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Fußballgöttinnen wie du und ich

Kapitel 3-4

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 3

Nach faulem im Schatten Rumliegen und recht lockeren Gesprächsthemen ist jetzt Training angesagt. Also nicht wirklich, weil wir ja nur laufen. Und weil ich ja so ein Vorbild bin, mache ich sogar mit. Die meisten Mädels nennen mich Sklaventreiber, weil sie so garantiert nicht zum Gehen kommen, aber damit kann ich leben. Es geht einen ausgetrockneten Trampelpfad hinauf, auf den nicht allzu weit entfernten Wald zu. Mm, ich bin nur das platte Land gewohnt und so langsam macht mir die Steigung doch zu Schaffen. Ich hebe meine Arme, um gegen das aufkommende Seitenstechen anzukommen.

„Na, na! Die Trainerin schwächelt!“, ruft Judith schadenfroh und knufft mich.

Haha, die hat gut Reden! Ich hab die Kondition einer angeschossenen Schnecke und soll diesen verfickt steilen Berg hoch!

Ich höre ein amüsiertes Lachen irgendwo hinter mir und wirble herum. Jude und ich waren doch eigentlich die letzten aus unserer Mannschaft und-

Arg. Vor mir steht Sven in voller Lebensgröße und er sieht natürlich furchtbar gut aus. Ich komme mir in meinen durchgeschwitzen Klamotten gleich noch ein Stück schäbiger vor.

„Oh... Hi!“, presse ich hervor.

Toll, ich klinge wie ein Hyperventilierender kurz vorm Exitus. Wahrscheinlich fragt er gleich, ob er nen Krankenwagen rufen soll. Oder ob erste Hilfe noch ausreicht – nein, oberfieser Gedanke! Rotwerden unterdrücken, schnell!

„Hi, Mandel -ähm, Mo!“, antwortet er und lächelt.

Ich glaub ich schmelze dahin. Was bei den Temperaturen auch kein Wunder wäre, aber eher aus anderen Gründen.

„Wieso denn Trainerin?“, fragt er und fixiert meine beste Freundin. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Judith. Des Weiteren auch bekannt als Jude“, stellt sie sich vor.

Hoffentlich antwortet sie nicht auf die verkorkste Trainerin-Frage, sonst kann ich nämlich gleich einpacken!

Ich muss schließlich nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Soll ich doch lieber viel Zeit dafür hernehmen, um letztendlich doch auf die Schnauze zu fliegen. Wie neulich.

Wär ja auch doof.

Kennen uns keine 24 Stunden und dann: „Das ist, weil ich schwul bin und meine Mannschaft es weiß. Im übrigen denken die Mädels, dass ich unten liege, daher der Name. Aber ich interessiere mich eher für deinen formschönen Arsch. Willst du nicht vorbeikommen? Nebenbei bin ich übrigens voll in dich verknallt, stell dich also schon auf etwas Längeres ein, ja?“

„Na ja, wir sind doch ne Mädchenmannschaft und haben so nen netten jungen Kerl als Trainer. Sehr unwahrscheinlich heutzutage oder? Der ist sogar so gut drauf, dass er meist nichts gegen das »Trainerin« hat!“, redet sich Judith inzwischen aus der ganzen Sache raus.

Ich lächle schief. Situation kurz vorm entgültigen Entgleisen gerettet.

Adrenalin-Kick trotzdem vorhanden.

„Ah ja! Etwas in die Richtung hatte ich mir schon gedacht!“, erwidert Sven und sieht ein bisschen traurig aus.

Aber das ist sicher pure Einbildung, weil diese bekanntlich auch eine Bildung ist. Und von der hab ich ganz viel.

Stille.

Arg! Es kommt mir vor, als wären tausend Stunden vergangen! Wahrscheinlich waren es nur ein paar Sekunden, aber es ist so drückend!

„Ich glaub, eure Mädels sind weg“, sagt Sven schließlich.

Und tatsächlich: Die Herrschaften sind mehr oder minder brav weitergejoggt.

Wir verabschieden uns hastig von meinem Angebeteten und beeilen uns -vorrübergehend, wie ich hoffe.

„Also nett ist er ja“, keucht mir Judith nach einer Weile zu. „Und er mag dich, das hab ich gesehen!“

„Heißt das, dass wir eine »Ich mag dich und du magst mich, deshalb sind wir zusammen«-Beziehung führen sollen?“, hechle ich ihr empört zu.

