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12 Jahre Uferlos

Teil 1 - Von rehbraunen Augen und der Unendlichkeit

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Ist es nicht unglaublich, wie das Leben es vermag, jemanden zu ändern?

Heute ist man vielleicht noch fröhlich und ausgelassen. Nichts kann das eigene Glück zerstören. Aber was ist mit morgen?

Ist morgen wirklich noch alles so, wie es immer war?

Und wenn es das nicht ist, was ist dann mit dem Tag danach?

Wenn ich eins im Leben gelernt habe, dann dass sich an einem einzigen Tag alles ändern kann.

Diese Tage liegen schon ein ganze Weile zurück.

Es ist jetzt 2 Uhr morgens und ich müsste eigentlich schlafen, aber ich kann nicht.

Jetzt, nach so vielen Jahren, muss ich plötzlich und ohne jeden erkennbaren Grund um diese unchristliche Zeit meine Geschichte aufschreiben...

Ich heiße Patrick und bin 25 Jahre alt.

Mittlerweile bin ich Vater. Meine wunderhübsche Tochter wird in ein paar Tagen 16 Monate alt.

Ich war verlobt und hatte große Pläne. Ein Haus, einen Garten, vielleicht einen Hund... eben ein perfektes Familienidyll.

Doch vor fast genau zwölf Jahren geschahen ein paar Dinge, die, nun da ich sie fast vergessen hätte, mein gesamtes Leben verändern. Und es gibt nichts, was ich dagegen tun könnte... oder möchte.

Damals bin ich mit meinen Eltern aus der großen Stadt in einen kleinen, netten, ruhigen und unglaublich langweiligen Vorort gezogen. Ich hätte schwören können, der einzige Jugendliche in diesem Kaff zu sein.

Zum Glück musste ich dort nicht zur Schule gehen, da diese schon überfüllt war – was mich sehr wunderte, denn ich hatte auch nach mehreren Tagen noch immer keine Jugendlichen gesehen.

Zur Schule musste ich also immer mit der Bahn fahren. Sie lag in einem recht belebten Stadtteil am Rande der Stadt.

"Wenigstens etwas", dachte ich mir.

Wenn ich heute die Augen schließe, sehe ich noch immer das volle Klassenzimmer vor mir. Wie ich da stehe, alleine vor der Klasse, und mich vorstellen muss. Zu meinem großen Unglück musste ich die Schule mitten im Schuljahr wechseln, womit sich dann natürlich einige Schwierigkeiten ergaben.

Die Klasse hatte sich in zwei Gruppen unterteilt: Die Coolen, die überall beliebt waren und vor denen jeder kuschte... und die Loser, diejenigen, die später die bestbezahltesten Jobs bekommen oder wegen einer Drei im Zeugnis wahllos auf Leute schießen.

Weder die eine noch die andere Gruppe wollte mich haben. Aber wer konnte es ihnen verdenken? Immerhin waren sie im Laufe der Monate zu verschworenen Gemeinschaften geworden und es war noch nie leicht, in so einer Gruppe Fuß zu fassen.

So blieb mir also nichts anderes übrig, als meine Pausen allein zu verbringen.

An meinem dritten oder vierten Tag in der neuen Schule lernte ich Ihn kennen.

Marian.

Er stand mitten in der total überfüllten Aula und unterhielt sich mit irgendeinem Mädchen.

Er gehörte eindeutig zu der Gruppe der Coolen und ich bewunderte ihn schon, noch bevor ich ihn genauer betrachten konnte. Dies war das erste Bild, was sich wohl für immer in mein Gehirn gebrannt hat...

Wie er da stand, mit einer unglaublichen Selbstsicherheit und seinen langen Haaren. Er war genauso groß wie ich, also etwa 1,80, allerdings hatte ich kurze, blonde Haare und nicht dunkelbraune, wie er.

Ich glaube mich zu erinnern, dass ich ihn sogar eine kleine Weile anstarrte, bis mich die Strömung aus Schülern weiterriss und mich direkt auf ihn zutrieb.

Ich hatte wirklich Probleme das Gleichgewicht zu halten und als ich ihn dann erreicht hatte, brachte mich der Strom dazu ihn anzurempeln, und, um die Sache noch schlimmer zu machen, berührte ich ihn dabei im Schritt.

Die Wucht des Aufpralls riss uns beide zu Boden, wo wir einen kleinen Moment liegen blieben.

