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Teil 8

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36. BUCH - Juristerei

Oder ... Was ein Arbeitszimmer so alles sagen kann

Während des gleichen Tages am Nachmittag, an einem anderen Ort, genau genommen im Haus von Gerry, noch genauer in seinem Büro. Ein typisches Rechtsanwaltszimmer. Ein etwas größerer Büroraum, die der Tür gegenüberliegende Seite bestand aus Fenstern, nur Fenster, die von der Decke bis zum Boden reichten, und durch die noch die letzten Strahlen der Mittagssonne fielen. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein großes Regal, das von einer Zimmerseite zu anderen reichte. Es war voll mit unzähligen Büchern. Alles Gesetzesbücher, dicke Wälzer, die zum Teil schon recht abgegriffen waren, zum anderen Teil auch noch nie verwendet wurden. Ein paar Bücher fehlten. In der Mitte des Raums stand ein riesiger dunkler Eichentisch, mit einer dieser niedlichen Schreibtischlampen, die man ihn vielen Bibliotheken in Amerika findet, goldfarbener Fuß und grüner Lampenschirm. Auf der anderen Seite des Schreibtischs war ein moderner Computer, mit Monitor, Scanner, ein Laser- und ein Tintenstrahldrucker, ein paar Boxen und diversem anderem Kleinkram, der für so einen Arbeits-PC nötig war. Dahinter stand ein großer Schreibtischstuhl aus Leder. Gegenüber gab es zwei ebenso bequeme Stühle für die Mandanten. An der linken Seite von der Tür aus gesehen war eine kleine Couchgruppe mit kniehohem Tisch vorzufinden. Der Tisch war mit einem Gesteck aus Trockenblumen geschmückt und einem Aschenbecher, der seit Wochen nicht mehr leer war. An der Wand hing eine Kopie von Monets 'Palazzo Contarini, Venice' von 1908. Leider passte dieses doch recht in blautönen gehaltene Bild, das eine Gondel vor eben erwähntem Ort zeigte, nicht zu der Schreibtischlampe, aber immerhin brachte es eine gewisse Klasse und Eigenständigkeit zum Ausdruck. Dem gegenüberliegenden Zimmerteil war es vorbehalten mit diversen, mindestens 15 Stück, wenn nicht mehr, Umzugskartons belagert zu werden. Akten alter Fälle und die dazugehörigen Aufzeichnungen befanden sich fein säuberlich einsortiert darin. Hinter dem Schreibtisch waren ein paar Pflanzen, die sich, obwohl es alles Palmen waren, doch schon eher ihrem Lebensabend näherten und ihn teilweise schon fast überschritten hatten. Auf dem Schreibtisch sah es wüst aus. Diverse Akten, Blätter, Bücher, Büroutensilien, und allerlei anderer Kram waren in perfektem Chaos dort drapiert worden. Dieser Raum schien das Unmögliche möglich zu machen. Einerseits war er so chaotisch, dass jede anständige Hausfrau einen Schreikrampf bekommen hätte, andererseits war der Raum so sauber, dass man ohne Bedenken vom Boden hätte essen können.

In diesem doch eher ungewöhnlichen Chaos arbeitete Gerry. Er saß an seinem Schreibtisch. Ihm gegenüber saß Anna. Sie hatte heute Morgen gleich einen Termin ausgemacht, da sie ihrem Noch-Ehemann die Scheidungsunterlagen so schnell wie möglich zukommen lassen wollte.

»Also, ich hab jetzt ein paar Fragen an dich, die recht wichtig sein können. Ich bin grade nur dein Anwalt, den dein Familienleben nicht interessiert. Also antworte so ehrlich wie möglich. Es könnten auch unangenehme Frage dabei sein, aber ich muss sie einfach stellen, nicht, dass wir noch vor Gericht unser blaues Wunder erleben.«

»Klar. Was willst du wissen?«

»Also, erst einmal, wo wohnt Max jetzt?« Gerry stellte mit Absicht eine eher zweitrangige Frage, um Anna den Einstieg zu erleichtern.

»In seiner Wohnung.«

»Moment? Ich dachte da lebt ihr noch?« Verwundert sah er sie an.

»Nein, da irrst du dich. Wir haben zwei Wohnungen. Martin hatte damals diese 2-Zimmer-Wohnung, und als wir heirateten, wollten wir zusammenziehen und Kinder waren auch geplant. Also brauchten wir eine größere Wohnung. Er war damals nicht besonders reich und war froh, dass ihm seine Eltern bei der Finanzierung dieser Altbauwohnung unter die Arme gegriffen hatten. Er hatte die Wohnung schon, als wir uns kennen lernten. Aber ich hatte von meiner Großtante Geld geerbt, selbst etwas gespart und meine Eltern haben dann auch noch etwas dazugegeben. Und dann hab ich die Wohnung gekauft. Wir sind dann umgezogen, aber wir wollten die Eigentumswohnung nicht aufgeben, da sie, falls es mal schlechte Zeiten geben sollte, immer noch etwas Gewinn abwarf. Nun gut, bis vor 3 Monaten wohnte ein junger Student in der Wohnung, da er mit dem Studium fertig war, ist er nach Augsburg gezogen, da er dort eine Stelle gefunden hatte. Naja, wir haben bis jetzt keinen Nachmieter gefunden. Die Wohnung liegt in einem ruhigen Vorort. Von der Lage her, für junge Familien ideal, aber 2 Zimmer sind halt etwas wenig für drei oder mehr Leute. Und da sie so weit ab von Schuss liegt, ist sie auch nicht besonders gut für Workaholics und dergleichen. Also stand die Wohnung jetzt längere Zeit leer.«

»Ach so, naja, dann ist das Problem schon mal geklärt. Aber noch eine Frage zu der Wohnung. Ist sie komplett möbliert und ausgestattet?«