Das ist Sechstklässler-Niveau und aus dem Alter bin ich dann doch raus. Das waren noch Zeiten, als ich mich bei Judith versteckt habe. Hab ich auch nur gemacht, damit mich meine damalige Freundin nicht gefunden hat. So ein einfach gestricktes Teil, was mich ständig küssen wollte. Während sie mich die ganze Zeit gesucht hat, haben Jude und ich uns mit Keksen vollgestopft und uns glücklich geschätzt.

„Nee, ich sehe nur besseren Nährboden für dich! Hast du gesehen, wie der geguckt hat, als ich das mit der Trainerin erklärt hab? Wenn dann weiß er nur noch nicht, dass er schwul ist!“, prustet Judith zurück.

„Dein übertriebener Optimismus bringt mich eines Tages noch ins Grab!“

Ich glaub nicht, dass er schwul ist. Ganz ehrlich: Wie hoch ist denn die Wahrscheinlichkeit? Deshalb kann ich getrost im Selbstmitleid versinken. Das heißt für mich Frust-Fressen. Habe mich zu diesem Zwecke ins Wohnzimmer begeben, drei Tafeln Schokolade und eine 2 Liter-Flasche Cola im Handgepäck. Hoffe nur, dass Sven nicht reinkommt. Aber diese Zelle, die die nächsten zwei Wochen mein Eigen sein wird, würde mich jetzt nur noch mehr runterziehen.

Womit fange ich an? Mm, Vollmilch als Einstieg ist bestimmt nicht schlecht. Schon verschwindet die erste Reihe in meinem Mund. Herrlich.

Leider bin ich nicht ungestört: Rabea beobachtet mich mit undefinierbarem Blick.

Dann fasst sie sich doch ein Herz: „Krieg ich auch was?“

Ich grinse. Aha, daher weht also der Wind! Da wollen wir doch mal nicht so sein! Gemeinsam Frust-essen macht doppelt Spaß. Also schiebe ich ihr die Tafel zu und nicke. Mit vollem Mund spricht man schließlich nicht.

„Gange!“, mampft sie mir zu.

Sehr freundlich, sie bedankt sich sogar. Als leidenschaftlicher Esser verstehe ich nämlich, was sie gemeint hat. Rede ja selber öfter so. Allerdings nur, wenn ich weiß, dass die Leute um mich herum es mir verzeihen.

„Bitte, bitte! Auch Cola?“, frage ich und halte ihr die Flasche hin.

„Immer doch! Gibt es denn eine Ursache für dieses deliziöse Mahl?“, fragt sie und wischt sich die Schokolade aus dem Mundwinkel.

„Die Ankunft hier ist doch schon mal Grund genug – willkommen in der Wildnis“, antworte ich mit einem strahlenden, aber vor allem falschen Lächeln.

Rabea verschluckt sich glatt an ihrer Cola, sodass ich ihr erstmal heftig auf den Rücken klopfen muss.

„Da hast du allerdings Recht!“, bringt sie hervor und nimmt sich noch ein Stück Schokolade.

Ha, sie ist drauf reingefallen! An mir ist doch noch ein Schauspieler verloren gegangen, wenn auch nur ein mittelmäßiger. Aber vielleicht kennt sie mich noch nicht lange genug, um mich zu durchschauen.

Zeit für die Öffnung einer neuen Tafel.

Ich weiß, dass ich verfressen bin. Was soll die ganze Aufregung und der Schlankheitswahn, dann trink ich halt den Rest des Aufenthalts nur Wasser!

Entscheide mich nach kurzem Zögern für Kaffee-Sahne.

Reicht zwar nicht an den Klassiker Vollmilch heran, wartet aber mit etwas ganz Besonderem auf: Die Mischung aus Koffein-Kick und Zucker-Schock.

Für mich ist das besser als jede Droge und noch dazu wesentlich preisgünstiger. Schon reiße ich die Verpackung ab und atme den wunderbaren Schoko-Geruch ein. Vielleicht sollte ich in die Werbe-Branche wechseln und in einem Spot mitspielen. Improvisiert natürlich, mir fällt zu dem Thema ja viel ein.

„Wie viel von den Teilen hast du n dabei?“, fragt Rabea.

„Ähm... Moment. Zehn Tafeln, das dürfte bis -hm- übermorgen halten. Dann muss ich wieder einkaufen“, antworte ich vorausdenkend.

Und wenn wir so weiter fressen, kann man mich in den Supermarkt kugeln.