Als ich merkte, dass meine Hand noch immer zwischen seinen Beinen lag, sprang ich schnell auf, entschuldigte mich und gab mir alle Mühe, wieder in den Wellen der Schülermassen zu verschwinden.

Ohne mich auch nur einmal umzudrehen sah ich zu, dass ich meinen Klassenraum erreichte.

Mathe...

Nach wenigen Minuten betrat unser Mathelehrer den Raum. Ich kann mich leider nicht mehr an seinen Namen erinnern, aber ich weiß noch, dass ich mein Mathebuch nicht fand, als er uns aufforderte, es rauszuholen.

Egal wie oft ich meinen Rucksack auch durchsuchte, es war nicht da. Und dabei hätte ich schwören können, es eingepackt zu haben.

Zum Glück durfte ich bei meiner Tischnachbarin mit ins Buch gucken, also alles halb so schlimm.

Als der Schultag dann nach acht langen Stunden vorbei war und ich mich auf den Heimweg machen wollte, wartete jemand auf mich...

Marian stand an der Bahnhaltestelle und steuerte geradewegs auf mich zu, noch bevor ich mich wegdrehen konnte, um einer Konfrontation aus dem Wege zu gehen.

Vor meinem geistigen Auge sah ich mich schon mit blutender Nase und einem blauen Auge, oder schlimmeres, nach Hause gehen. Immerhin schien er etwas älter zu sein als, hatte wesentlich breitere Schultern und war an sich sehr athletisch gebaut. Bei einem Kampf oder einer Rangelei hätte ich ihm, so schmal und zierlich wie ich war, nichts entgegen zusetzen gehabt.

Als er mich schlussendlich erreicht hatte, breitete sich eine ungewohnte Stille in meinem Kopf aus. Alle Gedanken, alle Ängste, es war alles weg.

"Du warst das doch, der mich vorhin angerempelt hat, oder?"

Er rauchte! Erst jetzt sah ich, dass er rauchte. Er war höchstens 15 und er rauchte!

"Ja, es tut mir Leid. Es war keine Absicht, es war so voll und..."

"Hier, das hast du verloren."

Mein Mathebuch!

Bis heute verstehe ich nicht, wie es aus meinem Rucksack fallen konnte, denn der war eigentlich geschlossen gewesen.

"Danke", stammelte ich.

"Wie heißt du?", fragte er mich, während ich mein Buch verstaute

"Patrick."

"Hallo, Patrick. Hast du etwas Zeit?"

Zeit? Was wollte er von mir? Wollte er mich zu seinen Freunden locken, damit die mich mit verprügeln konnten?

"Ja, ein wenig schon", antwortete ich und hätte mich im selben Augenblick selber ohrfeigen können, für soviel Blödheit. Aber nun gab es kein Zurück mehr...

"Okay, dann komm mit, ich will dir was zeigen"

Völlig unfähig, mir in letzter Minute doch noch einen wichtigen Termin einfallen zu lassen, folgte ich ihm.

"Ich heiße übrigens Marian. Du bist neu hier, oder?"

Und während wir nebeneinander durch die Häuserschluchten gingen, uns unterhielten und nichts von irgendwelchen Hinterhalten zu sehen war, auch nach einer Viertelstunde nicht, begann ich mich langsam zu entspannen.

Er erzählte mir viel – von seinem Leben in den Sozialbauten, von seiner kleinen Schwester und seiner Mutter.

Nach einiger Zeit bot er mir auch eine Zigarette an.

Als ich diese ablehnen wollte, hatte ich sie auch schon im Mund und er hielt mir die Flamme unter die Nase.

Eigentlich lustig... Heute rauche ich noch immer.

Nach einer weiteren Viertelstunde und der Erkenntnis, dass ich diesen Marian mochte, blieb er plötzlich vor einer Eingangstür stehen.

Sie bestand aus dem typischen, undurchsichtigen Gitterglas und war voll von grottenschlechten Graffitis.

"So, hier wohne ich. Danke, dass du mich nach Hause begleitet hast."

Er steuerte auf die Tür zu.

"Wir sehen uns dann morgen in der Pause."

Was?

"Ich dachte du wolltest mir etwas zeigen. Außerdem finde ich hier niemals alleine wieder raus."

Und da sah ich ihn das erste Mal lächeln.

Er hatte so ein freches und niedliches Lächeln, das man ihn einfach mögen musste.

