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Nackt

Teil 3

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Inhaltsverzeichnis

13. BUCH - Nachtaktivitäten

Oder... Warum man niemanden finden kann

»Hallo Marion, ist Tom bei dir?« seine Stimme klang aufgeregt, aber doch gesetzt.

»Nein, Herr Huber, Tom ist nicht bei mir. Ist er denn nicht zu Hause?«

»Nein, er ist zuvor einfach aus dem Haus gelaufen, und da dachte ich mir, daß er vielleicht zu dir gerannt ist. Immerhin bist du seine beste Freundin...«

»Das schon, aber er ist nicht da.«

»Hast du denn eine Ahnung, wo er dann sein könnte?«

»Es würde mir nur noch Martin einfallen.«

»Martin? Ist das nicht der Junge, der vor kurzem zum Lernen bei uns war?«

»Genau.«

»Hast du vielleicht eine Telefonnummer von ihm?«

»Moment.« Marion suchte kurz im Telefonbuch und gab dann Herrn Huber die Nummer.

»Vielen Dank, Marion. Ich werde es gleich bei ihm versuchen.«

»Ja, auf Wiederhören, und viel Glück bei der Suche. Wenn ich etwas von Tom höre, dann lasse ich es sie wissen.«

»Danke. Und entschuldige nochmals die späte Störung, und liebe Grüße an deine Mutter.«

»Gute Nacht.«

Damit war das Gespräch beendet. Auch der Anruf bei Martin brachte nicht viel. Auch dort war Tom nicht zu finden.

************************

Draußen war es mittlerweile stockfinster, nur die schwachen Straßenlaternen erhellten den Gehweg etwas. Ein kühler Wind kam langsam auf und dicke Wolken verhangen den Himmel. Martin machte sich große Sorgen, unruhig ging er in seinem Zimmer auf und ab. Marion saß nervös am Telefon und tippte mit den Fingernägeln auf ihr Telefonbuch. Aus dem Wohnzimmer hörte man das gleichmäßig monotone Klacken den Wanduhr, die unbeirrt die Sekunden zählte. Sonja saß auf der Couch, ihren Starren Blick auf den Fernseher gerichtet. Horst zog sich Schuhe und Jacke an und ging nach draußen. Er ging einfach drauf los, ohne zu überlegen, wohin er ging. Er sah hinter jeden Busch und blicke auch in jede Seitenstraße.

Tom saß am Ufer 'seines' Sees und starrte auf das unruhige Wasser. Hin und wieder warf er einen Stein ins Wasser und sah zu, wie sich die Wellen gleichmäßig ausbreiteten. Es schossen ihm so viele Gedanken durch den Kopf, die er nicht sortieren konnte. Immer wieder sah er die verschiedenen Gesichter vor sich. Einmal Martin, dann wieder seine Eltern, den Rücken einer Frau, einen Richter, und viele Personen , die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Wieso hatten ihm seine Eltern (Warum nannte er sie überhaupt noch so?) verheimlicht, daß sie ihn adoptiert wurden, und das so lange Zeit schon. Er fand es nicht so schlimm, daß sie ihn adoptiert hatten, schlimm fand er nur ihr Schweigen darüber. Und warum hat ihn seine Mutter weggegeben? Was war der Grund? Mochte sie ihn nicht?

All seine Fragen wollte er beantwortet haben. Sofort! Aber es würde ihm wohl niemand eine Auskunft geben. Seine Eltern sicher nicht und seine leibliche Mutter konnte er ja nicht fragen. Er wußte nichts über sie, nur, daß sie Monika hieß, aber was kann man mit einem Vornamen schon anfangen? Nichts! Rein gar nichts! Aber wie sollte er etwas herausfinden.

Langsam wurde ihm kalt. Seine Finger und Zehen begannen weh zu tun. Er stand auf und ging los. Aber heim wollte er nicht, nicht jetzt...

 ***********************

Marion saß immer noch in der gleichen Stellung, in der sie seit dem Anruf saß. Sie hatte sich nicht einmal die Haare, die ihr ins Gesicht gefallen waren, herausgestrichen. Plötzlich schreckte sie hoch. Es hatte an der Tür geschellt.

Sie sprang auf. So schnell sie konnte öffnete sie die Tür.

