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Aller Anfang ist schwer...

Teil 1 - Wie alles begann

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„Mike! Mike! Kuck mal, was ich kann!“ rief Jason vom Vorgarten aus.

„Hey du kannst ja schon ganz toll Fahrrad fahren“, erwiderte Michael glücklich, als sein kleiner Bruder mit dem Fahrrad über den Hof fuhr. Jason grinste über das ganze Gesicht. Kurz danach stieg er ab und lehnte das Fahrrad an die Wand der Garage.

„Spielst du noch ein bisschen mit mir, Mike?“ bat Jason dann und sah Mike mit seinen dunkelblauen Augen an.

„Klar, mein Kleiner“, sagte Mike dann und nahm seinen kleinen Bruder auf den Arm. Er strich ihm auch kurz über die gelockten, dunkelblonden Haare. Michael oder Mike, wie ihn alle riefen, liebte seinen kleinen Bruder über alles. Er war zwar 15 Jahre älter, aber das störte ihn nicht. Jason war das Nesthäkchen in der Familie. Aber leider eben kein Wunschkind. Dazwischen gab es dann noch Joshua oder Josh, wie er sich von seinen Brüdern rufen lies, er war fünf Jahre jünger als Mike. Die drei waren eine eingeschworene Einheit geworden seit die Streitereien in der Familie nicht mehr auszuhalten gewesen waren. Mike und Josh kümmerten sich um Jason so gut sie konnten und ihre „Eltern“ waren scheinbar froh darüber. Mike war nur erleichtert darüber, dass Jason noch nicht ganz verstand, was eigentlich alles um ihn herum passierte. Ihr Vater trank nur noch und war ständig betrunken. Wenn er getrunken hatte, wurde er stark und das machte ihn wahnsinnig gefährlich. Schon oft hatten Mike und Josh das zu spüren bekommen. Immer wieder hatte er sie verprügelt und misshandelt. An Jason hatte er sich glücklicherweise noch nicht herangetraut, aus welchen Gründen auch immer. Wobei es ihm auch schlecht ergangen wäre, hätte er ihm etwas angetan. Am Liebsten wäre es Mike gewesen, wenn er mit Josh und Jason zusammen eine WG hätte bilden können. Am Besten weit weg von L.A.. Dann hätte auch die ständige Angst um seine Brüder endlich abgenommen.

„Was willst du denn spielen Jason?“ fragte Mike als er seinen kleinen Bruder in seinem Zimmer auf den Boden stellte.

„Zeigst du mir wieder die Sterne?“

Ein feines Lächeln umspielte die Lippen von Mike, sein liebstes Hobby war die Astronomie. Vor ein paar Tagen war Jason abends in sein Zimmer gekommen als Mike am Teleskop saß. Er war traurig, weil seine Eltern wieder laut gestritten hatten. Eine Weile hatte er sich dann in Mikes Armen ausgeweint. Um ihn abzulenken hatte Mike ihn durch sein Teleskop sehen lassen. Seitdem war Jason fasziniert davon.

„Gerne. Aber weißt du dafür muss es noch ein bisschen dunkler werden, sonst kann man da nichts von sehen.“

„Ach so, spielst du dann mit mir Memory?“

„Gerne.“

„Jippie!“ rief Jason dann, rannte zum Regal und zog die Schachtel mit den Kärtchen heraus. Mike und Josh hatten sie ihm zu seinem fünften Geburtstag geschenkt. Das war ungefähr zwei Monate her und seitdem war das Spiel oft im Einsatz gewesen. Schnell hatte Jason dann die Kärtchen auf dem Boden ausgebreitet und saß mit breitem Grinsen davor. Innerlich seufzte Mike auf. Jason war beim Memory unschlagbar. Weder er selbst noch Josh hatten es bisher geschafft, gegen ihn zu gewinnen. Eine ganze Weile hatten sie so schon gespielt bis Mike die Haustüre ins Schloss fallen hörte. Kurz darauf klopfte es auch schon an der Zimmertüre und Josh steckte seinen Kopf herein. Mike grinste als er wahrnahm wie dieser aussah. Seine wilden braunen Haare standen in alle Richtungen ab, die Wangen waren gerötet und die braunen Augen blitzten fröhlich.

„Hallo ihr beiden.“

„Josh!“ rief Jason und fiel seinem Bruder um den Hals.

„Hey mein Kleiner. Wie geht's dir denn heute?“

„Mir geht's gut. Magst du mitspielen?“ Josh wusste in diesem Augenblick genau, dass er nicht ablehnen konnte.

„Aber nur zusammen mit Mike, sonst haben wir beide gar keine Chance gegen dich.“, lachte Josh und verstrubbelte Jason die Haare.

„Ist in Ordnung, ich bin sowieso besser als ihr“, erklärte dieser stolz.

„Und wie war die Schule bei dir heute Josh?“ fragte Mike seinen Bruder, nachdem sich dieser neben ihn gesetzt hatte.

„Ach ganz in Ordnung, ist nicht wirklich was Besonderes passiert“, Josh lehnte sich müde an Mikes Schulter. Er schloss die Augen und döste ein wenig vor sich hin.

Josh war 15 und besuchte zurzeit noch die High School, die Mike schon abgeschlossen hatte. Somit hatte er mehr Zeit, sich um Jason zu kümmern. Mike lies Josh nun einfach an seiner Schulter schlafen, während er mit Jason das Spiel beendete. Erst als es draußen dämmerte beschlossen sie, aufzuhören.

„Jason?“

„Ja, was ist?“

„Räumst du das Spiel weg? Ich bring solange Josh ins Bett. Ist das in Ordnung?“

„Ja klar!“

Somit packte er die Kärtchen zusammen während Mike Josh vorsichtig vom Boden hoch hob und ihn in sein Zimmer brachte. Dort legte er ihn sanft auf das Bett, zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn zu. Nachdem er ihm einen kleinen Kuss auf die Stirn gegeben hatte, ging er wieder zu Jason zurück.