"Na, dann komm noch mit hoch."

Ich werde niemals diese Fahrstuhlfahrt vergessen.

Selten hatte ich danach je wieder solche Angst, zu sterben. Und wie es der Zufall wollte, mussten wir mit diesem klappernden und quietschenden Ding bis in den sechsten Stock fahren.

Seine Mutter stand gerade in der Küche, als wir die Wohnung betraten. Sie war eigentlich ganz nett eingerichtet. Und auch seine Mutter war sehr nett. Innerhalb kürzester Zeit fühlte ich mich ganz wie zu Hause.

Als Marian mir sein Zimmer zeigte, schloss er die Tür hinter sich ab und zündete sich eine weitere Zigarette an.

"Du rauchst zu Hause?" Rückblickend muss ich sagen, das dies eine sehr dumme Frage war, denn offensichtlich tat er das und seine Antwort passte sehr gut zu meiner dummen Frage: "Natürlich, du nicht?"

Und da war es wieder, dieses Lächeln.

Wir saßen schweigend auf seinem Bett und teilten uns die Zigarette. Nachdem sie aufgeraucht war, drehte er sich zu mir und sah mir sehr tief in die Augen.

"Sag mal, das vorhin in der Schule – war das wirklich ein Versehen?"

Ich wusste nicht was diese Frage sollte, und dass er mir so in die Augen schaute, war mir auch recht unangenehm, aber irgendwie war es das auch wieder nicht.

Sie waren rehbraun und man hatte das Gefühl, in die Unendlichkeit zu blicken, wenn man hineinsah.

"Ja klar war es das. Ich konnte echt nichts dafür. Die anderen Schüler haben mich einfach mitgerissen und dann habe ich das Gleichgewicht..."

"Das meinte ich nicht."

Noch immer sah er mir in die Augen und ein seltsamer Glanz war darin zu sehen, den ich niemals wieder bei einem anderen Menschen gesehen habe.

Ohne den Blick abzuwenden nahm er meine Hand und legte sie in seinen Schritt.

"Ich meinte das."

Jetzt war die Scheiße durch den Ventilator geflogen!

In meinem Kopf überschlugen sich die Ereignisse. Während meine rechte Gehirnhälfte noch völlig schockiert den Befehl geben wollte sofort die Hand zurückzuziehen, sah meine linke Gehirnhälfte das alles ganz anders, und zwar fand sie es gut, so wie es war.

Nichts desto trotz musste ich schwer schlucken und dachte dann tatsächlich über seine Frage nach...

War es wirklich ein Versehen gewesen?

Ich konnte nicht anders, ich musste die Wahrheit sagen: "Ich... ich weiß es nicht."

Einen Moment lang saßen wir reglos da. Durch den Stoff seiner Jeans konnte ich die Teile seines Körpers fühlen, welche ihn definitiv als Mitglied des männlichen Geschlechtes auswiesen. Dann lächelte er wieder, aber diesmal sah er mir dabei direkt in die Augen.

"Du bist echt niedlich."

Wie bitte?

Und dann geschah es...

Er küsste mich.

Es war der erste Kuss meines Lebens. Er war so zärtlich und, nachdem ich mich daran gewöhnt hatte, eine fremde Zunge in meinem Mund zu spüren, auch wundervoll.

Er legte seine Arme um meine Schultern. Doch ich war völlig unfähig mich zu rühren. Ich ließ es einfach geschehen und erwiderte seinen Kuss.

Als sich dann etwas in seiner Hose regte, merkte ich, wo meine Hand noch immer lag...

Schüchtern, wie ich war nahm ich sie schnell weg und legte sie um seine Taille.

Ich kann heute nicht mehr sagen, wie lange wir uns dort küssten. In diesem Augenblick hätte ich gesagt, eine Ewigkeit. Wenn man mich heute fragen würde, würde ich antworten "Zu kurz!".

Aber leider wurde dieser unglaubliche Kuss ziemlich unsanft unterbrochen, als seine Mutter an die Tür klopfte und fragte, wann ich denn zu Hause sein müsse.

Nach einem kurzen Blick auf die Uhr, gefolgt von einem herzhaften "Oh Shit" merkte ich, dass ich dort schon seit über einer Stunde hätte sein müssen.

Mit seinem Fahrrad brachte Marian mich dann zurück zur Bahnhaltestelle und wartete dort noch einen Moment mit mir.