»Ja, es ist eigentlich alles drin, was man so zum leben braucht. Möbel, Bett, ein Sofa, die Küche hat einen Kühlschrank, einen Herd, Backofen, Spülmaschine, selbst 2 Töpfe, eine Pfanne, Messer, Schneebesen, Teller, Besteck und so weiter sind drin. Im Bad gibt es eine Waschmaschine. Gut, es ist nicht unbedingt alles so vorhanden wie in meiner Wohnung, aber man kann drin leben, ohne große Einkäufe zu tätigen.«

»Gut, noch ein Problem weniger. Und nachdem du selbst verdienst, wird er nur für Martin zahlen müssen, du wirst wohl nichts bekommen.«

»Das will ich auch nicht. Am wichtigsten ist mir eigentlich nur, dass er mich in Ruhe lässt, dann will ich von ihm auch nichts.«

»Klar, das ist meistens so. Ach noch etwas. Hat er noch Sachen von sich in eurer Wohnung?«

»Kaum. Er war noch einmal da, und hat seine Klamotten zum größten Teil geholt und seine persönlichen Dinge. Sein Unterlagen und ein paar Bilder von seiner Familie und so. Außer ein paar Wintersachen, die im Keller sind, ist nichts mehr von ihm da.«

»Habt ihr was wegen den Klamotten ausgemacht? Kommt er nochmal?«

»Ich hab ihm gesagt, dass ich sie ihm zuschicke. Er war damit einverstanden.«

»OK, ich werde ihm aber trotzdem in einem Brief mitteilen, dass ihm seine restliche Kleidung zugesandt wird.«

Gerry machte sich eine Notiz und setzte sich aufrecht in seinen Stuhl. Jetzt kam der Teil mit den unangenehmen Fragen.

»Also, noch etwas. Hattet ihr noch ein Familienleben?«

»Naja, Martin und ich schon. Wenn er zu Hause war, dann gab es eigentlich immer irgendwelchen Streit. Ständig hatte er an Martin was zu meckern. Martin hat sich dann immer mehr in sein Zimmer zurückgezogen und ging auf Distanz, und er und ich, da war nichts mehr. Meistens Geplänkel übers Wetter und so, aber nachdem er ja eh so selten zu Hause war, dank Geschäftsreisen und anderen Nebentätigkeiten.« Anna sprach zwar sehr ruhig und besonnen, aber in ihr brodelte es. Sie verspürte Wut, dass sie es so lange ertragen hatte, wie ihr Mann sie genervt hatte. Sie machte sich auch Vorwürfe wegen Martin, sie hatte ihn viel zu lange leiden lassen.

»Und wie war es mit den ehelichen 'Pflichten'?

»Bitte?« Anna errötete leicht.

»Hattet ihr Sex? Wann zum letzten Mal?«

»Ja, sicher hatten wir den, zu Beginn der Ehe recht häufig, aber das nahm dann rapide ab, und vor fünf Jahren etwa, da war es sehr selten. Erstens durch seine Geschäftsreisen, und zweitens war ja auch seine Maitresse, die ihn scheinbar richtig gefordert hat. Mit mir kam es nur noch selten zum Verkehr, und darüber war ich richtig froh. Das letzte Mal war so etwa Ende letztes Jahr, im November, Dezember. So genau weiß ich das nicht mehr. Aber warum fragst du das?«

»Naja, eventuell können wir das Trennungsjahr dadurch verkürzen, aber nur eventuell. Ich muss das nochmal genau nachlesen. Und jetzt vorerst die letzte Frage: Du willst das alleinige Sorgerecht, oder?«

»Eigentlich schon, ich habe zwar kein Problem damit, wenn wir es zusammen bekommen, aber es würde halt ständig Probleme geben.«

»Klar, ich denke, da brauchst du dir aber wenig Sorgen machen. Immerhin wollte er seinen Sohn angreifen, und das unter neutralen Zeugen, das macht sich gar nicht gut. Wenn man als fürsorglicher Vater dastehen will und seinen eigenen Sohn angeht, ist das nicht gerade förderlich.« In gewisser Weise war bei beiden ein kleines Funkeln der Genugtuung in den Augen zu sehen.

»Ich denke zwar, dass Martin bei dir bleiben will, aber ich möchte ihn trotzdem gerne selbst dazu befragen. Aber das eilt nicht. Ich werde Morgen die Scheidung beim hiesigen Familiengericht einreichen, und alle anderen Formalitäten erledigen. Falls noch etwas Wichtiges ist, kann ich dich ja anrufen.

So, möchtest du noch einen Schluck trinken, oder hast du noch was vor?»

»Nein, ich hab Zeit. Ich wusste ja nicht, wie lange es hier dauern würde, und ich nehm dein Angebot gerne an.«

»Gut, aber lass uns ins Wohnzimmer gehen, ich tratsche so ungern in meinem Büro.«

Die beiden machten es sich im Wohnzimmer bequem. Gerry öffnete eine gute Flasche Rosé und stellte ein paar Knabbereien auf den Couchtisch. Es war jetzt etwa halb sechs. Gute vier Stunden später verließ Anna das Haus von Gerry, es war ein netter Abend, die beiden verstanden sich super. Sie lachten und unterhielten sich. Es wurden alte Anekdoten aus der Schulzeit ausgetauscht. Gerry erzählte von seiner Studienzeit und auch Anna berichtete von der Schwesternschule. Kurz um, die beiden bemerkten nicht, wie die Zeit verflog.

Die ganze Zeit über stand ein junger Mann mit eisblauen Augen und hellblonden Haaren vor dem Fenster und beobachtete die beiden.

I got a taste of paradise

I'm never gonna let it slip away

I got a taste of paradise

That's all I really need to make me stay

Just like a child again

(Heaven can wait; Jim Steinman)

Anna sperrte gerade die Wohnungstür auf, als Martin die Treppen hinauf kam.

»Hallo Mama.«

»Hall Martin, wo kommst du denn so spät her?«

»Ich war bei Tom und so spät ist es dann auch noch nicht, immerhin bin ich bald 17.«

»Ich weiß, und es ist ja auch OK wenn du viel Zeit mit Tom verbringst, nur sollst du unter der Woche nicht mehr so spät abends fort sein.«

»Ach Mama, es ist doch gerade erst kurz nach zehn, so spät ist das doch auch nicht.«

»Erstens ist es kurz vor halb elf.«

Es war genau 22.11 Uhr - Mütter und ihre Zeitrechnung, irgendwie scheint das mit der biologischen Uhr zusammen zuhängen, dass die immer denken oder sagen, es sei später als es tatsächlich ist. Mittlerweile waren beide im Wohnzimmer und saßen auf der Couch.