„Und alles fertig? Hast du alles aufgeräumt?“

„Alles fertig.“

„Dann gehst du jetzt ins Bad, machst dich fertig fürs Bett und dann sehen wir mal nach, ob wir ein paar Sterne finden. Machen wir das so?“

Anstelle einer Antwort nickte Jason heftig mit dem Kopf, seine Haare flogen dabei durch die Luft.

„Du Mike?“

„Was ist denn los?“

„Machst du mir noch was zu essen? Ich hab Hunger.“

„Klar mein Kleiner“, antwortete Mike sanft. Es war kurz nach 19.00 Uhr, somit konnte er ihm noch etwas zu essen machen.

Dann ließ er Jason auf seine Schultern klettern und ging mit ihm in die Küche hinunter.

„Was möchtest du denn essen?“

„Pommes!“ rief Jason sofort laut. Mike lachte auf.

„Eigentlich hätte ich mir, dass bei dir schon denken können kleiner Mann“, schmunzelte er dann. Jason sah in dann mit einem so lieben Dackelblick an, dass er auch gar nicht mehr wiedersprechen konnte. Um in Ruhe kochen zu können, nahm er dann seinen kleinen Bruder hoch und setzte ihn auf einen der hüfthohen Küchenschränke.

„Schön sitzen bleiben, in Ordnung?“

„Geht klar!“

Kurze Zeit später hatte Mike auch schon das Essen fertig.

„So essen fassen, bevor alles wieder kalt wird.“

„Komme schon.“ Mit einem Sprung war Jason schon vom Schrank herunter, bevor Mike ihn hätte aufhalten können. Während Jason aß, machte er sich eine Tasse Tee und starrte aus dem Fenster. Eigentlich hätte ihre Mutter schon länger von der Arbeit wieder da sein sollen. Beunruhigt war Mike deswegen schon lange nicht mehr, seine Mutter hatte sehr oft wechselnde Liebhaber. Eine Tatsache, die seinen Vater nicht zu stören schien. Oder sie lag wieder irgendwo und war mit Heroin vollgedröhnt. Mike hing noch eine Weile seinen trüben Gedanken nach, bevor ihn Jason wieder aufschreckte. Seine Brüder waren die Einzigen, die es schafften, Mike innerhalb von Sekunden abzulenken und ihn aufzumuntern.

„Ich hab alles aufgegessen“, erklärte Jason stolz.

„Prima, dann räum ich noch schnell auf und du gehst schon mal ins Bad. Einverstanden?“

„Einverstanden!“ rief Jason und war schon aus dem Zimmer verschwunden.

Mike wusch noch kurz das Geschirr ab und ging dann auch nach oben. Er entschloss sich dazu, noch kurz nach Josh zu sehen. Doch dieser lag friedlich schlafend in seinem Bett. Die Schule hatte ihn heute wieder ziemlich geschafft. Somit deckte er ihn nochmals richtig zu und ging dann in sein Zimmer. Dort saß Jason, schon in gespannter Erwartung auf dem Boden.

„Du warst aber schnell heute.“

„Hab mich ja auch extra beeilt.“

„Na dann komm mal. Dann werden wir mal nachsehen, welche Sterne heute da sind.“

Mike nahm seinen Bruder und setzte ihn auf seinen Schoß. Nachdem er das Teleskop eingestellt hatte, ließ er ihn durchsehen. Immer wieder war er erfüllt von einer tiefen Wärme und Zuneigung, wenn er seinen kleinen Bruder so fröhlich und unbeschwert erleben durfte. Wie sehr würde er es sich wünschen, wenn das Dauerzustand sein könnte. Nach einer Weile bemerkte er, dass es schon spät geworden war.

„So kleiner Sternenkrieger, du solltest jetzt ins Bett gehen.“

„Bringst du mich noch rüber?“

„Klar!“

Jason nahm seinen Bruder an der Hand und zog ihn mit in sein Zimmer. Mike legte ihn dort in sein Bett und las ihm noch ein Stück seiner Lieblingsgeschichte vor.

„Jetzt schlaf schön, kleiner Mann.“

Nachdem er seinem Bruder noch einen kleinen Kuss auf die Stirn gegeben hatte schlief dieser auch sehr schnell ein. Leise verließ er dann das Zimmer und wollte sich selbst noch ein wenig hinlegen. Den Wecker brauchte er nicht zu stellen, da der nächste Tag ein Samstag war.

Am nächsten Morgen wurde er durch ein starkes Klopfen an der Eingangstüre wieder wach. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es erst 8.30 Uhr war. Schnell stand er auf und zog sich seinen Morgenmantel über. Ein paar Momente später öffnete er auch die Türe, doch das, was er sah, schockierte ihn zutiefst. Vor ihm standen drei Beamte des LAPD.

„Guten Morgen. Was kann ich für sie tun?“

„Sind sie Mr. Michael Gardner?“

„Ja, der bin ich. Was kann ich für sie tun?“

„Können wir reinkommen? Wir müssten etwas mit ihnen besprechen!“

„Ja, natürlich treten sie ein.“ Mike war in diesem Moment sehr verwirrt. Was hatten die Polizeibeamten hier zu suchen? Sie setzten sich erst mal in die Küche.

„Kann ich ihnen etwas anbieten?“

„Wenn es keine Umstände macht einen Kaffee bitte“, erwiderte einer der Beamten und die anderen nickten.

„Ich möchte nicht unhöflich wirken, aber trotzdem würde ich gerne wissen, was passiert ist“, sagte Mike dann, als er die Kaffeetassen auf den Tisch stellte.

„Oh ja, natürlich. Wir sind wegen ihrem Vater hier.“

„Wegen meinem Vater?“

„Ja. Ihr Vater ist doch Richard Gardner, oder nicht?“

„Doch, das ist er schon. Was ist mit ihm?“

„Wir müssen ihnen leider mitteilen, dass ihr Vater in Untersuchungshaft sitzt.“

„Wie bitte? Wegen was denn?“ Mike war sich nicht sicher, ob er richtig verstanden hatte. Aber er wusste auch, dass die Polizei in den USA und vor allem auch in seiner Heimatstadt Los Angeles nicht einfach wahllos Leute verhaftete.

