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Schwarz und Weiß und Alles dazwischen

Teil 4 - Richter und Henker

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel X

Georgs Vater stand etwa 20 m von uns entfernt. Wir sahen uns an und keiner von uns bewegte sich. Aus den dunklen Wolken fielen die ersten Tropfen und der Donner rollte bedrohlich über die Berggipfel hinweg.

„Was willst du schon wieder hier?“ knurrte er mich an. Die anderen ignorierte er einfach, als ob sie gar nicht da wären.

Ich schwieg. Ein Blitz zuckte in der Ferne über den Himmel und ein paar Sekunden später zerriss der Donner die gespannte Stille zwischen uns.

„Ich hab dich was gefragt!“

„Wir sind wegen Georg hier“, antwortete ich schließlich. „Er kommt mit uns mit.“

„Was?“

„Ich denke, Sie haben mich recht gut verstanden“, sagte ich gereizt und drehte mich zu den anderen um. „Kommt schon. Lasst uns gehen.“

Wir setzten uns langsam in Bewegung. Dummerweise mussten wir an Georgs Vater vorbei um zu dem Weg zu gelangen, der uns nach Hause führen würde. Mit jedem Schritt auf ihn zu wuchs meine innere Anspannung. Jeder Muskel in meinem Körper stand plötzlich unter Strom und meine Nerven waren kurz vor dem Zerreißen. Ich schaute ihm die ganze Zeit in die Augen und er schaute finster zurück. Als ich noch zwei Meter von ihm entfernt war, stellte er sich mir plötzlich in den Weg.

„Nein.“ Seine Stimme war leise, kaum mehr als ein heiseres Flüstern.

„Lassen Sie uns vorbei“, sagte ich ruhig, aber innerlich war ich alles andere als ruhig. Ich konnte meinen Herzschlag in meinen Schläfen spüren und in mir tobte ein erbitterter Kampf zwischen meiner Wut und meiner Angst. Und es sah alles nach einem eindeutigen Sieg für meine Angst aus. Ich bin wirklich kein Held.

„Georg bleibt hier. Bei mir.“

„Er will aber nicht bleiben“, stellte ich klar.

„Wieso sagt er mir das nicht selbst?“ fragte er mit einem verschlagenen Lächeln.

Ich drehte mich zu Georg um. Seine Lippen waren fest zusammengepresst und ich sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Er starrte auf seine Füße, und seine Hände ballten sich rhythmisch zu Fäusten. Auf und zu, auf und zu.

„Na los, Georg. Sag’s ihm“, meinte ich ermutigend, doch er stand einfach nur da.

„Siehst du. Mein Sohn wird mich nie verlassen. Er gehört...“

„Ich gehe mit“, unterbrach ihn Georg und blickte auf. Sein Gesicht war jetzt ruhig und seine Hände hatten aufgehört zu pumpen. Als wäre das ein geheimes Stichwort gewesen, fing es an zu regnen. Aus den vereinzelten Regentropfen, die sich mühsam aus den dunklen Wolken gequält hatten, wurde in kürzester Zeit ein Vorhang aus Wasser, der sich um uns legte. Innerhalb von Sekunden waren wir nass bis auf die Knochen und mein T-Shirt klebte an meinem Oberkörper. Mit dem Regen setzte auch der Wind ein und blies uns die großen Tropfen entgegen.

Georgs Vater sah aus, als hätte man ihn geschlagen. Ich hielt das für den besten Zeitpunkt um zu verschwinden und ging langsam an ihm vorbei. Er machte keine Anstalten mich aufzuhalten, aber dann hörte ich Michael hinter mir schreien:

„Pass auf!“

Bevor ich reagieren konnte, explodierte ein schreiender Schmerz in meinem Hinterkopf und ich fiel vornüber in das nasse Gras. Vorsichtig fasste ich an meinen Kopf, und als ich meine Hand anstarrte, war sie voller Blut. Dann versank alles um mich herum in Dunkelheit. Von weit her hörte ich noch Michael, der immer wieder meinen Namen rief.


