zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

KeYNamM

Teil 4

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

10 Gwasila's Entschluss

In der Hauptstadt erwartete Gwasila der nächste Schock. Die gesamte Stadt war in Aufruhr. Schon am Stadttor hörte der Gouverneur die Nachricht. „Der Imperator liegt im Sterben!“, sagte einer. „Der Imperator ist tot!“, berichtete ein Anderer. Gwasila versuchte mit seiner kleinen Kavalkade zum Palast vorzudringen. Das war fast unmöglich. Eine so große Menge an Menschen, wie er sie zuvor nie gesehen hatte, drängte zum Palast. Wie Wogen bei Hochwasser drängte der Menschenstrom vorwärts und wenn er an einer Kreuzung zur Ruhe kam, dann lag das nur an den Klageweibern, die dort knieten und mit ihren schrillen Schreien und klagendem Geheul die Tauben von den Dächern scheuchten und die Ratten von den Straßen vertrieben.

Was war geschehen? Der Gouverneur war irritiert! Er fragte den einen und den anderen, jedoch keiner wusste Genaues. Er drängte sein Pferd durch die Menge, er benutzte sogar seine Reitpeitsche, um seinem Pferd einen Weg zu bahnen, kam aber nur im Schneckentempo vorwärts. Endlich, gegen Sonnenuntergang, stand er auf dem Platz vor dem Palast des Imperators. Aber weder er noch ein anderer kam zum Tor vor. Es war unmöglich den dichten Ring der Palastwachen zu durchbrechen, auch wenn er noch so heftig mit seiner goldverzierten Legitimation wedelte, die ihm als Gouverneur besondere Rechte gab.

Am Ende half sie ihm aber doch. Ein herbeigerufener Leutnant beruhigte ihn, „Der Imperator ist nicht tot! Der Imperator, Gott schütze und erhalte ihn, ist bei der Jagd von einem Leoparden angefallen worden. Unser unbesiegbarer Imperator hatte den Leoparden in die Enge getrieben. Gerade als er das riesige Leopardenmännchen unter einem Arganbaum gestellt und mit der Lanze den Gnadenstoß versetzen wollte, sprang dessen Weibchen aus dem Astgewirr und riss unseren hohen Herrn vom Pferd. Er stürzte und noch bevor seine Jagdbegleiter ihn schützen konnten, hatten sich die beiden Tiere in ihn verbissen. Die teuflischen Bestien büßten den Angriff mit dem Tode, aber unser Herr trug auch Wunden davon. Zurück im Palast, entzündeten sich die Wunden jedoch und keiner seiner Heiler konnte ihm helfen.“ Der Leutnant mahnte Gwasila, bevor er ihm wegschickte, „Betet Gouverneur, betet für den Imperator! Betet, dass unser lieber, gnädiger Herr wieder gesund wird.“

Zwei Tage später hatte das Fieber den Imperator dahingerafft. Was sollte Gouverneur Gwasila nun machen? Er konnte dem Imperator nun nicht mehr seine Version der Ereignisse in der Kristallmine darlegen und alle Schuld dem Kommandanten zuschreiben. Er musste jetzt handeln. Er musste das Problem, nein beide Probleme, die Befreiung der Strafgefangenen der Kristallmine und den Raub der kostbaren Kristalle, in Eigeninitiative lösen und zwar auf eine Weise, die dem neuen Imperator seine Fähigkeit und seine Unersetzbarkeit bewiesen.

Bedrückt floh er vom Hof, aber schon auf dem Heimritt entwickelte er einen Plan, wie er den neuen Imperator von seinen Fähigkeiten und seinem Mut überzeugen konnte. Er musste die geraubten Kristalle wiederbeschaffen, koste es was es wolle! Er musste schnell handeln. Er musste schneller sein als die Soldaten vom Hof des Imperators, er musste mit einem Heer ins Territorium der Imuhagh vorrücken und die Schuldigen bestrafen. Ja, vielleicht gelänge es ihm sogar, das Imperium bis ins Feindesland auszudehnen und gleichzeitig das Unland dem Imperium anzugliedern. Und die Gefangenen, die würde er auch bald wieder eingefangen haben.


Gouverneur Gwasila war sich bewusst, dass ein Feldzug gegen die Wüstensöhne einen erfahrenen Feldherren brauchte. Einen erfahrenen Feldherren, der auch einen Feldzug durch die Wüste führen könnte! Er selbst traute sich natürlich die Führungsrolle zu! Aber musste er wirklich die Unbequemlichkeiten und vor allem die Gefahren eines Feldzugs auf sich nehmen? Und wenn der Feldzug schiefging, die Blamage? Nein er musste einen erfahrenen Feldherren finden. Da fiel ihm der alte Feldhauptmann Areksim ein.

Feldhauptmann Areksim, der alte Luchs, war ihm noch etwas schuldig, nicht nur einen kleinen Gefallen, nein! Schließlich hatte er dem Feldhauptmann den Kopf gerettet, nicht nur einmal. Areksim war ein Raufbold, ein Mörder, ein Weiberschänder. Die Feldzüge hatten ihn verroht. Zu Hause duckte er sich unter den Pantoffel seine Frau Tudatt, aber wenn er ins Bordell ging, und das tat er jede Woche mindestens zweimal, wurde er zum Tiger und wehe ein Mädchen unterwarf sich nicht seinen Wünschen. Er hatte schon zwei Hurenweibern den Bauch aufgeschlitzt und einer die Brüste abgeschnitten! Keine von ihnen hatte überlebt und er, der Gouverneur, musste die Morde vertuschen, um den Freund zu schützen. Der alte Luchs Areksim war der Richtige. Er sollte das Expeditionskorps in die Wüste führen.

Aber welches? Die Soldaten des Imperators konnte er nicht ohne dessen Einwilligung in den Kampf schicken, außerdem waren nur wenige Soldaten in Tinghir stationiert. Blieb nur noch eine Privatarmee, eine Armee von Söldnern. Wer konnte ihm da helfen? Wer konnte für den Feldzug Geld zur Verfügung stellen? Er brauchte nicht lange nachdenken. Natürlich seine drei dicksten Freunde, die beiden Dicken, der Bordellbetreiber und der Getreidehändler und der Dürre, der bartlose Kaufmann, der Schmuggelkönig. Der war für das Vorhaben besonders wichtig, denn er, d.h. seine Späher, kannte alle Wege durch die Wüste, auch den zur Kasbah des Amenokal. Die Drei mussten das Geld für den Feldzug vorstrecken, die Söldner würden seine Geheimpolizisten schon rekrutieren.

Der Gouverneur hatte Glück. Areksim war glücklich seiner Frau einige Wochen entrinnen zu können und als er die drei Kaufleute zu einer Besprechung einlud, konnten die nicht umhin, seinen Vorschlag anzunehmen, Geld gegen die Gelegenheit die Klans der Wüstensöhne auszurauben? Natürlich ließen sich die Drei nicht freiwillig auf den Handel ein, aber als Gwasila mit dem Zeigefinger auf die Kladden vor sich auf seinem Tisch zeigte, willigten sie ein. Kladden, in denen die Sünden der Vergangenheit aufgezeichnet sind, haben etwas Zwingendes. Wer weiß schon genau welche Geheimnisse dort aufgeschrieben sind? Außerdem winkten dem Zuhälter der Zugriff auf die jungfräulichen Töchter der Wüstensöhne, dem bärtige Kaufmann das Monopol über den Getreidehandel bis tief in den Süden und dem hagere Schmuggelkönig die Zollhoheit über alle Wüstenrouten.

Das Glück blieb dem Gouverneur weiter treu. Als er den Erfolg der Gespräche, besser Erpressungen, am Abend mit Feldhauptmann Areksim und den drei Kaufleuten im Bordell feierten, trafen sie auf einen Bekannten, einen ihnen wohlbekannten Bekannten, sie trafen auf Udad, den Herrscher der Kapo.