„So wie die Beweislage momentan ist, müssen wir davon ausgehen, dass ihr Vater im Alkoholrausch eine Frau vergewaltigt hat und sich danach auch noch an einem versuchten Mord an ihr schuldig gemacht hat.“ Der Beamte senkte den Blick und sah auf die Tischplatte vor sich.

Eher mechanisch schenkte Mike nun den Kaffe ein, danach lies er sich schwer auf einen der Küchenstühle fallen. Er konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte.

„Wir müssten im Übrigen noch mit ihrer Mutter Mary Gardner sprechen. Können sie mir sagen, wo sie sich aufhält?“

„Nein, tut mir leid, ich weiß nicht wo sie ist.“

„Und da erstatten sie keine Vermisstenanzeige?“ wollte einer der Polizisten misstrauisch wissen.

„Nein“, erklärte Mike resigniert, „Meine Mutter, wenn man sie überhaupt so nennen kann, macht das öfter. Sie kommt manchmal einfach so nicht nach Hause. Oft ist sie dann bei ihren Liebhabern. Manchmal kommt sie auch tagelang nicht nach Hause.“

„Äh… nun gut. Wo sind denn dann ihre Brüder?“

„Die sind noch oben in ihren Zimmern und schlafen.“

„Das wäre dann nämlich das Problem, wenn ihre Eltern nicht erreichbar sind, ist die Frage, was mit ihnen passiert.“

„Warum?“ hakte Mike besorgt nach. Er hoffte nur, dass man sie drei nicht trennen würde.

„Sehen sie, es ist folgendermaßen: Sie sind 20 Jahre alt und somit kurz vor der Volljährigkeit. Aber ihre Brüder sind von diesem Alter noch lange entfernt.“

„Ich habe nur eine Frage an sie. Können sie es arrangieren, dass meine Brüder und ich zusammen bleiben können?“ Mike stand nun unter Spannung wie noch nie in seinem Leben.

„Das müsste in der Tat möglich sein. Ich gehe auch nicht davon aus, dass das Jugendamt sie wirklich trennen würde. Schon alleine aus der Tatsache heraus, dass sie schon fast volljährig sind. Es wäre sicher auch möglich, ihnen das Sorgerecht für die beiden zu übertragen. Sie hätten ja auch die nötige Zeit dazu, da sie die Schule schon abgeschlossen haben.“

Aus Mike wich die gesamte Anspannung der letzten Minuten, das Wichtigste war für ihn, dass er seine Brüder nicht verlor.

„Ich werde auch dafür sorgen, dass ein Eilantrag zugelassen wird, der ihnen erst mal vorläufig das Sorgerecht für beide überträgt. Somit haben sie die Entscheidungsbefugnis, auch wenn ihre Eltern nicht zur Verfügung stehen. Den Bescheid, der dann auch für alle Ämter gilt, werden sie dann auch in den nächsten Tagen erhalten. Der offizielle Gerichtsbeschluss wird dann in ein paar Wochen nachgereicht. Also meiner Meinung nach haben sie die besten Chancen auf das Sorgerecht. Schon alleine, weil sie der Bruder sind“, erklärte einer der anderen Beamten.

„Mike!“ rief es dann aus dem oberen Stockwerk. Keine Minute später kam dann auch ein kleiner Wirbelwind in Schlafanzug und Hausschuhen in die Küche gerannt.

„Hey kleiner Mann. So früh schon auf?“

„Ja, du hast ja gesagt, du willst mit mir spielen.“

„Das machen wir auch, aber vorher gehst du rauf ins Bad und dann ziehst du dich an. Oder soll ich dir helfen?“

„Ich bin schon fünf! Das kann ich doch schon alleine“, protestierte Jason.

„Also dann rauf ins Bad mit dir! Ich mach dir dann solange Frühstück.“

Schon war Jason auch wieder verschwunden, die drei Beamten saßen am Küchentisch und lächelten vor sich hin.

„Kann ich dann noch etwas für sie tun?“ wollte Mike dann höflich wissen.

„Nein, es ist alles erledigt. Die Beschlüsse bekommen sie. Dann sind sie sorgeberechtigt. Bevor ich es vergesse, wenn sich ihre Mutter bei ihnen melden sollte, geben sie ihr bitte diese Karte. Sie soll sich bitte bei uns melden. Wir verabschieden uns dann. Auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen.“

Mike brachte die Beamten noch zur Türe, als er sie geschlossen hatte lehnte er sich gegen sie und atmete tief ein und aus.

All das was er gerade erfahren hatte kam ihm wie ein schlechter Traum vor. Nach ein paar Minuten besann er sich jedoch, ging in die Küche und machte das Frühstück für seine Brüder. Das war jeden Morgen ihr Ritual, Josh bekam seine Pfannkuchen mit Ahornsirup und Jason seinen Vanillepudding mit Kirschen. Als er alles auf den Tisch gestellt hatte, wollte er kurz nach Jason sehen. Doch dieser kam schon zur Türe hereingerannt.

„Bin schon fertig! Wo ist mein Pudding?“, Mike schmunzelte vor sich hin.

„Steht schon auf dem Tisch. Kannst du alleine essen? Ich geh kurz mal nach Josh sehen.“

„Ist gut“, erklärte Jason noch, bevor er sich über seinen Pudding hermachte.

Schnell stand Mike nun vor Joshs Zimmertüre. Leise klopfte er an die Türe.

„Herein.“ Josh war also wach.

„Morgen Josh. Kommst du frühstücken?“

„Du hast Pfannkuchen gemacht?“

„Klar“, lachte Mike.

„Dann komm ich, muss mich nur noch kurz anziehen“, erklärte Josh.

„Ich muss sowieso kurz mit dir reden. Darf ich mich setzen?“

„Sicher, das musst du nicht fragen. Aber was ist den los?“ wollte Josh wissen als er sich gerade das Hemd über den Kopf gestreift hatte.

„Vorhin waren drei Beamte des LAPD hier“, sagte Mike leise.

