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Quartett

Teil 29 - Schatten

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Informationen

35. Schatten

Er musste nur sehr kurz nachdenken, um die effektivste Methode zur Zeitersparnis zu wählen: Er entschied sich für eine kleine Raumfalte und damit einer Abkürzung des Weges. Eigentlich war es nicht einmal eine Raumfalte, denn durchquerte man diese, würde man einen deutlichen Sprung spüren, während man den einen Punkt verlässt und auf der anderen Seite der Falte wieder auftauchte. Er war sich nicht sicher, wie sensibel die beiden Läufer waren und ob sie solch einen Sprung bemerken würden. Daher entschied er sich für eine abgeschwächte Form der Raumfalte: eine Kompression des Raumes.

Logischerweise löst das Erzeugen von Raumfalten immer Verwerfungen im Raum-Zeit-Kontinuum aus. Das wiederum würde sofort den Club und seine Wächter aufs Tapet rufen. Und genau deswegen hatte Eggsy immer sehr penibel darauf geachtet, dass FX beim Erzeugen von Singularitäten extrem gewissenhaft arbeitet, damit es nur minimale Verwerfungen gibt, die so schnell abklingen, dass sie möglichst nicht bemerkt werden.

Er hatte dieses Training gehasst. Es fand immer in einem vollkommen abgeschlossenen langweiligen grauen Raum statt. Nahezu unendlich groß. Fast wie das Weiß. Er mochte das Weiß, trotz all seiner Sterilität. Aber dieser Trainingsraum war einfach nur unsympathisch und FX war nie gerne dort. Dazu kam, dass Eggsy sich einfach irgendwohin auf den Boden legte und versuchte, seinen Mittagsschlaf zu machen, während FX versuchte, möglichst unauffällig Raumfalten zu erzeugen. War die Verwerfung zu groß, wachte Eggsy auf und das Training begann von vorne.

Prinzipiell war es nichts anderes, als wenn man einen Schwamm nahm und ihn vorsichtig zusammenpresste, um den Raum zu stauchen. Bog man den Schwamm, so dass sich beide Enden irgendwann berührten, hatte man eine Raumfalte. Aber in dem Schwamm war auch etwas Wasser und wenn man den Schwamm zu stark oder zu schnell drückte oder bog, würde sich das Wasser nicht neu im Schwamm verteilen können und heraustropfen. Eine Verwerfung wäre spürbar.

Wenigstens war hier keine Raumfalte nötig, sondern nur eine kleine Stauchung des Raumes. Das war schon etwas einfacher. FX hielt die Luft an, spreizte seine Arme weit auseinander zu einer einladenden Geste, um sie dann langsam wieder zusammen zu führen. Kurz, bevor sich seine Hände vor dem Gesicht berührten, hielt er inne. Das sollte an Stauchung ausreichen. Hätten sich seine Hände berührt, hätte er eine Falte erzeugt. Bei der Geschwindigkeit, die er gerade vorgelegt hatte, hätte es definitiv jeder Wächter bemerkt. Aber er war sich sicher, die Stauchung sanft genug vorgenommen zu haben. Das würde den Weg für Michel und Paul erheblich verkürzen. Er überlegte kurz und rechnete nach: Sie sind in zehn Sekunden hier. Vollkommen ausreichend und Emil sollte mit diesem Zeitvorsprung sicher überleben.

Genauso langsam, wie er seine Hände vor dem Gesicht zusammengebracht hatte, öffnete FX seine Arme wieder. Den Kardinalfehler, den viele begangen, wollte er unbedingt vermeiden. Beim Erzeugen von Raumfalten ließen viele Kollegen immer größte Sorgfalt walten und waren so auch in der Lage diese unbemerkt erzeugen zu konnten. Jedoch benötigt das Entspannen des Raumes mindestens genauso viel Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, denn Stauchen und Entspannen beruhten auf denselben, wenn auch umgekehrten Effekten. Und so entstanden die Verwerfungen häufig beim Loslassen, wenn die eigentliche Arbeit mit dem gefalteten Raum zwar erfolgreich durchgeführt wurde, man dann froh, aber nachlässig wurde.

Natürlich schloss und öffnete FX seine Arme nur vor seinem inneren Auge, nicht in Wirklichkeit. Zwar hatte ihn niemand weiter beachtet, aber dennoch konnte er das Risiko nicht eingehen, in dieser Situation scheinbar merkwürdige Gesten aufzuführen. Für seine Freunde, so sie ihn denn überhaupt beachtet hatten, war er die wenigen Minuten nur absolut still dagesessen.


Im Geiste zählte FX rückwärts: drei, zwei, eins. Mit einer Bremsspur von mehreren Metern im Gras kamen Michel und Paul gleichzeitig an der Picknick-Decke an. Natürlich waren sie außer Atem, aber so viel Adrenalin schoss durch ihr Blut, dass keiner der beiden überhaupt bemerkte, dass sie die Strecke in absoluter Bestleistung gelaufen waren.

