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Quartett
Teil 59 - Neustart
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Informationen
- Story: Quartett
- Autor: ratte-rizzo
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Science Fiction, Fantasy und Mystery
“Diggi, was‘n nu mit den Kreisen?”
“Ben! Guck mal aufn Tacho, es ist gleich Mitternacht!”
“Na und, Diggi? Meinst Du, drei Flaschen Rotwein reichen, um sechs Leute auszuschalten?”
“Irgendwie hat er ja schon recht.”
Michel schaltete sich tiefenentspannt in die Kabbelei zwischen Ben und Paul ein. Zwar war ihr Versuch der Aktivierung des Portals am Mittag knapp gescheitert, jedoch waren nun alle deutlich schlauer, als noch einen halben Tag zuvor, und bei weitem noch nicht so besoffen, als dass ein erneutes Scheitern von vorn herein auszuschließen wäre.
“Okay, Michel, ich kann Dir weder beim Wein noch bei der Sache an sich wirklich widersprechen, aber wir brauchen jetzt einen Plan, feste Regeln. Es ist vollkommen indiskutabel noch einmal jemanden fast von der Schippe springen zu lassen.”
Genau wie alle anderen in der illustren nächtlichen Runde am Springbrunnen der Universität war auch Paul durchaus gelöst, aber nach wie vor in der Lage, klar und geradeaus zu denken. Auf jeden Fall wollte er vermeiden, dass noch einmal jemand in Lebensgefahr gerät, nur um ein Portal zu eröffnen, sei es noch so mächtig und wichtig.
“Ihr habt noch gar nicht erzählt, wie und ob Ihr etwas von dem aufkommenden Portal bemerkt habt. Wir waren bisher nur in Henne und Emil vertieft, aber die eigentliche Sache haben wir irgendwie aus den Augen verloren.”
In seiner Planung war FX schon einen Schritt weiter. Er hatte die Hoffnung, dass es ausreichen würde, wenn man die Zirkel einfach nur aktiviert, aber ein vor Ort sein nicht nötig wäre.
“Und außerdem, Junx, wie war das bei Euch? Hättet Ihr nicht auch gleich nach der Aktivierung wieder verschwinden können? Okay, vermutlich war es auch bei Euch ein spannendes Schauspiel, aber prinzipiell muss man die Show ja nicht anschauen, oder?”
Allgemeines Nicken seitens seiner Freunde bestätigte FX in seiner Vermutung, dass sich ein jeder direkt nach der Aktivierung hätte wieder zurückziehen können. Das würde das Risiko für alle klein halten, falls auch andere Zirkel mit ihren Naturgewalten außer Kontrolle geraten würden.
“Diggi, machen wir wieder Taxi?”
“Nein, Ben, ich denke, dass das nach den letzten Erfahrungen keine gute Idee ist. Zumindest nicht fürs Abholen. Denn selbst wenn wir rechtzeitig mitbekommen hätten, dass Henne in Gefahr war, hätte alleine der Weg von meiner oder Deiner Position viel zu lange gedauert, um ihn zu erreichen. Wir können verschränkt zwar querfeldein gehen, aber die Strecke müssen wir so oder so zurücklegen. Nein, ich werde einen direkten Zugang durch die Universelle Vermittlung schaffen.”
“Diggi, wie das denn? Da gibts doch gar keine Türen.”
“Ben!” FX musste laut lachen. “Ich hab offensichtlich den komplett falschen Eindruck vom Weiß bei Euch hinterlassen. Es braucht keine Türen, um dort hinein oder hinaus zu kommen. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier und der Wechsel in Raum und Zeit oder beidem ist in der Regel einfacher, wenn man einen festen Referenzpunkt oder eine Grenze hat. Eine Tür zum Beispiel. Prinzipiell gehts aber auch ohne.”
Als FX den letzten Satz ausgesprochen hatte, war der sternenklare Mitternachtshimmel über dem Innenhof der Universität und das leise Plätschern des Brunnens verschwunden. Stattdessen herrschte um sie herum gleißend helles Weiß und eine absolute Stille, die nur durch ein Stöhnen von Ben, Michel und Paul durchbrochen wurde, weil ihnen durch den plötzlichen Wechsel der Szenerie schlagartig schlecht wurde.