»Und zweitens haben wir mal ausgemacht, dass du unter der Woche um 22.00 Uhr daheim bist. Du musst doch morgen wieder fit für die Schule sein. Sieh es doch so, wenn du unter der Woche immer pünktlich daheim bist, dann kann man darüber reden, ob du nicht am Wochenende dafür etwas länger wegbleiben darfst. Das klappt allerdings nur, wenn du dich auch an unsere Abmachungen hältst.«

»OK, aber die 15 Minuten, die ich zu spät war, sind ja wohl kein Weltuntergang. Wo warst du eigentlich so lange? Ich dachte du hattest heute schon mittags Dienstschluss.«

»Den hatte ich auch, aber ich war beim Rechtsanwalt, wegen der Scheidung.«

»Und das hat so lange gedauert?« Dabei grinste er seine Mutter frech an.

»Du bist echt schlimm, aber es hat nicht so lange gedauert, aber Gerry ist ein alter Schulfreund und wir haben uns danach vertratscht.«

»Achso, Gerry ..., Gerry ..., der Name sagt mir was ... Ist das nicht der Kerl, der dir deine Zöpfe mal abgeschnitten hat?«

»Genau der.« Anna wollte vom Thema ablenken, irgendwie war es ihr peinlich über Gerry zu reden. Sie wusste zwar nicht wieso, aber sie hatte, so ein komisches Gefühl. »Er will übrigens dich auch kennen lernen und mit dir wegen der Scheidung reden, es hat allerdings Zeit.«

»OK, im Moment ist es etwas unpassend, aber in der nächsten Woche sollte es sich einrichten lassen.« Martin gähnte. »Ich werd dann mal langsam ins Bett gehen.«

»Mach das, ich geh auch gleich. Schlaf gut.«

»Du auch.«

Martin stand auf und gab seiner Mutter einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange. Er wusste nicht, wieso er es tat, aber es war das erste Mal seit langer Zeit. Er ging ins Bad, putzte sich seine Zähne, in seinem Zimmer zog er sich seine Schlaf-Shorts an und ein paar Minuten später war er schon eingeschlafen.»

37. BUCH - Nur Die Ruhe

Oder ... Wieso es so schwer ist mit aufgebrachten Leuten zu reden

Am nächsten Morgen machte sich Tom mit guter Laune auf den Schulweg. Plötzlich wurde er von hinten an der Schulter gepackt und mit sanftem Druck umgedreht.

»Ach, dich gibt es auch noch alleine?« Es war mehr eine Aussage als eine Frage.

»Marion. Guten Morgen erst mal.«

»Spar dir die Freundlichkeiten. Was bildest du dir eigentlich ein?« Marion bluffte Tom an. Der wusste nicht, wie ihm geschah. Was hatte Marion? Was hatte er ihr getan?

»Wieso? Was hab ich dir denn getan?«

»Das solltest du ganz genau wissen. Es ist doch völlig klar.«

»Also Marion, ich weiß es nicht, auch wenn dir irgend etwas nicht passt, ich kann nicht hellsehen. Also sag verdammt nochmal, was los ist, oder lass mich in Ruhe.« Tom war ungehalten. Er wollte sich nicht länger irgendwelche Vorhaltungen für irgendwas, dass er angeblich getan hatte, aber nicht wusste, was es ist, anhören.

»Genau das ist los!«

»Hä?«

»Na, ich interessiere dich überhaupt nicht mehr.« Ach das war es. »Du rufst mich nie mehr an, besuchst mich nicht mehr, wie unternehmen nichts mehr miteinander.«

»Ach darum geht's hier?«

»Ja genau, darum! Was denkst du dir eigentlich?«

»Hey, nimm mal den Wind aus deinen Segeln. Erstens reden wir jeden Tag in der Schule, also sog nicht, dass ich mich nicht mit dir abgebe...«

»Wie?« Marion fiel ihm ins Wort. »Bin ich etwa nur eine Notlösung, wenn dein Typ keine Zeit für dich hat?« Ihre Stimme wurde lauter, und auch Tom sprach deutlicher und mit mehr Volumen.

»Martin ist nicht mein Typ, sondern mein Freund. Und außerdem hab ich das nicht so gemeint, und das weißt du genau. Beruhig dich erst mal, dann versuche ich dir etwas zu erklären, warum ich in letzter Zeit öfter mal etwas kurz angebunden war.« Toms Stimme hatte sich wieder gesänftigt.

»Schieß los, aber schnell!«

»Also, ich habe einen wichtigen Auftrag zu erledigen, aber darüber darf ich dir nichts sagen.«

»Du willst dich doch nur rausreden ...«

»Nein, will ich nicht. Aber ich darf es dir nicht erklären, sonst wärst du in Gefahr. Nur soviel: Es ist sehr wichtig und wenn ich mich nicht dafür einsetze, wird es bald ein Chaos geben. Mehr kann ich dir nicht sagen.«

»Du redest gequirlte Mäusekacke.« Marions Wut wurde immer größer. Tom erstarrte. Etwa hundert Meter hinter ihr stand ein großer Mann, der die beiden genau beobachtete. Tom konnte durch ihn durchsehen.

Einer von den anderen schoss es ihm durch den Kopf. Was sollte er tun? Angreifen? Das würde zu viel Aufsehen erregen. Es ängstigte ihn. Wurde er von der Gestalt erkannt? Sollte er ihr entgegentreten, oder einfach weglaufen? So würde seine Identität mit Sicherheit auffallen. Unzählige Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Was konnte er tun?

Während er überlegte, setzte Marion ihren Wutausbruch fort. Tom hörte zwar, dass sie etwas sagte, aber was ging an ihm vorbei. Er musste Marion beruhigen, und das schnell.

