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Welcome to the other world

Teil 1 - Starting Over

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Informationen

Vorwort

Diese Geschichte möchte ich Pitri-chan, meiner Beta-Leserin, widmen. Ohne sie hätte ich die Geschichte, die nun schon seit einem viertel Jahr in meinem Kopf herumspukt sicher nicht zu Papier gebracht und veröffentlicht! Vielen Dank für deine Motivation und guten Ratschläge!!! *Pitri knuddel* Die Charaktere die auftauchen gehören allesamt mir und entstammen meinem kranken Hirn! ^-^ Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist Zufall und damit nicht beabsichtigt.

 

Das Gezwitscher von Vögeln drang an seine Ohren und ein warmer Windhauch strich über die sanften Züge seines Gesichtes. Lucas Mund verzog sich zu einem Lächeln, seine Augen hielt er dennoch geschlossen und genoss diesen Augenblick.

Gab es denn eine schönere Art geweckt zu werden? Der Siebzehnjährige seufzte selig, rollte sich auf die Seite und vergrub sich noch ein wenig tiefer in seinem Kissen. Jetzt stahl sich ein Sonnenstrahl durch die Vorhänge und kitzelte an seiner Nase. Luca nieste. Grinsend öffnete er seine tiefblauen Augen. Heute würde ein wunderbarer Tag werden, da war er sich sicher.

Luca beobachtete die bodenlangen weißen Vorhänge, die in der Brise sachte hin und her wehten und einen Blick nach draußen freigaben. Er hatte die

Fenstertüren zu dem kleinen Balkon, der sich vor seinem Zimmer befand, am Abend zuvor offen gelassen. Es war Ende Juli und dementsprechend auch nachts sehr warm, wenn nicht sogar stickig. Nun drang jedoch frische Morgenluft durch die geöffneten Fenster und ab und zu blitzte der strahlend blaue Himmel durch die Vorhänge.

Von draußen hörte er nun auch das gedämpfte Treiben auf dem Hof.

Es schien, dass schon zu so früher Stunde der gesamte Haushalt auf den Beinen war. Aber das war ja nichts Seltsames für einen Bauernhof.

Luca schaute auf seinen Wecker.

Kurz vor Sechs.

Und er hatte schon verdammt gute Laune.

Aber auch das war nichts Ungewöhnliches. Er war noch nie ein Morgenmuffel gewesen und da er schon fast 18 Jahre auf einem Bauernhof lebte war es für ihn nur natürlich zeitig aufzustehen und auf dem Hof mit anzupacken.

Doch heute war seine Laune noch eine Spur besser als sonst. Immer noch grinsend richtete sich Luca auf und schwang seine Beine aus dem Bett.

Denn heute würde Marie aus dem Urlaub wieder kommen. Das rotblonde Mädchen war schon seit dem Kindergarten seine beste Freundin.

Und schon fast genauso lange war er in sie verliebt.

Leider beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit. Marie sah in ihm nur den besten Freund mit dem sie über alles reden konnte.

Luca seufzte leise.

Er hatte sich zwar damit abgefunden, die Hoffnung hatte er aber trotzdem nie wirklich aufgegeben.

Trotzdem freute er sich wahnsinnig sie nach zwei Wochen wieder zu sehen. Sie war mit ihren Eltern in Andalusien gewesen. Dort, wo diese einzigartigen Pferde herkamen. Typisch für sie, die Pferdenärrin, dachte Luca und ein sanftes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Und genau deswegen würde sie wahrscheinlich schon heute hier auftauchen um zu sehen wie es ihrer Stute Nara ging. Das Pferd war in den Stallungen des Hofes untergebracht. Und dort hatte es ja auch gute Gesellschaft, denn auch sie besaßen einige dieser wunderbaren Geschöpfe und hatten vor ein paar Jahren angefangen, sie zu züchten. Auch er liebte Pferde, aber eigentlich liebte er so gut wie alle Tiere.

Nochmals wanderte sein Blick zum Wecker.

Schon Viertel nach Sechs.

Verdammt, er sollte nicht immer so viel träumen und seinen Gedanken nachhängen. Luca erhob sich nur vollends aus dem Bett und machte sich auf den Weg zum Bad.