Endlich wieder frei! Udad und seine Helfer feierten schon seit Tagen ihre geschenkte Freiheit im Bordell. „Endlich richtige Weiber und keine engen Jungenärsche!“, rief Udad dem Gouverneur übermütig zu, wohl wissend, dass auch der Gouverneur erpressbar war. Der hatte jedoch die richtige Antwort bereit, „Du und deine Freunde schulden dem Imperator mindestens noch 100 Jahre. Ich streiche dir und ihnen die Schuld, aber dafür hast du und deine Kapo das Privileg Unterführer in Areksims Expeditionskorps gegen die Wüstensöhne zu werden.“

Nach kurzem Überlegen, schlug Udad ein und in den nächsten zwei Wochen rekrutierten er und Helfer des Gouverneurs die erforderlichen Teilnehmer am Feldzug. Zugegeben, die zusammengewürfelte Truppe bestand nicht nur aus erfahrenen ehemaligen Soldaten, sondern auch aus entkommenen Sträflingen, einfältigen Bauernburschen und anderen jungen Männern, die sich vom Feldzug Abenteuer und Reichtum versprachen. Für die militärische Ausbildung der Söldnertruppe wurde nur eine Woche angesetzt, mit Drill am Tage und Bordellbesuch am Abend. Diese Art von Ausbildung war ganz nach dem Geschmack der Angeheuerten.

11 König Gaya's Hut

Zwei Tage nach dem Ausbruch aus dem Straflager überschritten KeYNamM, Ikken und ihre drei Freunde die Grenze zwischen Imperium und Grenzland. Die kurze Strecke durch das Bergland bis zum ersten Marktflecken des Grenzlands hatte viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als erwartet, da Amaynu meist getragen werden musste.

Während Amaynu, Ochuko und Idir in einem verlassenen Schuppen am Dorfrand Schutz suchten, schlichen sich KeYNamM und Ikken zum Soukh, der gerade geschlossen wurde. Gleich beim Eingang hörten sie eine unzufriedene Händlerin den Tag verfluchen, „Kein Geschäft, den ganzen Tag nicht! Kein einziges Hemd verkauft, nicht eins! Wenn das Geschäft morgen nicht besser läuft, kann ich gleich betteln gehen!“ Sie schnaufte empört und warf ein dickes Bündel Altkleider auf ihren Karren. Als KeYNamM näher trat und anfing, „Vielleicht ...“ schnauzte ihn die bucklige Alte empört an, „Sogar ihr Bauern kauft heutzutage nur neue Sachen, dabei sind meine gebrauchten so gut wie neu aber schon eingetragen und weich. Keines meiner Hemden scheuert eure Haut am Hals wund wie ein neues!“

KeYNamM versucht erneut mit ihr ins Geschäft zu kommen, diesmal aber mit, „Bestimmt kommen wir ins Geschäft, gute Frau. Ich brauch eines, das einem Kerl passt, einem Kerl wie eine Riese. Einem Kerl, der weiche Hemden liebt, einem, der gerade sein letztes Hemd an die Soldaten verspielt hat und jetzt Angst hat, dass ihn sein Weib verprügelt, wenn er heimkommt.“ Er schaute die bucklige Händlerin mit zerknirschter Miene an. „Welche Frau liebt es schon, wenn ihr Göttergatte nicht nur sein Geld, sondern auch sein Hemd verspielt hat!“

„Den würde ich auch verprügeln, so einen Nichtsnutz! Und du willst ihm helfen? Na dann los! Aber nur weil du es bist!“ Sie zog das Bündel Altkleider wieder vom Karren „Hier such selber, aber jedes Hemd kostet dich drei kleine Kristalle!“

Im Bündel fand KeYNamM fünf Hemden und alle verschieden groß. „Viel zu teuer, Alte. Ich nehm alle! Hier hast du zwei dicke und zwei kleine Kristalle, mehr zahl ich nicht. Nimm das Geld oder geh ohne nach Hause!“

KeYNamM hatte die Alte richtig eingeschätzt. Sie warf ihm die Hemden zu und begann dann Ikken von Kopf bis Fuß zu mustern. Plötzlich strahlte ihr Gesicht wie die Sonne, sie lächelte Ikken an ging zu ihrem Karren und kramte eine Weile fieberhaft zwischen den alten Kleidungsstücken. Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte, eine alte, hohe Kappe. Sie stellte sich freudestrahlend vor Ikken auf, „Ich weiß Knabe, du magst diesen alten, roten Tukumbut. Du wärst kein Junge, wenn du dir darin nicht wie der König Gaya selbst vorkommen würdest!“ Dann aber schwieg sie plötzlich. Sie richtete sich auf, ihr krummer Rücken wurde gerade und plötzlich überragte sie den größten Mann auf dem Markt um einen Kopf. Sie sprach laut, so dass es alle hören mussten, die noch auf dem Markt waren „Diesen Hut habe ich von meiner Urahne bekommen und die hatte ihn von ihrer Urahne und die wieder von ihrer. Dieser rote Tukumbut ist durch die Zeiten gewandert, von einer weisen Frau zur anderen. Ja, ich sage euch, diesen Hut hat König Gaya vor langer, langer Zeit einer weisen Frau mit den Worten geschenkt. 'Gibt meinen Hut dem, der die Macht hat, die Klans der Wüstensöhne zu vereinen, wie ich sie geeint habe. Du oder eine deiner Nachkommen werdet den zu Gesicht bekommen, der es ist, der zu meinem Nachfolger auserwählt ist. Bis er gefunden ist, werdet ihr und eure Nachkommen ruhelos über das Land irren, durch die Wüsten, die Flussebenen, die Berge. Erst wenn die Letzte von Euch den findet, dem dieser Hut gebührt, werdet ihr Frieden finden.'“ Erschöpft fiel ihr Körper plötzlich zusammen und sie war wieder die alte, bucklige Händlerin, aber ihre Augen strahlten wie die eines jungen Mädchens. Sie setzte Ikken den roten Tukumbut auf den Kopf, „Ich habe Glück, ich die kinderlose Ultafa habe ihn gefunden, den dem Gaya's Hut gebührt!“


Als Ikken zurück in den baufälligen Schuppen kam, zeigte er Amaynu, Ochuko und Idir den Hut und erzählte ihnen von der Begegnung. Weder der Schmuggler aus dem Süden, noch der Bauer aus dem Draatal und auch nicht KeYNamM hatten von dieser Weissagung jemals gehört. Nur Amaynu, der Goldschmied des Wüstenkönigs, erinnerte sich, dass seine Großmutter ihm als Kind von dem wundersamen Hut erzählt hatte. Aber sie hatte immer betont, dass noch nie jemand den Hut gesehen hat und er bestimmt schon zu Staub zerfallen sei. Er überlegte, ob er den anderen von der Sage erzählen sollte, beschloss jedoch es nicht zu tun, einmal, da er die Worte für eine der Geschichten hielt, wie sie Lagerfeuern oft erzählt werden, und zum anderen, weil er Ikken keine Flausen in den Kopf setzen wollte.

Die alten Kleider waren aber willkommen. Noch bevor Amaynu, Idir und Ochuko sich im baufälligen Unterstand am Stadtrand schlafen legten, schlüpften sie in die neuerworbenen Hemden. Amaynu war selbst das kleinste Hemd noch zu groß und an Ochuko spannte sogar das größte, nur Idir fand eines, das ihm genau passte. Aber das war nicht so wichtig, viel wichtiger war, dass sie die Hemden mit dem Zeichen des Imperators wegwerfen konnten. Und das taten sie. Sie schnürten ein Bündel daraus, beschwerten es mit Steinbrocken und versenkten es in der nächsten Jauchegrube.

