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Tallin

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Informationen

Vorwort

Die nachfolgende Story ist frei erfunden und jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt. Die Story unterliegt meinem Copyright und darf ohne meine Genehmigung nicht anderweitig verbreitet werden.

So, irgendwie haben es doch diese Jungs geschafft, dass ich tatsächlich die Story nicht wieder in der Schublade verstaue sondern sie veröffentliche. ;-)

Also ein Danke für Korrekturlesen und Anregungen an Marcy, Lasse, Dirk und Cassi :-)

Lob, Kritik, etc. an neskaya@nickstories.de

Und nun aber viel Spass beim Lesen

Eure Nessi

 

Als im frühen Morgengrauen ein markerschütternder Schrei das schwarze Schloss von Zia durchdrang, erstarrten die Diener und Sklaven und zogen sich schnellstmöglich in dunkle Ecken und Nischen zurück, um dem Zorn ihrer Herrin zu entgehen.

Zur gleichen Zeit kauerte Edvin, der Botenjunge und Leibeigene des General Baltran, wie ein Häufchen Elend vor Königin Andrina und bangte um sein Leben. Er wäre nicht der erste Überbringer schlechter Nachrichten, der dies mit seinem Kopf bezahlen müsste und gerade diese Botschaft liess das Schloss unter einem der schrecklichsten Zornausbrüche der Königin erzittern, den seine Bewohner je erlebt hatten.

Die schwarze Königin, wie Königin Andrina auch genannt wurde, verbreitete jedoch nicht nur im Schloss Angst und Schrecken. Jeder ihrer Untertanen erzitterte nur schon bei der Erwähnung ihres Namens. Seit sie über Zia herrschte, kannten seine Einwohner keine Freude mehr. Das Lachen war verschwunden und hatte einer alles verschlingenden Angst vor der schwarzen Königin Platz gemacht. Wie eine Armee von Schatten ging die Bevölkerung weiter ihrer Arbeit nach, stets darauf bedacht, durch nichts aufzufallen, was den Zorn der Königin entfachen könnte.

Dies reichte Andrina aber noch nicht. Ihr Machthunger trieb sie dazu, jedes Reich, welches in ihren Augen ihre Schreckensherrschaft gefährdete, mit Hilfe ihrer schwarzen Magie und ihren gefürchteten Kriegern in die Knie zu zwingen und zu unterwerfen.

Die Mitglieder der unterlegenen Königshäuser liess sie öffentlich hinrichten, um den Gedanken an Rebellion gleich im Keim zu ersticken. Ihre Soldaten plünderten die Bodenschätze und Vorräte der Länder und liessen deren Bevölkerung hungernd und völlig mittellos zurück.

Doch nun, nach 20 Jahren Tyrannei, genügten Königin Andrina ihre starken Kräfte nicht mehr, um ihr Reich und die eroberten Gebiete zu beherrschen. Sie fürchtete sich vor einer Prophezeiung, die ihren Untergang vorhersagte. Um dieses Unheil von sich abzuwenden, schickte sie ihre stärksten Krieger aus, um aus dem Heiligtum von Thendaron den Talisman der Nacht zu rauben.

Der Legende nach verlieh dieser Talisman seinem Besitzer uneingeschränkte Macht und Unsterblichkeit. Jahrhunderte zuvor wurde durch ihn beinahe die ganze Welt zerstört. Weshalb er von Jovin, dem Gott des Lichtes und Tias, dem Gott der Unterwelt dem Magierorden von Thendaron anvertraut worden war. Unter Einsatz ihres Lebens sollten sie den Talisman schützen und verhindern, dass er jemals wieder zum Einsatz kam.

Mit List, Tücke und ihrer Magie gelang es Andrina aber, den als unbesiegbar geltenden Magierorden vernichtend zu schlagen und den Talisman an sich zu bringen.