„WAS?“ Josh war sichtlich entsetzt, „Was wollten die hier?“

„Sie haben mir mitgeteilt, dass unser Herr Vater in Untersuchungshaft genommen wurde.“

„Wie bitte? Warum denn?“

„Soweit ich das erfahren habe, hat er im Alkoholrausch eine Frau vergewaltigt und dann versucht, sie umzubringen.“

„Nein“, flüsterte Josh fast nur noch, „Dass er uns geschlagen hat, war hart, aber dass er so weit gehen würde, habe ich nicht geglaubt.“

„Ich auch nicht.“

Plötzlich standen Josh Tränen in den Augen.

„Was ist den los mit dir, Großer?“ fragte Mike liebevoll und nahm ihn in den Arm.

„Na ja, wenn unser ‚Vater' jetzt im Knast ist und unsere ‚Mutter' auch nicht da ist… Was wird dann aus uns? Ich will nicht weg von dir und Jason“, jetzt weinte Josh richtig. Er krallte sich an Mike und wollte ihn nicht mehr loslassen.

„Glaubst du, ich will das? Aber mach dir keine Sorgen, wir werden nicht getrennt.“

„Wirklich? Ganz im Ernst?“

„Ich verspreche es dir. Als die Beamten vorher hier waren, hab ich mit ihnen gesprochen und sie sorgen dafür, dass ich das Sorgerecht für euch beide bekomme.“

„Das ist schön“, erwiderte Josh und drückte sich an seinen Bruder.

„Komm, wir gehen frühstücken, Jason wartet sicher schon auf uns.“

„Stimmt, aber mir fällt gerade noch etwas ein Mike.“

„Was denn?“

„Na ja, ich meine eben, wir brauchen ja auch Geld. Wie werden wir das schaffen?“

„Mach dir keine Sorgen. Wir bekommen noch alle drei jeden Monat das Geld vom Staat, weil wir nicht volljährig sind. Und Miete zahlen wir auch keine, weil das Haus unseren ‚Eltern' gehört. Somit wird das schon reichen, wir werden zwar nicht übermäßig Geld haben, aber es wird reichen.“

„Dann ist gut“, Josh merkte man die Erleichterung an.

„Wo bleibt ihr denn?“ hörten sie dann plötzlich Jason rufen.

„Komm, lassen wir ihn nicht so lange alleine.“

„Wir kommen schon!“ rief Josh hinunter.

„Weißt du Josh, wozu ich Lust hätte?“ wollte Mike wissen, als er die Türe zuzog.

„Nein, wozu denn?“

„Ich würde gerne von hier weg gehen. Mit euch beiden, irgendwo anders hin, einfach neu anfangen. Wenn es sein muss auch in einem anderen Land.“

„Mit der Idee könnte ich mich anfreunden.“

„Wirklich?“

„Ja Mike, mit dir und Jason würde ich überall hingehen. Und es hält mich auch nichts mehr wirklich in Los Angeles. Und Jason ist noch zu klein, um all das zu verstehen.“

„Hast Recht, wir werden sehen, was sich machen lässt.“

„Genau und jetzt wird erst mal gefrühstückt“, sagte Mike und öffnete die Küchentüre. „So da sind wir, Kleiner. Josh, deine Pfannkuchen stehen schon auf dem Tisch.“

„Danke Mike, ist lieb von dir“, erwiderte dieser.

„Na kleiner Mann schon fertig?“ wandte sich Mike dann an Jason, während Josh aß.

„Ja und jetzt will ich spielen!“

„Ist gut. Aber meinst du nicht, dass wir auf Josh warten sollten? Der möchte doch bestimmt auch mitkommen.“

„Au ja!“ rief Jason laut und krabbelte dann auf Mikes Schoß. Dort kuschelte er sich in die Arme seines Bruders. Josh verfolgte diese Szene lächelnd.

„Was willst du denn eigentlich spielen, Jason?“ wollte Josh dann von ihm wissen.

„Ich will Ball spielen.“

„Dann gehen wir nachher Ball spielen“, sagte Josh sanft und strich Jason über den Kopf.

Ein paar Minuten später war das Frühstück dann auch beendet und sie gingen in den Garten.

„Wo hast du denn deinen Ball gelassen?“ Mike sah gerade unter einen der Plastikstühle im Garten.

„Mike, der liegt hier“, erklärte Josh lachend und holte den Ball unter dem zweiten Stuhl hervor.

Somit verbrachten sie den gesamten Morgen damit, mit Jason Ball zu spielen. Erst als es Mittag wurde beendeten sie ihr Spiel. Matt lies sich Jason auf eines der Sofas im Wohnzimmer fallen.

„Bist du müde, Kleiner?“ Josh kniete sich vor ihm hin.

„Ja, ein bisschen. Und ich hab Hunger“, erklärte Jason und wischte sich über die Augen.

„Was hältst du von Spaghetti mit Tomatensoße?“

„Das wäre lecker.“

Somit nahm Josh ihn hoch und trug Jason in die Küche. Mike war schon damit beschäftigt, das Nudelwasser aufzusetzen.

„Ich glaube, wir sollten den Kleinen ins Bett bringen. Der schläft doch schon an deiner Schulter ein, Josh.“

„Da hast du wohl Recht. Ich bring ihn kurz rauf, essen kann er auch später noch was.“

„Mach das.“

Kurze Zeit später war Josh auch wieder da.

„Er schläft, wir haben ihn wohl müde gespielt.“

„Scheint so. Aber ich denke gerade an etwas ganz anderes.“

„Lass mich raten, Mike, du denkst darüber nach, wie es realisierbar wäre, von hier weg zu gehen. Nicht wahr?“

Mike seufzte tief. „Weißt du, ich möchte neu anfangen. All die schrecklichen Jahre, die wir hier verbracht haben, hinter mir lassen. Es ist mir schon klar, dass ich da zu einem gewissen Maße auch ziemlich egoistisch bin. Dabei kommt einfach viel auf dich an. Jason versteht die Bedeutung noch nicht.“

„Mike, ich hab dir schon gesagt, dass ich auch gerne hier weg gehen würde. Ich würde dir auch einen Vorschlag machen, wohin wir gehen könnten.“

„Wohin denn?“

„Nach Berlin. Da wäre das mit der Aufenthaltserlaubnis auch nicht so schwierig.“

„Du meinst, weil Oma Deutsche war?“

„Genau deshalb. Und wir beide sprechen ja auch noch einen Rest Deutsch, Jason wird das ziemlich schnell drauf haben.“

„Hast eigentlich Recht, Josh. Ich glaub da werde ich mich mal drum kümmern. Das war eine sehr gute Idee von dir.“

Josh antwortete nicht, er lächelte bloß vor sich hin. Gemeinsam aßen sie dann auch zu Mittag.

