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Nackt

Teil 2

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Inhaltsverzeichnis

 

Was im letzten Teil passiert ist:

Martin ist neu in Toms Klasse gekommen. Er fühlt sich als Außenseiter, auch wenn Tom versucht, seine Freundschaft zu gewinnen. Martin blockt ab. Nachdem die erste Stegreifaufgabe geschrieben ist, wird Tom dazu verdonnert, mit Martin zu lernen. Nachdem sie die Aufgaben besprochen haben, spielen die beiden noch etwas mit Toms Computer, dabei kommt es zu einer spaßigen Rangelei, in der Tom Martin durchkitzelt. Dieser bekommt eine Erektion und rennt überstürzt aus dem Haus. Am nächsten Tag will Tom wissen, warum Martin so reagiert hat, aber dieser will nicht mit der Wahrheit rausrücken. Erst als Tom am Nachmittag zu ihm nach Hause fährt, gesteht Martin Tom seine Gefühle. Wie wird Tom wohl reagieren?

Und jetzt viel Spaß beim Lesen.


7. BUCH - Alte Wunden

Oder ... Warum starren Männer immer in die Zeitung, wenn man mit ihnen reden will?

Etwa zur gleichen Zeit in einem verschlafenen Ort im Westen Deutschlands. Monika schenkte sich gerade Kaffee ein. Hans saß mit der Zeitung am Frühstückstisch und lass in seiner Zeitung.

»Du Hans?«

»Was denn? Kann man nicht mal am Samstag in Ruhe seine Zeitung lesen?«

»Schon gut«, kam es enttäuscht von Monika.

Eigentlich wollte sie mit ihrem Mann schon lange Zeit über etwas reden, das ihr auf dem Herzen lag. Etwas, das weit in ihrer Vergangenheit lag, etwas was sie nunmehr seit über 16 Jahren mit sich herumschleppte. Warum fiel es ihr so schwer darüber zu reden? Die Wunden waren zu tief, sie war damals stark verletzt worden. Sie hatte es nicht gewollt, und sich dagegen gewehrt, aber sie war zu schwach. Viel zu schwach und jedes Mal, wenn sie mit Hans darüber reden wollte, war sie wieder zu schwach. Langsam zweifelte sie an sich selbst. 'Monika, es is über 16 Jahre her. Du kannst es nicht mehr ändern. Versuch in die Zukunft zu blicken.' Diese und ähnliche Sätze sagte sie sich immer wieder, aber es gelang ihr nicht. Irgendwo gab es eine bleibende Erinnerung an diese kalte Nacht. Wenn sie daran zurückdachte, bekam sie immer noch weiche Knie und ihre Hände wurden kalt. Sie atmete noch einmal kräftig ein, und machte einen zweiten Versuch, mit ihrem Mann zu reden.

»Hans, es ist wichtig, bitte leg die Zeitung weg.«

»Was denn?«, grummelte Hans. »Ich wüsste nicht, was so wichtig ist, dass es nicht warten kann, bis ich mit der Zeitung fertig bin.

»Hans, bitte! Hör mir einfach zu und unterbrich mich nicht. Lass mich ausreden.«

»Schon OK. Also, was ist?«

Hans legte seine Zeitung beiseite. Er merkte, dass es wirklich wichtig war. Monika setzte sich aufrecht in ihren Stuhl, ihr Puls war schnell und ihre Augen blickten nervös um sich. Es erweckte fast den Anschein, sie würde vor Gericht ausgefragt werden.

»Es war vor 16 Jahren. Es war ein abscheulich kalter März. Ich war mit Norbert zusammen. Du erinnerst dich noch an Norbert?«

»Ja, er war immer ein freundlicher Mann.«

»Das war nur Schein, er war nur nach Außen so nett. Er war ein Tier. Er war ein bestialisches Ungeheuer. Er hat mich oft geschlagen. Wenn ihm etwas nicht passte, schlug er sofort zu. Nie ins Gesicht. So schlau war er, man hätte ja etwas sehen können und sein guter Ruf wäre ruiniert gewesen. Trotz der Schläge bin ich zu ihm gezogen. Ich war erst 19. Gott war ich naiv. Ich dachte, das wäre normal so. Ich kannte es ja nicht anders. Mein Vater ist damals bei diesem Verkehrsunfall gestorben. Ich dachte, Norbert wüsste mit seinen 29 Jahren, wie man eine Frau behandelt. Jetzt weiß ich es besser, er war ein Tier, aber es wurde noch schlimmer. Immer öfter kam er abends heim und war besoffen. Aber eines Nachts war es anders. Wieder war er betrunken, aber er legte sich nicht wie sonst einfach ins Bett. Nein, er wollte Sex. Immer wieder hab ich versucht ihn abzuwehren, aber er war stärker. Er schmiss mich aufs Bett, drückte meine Schenkel auseinander und dran gewaltsam in mich ein.«