Am nächsten Morgen ging Ochuko mit Ikken an der Hand in den Soukh, der dunkelhäutige Händler in seinem neuen alten Hemd und Ikken mit der hohen roten Kappe auf dem Kopf. Sie steuerten sofort auf den Teil des Soukhs zu, in dem Esel feilgeboten wurde. Ikken wurde bei dem durchdringenden Trompeten der Esel selbst ganz aufgeregt. Er kannte das vom Soukh in Tinghir. „Ochuko, die Hengste riechen, dass eine Eselstute brünstig ist und jeder will sie decken! Komm, das will ich sehen!“ Der dunkelhäutige Händler grinste, „Das ist noch nichts für dich, Kleiner!“ und schob ihm die Kappe über die Augen. Ikken schob sie wieder hoch, boxte Ochuko in die Seite und versuchte ihn dorthin zerren, wo ein großer, fast weißer, Eselhengst eine kleine Stute bedrängte. Ihr Besitzer schlug mit einem Knüppel auf das Tier ein. Der starrköpfige Hengst hatte sich jedoch im Mähnenkamm der Stute verbissen und ließ nicht los. Der Hengst gewann und ritt auf. Als Ikken und Ochuko endlich dort angekommen waren, stand die kleine Stute schon mit gespreizten Hinterbeinen und durchgedrückten Rücken da und spritze Harn in den Sand. Ikken war enttäuscht. Er schaute Ochuko vorwurfsvoll an, besonders da der Schwanz des Hengstes immer mehr schrumpfte bis er ganz in der Vorhaut verschwunden war. „Warum bist du auch so langsam!“

Ikken schmollte nur, aber der Bauer, dem die hübsche hellgraue Eselstute gehörte, war richtig empört, „Dieses Biest! Dieser Teufel hat Tadefi vergewaltigt. Meine süße Tadefi, mein liebstes Eselchen, mit der ich so viel Spaß hatte! Wer ersetzt mir jetzt den Schaden?“

„He Bauer, du heulst ja gerade, als wäre deine Tochter entjungfert worden!“, spottete Ochuko, „An wenn wolltest du die Süße denn verschachern? An die Soldaten des Imperators? Deine Tadefi ist zwar jetzt keine Jungfer mehr, aber wir wollen sie zum Reiten und nicht zum Rammeln!“ Als der Bauer ihn böse anblickte, grinste er nur „Ich biet dir die dafür.“ Dabei schüttelte er zwei große Kristalle aus seinem Beutel und hielt sie ihm hin. Das versöhnte den Mann und er schlug ein. Noch im Fortgehen schmollte er jedoch und schimpfte mit dem Besitzer des Hengstes, „Wenn ich deinen Teufelshengst erwische, dann kastriere ich ihn!“

Ochuko setze Ikken vor sich auf die unwillige Tadefi und versuchte sie mit Schmeicheleien zu überreden, den Weg zum Tor des Soukh einzuschlagen. Als sie starrköpfig stehenblieb, stieg er ab und begann sie am Strick vorwärts zu zerren. Ochuko wollte so schnell als möglich den Soukh verlassen, denn die Unruhe, die sich plötzlich unter den Händlern und Soukhbesuchern ausbreitete, machte ihn misstrauisch.

Der Grund waren Soldaten, die sich mit den Marktwächtern durch die Menge drängten. Während die Wächter Standgebühren bei den Händlern eintrieben, begannen die Soldaten Marktbesucher zu kontrollieren. Wer ihnen auffiel musste stehenbleiben und wurde gefilzt. Zu ihrem Ziel gehörte natürlich der lange Schwarze und Ikken mit seinem roten Tukumbut. „He Langer, dich haben wir noch nie hier gesehen! Du siehst aus wie ein entlaufener Verbrecher, schwarz, groß, fett! Ich glaub, der Imperator will dich wiedersehen!“

Beide erschraken. Ikken fasste sich schneller als Ochuko. Er richte sich kerzengerade auf, blickte den jungen Offizier von seinem Sitz auf dem Eselsrücken von Oben herab an und sage mit seiner hellen Jungenstimme: „Du wagst es den König Gaya aufzuhalten, ihn und seinen treuen Diener? Erkennst DU mich nicht an meinem königlichen Hut!“ Er deutete auf seine Kappe und fügte hinzu, „Ich lass dich gleich einen Kopf kürzer machen, Offizier! Lass uns durch!“

Die Soldaten, die sie umstanden, brachen in Gelächter aus und der junge Offizier fühlte sich gezwungen, mitzulachen. „Geh Deines Weges hoher Herr! König Gaya, Du kannst Deine Haremsfrauen doch nicht warten lassen!“ Mit diesen Worten griff er sich zwischen die Beine und gab ihnen den Weg frei.

KeYNamM, der nicht weit davon stand, hatte schon eingreifen wollen. Jetzt jedoch war er froh, dass der Zwischenfall so glimpflich ausgegangen war. Er beschloss sofort noch am Nachmittag ins Unland aufzubrechen.

Als sich die Marktbesucher und Händler am Nachmittag auf den Heimweg machten, mischten sich die fünf Reisenden unter die heimwärtsziehende Menge. Sie blieben aber nicht zusammen, sondern trennten sich in zwei Gruppen, um nicht aufzufallen. Sie hatten damit Recht, denn die Soldaten hielten an jeder Kreuzung und Abzweigung nach geflüchteten Strafgefangenen Ausschau. Amaynu auf dem Eselchen und Idir bildeten die eine, Ikken, der zwischen KeYNamM und Ochuko ging, die andere Gruppe. Sie gelangten unkontrolliert ins Unland und bogen nach Einbruch der Dunkelheit vom breiten Hauptweg ab, der entlang der Grenze zwischen Grenzland und Unland führte. Im Schein der Sterne schlugen sie einen schmalen, zugewachsenen Pfad ein, der geradewegs durchs Unland zum Draa führte.


Zuerst begrüßte sie Hundegebell, als nächstes beantwortete Tadefi, die junge Stute, aufgeregt das asthmatische Geröchel von Ennands Esel, endlich klang das freudige Jauchzen von Hiyya durch die Nacht, „Ikken, Ikken!“ Der antwortete „Hiyya! Hiyya, ich komme!“ Ihn hielt es nicht mehr bei den anderen. Im Dunkeln stolperte er den finsteren Hohlweg durch den Galeriewald herunter und traf auf Ennands älteste Tochter gerade als sie in den steil ansteigenden Weg einbogen. Die beiden fielen sich in die Arme. „Du warst so lang weg! Wir haben Angst gehabt um dich und KeYNamM! Ihr wart so lange weg und die Soldaten des Imperators sind fast täglich bei uns gewesen und haben nach euch gesucht!“

Ennand, der gerade kam, umarmte Ikken, „Die haben nicht euch gesucht! Keine Angst!“ Als er KeYNamM sah, ließ er den Jungen los und stürmte zu ihm „Mensch Bruder!“ Die beiden fielen sich in die Arme, „Mensch, Amestan!“ Er holte tief Luft, „Erst dachte ich, die suchen dich! Aber dann erzählten sie, dass die Strafgefangenen ausgebrochen sind, die Strafgefangenen der Kristallmine! Da war ich beruhigt. Kommt, Ayri und die Zwillinge warten und Aylal!“ Hiyya rief dazwischen, „Aylal geht es gut, aber er hat jeden Morgen und Abend nach euch gefragt! Ihr werdet staunen. In den paar Tagen ist er gewachsen wie Stangenbohnen im Frühling und dicker geworden. Er, Anirt und Amimt sind unzertrennlich!“ Als Hiyya Ikken am Arm nahm und in die Dunkelheit zog, rief Ennand ihm nach, „Ich bin froh, dass du wieder da bist Ikken, was glaubst du, was wir erdulden musste. Hiyya war unerträglich ohne dich!“

Erst jetzt bemerkte Ennand Amaynu, der auf den Esel ritt und Ochuko und Idir. „Deine Freunde?“, fragte er.