„Sag mal Josh, hast du heute Mittag schon was vor?“

„Nein. Warum?“

„Weil ich zum Jugendamt und zum Gericht will. Mal ein bisschen Informationen einholen, ob eine Auswanderung bei unserer Konstellation überhaupt möglich wäre.“

„Mach das, Mike, ich kümmere mich um unseren Wirbelwind.“

„Danke Josh. Bis später dann.“

„Bis später.“

Nachdem Mike gegangen war, machte sich Josh auf in sein Zimmer. Als er jedoch bei Jason an der Türe vorbei, kam hörte er ihn leise wimmern. So wie es aussah, träumte er von irgendetwas. Deshalb ging er in das Zimmer von Jason und setzte sich vorsichtig an den Bettrand. Als würde Jason spüren, dass jemand da war, kuschelte er sich an Josh heran. Da dieser nun nicht mehr gehen konnte, legte er sich in eine Position, die auch für ihn bequem war. Ein paar Minuten ging ihm der heutige Tag noch im Kopf herum, dann war auch er eingenickt.

Als Mike dann nach Hause kam und keine Antwort bekam, als er nach seinen Brüdern rief, machte er sich auf die Suche nach ihnen. In Jasons Zimmer fand er die beiden dann auch. Josh lag auf dem Rücken, Jason eng an ihn gekuschelt den Kopf an seiner Schulter. Still lächelte Mike in sich hinein und zog die Türe zu. Er machte sich dann auf in sein Zimmer und las in einem Buch. Etwa eine Stunde später streckte dann Josh seinen Kopf ins Zimmer.

„Kann ich rein kommen?“

„Klar!“

Josh kam herein und ließ sich in einen der Sessel fallen, Mike hatte sein Buch weggelegt.

„Ich wollte eigentlich bloß wissen, ob etwas auf dem Amt herausgekommen ist.“

„Oh ja! Das würde ich so sagen“, lächelte Mike.

„Und was? Bitte spann mich nicht auf die Folter.“

„Ich erzähl ja schon. Also, es ist so, einer Auswanderung steht nichts im Weg.“

„Echt nicht?“ unterbrach ihn Josh glücklich.

„Nein, ich hab mit einer Mitarbeiterin beim Jugendamt gesprochen. Sie hat mir das noch mal bestätigt, was die Polizisten schon gesagt haben. Ich werde das Sorgerecht für euch beide bekommen und dann kann ich auch bestimmen, wo ihr lebt. Aber ich habe sogar etwas Geniales erfahren.“

„Was denn?“

„Wir können das Haus verkaufen und den Erlös dann behalten“, grinste Mike.

„Superklasse! Aber das geht so einfach?“

„Ja, geht es. Weil klar ist, dass unser Herr Vater lange nicht mehr entscheiden kann, was mit dem Haus zu passieren hat, geht die Entscheidungsbefugnis auf uns über. Und unsere Frau Mutter ist ja offiziell verschollen, somit dürfen wir da sowieso selbst entscheiden.“

„Klasse, dann haben wir sogar ein wenig Startkapital.“

„Wie funktioniert das alles jetzt eigentlich alles weiterhin?“

„Den Antrag auf eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung in Deutschland habe ich schon gestellt. Wir müssen nur noch abwarten, ob der bewilligt wird. Das werden wir aber bald erfahren. Ansonsten steht unserem Neuanfang nichts mehr im Weg.“

Man konnte richtig sehen wie erleichtert Josh war.

„Wann glaubst du denn, dass wir erfahren, ob dem Antrag stattgegeben wurde?“

„Soweit mir die Leute vom Amt das sagen konnten, werden wir das Ende der Woche schon wissen.“

„So schnell? Das hätte ich jetzt auch nicht gedacht.“

„Ich auch nicht, aber es freut mich sehr.“

„Sollten wir uns dann nicht schon Gedanken machen wie das alles funktioniert, also mit Papieren, Wohnung und so?“

„Das hab ich mir auch schon überlegt. Also, die Sache mit den Papieren macht das Amt für uns. Wir müssen nur das Haus verkaufen, die Sachen packen und eine Wohnung in Berlin finden.“

„ ‚Nur' ist gut. Aber sag mal wollte der Kerl von gegenüber nicht schon mal das Haus hier kaufen? Der hat doch auch ziemlich viel geboten soweit ich weiß.“

„Stimmt, an den hatte ich gar nicht mehr gedacht. Und das Umzugsunternehmen wäre sowieso Coopers am praktischsten, die sind hier direkt vor Ort.“

„Da hast du Recht, dann fehlt uns also nur noch eine Wohnung“, grinste Josh daraufhin.

„Ja, aber wozu haben wir das Internet?“ lachte Mike.

„Sollen wir gleich mal nachsehen?“

„Keine schlechte Idee.“

Die folgende Zeit verbrachten die beiden nun damit, sich im Internet Wohnungen anzusehen. Nach zwei Stunden hatten sie auch schon eine grobe Auswahl getroffen. Und auch schon verschiedene Makler angeschrieben.

„Wie machst du das eigentlich mit dem Job, Mike?“

„Also, ich werde mich für einen Studienplatz bewerben. Du weißt ja, dass ich gerne Lebensmittelchemie studieren möchte und dazu hätte ich dann die Möglichkeit.“

„Das freut mich für dich.“

Es war nun auch schon später geworden, als plötzlich die Türe aufging und Jason in das Zimmer kam. Er wirkte noch ein wenig verschlafen.

„Hallo ihr zwei.“

„Hallo Kleiner“, kam es von Mike und Josh zurück.

„Ich hab jetzt Hunger!“

„Dann gibt's jetzt erst mal was zu essen für dich. Komm wir gehen in die Küche“, erwiderte Josh und nahm seinen Bruder an der Hand.