Henne griff nach rechts, um Michel festzuhalten, der schon ganz grün im Gesicht war und gerade umzukippen drohte. Er musste sehr stark damit kämpfen, nicht ohnmächtig zu werden. Und auch Emil hatte alle Mühe, sich um Paul zu kümmern, der gerade wieder anfing, zu würgen und sein Abendessen mit aller Gewalt in sich behalten wollte.
“FX, muss das denn sein?”
Ein anklagender Blick von Henne in Richtung seines Freundes ließ ihn kurz zusammenzucken und im gleichen Augenblick saßen sie bereits wieder auf der Wiese im Innenhof der alten Burg. Ein allgemeines Aufatmen ging durch die Runde.
“‘tschuldigt. Deswegen halt Türen. Es macht es einfacher, ist aber nicht nötig. Haben das alle verstanden? Wollen wir gleich los?”
“Definitiv, sonst kommst Du noch auf andere verrückte Gedanken!”
Ben stand auf und ermunterte auch seine Freunde, es ihm gleich zu tun. FX drehte sich mit dem Rücken zum Springbrunnen und zeichnete mit dem Zeigefinger in der Luft einen Türrahmen, der in Richtung eines Turmes zeigte. Kaum war sie geöffnet und mit dem Licht aus dem Weiß erfüllt, ging er etwas um den Brunnen herum und zeichnete in Richtung des nächsten Turmes die nächste Tür. Zwei weitere Male wiederholte er das, bis rings um den Springbrunnen verteilt, in Richtung jedes der vier Türme je eine weiße Tür erstrahlte.
“Henne, Feuer. Ben, Deine für die Luft. Die dritte ist meine und das ist Michels Tür mit dem Element Erde. Die Türen bleiben ausnahmsweise offen, wenn Ihr durchgegangen seid, und sie schließen sich erst wieder, wenn Ihr wieder hier seid. Es ist eine direkte Verbindung in den jeweiligen Zirkel, auch wenn es gerade anders aussieht, werdet Ihr nicht durchs Weiß durchgehen müssen, sondern Ihr kommt direkt im Zirkel wieder durch eine identische Tür heraus. Ihr könnt sie nicht verfehlen. Es kann definitiv nichts passieren.”
Die sechs umarmten sich kurz, und dann verschwanden die vier Freunde durch ihre jeweilige Tür. Zurück blieben wieder Emil und Paul. Diesmal beschlossen sie, sich nicht hinzusetzen und zu meditieren. Die anderen wussten genau, was sie zu tun hatten, um ihren jeweiligen Zirkel zu aktivieren, so dass es diesmal vermutlich deutlich schneller gehen sollte, bis sich das Portal aktivierte. Dennoch, ständig auf der Hut, platzierten sie sich wieder auf den Längsseiten des Burghofs, so dass sie das gesamte Areal optimal im Blick hatten.
“Henne! Das ging ja fix!”
Paul blickte etwas überrascht auf Hennes Tür, als dieser noch mit dem Feuerzeug in der Hand wieder zurückkam. Sein Gesicht zierte eine Mischung aus Erleichterung und Freude, dass er seinen Teil der Aktion erfolgreich abgeschlossen hatte. Das gleißend helle Rechteck, durch das er gerade getreten war, verschwand sogleich im Boden.
“Es brannte wie Zunder. Ich musste das Feuerzeug gar nicht lange an das Holz halten, da brannte der ganze Haufen schon wieder lichterloh. Und außerdem …” Er kratzte sich kurz am Kopf und legte damit auch den letzten Stachel seines Iros flach. “Außerdem war es genau so viel Holz, wie heute Mittag. Also es ist trotz des Großbrands vorhin definitiv nicht weniger geworden. Das ist doch eigenartig, oder?”