Obwohl der Rest für Paul bedauernswerte Routine war, war er dennoch sehr aufgeregt. Wie schon so manches Mal zuvor war er sich nicht restlos sicher, dass das Adrenalin seinem Freund helfen würde. Ob die Schwellung wirklich so schnell abklingen würde, wie es nötig war, damit Emil schnell wieder atmen konnte und nicht qualvoll erstickte. Wenn nicht, dann hätten sie sofort ein ernsthaftes Problem, denn der Weg von hier ins Krankenhaus war sehr weit und er wusste nicht, ob das medizinische Personal der Universität auf den Fall eines anaphylaktischen Schocks vorbereitet war. Die beiden medizinischen Mitarbeiter, die ihn überraschenderweise an der Zugbrücke empfangen und den Pen übergeben hatten, waren ihm und Michel mit weiterer Ausrüstung gefolgt, aber natürlich waren sie durch all das Equipment nicht so schnell, wie die beiden Jungs.

Mit ganz ruhigen Händen nahm Paul den Deckel des Pens ab. Er setzte ihn auf die Außenseite des linken Oberschenkels von Emil und drückte den Knopf am anderen Ende des Gerätes. Es gab ein deutlich hörbares Klicken, als sich die Nadel in den Oberschenkel von Emil bohrte. Es war das erlösende Signal, auf das er wartete und was ankündigte, dass nun das Adrenalin in den Muskel gepumpt wurde.

Wie er es vom Arzt gelernt hatte, wartete er zehn Sekunden, bevor er die Nadel wieder herauszog und den Apparat zur Seite legte. Danach massierte er vorsichtig weitere zehn Sekunden die Einstichstelle.

Bereits beim Klicken des Pens huschte ein Lächeln über Emils aufgequollenes Gesicht. Und nun, während Paul vorsichtig sein Bein massierte, merkte man bereits, wie das Röcheln von Emil nachließ. Offensichtlich bekam er schon jetzt deutlich besser Luft, die Schwellung schien abzuklingen.

Auch die extreme Röte wich langsam aus Emils Gesicht. Was blieb, waren nur ein paar rote Bäckchen. Als die Sanitäter der Uni eintrafen, konnte Emil sogar schon wieder leise sprechen, auch wenn er noch große Halsschmerzen hatte. Zwar war er noch matt und erschöpft, aber ansprechbar und ganz offensichtlich außer Gefahr.

Nach weiteren Untersuchungen vor Ort entschied der Arzt, dass Emil nach Möglichkeit zu Fuß zur Uni zurück gehen sollte, um den Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Die beiden Läufer Paul und Michel begleiteten und stützten ihn auf dem Weg nach Hause.

Zurück in einer angespannten Stille blieben Henne, Ben und FX. Zunächst sahen sie sich kurz ratlos an und fingen dann schweigend an, die Picknick-Utensilien zu verstauen. Der Tag, der so wunderschön begonnen hatte, war definitiv verdorben und alles andere als so verlaufen, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Am Abend kam Paul noch einmal kurz in die WG der Freunde, um ihnen mitzuteilen, dass es Emil wieder sehr gut ging und er jetzt schlafen würde. Das war wohl ebenfalls absolut normal und kein Grund zur Sorge. Morgen sollte Emil wieder ganz der Alte sein und es sollte keine Nachwehen geben.

„Diggi, also der hat uns ja echt nen Schrecken eingejagt!” Ben, der sich die ganze Zeit um Emil gekümmert hatte, während er um Luft ringend am Boden lag, ließ die Geschehnisse noch einmal Revue passieren. „Ich hoffe, das passiert nicht zu oft.”

„Naja, das ist halt relativ. So alle ein bis zwei Jahre. Aber wenn Du mich fragst ist das definitiv zu oft!” Paul schüttelte den Kopf. „Wir passen ja schon sehr auf, was Emil isst und woher es kommt. Aber dass wir den Pen gar nicht erst mithatten, kommt quasi nie vor. Das war heute echt ein Novum und uns auf jeden Fall eine Lehre!”

„Paul, es ist ja alles gut gegangen.” Henne war aufgestanden und nahm den Besucher kurz in den Arm. „Wenn Emil aufwacht, bestell ihm bitte liebe Grüße von uns allen und wir laden Euch dann gerne auf ein erneutes Picknick ein. Aber nur, wenn Ihr uns vorher eine Einkaufsliste gebt.”

Paul verließ die Freunde und es kehrte wieder Ruhe in die Studenten-WG ein.

„Diggi, was war’n los mit Dir? So kenn ich Dich ja gar nich. Du warst ja krass neben der Spur!”

Ben konnte seinen vorwurfsvollen Unterton nicht verbergen, als er sich direkt vor FX aufbaute, der mit den anderen beiden zusammen auf dem Sofa saß.

Ungewollt zuckte FX kurz zusammen und überlegte einen Augenblick, bevor er antwortete.

„Ja, keine Ahnung. Ich hab das noch nie erlebt, dass jemand einen allergischen Schock bekommt und ich wusste auch nicht so recht, was man da machen muss. Ich war total perplex und paralysiert. Irgendwie hatte ich voll die Blockade im Hirn und...”

FX unterbrach sich selbst, indem er sich aus heiterem Himmel heraus eine schallende Ohrfeige gab. Als er seine linke Hand von der Wange nahm, erkannte man sehr deutlich die roten Abdrücke seiner Finger auf seiner eigenen Wange.

Stille.

Niemand traute sich ein Wort zu sagen.

