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Und dann war da Thor

Teil 3 - +++Drei+++

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Als ich aufwache, ist es ziemlich dunkel. Irgendwann gegen drei, vermute ich mal. Dann werde ich meistens wach, ganz plötzlich. Das große unbekannte Wesen weckt mich, um einen kleinen Spaziergang mit mir zu machen. Mich in eine andere Welt zu entführen, in der man sein darf, wie man eben ist. Meistens.

Thor liegt neben mir, seine Gesichtszüge sind vollkommen entspannt. Im fahlen Licht des Mondes sieht er unglaublich blass und hilfsbedürftig aus. Fast wie ein kleines Kind, das man vor allem Bösen bewahren will. Vor den alkoholabhängigen Eltern, dem bösen Nachbarshund, dem ungerechten Lehrer, den lästernden Klassenkameraden, dem ersten Herzschmerz, den Strapazen des Erwachsenwerdens. Vor den klitzekleinsten Kleinigkeiten. Vor den Stolpersteinen, die einem das Leben in den Weg wirft.

Jemand, den man trösten will. Der ganz viel erlebt hat und bei weitem nicht nur schöne Dinge. Er hat seine Hand ganz fest um meine geschlungen, fast krampfhaft. Wie früher, wenn man mit Mama einkaufen gegangen ist.

Geh nicht verloren.

Ich seufze leise und sehe ihm weiter beim Schlafen zu. Ruhe. Mit meiner freien Hand berühre ich sein Gesicht. Sanft, damit er nicht aufwacht. Fahre die Konturen nach. Sehe seine grünen Augen vor mir, die mich anblinzeln. Die ihre Leuchtkraft noch nicht eingebüßt haben, trotz seines Lebens. Ich stelle mir sein Lachen vor. Die Grübchen, die dabei entstehen. Meine Finger schweben über seinen Lippen, die mich vor wenigen Stunden noch geküsst haben.

Unwirklich.

Dann lasse ich mich wieder zurück in die Federn sinken. Ich sollte schlafen, jetzt. Fahre trotzdem über seinen Unterarm, schmiege mich enger an ihn. Obwohl morgen früh alles vorbei sein wird, für immer. Er wird wieder zurück auf die Straße gehen, wo er bettelt. Mit seinen Kumpels. Ich werde wieder mein langweiliges Leben führen, nichts tun. Ohne Freunde. Der graue Alltag hat uns in wenigen Stunden wieder. So langsam werden mir doch die Augen schwer. Zeit ist es.

„Schlaf gut, Thor“, flüstere ich ins Zwielicht.

Hören kann er mich jetzt sowieso nicht. Er wird nie wissen, dass ich ihn sogar vor bösen Träumen schützen möchte. Dass er so verletzlich aussieht. Weil es nur Gedanken sind, meine Gedanken. Niemand wird mich je danach fragen. Eigentum.

Der Schlaf übermannt mich. Morgen ist auch noch ein Tag, denke ich. Dann kommt die große Schwärze und senkt sich über mich.

Ich blinzle. Kühles, graues Licht fällt durch das Fenster auf mein Bett. Nebel. Die Seite neben mir ist frei, er ist schon gegangen. In seine eigene Welt, die nicht mit meiner kompatibel ist. Ich seufze und schäle mich aus der Bettdecke. Kalt ist es auch noch hier oben. Der Schlafsack ist verschwunden, genau wie all die Sachen, die darin verborgen waren. Ich tapse schlaftrunken die Treppe runter. Mama ist auch schon wach, ich habe es befürchtet. Der Tag könnte gar nicht schlimmer werden.

„Guten Morgen, Alexander! Wo hast du denn den guten Hannes gelassen?“, begrüßt sie mich fröhlich.

Widerlich, dieses zuckersüße Lächeln, das mir ihre weiß gebleichten Zähne präsentiert. Künstlich und perfekt konstruiert nach aktuellem Schönheitsideal.

„Der ist schon weg. Sein Zug ging früh, weißt du“, flunkere ich.

Frau Mutter guckt bestürzt.

„Aber dann ist der Ärmste ja ohne ein vernünftiges Frühstück aus dem Haus gegangen!“

„Ganz ruhig, Mama. Der hat sich bestimmt am Bahnhof etwas gekauft, oder im Speisewagen. Verhungern tut er sicher nicht“, sage ich spöttisch und gieße mir Tee ein.

Sorgen hat die auch nur noch für anderer Leute Kinder übrig. Ich bin ja auch nicht relevant und vorzeigen kann sie mich bei ihren Freundinnen auch nicht mehr. Aus dem niedlichen Alter bin ich ja leider schon raus, ich bin dagegen. Mit siebzehn muss man das sein, da ist man Rebell, hat Mama gesagt. War sie auch. Im Parka ist sie damals rumgelaufen und hatte eine blaue Strähne. Das fand sie ganz toll, weil es ihren Eltern nicht gefallen hat.