Wir redeten kein Wort. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich hätte sagen sollen...

Auch als dann meine Bahn kam, fiel der Abschied eher dürftig aus.

"Ich sehe dich dann morgen in der Schule", sagte er und schwang sich auf sein Rad.

Um ein Haar wäre mir so etwas Bescheuertes wie "Ich ruf dich an" oder Ähnliches rausgerutscht, aber zum Glück schlossen sich vorher die Türen der Bahn und ich trat meine Heimreise an, um mir meinen ganz persönlichen Anschiss von meinen Eltern abzuholen.

Am nächsten Morgen konnte ich es noch immer nicht fassen...

Er hatte mich geküsst!

Als ich die Schule betrat, fühlte sich mein Kopf an, als hätte mein Gehirn beschlossen, sich in Gelatine zu verwandeln und heute mal Blau zu machen.

Die Schulstunden vergingen wie in Zeitlupe. Aber irgendwann hatte ich es geschafft. Pause!

Ich machte mich auf die Suche nach Marian, aber ohne Erfolg.

Als die Schulglocke erklang und die nächste Unterrichtsstunde einläutete, nahm ich mir vor, mich in der nächsten großen Pause in die Höhle des Löwen zu begeben und ihn in der Raucherecke, dort wo sich alle Coolen versammelten, zu suchen.

Und wieder bewiesen mir die zwei Unterrichtsstunden, dass die Zeit doch relativ war. Denn so langsam sie für meine Mitschüler auch vergehen mochte... Für mich blieb sie praktisch stehen!

Als es dann endlich überstanden war, machte ich mich erneut auf die Suche.

In der Raucherecke, einem kleinen und schwer einzusehenden Platz hinter der Sporthalle angekommen, fühlte ich mich so deplatziert, wie ein Skifahrer auf einem Golfplatz. Aber, nach einigen Minuten des Suchens wurde ich schließlich fündig.

Marian lehnte mit einem blonden, schlanken Mädchen im Arm an einer Mauer und knutschte wild mit ihr rum.

In was für eine Welt war ich nun eigentlich hineingeraten? Aus früheren Situationen kannte ich ja das Gefühl der Ratlosigkeit, aber in diesem Augenblick erreichte es ungeahnte Dimensionen.

Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte ich, dass er das Blondchen nicht halb so leidenschaftlich küsste, wie er mich am Vortag geküsst hatte.

Endlich öffnete er die Augen und bemerkte mich. Schnell löste er seine Zunge von ihren Mandeln und kam auf mich zu.

"Ich dachte wir wollten uns in der Pause treffen?" Ich bemühte mich wirklich sehr, nicht allzu vorwurfsvoll zu klingen, aber ob es mir letzten Endes auch gelang steht auf einem anderen Blatt.

"Sorry, ich war etwas abgelenkt."

Sein freches Lächeln hatte mich selbst in meine Träume begleitet, aber das Lächeln, mit dem er mich nun bedachte war einfach nur ein Lächeln, nicht mehr und nicht weniger. Etwas war anders als gestern...

Er zog die Blondine zu uns heran. "Das ist Judith." Ich schenkte ihr ein leichtes Kopfnicken, auch wenn ich ihr in diesem Moment lieber eine leichte Kopfnuss geschenkt hätte.

"Und das hier", er machte eine ausladende Geste in meine Richtung, "ist der Eiergrabscher, von dem ich dir erzählt habe."

Schlagartig merkte ich, wie mir erst die Schamesröte ins Gesicht stieg, dann jedoch schnell in einen sehr viel tieferen Rotton wechselte, tiefer und böser!

Was bildete dieses Arschloch sich eigentlich ein, mich erst abzuschlabbern und sich am nächsten Tag vor seinen Freunden über mich lustig zu machen?

"Alter, ich weiß ja echt nicht, welche Drogen du nimmst. Aber du solltest echt weniger nehmen, du Arsch!"

Überrascht von mir selber, dass ich es tatsächlich über mich gebracht hatte, endlich mal jemandem die Meinung zu geigen, drehte ich mich um und stapfte davon.

Ich schätze, in meinem Gesicht stand "Verpiss dich, oder es passiert was!" geschrieben, denn zum ersten Mal, seit ich auf dieser Schule war, rempelte mich niemand an. Es war fast so, als bildeten die Leute eine Gasse für mich.

Meine Wut war längst noch nicht verraucht, als ich das Schulgebäude nach der letzten Stunde verließ.