„Und was ist dann passiert?“ fragte der Polizist mit kaum verhohlener Neugier. So gelangweilt, wie er am Anfang des Verhörs noch gewesen war, so interessiert war er jetzt gegen Ende. Er wirkte auf Nick fast wie ein kleiner Junge, der unbedingt wissen will, wie seine Gute-Nacht-Geschichte ausgeht. Während sich Nick bedächtig eine neue Zigarette anzündete und gierig den Rauch in seine Lungen sog, spielte er kurz mit dem Gedanken, dem Polizisten einfach zu erzählen, was an jenem Abend wirklich passiert war. Aber dann entschied er sich für die Geschichte, die er mit den anderen abgestimmt hatte und erzählte weiter.


Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Gras. Es regnete was das Zeug hielt und ich hatte höllische Kopfschmerzen. Michael saß neben mir und hatte meinen Kopf auf seine Oberschenkel gelegt. Besorgt sah er zu mir herunter. Seine braunen Haare hingen ihm klatschnass ins Gesicht und ich beobachtete fasziniert, wie sich unaufhörlich kleine Tropfen an seinen Haarspitzen sammelten und auf meine Stirn tropften.

„Hi Großer“, brachte ich mühsam hervor. „Hab ich was verpasst?“

Sein Gesicht war zwar komplett nass, aber ich glaubte trotzdem zu sehen, dass sich ein paar Tränen unter die Regentropfen mischten, die seine Wangen herab liefen. Er schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht viel“, antwortete er mit erstickter Stimme.

„Wo ist Georgs Vater?“ Michael schwieg und blickte über mich hinweg. Ich folgte seinem Blick und sah, dass der Holzschuppen neben dem Haus lichterloh brannte. Die Flammen schlugen wütend aus dem eingestürzten Dach und loderten meterhoch in den dunklen Himmel. Selbst der starke Regen konnte nichts gegen diese Naturgewalt anrichten. Kai stand ein paar Meter von uns entfernt, hatte uns den Rücken zugewandt und starrte reglos in die Flammen. Seine Hände waren tief in seinen Hosentaschen vergraben.

„Und Georg?“ fragte ich besorgt.

Michael schaute mich an und schüttelte dann den Kopf.

„Er hat versucht seinen Vater da raus zu holen. Dann ist das Dach eingestürzt.“

Ich schloss die Augen.

„So eine Scheiße!“


Nick nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und sah dem Polizisten in die Augen. „Dann sind wir zurück zu meiner Hütte und am nächsten Tag sind wir nach unten gegangen.“

„Und das war’s?“ Fragte der Polizist ungläubig.

„Ja. Das war’s“, bestätigte Nick ruhig.

„Sie erwarten doch nicht etwa, dass ich Ihnen das glaube, oder?“

„Ach wissen Sie,“ antwortete er nach einem weiteren Zug an seiner Zigarette. „es ist mir wirklich völlig egal, was Sie glauben und was nicht. Und jetzt muss ich mal austreten.“

Der Polizist starrte ihn ein paar Sekunden lang an. Wahrscheinlich versuchte er herauszufinden, wie hart der Verdächtige wirklich war. Dann stand er auf und führte Nick wortlos zu den Waschräumen. Die Toilette sah genau so aus, wie Nick sich das vorgestellt hatte. Die senfgelben Fliesen, die noch aus den Sechzigern stammen mussten, gaben dem Raum eine trostlose Atmosphäre, die durch das kleine, vergitterte Fenster noch verstärkt wurde. Rechts befanden sich zwei alte, schmutzige Waschbecken mit Armaturen, die jeder russischen Kaserne zur Ehre gereicht hätten. Links gab es zwei absperrbare Kabinen, die beide nicht besetzt waren. Nick steuerte auf die erste Kabine zu, wurde aber von dem Polizisten zurückgehalten.