»Marion, hör mir bitte zu. Ich kann dir zwar nicht genau erklären, was genau los ist, aber es tut mir leid, dass ich so wenig Zeit für dich hatte in der letzten Zeit, doch ich versuche mich zu bessern und mich mehr um dich zu kümmern.«

»Klar, das ist genauso wahr wie diese komische Geschichte ...«

Tom blickte ihr tief in die Augen, dann sagte er mit Nachdruck: »Es tut mir wirklich leid, glaub mir.«

Tom wusste nicht wie, aber es hatte geklappt. Marion hatte sich wieder beruhigt, und die Gestalt begann sich wieder zu entfernen. Schritt für Schritt entfernte sie sich mehr, bis sie sich schließlich in Nichts auflöste, als wäre sie nie an jenem Ort gewesen.

»Wollen wir einen Kaffee trinken gehen? Ich lad dich ein.«

»OK, aber beim nächsten Mal, wenn du mich links liegen lässt, dann reiß ich dir die Eier ab.« Marion grinste frech. Ihr alter Humor war wieder zurückgekehrt.

Erleichtert atmete Tom auf und beide mussten lachen. Kurze Zeit später befanden sie sich wieder auf dem Weg zur Schule und ratschten, was das Zeug hielt. Frauen unter sich ...

38. BUCH - Schaumspiele

Oder ... Was hier gerade schief lief

Ein blonder Junge stand in der Dusche und ließ sich das Wasser genüsslich den Rücken hinab laufen. Er war alleine. Er genoss die Wärme, die von dem Strahl ausging. Er hatte gerade Sport gehabt. Die anderen Jungs waren fertig mit dem Duschen und vermutlich schon auf dem Weg nach Hause. Aber Mark wollte nicht Heim. Er war froh alleine zu sein. So konnte er in Ruhe nachdenken. Einfach abschalten und er selbst sein. Mit großer Sorgfalt rieb er seinen Körper mit Duschgel ein. Seine Haut war schon wieder fast erblasst, obwohl der Sommer erst kurze Zeit vorüber war. Mark hatte einen schönen Körper, wenn ihn auch die kleinen Speckpolster an seinem Bach, die ihm aus seinen Kindertagen geblieben waren, störten.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Carsten trat in den großen Duschraum. Er nahm die Dusche schräg gegenüber von Mark. Carsten legte sein Handtuch ab und schaltete den Wasserstrahl ein. Er hatte aschblonde Haare, die er relativ kurz trug und die er mit Gel verstrubbelte. Mark wollte wegsehen, aber er konnte nicht. Immer wieder fiel sein Blick auf den braun gebrannten Körper, der ihm gegenüberstand. Muskelpakete traten unter bronze-farbenem Teint hervor. Nein, Carsten war nicht übertrainiert, eher wohl definiert. Kleine Wasserperlen sammelten sich auf der Brust von Carsten, auf der absolut kein Haar zu finden war. Ein kleiner Haaransatz verlief von seinem Bauchnabel herab, aber sonst war er fast unbehaart.

Mark bekam weiche Knie. Immer wieder musste er zu Carsten hinsehen. Carsten - das war der beliebteste Junge des Jahrgangs. Jedes Mädchen riss sich um ihn, jede wollte die Glückliche an seiner Seite sein. Und auch die Jungs waren gerne seine Freunde. Was er sagte, das wurde gemacht. Was er trug, wurde als In angesehen. Seinen Haarschnitt versuchten alle zu kopieren. Ja, Carsten war der Liebling aller Schüler. Aber er war kein Fiesling. Er war zu allen nett, zumindest so lange, bis man ihm ans Bein pinkelte, dann konnte er zum Tier werden. Manch einer konnte ein Lied davon singen. Aber er war nie von sich aus aggressiv und es dauerte lange, bis er ausrastete. Er respektiere die anderen und er wurde von ihnen respektiert. Sein hervorstechendstes Merkmal waren seine eisblauen Augen, in denen man versinken konnte. Tiefe, ehrliche Augen, die eine angenehme Wärme versprühten, die durch das Lächeln auf seinen Lippen unterstützt wurde. Kurz gesagt, er war ein Sunnyboy. Und obwohl er seine Augen unter der Dusche geschlossen hatte, lächelten sie.

Er war ganz in sich versunken und bemerkte nicht, dass ihn Mark ansah. Er hatte zwar bemerkt, dass Mark noch unter der Dusche stand, aber es nicht registriert. Er genoss einfach das warme Wasser, wie es seinen Körper hinab lief. Carsten öffnete seine Augen. Sie trafen genau in Marks Augen. Dieser zucke zusammen und drehte sich weg. Carsten war erstaunt, dass Mark so unter seinem Blick zerbrach. Hatte er etwas falsch gemacht? Was war mit Mark los?

Mark war eher ein Einzelgänger. Carsten kannte ihn kaum. Wenn es hoch kam, hatten sie 10 Sätze in den letzten 5 Schuljahren gewechselt, wenn man vom Austausch von Taktiken im Verein absieht. Beide waren sie im Basketballverein, was bei ihren Größen auch nicht verwunderlich war. Immerhin waren beide über 1,90 m groß. Aber Mark war immer still. Kaum hatten sie das Spielfeld verlassen, als Mark auch schon verstummte. Er unterhielt sich nicht mit den anderen über das Wochenende, die Leute aus der Klasse, oder sonst etwas. Er sagte lediglich 'Tschüss' und ging dann. Daher fiel es Carsten jetzt auch so schwer, diese Reaktion zu deuten. Aber er fühlte, dass etwas nicht in Ordnung war.

»Hey Mark, was ist?«

»Hä? Was soll sein?«

»Naja, wieso zuckst du so zusammen, wenn ich zu dir rüber sehe?«

»Ich bin doch gar nicht zusammen gezuckt.« Mark lief etwas rot an.

»Bist du zwar, aber ich merke schon, du willst nicht drüber reden, also frag ich nicht weiter nach.«

»Danke«, murmelte Mark und drehte sich wieder um.