Monika erzählte all das mit vielen Unterbrechungen. Es liefen ihr vereinzelt Tränen aus den Augen, die sie zu unterdrücken versuchte. Jetzt, da sie es endlich jemandem gesagt hatte, brach ihr inneres Kostüm auseinander. Sie heulte einfach los, und wäre Hans nicht aufgestanden und hätte er sie nicht in den Arm genommen, wäre sie zusammengekauert auf den Boden gesunken. Er hielt sie einfach fest und streichelte zärtlich ihr Haar. Er sagte nichts. Zu genau wusste er, dass hier jedes tröstende Wort fehl am Platz war. Nach über einer halben Stunde hatte sich Monika wieder soweit gefangen, dass sie weiterreden konnte.

»Daher bin ich damals so Hals über Kopf aus der Stadt und hab mir hier in Köln ein neues Leben aufgebaut.«

Monika war eine hübsche Frau Mitte der Dreißiger, die schlank, immer modisch gekleidet war und auch ihr Gesicht strahlte eine Lebensfreude aus, wie sie meistens nur kleine Kinder besitzen. Doch wer sie in diesem Moment gesehen hätte, der wäre erschrocken und hätte sie sicher nicht erkannt. Ihr Gesicht wirkte alt. Ja, sie sah wirklich aus wie ihre Großmutter, kurz bevor sie vor einigen Jahren starb. Deutlich zeichneten sich Falten um ihre geschwollenen Augen ab und auch ihre strahlender Blick war einer düsteren Finsternis gewichen.

»Aber das war noch nicht das Ende. Eine Sache muss ich dir noch erzählen, die damit zusammen hängt ...«

8. BUCH - Nächte Können Lang Sein

Oder... Wieso man erst geweckt werden muß, ehe man wach ist

»Love doesn't ask why

It speaks from the heart

And never explains

Don't you know that

Love doesn't think twice

It can come all at once

Or whisper from a distance...»

(»Love doesn't ask why« von Celine Dion; Text: B. Mann, C. Weil, P. Galdston)

Tom saß immer noch wie versteinert da. So sehr er sich auch bemühte, er brachte kein Wort heraus. Nichts. Wie gerne wäre er Martin einfach um den Hals gefallen und hätte ihn geküsst, aber seine Muskeln folgten keinem seiner Befehle. Als würde ihn irgendetwas lähmen.

Martin stand nur da und sah Tom an. Er wartete immer noch auf eine Reaktion. Ihm war es mittlerweile egal, was Tom über ihn dachte, aber so einfach keine Reaktion, dass war einfach zu viel für ihn. Tränen begannen sich ihren Weg über seine Wangen zu suchen. Er wischte sie weg.

»Sag endlich was«, schrie er Tom an. Aber seine Worte drangen nicht zu ihm durch. Schrei mich an, renn weg, aber, zum Teufel, tu endlich was. IRGENDWAS!»

Mit den letzten Worten griff er nach seinem Mathebuch, das noch immer auf seinem Schreibtisch lag und schmiss es nach Tom. Es traf auf seine Schulter und fiel dann zu Boden.

Das hatte gewirkt. Tom bewegte sich endlich und sah zu Martin, der sich seine Tränen wieder wegwischte.

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll ...«

»Am besten nichts, geh einfach. Wie konnte ich nur so doof sein zu denken, du könntest genauso fühlen wie ich.«

Tom wusste wieder nicht, was er sagen soll. Aber seine Beine hatten wieder ihre Kraft gefunden und er ging auf Martin zu, drehte den Kopf Martins zu sich und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.

