zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Ronny

Teil 7

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Zusammenfassung Teil 6:
Julian gesteht Ronny seine Liebe zu Juan. Dieser versucht mit Juan ins Gespräch zu kommen um zu erfahren, ob Julian denn eine Chance bei ihm hätte. Juan erklärt nur, er wird nie eine Beziehung eingehen können. Warum? Julian ist verzweifelt und Ronny ist besorgt. Besorgt um seinen neuen Freund, denn er hat Julian schon längst fest in sein Herz geschlossen. Den Abend verbringen sie bei Robert.


Es war schon spät, als wir uns von Robert und Florian verabschieden.

Auf dem Nachhauseweg haben wir nicht sehr viel gesprochen. Auch Roland schien müde zu sein. In diesem Zustand war er äußerst erträglich. Er verabschiedete sich schnell in sein Zimmer und auch ich und Julian verschwanden in unser Reich. Wir zogen uns wortlos um, jeder verschwand noch mal kurz im Bad und dann jeder in seinem Bett. Julian sagte er werde am nächsten Tag versuchen, den freien Nachmittag mit Juan zu verbringen, um vielleicht etwas mehr über ihn zu erfahren.

Am darauf folgenden Tag war ich ziemlich unruhig in der Schule und ich konnte es noch weniger als sonst erwarten nach Hause zu kommen. Zwar war mit Julian und Roland noch nicht zu rechnen, aber ich war unheimlich gespannt, ob Julian mit Juan reden konnte. Eigentlich war es ja etwas, was mich überhaupt nicht betraf und trotzdem, ging mir die Sache nicht aus dem Kopf.

Ich setzte mir die Kopfhörer auf, hörte Musik und schloss die Augen. Westlife »when you're looking like that«. Na ja, ich mag die Musik eben und hatte mir letzte Woche die Single gekauft. Ich war mit einigen Jungs aus meiner Klasse in der Stadt und hoffe mal, mich hat dabei keiner gesehen. Mitunter kann das peinlicher sein, als Kondome kaufen und auf Sprüche wie: »Was hörst du denn da für einen Schrott, dass ist doch was für Mädchen«, wollte ich verzichten.

Scheinbar war ich eingeschlafen, denn als ich die Augen wieder öffnete, bemerkte ich, dass ich nicht alleine war. Julian saß in meinem Sessel und hatte den Kopf gesenkt auf seine Hände gestützt. Ich riss mir den Kopfhörer vom Kopf und sprang auf.

»Julian! Du bist wieder da? Ich hab dich gar nicht kommen hören.«

»Na wenn Du in der Traumwelt wandelst kannst du mich auch nicht hören.«

Julian versuchte sein Lächeln hinzubekommen, aber es gelang ihm nicht recht und ich hatte fast Angst ihn zu fragen, wie der Tag gelaufen war. Mein fragender Blick war aber scheinbar deutlich genug.

»Ronny das war heute der schönste Tag in meinem Leben und auch der schlimmste. Ich bin ja so ein Idiot.«

Julian sah traurig auf den Boden und ich setzte mich vor ihm im Schneidersitz auf den Teppich und sah ihn von unten an.

»Willst du mir erzählen, was los war.«

Julian hob den Kopf ein wenig und nickte. Erst nach einer kleinen Weile begann er.

»Ich habe Juan beim Mittagessen gefragt, ob er nicht mit mir zum Einkaufen kommen möchte, wenn wir den Nachmittag frei haben. Er hat auch sofort zugestimmt. Wir sind dann ins Einkaufscenter. Ich habe Juan noch nie so locker gesehen. Er hat mich oft angelächelt und war richtig fröhlich. Wir hatten echt viel Spaß und es war wirklich schön, mit ihm zusammen zu sein. Wir haben Klamotten anprobiert, haben den CD Laden durchwühlt, Juan hat ein paar neue Schuhe gekauft und danach waren wir Eis essen. Es war einfach toll mit ihm zusammen zu sein und zu sehen, dass es auch ihm Spaß macht. So viel gelacht wie heute, hat er seit dem ich ihn kenne noch nie. Ich dachte er fühlt sich wohl bei mir und da habe ich wahrscheinlich den dümmsten Fehler in meinem Leben gemacht.«

Julian machte ein kleine Pause und seufzte leise. Er legte den Kopf nach hinten in den Nacken und sah an die Decke.