Er griff nach seinem Duschgel, aber als er es fassen wollte, war es nicht mehr da. Er blickte an den Ort, wo er es abgestellt hatte und sah zehn Zehen. Für einen kurzen Moment erstarrte er, bis er sich langsam wieder aufrichtete und in die Augen von Carsten sah. Dieser hatte ein Grinsen auf den Lippen und wackelte mit dem Duschgel vor Marks Augen herum.

Keiner sprach ein Wort. Carsten drehte den Behälter um und verteilte eine Portion des dunkelblauen Gels auf Marks Brust. Er stellte das Duschgel zur Seite und begann nun mit beiden Händen das Gel auf Marks Haut zu verteilen. Zuerst zaghaft, dann wurden seine Bewegungen sicherer, aber sehr gefühlvoll. Nachdem Marks Brust und Rücken weiß vor Schaum waren, wanderten Carstens Hände weiter hinunter. Er ließ keine Stelle an Marks Körper aus. Selbst vor seinem Penis machte er keinen Halt. Unter seinen streichelnden Bewegungen schwoll dieser zu einer harten Stange an. Endlich hatte sich Mark aus seiner Starre befreit und begann nun seinerseits Carstens Körper einzuseifen. Gefühlvoll streichelten ihre Hände über den Körper des anderen. Bis sie an einer Stelle verharrten und sich intensiv darum kümmerten. Beide blickten sich in die Augen. Langsam näherten sich ihre Köpfe, bis sie einander trafen. Ihre Lippen öffneten sich und sie küssten sich leidenschaftlich. Unter dieser Reizflut von Gefühlen entluden sich die beiden Körper. Mark schreckte auf. Was hatte er gerade getan? Er stieß Carsten von sich weg, schnappte sich sein Duschgel, trocknete sich hastig ab, zog sich noch hastiger an und verließ die Sporträume.

Carsten saß verwirrt in der Dusche. Das Wasser plätscherte hart auf seinen Kopf. Es tat ihm weh. Woher dieser Schmerz nun genau kam, wusste er nicht, aber es tat höllisch weh; nicht nur am Kopf. Benommen rappelte er sich auf, stellte das Wasser aus. Wie in Zeitlupe trocknete er sich ab und man hätte meinen können, dass er beim Anziehen beinahe eingeschlafen wäre, so träge bewegte er sich. Danach machte er sich zu Fuß auf den Weg nach Hause. Er hatte noch gehofft, dass er irgendwo auf Mark treffen würde, aber er war verschwunden ...

Später saß Carsten unruhig daheim an seinem Schreibtisch und versuchte die Hausaufgaben noch vor dem Wochenende zu erledigen. Aber so sehr er sich auch konzentrieren wollte, er schaffte es nicht. Immer wieder kreisten seine Gedanken um den heutigen Nachmittag. Was Mark wohl jetzt machte? Wo er wohl war?

Plötzlich sprang er auf und nahm sich das Telefonbuch. Hektisch blätterte er darin. Schnell wanderte sein Finger die Zeilen entlang, bis er das Gesuchte gefunden hatte. Er schrieb kurz etwas auf einen Zettel, zog sich seine Turnschuhe an, ging in die Garage und schnappte sich sein Rad. Wild trat er in die Pedale, während er gegen die Sonne fuhr.

39. BUCH - Jetzt

Oder ... Wie man erst starre Augen sieht und dann nur noch Schwarz

Pünktlich um 12.55 Uhr klingelte die Schulglocke und verkündete das Unterrichtsende. Alle Schüler liefen hinaus in den Schulhof um ihre Räder zu holen. Auch Dirk verließ das Gebäude, aber dicht hinter ihm waren Tom, Martin, Toni und Flo. Andy wartete am Schulparkplatz bis sie vorbei kamen und schloss sich ihnen an. Auf jedem Schritt verfolgten sie ihn. Immer in sicherem Abstand, so dass sie nicht von seinem Schatten erkannt wurden, aber auch nah genug, so dass sie ihn nicht aus den Augen verloren.

Dirk ging über den Feldweg, so würde er schneller daheim sein. Endlich wieder Ruhe. Keine lästigen Schüler, keine nervigen Lehrer. Einfach niemand. Seine Mutter war noch in der Arbeit, und sein Vater war schon lange verschwunden. Als er auf die Welt kam, hatte er schon das Weite gesucht. Wie oft war er wütend deswegen, nicht nur wütend, auch traurig. Die anderen Kinder gingen mit ihren Vätern in den Zoo, er nicht. Er konnte keinen Drachen steigen lassen, und wurde nicht von seinem Vater dabei gehalten, damit er nicht vom Wind weggezogen wurde. Er blieb stehen. Eine Träne rannte seine Wange hinunter. Er wischte sie mit seinem Handrücken weg. In der tief stehenden Novembersonne blitzte die Stelle auf seiner Hand auf. Tausend kleine Lichtstrahlen wurden von dem Tropfen in alle Richtungen verstreut und machte ein helleres Licht als es die Sonne je schaffen würde. Dirk zuckte zusammen. Lag es an ihm, dass er einfach ging? Es musste einfach so sein. Davor waren seine Eltern glücklich, aber als er sich angekündigt hatte, ging alles schief. Oft spürte er diese unterschwelligen Vorwürfe seiner Mutter. Offen ausgesprochen hätte sie es nie. Aber warum? Er war doch so klein damals. Er wollte doch nie jemandem etwas tun. Er konnte nichts dafür, und doch fühlte er sich beschissen. Und dann kam Toni. Der erste Mensch, der ihn so nahm, wie er ist. Mit all seinen Stärken und Schwächen. Und was machte er? Alles kaputt. Aber es war ja auch nicht richtig. Er hasste sich für das, was er getan hatte, und noch mehr für das, was er Toni angetan hatte.

