasion in der Nordeifel begann. Auf der anderen Seite der Grenze walzten Ströme an Panzern, Lastwagenkolonnen und Bulldozer auf den Westwall zu. Die Gruppe Zerbst wusste genau, was sie nun zu tun hatte. Die Sturmgrenadiere gaben ihre Hütten auf und zogen sich tiefer in den Wald zurück. In ihre paar Quadratkilometer unwirtliches Deutschland, die sie bis auf den letzten Mann und auf den letzten Tropfen Blut zu verteidigen hatten. „Jetzt beginnt die Jagd, ihr Wölfe“, hatte Bodden mit einem unmenschlichen Lächeln im Gesicht gebrüllt, und seine Soldaten hatten ihr ewiges „Hurra!“ gerufen.

Es war kalt an jenem Morgen. Zerbst ging als Anführer mit der Maschinenpistole vor der Brust voraus, gefolgt von seinem Schützen Eins Bodden, der das schwere Maschinengewehr geschultert hatte und dessen Gehilfen, dem Schützen Zwei Nonnemacher. Dahinter folgten die restlichen Soldaten mit ihren Karabinern. Regenwolken hingen tief über den Baumwipfeln und der Boden dieser wilden Landschaft war mit nassen Laub bedeckt.

Keiner redete ein Wort. Trotz des steten Wummern und Dröhnen der Kriegsmaschinerie, aus dem manchmal das Aufheulen eines einzelnen Fahrzeugs herausstach, kam Max sein Atem unnatürlich laut vor. Der Herzschlag hämmerte in seinen Ohren. Jeder Stock, der unter einem Stiefel knackte, war wie eine 500-Kilo-Bombe. Waren sie hier noch außen vor? Oder hatten ihre Feinde sie schon im Visier? In diesem nasskalten Dschungel hätte sich ein geschickter Verfolger bis auf Nahkampfentfernung an sie heranschleichen und ihnen ein Ende bereiten können, noch bevor sie den ersten Schuss abgegeben hätten. Immer wieder sah er, wie Huberts Hand fahrig gegen die Brusttasche tatschte, wo er die kaputte Taschenuhr seines Vaters verstaut hatte. Die Uhr, die dem alten Thielmann damals, im vergangenen Krieg, angeblich das Leben gerettet hatte, weil ein Schrapnell an ihr abgeprallt war. Hubert hatte sie einmal als seinen Talisman bezeichnet, der auch ihn unversehrt durch den Krieg bringen würde.

Zerbst gab mit einer Handbewegung die Richtung vor und seine Gruppe folgte ihm auf eine Anhöhe, die sie Katzbuckel genannt hatten. Wegen der erhöhten Lage und der Nähe einer kleinen Höhle, die sich Krieger mehr als zwei Jahrzehnte zuvor als Unterschlupf gebuddelt hatten, hatte Zerbst diesen Punkt von Anfang an als kampfstrategisch vorteilhaft erkannt. Dort hieß es hinlegen und abwarten, was passieren würde. Zerbst wollte den Standort an den Kompanieführer durchgeben, aber das Funkgerät gab nur ein Rauschen als Antwort. „Mistding“, zischte der Unteroffizier.

„Wer braucht die Scheißer schon“, kommentierte Bodden.

Ausharren war nun die Devise. Obwohl sich die Kälte aus dem Boden schnell in den Körper fraß, fühlte Max sich hier recht sicher. Eine steil aufragende Hohlwand, in welcher 20 Meter über ihnen der Eingang der Soldatenhöhle gähnte, gab ihnen von hinten Deckung und nach vorne war der Mischwald abschüssig. Bodden setzte das Maschinengewehr auf das Zweibein und Nonnemacher gab ihm einen Patronengurt. Tenhagen legte zwei Handgranaten bereit und schien es beruhigend zu finden, eine Dritte auf dem Boden hin- und herzuschieben und damit Muster zu zeichnen.

„Hör auf!“, schnaubte Zerbst. Tenhagen machte weiter.

„Wenn du nicht die Finger von dem Drecks-Ding lässt, reiß ich dir den Kopf ab!“

Endlich hielt Tenhagen die Finger still, und Zerbst murrte: „Unruhiger Kerl“, vor sich hin.

Auch Max richtete sich Granaten und einen Ladestreifen für den Karabiner griffbereit. Sie hörten, wie sich die Kolonne aus schweren Fahrzeugen verschob. Aber die würden ihnen hier – in diesem Hexenkessel - nicht gefährlich werden. Eineinhalb Kilometer weiter nördlich führte ein breiterer Weg nach Osten, auf den sie es wohl abgesehen hatten und das Knurren der Motoren bestätigte die Vermutung. Noch einmal versuchte Zerbst, die Kompanieführung anzufunken. Erfolglos. Die Feldfunksprecher waren für diese Art von Gelände einfach nicht ideal.

Die Zeit verging. Alle starrten über ihre Visiere hinweg zwischen die Bäume vor ihnen. Plötzlich war da ein wildes Rascheln in einem Dickicht 50 Meter unter ihnen. Max fiel für eine Sekunde in Schockstarre und ein Knall zerriss die Stille. Etwas wie ein Marder staubte aus dem Gesträuch heraus und verschwand im Dickicht. Bosbaum, der geschossen hatte, lachte hysterisch.

„Mann, du Idiot“, bellte ihn Nonnemacher an. Bosbaum blickte unterwürfig in alle Richtungen und dann kehrte das angespannte Schweigen wieder ein. Und nichts passierte. Das Vorkommen der Kolonne kam schon bald ins Stocken, das konnten sie hören. Motoren kreischten und die ersten Explosionen gingen durch Mark und Bein. Pioniere hatten die Straßen und Wege unpassierbar gemacht und vermint. Das hatte Max gewusst und nun erfuhren es auch die Amerikaner. Schüsse peitschten hell und dunklere Detonationen mischten sich dazwischen.

„Sollen wir nicht eingreifen?“, fragte Nonnemacher fast schon aufgebracht den Gruppenführer, und Zerbst fuhr ihn an an. „Nein. Wir haben unsere Befehle. Wir bleiben hier.“

Die Kämpfe, die wohl nicht viel mehr als einen Kilometer entfernt waren, wurden immer verbissener geführt. Es klang, als ob sie sich nicht mehr von der Stelle bewegten und sie dauerten immer weiter an. Max fand das alles wahnsinnig. Irgendwann mussten sich ihre Feinde doch zurückziehen. Aber das taten sie nicht. Die Erde, auf der sie lagen, bebte konstant unter der Macht der Bulldozer und der Wucht der Granaten. Als ob sich die Feinde mit schwerstem Gerät eine Bresche mitten in den Wald für ihre Panzer keilen wollten, und das im Dauerbeschuss der deutschen Soldaten. Explosionen. MG-Salven. Karabinerschüsse. Sogar Schreie trug der Wind ihnen zu. Ehrfürchtig und voller Grauen lauschten die jungen Soldaten dem erbitterten Kampf um die nächsten paar Meter Waldweg.

Die Kämpfe zogen sich bis tief in die Nacht hinein. Während Max und Hubert gemeinsam eine Zeltbahn über ihre Körper geworfen hatten, die sie vor dem Regen schützen sollte und in die Finsternis starrten, brach das nächste Gefecht irgendwo zu ihrer Linken aus. Eine Schießerei, die nach wenigen Schusswechseln scheinbar abflaute, aber dann wieder von Neuem losbrach. Wie in einem Gewitter flammte der Himmel immer wieder kurz auf, tauchte für Sekundenbruchteile die Welt in wirre Schatten und verlor sich wieder in absoluter Dunkelheit. Max und Hubert drückten sich näher aneinander. Der Boden war eine Schlammpampe und kühlte sie bis auf die Knochen aus. So konnten sie sich zumindest ein bisschen Wärme spenden, während sie warteten, bis die unvermeidliche Hölle auch sie verschlingen würde.

Die Hölle brach im Morgengrauen über sie herein. Als ein fernes Brodeln begann sie. Es war ein Geräusch, das Max nicht zuordnen konnten. Er schaute Hubert fragend an und auch die anderen unerfahrenen Soldaten blickten sich nach einer fast schlaflosen Nacht müde um. Zerbst und Bodden erkannten das Armageddon, von dem sie nur noch wenige Herzschläge entfernt waren, jedoch sofort.

„In die Höhle! Dalli!“, schrie Zerbst mit einer Panik in der Stimme, wie Max sie noch nie bei dem Unteroffizier gehört hatte. Seine Schützlinge steckte der Ton sofort an. Rucksäcke und Gewehre wurden eiligst geschultert und während das Brodeln binnen Sekunden zu einem nervenzerreißenden Tosen und Pfeifen anschwoll, stiegen die Grenadiere auf allen Vieren der Höhle entgegen. Die ersten nahen Einschläge kamen, als Max auf halber Strecke war. Nur Sekunden trennten ihn von dem hüfthohen Loch in der Felswand, das der rettende Unterschlupf war. Aber im Trommelfeuer der schweren Artilleriegeschütze waren das Ewigkeiten. Als um ihn herum die Welt unterging, paddelte er am steilen Hang auf allen Vieren dem rettenden Loch entgegen. Die Explosionen wollten sein Trommelfell zerreißen. Ganz nah wurde eine Gruppe gestandener Bäume in Stücke gerissen. Ein Ast, dick wie ein Oberarm, sauste an seinem Kopf vorbei und knallte gegen den Hang. Eine Druckwelle fegte über ihn hinweg und er hörte Schrapnelle dumpf in Holz und Erde einschlagen. Jemand schob Max am Hintern. Steine flogen ihm um die Ohren und prallten an seine Wange. Mit dem Kopf voran stürzte Max in den Unterstand. Hände griffen sich seine Schultern, um ihn hereinzuziehen. Max rappelte sich sofort auf und half dem Nächsten – Alfons Junghans – durch die Öffnung.

Drei Sekunden später war Zerbst der Letzte, der in ihren Unterschlupf kam. Hatte Bodden sie einmal Wölfe genannt? Verängstigte Kaninchen. Das waren sie nun, wie sie sich in dem niederen Rattenloch, das sich vielleicht drei oder vier Meter in den Berg hinein zog, zusammenkauerten; mitten in der Todeszone. Wie bei einem Unwetter hagelten draußen die Sprenggeschosse dutzend- nein hundertfach herab, Splitter zerschnitten die Luft und alles, was ihnen in den Weg kam. Die Welt bebte und erzitterte. Dreck rieselte unentwegt von oben auf sie herab, manchmal auch faustgroße Klumpen. Die Balken, mit denen die Höhle abgestützt war, ächzten bei nahen Einschlägen bedenklich.

Hektisches Atmen. Bald würde hier alles einstürzen und sie würden lebendig begraben werden, das war abzusehen. Eberl brabbelte Gebete. Bosbaum faselte ständig: „Hört auf. Hört auf“, vor sich hin. Bodden hatte sein Messer gezückt und kratzte in aller Seelenruhe Dreck unter den Fingernägeln hervor. Es machte Max wahnsinnig. Er wollte hier raus. Sein Körper machte sich wie eine gespannte Feder zum Sprung bereit. Lieber wollte er in tausend Stücke zerfetzt werden, als unter Tonnen von Gestein zu ersticken. Der feine Staub bildete zusammen mit dem Angstschweiß eine zähe Pampe in seinem Gesicht. Jetzt oder nie. Sein Atmen wurde zum Hyperventilieren. Eine Hand umgriff Max' Handgelenk fest wie ein Schraubstock. Er drehte den Kopf und blickte Hubert in die Augen. Er hatte wohl Max' Absicht erkannt und schaute ihn eindringlich an. Alle Spannung wich aus Max' Muskeln und Sehnen und Huberts Blick wurde wieder leer und in sich gekehrt. Er knetete seine Brusttasche. Wie absurd ihm sein Talisman unter dieser Wucht vorkommen musste.

Bodden hatte das mitbekommen und schaute Max direkt an. Sein Gesicht schien nur noch aus Augen zu bestehen. „Hört auf. Hört auf“, brabbelte Bosbaum immer weiter. Aber es schien, als ob die Amerikaner erst damit aufhören würden, wenn sie alle tot waren. Bald wäre es wohl soweit. So etwas konnte doch kein Mensch überleben. Aber dann – nach fast genau einer Stunde – war es vorbei. Eine gespenstische Stille kehrte ein, die nur vom Fiepen in Max' Ohren gestört wurde.

Schwefeliger Rauch hüllte die Welt ein wie ein giftiger Nebel, als die Gruppe Zerbst wieder aus ihrem Loch heraus kroch. Die geschundenen Bäume wirkten im Dunst wie groteske Skelette. Die Soldaten streckten sich, als ob sie sich vergewissern wollten, ob noch alle Gliedmaßen dran waren. Sie hatten es tatsächlich alle neun überlebt. Stellte sich nur die Frage, wie viele der 26 Trupps hier im Wald dasselbe Glück gehabt hatten. Man hätte glatt durchatmen können. Aber sie alle wussten, dass der Gewaltbeschuss nur eine Säuberung war für die bevorstehende Offensive. Max bekam zwar mit, dass Zerbst wieder mit dem Funkgerät hantierte, doch sein Gehör und sein Verstand waren zu betäubt, um zu verstehen, ob der Unteroffizier dieses Mal zu der Kompanieführung durch kam.

Er war es wohl, denn er schwor danach seine Schützlinge ein. „Jungs. Die Späher melden, die GIs kommen in Bataillonsstärke. Direkt hierher, auf uns zu. Ausschwärmen. Denen knöpfen wir einen hohen Blutzoll ab.“ Er sah die Angst in den Augen und grinste. „Heute verdient ihr euch eure Nahkampfspange, Männer.“

Bodden klopfte seinem persönlichen Schützling Nonnemacher auf die Schulter und auch Max versuchte sich Mut einzureden. Das war es doch, worauf ihn die außerfamiliäre Erziehung sein ganzes Leben lang vorbereitet hatte. Der Krieg würde für Hubert und ihn schmutzig beginnen. Die Soldaten verteilten sich in den Hängen der nahen Umgebung, um die anrückenden Fußsoldaten aus dem Hinterhalt zu beschießen und zu dezimieren, bevor sie die Bunkerlinie überhaupt erreichten. Jeder für sich alleine und doch im Rudel. Denn sie waren die Wölfe und dies war ihr Revier.

Max bezog eine Stellung an einem Seitenhang, tarnte sich und richtete sich ein. Er pflanzte das Bajonett auf sein Gewehr. Von seinen Kameraden war nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören. Er wollte mutig sein, denn deutsche Soldaten mussten doch tapfer sein und hatten niemals Angst. Aber dabei scheiterte er kläglich. Je mehr die Minuten vergingen, desto übler wurde ihm. Die Stunde der Wahrheit stand kurz bevor und Max hatte nicht das Gefühl, ihr gewachsen zu sein. Sein Finger zitterte am Abzug. Er glaubte, flüsternde Stimmen zu hören. Auch wenn es nicht viel mehr als ein Rauschen des Windes in den Bäumen war, war Max sich sicher. Sie klangen nicht Deutsch. Er versuchte ruhig zu atmen, doch selbst sein Zwerchfell bebte. Und dann kam der Albtraum wie eine Dämonenarmee aus dem Höllenschlund. Unverschämt leise tauchten die Fußsoldaten zwischen den Bäumen und dem Dunst des Artilleriefeuers auf, der sich noch nicht ganz verzogen hatte. Formlose Umrisse – Schatten gleich –, die mit jedem vorsichtigen Schritt, den sie taten, mehr Gestalt annahmen. Es mussten Hunderte sein. Die Waffen vor den Körpern gehalten und aufmerksam bis unter die Haarspitzen tasteten sie sich auf breiter Front durch das feindliche Gebiet.