»Hi Marion, ich muß mit der reden.«

»Komm erst mal rein.«

Mit roten Augen stand Tom vor ihrer Tür. Zögernd ging er hinein. Marion kochte ihm erst mal einen Tee, damit er sich wieder etwas aufwärmen könnte. Danach setzten sie sich ins Wohnzimmer.

»Jetzt sag aber endlich, was los ist?«

»Also, ich bin zuvor von Martin Heim gefahren. Als ich daheim die Tür aufschloß...

Er erzählte Marion, was er dann gehört hatte. Als Tom kurz ins Bad verschwand, rief Marion seine Eltern und Martin an, damit sie sich keine weiteren Sorgen machen würden.

»Mit wem hast du eben telefoniert?«

»Mit Martin. Ich dachte, er sollte wissen, daß du hier bist.«

»OK, ich bin müde. Kann ich bei dir pennen?«

»Klar, du weißt ja, wo das Gästezimmer ist. Und über den Rest reden wir morgen weiter. Es wird sich sicher eine Lösung finden.«

Marion wußte genau, daß sie Tom jetzt nicht erzählen sollte, daß sie auch seine Eltern angerufen hat, aber sie hatte ihn ja nicht belogen, nur nicht alles gesagt. Etwas mulmig war ihr schon bei diesem Gedanken, aber sie dachte nur an Tom.

»You've always been

Time and again

The one to take my hand

And show to me

It's okay to be

Just the way I am

With no apopogy

Oh, you've alway been

A friend to me»

(A friend to me« von garth Brooks; Text: Garth Brooks and Victoria Shaw)

14. BUCH - Großputz

Oder... Wie wird man etwas los, daß nicht von einem weichen will

»The Jewels will seek you

Follow where they lead you

They will protect you

Men will respect you»

Anna stand in der Küche und schenkte sich gerade die erste Tasse Kaffee des Tages ein. Sie hatte bereits angefangen in der Zeitung zu lesen und kaute monoton auf ihrem Brötchen, als Martin herein kam.

»Einen wunderschönen guten Morgen, Mama.« Martin strotzte geradezu vor guter Laune.

»Morgen«, brummte Anna.

»Hey, was ist denn los, Mama?« fragte Martin besorgt.

»Nichts. Ich habe nur schlecht geschlafen«, blockte sie ab.

»OK. Gibt's schon Kaffee?«

»In der Kanne da, schau halt selbst.«

»Alles klar.« Martins Stimme hatte einen nachdenklichen Ton angenommen.

Mittlerweile war seine Laune stark gesunken. Gerade hätte er noch die ganze Welt umarmen können, aber jetzt war seine Stimmung im Keller. Er hatte sich so auf das Treffen mit Tom in der Schule gefreut. Aber jetzt kreisten seine Gedanken um seine Mutter. Er wußte, daß es nicht nur daran lag, daß seine Mutter so schlecht geschlafen hatte. Sie war nicht nur deswegen so gereizt. Da war noch etwas anderes. Aber was? Martin überlegte, aber nichts, was ihm einfiel, wollte für ihn auch stimmig erscheinen. Ihre Arbeit - nein. Auch wenn sie stressig war, machte sie die Arbeit doch gerne, und sie verstand sich auch mit ihrem Kollegen recht gut. Mit Oma und Opa - niemals. Da gab es keine Probleme. Wechseljahre - negativ! Dafür war sie noch zu jung, und sie hatte ja keine richtigen Stimmungsschwankungen, sie war heute einfach nur schlecht drauf. Martin schob seine Grübeleine bei Seite und machte sich langsam fertig für die Schule. Kurz darauf ging er los.

*******************

Freudig begrüßte er Tom, der aber nur mürrisch zurückantwortete. Martins Mutter war wohl nicht die einzige, die einen schlechten Tag erwischt hatte. Er ließ Tom deshalb auch weitestgehend in Ruhe und versuchte so zurückhaltend wie möglich zu sein. Doch jedesmal wenn er versuchte Tom anzusprechen, bekam er immer nur eine kurze, pampige Antwort.

»Willst du heute Nachmittag zu mir kommen?«

»Nein«, fauchte Tom zurück.