“Ja, ein Stück weit schon.” Paul sprach mit Henne, ohne seine Position zu verlassen und ohne den Rest des Innenhofs aus den Augen zu lassen. “Aber Du musst bedenken, dass die Zirkel auch nicht gerade den normalen Naturgesetzen unterliegen. Es sind Zentren erhöhter Energie und haben damit vermutlich sehr nichtlineare Eigenschaften.”
Ben und FX traten nahezu zeitgleich aus ihren Türen hervor und standen ebenfalls im Innenhof. Beide nickten nur kurz, um zu signalisieren, dass sie ihren Zirkel jeweils erfolgreich aktiviert hatten. Auch ihre Türen verschwanden im gleichen Augenblick, in dem sie hindurch gekommen waren.
“Fehlt nur noch Michel mit dem Element Erde.”
“Verflixt, ich bin wohl der Letzte!”
Michel kam gerade aus seiner Tür heraus und blickte enttäuscht in die Runde.
“Michel, ich muss Dich enttäuschen, das war kein Wettbewerb, wer als erster fertig ist. Außerdem ist das Element Erde vermutlich ohnehin eines der langsameren dafür aber auch deutlich beständiger. Jedenfalls sind wir …”
Paul unterbrach sich selbst und hob eine Hand, um allen zu zeigen, dass es gleich losgehen würde. Und tatsächlich spürten jetzt auch die Freunde die leichte Vibration des Bodens unter sich. Ein jeder stand noch in der direkten Verbindungslinie zwischen Brunnen und Zirkel, so dass sie deutlich spüren konnten, wie sich die Energie unter ihren Füßen hindurch langsam den Weg zum Brunnen bahnte. Irgendwie fühlte es sich an, wie ein überdimensionierter Maulwurf, der sich geradeaus seinen Weg durch den Untergrund vorwärts bahnte. Aber es müsste schon ein gigantischer Maulwurf sein, der solch filigrane aber konstante Schwingungen verursachen konnte.
“Jetzt.”
Mehr brachte Emil nicht hervor, mehr musste er aber auch nicht sagen. Die Energieströme aller vier Elemente trafen sich zeitgleich im Springbrunnen, dessen Plätschern sogleich verstummte. Die letzten Wassertropfen fielen in das Becken und dann sah es aus, als würde dessen Oberfläche plötzlich gefrieren. Aber es war kein Eis, was sich langsam aber unaufhörlich auf der Wasseroberfläche ausbreitete. Es war nach wie vor flüssig und irgendwie bläulich. Aber es leuchtete. Um sie herum war es stockfinstere Nacht aber dieses Wasser im Brunnen schien plötzlich zu leuchten.
Die Oberfläche waberte langsam, als hätte jemand einen großen Stein ins Wasser geworfen, aber nicht, als sei es Wasser, sondern etwas zähflüssiges wie Honig. Es war, als gingen die Wellen in Zeitlupe durch das leuchtende Wasser.
Kaum dass der gesamte Brunnen mit diesem gespenstisch leuchtenden Wasser bedeckt war, wurden die Wellenbewegungen plötzlich stärker. Langsam aber unaufhörlich begann dieses Wasser sich in der Mitte des Brunnens zu erheben und bildete einen Berg, der immer größer und höher wurde. Erst waren es nur wenige Zentimeter, jetzt ragte aus der Mitte des Brunnens schon ein leuchtender Wasserberg von einem halben Meter heraus. Und dieses mystische Wasser schien keine Limits zu kennen. Immer höher bäumte es sich auf, immer weiter heraus ragte der Berg.
Keiner der sechs Freunde hatte so etwas jemals gesehen. Natürlich kannten die Schattenjäger Portale unterschiedlicher Größe und Fähigkeiten, aber dies hier war etwas absolut Neues, noch nie dagewesenes. Mittlerweile hatte das Portal die Form einer Kugel von mehreren Metern Durchmesser erreicht und lag in dem Springbrunnen wie eine Kugel Eis in seiner Waffel. Vom eigentlichen filigranen barocken Springbrunnen war außer dem Becken nichts mehr zu sehen. Das schien alles in dieser wabernden leuchtenden Kugel verschwunden zu sein.