»Ich hab ihm gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe.«

»Und dann?«, fragte ich ungeduldig.

»Er ist weggelaufen. Ohne ein Wort zu sagen. Ich hätte es nie sagen dürfen. Er hat bestimmt gedacht wir könnten gute Freunde werden und ich hab ihn geschockt. Ich bin ein Arsch.«

»Du bist kein Arsch, Julian. Was hättest du denn machen sollen? Du musstest es ihm doch sagen. Was sollte es bringen ihm das zu verheimlichen?«

»Ja, aber ich hätte noch warten sollen. Ich glaube er wollte mir etwas antworten. Er stand noch ein paar Sekunden da, aber er brachte kein Wort heraus. Vielleicht ist es auch besser so. Ich glaube Juan wird nie etwas für mich empfinden können. Er will nichts von mir wissen.«

»Ich weiß nicht Julian. Du hast doch gesagt, ihr habt so viel zusammen Spaß gehabt. Ich glaube nicht, dass er nichts von dir wissen will.«

In diesem Moment klingelte das Telefon. Meine Mutter schien nicht da zu sein und ich nahm das Gespräch an:

»Schreiber«

»Ronny? Bist du das selber? Gut? Ich hab 'n kleines Problem.«

Floppe war am anderen Ende.

»Was kann ich denn für dich tun?«

»Nun, Juan ist vorhin nach Hause gekommen. Er hat sich auf's Bett gelegt und heult schon die ganze Zeit. Ich weiß nicht was ich machen soll. Ich bin doch nicht so gut in diesem Psychokram. Ich hab ihn gefragt was los ist und er sagte, er möchte gern mit dir reden. Kannst du nicht noch mal vorbeikommen?«

»Klar komme ich. Ich mach mich gleich auf den Weg.«

»OK, Ronny. Du ich glaube der Juan ist eigentlich 'n netter Kerl. Ich meine 'n bisschen schüchtern, aber sonst ok.«

»Ja, ich denke auch. Bis gleich.«

Ich versuchte Julian die Situation zu erklären.

»Ach Ronny.«, sagte er verzweifelt: »Alles wegen mir. Jetzt hast du auch noch Ärger deswegen.«

»Nun mach dir keine Gedanken. Wir kriegen das schon wieder hin. Kann ich dich denn überhaupt alleine lassen?«

»Klar, versuch bitte Juan zu helfen. Ich würde gern mitkommen, aber vielleicht würde das alles noch viel schlimmer machen.«

»Ich werde das schon regeln können. Verlass Dich auf mich.«

Julian sah mich dankbar an. Er wusste, dass ich nicht alle Probleme lösen konnte, aber ich wollte es zumindest versuchen.

Ich nahm mein Fahrrad und machte mich schnell auf den Weg. Was würde mich bei Floppe erwarten? Warum wollte Juan gerade mit mir reden? Was hatte er nur? Mir ging immer noch das Gespräch von gestern durch den Kopf. Was sollte Juan hindern eine Beziehung einzugehen, jemanden zu lieben? Ich wusste so wenig von ihm, aber schon weil Julian ihn so sehr mochte, war er auch kein Fremder für mich. Ich war mir auch fast sicher, dass er was für Jungs empfinden kann. Warum? Ich wusste es nicht, aber schon der Umstand das ich ihn sofort mochte und vertrauen zu ihm hatte, bekräftigte diese Meinung.

Floppe öffnete schon bevor ich klingeln konnte. Er hatte scheinbar schon auf mich gewartet. Er wahr total nervös und zappelte die ganze Zeit unruhig hin und her.

»Man Ronny, gut dass du da bist. Ich glaube er weint immer noch. Ich weiß doch nicht, was ich da machen muss. Ich glaube es ist besser, wenn du alleine rein gehst. Du kennst ja den Weg zu meinem Zimmer. Wenn was ist, ich bin hier unten im Wohnzimmer.«

Ich klopfte kurz an die Tür und trat dann in's Zimmer. Juan saß auf dem Bett. Er hatte feuchte rote Augen.