„Ja! Idir kennst du. Die anderen beiden sind Amaynu, der Goldschmied des Amenokals, und Ochuko, der Händler, der dir alles verschaffen kann, was es südlich und nördlich des Draa gibt!“ Dann machte er aber eine Pause, „Wir können aber nicht bleiben, weil uns die Soldaten des Imperiums suchen. Wir stehen auf ihrer Liste, die drei, weil sie aus dem Straflager entflohen sind und mich und Ikken, weil wir den Zaun des Straflagers niedergebrannt haben!“

Beim Nachtmahl, bei dem Aylal mit KeYNamM kuschelte und Hiyya Ikken's Hand nicht los ließ, wurde besprochen, was in den letzten Tagen Aufregendes geschehen war. Die wichtigste Information war, „Die suchen nicht nur überall nach den Geflohenen, nein, auf dem Markt wurde erzählt, dass der Imperator gestorben ist und Gouverneur Gwasila den Raub der Kristalle rächen will. Jetzt wirbt der Gouverneur im ganzen Land junge Männer an, um eine Expeditionsarmee aufzustellen, mit der er den Amenokal angreifen will.“

KeYNamM stöhnte enttäuscht auf. „Dann haben wir keine Stunde Zeit. Amaynu, Ochuko und Idir müssen in Sicherheit gebracht werden und dich Ennand und deine Familie, darf ich auch nicht gefährden. Wir brechen morgen in aller Früh auf.“ Dann wandte er sich an Aylal „Dich muss ich auch mitnehmen. Du und Ikken, ihr müsst mitkommen, hier ist es zu gefährlich, nicht nur für euch beide, sondern für Ennand und seine ganze Familie.“

„Du darfst Ikken nicht mitnehmen!“, protestierte Hiyya, „Bitte lass ihn hier. Bei uns ist er sicher. Bitte Ikken, du musst bei mir bleiben. Ich verteidige dich! Amestan wirklich, ich verteidige Ikken, ich schwöre es!“ Ihre Mutter versuchte sie zu trösten, aber sie heulte nur verzweifelt, rannte dann aus dem Haus und versteckte sich im Schuppen.

12 Feldzug ins Reich der Wüstensöhne

Noch am Abend des gleichen Tages bogen die Flüchtenden unter KeYNamM's Führung in den Pfad ein, der zur Quelle der Meryem führte. Die Sonne war am Untergehen, alle waren übermüdet, der Amestan selbst, Ochuko, der Schmuggler, Ikken und sogar Amaynu, der auf dem Esel saß und den eingenickten Aylal vor sich im Sattel festhielt. Dort wo die ersten Felsen des Gebirgsmassiv zwischen dichten Büschen aus dem Sand aufragten, tauchten plötzlich Gestalten in weiten Überkleidern lautlos wie Geister im Dämmerlicht auf. Weder KeYNamM noch einer der Anderen konnte auf ihr Auftauchen rechtzeitig reagieren.

Eine der Gestalten packte den Esel am Zügel, eine Z weite zerrte Amaynu vom Reittier und die Dritte bog ihm die Arme auf den Rücken und fesselte ihn. Andere stürzten auf KeYNamM und Ochuko und warfen sie zu Boden. Als einer Ikken packen wollte, hechtete der vorwärts. Er wollte zwischen den Beinen des Geistes durchtauchen, verfing sich jedoch in dem langem Überkleid des Mannes und landete mit dem Kopf voraus im Sand.

Der Anführer der Gruppe klappte eine Blendlaterne auf und leuchtete Amaynu ins Gesicht, den er für den Anführer hielt. Da schrie der Mann, der den Goldschmied festhielt, überrascht auf, „Bruder, Bruder, Amaynu, mein Bruder!“ und begann Amaynu zu herzen und zu küssen. „Amaynu mein Bruder, Amaynu mein lieber großer Bruder!“, rief er ein ums andere Mal. „Ich bin es, Wiwul dein Kleiner, dein kleiner Bruder! Wie hab ich dich vermisst, alle haben dich vermisst, Mutter und Vater, deine Schwestern und Brüder! Alle haben dich vermisst!“

Amaynu brauchte einen Augenblick um sich zu fangen. „Endlich, Wiwul, endlich sehe ich dich wieder!“ Dann drehte er sich zum Anführer, „Lass die beiden sofort los. Das ist KeYNamM, der Amestan, der König vom Unland, und mein Freund Ochuko, und der ...“, er deutete auf Ikken, den einer der Wüstensöhne in den Sand drückte, „… das ist der Sohn König Gaya's, sein Nachfolger. Lass ihn los oder willst du deinen Herrscher erzürnen!“ Nun suchten des Goldschmieds Augen nach Aylal. Der jedoch hatte das Durcheinander genutzt und war in der Dunkelheit verschwunden. „Wo ist Aylal?“, rief er aufgeregt. „KeYNamM, Aylal ist verschwunden! Er wird sich im Dunkeln verirren!“

Inzwischen hatte der Anführer der Grenzpatrouille KeYNamM aufgeholfen. Er verbeugte sich förmlich vor dem König vom Unland, „Verzeiht hoher Herr, Freund unseres Anführers Tarit! Ich wurde ausgesandt, um den Pfad zu Meryems Quelle zu bewachen und Euch zu begrüßen! Ich bin vom Herzen betrübt, dass ich Euch so empfangen habe! Könnt Ihr mir verzeihen! Ich bitte Euch demütig!“ Der Amestan hörte aber nicht zu, er sorgte sich um Aylal! „Später, später! Wir müssen Aylal finden.“ Dann rief er in die Nacht, „ Aylal, Aylal, wo bist du mein Sohn! Vögelchen wo bist du? Das sind Freunde! Keine Angst!“ Sie brauchten nicht lange zu warten, bis Aylal aus dem Dunkeln auftauchte, auf KeYNamM zustürzte und fürs Erste nicht mehr von dessen Seite wich.

Der Anführer der Patrouille stieß einen lauten Pfiff aus und alsbald kam ein weiterer Mann mit Pferden aus dem Dunkel. Der Jüngste der Wüstenreiter brachte die müden Reiter zur Quelle, während sich der Anführer mit den Grenzposten wieder versteckte um ungebetene Reisende abzufangen, die zur Quelle der Meryem wollten.


Am nächsten Morgen wurde KeYNamM durch eine sanfte Berührung aufgeweckt. Noch halb im Schlaf öffnete er die Augen und blickte in ein Paar dunkler Augen, „Tarit! Bruder! Tarit!“, rief er glücklich, sprang auf und die beiden Männer umarmten sich.