“Das Portal steht. Es ist stabil.”
Emil war der erste, der seine Stimme wieder erlangte und stellte nüchtern fest, dass sie mit ihrer Mission erfolgreich waren.
“Faszinierend. In dieser Form habe ich es noch nie gesehen. Es ist extrem mächtig!”
Auch Paul machte aus seiner Faszination keinen Hehl und bewegte sich nun erstmals vorsichtig um das Portal herum.
“Also, Junx, das ist ein Portal. Ein Antipoden Portal, um genau zu sein. Das Mächtigste und Größte, was es an Portalen gibt. Alles andere ist kleiner und unscheinbarer. Aber vom Prinzip her ähnlich.”
Emil versicherte sich mit einem kurzen Blick bei seinem Freund, der unmerklich nickte und so fuhr er mit seiner Erklärung fort.
“Es dient dem Transport von Menschen und anderen Dingen. Man kann damit an jeden beliebigen Ort gelangen. Aber solch ein Portal birgt gleichzeitig ein großes Risiko: Man muss sich genau vorstellen, an welchen Ort man wieder herauskommen möchte. Und zwar sehr genau! Idealerweise kennt man diesen Ort bereits. Man landet immer an dem Ort, den man sich vorstellt. Im schlimmsten Falle kann das ein Fantasieort aus den eigenen Gedanken sein oder aber das Nirgendwo. In beiden Fällen hat man das Problem, dass es in der Regel keinen Rückweg gibt. Und da andere nicht wissen, wo man hin ist, ist eine Rettungsaktion unmöglich. Wenn man das also nicht geübt hat, oder alleine nutzt, ist größte Vorsicht geboten.”
“Andersherum”, Paul blickte in die erschrockenen Gesichter der vier Freunde, die sich erst über die faszinierende Schönheit des Portals so gefreut hatten und nun realisierten, welch eine Gefahr in dieser wundervoll wabernden Perle steckte. “Andererseits kann man unglaubliche Dinge damit tun.”
Als sei es eine riesige Eiskugel, tauchte Paul seine Hand in das sich langsam bewegende Portal und löste vorsichtig eine kleine Kugel heraus, die sogleich neben ihrer großen Mutter schwebte und der Schwerkraft trotzte. Er gab ihr einen kleinen Stups und sie flog langsam wie in Zeitlupe zu Henne, um kurz vor ihn zum Stehen zu kommen. Wie durch Zauberhand schwebte diese kleine leuchtende Kugel jetzt vor ihm.
Fasziniert betrachtete Henne diese Kugel und bemerkte nicht, dass Paul zunächst seine Hand und dann seinen ganzen Arm in die große Kugel im Springbrunnen steckte. Und diese Hand kam im gleichen Augenblick aus der kleinen Kugel vor Henne wieder heraus und winkte ihm zu.
Erschrocken machte Henne einen Sprung nach hinten und blickte entsetzt erst auf das kleine schwebende Portal, aus dem Pauls Hand herausschaute und dann auf das große Portal im Springbrunnen, in dem seine Hand offensichtlich steckte. Dazwischen waren mehrere Meter, die einfach so überbrückt wurden.
“Traust Du Dich?” Paul streckte Henne seine Hand entgegen und forderte ihn auf, diese zu ergreifen. “Es kann nichts passieren, aber es ist ein erstaunliches Gefühl. Keine Angst, Du bist sicher, ich halte Dich fest.”
Henne wollte die ihm dargebotene Hand ergreifen, doch seine Hand machte im letzten Augenblick einen Rückzieher und er fasste sich selbst an den Hals. Erschrocken schüttelte er den Kopf und trat ängstlich einen Schritt zurück.
Paul setzte zu einem Hechtsprung in das große Portal an und kam im gleichen Augenblick aus der kleinen leuchtenden Kugel vor Henne wieder heraus und komplettierte seine Rolle vorwärts.
“Es ist vollkommen okay, das nicht zu machen. Es ist schon ziemlich abgefahren. Es fühlt sich ein bisschen an wie Wasser. Aber es hat weder Temperatur noch Widerstand. Eigentlich verarscht es alle Sinne. Aber es wäre unangebracht, das zu behaupten, denn es wird der Schönheit nicht gerecht.”