»Hi Ronny, entschuldige aber ich glaube du bist der einzige, der mir jetzt noch helfen kann. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll.«

»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich bin gern gekommen. Was ist denn nur los mit dir.«, fragte ich besorgt.

Ich setzte mich neben Juan aufs Bett.

»Hat dir Julian von heute Nachmittag erzählt?«

»Ja ein wenig, bis zu dem Moment wo du weggelaufen bist.«

Juan fing wieder an leise zu schluchzen.

»Es war so ein schöner Tag. Ich habe mich noch nie bei jemanden so wohl gefühlt, wie bei Julian. Mit ihm kann ich lachen, er versteht mich und hört mir zu. Er ist so nett zu mir. Ich hatte früher nie richtige Freunde und die letzte Zeit erst recht nicht. Er hat mir gesagt, dass er sich in mich verliebt hat. Ich weiß nicht mehr was ich machen soll. Es darf einfach nicht sein. Ich kann es nicht zulassen, aber es tut so weh.«

»Hast du Angst schwul zu sein? Davor brauchst du doch keine Angst zu haben. Mit der Zeit wirst du damit klarkommen, oder stehst du auf Mädchen? Dann musst du es Julian sagen und er wird es verstehen.«

»Nein Ronny, du verstehst nicht. Es ist viel schlimmer. Ich... ich bin...«

Juan war verzweifelt. Er kämpfte mit sich. Er wollte mir etwas sagen, aber es schien ihm so unheimlich schwer zu fallen. Er atmete einmal tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Ich ließ ihm die Zeit, die er brauchte und war still. Ich wollte ihn nicht drängen.

»Der Grund warum ich umgezogen bin und ich in eine neue Schule musste war ich. Ich bin krank und konnte nicht an meiner alten Schule bleiben. Als es in meiner vorherigen Klasse bekannt wurde, war jeder Tag dort ein Qual. Keiner hat mehr mit mir gesprochen. Keiner wollte mit mir zusammen sein, keiner wollte neben mir sitzen. Man hat mich beschimpft und weg gestoßen. Ich bin die letzten Tage nicht mehr zur Schule gegangen. Ich konnte nicht mehr. Meine Oma hat versucht etwas für mich zu tun, aber die Schulleitung hat sie nur gebeten, ich sollte doch die Schule wechseln und so bin ich zu meiner Mutter gezogen, die ich bis dahin überhaupt nicht gekannt habe. Ich habe seit meiner Geburt bei meinen Großeltern gewohnt.«

»Aber ich versteh das nicht ganz. Ich meine was hast du denn für ein Krankheit, dass niemand etwas mit dir zu tun haben wollte?«

Juan sah mir jetzt ins Gesicht und er sagte ruhig und für ihn ungewöhnlich selbstbewusst:

»Ich bin HIV positiv .«

Peng. Ich fühlte diese Worte wie einen Schlag. HIV, AIDS? Ein 16jähriger kann doch so was nicht haben. Das ist doch etwas, was nur ältere bekommen, oder?

»Ich war vor einem Jahr mit meinem Opa in Tansania. Ich hatte dort einen schweren Unfall und war zwei Wochen im Krankenhaus. Später, zurück in der Schweiz, hat man dann festgestellt, dass ich dabei wohl irgendwie infiziert wurde. Vielleicht durch eine Infusion, oder durch eine Spritze. Ich weiß es nicht. Die PEP hat nichts gebracht und ich werde also damit leben, oder sagen wir lieber irgendwann sterben müssen.«

»PEP? Was ist das?«

Eigentlich war es sicher bedeutungslos, aber ich fragte es, um überhaupt was zu sagen. Am liebsten wäre ich jetzt weggelaufen. Nicht etwa weil ich Angst vor Juan hatte, oder Angst hatte mich anzustecken, sondern weil mein Kopf im Moment total leer war. Oder voll? Ich wusste es nicht. Ich hätte gern etwas sinnvolles gesagt, aber ich wusste doch eigentlich nichts über AIDS und erst recht nicht wie man mit jemanden umgeht, der es hat.