„Und du gehst zu den Apelgates rüber, oder?“ wandte er sich an Mike.

„Ja, hatte ich schon vor.“

„Dann mach das ich kümmere mich um Jason.“

Somit war die Vorgehensweise der beiden Geschwister auch klar. Josh gab Jason etwas zu essen und Mike machte sich auf den Weg zu den Nachbarn. Er hoffte nur, dass ihr Angebot für das Haus noch stand. Der Nachbar war jedoch sofort bereit sein Angebot nochmals zu machen, er ging sogar noch ein paar tausend Dollar höher. Mike nahm das Angebot dankend an, die Verträge sollten am Anfang der Woche unterschrieben werden. Nicht viel Zeit später war er auch schon wieder bei seinen Geschwistern.

„Hey Mike, das ging aber schnell bei dir. Und was haben die Apelgates gesagt?“ wollte Josh gleich aufgeregt wissen als Mike in die Küche kam. Jason saß im Wohnzimmer und sah sich einen seiner Lieblingscomics an.

„Er will das Haus haben. Und hat sogar noch ein besseres Angebot gemacht, als es sowieso schon war. Alles in allem haben wir damit ein sehr gutes Startkapital für Berlin.“

„Klasse, echt Klasse. Das funktioniert ja alles schon perfekt“, freute sich Josh und umarmte seinen Bruder. „Darf ich fragen wie viel wir jetzt für das Haus bekommen?“

„750.000 Dollar“, erklärte Mike.

„Wow“, entgegnete Josh nur mit offenem Mund.

„Ich mach dann gleich noch einen Termin mit Mr. Cooper aus, der soll direkt nächste Woche vorbeikommen und alles in die Wege leiten.“ Schon hatte Mike das Telefon in der Hand und wählte die Nummer von ‚Coopers Umzügen'. Nach einem 15 Minuten Gespräch war auch klar, dass das Unternehmen am Dienstag kommen würde, um die großen Geräte abzubauen und alles andere versandfertig zu machen.

Wie er es geschafft hatte, war für Josh zwar ein Rätsel, aber Mike schaffte es sogar, ein paar Umzugskartons aufzutreiben. Somit konnten sie sich direkt an die Arbeit machen. Die Schränke mussten leergeräumt werden, den Rest würde das Umzugsunternehmen erledigen.

„Mike?“

„Was ist Josh?“

„Wir sollten Jason versuchen zu erklären was in der nächsten Zeit passieren wird. Finde ich zumindest.“

„Stimmt schon, das sollten wir aber machen, bevor wir anfangen, auszuräumen. Damit er gleich alles versteht.“

„Komm wir gehen gleich zu ihm“, erklärte Josh und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Mike folgte ihm mit ein wenig Abstand ins Wohnzimmer.

„Jason? Mike und ich würden gerne kurz mit dir reden. Hast du Zeit für uns?“ fragte Josh sanft.

„Klar. Was wollt ihr denn?“

Die nächsten Minuten verbrachten die beiden nun damit, Jason zu erklären, was sie vorhatten.

„Und du und Mike kommt dann auch mit?“ wollte er dann von Josh wissen.

„Ja, wir gehen alle drei.“

„Dann komme ich auch mit“, erklärte Jason ernst.

Josh und Mike lächelten erleichtert. Mike begann dann alle Papiere zusammen zu suchen. Bald hatte er auch alle wichtigen Dokumente beisammen und verstaute sie in einer kleinen Mappe. Kurz darauf gingen die drei dann auch zu Bett. Am nächsten Morgen war Mike als erster wach. Wie üblich kümmerte er sich als erstes um das Frühstück. Danach sorgte er dafür, dass im Wohnzimmer mit dem Ausräumen begonnen wurde.

„Mike?“ hörte er dann Josh rufen.

„Ich bin hier im Wohnzimmer“, rief er zurück und legte ein paar Bücher in den Karton der vor ihm stand.

„Hey, du bist ja schon bei der Arbeit.“

„Ja, muss ja auch alles gemacht werden.“

„Ich freu mich schon drauf, hier weg zu kommen“, seufzte Josh.

„Das geht mir auch so, aber jetzt geh erst mal frühstücken.“

„Werd ich machen“, sagte Josh und verlies den Raum. Mike arbeitete daraufhin weiter und hatte schon sehr viel geschafft, als Josh wieder dazu kam. Von da an arbeiteten sie zusammen und hatten innerhalb von ein paar Stunden auch alles ausgeräumt. Gerade hatten sie den letzten Karton geschlossen und zur Seite geräumt, als Jason herein kam. Er war bereits komplett angezogen.

„Hey Kleiner. Hast dich ja ganz alleine angezogen heute. Toll gemacht.“

Jason lächelte stolz, bevor er verkündete: „Ich will ja auch mithelfen.“

„Darfst du auch“, erwiderte Mike, „Du kannst nachher helfen, deine Spielsachen einzupacken. Aber du gehst jetzt erst mal frühstücken.“

„Ist gut“, schon war Jason in der Küche verschwunden. Während er aß, kontrollierte Josh noch einmal die Schränke, um sicher zu sein, dass alles ausgeräumt war. Als nächstes kam dann das Zimmer ihrer Eltern. Mike und Josh waren sich einig darüber, dass sie die wichtigsten Dinge selbst behalten und alles andere auf den Dachboden schaffen würden. Die Applegates konnten sich dann entscheiden, was sie mit den Sachen machen würden. Sie waren gerade dabei, den großen Kleiderschrank auszuräumen, als Jason herein gestürmt kam. Er baute sich vor seinen Brüdern auf.

„Jetzt will ich auch helfen!“ erklärte er dann.

„Kannst du machen. Such am besten schon mal deine Kuscheltiere zusammen und leg sie auf dein Bett.“

„Mach ich“, mit diesen Worten war Jason schon wieder aus dem Zimmer gerannt.

Recht schnell waren Josh und Mike dann auch fertig mit dem Schlafzimmer ihrer Eltern. Das Bett und den Schrank würden sie mitnehmen, die Kleidungsstücke würden hier bleiben.

