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Die Spieluhr

Weihnachtschallenge 2007

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Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

 

Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchten, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf Uhr mittags. Die letzten Stunden, um zu ergattern, was es zu ergattern galt, bahnten sich an. Wofür? Ich wusste es nicht. Weihnachten war sichtlich nichtmehr das Fest, welches man aus alten Kinderbüchern oder Bibelgeschichten kannte. Man feierte es, weil es Tradition war. Man schenkte, weil leuchtende Kinderaugen einen dazu zwangen. Alles, weil es ebenso war, weil man es ebenso tat. Weihnachten, Fest der Liebe, Fest des Beisammenseins, Fest der neureichen Firmenmagnaten, die geschickt nach der Lehre ihrer Väter den Köder auswarfen, bestehend aus Lichterketten und Rabatten, um nun ganze Schlangen von zahlfreudigen Massen an Land zu ziehen. Willkommen zum Weihnachtsfest von heute.

Was bringt es, sich Gedanken darüber zu machen? Es gehörte zu den Dingen, die sich so entwickelten und man nichtmehr ändern konnte.

Ich schritt die alten Bauten der Stadt entlang, alle festlich geschmückt, genoss Zug um Zug die warme Luft, welche aus den Läden strömte. Es roch nach Zimtsternen und nach Lebkuchen. Der Duft von Braten schleuderte aus den Kaminen der Häuser entgegen, verteilte sich in den Ritzen.

Doch: Gewisse Dinge hatte Weihnachten beibehalten, ein Ambiente, welches einfach entstand, weil die Menschen glücklich waren. Es stimmte auch mich froh, so zog ich schnelleren Schrittes über den feuchten Boden.

Langsam hatte der Schnee angefangen zu fallen, der Wind begann zu schlagen. Selbst die überdachten Passagen der Stadt erreichte das anbrechende Unwetter, doch die Menschen hielt es nicht ab. Unerschrocken strömten sie noch immer in die Läden, kamen in ebensolchen Massen heraus. Ja, unerschrocken, unhaltbar, scheinbar auch unüberlegt, da sie nun in der Hast des Weihnachtschaos walten mussten, bloß weil sie die vorherigen Tage zu faul waren.

Ein leichter Hauch Walnuss- und Kastanienaroma strich durch meine Bartstoppeln bis hin zur Nase. Beim Blick in die Richtung des kommenden Duftes erspähte ich ein kleines Nusshäuschen in der Mitte des Platzes. Wie es sich darin anfühlen musste, dachte ich, als mir der Schnee beim Betreten der offenen Strasse ins Gesicht schlug. Eilig rannte ich zum nächsten Unterschlupf, schüttelte dort meine langen, schwarzen Haare.

Mein Ziel hatte ich auch nach einer Weile nicht erreicht. Die Stadt war groß, mein gesuchtes Etwas die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen. Ich glaubte den Weg vergessen zu haben, der mich zum Ziel bringen sollte. Unterwegs begegnete ich zahlreichen Menschen, darunter Hungerbettelnde, gestresste Amtsmänner, Japaner mit Digicams. Ja, diese Stadt war wirklich überfüllt, ich könnte es immer und immer wieder erwähnen, egal an welchem Ort ich mich befand.

Die Gassen wurden enger, die Menschen weniger. Der Schnee fiel nichtmehr zwischen den Dachplatten hindurch, das Licht verflüchtigte sich ebenso. Einige wenige Minuten vergingen nach dem Eintritt in die düster wirkende Straßenenge, angekommen bei einem kleinen Laden, geborgen, geheim, gesucht und ebenso gefunden. Die Einkäufe dauerten nicht lange, so machte ich mich schon bald auf den Weg, ein Päckchen unter den Arm geschlungen. Kein großes, jedoch ein sehr formreiches. Diesmal schien der Weg kürzer, mit anderen Gedanken das Gehen leichter. Vorbei an Japanern, Amtsmännern, Blauträgern, Gossenkindern und vorbei am Nussstand, der schon geschlossen hatte. Während meiner Unachtsamkeit der Zeit waren doch einige wenige Stunden vergangen. Ja, in der Hektik von Weihnachten hatte ich zeitlose Momente. Doch nun eilte es, Kleinigkeiten zwangen mich dazu. Wie etwa die Parkdrehscheibe auf der Rückbank meines roten Volvos, das rechtzeitige Erscheinen Zuhause.