Allerdings konnte sie den Talisman nicht einsetzen, da man ihn nur berühren konnte, wenn man unsichtbar war. Dies war nur möglich, wenn man im Besitz des magischen Umhanges von Curadin war. Der blieb trotz intensiver Suche unauffindbar und war auch die Ursache für den gewaltigen Wutausbruch von Königin Andrina.

Bebend vor Zorn trat sie vor Edvin hin, bohrte ihm ihre langen klauenartigen Fingernägel ins Kinn und hob seinen Kopf an um ihm direkt in die Augen zu blicken: Sie weidete sich an der Todesangst, die sich nur zu deutlich in seinen vor Angst weit aufgerissenen Augen abzeichnete.

»Wenn dir dein Leben lieb ist, erzähl mir genau was geschehen ist!!« herrschte sie den Jungen an. Unruhig tigerte sie durch den Thronsaal. »Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass meine gesamte Armee, all meine Spione und Diebe nicht in der Lage sind, diesen Umhang zu finden!«

Edvin räusperte sich. »Verzeiht, Königin. Mein Herr General Baltran lässt Euch mitteilen, dass es ihm nicht möglich war, von Königin Genoveva von Curadin das Versteck des magischen Umhanges zu erfahren. Selbst unter der Folter blieb sie standhaft und verriet den Ort nicht.«

»Was ist mit Genoveva? Lebt sie noch? Und wo befinden sich König Armon und Prinz Tallin?«

»Der König starb bei der Eroberung von Curadin, und seine Gemahlin wird ihm wohl bald folgen, wenn sie denn nicht schon tot ist. Mein Herr liess sie sterbend im Kerker zurück.« Ein teuflisches Lächeln umspielte Andrinas Lippen und jagte Edvin einen eiskalten Schauer über den Rücken.

»Und der Prinz?«

»Es heisst, er sei schon vor der Eroberung des Palastes am Fieber gestorben.«

Edvin und nutzte die Gelegenheit sich schnellstmöglich aus dem Thronsaal zurück zu ziehen. Die schwarze Königin legte den Kopf in den Nacken und ihr teuflisches Gelächter verfolgte ihn durch die Schlossgänge.

»Der Prinz war ja schon immer ein zarter Bursche und da nun auch die Königin sterben wird, ist das das Ende des Hauses Curadin.« Mit diesen Worten wandte sich Giacun, der königliche Berater, der die ganze Zeit im Hintergrund die Geschehnisse verfolgt hatte, an seine Herrin.

Andrina nickte zustimmend und sagte dann beiläufig zu ihrem Berater: »Trag Sorge, dass Edvin das Schloss nicht lebend verlässt. Der Tod seines Schosshundes wird dem General eine Lehre sein, dass ich weiteres Versagen von seiner Seite nicht dulden werde.«

Der junge Edvin, der sich nach seiner Flucht aus dem Thronsaal in seine Kammer schlafen gelegt hatte, ahnte nichts von seinem Schicksal. Tief schlafend sah er seinen Mörder nicht, spürte nur die Klinge, die sich in seine Brust bohrte und ihn in den ewigen Schlaf hinüber gleiten liess.

Währenddessen kauerte im Palastkerker von Curadin, noch staub- und schmutzbedeckt vom Kriechen durch den Geheimgang, der tot geglaubte Prinz Tallin neben seiner sterbenden Mutter und hielt sie in seinen Armen. Er fröstelte in dem kalten und feuchten Gemäuer und wickelte sich und seine Mutter notdürftig in seinen zerschlissenen Umhang. Die Königin war nur noch ein Schatten ihrer selbst, gezeichnet durch die schwere Folter. Sie musterte ihren Sohn, den einzigen Erben von Curadin.

Ihr Blick glitt über seinen schlanken, feingliedrigen Körper, die schmalen Schultern und blieb an seinem Gesicht hängen. Ein schmales etwas blasses Gesicht, mit grossen, von dichten Wimpern umrahmten, saphirblauen Augen. Ein weicher Mund, um den nun ein neuer, entschlossener Zug lag. Stolz und Bedauern blitzen in Genovevas Augen auf.