»Was soll jetzt das? Noch einmal nett sein, bevor du mich zusammenschlägst? Sollte das ein 'Todeskuss' sein?«

»Nein, das war ein 'Lebenskuss'. Mensch, schon als ich dich das erste Mal in unserer Klasse sah, hat es 'Peng' gemacht, aber ich traute mich nicht, dir etwas zu sagen. Ich dachte, ich mach mich selbst nur lächerlich. Der süßeste Junge unserer Schule und der soll schwul sein? So eine Idiotie! Und selbst wenn, dann würde er sich sicher nicht für mich interessieren. Und jetzt sagst du mir, dass du in mich verliebt bist. Wow, das hat mich einfach umgehauen. Ich war wie gefesselt, konnte mich nicht mehr bewegen, selbst meine Sprache wollte sich nicht finden lassen.«

Als Tom seine Erklärungen beendet hatte, gab er Martin wieder einen Kuss, nur diesmal wich dieser nicht zurück, sondern öffnete ganz vorsichtig seinen Mund und langsam suchten sich die Zungen ihren Weg in den anderen Mund. Sanft legten beide die Arme um den anderen. Nach einer Ewigkeit trennten sich beide wieder.

»Küss mich nochmal Tom, sonst glaub ich, ich träum.«

Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen und schon hatten sich beide wieder im Arm. Dieser Kuss war noch intensiver. Martins Körper begann zu zittern. Nicht aus Kälte, nein, es war die Freude, endlich einen lieben Partner gefunden zu haben, der genau so empfand wie er. Auch Tom schwebte. Er schwebte über eine hell erleuchtete Stadt, so frei fühlte er sich. Endlich, nach all der Zeit, wo er sich einen Partner wünschte, hatte er ihn gefunden. Es kam ihm vor, als würde er in einem Meer aus Rosen liegen, die alle so wunderbar dufteten. Er konnte den Geruch sogar schmecken, so intensiv war er ...

Martins Mutter würde erst morgen Nachmittag wieder nach Hause kommen. Sie war zu ihrer Mutter gefahren, um deren Geburtstag zu feiern. Martin konnte wegen der Schule nicht mit, aber darüber war er jetzt froh, denn so konnte Tom bei ihm bleiben.

»Willst du bei mir schlafen?«

»Klar, ich muss nur kurz noch einmal heim, da ich noch meine Schulsachen und, was viel wichtiger ist, frische Klamotten brauche.«

»OK, soll ich mitkommen?«

»Brauchst du nicht, ich bin auch gleich wieder da.«

Er gab Martin noch einen kleinen Kuss, dann lief er die Treppe hinab und schwang sich auf sein Fahrrad ...

Eine halbe Stunde später kam Tom wieder bei Martin an. Sofort wurde die Tür geöffnet. Martin hatte hinter ihr gewartet, so sehnsüchtig wartet er auf seinen Freund. Noch während die Tür zuflog, gab er Tom einen Kuss. Danach aßen die beiden erst einmal die Brote, die Martin vorbereitet hatte.

»Du Tom, weiß eigentlich irgendwer, dass du schwul bist?«

»Ja, aber nicht viele. Nur meine Eltern und Marion wissen davon. Und jetzt halt du.«

»Aha.«

»He, wieso bist du jetzt so nachdenklich geworden?«

»Naja, ich hab es noch niemandem außer dir gesagt. Meine Eltern werden mich sicher umbringen, wenn sie nur etwas ahnen würden.«

»Auch, das glaub ich nicht. So schlimm wird es sicher nicht.«

»Hast du eine Ahnung ... Versprich mir bitte, es niemandem zu sagen.«

»Klar, aber einer Person werde ich es sagen müssen. Marion, sie hat eh schon so ne Ahnung. Und wenn ich morgen mit einem riesigen Grinsen in die Schule komme, weiß sie eh Bescheid.«

»Gut, aber sonst niemandem. Versprochen?«

»Versprochen.«

Was war nur mit Martin los, warum hatte er solche Angst, wenn jemand ihr kleines Geheimnis wüsste? Was wäre so schlimm. Klar, ein Paar würden bestimmt ihre Witze machen, aber sonst? Die Meisten würde es eh nicht interessieren.

9. BUCH - Schwere Zeiten

Oder... Was ich noch sagen muss

Monika liefen wieder Tränen über die Wange. Sie versuchte sich zu sammeln, um das letzte ihrer Geheimnisse zu erzählen, aber so leicht, wie es sein sollte, schien es ihr nicht zu fallen. Immer noch hatte sie Angst davor, jemandem etwas darüber zu erzählen.