Tarit war glücklich. Endlich, endlich sah er seinen KeYNamM wieder. Das erste was er stolz sagte, war, „Das halbe Imperium erzählt sich von dem Brand im Straflager und dem Ausbruch der Gefangenen! Keiner kann sich erklären, wie der entstanden ist“, lachte er. „Und die andere Hälfte des Imperiums erzählt sich schadenfroh von dem Überfall auf den Kristalltransport! Weißt du noch was mir unsere Spione erzählen?“ Er wartete bis KeYNamM sich ungeduldig räusperte, „Das wird dich freuen Bruder! Der Gouverneur wollte zum Imperator in die Hauptstadt, sich zu rechtfertigen! Aber der verstarb plötzlich! Die Menschen sagen, zwei schwarze Bestien haben ihm den Garaus gemacht! Gouverneur Gwasila ist jetzt verzweifelt! Er ist so verzweifelt, dass er jetzt plant, eine Strafexpedition gegen uns Wüstensöhne auf eigene Faust zu unternehmen. Er will nicht warteten bis der alte Imperator begraben und der neue Imperator inthronisiert ist. Er will sein Versagen gutmachen und den neuen Imperator damit überraschen, dass er die Wüstensöhne unterwirft und die Kristalle zurückholt.“

„Ennand hat mir schon erzählt, dass der Gouverneur Soldaten anheuert! Deswegen bin ich ja auch hier und nicht nur wegen deiner schönen Augen!“, lachte KeYNamM und boxte Tarit vergnügt in die Seite. „Aber sag, ist der Imperator wirklich gestorben? Wer wird sein Nachfolger? Vielleicht einer, dem etwas am Frieden zwischen uns vom Draa und dem Imperium liegt und zwischen dem Imperium und den Wüstensöhnen?“

„Wir können nicht warten, dass sich deine Hoffnung erfüllt, nein! Der Amenokal hat sofort alle Klans unterrichtet und glaub mir, keiner der Klans hat Sehnsucht Untertan des Imperators zu werden!“ Tarit zögerte einen Augenblick, „Und du König vom Unland, wo stehst du? Hilfst du mir die Truppe des Gouverneurs würdig zu empfangen?“

„Warum fragst du? Darum bin ich doch auch hier! Ich habe zwar keine Truppen, aber Ikken und Aylal wiegen ein ganzes Heer auf!“

„Jetzt übertreibst du!“ Dann zögerte Tarit, „Ikken akzeptiert ich als Unterstützung. Schließlich wird inzwischen in allen Zelten erzählt, dass dein Sohn einmal ein großer Führer wird!“, dabei glitt sein Blick hinüber zu Ikken, der noch friedlich schlief. „Für Aylal habe ich jedoch eine andere Aufgabe, eine, die besser zu seinem Alter passt! Er soll Tamimt bewachen, meine jungfräuliche Tamimt.“


Seit seiner Ernennung zum Befehlshaber des Expeditionskorps hatte Areksim, der alte Luchs, versucht, alles was mit dem Feldzug zusammenhing, vor den Spionen des Imperators, vor den Informanten der Wüstensöhne und vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten. Das war nicht einfach gewesen und wäre ohne Udad und seine eingespielte Kapo nicht gelungen. Trotzdem hatte die Anwerbung der Söldner, das Zusammenkaufen der Ausrüstung, der Reit- und Transporttiere mehr Aufsehen erregt, als gut war. Zwar drang das Ziel des Feldzuges nicht an die Öffentlichkeit, aber jeder der Zwei und Zwei zusammenzählen konnte, ging davon aus, dass die geraubten Kristalle wiederbeschafft werden und dass vor allem der Unbekannte oder die Unbekannten, die den Gefangenen des Straflagers die Flucht verholfen hatten, gefangen und bestraft werden sollten. In den Kneipen war man sich sicher, dass die Wüstensöhne den Raub begannen hatten. Aber wer hatte die Gefangenen befreit? Der Feldzug würde sich also auf jeden Fall gegen den Amenokal und die Wüstensöhne richten. Niemand jedoch rechnete damit, dass er so schnell beginnen würde. Auf einen raschen Beginn wies nur die Tatsache hin, dass die als Söldner angeworbenen Teilnehmer urplötzlich von der Bildfläche verschwanden.

Als Ausbildungszentrum hatte Areksim bewusst eine abgelegene, verlassene Wohnburg, ein Tighremt, nicht weit entfernt von Tinghir gewählt. Jetzt saß er auf seinem Rappen vor dem Tor der baufälligen Festung und kontrollierte den Auszug seiner Truppe. Udad, der flüchtige Kapo des Straflagers, jetzt sein erster Adjutant und Leutnant, ritt mit zwei seiner Vertrauten aufgeregt an der Kolonne auf und ab und versuchte mit Schimpfen und Schlägen Ordnung in die Formation zu bringen.

Immer zwölf Männer bildeten eine Kampfgruppe. Die Männer der ersten beiden Gruppen, alles alt gediente Söldner, hielten die vorgeschriebene Reitordnung exakt ein. Sie trugen ihre Waffen, einen kurzen Bogen, Pfeile und Lanze, vorschriftsmäßig und hatten die Tasche mit der übrigen Ausrüstung fest am Sattel befestigt. Den vollen Wassersack sowie einen Vorrat an Futter hatten sie über die Kruppe ihres Reittiers gelegt.

Schon die dritte Zwölfergruppe, zusammengestellt aus erfahrenen Söldner und geflüchteten Strafgefangenen, forderte die Kritik des Befehlshabers heraus. Wütend befahl er Udad die Gruppe zur Ordnung zu rufen. Beim Anblick der anderen fünf Zwölfergruppen, alles frisch Angeheuerte, richtete Areksim die Augen verzweifelt zum Himmel. Die kurze Ausbildungsdauer hatte die jungen Männer aus der Stadt und dem Umland nicht in Soldaten verwandeln können. Alle konnte zwar einigermaßen gut reiten, trotzdem saßen die meisten von ihnen recht unsoldatisch im Sattel, hielten die Lanze wie eine Heugabel, trugen den Köcher mit dem Bogen und den Pfeilen viel zu weit unten auf dem Rücken und hatten sowohl den Futtersack als auch den Wassersack nur schlampig auf der Pferdekruppe befestigt.

Areksim war wütend und enttäuscht gleichzeitig. Wütend war er auf sich selbst, weil er sich das Kommando über eine Truppe hatte aufdrängen lassen, die fast vollständig aus Anfängern bestand. Enttäuscht war er, dass es ihm nicht gelungen war, ihren Ausbildungsstandard in der kurzen Zeit so zu verbessern, dass sie kampffähig wären. Ihm war klar, dass der Feldzug in einem Chaos enden würde, wenn es allein nach dem Ausbildungsstand seiner Truppe ging. Es bräuchte ein Wunder, wenn er mit dieser Truppe einen Krieg gegen die Wüstensöhne gewinnen wollte und Areksim glaubte nicht an Wunder. Er hatte den Gouverneur auf Knien gebeten von dem Vorhaben abzulassen, konnte ihn aber nicht überzeugen. Der hatte nur geflucht und angedroht ihm ins Straflager zu stecken, wenn er nicht gehorchte. Ein Lichtblick war die Versorgungsgruppe. Diese Männer hatten samt und sonder schon in seinen früheren Feldzügen gedient und waren zuverlässig.

Areksims Truppe verließ das alte Fort im schnellen Trab und überschritt bald die Grenze zum Grenzland. Das Expeditionskorps hetzte vorwärts, denn Areksim hatte angeordnet, dass es noch vor Einbruch der Nacht den Rastplatz am Draa erreichen musste. Der Aufbruch von diesem Rastplatz war für die frühen Morgenstunden geplant, damit das erste Ziel in der Wüste, die Quelle der Meryem, noch bei Tageslicht erreicht werden konnte. Der Vormarsch im Feindesland musste unauffällig und sehr schnell erfolgen, denn der alte Luchs Areksim wusste, dass seine unerfahrene Truppe nur mit einem Überraschungsangriff die Wüstensöhne besiegen und die befestigte Kasbah des Amenokal einnehmen konnte.


Sobald Tarit durch seine Spione von den Angriffsplänen des Gouverneurs erfahren hatte, unterrichtete er den Amenokal und die Oberhäupter der Ksars, der befestigten Dörfer, in Grenznähe. Er hatte keine Mühe, seine Truppe aus kampferfahrenen Grenzern mit mutigen Freiwilligen zu ergänzen. Zwar war seine Truppe immer noch weit schwächer als das Expeditionskorps des Gouverneurs, aber ihr Vorteil war, dass alle Männer ortskundig, an Strapazen gewöhnt und genügsam waren. Seine Truppe war daher für einen Kampf in der Wüste weit besser geeignet, als eine Söldnertruppe aus vorwiegend unerfahrenen Neulingen. Ein weiterer Pluspunkt war, dass seine Männer ihre Heimat, ihre Familien, ihre Lebensweise bis zur Erschöpfung verteidigen würden und nicht wie die Söldner des Gouverneurs allein für Geld kämpfen würden.