Sie war stolz auf ihren Sohn und bedauerte nur, dass sie nicht mehr erleben würde, wie aus dem Jungen ein erwachsener Mann und König werden würde. Ja, der Mann, der ihren Sohn einmal bekommen würde konnte sich glücklich schätzen. Bei dem Gedanken musste sie lächeln.

Auch wenn ihr Sohn sich ihr noch nicht offenbart hatte, wusste sie doch um diesen Teil seines Wesens. Sie war eine der letzten aus dem Geschlecht der Largias, einer alten, den Elfen verwandten Rasse, die sich durch Langlebigkeit, elfenhaftes Aussehen und der Gabe der Hellseherei auszeichnete.

Auch wenn ihre Fähigkeit durch den nahenden Tod getrübt war, konnte sie doch erkennen, dass eines Tages ein Prinz an der Seite von Tallin herrschen würde. Wie einst in grauer Vorzeit der Largias-König Tani mit seinem Gefährten Liun, die die Begründer eines tausendjährigen Friedens waren, der erst durch die Macht des Talismans der Nacht gebrochen worden war.

Mit letzter Kraft hob sie ihre Hand und fuhr die Gesichtszüge ihres Sohnes nach, als ob sie sich diese für immer einprägen wollte.

»Mein Sohn, sei stark und wachsam. Hier im Palast lauert die Gefahr hinter jeder Ecke. Doch die weitaus grösste Gefahr für die Welt lauert in Zia. Geh zum alten Weisen an der Quelle des blauen Flusses und frage ihn um Rat: Doch denke immer daran. Verbirg Dein Haar und Gesicht während deiner Reise, denn nur wir, die letzten Nachkommen der Largias haben dieses silberne Haar und die saphirblauen Augen.«

»Ich verspreche dir alles in meiner Macht stehende zu tun um unser Land von der Knechtschaft durch Zia zu befreien.«

Ein schepperndes Geräusch riss ihn aus den Gedanken und liess sein Herz rasen, denn es kündigte die Rückkehr der zianischen Wachen an.

»Die Wachen kommen zurück mein Sohn«, wisperte die sterbende Königin, »Geh... bevor sie dich entdecken, denn du... einzige Hoffnung unseres Volkes... du... König.. wie Tani.« Mit dem letzten nur noch gehauchten Wort starb sie. Tränenblind stolperte Tallin zurück zum Geheimgang. Er schwor sich, den letzten Willen seiner Mutter zu erfüllen und Rache zu nehmen an Königin Andrina.

Im Schutze der Nacht schlich er sich durch die Gassen der Stadt, immer darauf bedacht den zahlreichen zianischen Patrouillen auszuweichen. Tallin wusste, er musste sich beeilen und als erstes seine seidenen Gewänder loswerden.

So sah man kurz vor Morgengrauen einen ärmlich gekleideten Jungen die Stadt verlassen. Tallin hatte seine blau-silbernen Gewänder gegen eine schlichte braune Hose, ein altes, wohl einst mal weiss gewesenes Hemd, einfache braune Sandalen und einen dicken grauen Wollumhang mit Kapuze getauscht. Niemand hätte vermutet, dass sich unter dieser Kleidung der neue König von Curadin verbarg.

Was in den nächsten Tagen und Wochen seiner Wanderung folgte, hätte sich Tallin nie träumen lassen. Alleine, ohne seine Dienstboten und den gewohnten Luxus, sah sich mit einem völlig anderem Leben konfrontiert. Die ersten Tage waren die schlimmsten. Er war müde, erschöpft und litt unter starkem Hunger und Durst.

Doch Tallin lernte schnell. Er verhielt sich unauffällig, wanderte bei Nacht und versteckte sich am Tag vor den Zianern, die das ganze Land auf der Suche nach versprengten Rebellen und dem magischen Umhang durchkämmten. Und immer wieder geisterten die letzten Worte der Mutter durch seinen Kopf: »Was meinte sie nur mit ein König wie Tani?«, fragte er sich immer wieder. Doch er fand auf diese Frage keine Antwort.