Dort angekommen warf Luca einen flüchtigen Blick in den Spiegel und zog die feinen Brauen zusammen als er sein Spiegelbild erblickte. Seine kastanienbraunen Haare standen nach allen möglichen und unmöglichen Richtungen ab.

Als hätte er über Nacht eine die Steckdose gefasst.

Das, was er im Spiegel sah, ging über einen lässigen Strubbellook hinaus. Er seufzte resigniert und versuchte sein Haar wenigstens einigermaßen in Form zu bringen. Das Ergebnis war allerdings nicht sonderlich viel versprechend. Zwar hatte er einige Strähnen ordnen können, doch der Großteil stand immer noch nach allen Seiten ab oder hing ihm wirr ins Gesicht.

Von wem hatte er nur diese Haare geerbt?

Luca sah sich aus großen blauen Augen vorwurfsvoll im Spiegel an. Er gab auf, es hatte ja doch keinen Sinn, und klatschte sich eine Portion kaltes Wasser ins Gesicht.

Das weckte alle Lebensgeister, die bis dahin noch nicht wach waren. Als sich Luca, immer noch verstrubbelt aber nun immerhin putzmunter, die Zahnbürste schnappte dachte er nach.

Er hatte ein so unbestimmtes Gefühl in der Magengegend.

Schon seit er aufgewacht war.

Als hätte er irgendetwas Wichtiges vergessen...

Luca war bereits dazu übergegangen sich ausgiebig die Zähne zu schrubben als er plötzlich innehielt.

Natürlich!

Wie hatte er das nur vergessen können?

Der Junge verdrehte seine blauen Augen und tadelte sich selbst für seine Schusseligkeit.

Heute würde diese australische Familie ankommen, die in das leer stehende Haus direkt neben ihrem ziehen würde. Seine Eltern hatten das alte Backsteingebäude liebevoll wieder hergerichtet. Er liebte es, wie die Rosen rechts und links neben dem Eingang rankten und im Sommer einen süßen Duft verströmten. Doch vor allem mochte er den alten Garten, in den er sich manchmal stahl um allein zu sein.

Viel wusste er nicht über die Familie. Nur, das die Frau ursprünglich aus Deutschland stammte und nun mit ihrem Sohn wieder zurückkehrte. Aufregung flatterte durch seinen Bauch. Er war in etwa in seinem Alter.

Wie er wohl sein würde?

Hoffentlich nicht so ein arroganter Beachboy, der nur übers Surfen redete und sonst intellektuell nichts zu bieten hatte, weil ihm die Sonne das Hirn rausgebrutzelt hatte. Das stellte er sich besser nicht vor. Solche Schönlinge, die von fast allen Mädchen angeschmachtet wurden, hatte er in seiner Klasse schon genug und die nervten ihn total.

Aber wer weiß... Er würde es ja bald erfahren wie diese Leute so waren. Von einem Vater hatte er seltsamerweise nichts gehört...

Luca beendete seine Morgentoilette und kehrte in sein Zimmer zurück. Dort schnappte er sich eine alte, aber immer noch bequeme Jeans und ein dunkelgrünes T-Shirt.

Gut, es war mal dunkelgrün gewesen. Das konnte man nur noch mit viel Fantasie erkennen. Nach dem vielen Tragen und Waschen war es jetzt total ausgeblichen. Da half auch kein Persil Megacolor oder wie die Wundermittelchen alle hießen, die in der Werbung angepriesen wurden.

Manchmal fragte sich Luca, ob der Sinn der Werbebranche darin bestand, die gesamte Menschheit zu verarschen...

Kopfschüttelnd zog er sich das das Shirt über den Kopf und stieg in seine Jeans, die nicht viel besser aussah. Als er fertig war verließ er gut gelaunt und vor sich hin summend sein Zimmer und machte sich auf den Weg zur Küche.

Eigentlich brauchte Luca nur seiner Nase zu folgen, denn es roch im ganzen Haus nach frischem Kaffee.

Der beste Duft den es gab, meinte er immer.

Irgendwann hatte auch er angefangen das schwarze Gebräu zu trinken.