„Sei doch nicht immer so unartig, Alexander! Es ist unerhört, welches Verhalten du an den Tag zu legen pflegst!“, schimpft sie drauflos. „Dein Vater hat Montag Abend ein Geschäftsessen, und du bist auch eingeladen. Ich verlange von dir, dass du gutes Benehmen zeigst! Nicht auszudenken, dass wegen einem frechen Bengel der Vertrag platzen könnte!“

Ich hasse es.

Ein Leben auf der Straße erscheint mir eigentlich als ganz schön. Muss ich halt ein paar Mal meinen Hintern herhalten, aber so schlimm wie das kann es gar nicht sein. Oder? Alles hier ist protzig. Und kein Thor in Sicht, der das Muttertier besänftigen könnte.

„Vielleicht schafft es auch die angeheiterte Frau Mama zum wiederholten Male, dass sie durch Lippenstift im ganzen Gesicht äußerst positiv auffällt!“, antworte ich kühl.

Jedes Mal Stress, meistens, wenn es um meinen Vater geht. Der kümmert sich natürlich gar nicht um das Essen, höchstens um nette Gesprächsthemen. Die teilt er uns ungefähr zwei Stunden vor der Ankunft der Gäste mit, damit wir informiert sind. Kein Fettnäpfchen, alle Dinge, die nicht angesprochen werden dürfen erzählt er. Damit alles perfekt läuft und er noch mehr Geld anhäuft. Ich sollte mich freuen, immerhin erbe ich irgendwann. Aber im Grunde genommen ist da nur eine Leere, ein Abgrund.

„Ich bin oben“, murmle ich und fahre mir über die Stirn.

Bloß nicht drüber nachdenken. Über die perfekte Familie und den wundervollen Ruf. Ich könnte ihn platzen lassen, nur mit einem winzigen Satz. Am besten in der Öffentlichkeit, wenn die Presse nicht weit ist.

Ich haste die Treppe hinauf.

„Ich, Alexander Lehmann, bin schwul. Danke!“, wispere ich.

Das allein würde reichen, um meinen Vater zu stürzen. Aber ich weiß nicht, ob ich für diesen Schritt schon bereit bin. Mit siebzehn kann ich nicht ohne weiteres ausziehen, ich weiß. Und jobben neben der Schule? Da müsste ich schon so einen Beruf wie Thor haben. Dagegen sträubt sich wiederum meine Würde, ein nicht enden wollender Kreislauf. Ich werfe die Tür zu und rutsche an ihr herab wie ein nasser Sack. Nur ein Traum.

Ich schließe die Augen und atme tief durch. Will nicht da sein, wenn mein Vater kommt. Lieber wäre ich irgendwo ganz weit weg, irgendwo im Norden. Da, wo meine Musik herkommt. Ziemlich viel würde ich in Kauf nehmen, um den Männern in den piekfeinen Anzügen zu entgehen. Ihren löchernden Fragen und ihrem aufgesetzten Lächeln. Ihren bösen Augen, den fahlen Gesichtern und der schleimigen Art. Ausbrechen, irgendwann mal.

„Weg, weg, weg“, sage ich laut und haue meinen Kopf bei jedem Wort gegen die Tür. „Einfach nur raus hier!“

Verzweiflung macht sich breit. Vor meinem inneren Auge kann ich Thor sehen, wie er auf mich herab blickt. Er würde sagen, dass ich Emo bin, durch und durch. Erkennt man doch sofort: Jemand, der sich trotz guter Lage total schlecht behandelt fühlt. Könnte ja schlimmer kommen. Ich muss nicht auf den Strich.

„Weg!“, murmle ich und stürme die Treppe hinunter.

Ich weiß, dass es sinnlos ist. Mir doch egal, dann verhalte ich mich eben wie ein Kleinkind. Unüberlegt, ungezogen, aufständisch. Meinetwegen auch zickig, mir ist es im Moment egal. Zu viel auf einmal. Nehme die Jacke von der Garderobe.

„Ich muss noch mal weg!“, rufe ich Mama zu.

Sie antwortet nur: „Vergiss das Essen nicht!“

Hat wohl wieder eine ihrer Beauty-Masken im Gesicht. Ich schlüpfe in meine Schuhe und verlasse das Haus. Die kalte Luft strömt in meine Lungen, ein Stück Freiheit kehrt zurück. Ein schmales, trauriges Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Und wenn ich einfach nicht wiederkomme? Ein bisschen trödle, mich ein bisschen verlaufe und mit jemandem mitgehe. Mit Leuten, vor denen meine Mutter mich früher immer gewarnt hat.

Ich weiß es: Ich werde ins »Antiquus« gehen. Dort sind Gestalten, die das gleiche wie ich denken. Die fühlen, dass sie zu Hause nicht mehr erwünscht, abgemeldet sind. Minderheiten, schlicht und ergreifend. Personen, bei denen jeder »anständige« Mensch die Nase rümpft. Weil sie ihre Träume leben und ihre ganz eigene Art haben. Es tut gut, glaube ich. Da sind welche, die auch nicht geliebt werden. Denen etwas fehlt und die auf der Suche sind – nach was auch immer. Die der Welt genauso hilflos gegenüber stehen wie ich.