Max drückte den Schaft seines Gewehrs an die Schulter und wusste, dass in der Umgebung acht Soldaten dasselbe taten. Wahrscheinlich mit demselben Gedanken: Ist das mein Ende? Der Finger krümmte sich am Abzug und eine verrückte Stimme in seinem Kopf wagte zu hoffen, dass die Amerikaner einfach an ihnen vorbei gingen und gar nichts passierte. Die irre Hoffnung wurde alsbald zunichte gemacht, als Zerbsts Maschinenpistole losratterte, was im nächsten Augenblick vom tiefen und durchdringenden Bellen Boddens schwerem Maschinengewehr überschrien wurde. Von allen Seiten wurden die Karabiner der restlichen Soldaten abgefeuert, und für einen Moment empfand Max die vielgepriesene Euphorie eines Raubtieres, als er seine ersten fünf Schuss schnell hintereinander abfeuerte und den nächsten Ladestreifen nachlud. Doch das Hochgefühl verging. Der Anblick, wie die Kugeln von Körpern aufgefangen wurden, die zu Boden gingen und sich vor Schmerzen krümmten oder einfach nur erstarrten, ließ ihn erschaudern.

Schon nach wenigen Sekunden lagen mehr als ein Dutzend Tote auf dem rauen Boden und Verwundete flehten in einer fremden Sprache um Hilfe. Doch die unversehrten feindlichen Soldaten waren wie vom Erdboden verschluckt. „Wo seid ihr?“, murmelte Max lautlos. Suchend schwenkte er den Lauf seines Gewehrs hin und her. Das Wimmern eines Getroffenen riss an seinen Nerven. Eine hastige Bewegung war da rechts von ihm. Nein, rief er in Gedanken. Eine drahtige Gestalt – zweifellos Seppi Tenhagen – kroch geschmeidig wie eine Echse hinter der Deckung eines Baumes hervor, um die Stellung zu wechseln. Wieso tat er das? Unruhiger Kerl, hatte Zerbst vor Stunden gesagt – und das war Tenhagen auch. Es waren nur noch zwei Meter bis zur nächsten Deckung. Max wagte es kaum zu atmen. Ein Meter. Ein einzelner Schuss peitschte. Tenhagen zuckte und blieb liegen. Nach einem Blinzeln konnte man nicht einmal mehr erkennen, ob es sich um eine Leiche oder um Gehölz handelte. Max war danach zu schreien, aber er musste ruhig bleiben und sich auf die Welt um ihn herum konzentrieren.

Zorn flammte in ihm auf und saugte ihm das Menschliche aus. Ohne zu wissen, wo sich ihre Feinde überhaupt verkrochen hatten, wurde wild und planlos geschossen. Max machte mit, aus dem blindwütigen Gefühl heraus, seinen Kameraden rächen zu müssen. Dass das Dummheit war, wusste er. Er riskierte durch solchen Blödsinn, seine Stellung zu verraten, und das ohne große Aussicht, etwas reißen zu können. Vielleicht war er sogar schon entdeckt. Der Feuerstoß eines Maschinengewehres zog eine Linie, in der Steinchen aufstoben und Holz splitterte. Doch das war nicht gefährlich nah. Was hätte Max nicht dafür gegeben zu erkennen, wo sich der Schütze befand. Geblendet von ohnmächtiger Wut feuerte er den nächsten Ladestreifen in ein Gestrüpp und lud nach.

Stille.

Absuchen.

Waren da Schritte? Nein. Doch nicht. Max atmete durch, denn er musste sich beruhigen. Plopp. Etwas titschte neben ihm auf wie ein Tannenzapfen, der von einem Baum gefallen war. Er schaute hin und riss die Augen auf, als er die Handgranate sah, die mit ihrer grünen Farbe fast mit dem Boden verschmolz. Reflexartig kippte er sich zur Seite und während er den Hang hinunterstürzte, zerriss die Detonation die Atmosphäre. Ein Splitter fauchte von seinem Helm ab. Um ein Haar hätte ihn das Bajonett seines Gewehres aufgespießt und als er vier Meter tiefer wieder Halt fand, droschen neben ihm Schüsse ein. Max warf sich hinter ein Felschen, das ihm gerade genug Deckung bot und schnappte nach Luft.

Seine Hände zitterten so heftig, dass er kaum sein Gewehr halten konnte. Trotzdem musste er schleunigst weg. Hier konnte er nicht bleiben, ohne Deckung nach hinten war er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Zehn oder fünfzehn Meter hinter ihm war eine Mulde, die besser war. Dort musste er hingelangen. Er sammelte Mut für den selbstmörderischen Sprint. Ein Schuss traf auf den Schutz gebenden Stein, prallte ab und pfiff über seinen Kopf hinweg, dann noch einer. Sie hatten ihn ausgemacht. Max holte den vielleicht letzten Atemzug seines Lebens, sprang auf und rannte. Gleichzeitig setzte wütendes Sperrfeuer ein, mit dem ihn seine Kameraden zu schützen versuchten. Die Zeit schien stillzustehen. Obwohl Max rannte wie nie zuvor in seinem Leben, sah er den toten Amerikaner unterhalb seines ehemaligen Verstecks. Vielleicht war er es, der die Handgranate geworfen hatte. Etwas rauschte wie ein eisernes Moskito vor seiner Nase vorbei, dann ließ er sich bäuchlings nach vorne fallen. Er stöhnte seine Erleichterung, die sich mit Panik und Schmerzen vermischte, heraus und nahm sein Gewehr wieder in Anschlag. Denn das Morden musste weiter gehen.

Das Scharmützel dauerte nur wenige Minuten. Für Max war es eine Unendlichkeit. Statt sich auf Kleinkämpfe einzulassen, hatten die Amerikaner die Heckenschützen hinter sich gelassen und gingen unaufhaltsam ihrem Hauptziel entgegen. Man hätte denken können, dass die Verluste bis dahin kalkuliert waren. Lange, nachdem die grüne Wand aus feindlichen Soldaten an ihnen vorbeigezogen war, warteten die Sturmgrenadiere der Gruppe Zerbst noch ab, um sich vor Zurückgebliebenen, die ihre Gruppen absicherten, zu schützen. Erst dann pfiff der Unteroffizier zwischen den Zähnen, um seine Männer zu sammeln. Es hatte viele Tote gegeben, deshalb konnten sie den Hinterhalt wohl als Erfolg verbuchen, auch wenn das in Bezug auf die schiere Masse der Angreifer nur ein Tropfen auf den heißen Stein war.

Obwohl in ihrer unübersichtlichen Lage jeder Umweg eine Lebensgefahr war, konnte Max nicht anders. Während die Gruppe sich zum Sammeln aufmachte, erklomm er einen kurzen Aufstieg zu seiner Rechten, um dorthin zu kommen, wo Seppi Tenhagen zusammengebrochen war. Vielleicht war ja noch nicht alles verloren. Aber diese vage Hoffnung fiel schnell in sich zusammen. Reglos lag die einstige Frohnatur auf dem kalten Gestein. Beide Arme waren nach vorne gestreckt, als wolle er nach dem Erdwall greifen, hinter dem er sich hatte verstecken wollen. Seine grünen Augen wirkten so lebendig, als hätten sie noch nicht verstanden, dass alles vorbei war. Max brachte es nicht übers Herz, sie ihm zu schließen. Er nahm ihm die Erkennungsmarke ab und steckte sie ein. Ein letzter Blick, eine Träne, dann zwang er sich dazu, seinen Kameraden hinter sich zu lassen.

Treffpunkt war wieder der Posten, wo sie auch die ganze Nacht verbracht hatten. Dort, wo der Überblick gut war und die gedeckte Lage recht sicher. Max fiel ein Stein vom Herz, als er lebendig dort ankam. Er warf Hubert ein erzwungenes Lächeln zu, auch wenn ihm nach nichts weniger zumute war. Das Stöhnen und Jammern von Verwundeten aus der Nähe versuchte er auszublenden. Das war nicht ihr Bier. Bodden nahm ihn grob in den Arm. Er stank nach Schießpulver. „Haim, du Teufelskerl. Dass du da lebend rausgekommen bist.“

Max nickte gequält. Warum es ihn noch gab, wusste er auch nicht so recht. „Tenhagen ist aber tot. Ich hab's gesehen.“ Er holte Seppis Marke und gab sie an Zerbst weiter.

Betretenes Schweigen.

Bodden brummte: „Dann sind wir ja vollzählig.“

„Ja.“

Zerbst fummelte am Funkgerät herum und versuchte Kontakt herzustellen. Irgendwo, auf der anderen Seite des Hügels, flammte wieder eine Schießerei auf.

„Wir müssen uns um die Verwundeten kümmern“, sagte Hubert leise.

Bodden lachte. Doch als Hubert nicht wie erwartet verlegen zur Seite blickte, seufzte der Haudegen genervt. „Hast du einen Nagel bei dir, Thielmann?“

Hubert schaute Bodden fragend an, und Bodden hakte nach: „Hast du?“

„Ja. Ich glaube irgendwo schon. Warum?“

„Dann pack mal deinen Nagel aus und hämmere deine lächerliche Vorstellung von Soldatenehre da vorne an den nächsten Baum. Das sind nur Sprüche, um die Heimatfront zuhause ruhig zu halten. Wenn die Amis Eier haben, kümmern sie sich selbst um ihre Leute, bevor sie verrecken. Und wenn nicht ...“ Er machte eine wegwerfenden Handbewegung.

„Arschloch“, raunte Hubert, und Bodden drehte ruckartig den Kopf. Für einen Moment blieben ihre Blicke aneinander kleben.

Zerbst hatte sein Funkgespräch gerade beendet. „Weiter, Jungs. Wir sind Soldaten. Und keine Samariter.“

5

Es war eine brisante Mischung aus Angst, Entsetzen und einer nicht greifbaren Wut auf alles und jeden, die an Max nagte, als sich die Gruppe Zerbst nun in einem widerlichen Nieselregen weiter durch ihren Wald schlug, während um sie herum immer wieder neue Gefechten aufflammten und wieder in sich zusammenbrachen. Aber was hieß das schon, wenn jeder Schuss einen Toten bedeutete. Und wenn der nächste Schuss vielleicht für Max bestimmt war. Immer weiter folgten sie den Amerikanern, die einfach hier hergekommen waren, um Seppi Tenhagen zu ermorden. Schon bald würden diese auf die Hauptverteidigungslinie treffen, auf die Kameraden in den gesicherten Stellungen. Und dann würde die Kompanie der Sturmgrenadiere – oder was noch von ihr übrig war - die Invasoren von hinten und aus den Flanken angreifen.

Ein Donnerschlag drang durch den Wald, gefolgt von einem Schmerzensschrei, der aber sogleich in ein Jammern überging und verebbte. Boddens Augen leuchteten. Andere der Gruppe schauten beklommen drein. Es hatte wohl gerade eine ihrer Sprengfallen ihren Zweck erfüllt. Zumindest gab das einen Anhaltspunkt, wo sich ihre Feinde nun befanden. Runterschlucken und weitergehen. Denn Zerbst und Bodden trieben sie gnadenlos voran. Die Blicke gingen gehetzt von links nach rechts und von rechts nach links, als sie den Amerikanern hoffentlich in gebührendem Abstand folgten. Von allen Seiten waren nun Schüsse und Detonationen zu hören, die es, genauso wie der einsetzende Regen, der auf die Stahlhelme prasselte, schwer machten, nach verräterischen Geräuschen in der Umgebung zu lauschen.

Der Regen machte nun das Fortkommen schwieriger. Als sich der Trupp einen Berghang hochtastete, machte es ihnen der morastige Boden fast unmöglich, lautlos zu bleiben. Immer wieder erklang das Ratschen von rutschenden Stiefeln auf nassem Untergrund und das leise Fluchen von überreizten Soldaten, das vom Zischen eines oder mehrerer Kameraden unterbrochen wurde. Manchmal musste Max sich an einer Wurzel oder einem Zweig hochziehen, um weiter voranzukommen. Jeden Augenblick rechnete er damit, in die Mündung eines Gewehrs zu blicken, das sein Leben beenden würde. Es mischten sich nun auch wieder vereinzelte schwere Einschläge in die Dissonanz aus peitschenden Gewehrschüssen und leichten Granatexplosionen. Ohne dass es jemand aussprach, wurde den Soldaten bewusst, dass sie nun sogar in den Beschuss der eigenen Kameraden gerieten. Sie waren schließlich mitten im Feindgebiet. Auf sie würde keine Rücksicht genommen werden.

In tiefer Haltung – fast schon kriechend – wandte sich Hubert zu Max um. In seinem Gesicht, in dem Regenwasser Spuren in den Dreck gezeichnet hatte, deutete sich ein Lächeln an. Nicht viel mehr, als ein Zucken der Mundwinkel und zu verkrampft, um echt zu wirken, aber in einem solchen Schrecken war das zumindest ein Schimmer der Normalität. Max versuchte zurückzulächeln, um auch seinem besten Freund einen Hauch Aufmunterung zu schenken, da peitschte ein Schuss. Im selben Moment heulte jemand fürchterlich auf. Max, Hubert und die anderen Kameraden stoben instinktiv auseinander und suchten Deckung. Der schweigsame Eberl blieb auf der Stelle und wälzte sich schluchzend auf dem Boden hin und her. Zerbsts Maschinenpistole und wenige Momente später auch Boddens Maschinengewehr ließen Holz splittern und wirbelten Blätter, Äste und Zweige herum. Auch Max feuerte drauf los. Das ging zwei oder drei Minuten, ehe die Soldaten nach und nach das Feuer einstellten.

Dann setzte eine Stille ein. Nur Eberl heulte. Wie auf Absprache setzte das Rattern Boddens schweren Maschinengewehres wieder ein und es schien, als wolle er den ganzen Eifelwald niedermachen. Gleichzeitig krochen Zerbst und Junghans aus ihren Verstecken hervor und schnappten sich Eberl unter den Achseln. Unter einem furchtbaren Aufjaulen des Verletzten zogen sie ihn die wenigen Meter heraus aus der freien Schusslinie. Max konnte gar nicht glauben, dass die beiden das überlebt hatten. Aber während der fünf Sekunden, die das alles gedauert hatte, war kein feindlicher Schuss gefallen. Vielleicht hatten sie den Scharfschützen ja wirklich erwischt.

Alle seine Sinne befahlen Max in seiner einigermaßen sicheren Deckung liegen zu bleiben. Doch das war natürlich feige. Er kroch dorthin, wo sie Eberl gezogen hatten. Im Schutz von dichtem Gesträuch lag er da. Wenige Meter davor lagen Nonnemacher und Bodden, um abzusichern. Junghans hatte sich hinter Eberl gekniet und dessen Kopf in seinen Schoß gebettet, sein Stahlhelm lag daneben. Eberls Gesicht war blass und sah fiebrig aus. Regenwasser prasselte auf ihn und legte sich wie ein Schweißfilm auf seinem Gesicht. Seine Uniform war am Bauch hochgezogen und offenbarte eine Schusswunde am seitlichen Bauch, die Zerbst und Hubert mit den begrenzten Mitteln ihrer Verbandspackungen verarzteten. Max konnte nichts anderes tun, als seinem Kameraden, zu dem er wegen dessen Schweigsamkeit nie einen richtigen Zugang gefunden hatte, die Hand an die Schulter zu legen und „Alles wird gut“ zu flüstern. Es war ein dummer Satz in dieser Lage. Doch Eberl nickte dankbar. Selbst sein Kinn zitterte dabei. Zerbst und Hubert legten einen Verband an, der das Verbluten zumindest hinauszögerte.