Als er die Küche betrat saß seine Muter am Tisch und studierte die Tageszeitung. Sie hatte nicht viel Freizeit, da sie sich um die Organisation des Gutes kümmerte, doch die halbe Stunde jeden Morgen nahm sie sich.

"Guten Morgen, Ma!", flötete der Siebzehnjährige und gab seiner Mutter einen Kuss auf die Wange.

"Morgen, mein Schatz", antwortete sie lächelnd. "Täuscht es oder bist du heute Morgen besonders gut gelaunt?"

Luca setzte sich hin und begann Müsli in eine Schüssel zu kippen.

"Yupp. Marie kommt heute wieder."

Doch schon fühlte er sich etwas ertappt und auf seine Wangen legte sich ein Rotschimmer. Er hatte sich doch nicht verraten, oder?

Bis jetzt hatte er mit noch niemandem über das Thema Marie geredet.

Hastig senkte erden Kopf und schüttete Milch in die Schüssel.

"Aha." Seine Mutter lächelte wissend. Sie wusste, wie gern ihr Sohn das Mädchen hatte. Und auch, dass es nur einseitig war. So was nannte man wahrscheinlich mütterliche Intuition. Armer Junge. Er redete wenig über solche Dinge, aber das war wahrscheinlich das Alter. Er war ein guter, umgänglicher Junge. Und ihrer Meinung nach auch gut aussehend. Jedes Mädchen konnte sich glücklich schätzen ihn als Freund zu haben. Nur schien Luca das nicht ganz so zu sehen. Sobald es um Mädchen ging wurde er zum nervösen Nervenbündel und die Unsicherheit in Person.

Die kleine, kräftige Frau seufzte.

"Irgendwas nicht in Ordnung?" Luca blickte von seinem Müsli auf.

"Nein, mein Schatz. Alles ok." Sie faltete die Zeitung zusammen und legte sie beiseite.

"Ich muss dann los. Dein Vater ist auch schon unterwegs. Heute ist gutes Wetter für die Ernte. Du kümmerst dich um die Stallungen, richtig?"

"Ja, ich habe mit Papa gestern schon geredet. Danach versorge ich noch die Pferde."

Luca war froh, seinen Eltern helfen zu können wo es nur ging. Sie hatten so schon genug um die Ohren. Und da er sowieso Sommerferien hatte, konnte er auch mit anpacken. Freunde, die er hätte besuchen können, hatte er nicht so zahlreich. Und die paar, die er hatte, waren die ganzen Sommerferien irgendwo unterwegs. Im Urlaub, zu Festivals. Was auch immer...

"Sehr schön, Luca", riss ihn seine Mutter aus den Gedanken. Frau Burgmeister wuschelte ihrem Sohn durchs Haar.

"Ach ja, wenn die Familie heute ankommt, dann schicke sie einfach zu mir ins Büro."

"Mach ich." Auch Luca erhob sich nun. Schon kurz vor Sieben. Es war höchste Zeit, dass er in die Stallungen kam und sich ans Ausmisten machte. Der Junge stellte das Geschirr in die Spülmaschine und seine Mutter räumte die Lebensmittel in den Kühlschrank. Das war eine eingespielte Handlung bei den beiden. Und so verließen Mutter und Sohn die Küche und gingen ihrer Arbeit nach.

Etwa zwei Stunden später und etwa 100 Kilometer entfernt saß ein finster drein blickender Jugendlicher neben seiner Mutter in einem knatternden und klapprigen Ford Fiesta auf dem Beifahrersitz. Warum seine Mutter diesen Schrotthaufen gekauft hatte war ihm ein Rätsel.

Wahrscheinlich um ihn später an ihren Sohn abzutreten. War nur zu hoffen, dass die Kiste in ihre Einzelteile zerfiel sobald sie ankamen. Bei dem Gepäck was sie bei sich hatten wäre das durchaus denkbar.

Grimmig lächelnd stellte er sich einen rauchenden Haufen aus Metall und Gummi vor, der nicht mal mehr im Ansatz den Fiesta erkennen ließ.

Nicht nur, dass das Auto klapperig war, es hatte auch keine Klimaanlage. Nicht, dass sie funktioniert hätte, wenn es eine gegeben hätte, dachte er abfällig.