Keiner der drei anderen konnte diese Aktion von FX gerade interpretieren. Niemand verstand, warum sich FX gerade selber eine Ohrfeige gegeben hatte. Noch dazu nicht symbolischer Natur, sondern eine richtig ernst gemeinte und vermutlich sehr schmerzhafte Ohrfeige. Niemand seiner drei Freunde konnte das so recht einordnen: ob es eine Selbstbestrafung sein sollte, weil er nicht im Stande gewesen war, Emil zu helfen oder aber ob er sich schämte, dass er so plötzlich eine Blockade hatte und nicht helfen konnte. Sie standen vor einem Rätsel, weil niemand solch eine Reaktion bei FX jemals zuvor gesehen hatte, weder im Scherz noch im Ernst mit solch einer Wucht.

„Nein, keine Geschichten mehr”, fuhr FX nach einer kurzen Pause fort. „Keine Lügen mehr. Ich hab’s Euch versprochen. Entschuldigt bitte.”

Er schluckte und die anderen waren nun noch verwirrter, als sie es nach der Ohrfeige ohnehin schon waren.

„Es war ganz anders, ich will es Euch jetzt erklären.”

FX hatte sich wieder beruhigt, seine Stimme war sanft und sicher. Nur seine Wange glühte noch leuchtend rot. Alle lauschten gespannt und hatten nur Augen für FX.

„Henne, ich weiß nicht, ob Du Dich an Deine Entführung und die Nacht danach bei uns erinnern kannst.”

„Ja, klar! Ich hab geträumt, dass jemand meine Wunden versorgt hat und mich geheilt hat.”

Obwohl oder vermutlich, gerade weil er damals schwer angeschlagen war, erinnerte sich Henne noch sehr gut daran, als sei es erst vor wenigen Tagen passiert. Diese Bilder aus dem Kerker, aber auch die danach bei seinen Freunden würde er nie im Leben vergessen.

„Das war kein Traum, das war ich. Ich habe Deine Verletzungen geheilt. Fragt mich bitte nicht nach Details. Akzeptiert bitte, dass ich das einfach kann. Und ja, ich hätte auch Emil sofort helfen können. Das wäre gar kein Problem gewesen.”

„Und warum hast Du nicht, wenn ich fragen darf?”

Michels Frage kam sehr zaghaft und zögerlich.

„Ich hab lange überlegt, ob ich das machen sollte und was die Konsequenzen sind. Ihr wisst, dass ich im Weiß alle Zeit habe, die ich brauche. Also glaubt mir, ich habe wirklich sehr lange das Für und Wider durchdacht. Ich habe mich schließlich dagegen entschieden, weil ich die beiden nicht gut genug kenne. Wenn ich Emil mit einem Fingerschnipp geheilt hätte, hätte das eine Lawine an Fragen ausgelöst, denn er war definitiv noch bei Sinnen während der ganzen Zeit. Und ich wollte nicht, dass er davon etwas mitbekommt. Und deren Erinnerungen zu korrigieren wäre auch nicht so der Hit gewesen. Ich musste bei Emil neulich auf der Party schon eingreifen. Das sieht zwar immer ganz einfach aus, aber für den Körper ist das leider kein Klacks. Frag mal Henne. Und auf der Party war es wirklich nur ein kurzer Augenblick, der gelöscht werden musste. Das heute war ja ewig lang und extrem berührend für alle Beteiligten.”

Henne nickte nur stumm. Er erinnerte sich schmerzhaft an seine Kopfschmerzattacke nach jeder Korrektur von Erinnerungen durch FX auf der Semester-Party vor ein paar Wochen. Er konnte sich gut ausmalen, dass das mehrfache Auslöschen von Erinnerungen bestimmt nicht gut war für das Gehirn.

„Naja, und deswegen habe ich mich entschieden, etwas unauffälliger zu helfen und den normalen Prozess einfach zu beschleunigen. Denn ich wusste, dass das unter normalen Umständen leider nicht geklappt hätte. Michel und Paul wären einfach viel zu langsam gewesen und zu spät mit der rettenden Spritze wieder zurückgekommen. Emil hätte es nicht geschafft.”

Seine Freunde schluckten, als sie diesen letzten Satz gehört hatten. Und dann erzählte FX ihnen, wie er immer wieder neu berechnet hatte, welche Maßnahmen wie viele Sekunden Gewinn eingebracht hatten. Er berichtete und entschuldigte sich gleichermaßen, wie er Henne den genialen Gedanken eingepflanzt hatte, bei dem ärztlichen Dienst der Uni anzurufen. Wie er dennoch betrübt feststellen musste, dass der Weg trotzdem zu weit war. Und wie er schließlich die Strecke zwischen Uni und dem Picknickplatz gestaucht hatte, um die Laufstrecke zu verkürzen.

Als er endete, blickte er in drei offene Münder, die ihn keinen einzigen Laut hervorbrachten.

Schließlich war Henne der erste, der in der Lage war, wieder irgendetwas hervorzubringen. Schweigend stand er auf, ging zu FX und nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sein Herz. Mitten in der Umarmung hörte FX im inneren seines Kopfes unerwartet Hennes Stimme.

Es ist okay. Du hast das Richtige getan.

Natürlich hatte niemand mitbekommen, dass Henne gerade einen Gedanken in den Kopf von FX eingepflanzt hatte. FX war sich fast sicher, dass nicht einmal Henne selber wusste, was er gerade getan hatte. Er war einfach nur stolz auf seinen kleinen Punk, dass er anscheinend ein Super-Empath war, der noch ein bisschen mehr konnte, als nur Emotionen aufzuspüren und zu manipulieren. Die Standpauke von Eggsy war allerdings auch zum Greifen nahe, denn er hatte FX stets eingebläut, dass er immer und zu jeder Zeit, egal wie die Umstände waren, nie seine geistige Barriere öffnen dürfte. Denn nie wüsste man, wer noch zugegen war. Aber FX hatte Urlaub, er hatte seine Auszeit genommen und Eggsy war weit weg. Theoretisch zumindest.