»Entschuldige, daß ich dich angesprochen habe. Ich habe vollstes Verständnis dafür, daß du schlechte Laune hast und nicht zum rumalbern aufgelegt bist, aber du könntest wenigstens so nett sein und mir eine halbwegs freundliche Antwort geben.«

»Ach, laß mich doch in Ruhe«, maulte Tom herum und lief im nächsten Moment aus dem Klassenzimmer. Er rannte durch den Haupteingang zu seinem Fahrrad, schloß es auf, schwang sich darauf und strampelte wie wild los.

*******************

Martin war sauer. Nein, er war stinksauer. Erst war seine Mutter so unfreundlich und jetzt auch noch Tom. Was hatte er nur fasch gemacht, fragte er sich auf dem ganzen Nachhauseweg. Wie immer war seine Mutter nicht da. Sie war arbeiten, was bedeutete, daß Martin sich, wie immer, selbst versorgen mußte. Nachdem er eine Pizza gegessen hatte, ging er in sein Zimmer und setzte sich an seine Hausaufgaben. Nur zu leicht waren sie erledigen, und das obwohl er in Mathe noch immer kein As war, schaffte er sie mühelos und auch die Übersetzung ging ihm wie nichts von der Hand. Viel zu schnell war er mit all seinen schulischen Pflichten fertig, also fing er an nachzudenken. Aber er wollte nicht nachdenken. Er wollte an gar nichts denken. Nicht an die Schule, nicht an seine Mutter und schon gar nicht an Tom.

Beschäftigungstherapie: Martin räumte all seine Regale, Schränke und Schubladen aus, macht in der Mitte seines Zimmers einen großen Haufen. Ihm fiel ein, daß er, wenn er eh schon dabei ist, unter seinem Bett sauber machen könnte, hatte er doch diese geliebten Quadratmeter an Müllentsorgungslager schon lang, sehr lange, nicht mehr aufgeräumt. Er packte allen Kram der sich unter seinem Bett befand auf den Haufen, holte sich einen Eimer und Lappen und legte los, alles abzustauben. Nachdem die Möbel in neuem Glanz erstrahlten, nahm er sich ein Teil nach dem anderen und sortierte es wieder an den richtigen Platz ein, nicht aber ohne es vorher auch abzuwischen. Langsam aber sicher wurde der Haufen immer kleiner und seine Regale füllten sich, aber nicht nur, auch ein großer blauer Müllsack gewann zunehmend an Volumen. Alte Zeitschriften, Schmierzettel, ein paar Socken, an denen diverse Kaugummis klebten, und viele andere Sachen fanden ihren Weg in diesen Beutel. Auch schmiß er eine kleine weißlich schimmernde Murmel in diesen Sack. Nachdem alles eingeräumt und der Teppich gesaugt war, räumte er sei Werkzeug auf und brachte den Sack nach draußen zur Mülltonne. Mittlerweile war es schon fast 18.00 Uhr als er sich mit einem Glas Cola und frischem Bettzeug in sein Zimmer zurück begab. Sein Blick fiel auf die Mitte seines Zimmers, besser gesagt, auf das, was dort am Boden lag. Die weiße Murmel mußte wohl aus dem Sack wieder herausgeflogen sein, als er ihn aufgehoben hatte, um ihn zu entsorgen. Er bückte sich nach ihr. Geradezu seltsam schimmerte die Kugel durch das ins Zimmer fallende Sonnenlicht, fast wie das farbige Schillern einer Perle, und doch auch wieder anders. Eine strahlende Kraft umgab die Kugel. Martin bermerkte davon nicht das geringste. Er hob sie auf und warf sie in seinen Mülleimer. Danach legte er sich gemütlich auf sein Bett und sah etwas fern.

******************

Als er wieder zurück kam von der Toilette fiel sein Blick erneut auf die Murmel, die an der gleichen Stelle lag, von der er sie erst vor kurzem augehoben und weggeworfen hatte. Martin zuckte leicht zusammen. War jemand hier, der ihm Angst einjagen wollte? Nunja, das hatte er geschafft, nein, Angst wäre das falsche Wort. Er spürte keine Angst. Es war als würde ihm die komische Kugel, die er soeben erneut aufgehoben hatte, all seine Angst nehmen und ihm mehr Sicherheit geben, als er jemals gefühlt hatte. Er fühlte, das alles in Ordnung war, er fühlte sich stark. Eine Stärke, die er nie zu vor spürte.