Ab zum Bahnhof. Der Zug lässt auf sich warten, also kauere ich mich auf einen der metallenen Stühle. Wahrscheinlich sehe ich gerade aus, als ob ich mich jeden Moment auf die Gleise stürzen würde. Tu ich nicht, keine Sorge. Das wäre einfach nur feige, denke ich. Und das bin ich schon oft genug, da muss nicht auch noch das Lebensende so sein. Oder? Egal. Meine Füße trommeln auf dem Pflaster irgendeinen Rhythmus. Ich glaube, ich kenne ihn nicht, aber er ist einfach da. Massiere mir den Kopf, um klarer denken zu können, wie meine Oma es früher immer getan hat. So lange, bis ich das markerschütternde Quietschen des bremsenden Zuges höre. Ich klettere hinein und lasse mich auf einen Sitz fallen. Hat etwas von einem Dejà-vu, nur, dass ich nicht außer Atem bin. Das Fenster, an dem ich sitze, ist verkratzt, sodass man nicht hinaus sehen kann. Wieder keine Ablenkung, schade. Ich lege meine Füße auf der Bank gegenüber ab und hoffe, dass kein Kontrolleur im Anmarsch ist. Die mögen das gar nicht gern, hab ich am eigenen Leib erfahren. Aber ich mag es nun mal gerne bequem. Mit bösen Blicken mache ich den anderen Fahrgästen klar, dass ich keinesfalls Wert auf ihre Anwesenheit lege. Habt mich doch mal alle gern. Gleich bin ich da, es werden schon immer mehr Gleise.

Ich springe auf und haste zur nächsten Tür. Zu bedrückend und eng erscheint mir der Zug, zu trostlos. Kaum stehen wir, springe ich hinaus auf den Bahnsteig. Ich atme tief durch und marschiere los. Ohne jeglichen Blick zur Seite, etwas wie gestern soll mir nicht noch einmal passieren. Meine Füße führen mich ganz von selbst und ehe ich mich versehe, stehe ich schon vorm »Antiquus«. Heute ist es fast leer und nur wenige Gäste lungern an den Tischen. Oben ist bestimmt nicht eine Menschenseele. Ich betrete den Raum und lächle Julia, der Inhaberin, zu. Ich lasse den Blick schweifen. Im Grunde weiß ich gar nicht, wonach ich suche.

Thor ist auf keinen Fall da. Was habe ich mir nur dabei gedacht? War doch von Anfang an klar. Trotzdem bin ich irgendwie enttäuscht.

„Arbeitet Adrian heute?“, frage ich Julia.

„Oh, ja. Möchtest du lieber von ihm bedient werden?“, erwidert sie mit einem verschmitzten Grinsen.

Ich nicke und stütze mein Gesicht in die Hände. Viel ist wirklich nicht los hier drinnen und ich kenne fast keinen. Wunderbare Aussichten. Endlich ist er da, ich stehe auf.

„Hey“, murmle ich und umarme ihn.

„Hi! Ist wohl schon wieder weg, dein One-Night-Ständer?“, fragt er und küsst mich auf die Wange.

„Allerdings. Hast du das gestern ernst gemeint?“, murmle ich und beuge mich etwas näher zu ihm hin. „Weißt du, ich hätte heute Zeit...“

Himmel, was tue ich hier? Braucht mein Ego das?

„Selbstverständlich. Weißt du, so was Nettes wie dich findet man nicht an jeder Straßenecke...“

Seine Hand ruht auf meinem Hintern. Wie lang das jetzt schon her ist! Ich lächle und schmiege mich etwas enger an ihn.

„Ich frag Julia, ob ich jetzt schon gehen kann, das würde dir doch gefallen?“, fragt er spitzbübisch.

Ich nicke und gehe schon mal in Richtung Ausgang. Wenn ich mit einem Kerl in den Federn liege, kann ich nicht zum Essen. Trifft sich doch ganz gut, oder nicht? Sie muss ihn einfach gehen lassen, bei dem bisschen Betrieb.

„So, wir können“, verkündet Adrian und hakt sich bei mir unter. „Wie immer zu mir?“

„Nur allzu gerne“, nuschle ich an seinem Hals.

Los geht’s. Und wieder weiß ich nicht, wie ich zu seiner Wohnung gekommen bin. Schon den ganzen Tag bin ich dermaßen senil und abwesend, dass es nicht mehr schön ist. Ich lege meine Jacke ab, besser gesagt werfe ich sie in die Ecke und lasse mich auf sein Bett fallen. Sofa oder so hat er ja nicht. Er folgt mir, setzt sich neben mich. Langsam fährt seine Hand über meinen Oberkörper, schlüpft unter mein Oberteil. Ich seufze und schließe die Augen. Fallen lassen. Genießen. Oder so ähnlich.