»Was denn? Jetzt sag schon Monika. Was gibt es noch?«

Hans war ungeduldig. Er blickte zum Fenster hinaus. Draußen hatten sich dunkle Wolken gebildet, die unter lautem Donner ankündigten, sich bald zu entladen. Monika saß immer noch am Küchentisch. Ihre Augen waren von verlaufenem Make-Up umrandet und auch die zarte Blässe ihrer Nase war einer roten Farbe gewichen. Hans drehte sich um. Auch er hatte ein sehr nachdenkliches Gesicht. Was konnte es sein, das Monika ihm noch zu erzählen hatte. Es war doch alles über diesen Vorfall berichtet. Monika blickte zu ihm, atmete noch einmal tief ein und setzte dann zum Sprechen an.

»Ich habe einen Sohn.«

»WAS? Ich dachte du kannst keine Kinder bekommen.«

»Das stimmt auch, aber der Unfall war nach der Geburt meines Sohnes. Genau ein halbes Jahr danach.«

»Und was ist mit dem Jungen?«

»Ich habe ihn zur Adoption freigegeben. Ich konnte ihn einfach nicht ansehen. Er kann nichts dafür, aber sein Gesicht und alles andere an ihm erinnerte mich viel zu sehr an Norbert ... Ich habe ihn zwei Monate bei mir gehabt, aber es ging nicht. Es stellte sich einfach kein mütterliches Gefühl ein.«

»Weißt du irgendetwas über ihn, was jetzt mit ihm ist?«

»Ja, er wohnt in Süddeutschland, geht auf die Realschule und macht dieses Jahr seinen Abschluss.«

»Woher weißt du das alles? Ich dachte man darf keinen Kontakt zu den Kindern haben.«

»Das stimmt, aber ich habe damals die Eltern getroffen und wir haben eine Vereinbarung getroffen. Sie informieren mich über ihn, aber ich darf ihn niemals sehen. Er wird auch nie erfahren, dass er adoptiert wurde. Sie haben mir immer Fotos geschickt und geschrieben, was gerade in seinem Leben vorgeht.«

Monika stand auf und ging ins Wohnzimmer, öffnete ihren Sekretär und nahm ein Foto heraus.

»Das ist er.«

»Ein netter Junge, wie alt ist er jetzt? Und wie heißt er eigentlich?«

»Er ist 15 und heißt Tom.«

10. BUCH - Sonne Am Morgen

Oder ... Was Katzen am Morgen für ein Problem sein können

»Zucker schmeckt nach deiner Haut

Und wild dein tiefer Blick

Bring mich fort zum roten Mond

Dort Süßer scheint das Licht»

(»ZuckerRoterMond« von Rosenstolz)

Tom wachte früh an diesem Mittwoch auf. Sein rechter Arm tat ihm höllisch weh. Verschlafen blickte er sich in seinem Zimmer um. Halt - das war gar nicht sein Zimmer. Wo war er? Er blickte weiter herum. Da hingen einige Schleifen an der Wand. Über dem Schreibtischstuhl waren etliche Klamotten geworfen und in der Ecke musste irgendwann ein altes Paar Turnschuhe gelandet sein. Plötzlich erschrak er. Jemand lag neben ihm. Wer war das? Langsam war sein Gehirn etwas auf Touren gekommen. Ihm viel wieder ein, was gestern passiert war. Er wollte eine Aussprache mit Martin, und als dieser ihm sagte, er habe sich in ihn verliebt, brachte er keinen Ton raus. Irgendwann hatte er dann wieder seine Sprache gefunden und Tom küsste Martin. Er hatte die Nacht bei ihm verbracht. Ein Lächeln wanderte ganz unbemerkt in Toms Gesicht.

Jetzt hatte er aber ein anderes Problem. Sein Arm war eingeschlafen und auch seine Blase könnte einen Drucknachlass gut vertragen. Es ist ja erwiesen das fast 68% aller Deutschen nachts raus müssen. Tom musste nicht nachts, er musste jetzt! Aber wie sollte das gehen, ohne Martin aufzuwecken? Erst mal ruhig verhalten, vielleicht hört es ja wieder auf.

Im Gegenteil, der Druck wurde immer schlimmer und auch der Arm schmerzte. Den Arm einfach raus ziehen, das ging nicht. So würde er Martin mit Sicherheit aufwecken. Tom hob vorsichtig den Kopf von Martin ein Stück an. Langsam zog er seinen Arm unter ihm hervor. Gerade schlug er die Decke zurück.