Die herzliche Umarmung von Henne war schließlich der Dammbruch für die anderen beiden, die ihm zu dieser diskreten Hilfe gratulierten und dann natürlich weitere Details über die Raumfaltung erfahren wollten. Schließlich hatte FX ihnen nur die Überschrift eines neuen, spannenden Kapitels seiner Fähigkeiten gezeigt.


Später, es war ein Wochenende im Sommer, saß Ben vertieft am Schreibtisch und malte, während die anderen ihre Sachen packten und zum nahe gelegenen Waldsee aufbrechen wollten.

„Ben, was ist nun, kommst Du mit oder was?”

Michel war schon ungeduldig, da er seine Sachen bereits zusammengepackt hatte.

„Was’n los Diggi? Mit? Wohin?”

Ben hob verwirrt den Kopf.

„Oh Mann, wo bist Du denn wieder mit Deinen Gedanken? Wir wollen schwimmen. Zum See. Schon vergessen? Hatten wir gestern Abend gesagt.”

„Ja, okay.”

Ben hatte seinen Kopf schon lange wieder gesenkt und war in seine Zeichnung vertieft. Vielleicht hatte er gehört, was Michel gerade gesagt hatte. Verstanden hatte er es jedoch nicht.

„Ben? Hallo? Jemand da? Ich rede mit Dir!” Michel blieb hartnäckig. „Was machst Du da überhaupt?”

„Was? Ach so.” Die Aussicht, dass sich jemand für seine Arbeit interessierte, war deutlich verlockender für Ben, weshalb er nun gesprächiger wurde. „Ich will mir ’n neues Tattoo stechen lassen. Hier, guck ma, Diggi.”

Michel blickte flüchtig über Bens Schulter auf das Blatt Papier, wo Ben bereits seit Stunden zeichnete, radierte und wieder neu zeichnete und korrigierte.

„Ähm… Sieht aus wie...” Michel war etwas ratlos. „… ein Haufen zusammengeknüllter Spaghetti?”

„Blödmann, Diggi! Du hast doch gar keine Ahnung! Geh wech!”

Neugierig warf Henne ebenfalls einen Blick auf Bens Zeichnung und kratzte sich unsicher am Kopf.

„Wie kommst Du denn darauf?”

„Ach, nur so. Fiel mir so neulich ein, irgendwie.”

„Einfach so? Komisch. Irgendwie passt das doch gar nicht zu Deinem Tattoo auf Deinem Rücken. Das ist doch ein komplett anderer Stil. Hej, Ben, überleg doch mal. Du hast ein Fraktal von Trinitatis auf dem Rücken und jetzt soll da so ein Knäuel dazu?”

„Wo soll das denn überhaupt hin?”

Henne wusste nicht, was er von Bens neuer Idee halten sollte.

„Ich dachte, dass ich mir das auf die Brust stechen lass, Diggi.”

FX war ebenfalls zum Tisch gekommen und betrachtete ebenfalls skeptisch Bens Entwurf.

„Einfach so? Ben, entschuldige, aber das ‘einfach so’ glaube ich Dir nicht. Da muss ich Henne Recht geben. Das ist ein komplett anderer Stil. Da ist doch was faul.”

„Okay, ich muss mich korrigieren”, mischte sich Michel indes wieder in die Diskussion ein. „Es sind keine Spaghetti, sondern irgendwie sieht es aus, wie eine verknotete Bandnudel!”

„Diggi, halt den Sabbel!”

„Also, Ben, gib’s zu, von welchem Comic hast Du Dir da wieder einen Floh ins Ohr setzen lassen?”

Henne stimmte FX zu, dass dieses neue Tattoo überhaupt nicht zum jetzigen passen würde. Das Fraktal auf Bens Rücken basierte auf purer Mathematik. Für die jetzige Zeichnung konnte oder wollte Ben nicht einmal den Ansatz einer Erklärung liefern.

„Ooohhh jaaa, Diggis, ich geb’s zu, die Idee is nich von mir. Ich hab’s neulich bei Emil gesehen, als ich ihm die Stirn gekühlt hatte. Ich wollte wirklich nich indiskret sein, aber das Tattoo hat mich so von seiner Brust her angelächelt! Und es sah meeega krass aus! Und der hat noch viel mehr!”

„Nicht Dein Ernst, oder? Du bist einem akut kranken Menschen an die Wäsche gegangen?”

Henne war außer sich.

„Nein, Diggi, bin ich nich. Sach ich doch, dass ich das nur durch Zufall gesehen hab! Sein T-Shirt war doch total verrutscht nach dieser Attacke. Ich hab wirklich nix gemacht. Ehrlich!”

„Und nun willst Du auch so etwas haben?” Michel hatte es noch nicht ganz verstanden. „Ich dachte immer, ein Tattoo kopiert man nicht, sondern man muss sich das schon selber ausdenken.”

„Jo, genauso isses, Diggi. Deswegen bin ich ja schon den ganzen Vormittag am Zeichnen. Aber irgendwie is das noch nich rund. Es fehlt der Schwung.”