Ich kann seine Erregung spüren, als er sich an mir reibt. Fühle nicht viel. Streife mein Oberteil ab und werfe es weg, irgendwo hin. Verfahre mit seinem genauso. Küsse seinen Hals hinab, während er schon an meiner Hose nestelt. Er hatte es schon immer eilig. Ich erhebe mich kurz, damit er mich von dem lästigen Kleidungsstück befreien kann. Kratze leicht über seine Oberarme. Seine Hand verschwindet in meinen Boxershorts, fummelt an mir rum. Ich weiß, ich sollte nicht so unbeteiligt sein. Schließe die Augen, fahre über seine Oberarme. Kriege ganz am Rande mit, dass er mein letztes Kleidungsstück auszieht. Ich seufze leise und sehe ihm mit halbgesenkten Lidern zu, wie er sich entkleidet. Nehme seinen gierigen Blick wahr und begegne ihm mit Gleichgültigkeit. Was tue ich hier, verdammt? Fühle seine Hände auf meinem Körper, sie sind überall. Stöhne leise und denke an einen anderen Kerl. Fahre durch seine Haare und bin gedanklich bei Dreadlocks. Die ganze Zeit.

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Vorbei. Ich hätte es vorher wissen müssen. Dass da irgendetwas zwischen uns kaputtgegangen ist, meine ich. Etwas, das man nicht mit einem bisschen Ficken kitten konnte. Adrian hat es auch gespürt, glaube ich. Wenn ich für ihn nicht nur eine schnelle Nummer zwischendurch war, aber wer weiß das schon?

Jetzt sitze ich auf den Stufen vor dem Dom, kalt ist es. Ich kann meinen Atem weiß in der Luft hängen sehen und meine lila gefärbten Finger, aber ich spüre es nicht so recht. Eine Leere hat sich in mir breit gemacht, die sich nicht verdrängen lässt. Von nichts. Ich beiße auf meine Unterlippe und spüre, wie einige Tropfen Blut hervorquellen. Es schmeckt leicht metallisch, als ich mit meiner Zunge darüber fahre. Umschlinge meine Beine mit den Armen, lasse meine Füße nach wenigen Sekunden wieder frei in der Luft baumeln. Was will ich eigentlich?

Adrian schon mal nicht, das habe ich gemerkt. Verflixt, warum muss mein Leben so kompliziert sein? All meine Gedanken führen ins Nichts und ich kann es nicht ändern, bin so machtlos. Die Leute sehen mich schon ziemlich seltsam an. Was sie wohl denken?

Wenn ich nicht so teure Klamotten anhätte, würden sie mir sicher einen Euro hinlegen. Geheucheltes Mitleid, das sie sich sonst wohin stecken können. Sehe ich etwa so aus, als könnte ich es brauchen? Nein, natürlich nicht. Ich bin ja der Sohn aus gutem Hause. Genau genommen hätte ich da auch schon vor drei Stunden aufschlagen sollen. Die sitzen bestimmt schon alle zu Tisch und meine Eltern müssen mit einer Hochglanz-Ausrede aufwarten, warum der Nachwuchs der ganzen Sache nicht beiwohnt.

„Kein Platz für einen missratenen Spross“, murmle ich.

Ein Passant sieht mich verstört an, geht dann aber weiter. Ich starre ihm nach, wie er immer kleiner wird und in der sich herabsenkenden Dämmerung verschwindet. Warum bin ich eigentlich hier? Ausgerechnet vor einer Kirche. Die da drinnen wollen mich eh nicht haben, bin ja schwul. Bestimmt hält der Pfaffe es auch noch für ansteckend, ungefähr so wie Krebs. Musste ich ja schon öfter hören, diese Meinung. Hier bin ich alles, aber nicht willkommen. Ich stehe auf und klopfe meine Hose ab. Was tun?

Nach Hause kann ich jedenfalls nicht. Da dinieren aktuell noch die hohen Herren, ich würde nur dadurch auffallen, dass ich fehl am Platze bin. Freunde? Fehlanzeige, die habe ich nicht. Und ins »Antiquus« will ich auch nicht, da ist Adrian bestimmt wieder. Seinem Blick könnte ich heute nicht noch einmal standhalten. Bin ja gleich verschwunden.

Thor? Seine Freunde bringen mich um. Also zum Bahnhof und da rumhängen. In richtiger Gesellschaft bin ich da ja offenbar, die ollen Kerle wollen ja auch nur Sex. Da kann ich mich dann in dreißig Jahren sehen. Na gut, pädophil werde ich, glaube ich, nie werden.

„Hoffen wir es“, sage ich laut und schlendere weiter durch die Straßen.