Auf dem Weg zur Bahnhaltestelle sah ich Marians Mutter mit ihrem Auto vorfahren, wohl um ihren Sohn abzuholen. Allerdings sah sie mich auch und winkte mich zu sich.

Als ich sie erreicht hatte , war er dann auch schon da.

Er küsste seine Mutter auf die Wange und schien ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Als sie ihm zunickte, wandte er sich mir zu.

"Meine Mutter hat zugestimmt, dass du heute bei uns mit essen kannst, wenn du magst. Sie würde auch mit deinen Eltern reden, damit du länger bleiben kannst, immerhin ist ja morgen schon Wochenende." Und, als ob niemals etwas passiert wäre, schenkte er mir wieder sein 10-Millionen-Dollar Lächeln.

Was war bloß mit diesem Typen los? Hatte er vielleicht einen Zwillingsbruder? Oder hatte er eine gespaltene Persönlichkeit?

Entgegen jeglichen logischen Denkens nickte ich kurz und stieg mit in den Wagen.

Während der Fahrt sagte niemand etwas. Aus dem Augenwinkel sah ich, das Marian immer wieder versuchte, Blickkontakt mit mir herzustellen, aber ich schaute nur stur aus dem Fenster. Endlich bei ihm zu Hause und endlich allein mit ihm nahm ich mir vor, mich gar nicht erst einwickeln zu lassen.

Er sollte ruhig merken, das ich stinksauer war. Aber warum war ich eigentlich sauer? Weil er mich in aller Öffentlichkeit so dermaßen blamiert hatte, oder weil er diese Blondine abgeschlabbert hatte?

"Es tut mir Leid, Patrick", riss er mich aus meinen Gedanken. "Die Anderen erwarten so'n Mist von mir."

"Wieso?", ich sah ihn noch nicht einmal an.

"Wenn du hier aufwächst, dann versuch mal den Anderen zu erklären, das du auf Jungs stehst." Jetzt sah ich ihn allerdings doch an, denn mit so etwas hatte ich nicht gerechnet.

"Noch nicht mal die Loser unserer Schule würden noch was mit mir zu tun haben wollen."

Ich konnte es nicht fassen...

Er stand auf Jungs!

Aber das musste dann ja bedeuten, das ich das auch tat, oder?

Immerhin hatten wir uns geküsst und zwar lange und unglaublich zärtlich...

"Aber wieso musstest du diesen Mist denn bei mir abziehen?"

Nun war er es, der meinen Blick zu meiden versuchte. "Weil alle das von gestern mitbekommen hatten. Und hätte ich nichts dazu gesagt, als du inner Raucherecke aufgetaucht bist, dann wäre das doch echt komisch rübergekommen, oder? Außerdem habe ich ihnen gesagt, das es nur 'n Unfall war und das wars. Morgen denkt niemand mehr daran."

"Und was ist mit Julia?"

"Judith! Sie ist meine beste Freundin und weiß Bescheid. Es ist sozusagen alles nur Tarnung."

Tarnung? Er steht auf Jungs? Er mag mich doch?

Ich konnte nicht anders, ich musste ihn einfach küssen.

Erschrocken riss er erst die Augen auf, schloss sie allerdings schnell wieder und erwiderte meinen Kuss.

Ich streichelte seine Wange und er meine.

Was tat ich da bloß?

Was auch immer es war, ob es richtig war oder falsch. Es fühlte sich einfach nur gut an. So gut.

Ehe ich mich versah, saßen wir nicht mehr, sondern lagen nebeneinander auf seinem Bett.

Und wieder wurden wir von seiner Mutter gestört, aber dieses mal war es eine fantastische Nachricht.

"Patrick? Ich habe gerade mit deiner Mutter telefoniert, und sie ist damit einverstanden, dass du hier übernachtest, wenn du möchtest", hörten wir ihre Stimme, gedämpft durch die Tür.

Ob ich damit einverstanden war?

Es klingt komisch, aber ich musste wirklich erst einen Moment überlegen. Immerhin hatte ich schon eine gewisse Ahnung, was in dieser Nacht passieren würde, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie das denn überhaupt funktionieren sollte.

Aber ich beschloss, es drauf ankommen zu lassen.

"Ja, sehr gerne", antwortete ich, noch halb an Marians Lippen hängend.

Und ich sollte meine Entscheidung nicht bereuen...

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