»Willst du etwa schon gehen?«

»Nein, aber ich hab da ein Problem mit meiner Blase.«

»Achso. Dann geh für mich mit.«

»Klar.«

Kurz darauf kam Tom wieder zur Tür herein. Martin hatte sich mit dem Rücken zur Tür gelegt. Das Sonnenlicht, das mittlerweile durchs Fenster viel, umspielte sanft die Umrisse seinen Körper. Tom sah ihn sich einen kurzen Augenblick an und legte sich dann zu ihm. Ganz sanft schmiegte er sich an Martin, so dass es den Anschein erweckte, ihre Körper wären zu einem verschmolzen. Gleichmäßig atmeten beide ...

»PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP PIEP!!!!!!!!!!!!!!!!!!«

Tom schreckte hoch. Unruhig suchten seine Augen nach dem Übeltäter dieses Geräuschs. Wo war er nur. Auf dem Nachttisch stand kein Wecker, auf dem Schreibtisch auch nicht. Regal - Fehlanzeige.

»Martin«, Tom schüttelte sanft seine Schulter, »wo ist dieser verdammte Wecker? Martin, MARTIN!«

»Was denn?«, grummelte er vor sich hin.

»Sag endlich wo der Wecker ist. Dieses Hölleninstrument piept schon seit über 5 Minuten und will nicht aufhören.«

»Ist doch egal. Schlaf einfach weiter.«

Martin hatte wirklich einen gesegneten Schlaf, oder er war einfach nur schwerhörig. Während Tom wie verrückt nach dem Wecker suchte, fing Martin wieder an zu schnarchen.

Tom suchte weiter. Er hob alle Hefte, Bücher und was sonst noch so in diesem Raum war zur Seite, aber nie fand er das Gesuchte. Er sah keinen Ausweg mehr. Er packte die Bettdecke und schmiss sie auf den Boden. Das hatte gewirkt. Martin richtete sich in seinem Bett auf.

»Was soll denn das, du Arschloch. Verschwinde! Geh doch wieder zu deiner Maitresse und lass mich schlafen.«

»Was ist los?!? Tickst du noch richtig Martin?«

»Oh du bist es. Sorry, ich dachte, es wäre jemand anders. Willst du eigentlich nicht mal den Wecker ausstellen? Das Gepiepe ist ja total nervig.«

»Das weiß ich. Ich bin seit einer viertel Stunde auf der Suche nach ihm, aber ich kann ihn nicht finden.«

»Er liegt unter dem Bett.«

Tom wunderte sich etwas, ging in die Knie und kroch unter das Bett, fand den Wecker und stellte ihn aus. Stille. Erleichtert atmete er auf.

»Guten Morgen erstmal.«

»Morgen Martin.«

»Krieg ich keinen Kuss?«

»Nee, lass mal stecken. Ich hab das Gefühl als hätte ich ne tote Katze im Mund und dein Atem ist auch nicht grade bergbrisenduftverdächtig.«

»Du hast Recht, lass uns ins Bad gehen.«

Im Entenmarsch gingen beide ins Bad, putzten sich erst mal die Zähne. Martin stellte das Wasser an und war schon hinter dem Vorhang verschwunden. Nur eine Hand war noch zu sehen und der Zeigefinger der selbigen winkte Tom zu sich. Das ließ sich dieser nicht zweimal sagen, ließ seine Short fallen und stieg in die Dusche ...

»Wir sollten uns langsam beeilen. Es ist gleich halb acht.«

»Misst! Das heißt wohl, dass das Frühstück ausfallen wird.«

*****************

Kurze Zeit später waren beide auf der Straße und gingen zur Schule, als ihnen auch schon Marion entgegen kam. Tom freute sich, dass er endlich seine guten Neuigkeiten an sie weiter geben konnte, aber Martin hatte ein flaues Gefühl im Magen. Er hatte Angst davor, dass jemand wusste, dass er schwul war. Aber es störte ihn nicht die Tatsache, dass es jemand wusste, sondern, wie sich dieser dann ihm gegenüber verhalten wollte. Würde Marion noch genauso mit ihm reden? Würde Marion etwas den anderen erzählen, damit diese endlich einen Angriffspunkt bei ihm fanden? Es schossen ihm so viele Fragen durch den Kopf, dass er überhaupt nicht bemerkte, dass er angesprochen wurde.

»Martin. MARTIN!!!«

Martin zuckte zusammen. Was hatte er getan, dass man ihn anschrie?