Ein Hoch auf die us-amerikanische Automobilindustrie! Genau wie die Regierung, alles Schrott. Wenigstens hatte er seinen Zynismus nicht verloren. Er half so einiges zu ertragen. Seine Freunde wussten, wie sie seine bisweilen bissigen Kommentare nehmen mussten.

Doch wie es von nun an würde...

Keine Ahnung.

Missmutig schnaufend richtete er seinen Blick auf die vorbei fliegende Landschaft. Die letzte größere Stadt hatten sie schon vor einer Weile hinter sich gelassen und damit auch die nervigen Staus zur morgendlichen Rush Hour.

Wenigstens eine Gemeinsamkeit mit Australien. In Sydney war es das gleiche.

Jetzt folgten kleinere Ortschaften, endlose Alleenstraßen und Felder so weit das Auge reichte. Der Dunkelhaarige registriere entsetzt, dass diese in letzter Zeit überwogen. Eigentlich waren die goldgelben Flächen, die ab und zu durch ein paar Baumgruppen durchbrochen wurden recht hübsch anzusehen. Doch für ihn als Stadtmensch war das nichts.

Wo war dieses... wie hieß es noch... Meinsdorf eigentlich?

Wahrscheinlich am Arsch der Welt. Sicherlich fand man das Kaff auf keinem Straßenatlas.

Warum mussten sie auch ausgerechnet nach Deutschland? In dieses langweilige Land wo doch alle kleinkariert oder Bürokraten waren. Oder beides. Er zog die dunklen Brauen zusammen, so dass sich eine tiefe Falte in der Mitte seiner Stirn bildete.

"Du solltest das lassen, Danny. Irgendwann bleibt sie.", riss ihn eine fröhliche Stimme aus seinen düsteren Gedanken, die so gut zu dem tollen Wetter passte. Er schaute zu seiner Mutter. Sie sah so aus als wollte sie mit der Sonne um die Wette strahlen. Trotzdem hatte ihn der Kommentar verwirrt und es dauerte eine Weile bis er darauf kam, dass sie die Falte auf seiner Stirn meinte.

"Nenn mich nicht so. Du weißt, das ich das hasse, Mom", grummelte er. Damit war für ihn das Gespräch beendet und seine Mutter beließ es auch zum Glück dabei. Das war sonst eigentlich nicht ihre Art. Normalerweise konnte sie quasseln wie ein Wasserfall.

Warum also ausgerechnet Deutschland?

Sie hätten doch sonst wo hin auswandern können. Wie er dieses Wort verabscheute. Es klang so... endgültig.

Seine Mutter stammte zwar aus Deutschland, aber das war noch lange kein Grund zurückzukehren. Zumal seine Großeltern mütterlicherseits schon verstorben waren.

Nur weil seine Mutter einen riesigen Auftrag in einer renommierten Designagentur bekommen hatte, die sich in der nächst größeren Nachbarstadt befand. Aber sie hätte auch sicher ein genauso gutes Angebot in Sydney bekommen. Doch in seinem tiefsten Inneren wusste Daniel, dass das nicht wahr war.

Er runzelte wieder die Stirn. Irgendwie gefiel ihm seine Argumentationsreihe, die er da aufbaute, nicht. Sie lief doch immer aufs Gleiche hinaus.

Erstens sprach rational gesehen alles dafür hierher zu ziehen. Und zweitens benahm er sich wie ein schmollendes Kleinkind, was sonst gar nicht seine Art war. Dieser Aspekt ärgerte ihn besonders. Er war immerhin schon fast achtzehn und damit erwachsen. Er sollte auch endlich dementsprechend handeln und denken.

Trotzdem... Deutschland war so anders als Australien.

Schon der Aspekt des Rechtsverkehrs hier machte ihn schier wahnsinnig. Immer

hatte er dieses unterschwellige Gefühl, dass sie auf der falschen Straßenseite fuhren. Bis ihm wieder schmerzhaft bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr in seiner Heimat befanden.