Henne strich sich durch seinen Iro, der sich kurz zur Seite legte, um sich dann sofort mit Spannkraft wieder aufzustellen.

„Aber nur weil Emil so etwas hat, willst Du etwas ähnliches haben?”

„Diggi, ich muss noch einmal an Emil ran, das hilft nix. Ich will nochmal sehen, wie das bei ihm genau aussieht. Kommen die auch mit zum See?”


Bereits als FX die Zeichnung von Ben gesehen hatte und der Name Emil gefallen war, war er aus der Zeit ausgestiegen und unbemerkt ins Weiß übergetreten. Dort saß er nun in der unendlichen Weite auf dem vermeintlichen Boden im Schneidersitz und grübelte.

Was Ben da gerade gezeichnet hatte, war natürlich nur eine Spielerei und ein Hirngespinst, aber dennoch hatte FX den tieferen Sinn sofort erkannt. Und als dann noch der Name Emil in dem Zusammenhang fiel, wurde es FX sehr verdächtig.

Er hatte schon viel darüber gehört, aber es waren immer nur Geschichten vom Hörensagen. Noch nie hatte FX Beweise dafür vorgelegt bekommen, weshalb er das bisher immer als eine Sage oder Spinnerei abgetan hatte. Doch jetzt tauchten die ersten handfesten Hinweise auf, dass er, FX, sich geirrt haben könnte. Und dazu kam die vage Vermutung, dass die Erzählungen vielleicht doch real sein könnten.

Jeder von den Zweiundvierzig, den man fragte, erzählte dieselbe Geschichte. Es klang immer ein kleines Bisschen wie ausgedacht oder auswendig gelernt. Manchmal kamen neue Anekdoten dazu, die verschwanden aber über die Zeit wieder. Es gab neue Aspekte und Mutmaßungen, die nach einiger Zeit jedoch nicht mehr weitergetragen wurden. Das Hauptthema dieser Erzählung war immer dasselbe.

Was über all die Jahrtausende blieb, war ein unumstößlicher Kern der Geschichte, oft ausgeschmückt, aber in seiner Aussage stets unverändert. Es sollte eine Art Parallelwelt zu denen der Zweiundvierzig sein. Wobei niemand wusste, wie viele die anderen waren. Oder wer. Und angeblich kannten diese anderen die Temporalen Fänger genauso wenig. Man lebte angeblich nebeneinanderher in derselben Welt, verfolgte ähnliche Ziele, akzeptierte einander. Und doch kannte man sich nicht.

Anfangs fand FX diese Mythen überaus aufregend. Während seiner Ausbildung gab es immer nur knallharte Fakten. Schwarz oder weiß. Wahr oder falsch. Gut oder böse. Aber etwas Vages, Ungenaues, eine Legende oder ein Gerücht, das war extrem selten. Daher stürzte sich FX in die Recherche, um mehr über diese Leute herauszufinden. Er wollte unbedingt alles über die Schattenjäger erfahren, woher sie kamen und wer sie waren. Ihn interessierte ihre Mission und auch, wie sie organisiert waren.

Aber so sehr er auch las und suchte, es ließ sich nichts Hieb- und stichfestes ermitteln. Weder in der ewigen Bibliothek noch während er durch die Zeit reiste. Keine der unzähligen Bibliotheken brachte mehr als die besagten Geschichten zu Tage. Selbst die Boulevard-Presse, die er aus lauter Verzweiflung irgendwann studierte, brachte nichts Greifbares an den Tag.

Nachdem er selbst beim Club auf taube Ohren gestoßen war, gab er schließlich auf und tat die ganzen Geschichten als Hirngespinste ab. Er war der Jüngste der Temporalen Fänger und anscheinend hatten alle zuvor genau dasselbe durchgemacht. Es war eine Lernkurve, die scheinbar genauso zu seiner Ausbildung gehörte, wir das Kämpfen und Zurückführen.

Und jetzt kam diese alte Legende durch einen dummen Zufall wieder ans Tageslicht! Nie hätte er selbst auf so etwas geachtet, aber Ben mit seinem Faible für Tattoos waren sie natürlich sofort aufgefallen. Natürlich konnte Ben nicht wissen, dass es sich dabei nicht um Tattoos handelte. FX wusste selber auch nicht, wie Runen genau aussehen müssen. Aber das, was Ben auf seinem Block skizziert hatte, sah definitiv so aus, wie sich FX Runen vorstellte. Und wenn es ein Hauptthema in den Legenden gab, dann waren es Runen.

Sie zogen sich immer durch alle Teile der alten Erzählungen. Durch den Kern der Geschichte ebenso, wie durch neue und später wieder vergessene Anekdoten zu diesem unbekannten Volk. Runen kamen immer darin vor. Diese magischen Schriftzüge, die so einfach aussahen, aber unglaublich schwer erlernbar sein sollten. Die angeblich so viel Macht und Einfluss hatten.

Selbst wenn FX die ganzen Mythen als Wahrheit einstufen würde, so konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie solche Schnörkel etwas bewirken sollten. Angeblich sollten diese Malereien auf Hauswänden oder Tattoos unglaubliche Kräfte entfalten können. Und für alles Mögliche und Unmögliche sollte es solch ein Bildchen geben. Für FX klang das alles trotzdem ein bisschen wie eine geheimnisvolle Gute-Nacht-Geschichte.