Tarit, der die Wüste von Jugend auf kannte, hatte sich für die Stechmückenstrategie entschieden: unverhofft zustechen, dem Gegner Schaden zufügen und abschwirren, noch bevor das Opfer zurückschlagen konnte. Zu diesem Zweck hatte er seine Gruppe aufgeteilt. Mit seiner Hälfte versteckte er sich auf dem Plateau oberhalb der Quelle der Meryem, die andere Hälfte schickte er schon am frühen Abend auf die andere Seite des Wadi, wo sie auf dem gegenüberliegenden Plateau auf seinen Einsatzbefehl warten sollten. Diese Gruppe führte Yufayyur, der Bruder seiner drei Frauen, und Lieblingsschwager. Yufayyur war für einen Sechzehnjährigen nicht nur außerordentlich klug und mutig, sondern auch so schön, dass er den Namen Yufayyur „Schöner als der Mond“ mit Recht trug.

13 Angriff an Meryems Quelle

Tarit, KeYNamM und Ikken lagen am Rand der Klippe oberhalb der Quelle der Meryem und beobachteten was im Lager im Talgrund vor sich ging. Ikken war aufgeregt. Er wollte wissen, wie viele Männer dem Expeditionskorps angehörten. Da keiner der Späher genaue Angaben über dessen Größe hatte machen können, versuchte Ikken Areksims Söldner zu zählen. Das war in der grauen Dämmerung nicht einfach. Die Söldner des Imperiums lagen in Gruppen um die niedergebrannten Feuer, die Füße zur verlöschenden Glut gerichtet. Jeweils zwölf lagen um eine Feuerstelle. Da er fünf Feuerstellen zählte, sollten es 60 Soldaten sein. Die Späher hatten aber von acht Dutzend Reitern gesprochen, außerdem von fünf Männern, die die Versorgungsgruppe angehörten. Das waren nach seiner Rechnung 101 Männer. Außerdem waren da noch der Feldhauptmann Areksim, der Anführer der Strafexpedition, sein Adjutant Udad und dessen vier Helfer.

Ikken rechnete nach. Schreiben konnte er fast nicht, nur seinen Namen und den krakelig. Aber rechnen konnte er gut. Das hatte ihm seine alte halbblinde Muhme schon als kleinem Jungen beigebracht! Immer wenn er beim Rechnen einen Fehler gemacht hatte, zog sie ihn am Ohr und zeterte, „Wie willst du im Soukh dein Geld verdienen, wenn du nicht rechnen kannst! Streng dich an!“ Es gehörten also nicht 60, nicht 101 sondern 106 Männer dem Expeditionskorps an. 60 konnte er sehen, aber wo waren die anderen?

Der Feldhauptmann Areksim, Udad und die Unteradjutanten hatten wahrscheinlich ihr Nachtlager vor oder sogar in der kühlen Höhle der Quelle der Meryem aufgeschlagen. Vielleicht lagerte dort oder unmittelbar vor der Höhle auch der Rest der Truppe mit Ausnahme der Versorgungsgruppe. Diese rastete mit ihren Mauleseln weiter unten am Bach. Dort, in einer provisorischen Koppel, waren auch die Pferde und der Nachtwind wehte ihren Geruch zu ihnen herauf. Die Frage war nur, wie viel Soldaten bewachten die Tiere, ein Dutzend oder weniger? Wahrscheinlich weniger. Tarits Truppe umfasste aber nur seine zwölf Grenzwächter, zwölf Freiwillige aus dem Klan Yufayyurs, Tarit selbst, KeYNamM und ihn, Ikken, also 26 Männer und einen Vierzehnjährigen. Wie sollten die wenigen mit fast der vierfachen Anzahl Gegner fertig werden?

Tarits Flüstern störte ihn plötzlich in seinen Überlegungen. „Ich hole jetzt die anderen. Ihr beide wartet hier und wenn etwas Besonderes eintritt, dann ruft wie Wüstenlerchen.“ Tarit verschwand im Dunkel und Ikken kuschelte sich eng an KeYNamM, denn er zitterte in der kalten Wüstennacht vor Aufregung, weniger vor Kälte als vor Anspannung.

Endlich hörten sie leichte Schritte und Tarit tauchte mit sechs seiner Männer im Dunkeln auf. Zuerst wunderte sich Ikken, dass Tarit nur so wenige mitbrachte. Dann jedoch erinnerte er sich, dass die anderen sechs die Tiere auf der Koppel in Panik versetzen sollten. Sie würden daher weiter unten auf der Klippe oberhalb der Koppel Aufstellung nehmen.

Die weiten Übergewänder und die flatternden Kopfschleier ließen die kleinen, schlanken Männer gegen den grauen Nachthimmel noch größer und furchteinflößender erscheinen als bei Tageslicht. Tarit blieb kurz vor dem Rand der Klippe stehen, klappte die Abschirmung seiner Blendlaterne hoch und begann diese über den Kopf zu schwenken. Als von der gegenüberliegenden Seite das Lichtzeichen nicht sofort erwidert wurde, rief er dreimal wie ein Wüstenkäuzchen. Sogleich wurde sein Ruf von der anderen Seite erwidert und kurze Zeit später kreiste auch dort das Licht einer Laterne im Nachthimmel und bestätigte die Bereitschaft von Yufayyur Gruppe zum Angriff.

KeYNamM war inzwischen zu Tarit und seinen Männern zurückgerobbt und setzte, wie sie, den Bastknäuel am Vorderende des Pfeils in Brand, der mit Steinöl und Harz getränkt war. Auf ein leises Kommando hin schlossen acht Brandpfeile wie Kometen durch den dunklen Nachthimmel und schlugen mit einem Funkenregen im Talgrund dort ein, wo die Soldaten ihr Schlaflager aufgeschlagen hatten. Ein Hagel von Brandpfeilen, abgeschossen von den Männern auf der Klippe gegenüber, folgte nur Momente später.

Ikken konnte nicht erkennen, ob einer der schlafenden Söldner getroffen worden war oder die Brandpfeile zwischen ihnen eingeschlagen waren ohne jemanden zu verletzen. Die feurigen Boten riefen jedoch die beabsichtigte Wirkung hervor. Kleine Feuer loderten auf wo Ausrüstungsgegenstände oder Decken getroffen worden waren; Überraschungsschreie halten durch den Talgrund; aufgescheuchte Soldaten versuchten sich in Deckung zu bringen; unverständliche Kommandos ertönten.

Das war aber nicht alles. Als die sechs Wüstensöhne, die auf der Klippe oberhalb der Pferdekoppel auf den Beginn des Angriffs gewartet hatten, die Pfeile wie Kometen durch die Nacht zischen sahen, entzündeten auch sie ihre Brandpfeile und schickten sie in hohem Bogen ins Tal zu den ruhenden Tieren. Die brennenden Pfeile erschreckten die Pferde weit mehr als ihre Wächter. Aufgeschreckt begannen sie zu wiehern, stiegen hoch, stießen zusammen, überrannten nicht nur einander, sondern auch die wenigen Wachposten. Diese versuchten sie zu beruhigen, jedoch vergebens. Bald durchbrachen die ersten Pferde die leichte Umzäunung der Koppel, andere folgten und es gab kein Halten mehr. Die gesamte Herde drängte aus der Koppel und flüchtete ins Dunkel. Ein weiterer Pfeilhagel vergrößerte das eingetretene Chaos weiter.