„So, das war's“, meinte Mike, als er die Türe geschlossen hatte. Danach seufzte er tief.

„Welches Zimmer machen wir jetzt?“ war dann die Frage von Josh.

„Ich würde vorschlagen, das von Jason. Er möchte gerne mithelfen, und dann lassen wir ihm den Spaß.“

„Gute Idee.“

Beim Ausräumen von Jasons Zimmer hatten nun alle sehr viel Spaß, Jason schaffte es seine Brüder immer wieder zum Lachen zu bringen. Er half auch tatkräftig mit seine Spielsachen in die Kartons zu packen. Nachdem sie das Packen beendet hatten, aßen sie noch eine Kleinigkeit und fielen dann müde ins Bett. Am nächsten Tag waren alle nur mit Packen beschäftigt, so verlief der gesamte Tag bis abends.

„Josh?“

„Was ist los Mike?“

„Ich hab mir überlegt, dass du morgen nicht in die High School gehst, sondern wir hier alles fertig machen. Und ich fahr dann noch hin und melde dich dort ab. Ist das in Ordnung für dich?“

„Ja, klar. Ich glaub sowieso, dass ich mich von niemandem dort noch groß verabschieden müsste. Das keiner wirklich mehr etwas mit mir zu tun haben wollte, hat unser Vater damals schon perfekt gemacht“, erwiderte Josh bitter.

„Hey Großer, wenn wir erst in Berlin sind wird das alles anders. Da kennt uns keiner.“

Nach diesem kurzen Wortwechsel legten sie sich dann hin, da am nächsten Tag viele Behördengänge anstanden.

Am nächsten Morgen waren die Aufgaben klar verteilt. Josh beschäftigte Jason und sorgte dafür, dass alles eingepackt wurde. Während dessen erledigte Mike die nötigen Behördengänge. Zuerst fuhr er zu Joshs Schule und meldete ihn offiziell ab, dann war er noch beim Konsulat und beim Einwohnermeldeamt. Nach einer kleinen Pause machte er sich daran, die einfachen Dinge wie Strom, Gas, Wasser und Telefon abzumelden. Er hatte gerade das Gebäude wieder verlassen, als sein Handy klingelte. Am Display erkannte er bereits, dass Josh anrief.

„Hi Josh. Was ist gibt's?“

„Nichts Schlimmes. Es ist nur so, dass mich Cooper angerufen hat. Seine Arbeiter haben jetzt schon Zeit und deshalb wollte er wissen, ob es möglich wäre, heute Abend schon mit dem Verladen zu beginnen.“

„Klar geht das. Was hast du denn gesagt?“

„Genau das selbe wie du“, lachte Josh durchs Telefon.

„Ich bin sowieso gleich wieder zu Hause dann können wir alles besprechen.“

„Einverstanden, bis gleich.“ Und schon hatte Josh aufgelegt. Mike freute sich, dass alles so reibungslos lief. Jetzt musste nur noch der offizielle Sorgerechtsbeschluss kommen. Mit seinen Gedanken stieg er in sein Auto und fuhr zurück. Als er das Haus betrat erwartete ihn schon eine große Überraschung, Josh und Jason waren wirklich weit gekommen. Viele der Kartons standen auch bereits im Flur.

„Oh Mike, du bist schon da. Warst aber schnell“, sagte Josh dann als er herein kam und einen weiteren Karton abstellte.

„War ja auch nicht mehr weit weg von hier. So und was hat sich jetzt hier getan?“

„Also dass Cooper mit seinen Arbeitern heute Abend schon kommt, hab ich dir ja schon gesagt. Aber das andere ist das der Postbote hier war und mehrere Briefe gebracht hat.“

„Was für Briefe sind das denn?“

„Hier, ich hab mal alle zusammengelegt“, erklärte Josh und gab Mike ein paar Briefe in die Hand. Schnell hatte er diese auch durchgesehen. Nachdem er einen offiziell aussehenden Brief geöffnet hatte, war er jedoch angenehm überrascht.

„Wow“, brachte er nur heraus.

„Was ist den los?“

„Das ist der Sorgerechtsbeschluss vom Gericht, ich bin ab sofort für euch sorgeberechtigt. Und das ist auch schon der offizielle Beschluss. Mit der Begründung, dass man verhindern will, dass ein Vater wie unserer auch nur eine Minute noch Einfluss auf unser Leben hat. Was genauso für unsere Mutter gilt.“

„Klasse!“, rief Josh und sprang seinem Bruder an den Hals. Dieser drückte ihn kurz an sich und sah sich dann die anderen Briefe an.

„Ich glaube heute ist unser Glückstag!“ jubelte Mike dann.

„Warum?“

„Weil das hier“, er zeigte Josh das Schriftstück, „die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland ist. Damit müssen wir nur noch zum Konsulat und die in unsere Pässe eintragen lassen“, jubelte Mike. Sein Bruder stieß einen lauten Freudenschrei aus. Kurz darauf klingelte es an der Türe, Mike öffnete sie und kam mit Mr. Cooper und seinen Arbeitern zurück. In der Auffahrt parkten bereits zwei große Laster.

„Guten Abend, Mr. Gardner“, sagte er dann und reichte auch Josh die Hand. Dieser schüttelte sie kurz.

„Guten Abend Mr. Cooper.“

„Also meine Frage wäre jetzt ob sie irgendetwas Spezielles geplant haben. Ich meine, ob irgendetwas zuerst verladen werden muss oder auch besonders gesichert.“

„Da wären eben die technischen Geräte wie der Computer, die HiFi- Anlage oder der Fernseher. Und dann eben noch die Küchengeräte, die müssten dann vorsichtig transportiert werden.“

„Das lässt sich machen. Aber ich denke sie sollten vorher noch schnell die Dinge zusammen packen, die sie für die nächsten Tage brauchen. Und auch für den Flug und die ersten Tage in Berlin.“

„Werden wir machen. Sie können in der Zwischenzeit schon mal mit den Möbeln im Wohnzimmer anfangen“, empfahl Mike.