»Postexpositionsprophylaxe. Es soll die Verbreitung der Vieren im Körper eindämmen, aber man hat es einfach zu spät bemerkt, dass ich mich angesteckt hatte. Ich habe eigentlich kein Problem damit. Viele Menschen sind krank und im Moment geht es mir auch gut. Ich merke ja nichts davon. Ich trage aber ein tödliches Virus in mir und deshalb kann ich nie eine Beziehung eingehen. Ich könnte nicht damit leben, dass sich jemand diesem Risiko aussetzt. Ich bin auch nicht gern irgendwo zu Besuch. Meine Mutter hat lange reden müssen, damit ich überhaupt mit hierher fahre. Alles was ich benutze und anfasse mache ich sofort sauber. Ich weiß es ist völlig übertrieben, aber ich möchte nie jemand der Gefahr aussetzten, sich eventuell anzustecken, auch wenn eigentlich gar nichts passieren kann. Ich war immer darauf vorbereitet, dass ich vielleicht mal krank werde und mein Körper es nicht mehr schafft, dagegen anzukämpfen. Ich war auf Schmerzen vorbereitet, auf Verletzungen, die nicht mehr heilen, aber auf das, was heute passiert ist, war ich nicht gefasst. Ich habe immer gedacht, ich muss mich ja nur nicht verlieben und schon ist alles in Ordnung. Ich habe immer gedacht, dass bisschen Sex kann man doch auch mit sich selber haben. Als mir Julian heute seine Liebe gestanden hat war mir klar, dass es da noch etwas ganz anderes gibt, dass ich noch gar nicht kenne. Weißt du, ich war ihm heute manchmal ganz nah. Ich konnte seine Nähe richtig spüren und einmal, da hat er sogar seine Hand auf meine Schulter gelegt. Er hat mich richtig angefasst.«

Bei den letzte Worten strahlte Juan und es war ein blitzen in seinen Augen zu erkennen.

»Ich weiß nicht, wann sich das letzte mal jemand getraut hat mich anzufassen. Seit es meine alten Schulkameraden wussten, haben sie immer aufgepasst, dass sie ja nicht mit mir in Berührung kommen und haben mindestens zwei Meter Abstand gehalten. Ich würde gern öfters mit Julian so nah zusammen sein. Es ist so ein schönes Gefühl. Ich wusste nicht was ich ihm sagen sollte. Ich hab ihn doch lieb, aber es darf einfach nicht sein. Es ist viel zu gefährlich. Ich weiß ja nicht mal wie lange ich lebe und ob es mir noch lange so gut geht wie jetzt. Es kann sein das ich mal sehr krank werde und wer will denn so einen Freund?«

Die letzten Worte sagte er sehr leise, aber dennoch ohne zögern. Juan schien sich seiner Situation bewusst und ich bewunderte ihn, wie er darüber sprechen konnte. So wie er schwärmte, wenn er von Julian sprach, musste ich daran denken, wie dieser genau so fasziniert von Juan sprach. Diese zwei Jungs mussten einfach zusammen kommen.

Hatte Juan recht? War es wirklich das beste für ihn alleine zu bleiben? Ich konnte mir das nicht vorstellen und ich wollte mir das nicht vorstellen. Siegessicher war ich zu Floppe gefahren. So ein kleines Teenagerproblem würde ich schon in die Reihe bekommen, hatte ich gedacht. Schließlich war ich ja selber in dem Alter und kannte doch die typischen Probleme. Das es so kommt, damit hatte ich nicht gerechnet und ich musste wohl auch einen ziemlich hilflosen Eindruck gemacht haben.