Den Zug habe ich sowieso verpasst, der ist vor zwei Minuten weggefahren. Ich habe alle Zeit der Welt, niemand braucht mich. Bin ja nur ich, der dumme Alexander. Pfeife vor mich hin, eins der traurigen Lieder, die ich so gerne mag. Hört mir ja keiner zu, der mich verbessern möchte. Ich bin melancholisch aus Überzeugung. Pflanze mich im Bahnhof auf einen der dummen Drahtstühle. Ich starre auf die Skyline – und doch wieder nicht. Sehe durch alles durch und dahinter eine Person. Jemanden mit Dreadlocks und grünen Augen, der mich anlächelt. Aber da ist kein Thor, nirgendwo hier. Nur ich, ganz allein mit mir. Ob man das verantworten kann? Ein Mensch mit Gewissen sicher nicht. Warum muss ich eigentlich an den Idioten denken, hm? Der ist doch wieder da, wo er hingehört. Auf der Straße, wo sonst. Ist einfach gegangen, ohne eine Verabschiedung. Das hätte man doch erwarten können, oder? Er steht gerade nicht sehr weit oben in meiner Gunst und trotzdem kreisen meine Gedanken nahezu permanent um ihn. Wie zum Beispiel vorhin, bei Adrian. Da hätte ich mich doch eigentlich gut fühlen sollen, wo er doch so ein toller Hengst ist. Hab ich mich aber nicht, selbst da war mein Verstand noch klar. Nicht so wie sonst. Was ist in mich gefahren, kann mir das jemand sagen?

Ich atme tief durch und steige in den Zug, der soeben angekommen ist. Mir ist schlecht. Ich habe vorhin gegen so ziemlich alle meiner Prinzipien verstoßen, die ich je aufgestellt habe. Sex mit dem Ex und dann auch noch ohne Gefühle, das verkraftet meine lädierte Seele nicht. Ich breche meine Grundsätze im Normalfall nicht, so lächerlich sie auch sind. Gut, bis vor kurzem hätte ich auch keinen Stricher mit nach Hause genommen, denke ich. Aber Adrian war so schön eifersüchtig, als ich mit Thor im »Antiquus« saß. Die beiden Kerle machen mich wahnsinnig, mein Magen verkrampft sich weiter. Der Zug fährt an und ich werde gegen die Wand geworfen, weil ich mich noch nicht hingesetzt habe. Ich blinzle. Was hat mich dermaßen aus der Bahn geworfen und das zum Glück nicht im wortwörtlichen Sinne? Es rumpelt, schließlich ist der Wagon zweite Klasse und schon etwas älter. Mein Bauch findet das gar nicht schön und startet eine Revolution allererster Güte. Ich presse meine Linke vor meinen Mund und stürze auf das stinkende Zugklo.

Das hat mir noch gefehlt – intim mit einer versifften Toilette. Warum bin ich heute überhaupt aufgestanden? Nachdem ich meinen Magen gänzlich entleert habe, wasche ich meine Hände und mein Gesicht mit dem Wasser, das laut Schild nicht zum Trinken gedacht ist. Himmel, jetzt kommt es auch nicht mehr drauf an! Nebenbei mache ich den schlimmsten Fehler meines Lebens: Ich werfe einen Blick in den mit Fettflecken geschmückten Spiegel. Meine Hautfarbe steht in einem ungesunden Kontrast zu den rosa Wänden und natürlich zu den dunklen Rändern unter meinen Augen. Meine Augen starrten trüb zurück, beinahe ohne Hoffnung.

Ich seufze abgrundtief und verlasse das miefige Klo zugunsten eines Sitzplatzes. Wie immer stelle ich meine Füße gegenüber ab und sinke tief in die schlechte Polsterung. Starre aus dem Fenster und bewundere die vorbeiziehende Landschaft mit einer großen Portion Desinteresse. So verpasse ich leider, dass der Schaffner in meinem Abteil ist.

„Füße runter, junger Mann, aber dalli!“, schnauzt er.

Ich drehe meinen Kopf ruckartig um und bringe meine Beine wieder in eine non-parallele Richtung zum Boden. Meine Hände tasten nach meiner Fahrkarte. Moment, die habe ich ja gar nicht gelöst!

„Ich – ich war sehr spät dran und konnte keine Fahrkarte mehr ziehen“, flunkere ich.

Die Augenbrauen des älteren Herrn rücken bedrohlich zusammen – das gibt Krieg.

„Sie haben für ein Ticket zu sorgen, egal wie beschäftigt Sie sind, das sollte bis zu Ihnen durchgedrungen sein! Das macht ein ordentliches Busgeld!“, maßregelt er mich.

Dann tippt er auf seinem lustigen Gerät herum, bestimmt zwei Minuten lang. Gibt mir den Papierfetzen, den ich sofort lese. Was, acht Euro? Unverschämtheit. Aber wir wollen nicht noch mehr Ärger heute, nicht? Deshalb zücke ich brav meinen Geldbeutel und bezahle meine »Schulden«. Habe ich wenigstens den Rest der Fahrt Ruhe, sonst kommen noch die Grün-Weißen. Und ich kann darauf verzichten, mit dem Partybus zu Hause abgesetzt zu werden.

Schwupps, schon bin ich in meinem schmucken Vorort.

Hier regieren Stolz, Vorurteil, Klatsch und Geld, willkommen in der Anderswelt.

Was mach ich denn jetzt, bis die letzten Gäste gegangen sind? Ich komme ja nicht in mein Zimmer, solange die ehrenwerten Herren unten speisen. Freunde habe ich keine hier. Okay, eigentlich habe ich niemanden, den ich als »Freund« bezeichne, nur gute Bekannte. Selbige sind aber auch nicht hier anzutreffen, zu noble Gegend. Kurzer Magen-Check: Revolution und Rebellion wurden durch mangelnden Nachschub niedergeschlagen. Gefühl: Immer noch schrecklich. Was tun?