»Könntest du ich endlich wieder auf die Erde zurückbegeben. Marion will dich begrüßen.«

»Ah ..., ja, hallo Marion.«

»Morgen Martin. Gibt es etwas Neues? Ihr beide habt so ein komisches Grinsen im Gesicht.«

Typisch Marion. Man konnte ihr einfach nichts vormachen. Sie wusste ganz genau, was los war. Trotzdem nahm sie es sich nicht, die beiden Jungs etwas zu ärgern und die verlegenen Gesichter und das leichte Gestammel der beiden war einfach zu schön, als dass man es sich hätte entgehen lassen. Martin starrte mit rotem Kopf zu Boden und auch Tom wollte 100%ig sicher gehen, dass seine Schnürsenkel gut zugebunden waren.

»Was ist? Tom, willst du mir nicht sagen, was los ist?«

Marion genoss diesen Moment. Langsam blickte Tom auf. Vorsichtig schaute er ihr in die Augen. Zuerst erschrak er, da Marion einen etwas grimmigen Ausdruck zeigte, der allerdings nur gespielt war. Ihre Augen lachten ihn förmlich an.

»Also, ähm ..., naja, wie soll ich sagen. Also was ich sagen will ...«

»Tom und ich sind ein Paar«, unterbrach ihn Martin.

»Na also, war das jetzt so schwer, oder wieso stellt ihr euch an wie ein Hahn, der versucht ein Ei zu legen? Ach egal, ich freu mich für euch.«

Kaum hatte sie diesen Satz beendet, als sie auch schon die beiden fest an sich drückte und Tom ein »Gut gemacht« ins Ohr hauchte.

»Wir sollten aber dann mal zur Schule gehen. Und auf dem Weg könnt ihr mir jede Kleinigkeit davon erzählen.«

Auf dem Schulweg erzählten Tom und Martin alles, was seit gestern Abend vorgefallen war. Wenn einer etwas vergessen hatte, dann füllte der andere die Wissenslücken. Während des Vormittags passierte nicht viel. Martin und Tom gaben das perfekte Freundespaar ab. Niemand kam auf die Idee, dass zwischen ihnen mehr wäre als eine gute Freundschaft. Nur wenn man genau hinsah, konnte man bemerken, dass ihre Blicke miteinander verschmolzen. Nach der Schule gingen sie zu Martin nach Hause, erledigten die Hausaufgaben und vertieften ihre Übungen in Zungenakrobatik. Gegen 19.00 Uhr ging Tom dann zu sich nach Hause, da seine Eltern ihn auch mal wieder zu Gesicht bekommen wollten.

11. BUCH - In Der Kneipe

Oder ... Wie man alleine sein will und doch von jedem angesprochen wird

»Don't bother sittin' at my table

Just because I'm on my own

Yes I'm a woman and I'm lonely

But that don't mean I can't be strong

Once again he's not beside me

And tonight he won't be coming home

So I just need a place to miss my baby

When he goes out to do me wrong»

(»Woman walk the line« von Trisha Yearwood; Text: E. Harris, P. Kennerley)

Anna saß alleine an der Bar und rührte lustlos mit ihrer Olive in ihrem Wodka-Martini herum. Wieder einmal hatte sie Max angerufen, um ihr zu sagen, dass er später von seiner Geschäftsreise heimkommen würde. Seit über einem Jahr ging das nun schon so. Anna wusste genau, wo ihr Mann war. Es war Freitag und welche Firma hat jeden Samstag schon Geschäftstermine? Und dann auch noch fast jedes Wochenende in derselben Stadt?

Bei diesen Gedanken kam ihr ein kleines, gequältes Lächeln aus. Sie erschrak, als sie sich im Barspiegel sah. Noch vor kurzem saß sie daheim, wartete sehnsüchtig auf seine Rückkehr und war überglücklich, ihn endlich wieder in die Arme schließen zu können. Nachdem sie aber vor knapp zwei Monaten in seinem Hemd eine Telefonnummer fand, wurde sie stutzig. Sie war auf einer Serviette mit viel zu rotem Lippenstift geschrieben.

Die Neugier trieb sie. Sie wollte wissen, welche Stimme sich hinter dieser Nummer verbarg. Als sie dort anrief, hatte sie ein mulmiges Gefühl. Was würde sie erwarten? Was für eine Frau war seine Maitresse?

Die Stimme hatte einen rauchigen Klang, der ihr ein unangenehmes Stechen in der Stirn verursachte. Ohne auch nur ein Wort zu sagen, legte sie wieder auf. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Zum Glück hatte sie die Rufnummernerkennung abgeschalten, so dass die Frau am anderen Ende, die sich nur mit einem 'Hallo' gemeldet hatte, den Anruf nicht zurück verfolgen konnte.

»Ist dieser Platz noch frei?«

Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen.