Dirk wurde unheimlich. Er hatte sich verlaufen. Völlig in Gedanken versunken war er einfach links und rechts abgebogen. Unsicher blickte er umher. Er war in einer Sackgasse gelandet. Er drehte sich um und sah einen Schatten sich so schnell wie er hinter sich bewegen. Dirk wurde nervös. Er sah von weitem fünf Menschen auf ihn zukommen. Er bekam es mit der Angst zu tun. Bestimmt waren es Typen, die seine Kohle haben wollten, und wenn er sich weigerte, sie ihnen zu geben, würden sie ihn zusammenschlagen, notfalls auch tot prügeln. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Wie konnte er auch wissen, dass seine Befürchtungen völlig umsonst waren, und sich seine Retter auf ihn zu bewegten.

Immer näher kamen die Leute. Panisch suchte Dirk nach einem Weg, der ihn in Sicherheit bringen würde, eine offene Haustür, oder so etwas, aber er fand nichts. Er war von drei Seiten mit hohen Mauern umgeben. Etwa zwei Meter vor ihm hielt die Gruppe an.

»Was wollt ihr von mir?« Dirk versuchte hart zu klingen, aber seine Stimme zitterte.

»Dir helfen.«

»Lasst mich doch einfach ihn Ruhe, ihr Schwuchteln!«

»Dirk, beruhig dich, wir wollen dir nichts tun.«

»Dirk, ich liebe dich, und wir müssen dich retten. Vor dem Hass, der dich innerlich auffrisst.«

»Du hast mir gerade noch gefehlt, du Arschloch.«

»Bitte Dirk, mach es nicht schwerer als es eh schon ist. Ich vermisse dich.« Toni redete sanft auf Dirk ein, seine Augen waren feucht, er kämpfte innerlich um nicht loszuheulen. »Ich vermisse deine zärtlichen Küsse, deine sanften Hände, die über meinen Körper streicheln. Ich vermisse dich.«

I need that boy

The one that chose me over every other choice

And I need that man

Whose heart and soul were in this thing when it began

I need that old friend that I once knew

Baby I need you

(I need you von Trisha Yearwood; Text von Jess Brown & Wendell Mobley)

»Wieso tust du mir das an? Lass mich doch einfach in Ruhe. Ich hasse dich!«

Tränen liefen über Dirks Wangen. Er konnte seine Gefühle nicht mehr zurückhalten. Diese Kälte, die ihm entgegen kam, war einfach zu viel.

»Ich weiß, dass du das nicht so meinst. Der Hass zerstört deine Seele.«

»Was weißt du schon, wie es in mir aussieht.«

»Ich weiß das sehr genau. Du fühlst dich verlassen, einsam, denkst, dass dich niemand versteht. Mir ging es genauso. Bis ich dich getroffen habe. Du machst mein Leben komplett. Mir die kann ich lachen, weinen, tanzen, singen, reden, schweigen - einfach glücklich sein. Ich liebe dich.«

Toni brachte die letzten Worte nur noch mit einem Flüstern hervor. Zu viel Kraft kostete es, gegen diese Wand aus Eis zu reden. Dirk sah in Tonis Augen. Sein ganzer Körper zitterte.

»Wirklich?«

»Ja, mit ganzem Herzen.«

»Jetzt«, sagte Flo und Martin formte einen Gedanken, und alles um ihn herum war eingefroren. Niemand bewegte sich mehr, Toni sank zusammen und die vier Freunde richteten ihren Blick auf den Schatten, der hektisch hinter Dirk umher zuckte.

Tom ließ eine Reihe von Feuerbällen auf den Schattenmann los, während ihn Andy mit riesigen Wasserbällen anschoss. Der Schatten prallte gegen die Wand. Er war geschwächt. Die vier Freunde fassten an ihre Ketten, stellten sich im Kreis um ihren Gegner.

»Erde.«

»Feuer.«

»Wasser.«

»Luft.«

Stark gebündelte Lichtstrahlen formten sich in Orange, Grün, Blau und Weiß und trafen sich genau über der Stelle, wo der Schattenmann lag. Vom Zentrum dieser Fusion bewegte sich ein dickerer Lichtstrahl, der in den Farben des Regenbogens leuchtete auf den Schatten herab. Dieser begann sich zu drehen und im nächsten Moment zerbrach er in tausende Einzelteile, die auf dem Boden aufschlugen und in Rauch aufgingen.

40. BUCH - Und noch mehr Kräfte

Oder ... Was man bis jetzt verschwiegen hat

Dirk sank zu Boden.

»Was ist los, Dirk? Antworte doch.« Toni kniete sich neben ihn und nahm seinen Kopf zärtlich in die Hände. Während die rechte den Nacken stütze, streichelte er mit der linken sanft über seine Wangen.

»So helft ihm doch, ihr seid doch die ,Super-Helden'!«

»Ihm fehlt nichts, er ist nur geschwächt, wird sich aber gleich wieder erholen.« Tobis nüchterne Art kam mal wieder voll zum Vorschein.

»Hey, mach dir keine Sorgen, er wird sich gleich wieder erholt haben.« Es war für ihn so anstrengend ruhig auf Toni einzureden, da er sich selbst große Sorgen machte, aber Martin riss sich zusammen.

»Was ist passiert?« Dirk wachte wieder auf und hielt sich den Kopf.

»Du warst ...«

Aber Tom fiel Tobi ins Wort. Er wusste, dass Dirk im Moment nicht wissen musste, was wirklich geschehen war.

»Du warst total aufgeregt, weil du dich auf den Abend mit Toni gefreut hast, und bist vor lauter Unachtsamkeit gestolpert und hast dir den Kopf gestoßen. Daher brummt dir vermutlich jetzt auch der Schädel. Du gehst jetzt am besten mit Heim zu Toni und der kümmert sich um dich.«

»Bring ihn Heim und dann komm nochmal in unser Hauptquartier. Wir müssen noch was besprechen.«

»Klar, das mache ich und wir sehen uns dann wieder. Bis dann Jungs.« Die Jungs verabschiedeten sich noch kurz, dann nahm Toni Dirk unter den Arm und ging mit ihm nach Hause. Dort half er ihm aus seiner Kleidung und legte ihn ins Bett. Kurze Zeit später war Dirk eingeschlafen, er schaute so friedlich aus, wenn er die Augen geschlossen hatte. Der ganze Hass war von ihm gewichen. Toni sah ihm noch einen Augenblick beim Schlafen zu, bevor er sich frisch machte, umzog und auf den Weg zum Hauptquartier machte.