„Gut“, murmelte Zerbst, als sie fertig waren.

„Bringen wir ihn raus“, flüsterte Junghans.

Zerbst schwieg. Hubert war anzusehen, dass er das Dilemma durchschaute, und auch Max schwante Übles. Junghans schob ein zaghaftes: „Oder?“ hinterher.

Bosbaum seufzte. „Wohin willst du ihn bringen?“

„Na ...“ Junghans blickte hilflos drein. „Raus halt.“

„Wir gehen weiter“, sagte Zerbst mit höllischer Bitternis.

Alle schwiegen. Nur Eberl sog tief Luft ein.

„Du ...“, wollte Junghans seinen Gruppenführer anschnauzen, aber Zerbst fuhr im scharf ins Wort.

„Wir können ihn nicht rausbringen. Zwischen uns und unseren Sanis sind ein paar hundert, oder sogar tausend GIs.“

„Und ... wenn ... wir ... Richtung ... Norden ...“, sinnierte Junghans, doch Zerbst zog einen Schlussstrich: „Wir haben unsere Befehle. Da können wir uns den Zeitverlust nicht erlauben.“ Er dachte kurz nach. „Wir bringen ihn vorne hin, wo man ihn sieht, und dann nehmen ihn die Amis vielleicht mit.“

Für Max war das vielleicht noch ein größerer Schock als all das Töten, das er bisher erlebt hatte, als sie ihren Kameraden, dessen Überlebensmöglichkeiten gar nicht schlecht waren, für die Sache opferten. „Ihr tut das nicht wirklich?“, presste Eberl hervor, als sie ihn aus der Deckung zerrten und gut sichtbar an einen Baumstamm lehnten. Tränen liefen ihm über die Wangen und Max schaffte es nicht, seinem Kameraden, den sie zum Sterben zurückließen, in die Augen zu schauen. Er hörte Hubert „Viel Glück“ murmeln und schämte sich zu Tode. „Ich will nicht in Gefangenschaft. Bitte“, flehte Eberl. Das Hecheln des Verratenen fühlte sich an wie eine Anklage. Was waren sie nur für Kameraden? Die hofften, dass ihre Feinde gnädiger zu ihren Verwundeten waren als sie selbst.

Mit den Gewehren im Anschlag gingen sie weiter. Die Anwesenheit des Scharfschützen, der nur auf die passende Gelegenheit wartete, war zu fühlen. Vielleicht war es sogar eine ganze Kompanie und die Frage war nur, wer der Nächste sein würde. Auch als sie Eberl weit hinter sich gelassen hatten, fraß sich der Hass in Max fest. Auf Zerbst, der befohlen hatte, ihn zurückzulassen, auch wenn ihm natürlich gar keine andere Wahl geblieben war. Und auf Bodden, den solche Dinge gar nicht zu jucken schienen - und auf sich selbst. Auf die Ohnmacht, mit der er das alles hingenommen hatte.

Es konnte gar nicht mehr schlimmer kommen, dachte Max. Aber es kam schlimmer. Die Amerikaner, denen sie folgten, kamen nun wohl der Hauptverteidigungslinie näher, denn vor ihnen brach die Hölle los. Die steten Gewehrschüsse wurden übertönt von Granatdauerfeuer, durchzogen vom dumpfen Puffen der Mörser. Kein Mensch konnte dort hinwollen. Und doch war es ihr Ziel, den anrennenden Amis dort in den Rücken fallen. Doch in den Brennpunkt des Geschehens zu dringen, war für die sieben Übriggebliebenen gar nicht so leicht. An Truppen, die nach hinten absicherten, rieben sie sich schon bald auf. Es war eine Schießerei ohne Sinn und Verstand. Sie kamen zwar keinen Meter mehr vorwärts, aber zumindest erlitten sie während der nächsten Stunden auch keine weiteren Verluste mehr. Als noch größere Gefahr als die Amerikaner stellte sich nun der Beschuss der eigenen Kameraden heraus. Sie waren mitten unter Feinden. Ohne Rücksicht feuerten Granatwerfer aus deutschen Stellungen ihre Ladungen in hohem Bogen in den Wald und ließen sie in den Baumwipfeln zerbersten. Schrapnelle, Holzsplitter, Äste und ganze Baumkronen, die herab brachen wurden zu mörderischen Geschossen, die einem in jedem Moment das Leben nehmen konnten. Für Max kam die Erkenntnis, wie unwichtig sie eigentlich waren. Keinen interessierte es, wenn einer oder sie alle zwischen den Amerikanern von den eigenen Leuten getötet werden würde. Sie waren ein Rädchen im System und sie waren ersetzbar.

Die Kampflinie verlagerte sich nun nicht mehr. Gegen die in erhöhten Hanglagen befestigten und getarnten Bunker, die mit ganzen Bataillonen an Landsern besetzt waren und teils auch mit schwerer Infanteriebewaffnung, bissen sich die Angreifer die Zähne aus. Obwohl Max und sein Trupp keine fünfhundert Meter davon entfernt waren, bekamen sie in ihren Löchern, aus denen sie auf alles schossen, was sich bewegte, nichts mit. Durch die dicht stehenden Bäume ließ der Schlachtlärm eher erahnen, was da vorne geschah. Zum ersten Mal war Max ganz froh darum, nicht aus der vermeintlichen Sicherheit der Verteidigungsbunker heraus zu kämpfen, denn auch die Amerikaner hatten schwere Geschütze angeschleppt. Nicht auszumalen, wie viele seiner Kameraden gerade in diesen Momenten unter Tonnen von Beton verschüttet wurden. Daran, dass er lebend hier herauskommen würde, glaubte er nicht mehr. Aber zumindest wollte er unter freiem Himmel sterben.

Die erste Schlacht am Westwall dauerte den ganzen Tag. Ohne vernünftigen Schutz rannten die Amerikaner an. Und rannten an. Und rannten an. Es waren wohl eher Tausende von ihnen, die an diesem Tag starben als Hunderte, und auch bei den Deutschen waren die Verluste sicherlich groß. Doch gegen Abend wurde es still. Die feindliche Offensive entpuppte sich als Desaster und der Angriff war abgepfiffen worden. Man konnte sich nur die Augen reiben, wie wertlos hier, in der Verdammnis des Eifelwaldes, ein Menschenleben war. Es grenzte an ein Wunder, dass sie diesen Tag zu siebt überlebt hatten, als sie sich wieder in ihren Wald zurückzogen, um ein Biwak aufzuschlagen. Auf ihrem Weg passierten sie auch den Ort, an dem sie ihren verwundeten Kameraden Eberl zurückgelassen hatten. Er saß noch genauso da, wie sie ihn verlassen hatten. In der Hand hielt er eine Rosenkranzkette. Wie er an den Stein gelehnt war und sein Kinn auf der Brust lag, sah es aus, als würde er schlafen. Aber natürlich tat er das nicht. Zwei Kinder hatten ihren Vater verloren. „Diese verdammten Amis“, brummte Zerbst und Bodden fügte an: „Dafür werden sie büßen.“

Doch Max dachte: 'Wir haben dich verraten.'

Tief in der Nacht lagen Max und Hubert nebeneinander auf dem Boden auf der Wacht, während hinter ihnen ihre Kameraden schliefen. Der Regen hatte noch immer nicht aufgehört und prasselte auf die Zeltplane ein, die sie über sich gelegt hatten. Max' Hand am Griff des Maschinengewehres hatte schon lange kein Gefühl mehr und schon lange hatten Hubert und Max kein Wort miteinander geredet. Hubert hatte seit den Kämpfen ohnehin kaum ein Wort mehr geredet. Sie lauschten konzentriert, was um sie herum geschah. Schlachtlärm drang von weit her. Vielleicht von den Kämpfen um Aachen oder Düren. Auch in der näheren Umgebung wurde noch gekämpft und gestorben. Aber hier, in ihrem Wald, schien die Welt ruhig zu sein.

„Scheiß Tag. Oder?“, raunte Max irgendwann, weil ihm Huberts Schweigsamkeit der letzten Stunden unheimlich war. „Hm“, machte Hubert. Max stupste ihm mit dem Stiefel an den Knöchel, aber Hubert reagierte nicht. Vielleicht war es der Verrat an Eberl, der Hubert zusetzte. Der Glaube an die Ehre unter Soldaten hatte ihn immer angetrieben, und nun hatte er so etwas miterleben müssen.

„Wir mussten Eberl zurücklassen. Das weißt du. Oder?“, probierte es Max auf gut Glück. Er erwartete keine Antwort und lange schien es, als ob er keine bekommen würde. Da flüsterte Hubert: „Er hätte überleben können. Hat bestimmt noch stundenlang vor sich hinvegetiert.“

„Vielleicht. Aber die Amis haben uns den Weg zu unseren Leuten verbaut. Wir hatten keine Möglichkeit ohne riesigen Umweg. Und dann hätten wir unsere Aufgabe nicht mehr erfüllen können.“

„Ha“, lachte Hubert bitter. „Ohne uns wäre das heute nicht anders ausgegangen. Wir werden hier nicht mal gebraucht. Ob wir paar Hanseln verrecken oder überleben, juckt keinen. Unsere eigenen Leute schießen Artilleriegranaten auf uns.“

„Psch“, machte Max, weil Hubert den letzten Satz zu laut gezischt hatte. „Wir sind hier halt im Feindgebiet. Wir sind die Speerspitze. Davon haben wir doch immer geträumt.“

„Geträumt … Eberl hat davon geträumt, Organist zu werden. Und Tenhagen Mechaniker.“

Max ließ die Worte auf sich wirken und fragte sich, warum die jungen Männer hier im Wald nichts Besseres zu tun hatten, als sich gegenseitig totzuschießen.

6

An ein normales Leben war während der nächsten beiden Tage nicht zu denken. Obwohl die Offensive vorerst abgebrochen worden war, mussten die Sturmgrenadiere um den Unteroffizier Zerbst ihr lächerliches Waldstück weiter verteidigen. Und die Amerikaner hatten wohl, während sie den nächsten Schlag planten, ebenfalls Spezialeinheiten in diesem Wald eingesetzt, die anscheinend keine andere Aufgabe hatten, als ihnen den Garaus zu machen. Sie hatten wohl doch mehr Eindruck hinterlassen, als es ihnen lieb war. So entwickelte sich nun ein schreckliches Katz-und Mausspiel. Jäger wurden binnen Minuten zu Gejagten und Gejagte zu Jägern. Nachdem Heinz Bosbaum durch einen Granatexplosion furchtbar verstümmelt worden und während des Versuches, ihn aus dem Wald heraus zu tragen, verblutet war, hatte Zerbst endlich Ersatz für die drei Gefallenen zugesagt bekommen.

„Haim, du kommst mit, du kennst dich auf dem Weg gut aus. Wir holen die armen Schweine ab“, sagte Zerbst am Morgen des dritten Tags. Max war froh und auch ein bisschen stolz. Er hielt viel von dem Unteroffizier und es machte auch den Anschein, dass Zerbst Max mochte. Möglicherweise war das ein Grund, warum er Max mitnahm, sicher jedoch, weil Max von ihnen allen den Weg am besten kannte. Denn es war fast genau derselbe Weg , auf dem Max häufig den Wald verlassen hatte, um sich mit Konstantin zu treffen. Der Treffpunkt war ausgerechnet der Graben jenes Baches, in dem er sich jedes Mal gebadet hatte.

Hubert blickte weniger erfreut drein, als Zerbst vor versammelter Gruppe das Kommando an Bodden übergab, der den nächsthöheren Rang hatte. Im Gegensatz zu Bodden, der zufrieden den rechten Mundwinkel nach oben zog. 'Wird auch langsam Zeit', hätte er genauso gut sagen können.

Hubert maulte daraufhin: „Was für eine Kacke. Ausgerechnet der Vergewaltiger.“

„Halt die Fresse, oder ich mach dich alle“, schimpfte Bodden zurück, und Hubert grinste ihm direkt ins Gesicht.

Wie es weiterging, bekam Max nicht mit. Schnell hatten er und Zerbst ihr Marschgepäck zusammen und tauchten ohne viele Worte im Wald unter. Inzwischen hatte Max sich mit der ständigen Lebensgefahr abgefunden. Er stand nicht mehr jede Sekunde kurz davor, wahnsinnig zu werden. Routiniert hielten sich die beiden gedeckt, verständigten sich fast nur mit Handzeichen und kamen schnell voran. Hier – auf seinem Weg - fühlte Max sich sogar sicher. Er wollte dem altbekannten Pfad folgen, aber Zerbst hielt ihn zurück.

„Da sind wir auf dem Präsentierteller“, wisperte er und wies auf den Wald zur Rechten. Max nickte und sie verließen den Weg. Sie verursachten kaum ein verräterisches Geräusch, als sie mit mehreren Meter Abstand durch das Unterholz schlichen. Zugute kam den beiden, dass im Süden wieder schwerere Kämpfe ausgebrochen waren, deren Getöse das leise Knacken der Zweige unter ihren Füßen recht zuverlässig übertönte. Eine kurze Pause nutzten Max und Zerbst, um sich Schlamm ins Gesicht schmierten, von dem es bei dem Sudelwetter zum Glück genug gab. Zerbst gab danach mit der Mündung seiner Maschinenpistole die Richtung vor und sie gingen weiter.

Sie kamen zwar weit vom eigentlichen Weg ab, aber das war in Ordnung. Max kam es so vor, als ob er einen neuen Sinn für die Orientierung entwickelt hatte. Er glaubte zumindest immer zu wissen, wo sie gerade waren und wo sie hin mussten. Etwas raschelte. Max stockte. Er blickte zu Zerbst, der in seinem Schritt erstarrt war und suchend die Maschinenpistole schwenkte. Max kniete sich auf den Boden und suchte mit vorgehaltenem Karabiner die Umgebung ab. Nichts. Durchatmen. Ein Kopfnicken. Weiter. Max wollte den Kopf von seinem Gruppenführer abwenden, da sah er die Schnur, die direkt vor Zerbsts Knien zwischen zwei Bäumen gespannt war. „Achtung, Herbert!“, zischte er scharf. Zerbst riss seinen Kopf herum. Einen Pulsschlag lang blickte er Max mit gespannter Ungeduld an. Fast in derselben Bewegung hob er das Bein. Instinktiv warf sich Max auf den Boden. Sein geschrienes „Nein!!!“ ging in der Explosion unter, die die Stille zerriss. Etwas streifte seinen Oberarm und hinterließ einen brennend heißen Schmerz. Max drückte seine Hand auf die Stelle und fühlte sofort die Nässe von Blut. Er hob den Kopf und sah wenige Meter von sich entfernt den Unteroffizier Zerbst. Die Sprengfalle hatte ihn in mehrere Teile zerrissen.

Max wollte schreien. Aber er war wie erstarrt und es kam kein Ton heraus. Er schaffte es nicht einmal zu atmen. Sein Arm brannte wie verrückt und das Blut verklebte die Wunde mit dem Stoff des Ärmels. Doch das war jetzt nicht wichtig. „Scheiße. Scheiße. Scheiße“, jammerte er vor sich hin. Er taumelte einen Schritt auf seinen Unteroffizier zu. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren. Aber diese Hoffnung war Quatsch. Zerbsts Unterleib war bis zum Bauchnabel nicht mehr vorhanden. 'Es ist schnell gegangen', redete sich Max ein. Für ihresgleichen war das vielleicht die einzige Gnade, auf die sie hier noch hoffen konnten. Es dauerte viel zu lange, ehe er sich darüber bewusst wurde, wie schutzlos er da war, wo er jetzt stand. Dann hastete er ins Gebüsch, ging dort in die Hocke, zog die Jacke aus und krempelte den Ärmel hoch. Zum Glück hatte der Splitter seinen Arm nur gestreift. Er kramte sich eine Verbandspackung aus dem Rucksack und begann dann ungeschickt mit linker Hand und Zähnen seine Wunde zu verbinden.