»Sicher«, murmelte sie und widmete sich wieder ihrer Olive und rührte damit ihren Drink um.

»Sie sind hübsch. Warum sitzen sie seit über einer halben Stunde allein hier? Wurden sie versetzt?«

»Ich wüsste nicht, was sie das angeht.«

»Entschuldigung, ich wollte nur nett sein.«

»Schon OK, aber ich bin heute nicht in der Stimmung um lange Konversationen zu führen.«

»Kein Problem. Verzeihen sie nochmals.«

»Vielleicht haben sie das nächste Mal mehr Glück.«

Anna nahm einen Schluck aus ihrem Glas, legte 10,- DM auf den Tresen, zog ihren Mantel an und ging zu Fuß nach Hause.

Auf dem Heimweg erinnerte sie sich, wie sie damals mit Max hier entlang ging und davon geträumt hatte, wie sie sich irgendwann ein Haus kaufen würden, irgendwo im Grünen, mit einem schönen kleinen Garten und einem Balkon. Auch fiel ihr ein, wie sie damals der Übermut packte und sie Max einen Schneeball in den Rücken steckte. Kaum hatte Max den Ball wieder aus seinem Hemd entfernt, als auch schon eine wilde Schneeballschlacht begann. War es damals schön. In der Ferne hörte man leise Kinder lachen, die sich auf dem nahegelegenen Hügel amüsierten. Dick eingepackt mit Wollmützen und viel zu langen Schals, die am Boden entlang schleiften, würden sie mit ihren Schlitten den Hügel hinunter fahren, Schneeengel machen, oder sich einfach nur jagen. Damals war es wunderschön, aber jetzt ... Wohin war der Mann verschwunden, den sie damals geheiratet hatte?

Als sie in ihre Straße einbog, fing es an zu schneien. Kleine Schneeflocken suchten sich ihren Weg durch die Luft und landeten sanft auf dem Asphalt. Langsam ging Anna zum Hauseingang. Sie ging die Treppe hinauf, schaute in Martins Zimmer, gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn und zog die Decke zurecht. Vorsichtig schloss sie seine Zimmertür, zog sich aus, ihr Nachthemd an und legte sich ins Bett. Einen kurzen Blick warf sie noch aus dem Fenster und löschte dann das Licht. Der Schneefall war stärker geworden.

»You fight for every breath

Caught without a ship in this sea of neglect

The one you swore to love is pulling you down

You're in over your head

Chilled to the bones by the waters you've tread

Chart a course to land before you drown

He said for you he'd change

Then he'd let you down and watch you take the blame

You're trapped between his lies and the great unknown

You vowed you would not fail

But this ain't success it's a living hell

There's nothing left to lose, you're already alone

Swim to the nearest distant shore

There's only so much a heart can endure

You gave it your best, forgive yourself

You can't hold on anymore

It's not as far as it might seem

Now it's time to let go of old dreams

Every heart for itself

Swim to the nearest distant shore»

(»Nearest Distant Shore« von Trisha Yearwood; Text: G. Harrison, T. Mensy)

11. BUCH - Dies Ist Die Stunde

Oder ... Habe ich gerade richtig gehört?

Tom schloss die Tür auf. Er hatte von der Straße aus gesehen, dass nur Licht in der Küche war. Das hieß, dass sich seine Eltern gerade über etwas Ernstes unterhielten und er sie besser nicht stören sollte. Leise zog er seine Jacke aus, als er bemerkte, dass die Küchentür nur angelehnt war. Ein kleiner Lichtstrahl fiel in den Flur. Er zögerte. Einerseits wollte er an der Tür lauschen, andererseits wusste er, dass seine Eltern dies nicht wollten. Aber die Neugier war größer.

»Nein Sonja, ich weiß es auch nicht. Von mir kann er es aber sicher nicht haben.«

»Ja glaubst du denn von mir?« Sonjas Stimme war etwas belegt und sie musste sich räuspern. »Aber das ist doch auch egal. Wir beide, und nur wir wissen, dass es nicht von uns kommen kann.«

»Und das ist auch gut so. Stell dir nur mal vor, was die Nachbarn so sagen würden, wenn das jemals einer erfahren würde. Wir wären das Gespött der gesamten Nachbarschaft. Jeder würde mit dem Finger auf uns zeigen und lachen.«

»Ach, du übertreibst mal wieder, Horst. Niemand würde auf uns zeigen. Wir leben doch nicht mehr im Mittelalter.«