»Ich weiß Ronny, dass alles ist nicht einfach zu verstehen. Ich hatte immer Bedenken es jemanden zu sagen. Ich wollte, dass es so lange wie möglich geheim bleibt. Ich habe einfach Angst, dass ich wieder das alles durchmachen muss, wenn es raus kommt, was ich an meiner alten Schule erlebt habe und das ich vielleicht wieder die Schule wechseln muss. Auch deshalb wollte ich erst mal mit dir reden. du bist nicht in unserer Klasse, aber ich habe auch irgendwie Vertrauen zu dir. Ich glaube auch, dass du dich mit Julian sehr gut verstehst und ihn vielleicht auch schon ein bisschen kennst. Ich dachte nur du kannst mir sagen, ob ich mit ihm darüber reden kann, oder nicht. Vielleicht ist es auch besser, wenn ich ihm erzähle, dass ich ihn nur als guten Freund möchte, weil ich nicht schwul bin. Dann brauchte ich ihm auch nichts weiter erzählen. Eigentlich möchte ich aber viel lieber ehrlich zu ihm sein. Ich weiß auch eigentlich gar nicht, ob ich schwul bin und ich möchte es gern mit ihm rausfinden. Ich fühle mich doch so unheimlich wohl bei ihm. Was meinst du, was soll ich machen?«

Ich war ein wenig aufgeschreckt. Ich hatte seinen ruhigen Worten gelauscht und hatte gehofft, dass er ewig weiter spricht. Ich hatte noch nicht mal seinen ersten Satz richtig verarbeitet. Ich kam mir vor wie ein Computer, der sich mit viel zu wenig Arbeitsspeicher an ein kompliziertes, aufwendiges Programm wagt. Antworten - ja, aber was?

»Du solltest es ihm sagen, denke ich. Julian macht sich große Sorgen um dich und er hat dich richtig lieb. Wenn es einer erfahren sollte, dann er.«

»Ich habe Angst, dass er dann nichts mehr von mir wissen will. Das er mir dann vielleicht nie wieder so nah sein möchte wie heute. Wer will schon jemanden nah sein, der ...«

In diesem Moment war es mit seiner Ruhe wieder vorbei. Aus seinen Augen liefen Tränen und er hatte nicht die Kraft den Satz zu beenden.

Ich konnte nicht anders. Ich musste ihn in den Arm nehmen. Ein kurzer fragender Blick in meine Augen, ob ich das wirklich möchte und er lies sich fallen und weinte mehr als zuvor. Wie lange wir so da saßen? Ich weiß es nicht mehr, vielleicht 5 Minuten, vielleicht 10, vielleicht auch mehr?

»Ich werde es ihm sagen.«, meinte Juan plötzlich bestimmt.

»Ja, das ist bestimmt das beste und Julian wird dich bestimmt verstehen.«

»Verstehen? Verstehen ist das eine, damit umgehen können das andere. Ich habe wahnsinnige Angst, dass ich ihn überfordere, oder das er nur aus Mitleid zu mir hält.«

»Hab keine Angst. Julian ist nicht so. Du kannst ihm vertrauen und wenn du ehrlich zu ihm bist, wird er auch ehrlich zu dir sein. Ganz bestimmt.«

»Hm.«

»So und nun zeig mir mal Deine neuen Schuhe.«

Vielleicht war es ein wenig Notwehr, dass ich versuchte das Thema zu beenden, aber ich brauchte einfach ein wenig Zeit, um über alles nachzudenken, was ich so eben erfahren hatte. Juan war das aber scheinbar auch recht. Ich hatte den Eindruck, dass er eigentlich schon ganz gerne mal lacht und eigentlich auch ein ganz aufgewecktes Kerlchen ist.

Wir unterhielten uns noch eine ganz Weile bis ich beschloss nach Hause zu fahren. Juan bat mich, Julian noch nichts zu erzählen, weil er es ihm selber sagen möchte. Eigentlich war mir das Recht, denn ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finden würde. Auf der anderen Seite wusste ich auch, dass Julian bestimmt unbedingt wissen wollte, was mit Juan los ist.

Floppe erwartete uns schon aufgeregt im Flur und als er ein leichtes Lächeln auf Juan's Lippen sah, machte er einen deutlich beruhigten Eindruck und knuffte mich dankbar in die Seite. Juan brachte mich noch bis zur Gartentür, wo mein Fahrrad stand.

»Danke Ronny. Du hast mir sehr geholfen.«

Ich überlegte. Hatte ich das?