Es half alles nichts. Dass Zerbst nun tot war, änderte nichts daran, dass er den Auftrag zu Ende bringen musste. Da saßen am Bach hoffentlich drei Soldaten, die es zu holen galt. Es widerte Max an, noch einmal zu Zerbst Leichnam zu gehen. Er tat es dennoch und nahm ihm die Maschinenpistole und die Munitionstasche mit den 9-Milimeter-Patronen ab. Ebenso nahm er die Erkennungsmarke an sich.

Die Schnellschusspistole, die er nun schussbereit vor dem Körper hielt, gab ihm zumindest ein kleines bisschen mehr Sicherheit; auch wenn er wusste, dass der Schuss, der ihn in jedem Moment töten konnte, aus dem Nichts kommen würde. Was wohl seine Mutter und seine kleine Schwester Traudel gerade machten? Und der alte Ferdinand? Das Bild in seinem Kopf tröstete ihn und schmerzte gleichermaßen, als er an seinen knurrigen, Pfeife rauchenden Vater dachte. Ob sie wohl gerade an ihn dachten? Der Gedanke, sie wahrscheinlich nie wieder zu sehen, zerriss ihm das Herz.

Max musste buchstäblich über Leichen gehen, um den Wald zu verlassen und seine Mission zu erfüllen. Er kam durch ein Areal, in dem ein schwerer Kampf stattgefunden hatte. Deutsche, Amerikaner, Freunde, Feinde, Schwarze, Weiße. Im Tod schienen sie seltsam vereint. Es fiel ihm schwer, das Unübersehbare zu ignorieren, das mit einem unheilvollen Geruch aus Schwarzpulver und verwesendem Fleisch unterstrichen war, und sich dabei auf sein eigenes Überleben zu konzentrieren. Bloß nicht in einen Hinterhalt laufen. Immer unsichtbar bleiben. Und auf diese gottverdammten Sprengfallen aufpassen. Er wollte die nächsten Minuten überstehen, vielleicht noch die nächsten Stunden und diese drei Soldaten finden. Weiter wollte er lieber nicht denken. Es hätte ihn verrückt gemacht.

Statt wie beim letzten Mal über das offene Gelände zu gehen, blieb Max am Waldrand und ging dort entlang. Selbst jetzt, wo die großen Kämpfe gerade ruhten, drangen Detonationen und Schüsse von allen Seiten zu ihm durch. Schwarze Rauchschwaden zogen über das Wiesenland und er fragte sich, ob auch schon einige der Dörfer zerstört worden waren. Als der Lauf des Baches seinen Weg kreuzte, an dem das Treffen vereinbart war, stieg er hinunter in den Graben und folgte dort dem Wasserlauf, der war größtenteils von Bäumen und Gestrüpp umgeben war. Max hoffte, sich dort ungesehen bewegen zu können. Bis zum Knöchel umgurgelte das strömende Wasser seine Stiefel. Aber als er sich dem Treffpunkt näherte, war auch noch etwas anderes zu hören. Max konnte es kaum fassen. Er hatte noch keinen Sichtkontakt, trotzdem konnte er zuhören, wie sich mehrere Leute unterhielten.

Erst war da Stimmengewirr, das keiner Sprache zuzuordnen war, dann, als er näher kam, nahmen die Worte Form an.

„Sind bestimmt schon abgekratzt“, mutmaßte einer und lachte nervös. „Gib mal die Leberwurst.“

„Und wenn es so ist?“, fragte eine andere Stimme und die erste entgegnete: „Über Nacht bleib ich jedenfalls nicht hier. Ich geb' denen noch zwei Stunden, dann ...“

In seiner Tarnung konnte Max sich bis auf wenige Meter heranschleichen und sie zwischen den Zweigen eines Buschs hindurch beobachten. Vor ihm saßen drei Soldaten im Bachgraben, machten Brotzeit und unterhielten sich in einer Lautstärke, als ob hier nicht überall der Feind lauern würde. Diese Sorglosigkeit machte Max wütend. Dazu kam noch die Wunde an seinem Arm, wo die Schmerzen nun zu einem flammenden Jucken geworden waren, das ihn beinahe wahnsinnig machte. 'Ihr Idioten', dachte er in sich hinein. So würden sie die Mord-Hölle, die vor ihnen lag, sicher nicht lange überleben und für die anderen waren sie auch eine Gefahr. Er nahm sich einen faustgroßen Stein und warf ihn genau zwischen den drei Vespernden in den Bach. Wasser spritzte auf. Als ob eine Giftschlange ihren Kopf aus dem Wasser gestreckt hätte, sprangen die Drei schreiend auseinander, warfen sich auf den Boden und schlangen ihre Arme um die Köpfe. Langsam kam Max aus seinem Versteck hervor. „Reißt euch zusammen, ihr Spinner“, schimpfte er.

Erschrockene Gesichter schauten Max an, was sich in Missmut änderte, als die drei Soldaten erkannten, mit was für einem Pimpf, der locker drei, vier Jahre jünger war, sie es hier zu tun hatten.

„Was fällt dir ein, dich so aufzuspielen?“, fragte ein Gefreiter mit schwäbischem Dialekt und Max winkte ab. Sein Puls beruhigte sich wieder.

„Bist du alleine?“, fragte ein anderer – ein Oberschütze – überrascht.

„Ja. Nein.“ Er ging zwischen den Dreien in die Hocke. „Ich war mit unserem Gruppenführer, dem Unteroffizier Zerbst unterwegs. Er ...“ Max schaute dem Schwaben - dem Gefreiten Kienlein, der vor seinem Auftauchen die große Klappe gehabt hatte, in die Augen. „Er hat den Weg hierher nicht überlebt.“

Geschocktes Schweigen. Offene Münder. In der Ferne knatterte ein Maschinengewehr. Vielleicht schwante den dreien erst jetzt, wo sie hier rein geraten waren. Max nahm vom Oberschützen, der sich ihm als Wörz vorstellte, eine Scheibe Leberwurstbrot entgegen und sagte: „Hier wimmelt es von feindlichen Soldaten. Wenn ihr das nicht ernst nehmt, seid ihr bald tot.“

Er führte sich das Brot zum Mund und zischte Luft zwischen den Zähnen ein, als durch die Beugung des verwundeten Armes der Schmerz wie eine Messerklinge zustach. Der dritte im Bunde, der sich als Grenadier Oberländer entpuppte, sah das und auch das Blut, das durch den Verband hindurch schon das Uniformhemd rotbraun färbte. „Zeig mal.“ Max ließ ihn gewähren. „Das sieht ja furchtbar aus“, sagte er, nachdem er den Verband, den Max selbst angelegt hat, inspizierte. Er nahm Max den Verband ab, wusch ihm die Wunde aus und verband ihn neu.

Während Max seine neuen Kameraden zum Biwak der Gruppe führte, erkannten die Neulinge zum Glück schnell den Ernst der Lage. Der Wald strahlte eine Gefahr aus, die keinem entgehen konnte. Und die Leichen taten den Rest. Max ging voraus und dieses Mal hielt er Ausschau nach dünnen, kaum sichtbaren Drähten, die zwischen den Bäumen gespannt waren und deren Sprengladungen sie bei Berührung in die Luft sprengen würden. Aber auf dem Rückweg fand er keine. So konnte er seine Schützlinge nicht viel mehr als zwei Stunden nach dem Aufbruch in die Gruppe eingliedern.

„Wo ist Zerbst?“, fragte Nonnemacher noch bevor sich jemand um die Neuen scherte.

„Tot“, sagte Max. „Eine Sprengladung.“

„Könnt ihr nicht aufpassen?“, motzte Bodden und nahm Max wie selbstverständlich Zerbsts Maschinenpistole ab. Max war wegen des Tonfalls kurz davor, in die Luft zu gehen. Aber er versuchte ruhig zu bleiben.

„Das war keine Sprengfalle von uns.“

Bodden nickte nachdenklich. „Scheint so, als hätten uns die Schweine Geschenke hinterlassen. Könnte auch Tretminen geben.“ Max wurde heiß und kalt, und Bodden sinnierte weiter: „Na gut. Der Zerbst war als Gruppenführer eh zu verweichlicht. Jetzt werden andere Seiten aufgezogen. Nonnemacher, du bist jetzt Schütze Eins. Junghans: Schütze Zwei.“

'Klar', dachte Max. 'Und du bist jetzt der Gruppenführer, Bodden.' Als nächsthöherer Rang hinter Zerbst stand ihm das zu. Jetzt konnte es richtig schlimm werden. Bodden unterstrich die Befürchtung, als er seine Soldaten um sich scharrte. „Männer. Die haben mit ihrer Hinterhältigkeit unseren geliebten Unteroffizier Zerbst gemeuchelt. Das riecht nach Rache. Oder?“

Zustimmendes Gemurmel.

„Ab sofort gibt es keine Gnade mehr und kein Zurück. Wir stellen uns jedem Kampf, bis zum letzten Atemzug. Sieg oder Tod!“

„Sieg oder Tod“, wiederholte Nonnemacher mit leuchtenden Augen und Bodden lächelte.

„Jetzt heißt es Amis abknallen. Ohne Gnade.“ Ein undurchschaubares Lächeln. „Für Zerbst und unseren Führer.“

„Für Zerbst und unseren Führer“, war die Antwort und dieses Mal war mehr Begeisterung dabei.

Als die Gruppe Bodden später am Tag auf Patrouille durch ihren Wald schlich, nagte die Sorge in Max. Viel schlimmer hätte es wirklich nicht kommen können. Zerbst war als Gruppenführer umsichtig gewesen und hatte das Leben zumindest so weit geachtet, wie es hier möglich war. Boddens Geist war zerfressen von Hass, Verbitterung und Pervitin. Er würde sie treiben, bis sie alle tot waren. Aber was zerbrach er sich darüber den Kopf. Max war Soldat und es stand ihm nicht zu, zu hinterfragen. Er hatte zu gehorchen. Wenn es doch nur so einfach gewesen wäre.

Bis zum Abend passierte nicht viel. Sie konnten zwar hören, dass das Kampfgeschehen wieder aufbrandete, aber der Kern schien weiter südlich zu sein. Bodden war damit unzufrieden, als sie eine Rast machten. Er drückte eine Zigarette aus und zündete sich die Nächste an. „Hier machen wir unser Nachtlager. Ab morgen gehen war dahin, wo es rund geht. Das ganze sinnlose Warten kotzt mich an.“ Nonnemacher nickte eifrig, die Anderen ließen sich weniger durchschauen. Bodden wandte sich an Hubert: „Du kümmerst dich um die Latrine, Rollmops.“

„Aber ...“, setzte Hubert an, doch Boddens Blick brachte ihn zum Schweigen. Jetzt musste er spuren. Max hoffte, dass Hubert das schnell genug kapierte.

Der Trupp machte es sich für die Nacht so gemütlich wie man es sich auf dem feuchten Moosboden eben machen konnte. Max kam mit dem Neuling Oberländer ins Gespräch, der ihm den Verband abgenommen hatte und seine Verwundung inspizierte.

„Sieht ganz passabel aus, Haim. In drei, vier Tagen brauchst du keinen Verband mehr. Da hast du noch einmal Schwein gehabt.“

Diese gute Nachricht wurde dadurch getrübt, dass die Wunde sich immer noch so anfühlte, als läge ein glühendes Hufeisen darauf. Es war einfach zum verrückt werden. Aber Max wollte nicht jammern. Andere hatte es viel schlimmer erwischt.

„Wo wart ihr eigentlich stationiert?“, fragte er und Oberländer antwortete: „Beim Stab. In der Nähe von Hürtgen.“

„Ah“, sagte Max und dachte an Konstantin, während Oberländer ihm Wundsalbe auftrug. „Hattet ihr da auch mit den 1412ern zu tun?“

„Ja. Ein bisschen.“ Er dachte kurz nach. „Die sind geschlossen an die Bunker vom Klafterbachtal verlegt worden. Die Erstbesatzung ist da weggestorben wie die Fliegen. Wurden angeblich mit Flammenwerfern ausgeräuchert.“

Max schluckte und warf einen vielsagenden Blick zu Hubert, der diesen erwiderte. Düster wie immer, seit Bodden das Kommando übernommen hatte. „Wieso fragst du?,“, fragte Oberländer.

„Ach nichts. Da ist nur einer dabei, der auch aus Herdelsheim kommt. Konstantin Wüstrach. Kennst du ihn?“

Oberländer runzelte die Stirn. „Äh. Nein.“ Dann verband er die Wunde frisch.

Max wünschte sich, er hätte nicht nachgefragt. Er hätte Konstantin zumindest in seiner Fantasie lieber weiterhin in der Reserve gesehen, als dort, wo die Leute wie die Fliegen wegstarben. Flammenwerfer ... Ihm wurde schlecht.

7

Max war auf gutem Weg, die Grenze vom Menschen zum Raubtier zu überschreiten und zu einem der Wölfe zu werden, die Zerbst und Bodden immer beschworen hatten. Er spürte, wie das Menschliche in ihm von Schuss zu Schuss; von Gefecht zu Gefecht verblasste und sich seine Persönlichkeit den niedrigsten Instinkten unterwarf. Unter Bodden war der Trupp während der letzten Tage hinterlistiger geworden. Direkten Kämpfen gingen sie aus dem Weg, dafür legten sie Hinterhalte, um nach den Nadelstichen schnell wieder zu verschwinden. Vielleicht war es auch diese Taktik, der sie es zu verdanken hatten, dass seit Zerbsts Tod keiner mehr von ihnen gefallen war. Doch es war etwas geschehen, dass Max, obwohl er sich den zynischen Regeln des Kleinkrieges schon ergeben hatte, noch zu Herzen ging. Etwas, das so grundlegend falsch war.

Am Tag hatte er es in sich hineingefressen. Auch nun, als er in tiefster Nacht wach im Zelt lag, quälten ihn die Bilder in seinem Kopf. Er räkelte sich hin und her und stieß dabei an Hubert, der eng neben ihm lag. Hubert seufzte und Max hauchte: „Entschuldigung.“

„Hmh.“

Stille. Eine Minute. Zwei. Dann flüsterte Hubert: „Es war ein Verbrechen, was wir heute begangen haben.“

Max schwieg.

„Ist dir das bewusst?“, hakte Hubert nach.

Am liebsten hätte Max ihn ignoriert. Trotzdem wisperte er: „Es war Boddens Verbrechen. Wir mussten seinen Befehlen folgen.“ Hubert brummte und Max fügte an: „So läuft das hier eben.“

„Herrgott, Max. Das waren Sanitäter, die wir da überfallen haben. Sanitäter! Die wollten Menschen retten. Vielleicht sogar unsere Kameraden.“

„Stimmt. Aber was willst du machen? Morgen machen wir wahrscheinlich wieder das Gleiche. Und übermorgen wieder.“ 'Daran werden wir uns gewöhnen müssen – wir haben uns schon an so vieles gewöhnt', dachte Max. Aber es auszusprechen wäre ein Eingeständnis gewesen, zu dem er nicht bereit war.

Max hörte dumpfes Klopfen auf Holz und kam erst mit Verzögerung darauf, dass das wohl Huberts Karabiner war, den er, wie alle anderen auch, bei sich im Zelt hatte. „Ich sag es dir. Der Bodden versteht nur eine Sprache.“ Obwohl er es nicht sah, konnte Max sich das kalte Lächeln in Huberts Gesicht vorstellen.