Ich könnte zum nächsten Supermarkt laufen und mich, ausnahmsweise mit Grund, betrinken. Fraglich wäre dann, ob ich noch nach Hause finde und was meine herzallerliebsten Eltern davon halten: Sohnemann irrt mehr als dicht durch die penibel geordnete Siedlung, stört sich nicht an den starrenden Nachbarn, die sich hinter den Gardinen verstecken, hält sich am Rasen fest und düngt Nachbars Blumen. Wahrscheinlich nicht sehr viel.

Was dann?

Die befrackten Herren bleiben sicher noch eine Stunde, die Zeit muss ich sinnvoll verbringen. Außerdem ist es hier kalt, zu kalt für jemanden wie mich. Ich habe schon mal gehört, dass jemand bei 10 Grad plus erfroren ist, das will ich nicht riskieren. Obwohl es schmerzfrei sein soll, wie ich auch vernehmen musste. Ich sehe schon die Schlagzeile der Tageszeitung vor meinem inneren Auge: „Millionärssohn erfror auf Bahnhof – Passanten halfen nicht!“

Das würde mal Wind ins Kaff bringen. Dass der Golfclub neuen Rollrasen hat, interessiert mich nämlich nicht so wirklich. Krank werde ich eh schon, meine Nase kribbelt ganz unangenehm. Erkältung ist vorprogrammiert, da kann ein bisschen mehr gar nicht so zu Buche schlagen. Also schäle ich mich aus meiner Jacke und breite sie auf dem Boden aus. Anschließend lege ich mich bäuchlings drauf und höre meinen Zähnen beim Klappern zu. Himmel, ist das kalt! Ich kriege schon wieder lila Flecken auf der Haut, von abstehenden Haaren wollen wir gar nicht reden. So fühlt es sich also an auf der Straße zu leben. Irgendwie ein beschissenes Gefühl.

„Was soll’s – die alten Säcke fressen sich immer noch bei uns durch!“, murmle ich schicksalsergeben.

Ich wippe mit meinen Füßen in der Luft rum, Bewegung hält schließlich warm. Räuspere mich ab und zu, um meine Stimme zu ölen. Die dürfte eh hinüber sein, ich war ja mit Adrian nicht gerade leise. Show, aber nicht schlecht. Und jetzt muss ich die Konsequenzen tragen. Bilanz nach dem heutigen Tag, der gar nicht schlimmer werden kann:

– Thor: weg

– Alexander: deprimiert

– Adrian: nicht das, was ich will

Aber was will ich denn bitte? Irgendetwas Aufregendes für eine Nacht? Oh nein, bloß nicht. Ich bin ein emotionaler Mensch, das kommt nicht in Frage. Eine Beziehung? Ja. Aber mit wem?

Das Bild eines gewissen brünetten Kerls stiehlt sich in meinen Kopf. Nein, geh da weg! Ich. Steh. Nicht. Auf. Ihn. Verdammt!

Vielleicht find ich ihn ein bisschen süß, aber mehr ist da nicht.

Obwohl das Rumhauen sehr angenehm war.

Was es bei mir nur ist, wenn ich bestimmte Gefühle habe. Das sagt in dem Fall natürlich gar nichts, weil gestern auch schon ein blöder Tag war. Bestimmt habe ich irgendwas gegessen, was diese diffuse Stimmung verursacht hat, ganz sicher. Sonst ginge das ja gar nicht, dass ich mich in einen Kerl vergucke, den ich erst so ein winziges Stück kenne.

Scheiße, jetzt habe ich es auf den Punkt getroffen. Dabei wollte ich es doch verdrängen, verdammt!

Wie ich es auch drehe und wende, es läuft doch immer auf eine Sache hinaus:

Ich habe einen Narren an Thor gefressen.

Und ich will erfrieren, weil ich mit dieser Einsicht auf den Tod nicht klarkomme.

Wo bleibt der nächste Zug, hm?

„Die Welt hasst mich!“, schreie ich resigniert und schlage mit der Faust auf den kalten Boden.

Aua.

„Da hast du verdammt Recht!“, antwortet eine dunkle Stimme.

Scheiße, Scheiße, Scheiße!

Dieser von Schadenfreude triefende Ausspruch kam von keinem anderen als Lukas. Wir sind seit ungefähr einer Ewigkeit verfeindet, sprich: Seit er mich im Kindergarten das erste Mal vermöbelt hat.

Ich springe auf, packe meine Jacke und renne so schnell ich kann. ist natürlich vollkommen sinnlos, weil er zwei Köpfe größer, viel stärker und sportlicher ist, aber der Versuch zählt.

So schnell kann einem warm werden. Und das auch noch, wenn einem der Arsch auf Grundeis geht. Die kalte Luft brennt in meinen Lungen, meine Augen tränen vom Wind und das Seitenstechen wächst ins Unermessliche. Wie gerne wäre ich jetzt zu Hause, egal wie viel Stress es gäbe!