Er steckte die Murmel ein.

15. BUCH - Tagträume

Oder... Was man sich so alles einbilden kann

»And if you feel the weight of the world

Put your mind at ease

Little Hercules

'Cause there's so much on you shoulders

But you know it's a breeze

Litte Hercules»

(»Little Hercules« von Trisha Yearwood; Text: Craig Carothers)

Als Tom zu Hause angekommen war, schloß er langsam die Tür auf. Er zog seine Schuhe aus und hing seine Jacke an den Haken. Niemand war zu Hause, er war ganz allein. Er schaute  kurz in die Küche, nahm sich etwas zu Essen und zu Trinken und ging in sein Zimmer, schloß die Tür und drehte ganz langsam den Schlüssel im Schloß.

Gefangen! Er wollte es so, er wollte nichts und niemanden um sich herum haben. Er genoß einfach nur die Stille, die sich um ihn herum breit machte. Er entledigte sich all seiner Kleider. Zuerst zog er seinen Pulli und das T-Shirt aus, dann folgten die Socken. Auch seine alte verwaschene Jeans, die er so liebte, zog er aus und ließ sie infach an dem Ort fallen, an der er sich gerade befand. Er trug jetzt nur noch eine Short mit der Aufschrift 'I'm the boss!'. Langsam faßte er an seinen Hüften, glitt vorsichtig mit der Hand unter den Gummiband und streifte die Hose ab. Sorgfältig hob er alle Kleidungsstücke auf , legte sie zusammen und packte sie zur Seite.

Er ging zur Tür, öffnete sie und ging ins gegenüberliegende Bad. Dort stellte er das Wasser an, wartete einen Moment, bis das Wasser die richtige Temperatur hatte und stellte sich dann unter den Wasserstrahl. Wasserdampf stieg auf und kurze Zeit später, er war komplett in seinen Gedanken verloren, hatte sich im ganzen Zimmer ein Neben breit gemacht.

************************

Er war ganz weit weg, nichts konnte ihn in diesem Stadium wieder zurück in die Realität hohlen. Er war in einer Scheinwelt aus der er nicht wieder zurückkehren wollte. Seine Gedanken kreisten um einen Ort, den nur er erreichen konnte. Sein Körper war zwar noch immer in der Dusche, aber er hatte das Gefühl, er wäre zugleich an einem anderen Ort, man könnte fast sagen, einer anderen Dimension. Er befand sich in einem Gebäude, einem großen Gebäudekomplex. Es gab zwölf Schreibtische, dort saßen junge Männer, die alle reichlich beschäftigt schienen. Es gab fünf Türen, die zu Büros führen mußten. Tom ging näher ran, damit er die Schilder an den Türen lesen konnte. Feuer - Erde - Wasser - Luft. Auf der mittleren Tür stand nichts. Kein Name, nur ein großes L war zu sehen. Langsam öffneten sich die Türen mit den komischen Namesschildern. Aber nur zwei Räume waren besetzt; Erde und Wasser, die anderen beiden Räume; Feuer und Luft waren leer. Nein, nicht leer, es schien, als wäre Leben in ihnen, das aber erst noch seinen Weg dorthin finden mußte. Tom wollte sich einen 'leeren' Zimmer nähern - aber als er nur noch einen Schritt weiter hätte machen müssen, damit er eintreten konnte, ging die Tür plötzlich, wie von einem Windstoß zu, und sein Blick fiel auf die blutroten Buchstaben auf dem schwarzen Hintergrund. Alle Türen hatten sich wieder geschlossen, Tom hatte davon nichts mitbekommen, er war so überrascht von der plötzlichen Verschlußaktion, daß er nicht bemerkte, wie sich die mittlere Tür öffnete und ein helles weißes Licht daraus hervor drang. Ein warmes Licht, das Tom magisch anzog. Zögernd setzte er einen Fuß vor den anderen und bewegte sich kaum merkbar auf den Raum zu, der ihn mit einer solchen Kraft anzog. Je näher er kam, desto sicherer fühlte er sich und seine Schritte wurden zunehmend forscher. Die anfängliche Angst vor dem, was ihn hinter dieser Tür erwarten könnte, verschwand nach und nach. Bis sie nicht mehr zu spüren war. Er fühlte sich so beschützt, als könnte ihn nichts jemals verletzten und er war mit allem in Einklang, lange hatte er schon seinen Unmut und Frust wegen der Adoptionsgeschichte vergessen. All dies Schien ihm jetzt unwichtig.