Henne war wieder einen Schritt vorgegangen und stand so mit Paul direkt neben der kleinen schwebenden Kugel. Zögerlich streckte er die Hand aus und steckte seinen Zeigefinger in den leuchtenden Ball. Sein Finger verschwand, doch er spürte nichts. Er zog den Finger wieder heraus und er war wieder da. Als nächstes steckte er seine Hand hinein. Langsam und vorsichtig. Er spürte immer noch nichts. Fast nichts. Was er spürte war die Grenzschicht zwischen der umgebenden Luft und dem Portal. Vielleicht war es deshalb so eigenartig, weil er jenseits der Grenze nichts spürte das. Die halbe Hand steckte im Portal. Seine Finger waren weg und er spürte nichts mehr. Nicht einmal mehr seine eigenen Körperteile. Aber der Teil der Hand, der noch draußen war, spürte eindeutig den lauen Sommerwind, der durch den Park der Universität blies.
“Und jetzt, stell Dir vor, dass Deine Hand dort aus der anderen Kugel wieder herauskommt. Genau so, wie es bei mir gerade war. Hab keine Angst, ich bin hier, ich halte Dich fest. Dir wird nichts passieren, ich bin immer bei Dir.”
Pauls Stimme klang so warm und vertraut, Henne musste einfach glauben, was er sagte. Er konzentrierte sich darauf, was er gerade gehört hatte und stellte sich vor, wie seine Hand gegenüber aus der großen Kugel im Brunnen wieder auftauchen würde.
Und kaum hatte er daran gedacht, tauchte seine Hand auch schon im Hauptportal auf. Er spielte mit seinen Fingern, er spürte die leichte Brise wieder zwischen seinen Fingern. Es war faszinierend. Er spürte die Grenzschicht, an der sein Arm in dem kleinen Portal verschwand. Und es war ein und dieselbe Grenze, an der sein Arm am anderen Portal wieder auftauchte. Obwohl dazwischen mehrere Meter Entfernung lagen, war es sein Arm und er fühlte sich auch nicht länger als sonst.
Mit einem Kopfnicken gab Paul seinem Freund zu verstehen, dass er Henne etwas in die Hand geben sollte. Emil bückte sich, griff nach einer leeren Weinflasche und drückte sie in Hennes Hand, die aus dem großen Portal herausschaute.
“Und jetzt wieder zurück. Zieh sie einfach heraus, als sei es ein Eimer mit Wasser.”
Henne tat, wie Paul es ihm gesagt hatte und zog seine Hand aus dem kleinen Portal heraus. Seine Hand samt Weinflasche verschwand in das große Portal und kamen aus dem Kleinen sogleich wieder heraus. Paul ließ Henne los und dieser stelle fest, dass er das Atmen vergessen und die ganze Zeit die Luft angehalten hatte. Erschöpft atmete er aus und betrachtete verwirrt die Weinflasche in seiner Hand.
Voll der Eindrücke und Emotionen war Henne nicht fähig, auch nur ein Wort heraus zu bekommen. Stattdessen umarmte er Paul so fest er konnte, dass diesem fast die Luft wegblieb. Vollkommen perplex setzte er sich zur Seite und betrachtete fasziniert das große wabernde Portal, was prominent in der Mitte des Burghofes stand.
Nach Henne bekamen nun Michel und Ben ihrerseits eine kleine Kostprobe des Portals zu spüren. Emil und Paul hatten ihre wahre Freude daran, den beiden zu zeigen, wie sich das Portal und die Reise darin anfühlte. Natürlich war es Ben in seiner unendlichen Neugierde, der sich von Emil durch das kleine Portal hindurchziehen ließ, um dann aus dem großen wieder heraus zu kommen. Ben sprühte vor Adrenalin und seine Art, mit den neuen Eindrücken umzugehen, war so grundverschieden von der von Henne.
“Du bist der Letzte.”