Er rutschte tiefer in seinen Sitz. Keine besonders gute Idee bei seiner Größe, wie sich herausstellte. So machten seine Knie Bekanntschaft mit den Amaturen des Fiestas. Besser gesagt mit dem Handschuhfach. Besagtes hatte natürlich nichts Besseres zu tun als aufzuspringen und ihm den Inhalt entgegenzuspucken. Der Junge stopfte fluchend alles zurück und rammte mit seinem Knie die Klappe zu.

Was natürlich auch nicht schmerzlos von Statten ging.

"Fuck!", grummelte Daniel und sein Blick wurde noch eine Spur dunkler als zuvor.

"Darling...", ermahnte ihn seine Mutter. "Du weißt, dass ich solche Ausdrücke nicht mag." Der Tadel, der in der Stimme mitschwang wurde durch ein sanftes Lächeln abgeschwächt.

Als Antwort kam nur ein weiteres unverständliches Grummeln, welches aber nicht ganz so finster klang, denn Daniel hatte das Lächeln seiner Mutter gesehen. Und ihr konnte er nie wirklich lange böse sein.

Mrs. Sparrow betrachtete ihren Sohn von der Seite. Wie ein Häufchen Elend saß er zusammengesackt im Beifahrersitz. Er sah einfach nur todunglücklich aus.

Sicher, er war von seinen Freunden weggerissen worden und aus seiner vertrauten Umgebung. Aber was sollte sie tun? Sie konnte ihn ja schlecht zurücklassen.

Es wäre sicher nicht gut für ihn gewesen. Seit dem Tod seines Vaters vor fünf Jahren hatte er sich völlig verändert. Vor dem Unfall war er immer aufgeschlossen gegenüber jedem, doch kurz danach zog er sich immer mehr in sich selbst zurück. Das war wahrscheinlich seine Art gewesen, mit dem Verlust klarzukommen. Es schmerzte sie zu sehen, wie er immer kühler und abweisender seiner Umwelt gegenüber wurde und immer mehr von seinen Freunden verlor, ja regelrecht zurückwies. Nur ein paar waren noch geblieben. Sie hatten ihn geduldig aus seinem Schneckenhaus wieder hervorgelockt. Sie wusste wie dankbar Daniel ihnen war. Und sie war es nicht weniger. Die schlanke Frau hatte immer hilfloser daneben gestanden, aber trotzdem versucht ihrem Sohn zu helfen. Das hatte sie wiederum von ihrem eigenen Schmerz abgelenkt.

Ihr ältester Sohn Kyle schien die ganze Situation am besten zu verkraften und er half ihr und Daniel wo es nur ging.

Bei ihm konnte sie Daniel auch nicht lassen. Er hatte genug mit seinem Studium

und den letzten Prüfungen, die nun bevorstanden, zu tun. Und außerdem war Daniel noch nicht volljährig. Also wäre es sehr problematisch gewesen, ihn in Australien zu lassen.

Vor allem aber wollte sie ihren Jüngsten nicht so einfach hergeben. Noch nicht.

Vielleicht sollten beide diese Situation als eine Art Neuanfang sehen. Sie würden hier ein neues Leben aufbauen können. Sie hatte ja schon einen neuen Job in Aussicht und Daniel würde hier seinen Schulabschluss machen. Und die Familie, die ihre neuen Vermieter waren, schien auch sehr nett zu sein.

Sie lächelte in sich hinein. Sie war eben von Grund auf optimistisch.

Wer weiß welchem Leben sie entgegenfuhren?

Grinsend schaltete sie einen Gang höher und beschleunigte. Im Radio lief gerade "Always look on the bright side of life".

Daniel hingegen war nicht so guter Dinge wie seine Mutter. Diese Hitze brachte ihn noch um den Verstand. Wie konnte es so früh am Morgen schon so heiß sein?

Er merkte schon wie sein ärmelloses Shirt anfing ihm am Rücken zu kleben.