»Wann immer du mich brauchst, sag einfach Bescheid, ok?«

»Ok. Gib Julian bitte einen Kuss von mir. Ich hoffe er versteht, dass ich selber mit ihm reden will.«

»Ich glaub schon. Also mach's gut.«

Ich nickte Juan noch mal zu, was er erwiderte und machte mich dann auf den Rückweg. Diesmal fuhr ich aber nicht so schnell wie vorhin. Ich überlegte, was ich Julian nun eigentlich sagen sollte. Von Juan seiner Krankheit sollte ich ja nichts erwähnen.

Irgendwie machte ich mir Sorgen um die beiden. Hatten sie wirklich eine Chance? Wie ist das überhaupt, wenn man AIDS hat? Kann man Sex haben? Kann man sich küssen? Wie wird sich die Krankheit auswirken? Wie lange wird Juan leben? Muss er überhaupt sterben? Ich wusste eigentlich nichts und war ein wenig ärgerlich über mich selber, weil ich mich noch nie mit diesem Thema beschäftigt hatte.

Roland, Julian und meine Mutter saßen schon beim Abendessen in unserem kleinen Speisezimmer. Meine Mutter wusste schon von Julian wo ich war und fragte nicht weiter. Roland begrüßte mich:

»Du hast ja hoffentlich bei diesem Flipper schon was gegessen, oder willst Du etwa auch noch was davon haben?«

Roland schaute dabei ängstlich auf den Rest Spaghetti, der in einem Topf vor ihm auf den Tisch stand und dessen Inhalt sich in seiner Phantasie scheinbar schon auf seinem Teller befunden hatte.

»Nur keine Panik,«, lächelte meine Mutter, »da ich nicht wusste wann Ronny wieder kommt, hab ich ihm schon einen Teller zurecht gemacht. Holst du ihn dir? Er steht in der Küche im Herd.«

Zufrieden schmatzend entleerte darauf hin Roland den Rest Spaghetti auf seinen Teller und ich holte mir meinen bereits gefüllten aus der Küche.

Immer bedacht, dass sein Mund nicht leer wurde, sah mich Roland fragend an und versuchte die Kombination von sprechen, kauen und schlucken, während er die gefüllte Gabel schon wieder zielsicher Richtung Mund bewegte.

»Was ist den nun mit diesem Juan? Irgendwie ist der doch komisch. Sagt nie was, hält sich immer abseits, lacht nie. Der ist doch echt nicht normal.«

»Es kann ja nicht jeder so ein Schwätzer sein wie du. Ich würde gern nach oben gehen, darf ich?«

Julian stellte diese Frage an mich, weil ich noch nicht fertig mit essen war. Der erste Teil an Roland klang ungewöhnlich gereizt. So hatte ich das von Julian noch nie gehört. Auch sein Lächeln und sein verschmitzter Blick waren aus seinem Gesicht verschwunden. Ich konnte mir denken, dass Roland vielleicht auch schon vorher ein paar solcher geistreicher Bemerkungen gemacht hatte.

»Klar. Geh nur, ich komme dann nach.«

Auch Roland spielte jetzt den Beleidigten und verschwand schnell in seinem Zimmer. Natürlich nicht, bevor er seinen Teller restlos gelehrt und noch einmal einen kontrollierenden Blick in den Topf geworfen hatte, ob dieser auch wirklich leer war.

Nun saß ich alleine mit meiner Mutter am Tisch und es wäre nicht meine Mutter, wenn sie nicht gesehen hätte, dass mir einiges durch den Kopf ging. Ich wusste, sie würde mich nicht danach fragen, aber ich wusste auch, dass sie sich Gedanken um mich macht. Ich musste ihr einfach von Juan erzählen. Es war wichtig für mich, mit jemanden darüber reden zu können und Julian, mit dem ich sehr gern darüber gesprochen hätte, sollte ich ja nichts sagen.

Sie hörte mir ruhig zu und ich versuchte die Ereignisse mit meinen Worten verständlich wiederzugeben. Sie sagte nicht viel dazu, nur am Schluss stand sie auf und drückte mich ganz fest an sich heran.

»Ich bin stolz auf dich, mein Junge«

Ich war überrascht.