Schliesslich, als er schon dachte, nie bei dem Weisen der blauen Quelle anzukommen, sah er am Horizont den Falkenkopfberg, an dessen Fuss die Quelle des blauen Flusses lag.

Kurz vor der Quelle stoppte er um sich im blauen Fluss den Dreck und Staub seiner Reise abzuwaschen. Tallin wollte dem Hüter der heiligen Quelle nicht völlig verschmutzt entgegentreten. Als er sich am Ufer niederkniete, sah er zum ersten Mal seit Wochen sein Gesicht: Ungläubig hob er die Hand und fuhr über seine Wangen und Kinn. Verschwunden waren die kindlichen Züge. Die Flucht hatte Tallin verändert. Er sah älter und kräftiger aus.

Die beschwerliche Reise und die ständige Wachsamkeit hatten den 17-jährigen Jungen erwachsen werden lassen, fest entschlossen, der Schreckensherrschaft der schwarzen Königin ein Ende zu setzen. Die Bilder seiner leidenden Untertanen, die brandschatzenden und plündernden Horden der zianischen Soldaten hatten sich in seinen Kopf gebrannt und trieben ihn an, wann immer er daran dachte aufzugeben.

Flink zog sich Tallin aus, wusch seine verdreckten Kleider im Fluss und breitete sie danach auf den grossen Steinen am Flussufer aus. Während er darauf wartete, dass seine Kleidung trocknete sprang er in den Fluss und schrie leicht auf, als er ins kalte Wasser eintauchte. Er tauchte ab, schwamm einige Züge und planschte vergnügt durchs kühle Nass. Als es langsam zu dämmern begann kletterte Tallin mit leichtem Bedauern wieder aus dem blauen Fluss, griff sich seine inzwischen getrockneten Kleider und zog sich wieder an.

Erfrischt und neuen Mutes schritt er entschlossen dem Flussufer entlang, um noch vor Einbruch der Dunkelheit die Quelle des blauen Flusses zu erreichen. Tallin wurde ein wenig nervös. Wie würde der Weise der Quelle ihn aufnehmen? Warum hatte seine Mutter ihn zu diesem geheimnisumwitterten Ort geschickt? Fragen über Fragen purzelten wild in Tallins Kopf durcheinander, so dass er das leise Knacken eines Zweiges hinter sich nicht hörte.

Kurz bevor er den Fuss des Falkenkopfberges und die Quelle erreichte liess ihn ein furchterregendes Gebrüll herumwirbeln und nach dem Dolch an seiner Seite greifen. Dabei glitt ihm der Umhang von den Schultern und seine Haare kamen zum Vorschein.

Der riesige graue Bär, der sich eben noch grollend und zähnefletschend vor ihm aufgerichtet hatte, schien ihn auf einmal intensiv zu mustern. Er liess sich wieder auf seine Vorderpfoten fallen und starrte Tallin weiter unverwandt an.

»Silbernes Haar, Augen wie Saphire, sag mir, wer bist du junger Largias?« ertönte eine Stimme aus dem Dickicht und ein grosser, hagerer alter Mann mit langem schlohweissem Haar trat hinter einer grossen Eiche hervor, stellte sich neben den Bären und kraulte ihn. Erstaunt musterte Tallin den in eine dunkelblaue Robe gekleideten Mann. Dieses gewaltige Tier hatte sich von einer zähnefletschenden Bestie in ein Schosstier gewandelt.

»Woher?«

»Woher ich weiss, dass es die Rasse der Largias wirklich gibt und sie nicht nur eine Legende sind? Sieh mich an Junge. Wir sind vom selben Blute, seit 300 Jahren wache ich hier an dieser Stelle über die Quelle des blauen Flusses.«

Neugierig musterte Tallin sein Gegenüber: Er war gross und von schmaler Statur. Die elfenhaften Gesichtszüge, in denen die Zeit kaum Spuren hinterlassen hatte, die saphirblaue Augen, die ihn unter silbergrauen Augenbrauen ernst ansahen. Sie schienen alles wissen und ihm bis in seine Seele blicken.