Genervt fummelte er an der Lüftung herum. Wie zu erwarten blies sie ihm warme Luft ins Gesicht, egal, in welche Richtung man den Temperaturregler drehte. Er warf der Lüftung einen vernichtenden Blick zu und schaltete sie wieder ab. Also blieb ihm nichts anderes übrig als das Fenster herunterzukurbeln um sie etwas Erfrischung zu verschaffen. Der angenehme Fahrtwind strich ihm übers Gesicht und zupfte ein paar kürzere Strähnen dunkelbraunen Haares aus dem Band, das sie eigentlich im Nacken zusammenhalten sollte. Aber das war ihm egal und er schloss die Augen. Schon besser, dachte er und griff nach dem weißen Stein, der an einem Lederband um seinen Hals hing. Er fühlte sich angenehm kühl an und hatte eine beruhigende Wirkung auf den Jungen.

Als würde er sagen, dass alles gut würde.

Es war ein Abschiedsgeschenk seiner Freunde gewesen. Dieser Abend hatte sich besonders fest in sein Gedächtnis eingeprägt. Tessa hatte ihm das Geschenk gegeben, während die drei Jungs bedrückt neben ihr standen und den Blick auf den Boden gerichtet hatten. Auch sie hielt ihren braunen Lockenkopf gesenkt und schniefte verdächtig.

"Damit du uns nicht vergisst", hatte sie gesagt und ihre Stimme klang erstickt.

Wie hätte er seine vier besten Freunde je vergessen können. Sie hatten als einzige zu ihm gehalten, als es ihm wirklich schlecht ging. Gemeinsam waren sie durch dick und dünn gegangen. Tessa hatte sich bei ihm ausgeheult, als sich ihre Eltern haben scheiden lassen und auch für die Jungs Ben, Seth und Greg hatte er sich immer eingesetzt. Selbst wenn er sich prügeln musste. Die fünf verband etwas, das man nicht in Worte fassen konnte.

Und nun war er einfach von ihnen weggerissen worden. Das Leben war so ungerecht.

Damit du uns nicht vergisst...

Diese fünf Worte hallten immer noch in seinen Ohren nach. Er dachte daran wie Tessa ihn aus ihren großen, braunen, tränengefüllten Augen angeschaut hatte und ihn dann umarmt hatte.

Das Gleiche taten dann auch die Jungs, was recht ungewöhnlich für sie war. Sie schwiegen auch betreten, obwohl Ben sonst immer einen lockeren Spruch auf seinen fast immer zu einem Grinsen verzogenen Lippen hatte und die anderen lachend einstimmten.

Es war ein sehr ruhiger Abend gewesen. Und der letzte an dem er seine Freunde sah.

War es wirklich erst vor drei Tagen gewesen?

Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Vor allem erschien ihm alles so surreal.

Er hatte versucht sich nichts anmerken zu lassen wie es ihm ging. Schließlich ging es den Vieren schon schlecht genug. Der Reihe nach verabschiedeten sie sich von ihm.

"Mach 's gut", meinte Ben heiser und klopfte ihm auf die Schulter.

"Schreib uns wie es dir geht, ja?" Gregs Stimme klang mindestens genauso erstickt wie die von Tessa.

"Hier. Und vergiss uns wirklich nicht", flüsterte Seth und reichte ihm ein kleines Buch. Er schlug es auf und sah, dass es sich um ein Fotoalbum handelte.

Lauter Erinnerungsbilder. Ihre gemeinsamen Urlaube, Geburtstagsfeiern oder Fotos, die einfach nur so geschossen wurden. Seth hatte dem einen oder anderen noch Kommentare dazugeschrieben, die sicher aus Bens Hirn stammten. Unwillkürlich musste er grinsen.

Seth hatte noch ein paar Zeichnungen hinzugefügt. Er war wirklich gut darin und sollte etwas aus seinem Talent machen.

Das Buch lag nun sorgfältig verpackt im Kofferraum.

Ja, er hatte wirklich versucht sich nichts anmerken zu lassen. Doch als er wieder allein war liefen auch ihm ein paar Tränen über die Wangen. Das hätte er allerdings nie vor anderen Leuten zugegeben.

Gedankenversunken strich er über den glatten Stein.

"Welcome to the other world", murmelte er so, dass es seine Mutter nicht hören konnte.

Ob er diesen Satz nun ironisch meinte oder nicht wusste er nicht und er kam auch nicht mehr dazu, darüber nachzudenken. Schließlich forderte das Jet Lag seinen Tribut und Daniel fiel in einen ruhelosen Schlaf.

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