Dort angekommen achtete ich nicht einmal auf jene Dinge, die für mich als eigentliches Desaster galten. Dreckige, nasse Schuhe am Fußteppich zu putzen, Kleider im Schrank verstauen, Schuhe ausziehen beim Betreten des Wohnzimmers.

Der Raum war nur schwach erleuchtet. Während es draußen schon dunkel geworden war, erleuchtete bloß ein ausbrennender Kamin das Zimmer. Die Schatten von den verschiedensten Gegenständen wurden an die Wand geworfen, es schien wie tausende Baumkronen eines Nadelwaldes.

Ich schlurfte den Teppich entlang, warf meine mit Schnee überdeckten Kleider auf das Sofa und stelle das verpackte Objekt auf den Glastisch.

Die Standuhr am anderen Ende des Zimmers tickte, draußen nieselte wieder leicht der Schnee, welcher bei der Heimfahrt kurz aufgehört hatte und es so klar war, dass man die Berge am Horizont sehen konnte. Viele Gedanken hatte ich dabei, meist getränkt in Erinnerung an alte Tage. Früher, als alles besser war. Früher, als man noch wusste, was es zu vermeiden gab. Die Worte der Alten zählten aber nichtmehr, die Regeln ihrer Zeit hatten ausgedient. Jeder Tag war neu, jeden Tag galt es neue Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Doch sie konnten schlussendlich nicht vermieden werden, egal was man daraus lernte. Ich trabte in die Küche, griff in den Schrank über den Herd und holte einige Teelichter hervor, die ich auf verschiedenen Ablagen des Zimmers verteilte und anzündete. Sonderbar, wie viel Dunkelheit es nicht Zustande brachte, das Licht dieser kleinen Kerzen zu erdrücken.

Mein Körper war wieder aufgewärmt, ich ging im Wohnzimmer auf und ab. Mein Blick fiel immer wieder auf den Kamin mit den darüber hängenden Socken für den Weihnachtsmann. Hinter dem Sofa lagen die Geschenke für die Kinder – ich bemerkte sie, als das Licht des Feuers auf dem Geschenkpapier aufblitzte. Ein großer Tannenbaum, hoch zur Decke, stand in der Ecke, ich hatte ihn beinahe übersehen. Sonderbar, was gerade in mir vorging, wo ich ihn doch am Vorabend aufgestellt hatte.

Meine Gedanken brauchten sich nicht lange zu ordnen, denn ich wusste bereits, was nicht stimmte.

Es fehlten Kinder, welche die Geschenke auspackten, es fehlte eine Frau, die man den Abend durch auf dem Schoss tragen konnte. Es war kein Beisammensein, es war Einsamkeit. Sollten sie nicht bald Zuhause sein?

Stunden wartete ich, auf die Sekunden zwei, ich hatte das Ziffernblatt der Standuhr nicht aus den Augen gelassen, als das Telefon klingelte.

Nur kurz wurden Worte gewechselt, die Geschehnisse des Tages ausgetauscht. Wer dieser Mensch am Telefon war, wusste ich nicht, was er tat und wofür er anrief nun schon.

Ich ließ mich wieder auf dem Sofa nieder, dachte nach. Mein Blick wandte sich wieder zum seltsamen Etwas, welches ich heute im Laden gekauft hatte. Langsam griffen meine Hände danach, langsam bohrten sich meine Fingernägel ins Geschenkpapier.

Abgewickelt, leicht die Silhouetten erkennbar, stellte ich sie inmitten des Glastisches.

"Sie hatte sich die Spieluhr doch gewünscht..“, sprach ich laut in die Leere des dekorierten Raumes hinein. Nach einer Weile setzte ich mich an den Computer, es galt einige Worte im nickstories.de-Forum zu schreiben. Einer digitalen Welt, in der man sich Verstand, ohne sich zu kennen.

Die Spieluhr würde nun für ewig währen, so war sie doch Begleiter der Seelen einer kleinen Familie, die der Unachtsamkeit des Fahrers eines roten Wagens zugrunde lag.

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