Mr. Cooper nickte und gab seinen Arbeitern dann die Anweisungen. Mike selbst nahm die Schachtel mit den Papieren und ging dann auf den Dachboden und holte die Koffer herunter. Jeweils einen stellte er in die Zimmer seiner Geschwister. Den letzten nahm er mit zu sich. Nach einer halben Stunde hatte Mike dann auch seinen Koffer fertig gepackt. Kleidung, Hygieneartikel und ein paar Bücher und Magazine verschwanden schnell im Koffer. Als er mit allem fertig war stellte er ihn an die Türe. Kurz danach ging er zu Jason ins Zimmer, wo er auch Josh antraf.

„Was hat es eigentlich mit dem Koffer auf sich?“ wollte Josh dann wissen.

„Ihr solltet ein paar Sachen zusammenpacken, für den Flug und die erste Zeit in Berlin. Es wird ja eine Weile dauern, bis die Möbel geliefert werden. Und da müssen wir eben die wichtigsten Dinge dabei haben“, erklärte Mike.

„Ach so.“

„Du Josh, wenn du willst helfe ich Jason packen und solange kannst du dich um deine Sachen kümmern.“

„Danke, das ist eine tolle Idee“, erwiderte Josh und war schon fast aus dem Zimmer. Mike machte sich dann daran, den Koffer für Jason zu packen, was ihm auch schnell gelang. Wie seinen eigenen Koffer stellte er auch diesen an die Türe.

„Jason, kommst du mit in die Küche? Dann spielen wir was.“

„Au ja!“ meinte Jason und flitzte zur Türe hinaus. Mike nahm sich schmunzelnd die Tasche mit den Spielen und ging nach unten. Erwartungsgemäß brauchten die beiden nicht lange und waren in einem Kartenspiel vertieft. Mike ging dann schnell noch zu Mr. Cooper und erklärte ihm, dass alles erledigt sei und alles abgebaut werden konnte. Dieser versprach sich auch sofort um alles zu kümmern.

Josh hatte in der Zwischenzeit fertig gepackt und war zu seinen Geschwistern in die Küche gekommen.

„Was müssen wir jetzt eigentlich noch erledigen Mike?“

„Ach Mist, das hätte ich fast vergessen. Ich muss ja noch den Flug buchen“, Mike schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Hoffentlich bekommen wir so schnell dann auch einen Flug. Ich geh dann raus in den Garten zum Telefonieren falls etwas sein sollte.“ Und schon war Mike weg.

„So kleiner Mann, was möchtest du denn jetzt machen?“ fragte Josh.

„Ich mag jetzt ein Käsebrot haben.“

„Ist in Ordnung ich mach dir eines“, erklärte Josh und stand auf. In diesem Moment kam Mike auch schon wieder in die Küche zurück.

„Und was hast du erfahren?“

„Wir fliegen morgen Mittag“, erläuterte Mike.

„Klasse, das passt ja perfekt. Dann können die Arbeiter von Cooper morgen früh die Betten abbauen und wir können noch mal nachsehen, dass wir alles haben. Was ist eigentlich mit dem Vertrag für das Haus?“

„Das ist geklärt. Mr. Applegate kommt nachher vorbei, er bringt einen befreundeten Notar mit. Der hat auch schon den Vertrag aufgesetzt und beglaubigt das dann. Wir bekommen dann einen Scheck ausgehändigt. Und müssen den nur noch gut schreiben lassen.“

„Sehr gut.“

Ungefähr eine Stunde später verabschiedete sich auch Mr. Cooper mit seinen Arbeitern. Sie würden früh am nächsten Morgen wiederkommen und die restlichen Möbel abbauen.

Kurze Zeit später kam dann auch noch Mr. Applegate mit dem Notar vorbei. Somit war auch die Frage wegen dem Haus geklärt. Um fit für den nächsten Tag zu sein, entschieden sich Mike, Josh und Jason auch ins Bett zu gehen.

„Josh hast du alles, was du brauchst?“ rief Mike am nächsten Tag die Treppen hinauf.

„Ich glaub schon“, erklärte dieser als er mit seinem Koffer die Treppe herunter kam.

„Dann suchen wir am Besten jetzt alles zusammen, was wir noch mitnehmen wollen. Oder kannst du das selber machen? Dann fahr ich kurz zur Bank und dann zum Konsulat.“

„Geh schon, ich bekomm das alles alleine hin.“

Ein paar Stunden später hatten die Geschwister alles geschafft und warteten auf das Taxi, welches sie zum Flughafen bringen würde. Mr. Cooper war bereits auf dem Weg zum Fährhafen, um dort die Möbelcontainer aufzugeben und Mike hatte abschließend nochmals alles kontrolliert. Als das Taxi dann um die Ecke bog und vor dem Haus hielt wurden sie doch nervös. Kurze Zeit später waren sie dann auch schon am Flughafen und checkten ein, nach der Gepäckaufgabe waren sie doch erleichtert. Die Zeit bis zum Abflug verbrachte Mike damit, ein Buch zu lesen, während Josh und Jason durch das Flughafengebäude liefen. Ungefähr eine halbe Stunde vor Abflug trafen sie sich dann wieder und bestiegen das Flugzeug. Nachdem das Flugzeug in der Luft war fiel eine große Last von Mike und Josh ab, es war als hätten sie alles hinter sich gelassen. Mike saß dann sehr lange am Fenster und starrte auf die Wolken unter ihnen. Einerseits war er erleichtert, andererseits gab es noch so viele unbekannte Dinge, die ihnen bevor standen. Das, was er sich aber wirklich wünschte war, sich zu verlieben. Einfach einen Freund zu haben, mit dem er glücklich war. Obwohl er nicht wusste, wie das werden würde. In den USA war die Einstellung viel zu konservativ gewesen, um sich zu outen. Doch wie würde das in Europa werden? Bis jetzt war Josh der Einzige, der wusste, dass Mike schwul war. Auf ihn hatte er sich verlassen können, er würde schweigen, wenn Mike ihn darum bat. Mit seiner Sehnsucht schlief er schließlich ein und wachte erst bei der Landung wieder auf.

„Berlin hier sind wir!“ war dann Joshs einziger Kommentar….

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