Tallin atmete tief durch und widerstand der Versuchung sich vor diesem Blick zu verstecken. Er straffte seine Schultern und blickte dem Unbekannten direkt in die Augen. »Ich bin König Tallin von Curadin. Mir wurde aufgetragen, nach dem Weisen, der der Hüter der heiligen Quelle des blauen Flusses ist, zu suchen. Sagt mir Verwandter«, Tallin spielte auf ihre gemeinsame Abstammung an. »Sagt mir, seid ihr dieser Mann. Seid ihr der Hüter?« Er erhielt keine Antwort. Soweit es überhaupt noch möglich war, sah er sich einer noch intensiverer Musterung ausgesetzt.

»Soso, du bist also Tallin, Genovevas Sohn und der neue König von Curadin«, durchbrach der Alte nach einer Weile das Schweigen. »Das mag stimmen, doch löse mir ein Rätsel. Löst du es, reden wir weiter, also höre zu:
Welches Lebewesen läuft am Morgen auf vier, am Mittag auf zwei und am Abend auf drei Beinen?«

Noch während der Weise sprach hellte sich Tallins Mine auf. Kaum waren die letzen Worte des Rätsels verklungen lächelte er. »Die Antwort ist leicht, schon fast zu leicht und dieses Rätsel habt ihr euch aus den alten Schriften über Curadins Geschichte geliehen«.

»Aber um auf eure Frage zu antworten, es ist der Mensch. Am Morgen des Lebens krabbelt ein Mensch auf allen Vieren, am Mittag des Lebens geht er aufrecht auf seinen zwei Beinen und am Abend des Lebens nimmt er einen Stock zu Hilfe.«

Der Weise lächelte ob dieser Antwort. »Sehr schlau, junger Curadin. Wer und was du bist, wusste ich gleich nachdem ich dich gesehen habe. Doch ich musste wissen, ob du auch klug genug bist, um die Aufgabe, die ich dir stellen werde, zu bewältigen, und das bist du ohne Zweifel. Nicht nur, dass du das Rätsel lösen konntest, du bist der erste seit 150 Jahren, der bemerkt, dass ich mir das Rätsel aus der Vorzeit geborgt habe. Komm, folge mir.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und schritt auf den Fuss des Berges zu. Während Tallin ihm noch nachblickte, stupste ihn eine grosse Schnauze an. Der graue Bär, das »Haustier« des Weisen, bedeutete Tallin, er solle dem Mann folgen. Kurz vor der Felswand stoppte dieser, murmelte einen Zauber, woraufhin ein Höhleneingang sichtbar wurde. Tallin wunderte sich über gar nichts mehr, er war inzwischen viel zu müde dazu.

Das Innere der Höhle glich mehr einem Herrschaftshaus denn einer Höhle. An den Wänden hingen kostbare Wandteppiche welche die Geschichte Curadins erzählten. Eine Wand wurde von einem riesigen Bücherregal eingenommen das bis zur Höhlendecke reichte. Es mussten tausende von Büchern sein. In einer der Ecken sah Tallin einen Schrein mit den Zeichen Jovins. Nun wusste er, dass er dem Mann trauen konnte. Schliesslich war er ein Anhänger Jovins, des Lichtgottes, der für das Gute der Welt stand.

Der Alte winkte Tallin zu sich zu den Sitzpolstern vor dem Kamin. Er setzte sich ihm gegenüber vor die wohltuende Wärme der Feuerstelle und streckte seine müden Glieder aus. »Müde, junger Curadin?« Er reichte Tallin einen Becher Tee und stellte ihm einen Teller mit saftigem Wildbret hin. Der junge König dankte dem Weisen.

»Doch sagt mir, Hüter der Quelle, wie ist euer Name?«

»Hm... hab ich das vergessen ja ja, mit meinen 450 Jahren werde ich langsam vergesslich«, brummelte er.