„Das Gitter vor dem Fenster ist neu und ich stehe gleich vor der Tür.“ Nick gab ihm mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass er wusste was gemeint war. Er hatte sowieso nicht vorgehabt abzuhauen. Er ging in die Kabine und schloss die Tür hinter sich. Dann klappte er den Toilettendeckel nach unten und setzte sich darauf. Jetzt, da er allein war, bröckelte seine coole Fassade und er vergrub sein Gesicht in den Händen. Er fing an zu zittern und versuchte verzweifelt die Tränen zurückzuhalten. Er durfte sich jetzt noch nicht gehen lassen! Das Verhör war noch lange nicht zu Ende. Er hatte sich nur eine kurze Verschnaufpause verschafft, aber er wusste, dass ihm noch eine lange Nacht bevorstand. Eine Nacht, in der er immer wieder seine gut einstudierte Geschichte wiederholen musste. Es durfte keinen Fehler geben! Die anderen verließen sich auf ihn. Doch so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht verhindern, dass sich die Erinnerungen an jenen Abend unaufhaltsam in seinen Kopf drängten. Die wütenden Schreie, das Feuer und der widerliche Gestank nach verbranntem Fleisch.

Kapitel XI

Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Gras. Es regnete was das Zeug hielt und ich hatte höllische Kopfschmerzen. Michael saß neben mir und hatte meinen Kopf auf seine Oberschenkel gelegt. Besorgt sah er zu mir herunter. Seine braunen Haare hingen ihm klatschnass ins Gesicht und ich beobachtete fasziniert, wie sich unaufhörlich kleine Tropfen an seinen Haarspitzen sammelten und auf meine Stirn tropften.

„Hi Großer“, brachte ich mühsam hervor. „Hab ich was verpasst?“

Sein Gesicht war zwar komplett nass, aber ich glaubte trotzdem zu sehen, dass sich ein paar Tränen unter die Regentropfen mischten, die seine Wangen herab liefen. Er schüttelte den Kopf.

„Nein, nicht viel“, antwortete er mit erstickter Stimme.

„Wo ist Georgs Vater?“ Michael schwieg und blickte über mich hinweg. Ich folgte seinem Blick und sah eine leblose Gestalt ein paar Meter von uns entfernt auf dem Boden liegen. Georg stand daneben und starrte auf seinen Vater.

„Ist er...?“

„Nein. Aber er wird ziemliche Kopfschmerzen haben, wenn er aufwacht.“

Ich sah mich um. Kai kniete rechts neben mir und sah erschöpft aus. Eine Platzwunde über seinem linken Auge blutete stark. Das Blut vermischte sich mit dem Regen und rann ihm über das Gesicht. Aber auch er lächelte.

Mein Blick glitt wieder zu Georg, der völlig bewegungslos dastand und auf den reglosen Körper starrte, der vor ihm lag. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, aber irgendetwas an seiner Haltung machte mir Angst. Ich versuchte aufzustehen und zu ihm hinüber zu gehen, aber ein gellender Schmerz bohrte sich in meinen Schädel.

„Scheiße!“ fluchte ich laut.

„Bleib liegen“, sagte Michael sanft. „Du hast ganz schön was abbekommen.“

Ich hielt mir meinen Hinterkopf und sah wieder zu Georg hinüber, der noch immer wie versteinert wirkte.

„Hilf mir hoch.“

„Denkst du nicht, dass du liegen...“

„Michael, bitte!“ sagte ich eindringlich.

Er seufzte laut und half mir dann vorsichtig hoch. Schließlich hatte ich es geschafft. Einen Arm um Michaels Schulter gelegt, wartete ich darauf, dass die Welt aufhörte sich zu drehen. Mir war hundeelend, aber ich musste zu Georg. Gemeinsam gingen wir langsam zu ihm hinüber.

„Georg?“ fragte ich leise.

Er schwieg und gab keine Reaktion, dass er mich gehört hatte. Gerade, als ich ihn noch mal ansprechen wollte, meinte er ohne mich anzusehen „Ich habe ihn geliebt“ mit einem bitteren Unterton in seiner Stimme. Und ich war mir nicht sicher, ob er damit meinen oder seinen Vater meinte.

„Lass uns gehen“, sagte ich leise. “Wir werden unten mit der Polizei reden, vielleicht...“ meine Stimme verlor sich, als ich erkannte, dass nichts geschehen würde. Die Polizei hatte die Sache längst zu den Akten gelegt und Georgs Vater ging wahrscheinlich auch noch zum selben Stammtisch wie die Polizisten.