„Mach bloß keinen Scheiß“, raunte er. „Wir wollen überleben, Hubert. Hast du das vergessen? Und das schaffen wir nicht mit Befehlsverweigerung … und schon gar nicht mit einer Revolte. Oder?“

Die Antwort, auf die Max wartete, blieb aus. Also versuchte er zu schlafen.

„Los jetzt. Aufbruch“, befahl Bodden. Allein dessen gebieterische Stimme ließ in Max' Magengrube Zorn aufkeimen, der sich wie ein Brechreiz den Weg nach oben bahnen wollte. Doch er kam dagegen an. Schweigend wie alle anderen ging er in die Aufstellung, um einen neuen Tag anzugehen. Welches Grauen wohl heute wieder auf sie wartete, fragte er sich.

Der erste Schrecken kam eine halbe Stunde später, als sie zu einem ihrer Munitionsverstecke kamen, um sich einzudecken. Das unterirdische Depot war ausgehoben. Ein mieses Gefühl machte sich breit, denn auch das nächste und übernächste Versteck war entdeckt worden, und erst am vierten wurden sie fündig.

„Die gehen gezielt auf die Suche nach unseren Vorräten“, meinte Bodden, dem es im Laufe des Vormittages nur schwer gelang, bei seinem Trupp einen motivierenden Ton anzuschlagen. „Wenn das so weitergeht, müssen wir bald raus hier, um neues Zeugs zu beschaffen. Munition. Und Konserven.“

Nonnemacher nickte, und Hubert murrte: „Unbedingt. Damit wir mehr hinterfotzige Gräueltaten begehen können.“

So flink, dass man es kaum mitbekam, stürzte Bodden auf Hubert zu und verpasste ihm eine Ohrfeige. Huberts Augen füllten sich mit Tränen. Trotzdem hielt er dem Blick des Stabsgefreiten stand. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte Bodden auf Hubert losgehen. Dann ging ein Zucken durch sein Gesicht und er schnaubte Hubert an: „Wir sind nur Soldaten und unsere Rolle ist eben manchmal dreckig.“ Er spuckte aus. „Und wenn mir danach ist … hinterfotzige Gräueltaten … zu begehen, dann tu ich das. Dann tun wir das.“

„Geh nicht zu weit. Ich warne dich“, sagte Hubert mit einer Seelenruhe, die das Zittern seines Kinns Lügen strafte. Speichelfäden spritzten in sein Gesicht, als Bodden voller Zorn zurück zischte: „Aha! Du drohst mir, du Rattengesicht? Noch ein Wort und ich knüpf dich hier und jetzt auf.“ Seine Mundwinkel zuckten gefährlich. „Also? Sag was, Rollmops!“

Hubert schwieg. Alles an seinem Körper bebte. Selbst seine Augenlider flatterten. Und trotzdem hielt er Boddens Mörderblick stand. Dessen Halsschlagader pochte. Die Eskalation schien unausweichlich. Dann schüttelte sich Bodden, wandte sich an die anderen und schrie: „Aufbruch!“

Erschrocken schauten sich alle um. So konnte man den Feind auch auf sich aufmerksam machen. Bodden scherte das in seiner Pervitin-Rage nicht. Er brüllte weiter auf Hubert ein. „Die da draußen sind der Feind! Der Feind auf deutschem Boden! Und jede Gelegenheit, die sich bietet, einen von denen umzubringen, wird genutzt. Und wer nicht mitspielt, ist ein Volksverräter! Verstanden, Arschloch?“

Hubert nickte. „Jawoll.“

„Das will ich dir auch geraten haben. Noch ein Widerwort und du bist tot.“

„Du hast es übertrieben“, flüsterte Max Hubert einige Minuten später zu. Er kam sich schäbig vor, seinem Freund nicht zur Seite gestanden haben. Aber er fand es auch nicht richtig von Hubert, mitten im Krieg gegen einen Kommandierenden aufzubegehren.

„Ich war noch viel zu freundlich“, antwortete Hubert … und er lächelte tatsächlich. Nicht das eiskalte Soldatenlächeln, wie es hier hergehörte, sondern das gute alte Hubert-Grinsen. Ein Grinsen, das Max' Seele streichelte.

„Falls wir hier wieder rauskommen, werden wir den Vorfall von gestern melden. Ja?“ Er kam sich vor wie ein Trottel, als er versuchte aufrichtig zu schauen.

Huberts zwinkerte. „Ja. Melden.“ Als ob das irgendjemanden interessieren würde, dachten sie wohl beide.

Es folgte ein ereignisloser Tag ohne Feindberührung, ohne Tote. Es erschien, als ob die Kriegshölle überall um sie herum toben und nur um sie und ihr Areal einen Bogen machen würde, wie um Bodden zu verspotten. Einerseits tat die Verschnaufpause gut, andererseits gab es auch viel zu tun. Neue Stellungen anlegen. Fallen stellen. Material überprüfen. Die Gruppe war nun auf sich alleine gestellt. Denn der Funkkontakt, der ohnehin nur dürftig gewesen war, funktionierte nun gar nicht mehr. Dagegen funktionierte Max so, wie ein Soldat zu funktionieren hatte. Trotz aller Ängste, aller Zweifel, aller Verachtung für Bodden und für sich selbst tat er das, was er zu tun hatte. Zerbsts Empathie, mit der die Gruppe bis vor kurzem geführt worden war, war nun Geschichte. Charisma war etwas, was Bodden nicht besaß. Doch das machte er durch Entschlossenheit und Rohheit wett. Jede Sekunde war der Stabsgefreite wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Und keiner der Gruppe wagte es nach Huberts Aufbegehren noch einmal, sich mit ihm anzulegen.

Trotz der scheinbaren Ruhe konnten sie im Laufe der Tage auch in ihrem Areal immer wieder Spuren von Feinden finden. Abgebrochene Äste, ausgedrückte Zigarettenstummel, Essensverpackung mit englischsprachigen Aufdrucken. „Die machen sich hier vor unserer Nase breit“, hatte Bodden einmal in seinen von Tag zu Tag dichter werdenden Bart gemotzt. Aber nun plagten sie ganz andere Sorgen. Der Funk ließ sich einfach nicht mehr in Gang bringen. Der letzte erfolgreiche Ruf lag schon Tage zurück. Und nachdem die Verstecke ausgehoben worden waren, war es auch um die Munition schlecht bestellt.

Eines Vormittags konnte auch Boddens Sklaventreiber-Führung nichts daran ändern, dass die Stimmung träge war, als die Gruppe ein weiteres Mal durch den Wald schlich, um ihr Gebiet gegen etwaige Eindringlinge zu verteidigen. Während der Nacht hatte es in Strömen geregnet und die Zelte unterspült. Der Boden war ein zäher Sumpf, jeder war übermüdet und der Dreck, den die Soldaten schon seit Tagen auf ihrer Haut sammelten, schlug langsam auf die Psyche. „Nur ein warmes Bad. Danach hole ich euch den Endsieg alleine“, moserte Junghans vor sich hin, in seiner gebückten Jäger-Haltung, die ihnen allen in Fleisch und Blut übergegangen war, und Bodden zischte: „Pst!“

„Ja ja.“

„Dein Bad bekommst du erst nach dem Endsieg. Als Belohnung sozusagen“, murmelte Wörz. Max lachte in sich hinein, obwohl er sogar von hinten an Boddens Körperhaltung erkennen konnte, wie der Gruppenführer innerlich kochte.

„Als Belohnung will ich aber ...“, wollte sich Hubert in das verbotene Gespräch einmischen, aber er wurde unterbrochen. Ein Maschinengewehr ratterte und direkt vor Max' Augen sackten Wörz und Junghans in sich zusammen. Max warf sich in den Matsch und robbte hinter eine winzige Kuppe. Schüsse peitschten aus allen Richtungen und Oberländer verrenkte sich grotesk. Für den Bruchteil einer Sekunde schaute Max sich um und fand Hubert hinter einer Eiche flach auf dem Boden liegend. Ein kurzes Nicken. Alles in Ordnung. Nonnemachers Maschinengewehrtiraden pflügten sich durch den Boden und das Geäst. Auch Max hatte den Karabiner schon am Anschlag und schoss auf alles, von dem er glaubte, dass es sich bewegte. Handgranaten zerbarsten und deren Splitter sausten über ihn hinweg. Aber davon ließ er sich nicht beirren. Er schoss und schoss und schoss.

Er verlor jegliches Zeitgefühl. Vielleicht dauerte die Schießerei nur Minuten, vielleicht länger als eine Stunde. Nonnemachers MG und Boddens Maschinenpistole ratterten immer weiter, durchstochen von Karabinerschüssen. Allmählich klangen die Schüsse ab und es kehrte eine schreiende Stille ein. Der Schwefelgestank biss Max in den Atemwegen, trotzdem konnte er ein Husten unterdrücken. Der erste war Bodden, der auf sich aufmerksam machte. Max wäre am liebsten mit dem Boden verschmolzen, als er genauso wie Hubert zu ihm hinüber kroch. Auch Nonnemacher war noch da. Und das war's. Kienleins lebloser Körper war von ihrer Position aus auszumachen.

Ein fast nicht hörbares Winseln wurde zu einem Jammern. Mit größter Vorsicht folgten die vier Verbliebenen dem Geräusch und fanden Wörz. Ähnlich wie Hubert hatte er hinter einem Baum Deckung gesucht, aber er hatte nicht so viel Glück gehabt. Seine Hose war um ein Einschussloch herum dunkelrot getränkt und hellrote Schlieren zogen sich in eine Pfütze, in der er lag. „Verdammt. Helft mir. Bitte“, wimmerte er. Hubert schnitt ihm den Stoff von der Hose und gemeinsam mit Max verband er die Wunde, so gut es ging.

„Er muss hier raus“, sagte Hubert zu Bodden und blickte ihn eindringlich an.

Bodden nickte. „Lasst uns erst mal die Lage erkunden, ob wir sicher sind.“

'Nein!' Schrien alle Max' Sinne. Aber er wusste, dass ihnen nichts anderes übrig blieb. Er beugte sich über Wörz und kniff ihm in die Schulter. „Halt durch. Ja?“, und Wörz nickte. Sein Gesicht war von Schmerzen verzerrt.

Die vier gingen auseinander und schwärmten aus. Genau dorthin, von wo aus sie beschossen worden waren. Max wartete auf den brennenden Schmerz der Kugel, die ihm die Lunge zerriss. Sein angelegtes Gewehr suchte nach einem Ziel, aber das Gestrüpp war viel zu dicht. Er zwängte sich zwischen dornigen Zweigen hindurch in die Büsche hinein. Den ersten Amerikaner entdeckte er erst, als er mit dem Stiefel gegen ihn stieß. Tot lag er in seinem eigenen Blut und schaute zu Max hoch, als ob er ihm Vorwürfe machte. Max schüttelte sich. Er fand noch eine weitere Leiche, ging um einen Wurzelhügel herum und fand noch einen Körper. Vor Schreck sog Max Luft ein, als er sah, dass sich der Brustkorb des feindlichen Soldaten zu seinen Füßen noch hob und senkte. Max tippte ihm vorsichtig in die Seite. Der Amerikaner stieß ein Seufzen aus und krümmte sich.

„Alles gut“, flüsterte Max ihm zu und hatte auf einmal seinen Hass vergessen. „Hier lebt noch einer!“, rief er über seine Schulter; ohne daran zu denken, dass er genauso gut nach einer Kugel in den Kopf hätte schreien können. Minuten später waren Hubert, Bodden und Nonnemacher bei ihm. Hubert holte seine Verbandspackung heraus. Max zog dem Feind, dessen glasiger Blick zwischen ihm und Hubert wechselte, das Uniformhemd nach oben. Im Augenwinkel sah er Boddens Stiefel und Bein direkt neben sich. Dann zerriss ihm ein Schuss beinahe das Trommelfell. Der Soldat am Boden zuckte nur kurz, dann lag er still. Erst im zweiten Moment registrierte Max, dass Bodden ihm in den Kopf geschossen hatte.

Während Max' Sinne noch taumelten, sprang Hubert wie vom Teufel besessen auf und packte Bodden am Kragen. „Hör auf, du Spinner“, schrie Bodden noch, da krachte Huberts Faust gegen dessen Wange. Max war schon auf den Beinen, wollte dazwischen gehen, da krachte ein zweiter Schuss. 'Was ist jetzt?', dachte er. Bodden und Hubert hörten auf zu kämpfen, als ob sie selbst überrascht wären. Bodden zog eine Grimasse. Hubert runzelte die Stirn und fiel zu Boden. Max sah die Maschinenpistole in Boddens Hand und die Schusswunde in Huberts Brust. Er beugte sich verzweifelt zu seinem Freund hinunter. Er musste ihm doch helfen. Hubert wollte noch etwas sagen, doch dann erstarrten seine Gesichtszüge für immer.

Max wollte auf Bodden losgehen. Aber er war wie erstarrt. Nonnemacher hatte sein Gewehr auf ihn gerichtet. Er wusste wohl auch, welche Gefahr sich hier anbahnte. „Er hat rebelliert“, murmelte Bodden. „Er hat seinen Gruppenführer angegriffen. Das hat er verdient.“

„Du bringst deine eigenen Soldaten um, du Drecksack! Du bringst alle um!“, schrie Max gegen den Kloß in seinem Hals an. Nonnemacher repetierte das Gewehr. Irgendwo winselte Wörz. Bodden machte eine 'folgt mir' Geste in dessen Richtung und drehte sich ab, ohne den toten Hubert eines einzigen Blickes zu würdigen. Nonnemacher deutete Max mit dem Gewehrlauf an, Bodden zu folgen. Max blickte zu Hubert herab, der in einer paradoxen Einträchtigkeit neben dem toten amerikanischen Soldaten lag. Beide von Bodden ermordet. Es tat beinahe körperlich weh, sich diesem Anblick abzuwenden. Aber Max tat es. Nonnemacher folgte Max, um zu verhindern, dass er Bodden in den Rücken schoss. Max kämpfte gegen das überwältigende Verlangen an, es trotzdem zu tun.

„Wir müssen Wörz rausbringen“, sagte Bodden. Seine Fingerspitzen zitterten, als er das Metallröhrchen mit den Pervitin-Pillen aus der Tasche kramte und eine Tablette nahm. „Wir bringen ihn raus, frischen unsere Vorräte auf und lassen uns neue Leute geben.“ Er blickte ins Leere. „Verdammt. Wir sind nur noch zu dritt.“

Max hätte ihm tausend Dinge an den Kopf werfen wollen. Aber der Hass loderte unerträglich in ihm und er wusste, dass jede Reaktion die Dinge zum Eskalieren brächte. Deshalb biss er sich auf die Zunge. Trotzdem erkannte Bodden den Zorn, der in Max' Augen brannte. „Nonne und ich gehen zurück, Haim. Du bleibst hier. Du sicherst die Stelle hier mit dem MG ab, bis wir mit Verstärkung wieder da sind.“ Er wies auf eine Schneise direkt vor ihnen im Westen. „Das ist ein klares Einfallstor für die Amis.“

„Aber ...“

„Keine Widerrede, Haim. Das ist ein Befehl. Wenn du nicht mehr da bist, wenn wir zurückkommen, lass ich dich jagen!“

Max schwieg.