»So, was gibt es noch zu besprechen? Ich lasse Dirk nur ungern so lange allein ...«

»Einen wichtigen Aspekt.« Tobi richtete sich in seinem Sessel auf. »Wie wollen wir mit Dirk verfahren, denn ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist, ihm alles zu erzählen.«

»Das denke ich auch, aber es wird schwer werden ihm nichts zu sagen. Vor allem, weil alle in der Klasse mitbekommen haben, wie er sich die letzten Wochen verhalten hat. Sie werden sich bestimmt wundern, warum er auf einmal wieder so nett ist ...«

»Ja, damit hast du Recht. Ich könnte natürlich ... Aber nein, das will ich nicht ...« Tobis Stimme wurde leise und er nuschelte vor sich hin.

»Was könntest du, Tobi?« Die anderen hatten nicht wirklich mitbekommen, dass Tobi vermutlich wichtige Dinge sagt, aber Martin hatte schon immer eine feine Nase für solche Dinge.

»Ich mache das nur äußerst ungern und vermeide es, wann immer es geht.«

»Sag endlich was es ist!«

»Nun ja, es gibt da noch eine Kraft die ich besitze. Ich kann nicht nur Gedanken lesen, ich kann auch Gedanken umpolen oder löschen. Wobei ich ungern in die Gedankenwelt anderer eingreife.«

»Aha, und schadet das den Leuten nicht, wenn du an ihren Gedanken rumspielst?«

»Nein, ich spiele ja nicht damit und ich verändere nur die entscheidenden Dinge, also nur das Nötigste. Sie werden 10 Minuten Kopfweh haben und dann ist es auch schon wieder vorbei.«

»Es wird wohl die einzige sinnvolle Lösung sein, denn ich glaube Dirk würde durchdrehen, wenn er es jemals herausfinden würde.«

Die Jungs besprachen noch die weitere Vorgehensweise und verabschiedeten sich dann.»

Die nächsten Tage ,kümmerte' sich Tobi um die Erinnerungen an Dirk, während Tom und Martin ein erholsames Wochenende mit Kino verbrachten. Andy unternahm etwas mit seinem Freund und Flo musste noch etwas für die Schule tun. Dirk und Toni genossen das Wochenende im Bett ...

41. BUCH - Blaulicht

Oder ... Wieso man keiner Straße trauen kann

Andy ging gerade von einem Treffen seiner Jugendgruppe nach Hause. Er wurde von Felix, seinem Freund begleitet. Felix war nicht das, was man im normalen Sinn einen schönen Menschen bezeichnen würde, aber er hatte eine starke Ausstrahlung. Er hatte dunkle, leicht strubbelige Haare, die er mit Gel zu bändigen versuchte, eine etwas harte Nase und Kinnpartie und schmale Lippen. Seine Figur war recht gut, auch wenn er eine behaarte Brust hatte. Aber das hervorstechendste Merkmal waren seine tief braunen Augen, die einen hinter Brillengläsern anschauten. Mit diesem Blick brachte er Eisberge zum Schmelzen.

Andy blickte um sich. Auf der anderen Straßenseite erkannte er Tanja, eine ehemalige Klassenkameradin, die jetzt zu einer ihrer besten Freundinnen war.

»Sieh mal, da ist Tanja.«

»Tanja wo ist sie?« Suchend blickte Felix um sich, bis er sie endlich auch gesehen hatte und winkte ihr dann zu.

»Hey Tanja ... Huhu, Tanja!!!« Aber Tanja schien nicht zu hören.

»Ich werde zu ihr rüber gehen. Komm mit.«

Und schon lief Felix über die leere Straße, nachdem er sich vergewissert hatte, dass auch kein Auto von irgendwoher kam.

Andys Augen weiteten sich. Ein Motor heulte auf. Und noch ehe Felix die andere Straßenseite erreicht hatte, kam das Auto wie ein Blitz aus einer Einfahrt heraus.

»NEIN!!! BLEIB STEHEN!!!«

Ein lautes Krachen war in den Straßen zu hören und das Quietschen von Reifen. Felix prallte mir voller Wucht auf die Motorhaube des BMW-Cabriolet. Man hörte es Knacken. Kaum war Felix Körper vom Auto weg geschleudert worden, als der Fahrer Gas gab und davon brauste. Er lief auf den leblosen Körper zu, der auf dem Mittelstreifen lag. Er beugte sich hinab, um in das Gesicht zu sehen, aber es war über und über mit Blut beschmiert, das aus der Nase und etlichen Wunden floss. Keiner der Passanten kümmerte sich um die Person. Tränen liefen dem Hilflosen über die Wangen. Er hörte von irgendwoher eine Stimme sagen: »Armes Kind, hat sein Leben umsonst gelebt.«

»So helft ihm doch, sonst stirbt er.« Andy Stimme zitterte. Und die Kraft, mit der er vorher von Felix stoppen wollte, war zur Gänze aus ihm gewichen und er hauchte die Worte nur noch aus.

Bäche aus Tränen rannen über seine Wangen und ließen seine Augen rot werden. Mit dem Handrücken der linken Hand wischte er sich über die laufende Nase, während die andere zärtlich den Kopf des leblosen Felix hielt. Ganz schwach war noch sein Atem zu spüren, als der Notarztwagen bei der Unfallstelle hielt.

Drei Ärzte sprangen auf Felix zu, und es schien aus würden sie sich wie Blutsauger über ihn stürzen. Sie legten ihm einen Zugang und versorgten ihn so weit, so dass sie ihn ins Krankenhaus fahren konnte.

Nachdem sich Andy in den Wagen gesetzt hatte, wurde die Tür geschlossen und mit Blaulicht und Sirene fuhren sie los.