„Nein. Es wird hier enden. Jetzt“, sagte Georg mehr zu sich selbst, als zu uns. Dann wandte er sich mir zu und in seinen Augen konnte ich erkennen, was er vorhatte. „Ihr solltet lieber gehen. Das muss ich selbst erledigen.“

„Georg, bist du dir sicher?“ fragte ich.

Er sah mich weiter an. Regentropfen liefen ihm über das Gesicht. Es gab keinen Zweifel, dass er sich sicher war. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Ich sah zu dem Körper von Georgs Vater, der zu meinen Füßen im Gras lag. Alle paar Sekunden hob und senkte sich sein Brustkorb. Es sah aus, als würde er ganz ruhig schlafen. Ich dachte daran, was er getan hatte und wie sehr er seinen eigenen Sohn damit verletzt hatte. Ich dachte an den Schmerz und die Verzweiflung, die er mit seiner Tat verursacht hatte. Niemand sollte ungestraft mit so etwas davon kommen. Und da, im strömenden Regen, auf meinen Freund gestützt, traf ich meine eigene Entscheidung.

„Okay. Schaffen wir ihn in den Schuppen.“

„Ich weiß das wirklich zu schätzen“, erwiderte Georg abwehrend, „aber das ist etwas, dass ich alleine erledigen muss. Es ist gewissermaßen eine Familien-Angelegenheit.“

„Ja, genau das ist es“, stimmte ich ihm zu. „Harald war schließlich mein Vater.“

Georg schien zu überlegen und fragte schließlich nach ein paar Sekunden.

„Wieso in den Schuppen?“

„Damit es wie ein Unfall aussieht.“

„Sagt mal, habt ihr sie noch alle!“ mischte sich Kai ein. „Wisst ihr überhaupt, wovon ihr da redet?“

„Ja“, antwortete ich. „Wir reden von Gerechtigkeit.“

Er starrte mich ungläubig an.

„Gerechtigkeit!? Komm mir bloß nicht mit diesem Gerechtigkeits-Scheiß!“ sagte er verächtlich und seine blauen Augen blitzten. „Dir geht es doch nur um Rache.“

„Vielleicht ist das in diesem Fall das Gleiche“, erwiderte ich gereizt.

„Ach ja. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ist es das was du willst? Denn darauf läuft es hinaus.“

„Er hat es verdient!“ fuhr ich ihn an.

„Ach und das hast du zu entscheiden?“ gab er laut zurück und fügte dann etwas leiser hinzu „Vielleicht hat er es wirklich verdient. Vielleicht auch nicht. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass du glaubst entscheiden zu können, ob er es verdient hat.“

Ich rieb meine Schläfen. Die Kopfschmerzen brachten mich fast um. Es fühlte sich an, als ob ein Messer in meinem Hinterkopf steckte.

„Und was ist die Alternative?“ fragte ich schwach. „Wenn wir nichts tun, wird er damit durchkommen. Er wird einfach hier weiterleben, als ob nichts passiert wäre. Ist das besser?“

Kai starrte mich an, antwortete aber nicht darauf.

„Und sieh dich mal um. Außer uns ist niemand hier, der für Gerechtigkeit sorgen könnte.“

„Und deswegen übernimmst jetzt du, oder was? Und weil Richter noch nicht genug ist, spielst du auch gleich noch den Henker?!“

„Du meinst so, wie es er bei meinem Vater getan hat?“ sagte ich ruhig und das schien ihn ein wenig aus dem Konzept zu bringen.

„Was denkst du?“ fragte Kai einen sehr stillen Michael neben mir.

„Er hat meinem Kleinen fast den Schädel gespalten. Schon allein dafür hat er es verdient“, sagte er und küsste mich sanft auf die Stirn.

Kai schüttelte resigniert den Kopf, sagte aber nichts mehr.

Michael und Georg schleppten den reglosen Körper von Georgs Vater in den Schuppen. Hier war es zumindest einigermaßen trocken, wenn man sich von der Hälfte fern hielt, bei der das Dach eingefallen war.