Und dann kam plötzlich Ben um die Ecke und auf einmal materialisierte sich diese Geschichte der schwarzen Tribals vor ihm auf dem Wohnzimmertisch. Deswegen musste FX seine alten Nachforschungen noch einmal durchgehen. Deswegen musste er das unbedingt mit Eggsy erneut besprechen.

Der große Vorteil des Weiß‘ war, dass man sich nicht zu verabreden brauchte. Möchte man sich mit jemandem treffen, dann funktioniert das in der Regel ganz intuitiv und der andere verspürt ebenfalls das Bedürfnis, ins Weiß zu gehen.

„Du warst auch schon mal schneller, Eggsy.”

„Höre ich da einen anklagenden Unterton? Ein alter Mann ist kein D-Zug!”

„Du hast Schattenjäger auch noch nie persönlich gesehen, oder?”

Die Frage platzte förmlich aus FX heraus.

„Danke, mir geht es gut! Mein Kiosk am Strand läuft hervorragend und die paar ausgebüchsten Zeitflüchtigen schnappen wir mit links. Irgendwie beginnt dieses Jahr das alljährliche Sommerloch verdammt früh.”

„Oh, entschuldige.”

Die Röte stieg FX ins Gesicht. Wie konnte er nur so unhöflich sein. Er selbst hatte sich gerade sehr intensiv mit den sogenannten Schattenjägern auseinandergesetzt und setzte daher voraus, dass Eggsy ebenfalls auf dem Stand der Dinge war.

„Habt Ihr denn vor, mir auch diesen Sommer wieder einen Besuch abzustatten? Ich hörte, dass Deine Freunde ein kleines Upgrade bekommen haben. War mir doch so. Ich hab das doch bei Eurem letzten Besuch ja schon gewittert. Aber ich durfte ja nicht nachschauen.”

„Weil man das nicht macht! Das gehört sich einfach nicht! Man liest nicht ungefragt in fremden Menschen. Das hast Du mir beigebracht.”

FX war außer sich, hatte er doch damals nur sehr knapp verhindern können, dass Eggsy seine Freunde berührte und damit komplett gelesen hätte. Zwar hätte er auf diese Art und Weise viel früher von den Fähigkeiten seiner Freunde erfahren, aber auf dem gleichen Wege hätte er, oder besser Eggsy, auch alle anderen Geheimnisse und Wünsche seiner Freunde erfahren.

„Ja, da hast Du recht. Das gehört sich nicht. Genauso wenig, wie mit der Tür ins Haus zu poltern!”

„Eggsy, ich habe mich entschuldigt.”

„Du kannst Dich nicht entschuldigen. Das kann nur Dein Gegenüber. Du kannst lediglich um Entschuldigung bitten.”

„Pfennigfuchser”, genervt verdrehte FX die Augen. „Also gut. Ich bitte um Entschuldigung, Eggsy. Es war unhöflich von mir, nicht erst ‚Hallo’ zu sagen.”

„Ist doch kein Ding, FX, ich verzeihe Dir!” Das schadenfrohe Grinsen von Eggsy reichte von einem Ohr bis zum anderen. „Und?”

„Also, hast Du jemals einen Schattenjäger gesehen?”

„Nein, FX, wir sind noch beim Smalltalk. So schnell geht das nicht. Wobei das überhaupt kein Smalltalk ist, denn das meine ich wirklich ernst: Also, kommt Ihr diesen Sommer zu Besuch? Oder ist Euch mein Strand zu langweilig? Wollt Ihr lieber nach Sitges und so richtig einen drauf machen?”

„Du bist heute aber auf Krawall gebürstet”, seufzte FX. „Komm, setz Dich.”

Mit einer Handbewegung formte FX aus dem Weiß ein quaderförmiges Podest, auf dem Eggsy dankend Platz nahm.

„Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Wir haben noch nicht über den Sommerurlaub gesprochen. Aber so, wie ich die Junx kenne, wollen sie bestimmt zu Dir. Die haben vermutlich die eine oder andere Frage. So wie ich gerade.”

„Wenn Euch das zu ruhig ist, kann ich auch für eine geile Strandparty sorgen! Ich kenne da einen coolen DJ, der den Strand so richtig rocken würde.”

Eggsy überhörte den Hinweis von FX bezüglich seines eigentlichen Erscheinens im Weiß.

„Ich rede die Tage mal mit den Dreien. Ich denke nicht, dass wir reservieren müssen, oder? Und den DJ kenne ich vermutlich auch. Besser als Du sogar!”

Einen fiesen Unterton konnte sich FX gerade nicht verkneifen. Er wollte nun endlich mit Eggsy über seinen Verdacht sprechen.

„Für Euch habe ich doch immer ein Plätzchen frei. Aber sagt früh genug Bescheid, ich finde meine Idee mit der Party ganz hervorragend!” Eggsy beugte sich vor und kam mit seinem Gesicht ganz nah an den sitzenden FX heran. „Also, was führt Dich wirklich hierher?”

FX kannte diese Nähe schon aus seiner Ausbildung. Eggsy liebte es, sein Gegenüber ganz genau zu mustern und so einzuschüchtern. Aber FX hatte im Laufe der Jahre zu kontern gelernt. Während er seinen alten Lehrmeister aus der Nähe betrachtete, stellte er erneut fest, dass dieser um keinen Tag gealtert schien.