Er hat mich.

Wo bleibt der Zug, damit ich einen weniger schmerzhaften Tod sterben darf?

Nie ist er da, wo man ihn braucht.

Und da sind sie auch schon: Die ersten Schläge, die auf mich einprasseln. Die Tritte, die mir die Beine unter den Füßen wegziehen. Schon liege ich auf dem Boden, die Hände schützend um den Kopf geschlungen. Warte, bis es vorbei ist. Wenn man sich nicht wehrt, wird ihm schnell langweilig, habe ich schon vor Ewigkeiten gelernt.

Mein Auge, scheiße! Schmerz, Schmerz, Schmerz. Und davon ganz viel. Wann hat er denn endlich genug?

Weg, endlich ist er weg. Erst, als er nicht mehr zu sehen ist, rapple mich auf. Es tut weh, wie schon so oft. Ich kann das warme Blut spüren, das mein Gesicht hinab rinnt und wische es mit dem Ärmel weg. Wenn Mama mich so sieht, bekommt sie nur wieder Hysterie, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen. Ich bin halt das Opfer, damit sollte sie sich langsam abfinden. So, wie ich es schon vor Jahren getan habe.

Zeit für den Heimweg. Ich kann ja unterm Gehen noch ein paar Spuren der Gewalt beseitigen, wenn auch notdürftig. Die Jacke habe ich auch wieder angezogen, ist unauffälliger. Wenn jemand wie ein geprügelter Hund abends nach Hause kommt, macht das einen schlechten Eindruck auf die Nachbarn. Da kommen dann wieder üble Gerüchte und meine Eltern bekommen Stress, will ich ja nicht. Zu viel Wirbel um meine Person kann ich nicht brauchen. Nicht jetzt, wo alles eh schon so kompliziert ist.

„Verdammt, warum immer die geballt Ladung?“, murmle ich und trotte weiter.

Ich bin ein Magnet für Unglück jeder Art. Sündenbock frei Haus, wenn jemand sich wieder abreagieren muss, bin ich da. Stets zu Diensten, sozusagen. Das ist kein Selbstmitleid, das ist die ganze, verfickte Wahrheit. Und ich kann es nicht ändern.

Vor unserem Grundstück bleibe ich stehen. Sind noch andere Autos außer unseren da? Nein, wie schön. Nicht auszudenken, was die werten Herren jetzt denken würden.

»Ein Prügelknabe ist der Spross vom Lehmann.« – »Echt?« – »Ja, Elfriede, aber das ist nicht mal das schlimmste an ihm – schwul ist er auch noch!«

So oder so ähnlich würde das Gespräch mit der Frau Gemahlin ablaufen, die eh nur noch repräsentative Aufgaben hat. Die schicke Geliebte Mitte zwanzig erfüllt die eigentlich ehelichen Pflichten viel besser und die Vorzeigekinder müssen es ja nicht wissen.

Den Kiesweg entlang, immer schön auf das hell erleuchtete Haus zu und schön darauf achten, dass mir die Beine nicht weg knicken. Meinen Samstagabend habe ich mir ein wenig anders vorgestellt, muss ich gestehen. Nicht mit einem Kerl, nein. Ich bin längst über die Illusion weg, dass mich jemand ganz nett finden würde. Also so wirklich lieb haben könnte und mich nicht nur für eine schnelle Nummer braucht. Von den zuletzt genannten Typen gibt es viele, man findet sie fast an jeder Ecke. Davon können auch Frauen ein Lied singen, ich weiß. Nicht nur ich habe also dieses Problem.

Ich ziehe den Schlüssel aus meiner Hosentasche und sperre die Tür auf. Sogar im Flur brennt schon Licht, das treibt die Stromkosten wieder in die Höhe – und das bei meinem sparsamen Vater. Ich kicke meine Schuhe von den Füßen und werfe meine Jacke hinterher. Heute pfeife ich auf Ordentlichkeit, jawohl. Soll doch jemand anders diese Tugend für mich übernehmen, ich bin nicht mehr dafür zuständig. Vielleicht die Putzsklavin, die sich meine Mutter hält.

„Hi, ich bin wieder da!“, rufe ich vorbeugend.

Wie ich meine Eltern kenne, hat sich mein Vater mit einer Flasche Whisky in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und meine Mutter dürfte mit einem guten Gläschen Rotwein, natürlich eines der bauchigen Sorte, in ihrem Ankleideraum sitzen. Sie nennen es »den Abend ausklingen lassen«, natürlich tun sie das getrennt. Überhaupt verbringen sie so wenig Zeit wie möglich miteinander. Vielleicht gehört mein Vater ja auch zu den Männern mit Geliebter. Aber dann wäre er ausgeglichen, oder nicht?

Von ihm kann ich das jedenfalls nicht behaupten.