Er trat in den Raum. Langsam schloß sich die Tür hinter ihm, aber er bekam keine Angst und versuchte nicht, aus dem Raum zu rennen.

»Ich habe gewußte, daß du heute hierher kommen würdest.«

Tom zuckte zusammen. Nicht weil er Angst hatte, er war einfach nicht gefaßt auf diese Stimme.

»Wer spricht da?«

»Das ist die falsche Frage, zu diesem Zeitpunkt zumindest.« Die Stimme war warm und vertraut, und doch unbekannt.

»Was meinen Sie damit?«

»Ich meine nichts, nur würdest du es jetzt noch nicht verstehen. So einfach ist das. Nicht mehr, nicht weniger.«

»Aber wieso wußten Sie, daß ich kommen würde? Und was wollen Sie eigentlich von mir? Eben bin ich noch unter meiner Dusche und jetzt stehe ich hier in einem Gebäude, das ich nicht kenne. Und darf mir von einer Person, die ich nicht einmal sehen kann, sagen lassen, daß sie genau wußte, daß ich kommen würde.«

»Du willst mich sehen. Kein Problem, wenn es nicht mehr ist.«

Die Person drehte sich um. Es war ein junger Mann, nicht älter als 21, vielleicht 22. Absolut gut gebaut, aber nicht übertrainiert mit eisblauen Augen und hellblonden Haaren.

»Schon besser, und haben sie auch einen Namen?«

»Sicher Tom, den habe ich.«

Tom zuckte zusammen. Woher kannte diese Person seinen Namen? Aber er konnte momentan nicht weiter darauf eingehen. Denn die Person sprach weiter.

»Ich heiße Tobias, aber du kannst mich Tobi nennen, und 'du' sagen. Und nur nebenbei, du kennst dieses Gebäude. Du warst schon oft hier.«

»Sicher nicht, daran könnte ich mich erinnern...«

»Das kannst du, sieh tief in dich hinein und du wirst sehen, daß du schon oft in deinen Träumen hier warst. Woher glaubst du kenne ich sonst deinen Namen. Und woher wüßte ich sonst, daß du adoptiert bist. Du hast mir davon erzählt, es ist ein paar Wochen her.«

»Unmöglich, ich habe es doch selbst erst gestern erfahren.«

»Das stimmt, aber du hast es vorher schon gewußt. Es war dir schon immer klar. Nur mach deinen Eltern keinen Vorwurf, sie waren immer gut zu dir. Sie lieben dich, auch deine leibliche Mutter liebt dich. Alles wird gut.«

»Jaja, genau. Und was soll ich hier?« Langsam war Tom genervt von diesem Gesabbel.

»Wieder eine der Fragen, die ich dir nicht beantworten kann. Nur so viel, alles wird sich aufklären, wenn du am nächsten Wochenende zum Jahrmarkt gehst und dort in ein Zelt gehst, das 'Die verwunschene Magie' heißt. Dort wirst du etwas finden. Nimm es an dich...«

Die letzten Worte hallten noch nach und die schöne Erscheinung war verschwunden.

**************************

Tom stand wieder unter der Dusche. Es war etwa eine halbe Stunde vergangen. Seine Haut war schon ganz verschrumpelt und er glich wohl momentan mehr einem Baby als einem Jungendlichen. Kurz sammelte er sich. Was hatte er gerade erlebt? Ist dies so etwas, das man einen Tagtraum nennt?

Tom drehte den Wasserstrahl ab, nahm ein Handtuch, trocknete sich ab, nahm seinen Deoroller und ging dann wieder zurück in sein Zimmer. Er schloß die Tür und legte sich auf sein Bett. Als er seine Augen schloß, sah er er Martins Gesicht - Martin - Wie hatte er sich nur gegen über ihm verhalten.