»Warum? Ich habe doch nichts gemacht, worauf du stolz sein könntest.«

»Doch. Vielleicht mehr als du denkst. Du machst dir Gedanken und Sorgen um deine Freunde und deshalb bin ich eben stolz auf dich.«

Ihre Hand wuselte noch mal durch meine Haare, so wie ich es eigentlich gar nicht mochte, aber genau das wußte sie ja.

»Tja, eigentlich sollte es ja noch einen Nachtisch geben. Ich habe noch Eis. Nimmst du eure drei Portionen mit nach oben?«

Also es hätte größerer Katastrophen bedurft als die Unstimmigkeit zwischen Julian und Roland, um eine Portion Eis auszuschlagen und so macht ich mich mit den drei Bechern auf den Weg in die oberer Etage. Roland lag auf dem Bett und lass in einem Buch. Ich hatte mit den drei Bechern in der Hand etwas mühe die Tür zu öffnen, aber das schien Roland nicht zu stören. Er nahm sein Eis als mehr oder weniger selbstverständlich entgegen und ich wünschte ihm noch eine gute Nacht. Ich denke er hatte es soweit verstanden, dass er für diesen Abend nicht unbedingt noch mal in meinem Zimmer aufkreuzen sollte.

Julian saß wieder in dem Sessel und schaute mir immer noch etwas traurig entgegen.

»Hier Julian gibt es was süßes für einen süßen Jungen.«

»Danke du kleiner Schmeichler, aber nun erzähl schon. Wie war es bei Juan? Ich halte das kaum noch aus.«

Das hatte ich befürchtet und davor hatte ich auch ein wenig Angst gehabt. Er wollte so gern alles wissen und ich musste ihn erst mal enttäuschen.

Ich erzählte, dass Juan es ihm selber sagen möchte und das ich über sein Problem noch nichts sagen soll. Julian schaute mich verzweifelt an.

»Ist es denn so was schlimmes? Bitte sag doch was? Bitte! Bitte! Was soll ich denn nur machen? Ich hab ihn doch so gern.«

Julian hatte wieder den Kopf auf seine Hände gestützt und sah auf den Boden. Mir war zum Heulen zu mute. Was war ich eigentlich für ein Freund? Ich wusste, was er unbedingt wissen will und sagte ihm nichts. War das richtig? Ich konnte kaum noch klar denken. Ich ging zu Julian und versuchte ihn zu trösten.

»Mach dir keine Sorgen. Das wird schon mit euch beiden.«

Ich wollte das besonders zuversichtlich sagen, aber das gelang mir wohl nicht. Julian sah mir ungläubig in die Augen und ich gab ihn einen Kuss auf die Wange.

»Den soll ich Dir von Juan geben.«

War da etwas Hoffnung in seinem Blick? Ich versuchte Julian ein wenig abzulenken und fragte ihn, ob wir nicht vielleicht noch etwas fernsehen sollten. Er willigte ein und wir gingen ins Wohnzimmer. Konzentrieren konnten wir uns aber beide auf nichts und schalteten nur wahllos die Programme durch bis Julian meinte:

»Ich bin müde. Ich glaub ich geh in's Bett. Kommst du auch mit hoch?«

»Klar.«

Wir nahmen uns viel Zeit im Bad und sprachen nicht viel miteinander. Ob er sauer auf mich war, weil ich ihm nicht sagte, was ich über Juan erfahren hatte? Ich konnte es ihm doch aber nicht sagen. Ich hatte es Juan doch versprochen. Diese Gedanken ließen mich nicht los.

Ich lag schon im Bett, als Julian aus dem Bad kam und sich neben mich setzte.

»Du Ronny, ich glaube ich war heute wohl nicht so der perfekte Gast. Tut mir leid.«

»Dir muss doch nichts leid tun. Ich kann dich so gut verstehen und ich würde dir auch so gern alles erzählen, aber ich habe es Juan doch versprochen. Verstehst du?«

»Klar versteh ich dich und das mag ich doch auch an dir. Das man sich auf dich richtig verlassen kann. Ich weiß nur nicht was ich denken soll. Jeden Moment fühle ich mehr, wie sehr mir Juan etwas bedeutet.«

Wir sahen uns beide in die Augen.