Ich durchquere das Wohnzimmer, natürlich nicht in persönlicher Bestzeit, weil ich ja verwundet bin – gewissermaßen. Treppe gehen ist schwer, aber ich will nicht auffallen. Ein Sohn, der auf halbem Weg nach oben ächzend zusammenbricht, zieht die Aufmerksamkeit der nachlässigsten Eltern auf sich, ist so. Also brav Stufe für Stufe nehmen und den Schmerz unterdrücken. Alkohol wäre doch eine Lösung gewesen, dann hätte ich jetzt etwas zum Beruhigen und Desinfizieren. Ich glaube, ich habe nicht mal einen Verbandskoffer, das wird schwer. Nach einem mehrminütigen Kampf schaffe ich es in mein Zimmer und werfe mich gegen die soeben geschlossene Tür. Wow, ich habe es drauf!

Badezimmer bitte!

Der Spiegel und massenhaft Neonlicht geben mir reichlich Auskunft über den Grad der Zerstörung. Und es sieht nicht gerade rosig aus, hatte ich auch nicht erwartet. Ich mache einen Waschlappen nass und wische vorsichtig das schon leicht angekrustete Blut aus meinem Gesicht.

Mann, habe ich eine Visage! Ein Preisboxer sieht nach einem verlorenen Wettkampf besser aus.

Klamotten aus, Bestandsaufnahme aller Blessuren. Blaue Flecken, okay, nicht weiter schlimm. Fuß etwas sehr dick, aber nicht besorgniserregend. Kratzer: Gar nicht so schlimm. Brennen nur, wenn ich drauf komme. Am schlimmsten hat es, muss ich zugeben, meinen Kopf getroffen. Wie ich das meinen Eltern beibringen soll, weiß ich nicht.

Will ich jetzt auch nicht drüber nachdenken, weil ich mir jetzt nicht Angst machen möchte. Situation ist eh schon festgefahren und ich fühle mich gerade nicht glücklich. Ich brauche allen Frohsinn dieser Erde, um bei dem Gespräch nicht niedergestreckt zu werden, weiß ich jetzt schon. Zusammen sind sie unausstehlich. Kaum vorstellbar, dass ich das Produkt der beiden Quälgeister bin.

Warum kann ich nicht adoptiert sein, hm?

Ach so, ich bin ja nicht liebenswürdig, habe schon verstanden. Kein Mensch auf der Welt will mich haben, will ich ja nicht mal selbst. Ich bin pessimistisch, sarkastisch, egoistisch, kompliziert und alles. Wer hält das denn aus?

Ich zieh meine Schlafklamotten an, tapse in mein Zimmer und schlüpfe unter die Bettdecke. Ich will, dass der Tag endlich aufhört. Nein, dass alles nur ein Traum war.

Und, dass ich gleich mit Thor im Arm aufwache.

Scheiße, jetzt habe ich schon wieder an ihn gedacht. Wieder einer, der mich garantiert nicht mag. Der mich bestimmt schon längst aus seinem schönen Kopf verdrängt hat. Wie deprimierend. Bestimmt hat er sich einen anderen, viel tolleren Kerl geangelt.

Er weiß ja auch nicht, dass ich auf ihn stehe.

Dass ich ihn quasi vergöttere und nicht mehr aus meinem Kopf bekomme.

Dass er mich in meinen Gedanken verfolgt und ich ihn die ganze Zeit küssen will.

Dass er total lieb ist und dass ich meine Zeit mit ihm verbringen möchte.

Dass er toll küsst.

Und, dass ich ihn liebe.

Aber das ist mir ja selber gerade erst eingefallen, vor nicht allzu langer Zeit. Scheiße.

Will nicht irgendwer mit mir tauschen?

Okay, ist ein schlechter Deal für denjenigen, schlimmer als mir kann es ja keinem gehen.

Ich schalte das Licht aus und heule.

Wegen der schrecklichen Welt, die einfach nicht explodieren will.

Wegen meinen Eltern, die sich nicht für mich interessieren.

Wegen Lukas, weil er mich hasst und mir das nur allzu deutlich zeigt.

Wegen Adrian, weil es mit uns einfach nicht mehr klappen will und ich nichts fühle.

Wegen Thor, der mich mit seinem Verschwinden zum unglücklichsten Menschen auf Erden macht.

Ich glaube, ich drehe durch. Und ich werde weibisch, sieht man doch.

Nur Memmen heulen, hat mein Vater mir gesagt. Und Mädchen natürlich auch.

Ich weiß, dass er Scheiße gelabert hat, aber es ist immer noch in meinem Hinterkopf und jetzt will es raus.

Ich weine weiter.

Führe ich mich eben auf wie ein Mädchen, macht mir doch nichts aus.

Kleider ziehe ich deswegen trotzdem nicht an, das dürfte ja wohl klar sein.

Irgendwann bin ich vom Heulen so erschöpft, dass ich einschlafe.

Ich schlafe unruhig und werde ungefähr alle halbe Stunde wach. Mir geht es dreckig und ich möchte gefälligst sterben. Nicht nur, dass ich ständig heulen muss, nein. Am frühen Morgen, so gegen halb zwei, gesellt sich stechender Halsschmerz zu meinem ohnehin gepeinigten Körper.

Danke, das hat mir noch zum vollkommenen Tief gefehlt.

Die Welt hasst mich, die blöde!

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