„Und jetzt?“ fragte mich Kai. Ich sah mich im Halbdunkel um. Der Schuppen gab nicht viel her. Es standen und lagen jede Menge Werkzeuge rum. Schaufeln, Sägen, eine Sense und Holz in jeder Form.

„Was ist? Keine Idee?“ Kais Stimme triefte vor Sarkasmus. „Wie wollt ihr ihn denn umbringen? Was haltet ihr von zerstückeln und an die Tiere verfüttern? Das wäre doch was.“

Ich versuchte ihn zu ignorieren und mich zu konzentrieren.

‚Es muss wie ein Unfall aussehen’, dachte ich angestrengt.

Dann fiel mein Blick auf einen roten Benzinkanister in der Ecke des Schuppens und ein kleines Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

„Ich weiß, was wir tun“, sagte ich mit einem leichten Zittern in der Stimme. Georg sah mich neugierig an und ich deutete auf den Kanister.

„Das Feuer wird den Schuppen zum Einsturz bringen, was seine Verletzungen erklären wird, und es wird die meisten Spuren vernichten.“

„Und wie erklärst du das Feuer?“ fragte Michael.

„Vorher hatten wir doch ein starkes Gewitter, oder? Es wird aussehen, als hätte der Blitz eingeschlagen. Ein tragischer Unfall...“

Georg sah mich lange an und nickte dann stumm. Wir verteilten das Benzin in einer trockenen Ecke des Schuppens und warfen noch etwas Holz darauf. Dann standen wir da. Der beißende Geruch des Benzins lag in der Luft. Der Regen prasselte auf das Dach. Keiner von uns wollte irgendetwas sagen oder tun. Ich seufzte leise.

„Okay, bringen wir es zu Ende. Georg?“

Er starrte auf seinen Vater und nickte wieder.

„Ja, es wird Zeit.“

Ich hob ein kleines, trockenes Holzstück vom Boden auf und suchte in meinen Taschen nach einem Feuerzeug. Schließlich förderte ich ein billiges Plastikfeuerzeug zu Tage, das ich irgendwo als Werbegeschenk bekommen hatte. Ich hielt die gelbliche Flamme an das Holz, das auch schnell Feuer fing. Nach ein paar Sekunden war ich zufrieden.

„Na dann“, sagte ich und warf das brennende Holzstück in die Ecke, in der wir das Benzin verteilt hatten. Die Dämpfe entzündeten sich fast sofort und fasziniert beobachtete ich, wie sich das Feuer ausbreitete. Bald schon griff es auf die Wände über und es wurde verdammt heiß in der Hütte.

„Okay, Zeit zu verschwinden“, sagte ich und nach einem letzten Blick auf Georgs’ Vater verließen wir den Schuppen.

„Herzlichen Glückwunsch!“ sagte Kai ernst. „Ihr habt gerade einen Mord begangen.“

Ich drehte mich um und wollte etwas erwidern, als ich bemerkte, dass etwas nicht stimmte.

„Georg?“ rief ich.

Er trat in die Tür des Schuppens und sah mich an. Hinter ihm wurde der Schuppen von den Flammen hell erleuchtet.

„Komm schon!“

Doch er schüttelte nur den Kopf und schloss langsam die Tür.

„Nein!“ schrie ich und rannte los. Ich erreichte die Tür und wollte sie aufstoßen, aber anscheinend hatte er sie verriegelt. Sie rührte sich keinen Millimeter. Ich rüttelte an der massiven Holztür und hämmerte mit den Fäusten dagegen.

„Nein!“ schrie ich wieder.

„Nick?“ sagte Michael hinter mir. Ich fuhr herum und sofort wurde mir wieder schwindelig.

„Hilf mir. Wir müssen ihn da heraus holen.“ Aber er stand nur da und sah mich an.

„Er will es so.“

„Nein!“

In diesem Moment zersprang rechts von uns ein Fenster durch die Hitze und die Scherben fielen in das Gras neben uns. Flammen züngelten durch die Öffnung und fast sofort spürten wir die enorme Hitze, die das Feuer schon entwickelt hatte.

Michael legte eine Hand auf meine Schulter.

„Wir müssen hier weg“, sagte er bestimmt.