»Du Ronny?«

»Ja.«

»Darf ich vielleicht. Ich meine... Kann ich nicht vielleicht heute noch mal mit in deinem Bett schlafen?«

»Natürlich, komm.«

Mit einem dankbaren Blick legte Julian sich neben mich und auch ich fühlte mich besser. Er versteht, dass ich nichts sagen kann und er mag mich und vertraut mir trotzdem. Ein schönes Gefühl.

Er legte seinen Kopf auf meine Brust und ich streichelte ihn in Gedanken versunken durch sein Haar. Ich mochte diesen Jungen und ich mochte seine Nähe und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er diese Nacht in den Armen eines anderen verbringen hätte können. In den Armen eines Jungen, den er nicht nur gern hatte wie mich, sondern in den er verliebt war.

Ich musste an Juan denken. In meiner Erinnerung hörte ich noch mal seine ruhige und gefasste Stimme: »Ich bin HIV positiv.« Ich glaube eigentlich nicht an einen Gott und ich war auch noch nie in einer Kirche, aber diese Nacht dachte ich: »Bitte lieber Gott, wenn es dich doch irgendwo gibt, dann lass das für die beiden gut ausgehen.«

Julian schlief sehr unruhig und ich wurde ein paarmal wach in dieser Nacht. Ich versuchte mir vorzustellen, was in ihm vorgehen könnte. Er wusste noch immer von nichts. Ich hatte ihm gesagt dass alles gut wird, aber ich glaube er hat gespürt, dass es alles andere als einfach wird. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er wohl reagiert, wenn Juan ihm die Wahrheit sagt. Er rechnet doch sicher nicht mit so was. Was würde ich tun, wenn ich in jemanden verliebt wäre, der HIV positiv ist? Ich wusste einfach zu wenig darüber um diesen Gedanken zu Ende zu denken und ich nahm mir vor, unbedingt ein paar Informationen darüber zu suchen. Konnte ich vielleicht Juan danach fragen? Er hatte scheinbar kein Problem darüber zu sprechen, oder?

Wie konnte ich den beiden helfen? Mein kleiner Liebeskummer wegen Holger schien daneben so bedeutungslos. Was waren meine kleinen Sorgen gegen so etwas?

Ich war nun fast 16 und jeden Tag, den ich mich erwachsener fühlte, spürte ich, dass ich auch ein wenig Angst hatte, dass das Leben vielleicht noch viel mehr solche Probleme für mich parat hatte. Was hatte ich bisher schon für Sorgen? Ich hatte noch keinen PC, wie die meisten meiner Freunde, ich musste manchmal morgens vor der Schule noch irgendwo die Hausaufgaben abschreiben und manchmal war am Ende des Taschengeldes noch zu viel Monat übrig, aber sonst?

Als der Wecker klingelte, versuchte ich ihn schnell auszumachen, aber es war zu spät. Auch Julian war wach. Er musste erst wieder 10 Uhr raus, aber ich sollte ja in die Schule.

Julian hielt mich fest.

»Ich lass dich jetzt nicht gehen. Ich habe Angst ganz alleine in dem großen Bett. Mit wem soll ich denn dann kuscheln?«, fragte er mit einem süßem Blick.

»Morgen Julian. Ich bleibe gern da. Rufst du bei uns in der Schule an und sagst Bescheid, dass ich nicht kommen kann, weil ich mich noch mit dir im Bett vergnügen muss?«

»Klar Ronny. Mach ich. Die verstehen das doch bestimmt, oder?«

»Hm. Die sehen das sicher ein, dass das wichtiger ist, als die Mathekontrolle bei Pünktchen. Na ja, fünf Minuten habe ich ja noch Zeit.«

Julian machte ein zufriedenes Gesicht.

»Fünf Minuten. Das ist ja noch eine Ewigkeit.«

Er kuschelte sich wieder an mich rann uns schloss die Augen.

»Du, Ronny?« flüsterte er.

»Ja?«

»Drück mir die Daumen, wegen Juan.«

»Verlass dich drauf. Mach ich.«

Lesemodus deaktivieren (?)