Ebenso wenig wie er selbst auch nicht alterte, es sei denn, er würde es wollen. Es war eine der Fähigkeiten der zweiundvierzig Fänger, dass sie der Zeit trotzen konnten und nicht alterten. Eggsy hatte sich für ein mittleres Alter entschieden. Aber durch seinen zivilen Job als Barkeeper in Spanien sah er immer so knackig braun aus, dass man fast neidisch werden konnte.

„Also, hast Du jemals einen Schattenjäger gesehen?”

„Ach, FX, kommst Du wieder mit der alten Geschichte? Du solltest doch mittlerweile wissen, dass noch niemand so einen Typen gesehen hat.”

Eggsy konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Ben sagte, er hätte tätowierte Runen auf der Brust eines Kommilitonen gesehen.”

„Interessant. Was denn genau?”

„Was weiß ich. Er ist schon den ganzen Vormittag wild am Zeichnen, weil er auch so etwas haben will.”

„Ohoh, besser nicht. Davon solltest Du ihn lieber abbringen. Wenn der andere wirklich ein Schattenjäger ist, kann das im Zweifelsfalle Ärger geben. Und wieso weißt Du nicht, wie die Rune ausgesehen hat. Du kannst doch einfach nachschauen!”

Letzteres fügte Eggsy mit einem sehr vorwurfsvollen Tonfall an.

„Eggsy, Du weißt genau, dass man so etwas nicht macht. Das ist mindestens genauso unhöflich, wie am Anfang eines Treffens nicht ‚Hallo’ zu sagen. Wenn nicht gar noch unhöflicher!”

Auch FX hatte den gleichen vorwurfsvollen Tonfall drauf, wie Eggsy. Da machten sich die vielen Jahre der Ausbildung durchaus bemerkbar.

„Du kannst ihn ja vorher fragen, ob Du nachschauen darfst, Du hundertfünfzig Prozentiger.”

Eggsy überlegt kurz, bevor er fortfuhr.

„Du weißt, dass wir uns gegenseitig respektieren. So sagt man zumindest. Und so handhaben wir das auch. Wir arbeiten nicht gegeneinander. Wir fragen uns gegenseitig, ob Hilfe benötigt wird. Wir unterstützen uns gegenseitig, wenn es nötig ist. Du weißt, im Großen und Ganzen sind wir für dieselbe Sache unterwegs. Wir beschützen die Zeitlinie und die beschützen halt andere Dinge.”

„Andere Dinge.”

Wie oft hatte FX das schon gehört. Viel vager konnte man das ja nicht beschreiben. FX seufzte und schüttelte den Kopf.

„FX, solltest Du den ersten Kontakt herstellen, dann falle bitte nicht mit der Tür ins Haus. Vielleicht sollte sich besser jemand anders darum kümmern.”

Unsicher kratzte sich Eggsy am Kinn. Ganz wohl war ihm nicht bei dem Gedanken, dass FX sich dieser heiklen Aufgabe des ersten Kontakts mit den Schattenjägern annahm.

„Du meinst jemanden, der repräsentativer ist, als ich?”

„Hej! So hab ich das nicht gesagt.”

Ein bisschen gespielte Empörung schwang in Eggsys Stimme mit und er stemmte die Hände in die Hüfte.

„Mir ist durchaus bewusst, dass ich für viele rein äußerlich nicht das beste Beispiel für einen der Zweiundvierzig bin, aber Du weißt, dass es nicht gelogen ist, wenn ich sage, dass ich einer der Besten von uns bin.”

„Wenn nicht sogar der Beste, aber das würde ich nie zugeben!”

Eggsy musste laut lachen.

„Natürlich würdest Du das nie, mein Meister.”


„Und überhaupt”, Michel pochte mit dem Zeigefinger auf Bens Schreibblock der ein paar Entwürfe von Runen zeigte. „Wo willste Dir das denn machen lassen? Hier auf dem Campus haben wir zwar verdammt viele Möglichkeiten, aber ein Tattoo-Studio habe ich hier noch nicht gesehen.”

„Also, Ben, was ist jetzt. Kommst Du mit baden oder bleibst Du hier?”

Nun mahnte auch Henne zur Eile.

„Es wäre doch die ideale Gelegenheit, das Tattoo, was Du hast, auch mal wieder zu zeigen, oder? Vielleicht fährt Dein Emil darauf ja genau so ab, wie Du auf seins?”

Nachdem nun auch FX den Startschuss gegeben hatte, kramte Ben in Windeseile seine Sachen zusammen und wenig später waren sie auf dem Weg zum Waldsee.

Als sie kurz darauf am See ankamen, mussten die vier Freunde feststellen, dass sie anscheinend die letzten waren, die auf diese Idee gekommen waren. Rund um den See war das Ufer sehr voll mit vielen Kommilitonen belegt. Es war, als hätte die gesamte Uni denselben Gedanken gehabt und wollte sich in der Sommerhitze abkühlen.

„Suuuper Idee, Diggis!”

Kaum dass Ben die überfüllte Wiese gesehen hatte, sank seine Laune auf den Tiefpunkt. Er ärgerte sich, denn er hätte schön zuhause bleiben können und an seinem Entwurf feilen können.

„Lass mich kurz überlegen, wer war am langsamsten beim Klamotten packen?”