8

Max fror. Wie nie zuvor. Die Kälte, die dieser Eugen Bodden über ihn gebracht hatte, fraß sich durch seine Haut hindurch in sein Fleisch, in die Knochen und in die Seele. Nonnemacher und Bodden hatten Wörz auf eine improvisierte Trage gelegt und nicht viel Zeit verloren, bevor sie sich auf den Weg machten. Nun war Max alleine. Und fror. Bomben. Granaten. Schüsse. Von fern und nah. Es war ihm egal. Wenn er schon sterben musste, warum nicht jetzt und hier? Er ging zu Hubert und kniete sich neben ihn. Sein Gesicht hatte etwas Murmeltierhaftes. Trotz all der Strapazen der letzten Wochen wirkten seine Wangen voll. Er wirkte lebendig, als ob er unter den geschlossenen Augenlidern den nächsten Spaß aushecken würde. Aber das war vorbei. Niemals mehr würde das wiehernde Lachen über den Hummelberg hinter Herdelsheim schallen.

Obwohl sich alle Fasern seines Körpers dagegen sträubten, öffnete Max mit steifen Fingern Huberts Brusttasche und tastete sich hinein. Körperwarm fühlte er das Metall der Taschenuhr, die Hubert von seinem Vater gestohlen hatte und die ihm hätte Glück bringen sollen. Wie ein Dieb kam er sich vor, als er das ramponierte Schmuckstück an sich nahm und in seine Brusttasche steckte. Aber etwas in ihm ließ ihm keine andere Wahl. Talisman, hatte Hubert sie genannt. Gegen Eugen Boddens Erbarmungslosigkeit hatte sie nichts ausrichten können.

Er wandte sich dem Amerikaner daneben zu, dem Hubert das Leben hatte retten wollen und für den er gestorben war. Er war noch jung; wahrscheinlich noch keine 20. Seine Haut hatte die Farbe von Milchkaffee, der Bartwuchs seines unrasierten Gesichts war spärlich. Die Schmerzen seiner letzten Sekunden waren noch immer in seinen Augen zu lesen. Obwohl es Max Überwindung kostete, zog er dem Amerikaner die Erkennungsmarke hervor, die er – genauso wie Max und die deutschen Soldaten – an einer Kette um den Hals trug.

Hernandez, Marc

43237611 T44

Sophia Hernandez

13 N Lexington Ave

Hastings, NE

Als Max seinen Notizblock und den Bleistift herausgeholt hatte und die Daten notierte, fragte er sich, wer wohl Sophia Hernandez war. Marcs Mutter? Oder seine Ehefrau? Eher nicht. Dafür war er wahrscheinlich noch zu jung. Ob sie wohl jemals erfahren würde, was Marc zugestoßen war? Oder ob sie noch Jahre und Jahrzehnte mit sinkender Hoffnung und anschwellender Verzweiflung auf die Rückkehr ihres Sohnes oder Neffen oder Enkels – oder gut ... vielleicht auch Ehemannes ... warten würde?

Es fiel Max schwer, sich von den zwei Toten loszureißen, aber er musste es. Er musste jetzt um sein eigenes Überleben zu kämpfen. Er wollte schließlich wieder nach Hause kommen und Huberts Eltern erzählen, warum sie nun auch noch ihr letztes Kind an den Krieg verloren hatten. Und wenn das alles vorüber war, würde er Sophia Hernandez einen Brief schreiben, um ihr zu sagen, dass Hubert Marc das Leben retten wollte. Und dass Marc und Hubert jetzt nebeneinander lagen. Max streichelte Hubert ein letztes Mal über die Wange. „Danke für alles, Rollmops“, murmelte er. Dann riss er sich los und kümmerte sich um sich selbst.

Ein MG-Nest musste er anlegen. Die Schneise, die es abzusichern galt, war eindeutig. Ein langgezogener Steilhang, der das Gebiet nach Westen abgrenzte, in den die Erosion über Jahrtausende einen trichterartigen Durchgang geschleift hatte. Wenn die Amerikaner den Abschnitt passieren wollten, dann hier. Direkt gegenüber hatten er und seine Kameraden schon vor Wochen ein Schützenloch in die steinige Erde gewühlt; an einem Punkt, von dem aus die Schneise perfekt einsehbar war. Genau das wollte Max besetzten. Er hatte schon damit angefangen, sich einzurichten, als ihm Zweifel kamen. Die Stellung war zu logisch angelegt. Selbst wenn die Feinde ihn nicht sehen würden, würden sie diesen Bereich wohl als erstes unter Beschuss nehmen. Es fiel ihm nicht leicht, die strategisch günstige Stellung aufzugeben, aber letztendlich tat er es doch. Er tauschte sie gegen eine kaum vorhandene Bodensenke vierzig Meter links davon, von der der Blick und die Schusslinie auf das Ziel sehr eingeschränkt waren. Trotzdem rechnete er sich dort größere Überlebensmöglichkeiten bei einem Gefecht aus, falls die Möglichkeit des Überlebens in seiner Situation überhaupt realistisch war.

Es dauerte nur wenige Minuten, bis Max sich eingerichtet hatte. Zweige und Äste von den Bäumen abmachen, um sich zumindest notdürftig zu tarnen; das MG aufs Zweibein setzen; Handgranaten, Karabiner und Pistole griffbereit halten. Und sogar noch den Spaten neben sich legen – falls es gar nicht mehr anders ginge. Die kurze Bestandsaufnahme, die er sich leistete, war ernüchternd. Er hatte noch vier Patronengurte für das Maschinengewehr, aber kein Ersatzlauf, den er bei einem etwaigen Rohrkrepierer bräuchte. Ohne einen Helfer, der beim Schießen den Patronengurt bändigte, war diese Gefahr riesig. Egal. So war es einfach. Max legte sich auf den Bauch, schmierte sich dick den Matsch ins Gesicht – zumindest davon gab es hier genug – und wartete.

Wartete darauf, dass Bodden und Nonnemacher zurückkamen; hoffentlich mit Verstärkung. Oder dass der Feind kam, der sein Land einnehmen wollte. Max wusste nicht, für wen er in diesem Moment mehr Verachtung übrig hatte. Zumindest waren die Amerikaner berechenbar, im Gegensatz zu Bodden. Max erinnerte sich an das Gesicht von Marc Hernandez und fragte sich, ob sie sich vielleicht ähnlicher waren, als er es jemals gedacht hatte. Vielleicht hatten sie dieselben Ängste und träumten auch davon, wieder nach Hause zu kommen – zu Sophia Hernandez.

Schluss damit. Max hatte viel zu viel Zeit, um zu grübeln. Das tat ihm nicht gut. Sie waren doch alle nur Teil eines großen politischen Spiels und mussten ihre Rolle spielen; wie die Bauern auf einem Schachbrett. Das war der Lauf der Dinge. Krieg war schon immer Teil der Menschheit gewesen und gehörte zum Leben wie das Atmen. Er musste sich damit abfinden und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Für wen tat er das eigentlich? Für Hitler und seine Bonzen, die jetzt wahrscheinlich auf ihrem Obersalzberg lungerten und soffen und fraßen, während hier hunderte – oder eher tausende – junger Männer in deren Namen elendig verreckten? Viele davon genau in dieser Sekunde? Sicher nicht. Für Bodden, der ihn zurückgelassen hatte, nachdem er Hubert und Marc Hernandez ermordet hatte; oder für die Herdelsheimer Partei-Granden, damit sie ach wie stolz auf ihren tapferen Jungen sein konnten? Max biss die Zähne aufeinander, bis es weh tat. Nein. Nicht für dieses Dreckspack. Er rief sich das Bild seiner Eltern in den Kopf. Und das seiner kleinen Schwester Traudel. Er wusste jetzt, wie schlimm die Deutschen in den besetzten Gebieten gewütet hatten und noch immer wüteten und konnte sich ausmalen, wie grauenvoll die Rache sein musste, wenn der Krieg verloren wäre. Vae Victis - wehe den Besiegten, hatte der alte Lehrer Grube gerne gesagt. Gut. Das war ein Ansatz. Max kämpfte für seinen Vater Ferdinand, seine Mutter Ida und vor allem für seine Schwester Traudel. Und für die nervtötende Tante Emma? Etwas wie ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Na gut. Auch für Tante Emma.

Die Zeit zog sich dahin. Minuten wurden zu Stunden und nichts tat sich. Kein Feind, kein Bodden. Max versuchte sich auszurechnen, wie lange Bodden und Nonnemacher wohl brauchen würden, um wieder zurückzukommen. Sicherlich fünf oder sechs Stunden und das auch nur, wenn alles glatt ginge. Falls sie noch neue Soldaten organisieren mussten, vielleicht noch viel, viel länger. Irgendwo war wieder eine neue Offensive eröffnet worden. Es klang, als ob dort die Welt unterginge. Die verschachtelte Akustik ließ keine Schlüsse zu, aus welcher Richtung das kam. Max dachte an Konstantin. Ob er dort gerade war? Und ob er überhaupt noch am Leben war? Er dachte an die Flammenwerfer und ein Bild brannte sich in seinen Verstand. Konstantins Leiche verkohlt in den Ruinen eines Bunkers.

Es wurde finsterer, auch wenn es für die Abenddämmerung noch zu früh war. Je müder Max wurde, umso fieser wurden die Streiche, die ihm seine Sinne spielten. Zweige wurden zu deutenden Fingern. Baumstümpfe zu Schleichern. Der Wind im Geäst zu wispernden Stimmen. Es fiel ihm schwer, die Augen offenzuhalten. Jedes Blinzeln war eine Sekunde Schlaf. Seine Seele hätte er jetzt verkauft für eine von Boddens Pervitin-Pillen. Nur eine. Die Welt zerfloss in konturlose Grün- und Brauntöne. Er wollte aufgeben und sich dem süßen Schlaf hingeben. Nur für ein paar Minuten.

Aber auf einmal war Max hellwach. Etwas hatte sich bewegt. Sein Blick wurde klar. Adrenalin durchströmte seinen Körper und seine eben noch müden Augen waren jetzt die eines Adlers. 'Falscher Alarm', sagte er sich gerade. Doch da sah er wieder eine ... nein zwei oder noch mehr ... Gestalten durch seinen Wald schleichen, nur um im nächsten Moment wieder mit der Umgebung eins zu werden. Nur für eine Sekunde schloss Max die Augenlider, um sich für sein letztes Gefecht zu sammeln. Dann drückte er den Abzug. Der Rückstoß haute gegen seine Schulter.

Er wagte nur kurze Feuerstöße, um keinen Rohrkrepierer zu riskieren. Der Patronengurt schlug wild um sich. Seine Hoffnung, es hätte sich nur um Hirngespinste gehandelt, wurde sofort zunichte gemacht, als seine drei kurzen Attacken mit Gegenfeuer quittiert wurde. Schüsse kamen aus dem Nichts und verpufften im Nichts. Wie viele es wohl waren? Es war für Max kaum einzuschätzen. Die Stille, die nach den Schüssen einsetzte, war so daneben, dass sie in den Ohren wehtat. Er suchte nach der kleinsten Bewegung. Aber da war nichts. Waren sie weg? Bestimmt nicht. Sein Blick suchte das Gebiet vor ihm ab: Die dreißig Meter breite Ebene, wo Baumstämme seine Sicht einschränkten. Die zugewucherten Hänge, die das kleine Areal begrenzten. Die Schneise dazwischen. Da! War das eine Bewegung? Bevor sein Gehirn die Information überhaupt verarbeitet hatte, hatte Max' Zeigefinger sich schon gekrümmt und das Maschinengewehr bellte los. Die Büsche in den Hängen wurden zerrissen und ein Schmerzensschrei klagte durch die Wälder. Es schien, als geriete der Hang in Bewegung. Doch es war nur ein Körper, der hinunterrutschte und dabei die Gräser und niederen Sträucher niederdrückte. Am unteren Ende des Hanges blieb er vielleicht vierzig Meter von Max entfernt liegen. Direkt in seiner Schusslinie.

Der getroffene Amerikaner krümmte sich vor Schmerzen und schrie nach Hilfe. Nach drei oder vier Sekunden des Schocks setzte wildes Gegenfeuer ein. Steine und Felsen zerbarsten. Holz zerbröselte. Handgranaten flogen in hohem Bogen durch die Luft und sendeten ihre tödlichen Schrapnelle in alle Richtungen. Max kauerte sich zusammen. Manche der Projektileinschläge kamen ihm gefährlich nah, aber die Höllenqual, wenn sich eine Kugel in sein Fleisch bohrte, ließ auf sich warten. Dann kehrte wieder Stille ein. Eine mörderische Stille. Nur das Schreien und Rufen des Angeschossenen hörte nicht auf. Warum konnten die Leute nicht einfach tot umfallen und sich nicht mehr regen, so wie sie es als Kinder immer getan hatten, wenn sie Krieg gespielt hatten? Warum musste das Sterben in der Wirklichkeit immer so grässlich sein?

Er traute sich wieder nach vorne zu schauen.Zwar hätte er es nicht beschwören können, aber die Art, wie der Verwundete sich krümmte, ließ ihn vermuten, dass er ihn in der Hüfte getroffen hatte. Max wusste nicht, was er tun sollte. Er ahnte, dass die Soldaten auf der anderen Seite dieselbe Zerrissenheit plagen musste. Das war sogar ein Vorteil, wenn man es sich genau überlegte. Während der Grundausbildung waren sie auf genau diese Situation geschleift worden. Sich tot zu stellen und zu warten, bis der Feind seine Deckung verlässt, um den Kameraden zu retten, und dann zuschlagen. Aber konnte Max das? Er wusste es nicht. Die Sekunden vergingen und jede fühlte sich wie eine eigene Ewigkeit an. Und mit jeder Sekunde verzagte Max mehr. Sollten sie doch endlich rauskommen und ihren Kameraden dorthin mitnehmen, wo sie hergekommen waren. Am Besten gleich über das große Meer. Er wollte den elenden Amis zuschreien, dass sie endlich kommen sollten und sich um ihn kümmern. Es juckte ihn sogar, sein Verbandspäckchen herauszuholen und sich selbst um die arme Sau zu kümmern. Er konnte diese Schreie; dieses Jammern; dieses Wimmern einfach nicht länger ertragen. Aber er regte sich nicht. Er wartete.

Plötzlich passierte etwas, womit Max gar nicht gerechnet hatte. Ein Gebüsch wurde zur Seite gedrückt und ein Amerikaner kam hervor. Einer alleine. Keinen Helm hatte er auf dem Kopf und über die Entfernung von 50 oder 60 Meter konnte Max auch keine Waffe sehen. Der feindliche Soldat hatte die Hände angewinkelt erhoben, hielt in der rechten Hand etwas Silbernes, schritt langsam in einem angedeuteten Zickzack über die Fläche und rief Dinge, die Max schwer fielen zu verstehen. Irgendetwas mit „Deutsche“, „Frieden“, was sich wie 'Fuidän' anhörte und „Gnade“. Max wusste, dass es sich nur um eine Falle handeln konnte. Trotzdem beobachtete er wie hypnotisiert den Amerikaner, der sich erst ein Stück entfernte, sich dann aber ungezielt näherte.

Nun erkannte Max auch die angegrauten Haare und die zerfurchten Gesichtszüge; einen Augenblick später, dass es sich bei dem silbrigen Etwas in seiner Hand um eine aufgeklappte Zigarettendose handelte. Die Zigaretten waren mit einem braunen Lederband darin gehalten. Der Amerikaner, der noch älter als Bodden aussah, kam immer näher, aber sein Blick ging an Max' Stellung vorbei. Er kam so nah, dass Max die nackte Angst in dessen Augen sehen konnte. Max wusste, dass er nun schießen musste, um zu überleben. Vielleicht war es sogar schon zu spät. Wenn der Amerikaner ihn zuerst entdeckte, wäre es um Max geschehen. Er würde seinen Standort den anderen zeigen, noch bevor Max ihn erschießen konnte. 'Du hast dich verzockt, mein Freund', dachte er. Nur krümmte sich sein Finger nicht. Der Amerikaner war keine zehn Meter mehr von Max entfernt. Dann schauten sie sich direkt in die Augen.