Auch toll, brauch ich nicht mehr gehen.

Allerdings findet mich Sven dann bestimmt noch unattraktiver. So kann ich mangelnde Intelligenz, Humor und Einfallsreichtum mit mittelprächtigem Aussehen wettmachen. Aber dann? »Da kommt der Dorfdepp mit XXL-Maßen und Spatzenhirn« und danach ein langgezogenes Gähnen.

„Nee, nee! Ich hab auch noch fünf und ich glaube, Sven-“, widerspricht sie, wird aber unterbrochen.

„Was ist mit mir?“, fragt ebendieser nämlich, der gerade den Kopf aus seiner Zimmertür gestreckt hat.

Murphys Gesetz.

Ich muss natürlich wieder rot werden. Danke, Mutter Natur, Danke!

Wenn ich das mit dreißig noch habe, kann ich Einsiedler werden. Dann muss ich wenigstens meine streitenden Eltern nicht mehr sehen. Vorausgesetzt sie haben sich bis dahin nicht schon vom Acker gemacht.

„Du hast verlauten lassen, dass du im Besitz von sage und schreibe zwanzig Tafeln Schokolade bist – die wir natürlich konfiszieren werden!“, verkündet Rabea und verwendet dabei meine Cola-Flasche als Schwertersatz.

„Da hab ich aber Angst“, mit diesen Worten angelt sich Sven ein Stück meiner Reserven und schiebt es in seinen Mund.

Nicht. Zu. Sabbern. Anfangen!

„He, das ist aber die von Mandel!“, protestiert Rabea und haut ihm auf die Finger.

„Schorry, kannscht vommir wasch abbaben!“, nuschelt er mir zu.

Wow, ich krieg ne Entschädigung! Immerhin ist er der Grund für dieses sensationelle Frust-Essen, dass mittlerweile doch recht seltsame Züge annimmt.

Ob ich die Schokolade von ihm dann überhaupt esse? Na klar, ich werde mich doch nicht auf Schulmädchen-Niveau herablassen!

Aber jetzt ist sowieso bald Zeit für Abendbrot. Bin sowieso gespannt, ob ich noch die kleinste Kleinigkeit runter bekomme.

Kapitel 4

Welcher böse Mensch hat eigentlich Discos erfunden? Ich für meinen Teil stehe immer irgendwo am Rand der Tanzfläche und wippe mit dem Fuß im Takt. Wenn überhaupt ein gutes Lied dabei ist. Denn meistens wird Dance-Zeug oder Techno gespielt und diese Genres zählen nicht gerade zu meinen Favoriten.

Aber ich sollte mich freuen, ich muss heute »nur« aufpassen, dass es nicht zu Streit kommt. Bisher läuft es ganz gut, die Mannschaften verstehen sich. Ich nippe an meiner Cola. Nein, Alkohol ist heute auch nicht drin.

Wenn es nicht so stickig wäre, könnte ich es ja gerade noch aushalten. Aber die Luft kocht und ich bin froh, dass mein Kreislauf sich noch nicht verabschiedet hat. Siehe Cola.

Außerdem darf ich meinen Mädels zugucken, wie sie diverse Kerle anschmachten, auf die Tanzfläche gezerrt werden und scheinbar sehr viel Spaß haben. Das Leben ist ungerecht, basta.

Und das behaupte ich immer noch, als ein wahrscheinlich genau so fertig wie meine Wenigkeit aussehender Sven sich zu mir gesellt. Was habe ich verbrochen, um so gequält zu werden?

Ich schwitze, bin puterrot, kriege schlecht Luft und bin kurz vorm Umkippen und was passiert? Mein aus der Ferne angeschmachteter Lieblingstrainer bewegt sein Hinterteil zu mir.

Entschuldigen Sie, wo finde ich denn den nächsten Abgrund, der sich auftut?

„Hi, Mo! Ist dir auch so warm?“, fragt Mister Nice Guy mit einem strahlenden Lächeln.

Kann mir gar nicht vorstellen, dass dem warm ist. Der zeigt noch gar keine Anzeichen von »ich will hier raus«.

„Nee, ich wollte mir gerade noch ne Wärmflasche machen!“, gebe ich patzig zurück.

Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.

Svens Augenbraue zuckt in die Höhe. Ist er jetzt böse auf mich?

Das wäre noch nicht mal schlimm für mich. Ich bin nämlich nicht der klassische Typ Mensch, der gerne in der Nähe der angebeteten Person aufhält und sie ständig in Gespräche verwickelt.