»Vielleicht würden sie es nicht vor uns machen, aber kaum, dass wir ihnen den Rücken zugedreht haben, und schon tuscheln alle über uns. Aber was noch viel schlimmer wäre, wenn Tom es erfahren würde. Diesen Schock will ich ihm nicht antun. Wir haben damals diese Vereinbarung getroffen, und jetzt müssen wir uns an sie halten. Monika ist auch dafür.«

Tom wurde neugieriger. Langsam ging er näher zur Küchentür. Er wollte genauer verstehen, was seine Eltern sagten. Er hatte mitbekommen, dass es unter anderem um ihn ging, aber um was genau, das war ihm noch nicht klar. Und wer ist überhaupt diese Monika? Bestimmt eine entfernte Verwandte oder so etwas.

»Bist du dir da so sicher?«

»Ja, sie hat es damals so mit uns zusammen entschlossen.«

»Ja, aber glaubst du, es zerreißt ihr nicht das Herz? Glaubst du nicht, sie würde ihn gerne sehen. Ich an ihrer Stelle würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um meinen Sohn kennenzulernen. Das kannst du mit glauben.«

Toms Magen verkrampfte sich. Hatte er gerade richtig gehört? Aus den gehörten Aussagen hatte er verstanden, dass er adoptiert war. Aber wieso haben seine Eltern geschwiegen? Wieso wurde er weggegeben? Wer ist seine Mutter? Was war das für eine seltsame Abmachung? Fragen über Fragen vielen auf ihn ein. Das war zu viel für ihn. Er wollte einfach nur weg. Tom riss die Tür auf, schmiss sie hinter sich zu und lief blind drauf los.

Sonja und Horst zuckten zusammen. Beide schauten überrascht zur Tür und kurz darauf ihn ihre erstaunten Gesichter. Horst fand als Erster wieder seine Gedanken. Er ging zur Haustür, öffnete sie. Am Ende der Straße konnte er Tom noch sehen.

»TOM! TOM!!!«

Aber Tom war schon zu weit weg, als dass er ihn hätte hören können, und selbst wenn er es gekonnt hätte, würde er es jetzt nicht wollen.

Nachwort

Hi Ihr,

so, das war jetzt der zweite Teil. Was wird Tom tun? Wird er seine Eltern ansprechen? Wie werden sie dann reagieren? Oder wird er es einfach versuchen zu vergessen?

Ich wünsche euch allen ein super schönes, erholsames, essensreiches, friedliches, besinnliches, geschenkreiches (ist wohl das Wichtigste ;-) ) Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr. Aber seit vorsichtig und rutscht nicht aus. Das gibt nur blaue Flecken. :-) Trinkt nicht zu viel, sonst beklagen sich wieder die Nachbarn, wenn ihre Gartenzäune beschmutzt sind. *g*

Jetzt, nachdem ein ganzes Jahr, in dem sich wirklich viel für mich verändert hat, fast vorüber ist, wird es noch Zeit ein kurzes Fazit zu ziehen und ein paar Menschen zu danken.

Zuerst wärt da mal ihr. Danke euch allen, die ihr meine Geschichten lest, und vor allem denjenigen, die auch noch ihre Begeisterung buchstabenreich zum Ausdruck bringen. Nur mit eurer Hilfe können die Geschichten reifen und neue Ideen entstehen.

Lars für die unterhaltsamen Mails über diverse Ärgernisse (Professoren, Mitstudenten, usw. ...) und alles andere.

Nico gilt ein ganz besonderer Dank. Fürs Zuhören, Vorbeischauen, Ratschläge geben ... Ich könnte jetzt noch so viel mehr aufzählen, aber du weißt eh, was ich meine. Du bist wirklich einer der besten Freunde, die man sich vorstellen kann. Tausendmal DANKE!!! *knuddel*

Und fast hätte ich die wichtigste Person vergessen. Hey Sexy, schön, dass es dich gibt und ich dich gefunden habe. Du bist das Beste, dass mir passieren konnte. Als wir uns kennen lernten, hab ich nicht im Traum daran gedacht, so etwas wie dich zu bekommen, aber irgendwie ist es doch passiert. Ich liebe dich. *knutsch*

So jetzt sind genug der sentimentalen Worte verloren. Wir lesen uns wieder im nächsten Jahr. Feiert schön, seit nett zu den Menschen, die euch lieben und gebt ihnen etwas davon zurück.

Alles Liebe wünscht euch allen

Euer

Sammy

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