Nach Beginn des unerwarteten Überfalls hatten sich die Söldner des Gouverneurs auf Befehl des Feldhauptmann Areksim im Schutz der leicht überhängenden Klippe vor der Quelle versammelt. Hier konnten sie von Pfeilen der Gruppe um Tarit nicht erreicht werden. Was sie jedoch übersahen war, dass sie jetzt immer noch ein exzellentes Ziel für Yufayyurs Männer auf der gegenüberliegenden Klippe bildeten. Diese begannen jetzt nicht nur mit Brandpfeilen zu schießen, sondern setzen auch Kriegspfeile ein, deren widerhakenbewehrte Spitzen schmerzhafte Wunden bei den Söldnern verursachten. Da die Angreifer auf den Klippen beiderseits des Wadi vom Talgrund nicht gesehen werden konnten, sah Areksim sofort ein, dass ein Gegenangriff mit Pfeilen nur Vergeudung von Material war. Er beschloss daher die Wüstensöhne zu Fuß angreifen zu lassen. Einer Gruppe schwer bewaffneter Männer befahl er daher den steilen Pfad zur Spitze der Klippe oberhalb der Quelle einzuschlagen und den Feind direkt anzugreifen. Eine andere Söldnergruppe sollte die Wüstenkrieger auf der gegenüberliegenden Klippe angreifen. Da es keinen direkten Weg zum Standort dieser Angreifern gab, musste der Söldnertrupp einen weiten Umweg nehmen.


Ikken wurde unruhig, als er bemerkte, dass die Söldner des Gouverneurs den steilen Pfad hinauf zu seinem Aussichtsplatz auf der Klippe stiegen. Er sprang auf, rannte zu Tarit und zog ihn zum Rand der Klippe, „Tarit, Tarit schau dort!“ Aufgeregt deutete er auf die im Halbdunkel heranschleichenden Söldner. „Keine Angst, Ikken! Glaubst du wir haben nicht mit diesem Gegenangriff gerechnet!“ Er drückte Ikken ein dickes Seilende in die Hand, „Hier, nimm das Seilende. Wenn du daran ziehst, löst du einen Steinschlag aus.“ Als Ikken sofort wild am Seil zu ziehen begann, bremste Tarit seinen Eifer, „Langsam, langsam, du darfst erst am Seil ziehen, wenn unsere Gegner die Hälfte des Anstiegs geschafft haben!“ Beide warteten gespannt, dann befahl Tarit, „Jetzt!“ Mit einem Ruck löste sich die am Tag zuvor aufgeschichtete Steinbank oberhalb des Pfades. Große und kleine Steine begannen zu Tal zu poltern, teils den steilen Pfades selbst entlang, teils direkt den Abhang hinunter zum Talgrund.

Die Spitze der Angreifer wurde von den Steinbrocken überrascht, die plötzlich den Berg heruntergeschossen kamen. Sie konnte nicht schnell genug reagieren und wurden wie Puppen vom Pfad gekegelt. Die Söldner, die hinter ihnen kamen, hatten mehr Glück und konnten mit blutigen Köpfen den Rückzug antreten. Durch den Steinschlag wurden weitere Steinbrocken aus der Steilwand gerissen. Der Steinschlag schwoll rasch zu einer Gerölllawine an, die auf die Soldaten niederprasselte, die sich am Fuß der Steilwand versammelt hatten. Viele wurden getroffen und trugen schmerzhafte Schrammen oder blutende Wunden davon.

Die Verwirrung, die durch die unerwartete Steinlawine hervorgerufen wurde, stieg weiter an, als plötzlich ein Trupp scheuender Pferde den Wadi hochgaloppiert kam und sich einen Weg durch die durcheinanderrennenden Söldner bahnte. Erst auf Befehl des Hauptmanns suchten die Söldner in kleinen Gruppen Deckung hinter Steinblöcken am Fuß der Steilwand, um den Steinhagel und den Pfeilen der Imuhagh kein Ziel zu bieten. Bis zum Tagesanbruch erfolgte jedoch kein weiterer Angriff. Die Männer Areksims verließen ihre Deckung erst, als der Trupp, der das Gebiet oberhalb des gegenüberliegenden Steilhangs nach Wüstensöhnen absuchte, erschöpft aber unverrichteter Dinge zurückkehrte.

Ikken war überdreht. Der Überfall auf das Expeditionskorps des Gouverneurs hatte sein Herz rasen lassen, der Kometenschauer der Brandpfeile, die auf die schlafenden Söldner niedergingen; das Wiehern der verstörten Pferde, die alles überrannten, was sich ihnen in den Weg stellte; das Gepolter der Gerölllawine, die die Angreifer vom Pfad kegelte, das alles machte, dass er am ganzen Körper zitterte. Jetzt hielt ihn nur die Anspannung des Kampfes auf den Beinen.

Tarit und KeYNamM waren mit dem Ergebnis des Überfalls zufrieden, obwohl sie weder wussten wie viele der Söldner verletzt oder gar getötet, noch wie viele Pferde entkommen waren, noch wie hoch der Verlust Areksims Truppe an Material war. Beide waren aber sicher, dass sie einen Teilsieg errungen hatten und das Expeditionskorps geschwächt worden war. Die Späher, die die Feinde ständig beobachteten, würden bald über den Erfolg des Überfalls Auskunft geben können.


Tarit, KeYNamM und Ikken waren mit ihrer kleinen Truppe zur nächsten Wasserstelle wadiaufwärts unterwegs. Sie wurden nur noch von neun Männern begleitet, da die drei erfahrensten Grenzer den Auftrage erhalten hatten, jeden Boten Areksims abzufangen, der den Gouverneur vom Fortgang der Strafexpedition unterrichten sollte. An der Wasserstelle, dem Siebenziegenbrunnen, wollten sie mit Yufayyurs Gruppe zusammentreffen, wodurch sich die Kampfkraft Tarits Truppe mehr als verdoppeln würde.

„Warum nennt ihr die Wasserstelle 'Siebenziegenbrunnen'?“, wollte KeYNamM von Tarit wissen, der neben ihm ritt. „Weil sein Wasser in der heißen Jahreszeit gerade ausreicht, den Durst von sieben Ziegen zu stillen. Sein Wasser wird zwar ausreichen, um unsere Wasservorräte zu ergänzen und unsere Pferde zu erfrischen, aber es reicht keinesfalls für eine so große Truppe, wie das Expeditionskorps des Gouverneurs.“ Dann begann Tarit zu kichern, „Wenn Areksim meint, dass sich seine Leute an der nächsten Wasserstelle, dem 'See des fauligen Wassers', mit dem kostbaren Nass versorgen können, dann irrt er. Das Wasser dort schmeckt zwar gar nicht so schlecht, aber wer es trinkt, der muss sich bald darauf übergeben und beginnt sich die Hose vollzumachen. Der Körper verliert dabei Wasser, immer mehr Wasser und anstatt dass dieses Wasser dir den Durst still, steigert es ihn!“ „Die Söldner müssen also alles Wasser mit sich führen, Wasser für sich und ihre Reittiere.“

KeYNamM schaute sich um, „Haben wir eigentlich vorgesorgt? Mein Wasserschlauch hier ist ziemlich leer.“ „Wir haben volle Wasserbehälter abseits der Route versteckt, außerdem gibt es Quellen, die nur Eingeweihten bekannt sind. Die Truppe des Gouverneurs muss aber zwei Tage reiten, bevor sie bei der Oase Mhamit auf ausreichend Wasser stößt. Von dort dauert es noch einen Tag, bis sie die Ksar der Jinns erreichen, wo der Weg zur Kasbah des Amenokal abbiegt.