»Cassian ist mein Name, junger Curadin. Doch nun iss dich hier erstmal satt und schlaf. Morgen, wenn du dich von den Strapazen deiner Reise erholt hast, werde ich dir mehr berichten.«

Doch dies hörte Tallin schon nicht mehr. Er war eingeschlafen und sein Kopf lag neben seinem Teller auf dem Tisch. Cassian lachte auf, hob den schlafenden Jungen auf und legte in auf das bereitgemachte Bett: Tallin erwachte kurz, fühlte die weichen Felle unter sich und genoss es, für einmal wieder auf weichen Fellen zu schlafen und nicht auf dem harten Boden. Bei diesem Gedanken schlief er auch schon wieder tief und fest ein. Doch das friedliche Gefühl das er nun empfand sollte nicht lange anhalten. In dieser Nacht suchten ihn seltsame Träume heim.

Es war ihm als würde er sowohl die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft seines Reiches sehn. Er sah die Geburt der Welt, die Entstehung der ersten Siedlungen, wie sie wuchsen und gediehen. Wie sich einige aus dem Elfenvolk unter die Menschen mischten und sich mit ihnen verbanden die Geburt der Largias-Rasse, jenem sagenumwobenem Volke dem auch er angehörte. Er wurde Zeuge wie der Largias-König Tani nach erbitterten Kämpfen der Völker durch geschickte Verhandlungen einen dauerhaften Frieden erzielte. Wohlstand und Frieden prägten die folgenden Jahrhunderte. Tallin lächelte und sah zur strahlenden Sonne empor.

Auf einmal schien sich alles um Tallin zu drehen. Nebel zog auf und als er sich wieder lichtete waren die grünen Wiesen, die spielenden Kinder und die blühenden Siedlungen verschwunden. Die Sonne war hinter düsteren Wolken verschwunden und ein bedrohlicher Schatten kroch langsam aber unaufhaltsam über das Land. Aber es war kein gewöhnlicher Schatten. Er zerstörte alles was mit ihm in Berührung kam.

Wo vorher noch grüne Wiesen und Weiden waren blieb nur verbrannte Erde zurück. Tallin sah wie die Menschen schreiend vor dieser Bedrohung flohen, die Verzweiflung und das Leid das ein machthungriger Herrscher über all diese Völker brachte. Zutiefst erschüttert wandte sich Tallin von diesen Ereignissen ab, zu schrecklich und grausam war das Gesehene für ihn.

Nebel zog auf und er fand sich erneut an einem neuen Platz wieder. Er stand auf einem Felsvorsprung und blickte auf ein Schlachtfeld herunter. Unter ihm tobte ein erbitterter Kampf, der Kampf des Lichts gegen das Dunkel. Er sah wie die Luft über den kämpfenden Menschen flimmerte, weisser und schwarzer Nebel wogte gegeneinander und versuchte den anderen zu verdrängen. »Also beteiligen sich auch die Unsterblichen an diesem Kampfe«, flüsterte Tallin als er sah wie sich der Nebel kurz lichtete und ein Dämon sich auf einen Elf stürzte. »Bei Jovin, was geschieht hier nur?« Kaltes Grauen erfasste ihn, als er die tausenden von Toten sah.

Doch was war das? Mitten im Kampfgetümmel pulsierte auf einmal ein gleissendes weisses Licht. Wie unter einer Explosion erbebte die Erde und dann war es still, viel zu still. Tallin der durch die Druckwelle zu Boden gerissen worden war, erhob sich. Die Schlacht war vorbei. Ein riesiger Krater klaffte an dem Ort im Boden, wo zuvor noch das Schlachtfeld gewesen war. Am Boden des Kraters sah Tallin zwei mächtige Krieger die einen Gegenstand vom Boden aufhoben und sich dann in Luft auflösten.