Unangenehme Gewissenbisse krochen in Tom empor

Kurze Zeit später hatte er schon Martin angerufen und gefragt, ob er schnell vorbei kommen könnte. Martin war zwar etwas überrumpelt, aber da seine Mutter noch in der Arbeit war, hatte er nichts dagegen. Tom rannte die Treppe hinunter, zog sich an. Bevor er losfuhr, schrieb er seiner Mutter noch einen kleinen Zettel und teilte ihr mit, daß er bei Martin war. Er schwang sich auf sein Rad und trat kräftig in die Pedale.

**************************

Martin war total überrumpelt, ohne überhaupt wirklich viel zu Toms Besuchsanfrage sagen zu können, hatte der schon wieder aufgelegt.

Was wollte Tom? Wieder einen Streit anfagen? Einfach rummeckern? Sich entschuldigen?

Es klingelte.

Martin öffnete die Tür.

»Hallo, Martin.«

»Hi. Was willst du?« Angesichts Toms Angeblaffe in der Schule fiel Martins Begrüßung eher kühl aus.

»Kann ich erst mal reinkommen?«

»Bitte.« Die Zurückhaltung blieb.

Martin trat zur Seite und ließ Tom eintreten.

»So, was willst du?«

»Mich entschuldigen. Ich hab mich heute Vormittag total bescheuert benommen. Ich wollte dich nicht blöd anmachen, aber irgendwie war ich absolut down wegen der Adoptionsgeschichte. Ich hatte einen Haß auf jeden. Nein, eigentlich hatte ich einen Haß auf mich und dann wollte jeder nett sein und sich um mich kümmern. Aber darauf hatte ich keinen Bock. Ich wollte mich in meinem Selbstmitleid baden. Auch wenn es mir weh getan hat, ich wollte es so. Und diese bescheuerten Worte 'Ich kann dich verstehen', 'Es wird alles wieder gut'. Keiner kann mich verstehen. Keiner von euch hat das durchgemacht. Keiner weiß, wie ich mich wirklich fühle, und keiner weiß, ob wirklich wieder alles gut wird.«

»Ja, aber...«

»Nichts aber. Ich weiß, ihr wolltet nett sein und mir helfen, aber in dem Moment konnte mir keiner helfen. Das mußte ich selbst machen. Ich mußte mich selbst wieder vom Boden aufheben. Ich weiß, ich hab euch damit weh getan, und ich war gemein zu euch. Ich wollte euch den ganzen Schmerz fühlen lassen, den ich gefühlt hatte, als die Worte meiner Eltern auf mich einhagelten wie ein Blitzgewitter. Es hat sich angefühlt als würde mir jemand einen glühend und doch eiskalten Dolch in die Brust rammen. Ich dachte ich zerspringe. Und diesem Schmerz wollte ich nicht alleine aushalten. Es tut mir leid, aber mittlerweile habe ich verstanden, daß es nur mein Schmerz ist, weil ich ihm erlaube mich zu verletzten. Was geschehen ist, kann ich nicht ändern. Meine Eltern waren immer gut zu mir. Sie haben mir all ihre Liebe geschenkt und noch viel mehr. Sie waren da, als ich mir mein Knie aufgeschlagen habe, sie waren da, als ich in die Schule kam, sie waren da, als ich mit Fieber im Bett lag. Sie haben sich um mich gekümmert. Sie haben alles getan, damit ich es gut hatte und damit ich ein schönes Zuhause und eine schöne Kindheit hatte. Und um mich zu schützen, haben sie nichts gesagt. Nicht, weil sie Angst hatten, sie wollten mich nur beschützen, wie sie es mein ganzes Leben gemacht hatten.«

Kleine Tränen liefen über Toms Wange. Vielleicht hatte er sich noch nie so klar und schonungslos gesehen wie jetzt, aber es tat gut.

»Und dafür bin ich ihnen dankbar. Und dir auch. Du hast versucht mich zu trösten, aber ich hab dich nicht an mich rankommen lassen. Es tut mir leid.«

Martin sagte nichts. Er bewegte sich einfach auf Tom zu, legte sanft seine Hände um seine Hüften, zog ihn an sich und gab ihm einen Kuß. Es war als würde er in diesem Moment mit Tom verschmelzen. Als wären sie nur noch eins. So nah waren sie sich noch nie. Nach einer kleinen Ewigkeit lösten sie ihre Umarmung. Sie standen immer noch im kühlen Hausflur.