Max hatte recht. Der amerikanische Soldat, er hieß Robert Mitchell, hatte sich verzockt. Das Squad, das er führte, war geschickt worden, um ihren Kameraden, die unter Beschuss standen, zur Hilfe zu eilen oder wenn es zu spät war, zumindest mögliche Verwundete zu bergen. Nun waren sie selbst unter Beschuss geraten und hatten einen Verwundeten zu beklagen. Einmal mehr. Obwohl sie nicht herausgefunden hatten, woher sie beschossen wurden, kam Staff Sergeant Mitchell zu der Vermutung, dass sie von allerhöchstens zwei – aber wahrscheinlich nur einer Stelle aus angegriffen wurden. Und so, wie sie den Krauts eingeheizt hatten, standen die Chancen gut, sie – oder ihn - ausgeschaltet zu haben. Trotzdem wollte er seine Untergebenen nicht blind nach vorne schicken. Mitchell war schon dabei, seit die Amerikaner in der Normandie gelandet waren und hatte solche Fallen schon öfter erlebt, als es ein Mensch ertragen konnte. Er hatte gesehen, wie die Jungs niedergemäht wurden, als sie sich aus der Deckung wagten, um zu retten. Eines von so vielen perversen Spielen, die der Krieg mit sich brachte. Mitchell sah es nun als seine Aufgabe vorzugehen und die Lage auszukundschaften mit dem aussichtslosen Vorwand eines kurzen Waffenstillstandes. Er hatte keine Illusionen. Weder dass er tot war, falls er sich irrte, noch dass es ihn irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen sowieso treffen würde.

Er warf dem angeschossenen Benny Sawyer einen tröstenden Blick zu, der in seinen unmenschlichen Schmerzen sein Bestes gab, ihn zu erwidern, und suchte nach Deutschen, die sich auf sein Angebot einließen oder nach einer Leiche hinter einem Maschinengewehr. Staff Sergeant Mitchell fand weder das eine noch das andere. Er wurde nervös. Seine Angst stieg genauso von Schritt zu Schritt, wie sein Adrenalinspiegel sank. Seine Augen suchten immer hastiger über das Areal; suchten Büsche und kleine Kuppen ab, vielleicht nach einer Bewegung hinter einem Baumstamm. Nichts. Er drehte ab und ging weg von dem Bereich, wo er den feindlichen Schützen erwartete.

Die Erkenntnis, verloren zu haben traf ihn wie ein Schlag. Es war nicht mehr als das Weiß seiner Augen, das den deutschen Soldaten verriet. Die Augen, die ihn nicht einmal mehr einen Steinwurf entfernt bei jeder Bewegung genauestens verfolgten. Die Tarnung des Deutschen war so gewissenhaft, das Mitchell erst beim zweiten Hinschauen den Gewehrlauf sah, der auf seine Brust gerichtet war.

Er wartete auf den Schmerz, der alles beendete. Doch als zwei Sekunden vergingen und auch noch eine dritte, ohne dass auf ihn geschossen wurde, wachte Mitchell aus seiner Erstarrung auf. Er quetschte sich ein schräges Grinsen ins Gesicht und wackelte mit der Zigarettendose. Hinter ihm stöhnte Sawyer auf. Die Sekunden, in denen einfach gar nichts geschah, zerrissen seine Nervenstränge. Doch dann streckte der Deutsche ihm seine Hände entgegen und Mitchell sputete sich, um das Friedensangebot nicht verstreichen zu lassen.

Max hätte sich selbst tausend Ohrfeigen geben können. Hatte er doch alle Trümpfe in der Hand gehabt. Doch er hatte versagt. Im entscheidenden Moment hatte er gezögert. Und jetzt war er tot. Für Sekunden klebten ihre Blicke aneinander. Auf einmal grinste der Amerikaner idiotisch und wackelte mit der Zigarettendose. Der Verwundete am Boden seufzte erbärmlich, und Max wollte einfach nur, dass ihm jetzt endlich geholfen wurde. Er hielt dem Amerikaner die leeren Hände entgegen, um klarzumachen, dass er nichts tun würde. Dümmer ging es nicht, das wusste Max schon. Aber nun war es zu spät. Der Amerikaner tat die letzten Schritte und Max ergab sich seinem Schicksal. Sein ganzer Körper bestand nur noch aus Herzschlag, als sein Feind ihn erreicht hatte. Der Feind, der tausende Kilometer auf sich genommen hatte, nur um ihn zu töten. Alles verkrampfte sich. Seine Hände waren so fest zu Fäusten geballt, dass sich die Fingernägel ins Fleisch gruben. Der Amerikaner schob mit dem Fuß den Spaten – Max' allerletzte Verteidigungswaffe – zur Seite und legte sich neben ihn auf den kalten Boden.

„Guten Tag“, sagte der Amerikaner in einem Akzent, als ob er auf Brot kauen würde, lächelte und hielt Max die Zigarettendose hin. Max war so perplex, dass es ihm die Sprache verschlug. Erst nach einem Zögern nahm Max sich eine Zigarette. Er hasste zwar das Rauchen, aber zumindest auf diese Weise wollte er seine Männlichkeit unter Beweis stellen. Der Amerikaner lachte leise, ließ Max eine Zigarette nehmen und gab ihm Feuer.

„Rob“, sagte er. Als Max ihn fragend anschaute, versuchte er es noch einmal: „Isch eiße Rob.“

Etwas wie Erleuchtung flammte in ihm auf. „Max.“

Rob nickte und Max paffte einen Zug in die Mundhöhle. Er wies in die Richtung des verwundeten Kameraden: „Braucht Hilfe.“

Max machte eine 'nur zu'-Geste. Als Zeichen des guten Willens kramte er seine angebrochene Verbandspackung aus der Beintasche und hielt sie Rob hin. Der Amerikaner nahm die Packung nicht entgegen. Er klopfte Max auf den Rücken und zeigte nach vorne. „Dann los.“ Als Max nicht reagierte, nahm Rob ihn beinahe freundschaftlich an der Schulter, als ob er ihm aufhelfen wollte. „Komm.“ Max war entsetzt über sich selbst. Alle Alarmglocken seines Verstandes dröhnten. Und trotzdem richtete er sich auf. Mit der Verbandspackung in der Hand verließ er seine Stellung und ging an Robs Seite auf den verwundeten Amerikaner zu. Rob stieß einen Pfiff zwischen den Zähnen aus, machte eine ausladende Armbewegung und nach und nach tauchten neue Gestalten aus dem Unterholz auf. Max' Instinkt drängte ihn zur Flucht. Trotzdem folgte er Rob.

Bei dem verwundeten Soldaten kamen sie zusammen. Es waren nur sechs Amerikaner, die dazustießen. Sie hielten einen vorsichtigen Abstand zu Max und musterten ihn, als käme er von einem fremden Stern. „Boys; that's Mäx“, sagte Rob, und obwohl Max kein Englisch sprach, glaubte er zu verstehen, dass Rob ihn vorgestellt hatte. Er nickte. Der, der ihm am nächsten stand, zog eine abfällige Grimasse und grummelte ein Kauderwelsch, das wie „Sauerkrautkopf“ klang. „Kaugummifresser“, motzte Max zurück und ahmte das mahlende Kauen seines Gegenübers nach. Die Beiden schauten sich grimmig an, während die anderen sich schon um den am Boden liegenden knieten.

„Heyheyhey! Peanut! Mäx!“, ging Rob dazwischen.

„Tschuldigung“, murmelte Max. Sein Gegenüber, ein Frühzwanziger mit einem dicken Leberfleck rechts neben der Nase, murmelte zwei Silben, die Max nicht verstand.

Max tat nun das Undenkbare. Neben dem feindlichen Soldaten, der wohl Peanut hieß, kniete er sich auf den Boden und half, den Verwundeten, den die Amerikaner Benny nannten, zu verbinden. Dabei berührten sich nicht nur immer wieder Max' und Peanuts Hände auf Bennys Haut und in dessen Blut. Auch ihre Blicke blieben ständig aneinander hängen. Aus Verachtung wurde Verwunderung und ... Neugier? Sie redeten kein Wort miteinander. In welcher Sprache denn auch? Max tat seine Arbeit, wie er es in den Sanitätslehrgängen der Vorgrundausbildung gelernt hatte und kommunizierte mit den Augen. Wenn Bodden ausgerechnet jetzt zurückkäme, wäre das Max' Todesurteil.

Schon bald war Benny transportfähig. Max half sogar, eine Trage zusammenzuschustern und er wusste, dass dem Ärmsten ein fürchterlich schmerzhafter und gefährlicher Weg zurück in Sicherheit bevorstand. Rob gab mit einer Geste den Weg vor. Nach rechts, zum Engelspfad. Doch Max ging energisch dazwischen. „No, No“, rief er, wedelte mit den Händen, schrie: „Bumm“ und deutete eine Explosion an. Rob schien zu verstehen, was Max ihm sagen wollte. Der Engelspfad, auf dem man einen Verwundeten recht gut hätte transportieren können, war vermint. Max deutete auf die Schneise, wo sie hergekommen waren. Peanut seufzte, andere verzogen das Gesicht und Rob nickte.

Es war eine Plackerei, die Trage mit Benny den Hang hochzutragen und Max half dabei. Immer an der Seite von Peanut; und immer gab es diese verstohlenen Blicke. In einem anderen Leben hätten er und Peanut vielleicht befreundet sein können, glaubte Max. In einem Leben, in dem sie nicht versuchten, sich gegenseitig umzubringen. Erst als sie ihn oben hatten und der Weg leichter wurde, war es Zeit für den Abschied.

Es war ein wortloser Abschied, bei dem die Augen das Reden übernahmen. Rob legte Max einen Arm um die Schulter und drückte ihn einen Moment lang rau, aber auch herzlich an sich. Für jeden gab es einen netten Augenschlag, zuletzt wandte Max sich an Peanut. Dessen Augen sagten: 'Komm mit uns', und seine Lippen formten Worte, die wohl dasselbe bedeuteten. Es war verlockend. Jetzt, wo seine letzte Illusion – die Amerikaner wären abgrundtief böse – widerlegt war, gab es kaum etwas, was ihn hielt. Sogar sein Vater Ferdinand würde die Fahnenflucht gutheißen, das wusste Max. Es gab nur eines, was ihn hinderte. Konstantin. So lange Max noch Hoffnung hatte, dass sein Geliebter lebte, würde er ihn niemals aufgeben. Er schüttelte den Kopf und Peanut nickte. Max glaubte Enttäuschung in seinem Gesicht zu sehen. Dann wandte er sich ab.

„Hey“, rief Peanut und Max drehte sich wieder um. „Kaugummikauer“, versuchte Peanut schräg grinsend Max nachzuahmen und schien sich dabei fast den Unterkiefer zu brechen. In der Hand hielt er ein kleines rechteckiges Päckchen, das er Max entgegenhielt. Max nahm es an und las Wrigley's Spearmint auf der Verpackung stehen. Nun musste er tatsächlich lachen. Er erkannte, was das war. „Kaugummikauer“, wiederholte er, winkte halbherzig und ging davon. Er dachte an Benny und wünschte ihm alles Gute.

Völlig überdreht und überfordert schritt Max in seinem kleinen Reich hin und her, obwohl er sich hätte verstecken müssen. Was hatte er gerade getan? Hochverrat war das Netteste, was ihm dazu einfiel. Hätte es jemand gesehen, wäre er am Strang gelandet oder auf der Stelle erschossen worden. Aber er bereute es nicht. Die Frage, ob es vielleicht der entscheidende Fehler seines Lebens war, die Amerikaner nicht zu begleiten, nagte an ihm. Doch er musste sich jetzt zusammenreißen. Um nicht doch noch in eine Falle zu gehen, verlegte er seine MG-Stellung um einige dutzend Meter, klemmte sich hinter die Waffe und tat das einzige, was er tun konnte. Er wartete. Doch nichts geschah und die Stunden vergingen. Kein Bodden kam, kein Nonnemacher und auch keine Amerikaner kamen mehr.

Er fragte sich, was er tun würde, wenn wieder welche kamen. Jetzt, wo er wusste, dass auch amerikanische Soldaten normale Menschen waren und keine grausamen Schlächter, war es umso schwerer, zu hassen und zu töten. Max hatte sogar den Überblick verloren, auf welcher Seite er stehen wollte. Doch jede Entscheidung wurde ihm abgenommen, als er tief in der Nacht seiner überwältigenden Müdigkeit nachgab und einschlief.

9

Aufgeweckt wurde er von einer markerschütternden Granatexplosion. Sein Puls war sofort wieder auf 180 und er klammerte sich an sein Maschinengewehr. Es ging wieder ab. Wie weit die Kämpfe entfernt waren, die nun aufflammten konnte er nur schätzen. Drei Kilometer vielleicht. Oder weniger. Max sah sich um. Keine Spur von Bodden und Nonnemacher. Vielleicht hatten sie sich einer anderen Einheit angeschlossen und kämpften da vorne gerade erbittert für ihr Land. Max quälte sich mit der Frage, ob er dort auch hingehen musste. Aber er hatte den Befehl, genau hier zu bleiben und diese scheiß Schneise zu bewachen. Befehl und Gehorsam. Und bloß nichts hinterfragen. Nun hatte es auch mal etwas Gutes. Er holte eine Konserve aus dem Rucksack und führte pflichtbewusst seinen Auftrag weiter aus.

Im Laufe des Tages flachten die Kämpfe ab und die Nacht war still wie nie, seit der Kampf um die Nordeifel losgegangen war. Die Schüsse, Granaten und Bomben, die zu hören waren, kamen wie ein Nachglühen aus weiter Ferne. Ob es vorbei war? Max traute dem Frieden nicht. Er wartete den ganzen nächsten Tag und die ganze nächste Nacht ab. Und immer noch blieb es friedlich. In ihm wuchs die Erkenntnis, dass er zurückkehren musste. Der Kampf war vorbei und zu warten, bis Bodden zurückkäme war einfach nur dumm. Er würde in zehn Jahren noch hier liegen und warten. Als er seine Ausrüstung zusammenräumte und schulterte, war sie wieder da, diese Angst. Verletzte er gerade seine Pflicht und würden sie ihn bestrafen, wenn er nun den Wald verließ, obwohl er ihn hätte verteidigen müssen? Oder würde er unterwegs erschossen werden? Vielleicht hatten die Deutschen ja sogar verloren und er lief den Eroberern direkt in die Arme. Wie absurd wäre es dann, wenn er nach Peanut und Rob fragen würde?

Es half alles nichts. Es musste nun etwas geschehen. Ein letztes Mal ging er an Hubert und Marc Hernandez vorbei und der Schmerz traf ihn erneut wie ein Faustschlag. Max würde Bodden nicht ungeschoren davonkommen lassen. Er würde ihn … melden? Quatsch. Bodden hatte einen Amerikaner und einen meuternden deutschen Soldaten getötet. Daraus würde ihm niemand einen Strick drehen. Es musste eine andere Lösung geben. Aber es gab noch wichtigeres. Konstantin. Ein Schatten legte sich auf sein Herz, als er sich fragte, ob er ihn jemals wiedersehen würde.

Vielleicht zum letzten Mal ging er den Weg, der ihn aus dem Wald herausbrachte. Unzählige Tote säumten seinen Weg. Es waren Bilder, von denen er wusste, dass sie ein Leben lang seinen Geist vergifteten. Max mahnte sich zur Vorsicht und suchte Deckung, so lange er konnte. Erst als er den Rand des Waldes erreichte, wich er auf den Weg aus. Hier gab es sowieso nichts mehr, wo er sich verstecken konnte.