Emil stellte sich breitbeinig und herausfordernd mit den Fäusten in die Hüften gestemmt vor FX um ihm klar zu machen, dass er nun seine persönliche Führung durch das Portal bekommen würde.
“Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.”
“Weil?”
“Naja, ich bin schon etwas anders.”
“Du bist ein Mensch!”
“Emil, ich will Dir nicht zu nahetreten, aber ich bin genauso wenig einer, wie Du es bist.”
“Und eben darum solltest auch Du mit dem Portal etwas spielen.”
Nur widerwillig ließ sich FX überreden und Emil musste ihn fast schon mit etwas Gewalt in Richtung des großen Portals ziehen. Skeptisch betrachtete FX die überdimensionierte Eiskugel, wie sie blassblau vor sich hin leuchtete.
“Und jetzt …”
Emil streckte seine Hand aus und ließ sie demonstrativ langsam im Portal verschwinden. Nur zögerlich tat es FX ihm nach. Doch kurz bevor FX mit der Hand die Oberfläche des Portals berühren konnte, wurde es in der Nähe seiner Hand dunkel und beulte sich ein, als wollte das Portal vor ihm abhauen.
“Faszinierend. Das hab ich noch nie gesehen.”
Plötzlich genoss FX und der neben ihm stehende Emil die Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe. FX entfernte seine Hand wieder vom Portal und sogleich begann es auch an dieser Stelle wieder zu leuchten und auch die Delle verschwand nur wenige Augenblicke später.
Erneut hob FX seine Hand und brachte sie in die Nähe der Oberfläche, und erneut wiederholte sich das gleiche Phänomen: Das Leuchten erlosch, die Oberfläche zog sich zurück. Er spreizte seine Finger und tatsächlich gab es auf der Oberfläche des Portals wenige Sekunden später einen dunklen Abdruck genau in der Form von FX’ Hand.
“Irgendwie mag es mich nicht.”
“Es kann Dich nicht nicht mögen, weil es kein Bewusstsein hat. Es ist nicht menschlich oder sonst wie. Es ist nur eine gewaltige Menge Energie, die hier mit anderen Orten verbunden ist.”
“Es ist nur Energie …”
FX wiederholte halblaut den Satz von Emil und kam ins Grübeln, als er jäh von Henne unterbrochen wurde.
“FX, Du bist viel zu verklemmt und verschlossen. Du hast Angst und … Nein, keine Angst. Ich spüre etwas von Dir, was ich nicht einordnen kann. Und das ist es, was Dich dran hindert, das Portal zu berühren, weil es genau das Gegenteil von dem ist, was das Portal macht und ist.”
“Hä?”
Obwohl FX sonst immer derjenige war, der besonders schnell und präzise neue Sachverhalte aufgreifen und verstehen konnte, stand er gerade komplett auf dem Schlauch. Er hatte nicht die geringste Ahnung davon, was sein Freund Henne ihm gerade sagen wollte.
Dieser war auch schon aufgestanden und zu ihm herüber gekommen.
“Komm, FX, guck in mich hinein, schau und fühle, was ich gerade gefühlt habe. Dann wirst Du verstehen, warum es bei Dir gerade nicht funktioniert. Ich kann es auch nicht beschreiben, aber Du hast gerade eine Aura der Skepsis um Dich, gegen die ist die Chinesische Mauer ein Maulwurfshügel! Und dieses Portal spürt das und …”
“Das Portal hat keine Gefühle!”
“Na gut, Emil, dann hat es halt keine Gefühle, aber die Schwingungen, die FX hier gerade verbreitet sind absolut konträr zu dem, was das Portal hier ausstrahlt. Merkt Ihr das denn nicht?”
Fragend blickte Henne in die Runde, erntete jedoch nur unverständliche Blicke und Kopfschütteln.
“Das ist doch verrückt. Bin ich denn hier der Einzige, der was merkt?”
“Du bist ein Empath. Also unter anderem …”
Mit weit ausgestreckten Armen stand Henne einladend vor FX, damit dieser seine Gedanken und Gefühle endlich lesen und hoffentlich auch verstehen konnte.
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