Gegen Mittag traf Tarits Gruppe am Siebenziegenbrunnen ein. Dort wartete Yufayyur mit seinen Männern schon auf sie. Die Gruppe lagerte im kargen Schatten einer Felswand. Die aufregenden Geschichten über seinen jungen Schwager, mit denen Tarit während des anstrengenden Ritts Ikken wachzuhalten versuchte, hatten ihn neugierig gemacht. Jetzt versuchte er zu erraten, welche der dort liegenden Gestalten in den grauen Übergewändern und den Gesichtsschleiern Yufayyur war. Das wurde ihm sofort klar, als sich einer von ihnen erhob und sie mit einer Verbeugung einlud, den schattigen Platz mit ihnen zu teilen. Noch mehr staunte er, als dieser weder Tarit noch KeYNamM als erste begrüßte, sondern vor ihn hintrat, „Junge mit dem roten Hut der Königs Gaya, sei gegrüßt! Deine Tat hat sich bis zu uns herumgesprochen. Ich soll dir im Namen meiner drei Schwestern danken, dass du und dein Bruder das Entkommen des Amestan ermöglicht habt! Sei willkommen im Reich der Wüstensöhne!“ Dann, ohne im Mindesten schüchtern zu sein, küsste er Ikken auf beide Wangen und fuhr fort, „Ich darf dich doch Bruder nennen Ikken, Nachfolger Gaya's! Ich weiß, dass wir Brüder sind!“

Ikken erstaunte die wohlgesetzte Begrüßung. War das Yufayyur? Er sprach wie ein Gebildeter, einer der am Hofe eines Königs groß worden war, und nicht wie einer, der zwischen Zelten in der Wüste aufgewachsen war. Ikken brauchte einen Augenblick, dann erwiderte er die Begrüßung, „Du bist Yufayyur, Tarits Schwager, richtig? Deine Begrüßung ehrt mich. Aber ich habe sie nicht verdient, ich bin nur ein einfacher Junge und den Hut des Königs hat mir eine alte Händlerin geschenkt.“ Dann fügte er hinzu, „Ich habe nichts Außerordentliches geleistet. Ich musste KeYNamM helfen. Ich konnte nicht zulassen, dass der Gouverneur noch einen Unschuldigen ermordet!“ Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und gab Yufayyur die Küsse zurück.

Yufayyur lächelte wurde dann jedoch ernst. Er verbeugte sich noch einmal tief von Ikken, „Vaterloser! Auch ich war ein Vaterloser und habe meinen zweiten Vater in Tarit gefunden, wie du in KeYNamM. Lass uns Brüder sein, wie unsere beiden neuen Väter Brüder sind.“


Jetzt, am frühen Abend, dösten die Pferde von Tarits Männer mit hängenden Köpfen im längerwerdenden Schatten des Felshangs westlich des Brunnens. Die Imuhagh hatten ihnen Decken übergehängt, damit die heiße Luft den kühlenden Schweiß nicht so schnell wegtragen konnte. Die Männer lagen in ihren weiten Übergewändern gehüllt, den Gesichtsschleier über den Kopf gezogen, so nah als möglich an der schattigen Felswand, die jetzt die gespeicherte Hitze abgab. Alle waren durstig, doch warteten geduldig, dass Tarit den Befehl zum Trinken geben würde.

Ikken, der nur ein kurzes Hemd und seine rote Kappe, aber weder ein weites Übergewand, das Tekamist, noch einen Gesichtsschleier, den Tugulmust, wie sein neuer Freund Yufayyur, trug, lag eng an diesen gedrückt unter einer dicken Kamelhaardecke. Erschöpft von der Anstrengung der vergangenen Nacht und des langen Ritts am Morgen schliefen beide fest, obwohl ihnen der Schweiß in Strömen über die Gesichter rannte.

Yufayyur hatte einen wunderschönen Traum. Doch als er neben dem verschwitzten Ikken aufwachte, konnte er sich nicht mehr erinnern, warum der Traum so schön war. Aber er hatte etwas mit Ikken zu tun, dessen frischer Körpergeruch ihm in die Nase stieg. Auch Ikken erwachte plötzlich, versuchte sich aus Yufayyurs Umarmung zu befreien, drehte dann aber nur den Kopf und rieb seine Nase an seines neuen Freundes Wange und kicherte glücklich.

Was beide aufgeweckt hatte, war das flinke Getrampel der Hufe eines sich nähernden Pferdes. Ikken schlug die Decke zurück und erkannte im Licht des Spätnachmittags einen der Späher, den Tarit bei der Quelle der Meryem zurückgelassen hatte.

„Sie werden nicht vor Anbruch der Nacht hier eintreffen, Areksims Männer!“ rief er schon von Weiten, „Ihre Pferde sind müde. Viele müssen zwei Männer tragen, da mehr als ein Drittel der Tiere in der Wüste verschwunden sind.“

„Und die Männer, sind es noch alle? Wie viele sind verletzt?“, fragte Tarit zurück, „Wie viele haben wir getötet?“

„Ich habe keine Toten gesehen, aber Areksim hat etwa ein Dutzend Verletzte an Meryems Quelle zurücklassen müssen. Seine Truppe ist also zusammengeschmolzen.“ Dann blickte er fragend zu Tarit, als wenn er sich nicht traute, seinem Feldherrn seine eigene Meinung mitzuteilen, „An Areksims Stelle hätte ich den Kriegszug nicht fortgesetzt. Weiß er denn nicht, dass das Wasser hier nicht einmal für seine Soldaten reicht, geschweige denn für die Pferde!“

„Du hast recht, Späher! Bevor wir weiterreiten, werden wir den letzten Tropfen Wasser aus dem Brunnenschacht holen! Die sollen sehen, dass sie hier nicht willkommen sind.“ Dann drehte Tarit sich zu seinen Männern um, „Trinkt euch satt, füllt die Wasserschläuche auf, dann tränkt die Pferde! Areksims Truppen dürfen hier keinen Tropfen Wasser finden. Wir reiten sofort weiter, zum 'See des fauligen Wassers'.“

Als Tarit seine Truppen zum Abmarsch sammelte, ritt Yufayyur dicht an ihn heran, „Lass mich und Ikken zurückbleiben, wir sind so gut wie jeder deiner Späher. Ich verspreche dir auf Ikken gut aufzupassen!“ Dabei hielt er seine Hand zum Schwur hoch. „Du kannst sicher sein. Wir werden nichts unternehmen, was uns gefährdet!“ Tarit runzelte die Stirn und sah dann zu KeYNamM hinüber, der gerade sein Pferd sattelte und mit Ikken argumentierte. „Habt ihr das unter der Decke ausgeheckt?“ Dann blinzelte er seinem jungen Schwager zu, „Wollt ihr alleine sein? Willst du mit Ikken allein sein? Mir ist gleich aufgefallen, wie du ihn ansahst, als du ihn erstmals angesprochen hast und Ikken schaute dich auch ganz interessiert an.“ Yufayyur wurde rot und versuchte seine Verlegenheit zu verbergen, indem er sein Gesicht mit dem Schleier verdeckte. „Wenn KeYNamM einverstanden ist, könnt ihr die ganze Nacht zusammenbleiben, aber haltet von Areksim und seinen Truppen genügend Abstand. Verliebte haben schon oft vergessen, wie nahe die Gefahr ist.“

KeYNamM gab Ikken einen Klaps, stieg auf sein Pferd, „Ich lass dich ungern mit Yufayyur allein zurück! Aber du scheinst darauf zu brennen, mit dem Wüstensohn alleinbleiben zu dürfen und ich dachte, Hiyya hat dir den Kopf verdreht!“ Ikken's Gesicht war plötzlich so rot wie seine Kappe. Er senkte den Blick, „Hiyya und ich sind nur Freunde, auch wenn sie mehr sein möchte! Du erlaubst es also?“ Dann stellte er sich auf die Zehenspitzen und gab dem Amestan eine Kuss auf die Wange, „Danke KeYNamM-baba, du bist der Beste!“

Lesemodus deaktivieren (?)