Vielmehr versuche ich, unauffällig zu sein. Am Besten gar nicht reden oder um den Kerl rumschwirren, das wäre viel zu offensichtlich. Finde ich.

„Natürlich ist es hier drinnen zu warm“, füge ich hastig hinzu.

Der werte Herr soll mich ja nicht ganz für geistig minderbemittelt halten. Schon schlimm genug, dass mir diese blöde Äußerung herausgerutscht ist.

„Die anderen denken aber seltsamerweise nicht so“, antwortet Sven mit einem Lächeln.

Das darf doch nicht wahr sein, dass ich am ersten Tag hier schon dermaßen liebestoll bin! Da zeigt mir nur mal einer seine Zähne und schon bin ich hin und weg.

„Die haben ja auch kein Fischblut“, brumme ich – und will die Worte wieder einfangen.

Was rede ich nur für einen Schwachsinn? Geht den ja gar nichts an, wo meine Verwandtschaft herkommt!

„Und was ist das?“, fragt Sven sogleich neugierig.

Mist.

„Na ja, wie soll ich sagen... meine Familie kommt aus Norwegen. Deshalb vertragen wir etwas mehr Kälte als die Herrschaften aus Deutschland, auch, was das Wasser betrifft. Meine -eingeheiratete- Tante braucht aber praktisch immer ne Jacke, obwohl sie Pullis anhat. Schon wenn sie uns zuguckt, fröstelt es sie. Darum sagt sie immer, dass wir Fischblut haben. Hat sich dann halt so eingebürgert, der Begriff.“

Sven nickt.

„Muss wohl auch was davon haben, obwohl ich eher aus dem Süden komme. Meinst du, wir können Bert und Rabea kurz mit der Aufsicht alleine lassen? Sind ja eigentlich alle volljährig und so – ich ersticke nämlich gleich!“

Wow, der Herr spricht mir aus der Seele.

„Ich denk schon“, antworte ich und winke Judith zu, die mit einem 2Meter-Riesen tanzt.

Dann geht es in Richtung Ausgang, immer der besseren Luft entgegen. Ich weiß, dass ich mir keine Hoffnungen machen sollte, schließlich verlassen wir die Disco ja nur wegen Atemnot. Aber irgendein wuseliges Tier kämpft sich gerade mit einer Ladung Glückshormone durch meinen Körper und zwingt mir ein extrabreites Grinsen ins Gesicht.

Endlich stehe ich in dem kühlen Flur. Ich gehe schnell auf die Wand zu und drücke meine Stirn gegen die Fliesen. Die Kälte fühlt sich so gut an, dass ich die Augen schließe.

Eine Hand fährt über meine Schulter, zärtlich. Ich seufze leise und spüre, wie verspannt ich bin.

Halt!

Stopp!

Wenn mein leicht überfordertes Hirn die Informationen richtig verarbeitet hat, dann muss es sich hierbei um die Hand einer gewissen brünetten Schönheit handeln.

„Alles okay?“, fragt er leise.

Musste ich das heute nicht schon einmal von ihm hören? Bin ich in einer Endlosschleife gelandet?

„Könnte nicht besser sein“, nuschle ich in meinen imaginären Bart oder doch eher gegen die Fliesen.

Wah! So, wie es aussieht, hat Sven hat keines Falls vor, seine Hand zurückzuziehen! Stattdessen massiert er meine verkrampften Muskeln, die zugegebenermaßen erfreut darüber sind.

„Ganz verspannt“, stellt auch er in dem Moment fest.

Dann beginnt er damit, meinen Nacken zu bearbeiten.

Ups!

Hoffentlich merkt er nicht, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft!

„Ist das gut so?“, fragt Sven ziemlich nah an meinem Ohr.

„Mmh“, brabble ich reichlich unintelligent.

Wie soll mir denn in so einer Lage noch etwas halbwegs Sinnvolles einfallen? Scheiße, ist das angenehm!

Mandel, du stehst in einem Gang, für jedermann gut sichtbar, du lehnst mit dem Gesicht zur Wand und lässt dich massieren!

Wie sieht das denn bitte aus?

„Danke, dass du das machst“, sage ich leise und drehe mich langsam um.

„Ehrensache“, antwortet er lächelnd und umarmt mich rasch.

Dann rennt er wieder zurück in die Disco. Ich steh da wie bestellt und nicht abgeholt.

Und werde von ihm den Rest des Abends nicht mehr beachtet.

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