Henne stellte sich direkt vor Ben und stemmte seine Fäuste in die Hüfte. Er war der kleinste der Gruppe. Sein Iro überragte dennoch sein Gegenüber.

„Hej, Ben, entspann Dich, drüben bei Deinen neuen besten Freunden ist noch etwas Platz! Da hast Du echt Glück gehabt.”

Michel deutete fast aufs gegenüberliegende Ufer, wo zwar in einiger Entfernung, jedoch gut erkennbar Emil und Paul auf einer Decke saßen.

„Ein bisschen komisch sind diese ‚Men in Black‘ ja schon, findet Ihr nicht?”

Henne hatte sich umgedreht und die beiden ebenfalls erkannt. Trotz der sommerlichen Temperaturen waren beide in schwarzen Leinenhemden und Leinenhosen unterwegs. Und beides auch nicht in kurz, sondern lang, so dass Arme und Beine komplett bedeckt waren.

„Ich würde sterben mit diesen langen Klamotten! Mir ist jetzt schon warm. Also los, oder wollt Ihr hier Wurzeln schlagen?”

FX machte sich auf den Weg und umrundete den See. Nach kurzer Zeit erreichte er die beiden Kommilitonen.

„Hej, FX. Mit Deinen langen Beinen hast Du Deine Freunde ja sauber abgehängt!”, lachte Paul.

Emil nickte zur Begrüßung knapp, sagte jedoch nichts.

„Habt Ihr heute Morgen nicht geduscht oder warum ist hier so viel Platz um Euch herum frei?”

Etwas Besseres fiel FX in dem Augenblick auch nicht ein, aber irgendwie musste er ja ein bisschen Contra geben, nach dem kleinen Scherz von Paul.

„Ehrlich gesagt sind wir nicht unter den ersten Zehn der Beliebtheitsskala in unserem Jahrgang.”

Wieder war es eine dieser monotonen Antworten, wie sie Emil immer zu geben pflegte. So viel war FX schon aufgefallen, dass Betonung und verschiedene Klangfarben nicht zu Emils stärken gehörten.

Verstohlen musterte er Emil und auch Paul aus dem Augenwinkel, jedoch waren ihre Hemden und langärmligen T-Shirts dermaßen perfekt angezogen, dass sie den Blick auf die Haut weitestgehend versperrten.

„Dürfen wir es uns dennoch hier gemütlich machen?”

Mittlerweile hatten auch die anderen drei zu FX aufgeschlossen und nach der allgemeinen Begrüßungsrunde bedurfte es gar keiner Antwort mehr auf FX’ Frage, so dass die Decken schnell ausgebreitet waren.

Während Ben und Henne mit lautem Geschrei zum Wasser liefen, machten sich Michel und FX auf den Decken breit.

„Ihr habt nicht einmal Badesachen mit, was?”

Michel hatte sich nur noch mit einer hellblauen Retro-Badehose bekleidet auf der Decke hingelegt und stellte seinen wohlgeformten Körper bestmöglich zur Schau. Seine wohlgeformten Oberarme und Brustmuskeln zogen unweigerlich die Blicke auf sich, so dass man erst auf den zweiten Blick die leichte Unförmigkeit unter seiner Badehose erkennen konnte, die der Käfig dort bildete. Aber auch Michel konnte sich einen Kommentar bezüglich der langen Kleidung und der sommerlichen Temperaturen nicht verkneifen.

„Michel, ich frag Dich in einem halben Jahr nochmal, wenn die Temperaturen etwas anders sind, als heute.”

Paul, der ohnehin immer lächelte, konnte sich ein noch breiteres Grinsen nicht verkneifen. Er wartete nur auf die Gegenfrage von Michel, bevor er endlich weiterreden durfte.

„Ääähhhmmm...”

Verwirrt und nicht imstande, eine sinnvolle Antwort zu geben, zuckte Michel nur mit den Schultern.

„Wenn ich das richtig beobachtet habe, und bei FX ist das wirklich schwer, ihn zu verwechseln, dann trägt Dein Freund hier auch im Winter kurze Klamotten!”

Das hatte gesessen. Zumindest bei Michel, der zwar seinen Mund öffnete, jedoch keinen Ton, geschweige denn ein Wort herausbrachte. Irgendwie hatte ihm Paul ordentlich Kontra gegeben und ihn sprachlos zurückgelassen.

Ganz im Gegenteil dazu krümmte sich FX vor Lachen auf der Decke und wälzte sich von einer Seite auf die andere, wobei er sich dabei den Bauch halten musste und mehrfach über seinen Gipsarm hinweg rollte.

„Oh je, wenn das keine blauen Flecken gibt.”

Irgendwann hatte er sich halbwegs beruhigt und wieder aufgesetzt, kämpfte aber noch gegen ein paar vereinzelte Lachsalven.

„Du meinst, wir sind so etwas wie Anti-Zwillinge?”

Zugegebenermaßen bezog sich diese Frage nicht ausschließlich auf das Wärmeempfinden, sondern FX war mehr denn je daran gelegen, herauszufinden, ob es sich bei Emil oder gar auch bei Paul um Schattenjäger handelte. Aber er konnte mit dieser Frage natürlich schlecht direkt ins Haus fallen.

„Hej, Junx, was haben wir denn da Lustiges verpasst?”

Henne und Ben waren wieder zurück vom Schwimmen da und tropften vor sich hin.

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