»Komm, laß uns in mein Zimmer gehen. Da ist es bequemer.« Dabei zeigte Martin frech seine Zähne und sein Blick sprach Bände.

Im Zimmer oben angelangt, machten es sich die beiden erst mal bequem auf dem Bett. Überflüssige Kleidungsstück fielen unter vielen Küssen einfach auf den Boden. Zärtlich streichelten sie gegenseitig ihre Körper. Sie waren ganz ineinander verschlungen, ein normales Auge hätte nicht erkennen können, daß es sich um zwei Personen handelte. Sanft liebkosten sie ihre Körper...

»I've been hearing violins all night!

Anything to do with me? Are we a thing?

Darling... we're everything!

Live in my house

I'll be your shelter

Just pay me back

With one thousand kisses

Be my lover

I'll cover you

Open your door

I'll be your tenant

Don't got much baggage

To lay at your feet

But sweet kisses I've got to spare

I'll be there

I'll cover you

I think they meant it

When they said you can't buy love

Now I know you can rent it

A new lease you are, my love

On life

Be my life»

('I'll cover you' aus dem Musical Rent von Jonathan Larson)

16. BUCH - Was Kann Ich Jetzt Tun?

Oder... Wieso Menschen immer anders reagieren als erwartet

Sanft wurden Toms Augen von einem Sonnenstrahl berührt. Verschlafen drehte er sich um und sah in die großen Augen von Martin. Es war schon elf Uhr an diesem Freitag.

»Morgen Martin, wie spät ist es?«

»Kurz nach elf.«

Tom schreckte hoch. »Was? Wieso hast du mich nicht geweckt? Wir müssen doch in die Schule.«

»Keine Angst, heute ist Feiertag. Tag der 'Deutschen Einheit'.«

»Ach ja, richtig. Dann laß uns noch etwas schlafen.«

»Nichts da, ich muß mit dir reden. Ich hatte gestern eine ganz seltsame Begebeneheit, als ich mein Zimmer sauber gemacht habe.«

»Auch gut, aber erst will ich duschen und was Frühstücken. Danach hör ich dir gerne zu.«

Beide gingen in die Dusche. Diesmal konnten sie sich sogar beherrschen und waren nach gut einer viertel Stunde fertig. Nachdem sie sich angezogen hatten, gingen sie in die Küche um zu sehen, ob es etwas Eßbares im Kühlschrank gab.

Auf dem Tisch standen frische Brötchen, Marmelade, Nutella, Kaffe in einer Thermoskanne und weiter kleine Leckerbissen, und ein Zettel lag da.

»Guten Morgen ihr zwei,

bin grade beim einkaufen. Frühstück steht auf dem Tisch (wie nicht zu übersehen ist), Butter und Wurst ist im Kühlschrank. Laßt es euch schmecken. Ich bin bald wieder daheim.

Mama»

Martin zuckte beim Lesen des Zettels zusammen.

»Meine Mutter weiß, daß ich schwul bin.«

»Ist doch toll.«

»Was ist daran toll, ich hab es ihr nicht gesagt. Sie hat uns gesehen, als wir geschlafen haben.«

»Na und? Was regst du dich so darüber auf?«

»Ich reg mich nicht auf. Ich weiß nur nicht, wie sie reagieren wird, und hab Angst davor.«

»So wie ich das sehe, hat sie uns Frühstück gemacht, also kann sie gar nicht so schlimm reagieren«, grinste ihn Tom frech an.

»Da könntest du recht haben.«

»Es hilft jetzt auch nichts, wenn du dir stundenlang den Kopf über sowas zerbrichst. Was kommt, das kommt. Da kannst du jetzt nichts mehr dran ändern. Laß uns erstmal Frühstücken.«

»Ja, hau rein.«

Die beiden waren gerade bei der zweiten Tasse Kaffe, als die Tür aufging. Martin verschluckte sich fast. Seine Mutter war zurück.

»Hallo ihr beiden. Ich bin Martins Mutter.«

»Guten Tag, Frau Wilters. Ich bin Tom und Martins Freund.«

»Das hab ich mir fast gedacht, so wie ihr beiden heute Nacht im Bett gelegen seid. Und du kannst Anna sagen.«

Beide wurden rot im Gesicht.