„Aber Georg....er...wir können doch nicht...“ stammelte ich.

Widerwillig ließ ich mich dann doch von dem Schuppen wegführen. In sicherer Entfernung drehten wir uns um und sahen stumm zu, wie das Dach komplett einbrach. Funken stoben in den Himmel und wütende Flammen schlugen in die Dämmerung. Von drinnen hörte ich einen erstickten Schrei. Ich war mir nicht sicher, ob er von Georg kam, oder ob sein Vater im völlig falschen Moment wieder zu sich gekommen war. Doch das Schlimmste war der Geruch. Der Gestank nach verbranntem Fleisch wehte zu uns herüber und hüllte uns ein, durchdrang uns und wurde schließlich zu einem Teil von uns. So sehr ich mich später auch bemühte, ich konnte ihn nie wieder loswerden. Selbst nach unzähligen Stunden unter der Dusche und in frischen Sachen haftete dieser Geruch noch an mir. Manchmal war er kaum wahrnehmbar, doch manchmal war er so stark, dass ich fast kotzen musste.

Epilog

Angewidert schüttelte Nick den Kopf, wie um die Erinnerung an jene Nacht zu vertreiben. Als er sich wieder etwas beruhigt hatte, stand er auf und verließ auf wackeligen Beinen die Kabine der Polizei-Toilette. Gründlich wusch er sich die Hände, die ein wenig zitterten, und versuchte nicht in den zerkratzten Edelstahl-Spiegel zu schauen, der über dem Waschbecken hing. Er spritzte sich noch etwas kaltes Wasser ins Gesicht, trocknete sich ab und verließ schließlich die Toilette. Draußen nahm ihn der Polizist auch gleich wieder in Empfang und brachte ihn nach unten in das Vernehmungszimmer. Als sie wieder am Tisch saßen, sah Nick dem Polizisten müde in die Augen.

„Und was jetzt? Soll ich alles nochmal erzählen.“

Der Polizist lächelte ein dünnes Lächeln und schüttelte den Kopf.

„Nein, das wird nicht nötig sein. Die Aussagen ihrer Freunde stützen ihre Geschichte. Auch wenn ich mir sicher bin, dass Sie mir etwas verschweigen, kann ich nichts beweisen. Sie können gehen.“

Nick konnte es kaum glauben. Das sollte es gewesen sein?! Das war alles? Er stand auf und ging zur Tür.

„Bevor ich es vergesse: Möchten Sie eigentlich wissen, warum er es getan hat?“ fragte ihn der Polizist, als er gerade die Hand auf die Klinke gelegt hatte. Nick hielt inne und drehte sich langsam um. Der Polizist blätterte in irgendwelchen Akten.

„Was war das?“

„Ich habe gefragt, ob Sie wissen wollen, warum sich ihr Vater umgebracht hat.“

Nick konnte nicht sprechen sondern nickte nur. ‚Sich Umgebracht! Wovon zur Hölle redete dieser Polizist?’ Sein Mund war plötzlich staubtrocken.

„Ich habe mit seinem Arzt gesprochen, einem Dr. Wurzrainer. Und der hat mir bestätigt, dass er ihren Vater zwei Tage vor seinem Tod untersucht hat.“

„Ja, das stand auch in seinem Tagebuch. Und?“ Nicks Stimme war nur noch ein Krächzen.

„Bei dieser Untersuchung hat Dr. Wurzrainer ihrem Vater gesagt, dass er HIV positiv ist. Wie man sich vorstellen kann, hat ihr Vater diese Nachricht ziemlich schlecht aufgenommen. Wir sind uns nicht sicher, aber wahrscheinlich hat er sich deswegen das Leben genommen.“

„Gibt es irgendwelche Hinweise, dass es kein Selbstmord war?“

Das sorgte für eine hochgezogene Augenbraue bei dem Polizisten.

„Nein. Keine. Die Tür zum Keller war von innen verschlossen, als wir bei der Hütte angekommen sind, und er hatte den Lauf der Schrotflinte noch im Mund.“

Nick wurde schwarz vor Augen.

Was hatte er nur getan?!

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