42. BUCH - Erinnerungen

Oder ... Wie man erst Maschinen hört und dann Stimmen

»Ich will meinen Freund sehen! Wo ist er?« Andy sprang von seiner Liege im Krankenhaus auf, und sah die Schwester durchdringend an.

»Sie können jetzt nicht zu ihm, er wird gerade operiert.«

»Was hat er? Sieht es schlimm aus?«

»Ja, es ist kritisch, wir müssen für ihn beten.«

Verzweifelt ließ sich Andy wieder auf seine Liege sinken und blickte starr nach oben. Beten, Beten, was hilft denn Beten? Schoß es durch seinen Kopf. Aber das konnte er der gläubigen Schwester nicht erklären, sie würde es nicht verstehen. Wie auch, sie weiß ja nicht, was er weiß. Und selbst wenn sie es wüsste und man es ihr bewiesen hätte, sie würde es trotzdem nicht glauben. Sein Blick fiel auf die Uhr, deren Zeiger eingeschlafen schienen. Immer langsamer bewegten sie sich, bis sie scheinbar zum Stillstand kamen.

Plötzlich öffnete sich die Tür und Andys Vater kam herein.

»Na, mein Sohn, wie geht es dir?«

»Körperlich gesehen geht es mir gut ...«

»Mama hat den ersten Flieger genommen, als ich ihr erzählt habe, dass du im Krankenhaus bist. Aber was ist eigentlich passiert?«

Andy schilderte kurz, was passiert war, als ein Arzt den Raum betrat und den Eltern von Felix erzählte, wie es um ihren Sohn stand. Er hatte sich etliche Knochen gebrochen, die gerade noch versorgt wurden. Das wäre auch nicht weiter schlimm gewesen, aber Felix hatte schwere innere Verletzungen davon getragen. Sie mussten ihm die Milz, eine Niere und ein Stück des Darms, das gerissen war, entfernen. Die zweite Niere funktionierte im Moment nicht richtig. Auch sein Kopf hatte schwere Verletzungen erlitten, weswegen sie ihn in ein künstliches Koma versetzt hatten.

Andy saß neben dem Bett in dem Felix lag. Unzählige Schläuche führten von seinem Körper zu diversen Geräten. Monoton piepste der Herzschlaganzeiger und die Sauerstoffpumpe blähte sich langsam auf, bevor sie sich wieder zusammenzog. Andy hielt seine Hand. Immer wieder kam eine Schwester herein und sah nach ihm. Irgendjemand hatte ihm einen Becher Kaffee gebracht, der mittlerweile nur noch eine kalte Brühe war. Vor über drei Stunden war seine Mutter gekommen, um zu sehen, ob es Andy auch gut ging. Sie wollten zusammen mit ihm warten, aber er hatte sie Heim geschickt. Er wollte mit Felix alleine sein.

Er erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem er Felix das erste Mal getroffen hatte. Es war über zwei Jahre her. Er ging gerade zu dem Jugendtreff, damals war er noch kein Leiter, als er auf den Stufen vor dem Jugendzentrum einen verschüchterten, weinenden Jungen sitzen sah. Er fragte ihn, was los sei, aber der Junge antwortete nicht.

Er setzte sich einfach neben ihn auf die Stufen und wartete. Er wartete lange, sehr lange. Die ganze Zeit saß er nur da und schaute grade aus und beobachtete die Leute, die an der Bushaltestelle aus- und einstiegen. Nach über einer Stunde, die Andy wie eine Ewigkeit vorkam, begann der Junge zu sprechen. Er erzählte, dass er im Heim aufgewachsen ist, wie er von den anderen Jungen im Heim geärgert wurde, von den Heimleitern, die teilweise nett waren. Kurz, er erzählte Andy seine ganze Lebensgeschichte. Nach einer weiteren Ewigkeit erwähnte er endlich den Hauptgrund, warum er so traurig war. Er hatte seinem besten Freund im Heim erzählt, dass er schwul war. Darauf schlug der andere ihm mit der Hand ins Gesicht, beschimpfte ihn noch kurz und rannte aus dem Zimmer. Felix saß da wie versteinert. Als er sich wieder gefangen hatte und die Tränen seine Wangen hinunter liefen, schnappte er sich seine Jacke und rannte aus dem Heim.

Mittlerweile hatte Andy seinen Arm um Felix gelegt, dem wieder die Tränen die Wangen hinunter liefen. Zärtlich hielt er ihn fest. Felix legte vorsichtig seine Hände um Andys Hüften. Er blickte ihm in die Augen und versank in seinem warmen Blick. Für eine ganze Weile saßen die beiden so still nebeneinander und schienen die Welt um sie herum vergessen zu haben. An diesem Abend entschloss sich Andy, ein Leiter beim Jugendtreff zu werden.

»Lachen

Hast du mir gesagt

Du musst lachen

Komm steh wieder auf

Vergiss die Welt

Und lass die Augen zu

Meine Hand ist bei dir»

(»Lachen« von Rosenstolz; Text: Peter Plate & AnNa R.)

Felix stöhnte.

»Was ist, mein Schatz?«

Aber Felix antwortete nicht. Vermutlich hatte sich Andy nur eingebildet, dass er ihn stöhnen hörte. Er sah sich im Raum um, konnte aber niemanden erkennen. Die kleine Lampe auf dem Tisch neben dem Bett spendete zwar nur wenig Licht, aber es reichte, dass Andy den ganzen Raum sehen konnte. Aber außer den beiden war niemand da.

»Nein, lass mich, es ist noch zu früh.« Felix sprach, aber seine Lippen bewegten sich nicht.

»Du bist mein, und ich werde dich holen.«

»NEIN!!! Ich will hier nicht weg. Lass mich in Ruh!«

»Wer spricht da? Felix, mit wem redest du?«

Mit Schwung wurde die Tür geöffnet und ein Mann in einem dunkelgrauen Trenchcoat stand im Raum. Sein Umriss wurde von der Beleuchtung im Flur erhellt.

»Sind Sie Andreas Krüger?«

»Ja, der bin ich.«

»Ich muss mit ihnen reden.«

To be continued

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