»Und noch ein Tip: Wenn ihr Sex habt, zieht euch danach wieder was an, oder tackert eure Laken fest, sonst offenbart ihr vielleicht mehr, als eine Mutter sehen will.«

Die kleinen Flecken in ihren Gesichter, die noch nicht rot waren, machten nun auch jeder Ampel Konkurenz.

»Schon gut, ich hab nichts gesehen außer deinem Hinter Martin, keine Angst.«

»Aber du sagst gar nichts, dazu.«

»Wieso? Ich hab doch grad was gesagt.«

»Das mein ich nicht. Falls es dir entgangen ist: Ich bin schwul.«

»Ja und weiter?«

»Wie weiter?«

»Was willst du hören? Ich freue mich? Das kann ich nicht sagen. Du bist Abschaum? Das auch nicht. Du bist mein Sohn, und wen du liebst, da kann ich dir nicht reinreden. Das mußt ganz alleine du wissen. Aber ich werde dich immer unterstützen und für dich da sein. Was auch immer kommt. Ich hätte zwar gerne Enkelkinder - das wird nichts, aber das ist nicht schlimm. Das Wichtigeste ist, daß du glücklich bist.«

»Danke, Mama.« Martin umarmte seine Mutter und gab ihr einen Kuß auf die Wange.

»Und noch in Wort zu dir Tom. Sei lieb zu meinem Sohn, sonst gibt's mit mir großen Ärger. Und vor einer wütenden Mutter nimmt man sich besser in Acht.«

»Keine Sorge, Anna, ich liebe ihren Sohn.«

»Und jetzt seid ihr entlassen, ihr könnt gerne wieder zurück auf Martins Zimmer gehen und da weitermachen, wo ihr gestern Abend aufgehört habt.«

Und schon waren beide wieder knallrot.

»Los verschwindet, ihr zwei Turteltauben.«

Anna stellte die Teller zusammen und brachte sie zur Spüle. Martin und Tom nahmen sich an den Händen und gaben sich einen kleinen Kuß.

Genau in diesem Moment ging die Tür auf und ein Mann stand in der Küche...

To be continued...

Nachwort

Hallo ihr Lieben,

jetzt wird es mal wieder Zeit danke zu sagen. Denjenigen Menschen, denen ich hier danke sage, das sind nicht alle, denen ein Dankeschön gebührt, aber wenn ich wirklich alle aufführen würde, dann wäre das eine ganze Story lang. *fg*

Erst mal möchte ich allen Junx und der Dame, die beim Treffen dabei waren danken. Irgendwie hatte ich vor dem Treffen keine große Lust weiter zu schreiben. Es fehlte an Inspiration und Sinn. Ihr habt sie mir wieder gegeben. Danke euch allen! *knuddel*

Dann möchte ich Nero für die »Liebe-Referenz« danken. Das war der kleine Punkt, der im Konzept noch gefehlt hat. Was so ein kleiner Chat alles bewirken kann... ;-) Und natürlich auch für's Korrektur lesen - waren echt gute Ideen dabei - du weißt, was ich meine...

Chris wäre auch zu erwähnen. Danke für's Korrekturlesen, wegen der Sinnfehler. Und danke auch für jede lustige Minute im Chat und auch sonst. Merci!

Dann wäre da noch mein Kleiner. Für alle denen das nichts sagt, das ist Nico. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde. Ich möchte dich um nichts auf der Welt missen. Als nächstes bist du dran!

Auch vergessen werden sollte nicht meine Mami. Danke für's Essen kochen (sonst wäre ich während dem Schreiben verhungert) und für alles andere. So eine Mami sollte jeder haben. Danke, daß es dich gibt! *bussi*

Und zu guter Letzt noch meinem Schatz, Alex. Ich glaub drei kleine Worte reichen, wenn ich sie an dich richte: Ich liebe dich! *knutsch*

So, wir lesen uns bald wieder

Euer
Sammy

Anmerkung zum Schlußwort: Für alle, die sich fragen, was die 'Liebe-Refernz' ist, nur so viel: Im 5. Teil wird es sich vermutlich aufklären, zumindest etwas. Also habt ein bißchen Geduld. *fg*

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