Plötzlich schnürte es Max die Luft ab. Am Waldrand passierte er zwei Körper. Nonnemacher und Wörz. Beide waren schwer entstellt und doch nicht zu verkennen. Am liebsten wäre Max blindlings losgerannt, einfach nur weg von hier. Doch er riss sich zusammen und suchte nach Boddens Leiche. Doch er fand sie nicht.

Zögernd ging er weiter. Erst als er weiter vorne an der Straße aus der Ferne eine LKW-Kolonne fahren sah, die mächtig Staub aufwirbelte, entspannte er sich. Sie waren im altbekannten Grau-Grün der Wehrmacht. Es sah also gut für ihn aus. Max ließ seine Vorsicht fallen und legte einen Schritt zu, um zur Straße zu kommen. Die Kolonne war schon vorbeigezogen als er die unbefestigte Piste erreichte, wo Reifen und Panzerketten tiefe Fahrrinnen hinein gewühlt hatten. Doch der Motorenlärm ebbte nicht ab, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die nächsten Fahrzeuge ihn erreichten. Max hielt den Arm hoch. Trotzdem zogen die nächsten beiden an ihm vorbei, jeweils eine Artilleriekanone im Schlepptau. Auch der dritte LKW schien ihm keine Beachtung zu schenken und nebelte Max mit seinen Dieselabgasen ordentlich ein. Er stieß einen leisen Fluch aus. Doch noch bevor er aufgehört hatte zu schimpfen, wurde der Lastwagen langsamer und hielt an. Max trabte die letzten Meter, ehe es sich der Fahrer noch anders überlegen konnte, ging an der Kanone vorbei und ergriff die Tür der Beifahrerseite, die jemand von innen geöffnet hatte.

Der Beifahrer rutschte in die Mitte, um Max Platz zu machen. In der dicken Luft, die wohl mehr Zigarettenrauch als Sauerstoff enthielt, fiel es Max schwer, einen Hustenanfall zu unterdrücken. Der Beifahrer, dessen Gesicht hauptsächlich aus einer Knollennase bestand, musterte ihn ironisch: „Na, Junge, hast du dich verlaufen?“

„So etwas in der Art“, entgegnete Max. Er versuchte den Humor zu erwidern, war dafür aber zu müde und zu ausgebrannt. Kurz schloss er die Augen, doch mit dem Sekundenschlaf kamen auch schon wieder die Bilder der Toten zurück. Knollennase bemerkte das und wurde ernster.

„Wo kommst du jetzt her?“ Er hielt ihm eine Zigarette hin, aber Max winkte ab.

„Aus dem Haselbachwald. Von der Sturmgrenadierskompanie .“

Der Fahrer lachte heiser auf, und Knollennase stutzte: „Ah. Die gibt’s noch?“

„Weiß nicht. Von unserer Gruppe bin ich der Letzte.“ Beide brummten mehr oder weniger mitfühlend. Max ließ sich aufklären, dass sich die Amerikaner zurückgezogen hatten, aber nicht weit. Es war absehbar, dass sie, sobald sie ihre Truppen wieder aufgefrischt hatten, den nächsten Angriff starten würden. Max grauste es. So lange und so oft, bis sie es schafften, dachte er und fragte sich, wie viele Tausende bis dahin noch sterben müssten.

Er hatte Glück. Die Fahrer nahmen ihn mit zur Mestrenger Mühle, wo der Stab seine Einsatzleitung führte. In nächster Nähe war auch Hürtgen, wo Konstantin bis vor der Schlacht untergebracht gewesen war. Von dort, wo Max ausstieg, war es nur noch ein Katzensprung zu der Zeltstadt rund um die Mestrenger Mühle. Von der Abgeschiedenheit, an die er sich inzwischen gewöhnt hatte, war hier nichts mehr übrig. Es herrschte reger Verkehr von schweren und leichten Militärfahrzeugen. Soldaten eilten oder schlenderten hin und her, SanKWs brachten Verletzte und Verwundete und kaum einer schenkte dem schmutzigen, stinkenden Neuankömmling Beachtung. Er musste sich natürlich zurückmelden, aber das hatte Zeit. Schließlich vermisste ihn niemand. Erst einmal wollte er auf Spurensuche nach Konstantin gehen. Doch schnell wurde ihm klar, dass das gar nicht so einfach werden würde.

Max klapperte die Lager ab, die die Auswüchse einer Kleinstadt hatten. Er fragte sich nach Konstantins Einheit durch und versuchte den Offizieren aus dem Weg gehen, die einem streunenden Soldaten des untersten Ranges sicherlich das Leben schwer machen und ihn bestenfalls einer Arbeit zuweisen würden. Es vergingen Stunden, in denen er fragte, sich umschaute und, wenn er zu viel Aufmerksamkeit erregte, im allgemeinen Durcheinander untertauchte. Er fand Soldaten, die aus demselben Zug kamen wie Konstantin und zwei kannten ihn sogar. Aber keiner konnte ihm weiterhelfen. Konstantins Kompanie hatte große Verluste erlitten, so viel erfuhr Max. Die Hoffnung schwand mit jeder Minute. Flammenwerfer. Einstürzende Schützenbunker. Feinde, die die Bunker stürmten und alles niederschossen. Die Bilder in Max' Kopf waren grausam und brachten ihn langsam um jede Hoffnung.

Trotzdem suchte er weiter. Erst nur unter den Gesunden, dann durchkämmte er die Feldlazarette. Max war sich nicht sicher, was die schlimmere Hölle war. Das grenzenlose Töten im Eifelwald oder das Versorgen der Verwundeten in den Lazaretten. Er ging zwischen den Reihen hindurch und tat so, als ob er dazugehörte. Jede einzelne Sekunde musste er gegen den Brechreiz ankämpfen. Es stank süßlich nach Tod, Elend und verfaulendem Gewebe. Von allen Seiten drang das Schreien und Klagen von Schwerverletzten, die darauf warteten, dass ihnen geholfen wurde, oder – fast noch schlimmer – denen gerade geholfen wurde. Unter unzureichender Narkose wurden Wunden genäht, Geschosse und Splitter entfernt und sogar mit Sägen und ohne Betäubung ganze Gliedmaßen entfernt. Es war ein Grausen, und trotzdem versuchte Max, in so viele nassgeschwitzte und schmerzverzerrte Gesichter zu schauen, wie er konnte. Hoffentlich nur nicht in Konstantins. Tot zu sein erschien ihm besser, als hier verarztet zu werden. Er dachte an Hubert und schämte sich im nächsten Moment für seinen Gedanken, dass der Rollmops es vielleicht doch nicht ganz so schlecht erwischt hatte.

Max hatte nun alles abgeklappert und es dämmerte bereits, als er ratlos und frustriert weiterging. Er verließ die Zeltstadt, um seine Gedanken zu sortieren. Vielleicht sollte er jetzt gleich zur Führung gehen, um zu sagen, dass er überlebt hatte und dort seine eigene Version seiner Geschichte zu erzählen. Oder vielleicht sollte er nach Bodden fragen, um ihn zu finden und zu …

Außerhalb, am Rand eines Wäldchens, erblickte Max eine auf einem Baumstumpf sitzende Gestalt. Nach vorne gebeugt wirkte er nachdenklich und benommen. Max' ganzer Körper wurde von einem Kribbeln durchflutet. Kannte er diese Haltung nicht von einem Jungen, der vor einer Ewigkeit – in einem anderen Leben – einmal für ihn Geige gespielt hatte? Die Angst davor, sich zu irren, hinderte ihn daran, jetzt loszurennen. Mit jedem Schritt, den er ging, nahm die Gestalt eine bekannte Form an. Das schmale Kreuz unter der Uniformjacke. Rote Haare, deren Ansatz unter der Mütze zu sehen war. Ein feingliedriger Finger, dessen Kuppe die Linien der Rinde des Baumstumpfes nachzeichneten. Max kam ihm nahe. Selbst, als er schon die Sommersprossen auf dem Nacken erkennen konnte, blieb er unbemerkt. Er strich sanft darüber und Konstantin zuckte zusammen.

„Schsch. Ich bin's nur, du Einzelgänger“, flüsterte Max und setzte sich neben Konstantin. Traurige, entkräftete Augen schauten ihn an. Nur langsam wechselte der Blick in Überraschung und Freude.

„Du bist da?“, fragte Konstantin und sah aus, als ob er seinen Sinnen nicht trauen würde.

„Ja.“

„Ich habe nach euch gefragt. Es heißt, eure Kompanie sei ausgelöscht worden.“

„Ist sie.“

Konstantin nickte andächtig und Max schob hinterher: „Aber ich habe trotzdem überlebt. Ich bin vielleicht der Einzige.“

Für einen kurzen Augenblick trat etwas wie Erleichterung in Konstantins Augen. Dann verblasste sie wieder. „Und Hubert?“

Max schüttelte mit dem Kopf. Seine Augen füllten sich mit Tränen und alles brach über ihn ein. Doch es war in Ordnung. Konstantin drückte ihn an sich. Hier durfte er zusammenbrechen. Konstantin gab ihm die Zeit dazu, sich wieder zu fangen. Dann erzählte er alles. Von den Kämpfen und den Toten. Von Zerbst, der gefallen war und Bodden, der das Kommando übernommen hatte. Er berichtete Konstantin von den Morden an Marc Hernandez und an Hubert, dessen zum Talisman erklärte Taschenuhr gegen Huberts Courage und Boddens Niedertracht nichts auszurichten vermochte. Und, obwohl er es mit ins Grab nehmen wollte, gestand er auch seinen Hochverrat, als er den Amerikanern geholfen hatte. Er erzählte von Rob und wie grotesk er es fand, dass auf einmal der Feind neben ihm lag und ihm einen guten Tag wünschte; davon dass er geholfen hatte, und von Peanut. „Ich glaube, Peanut ist ein lustiger Kerl.“

Konstantin zwinkerte. „Peanut? Komischer Name. Ist das sein Vor- oder sein Nachname?“

Max stutzte. Darüber hatte er sich noch gar keine Gedanken gemacht. „Weiß nicht. Aber weißt du, wie er mich genannt hat?“

„Wie denn?“

„Sauuuerkuautkopf“, sagte Max mit unterdrücktem Lachen und versuchte den Akzent so gut er konnte nachzumachen.

Konstantin zog eine Augenbraue hoch: „Sauuuerkuautkopf?“

„Ja. Und ich hab ihn einen Kaugummifresser genannt. Und weißt du, was er mir zum Abschied geschenkt hat?“

„Woher denn?“

Statt zu antworten zog Max die Wrigley's Spearmint Packung heraus und hielt sie Konstantin entgegen. Konstantin griff zu und auch Max nahm sich einen Kaugummistreifen.

„Schmeckt gut.“

„Nicht wahr? Er hat ausgesehen, als ob es ihm am Liebsten gewesen wäre, wenn ich mit ihnen mitgegangen … und desertiert … wäre.“

Konstantin presste kurz die Lippen zusammen. „Hast du natürlich nicht. Der pflichttreue Maxl. Für Führer, Volk und Vaterland.“

„Ich habe es wegen dir nicht getan, Konstantin. Nur wegen dir. Weil ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte, dich noch einmal zu sehen.“

Konstantin schwieg lange. Seine Augen glänzten. „Trotzdem hättest du es tun sollen“, sagte er schließlich. „Dann hättest du es hinter dir.“

„Nicht ohne dich“, murmelte Max und es tat ihm gut, seinen Kopf an Konstantins Schulter zu lehnen. Lange schwiegen sie und genossen die Nähe, an die keiner der beiden mehr geglaubt hatte.

Dann säuselte Konstantin: „Komm. Ich zeige dir mal, wo du dich waschen kannst. Einer muss es dir ja sagen, Maxl. Du stinkst.“

Max lachte überrascht auf. „Oh. Damit habe ich nicht gerechnet.“

„Siehst du?“

Gemeinsam gingen sie der einbrechenden Nacht entgegen zurück zur Zeltstadt. Von nicht allzu weit her dröhnten die LKW. Nach der ersten Schlacht um die Eifel wurde weiter Material und Geschütze verladen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann das Töten weiterging. Ein offener Geländewagen kam ihnen entgegen. Weil in solchen Wagen meistens Offiziere ihre Patrouillen fuhren, hielten Konstantin und Max am Wegesrand an. Zum Verstecken war es schließlich zu spät. Sie nahmen zum Grüßen die Fingerkuppen an die Schläfen, als der Adler mit einem Oberstleutnant auf dem Beifahrersitz an ihnen vorbeisauste und eine Menge Staub aufwirbelte.

Max atmete durch, als er sie passiert hatte. Aber schon in der nächsten Sekunde wurde das Motorengeräusch tiefer und der Wagen hielt an. „Soldaten!“, rief jemand und Max und Konstantin sputeten sich, um die paar Meter zu dem Stabsoffizier zu rennen.

„Herr Oberstleutnant! Die Schützen Haim und Wüstrach ...“, wollte Max loslegen, aber der Offizier ging mit einer scharfen Handbewegung dazwischen.

„Das sieht man ja gerne, Jungens! Herumlungern, wenn es so viel zu tun gibt! Zu welcher Einheit gehört ihr?“

Max nannte seine Einheit, während Konstantin neben ihm abwartend auf seinem Kaugummi kaute.

„Die Kompanie wurde doch schon gestern aufgelöst, Schütze. Hattest wohl Glück, Junge.“ Er wandte sich an Konstantin. „Und du?“

„Selbe Kompanie, selber Zug, Herr Oberstleutnant!“ Der Oberstleutnant murrte etwas vor sich hin und Max blieb kerzengerade stehen, obwohl es ihn bei der dreisten Lüge beinahe umgeworfen hätte.

„Dann muss ja mehr in euch stecken, als man euch ansieht“, sinnierte der Offizier. „Verdammt! Warum kaut ihr denn die ganze Zeit wie die Kühe?“

„Kriegsbeute, Herr Oberstleutnant“, rief Konstantin, kramte die Wrigley's aus Max Hosentasche und hielt sie dem Offizier entgegen.

„Bäh“, machte der Andere, aber mit einem gewissen Respekt im Blick. Er glaubte wohl, zwei zwar sehr jungen, aber gewieften Kriegern gegenüberzustehen. „Wie schon gesagt, Jungens. Abseilen ist nicht. In einer halben Stunde will ich euch an der Verladestation sehen. Ihr werden dahin verlegt, wo ihr gebraucht werdet.“

„Jawoll, Herr Oberstleutnant“, riefen die beiden im Chor.

„Einen Spaziergang machen, während alle anderen schuften wie die Brunnenputzer. Diese Jugend von heute“, maulte der Offizier, ehe er davon fuhr.

„Jetzt hast du den Salat“, schimpfte Max. Konstantin schaute mit dieser fragenden Unschuld zurück, die Max manchmal wahnsinnig machte.

„Was für einen Salat?“

„Wegen deiner Lüge sollst du nun verlegt werden. Dabei bist du doch schon in einer anderen Kompanie. Wenn du bleibst und der Oberstleutnant sieht dich morgen oder übermorgen ...“

„Ich werde mich natürlich mit dir verlegen lassen“, sagte Konstantin.

„Was?!“

„Nun. Der Oberstleutnant hat es doch befohlen. Was hat da der Hauptmann unserer Kompanie entgegenzusetzen?“

„Du treibst es wieder Mal auf die Spitze“, schimpfte Max und Konstantin lachte.

Lesemodus deaktivieren (?)