»Jovin und Tias, aber was. » In dem Moment begriff Tallin das er Zeuge der ersten Schlacht um den Talisman der Nacht geworden war und das diese Vergangenheit seine Zukunft sein würde, wenn es ihm nicht gelang, Königin Andrina aufzuhalten.

Zitternd und schweissgebadet schreckte Tallin aus seinem Traum auf. Cassian sass neben im auf einem Schemel und starrte in eindringlich an.

» Wahrlich junger Curadin, du überrascht mich. Alleine der Kontakt mit dieser heiligen Stätte hier hat deine Gabe erwachen lassen. Deine Fähigkeit des Sehens durch die Zeiten ist weit ausgeprägter als bei den meisten unseres Volkes. Diese Gabe kann dir wie ein Geschenk, oder wie ein Fluch erscheinen. Im Augenblick siehst du nur vergangenes. Aber schon bald wird dir auch die Zukunft nicht verschlossen bleiben. Doch die Zukunft sollte man nicht zu genau kennen.«

»Wie lange habe ich geschlafen Cassian?«

»Vier Tage. Die Seherei ist anstrengend Junge, und ja, du hast die Schlacht um den Talisman gesehen. Damals gewann unser König Tani mit Hilfe der Götter diese Schlacht, doch er und die Mehrheit unseres Volkes liess dabei ihr Leben. Dies ist der Grund, weshalb es heute kaum noch Largias gibt.«

In den folgenden Stunden erfuhr Tallin alles über sein Volk und dessen Geschichte, die Geschichte des Talismans und über Zia und dessen böse Herrscherin. Er nahm Cassians Worte begierig in sich auf, jedes Detail prägte er sich genau ein. Als Cassian mit seiner Erzählung schloss stand die Sonne bereits hoch am Himmel.

»Nun bist du bereit junger König«, mit diesen Worten erhob er sich um aus einer Wandnische ein ihn Papier eingewickeltes Paket zu holen. Er überreichte es Tallin der es langsam öffnete. Darin erblickte er einen, in allen Farben schimmernden, Umhang und spürte die Kraft die von diesem ausging. Vorsichtig breitete er den Umhang auf dem Bett aus.

»Hör mir gut zu junger Curadin. Dies ist der magische Umhang den Königin Andrina so sehr begehrt. Seinetwegen wurde deine Mutter getötet, denn die schwarze Königin benötigt diesen Umhang um den, aus der Unterwelt gestohlenen, Talisman der Nacht zu aktivieren. Sollte dieser Umhang ihr in die Hände fallen, ist sie durch nichts auf der Welt noch aufzuhalten. Nur die Götter könnten dann die Zerstörung der Welt wie wir sie kennen noch verhindern. Und bei Jovin, soweit darf es nicht kommen!«

Cassian erhob sich und schritt durch den Raum. »Deine Aufgabe ist es, mit Hilfe des Umhanges nach Zia zu gelangen. Aber vergiss nicht Tallin, auch wenn Hass und Rachegefühle in dir brennen und du Gerechtigkeit für den Tod deiner Familie willst, musst du diesen vergessen. Du darfst Königin Andrina nicht töten. Es ist dir nicht bestimmt. Deine Aufgabe ist es den unsichtbaren Drachen, dessen schwarzes Äusseres eine Seele des Lichtes verbirgt, zu finden. Nur er ist in der Lage den Talisman und Königin Andrina zu vernichten.«

Tallin sprang auf und wollte gegen diese Worte aufbegehren als Cassian fortfuhr. »Es ist dein Largias Blut junger Curadin. Die Berührung des Talismans würde dein Leben kosten. Also begib dich nun auf die Suche nach dem Drachen. Aber lege niemals, hörst du, niemals den Umhang ab. Ausser wenn du dadurch deine Aufgabe zu Ende bringen kannst.«

Der Hüter der Quelle legte seine Hände auf Tallins Kopf. Dieser sah sich eingehüllt von weissem Licht und fiel in einen tiefen Schlaf. Noch während dem einschlafen hörte er die letzten Worte Cassians. » Denke daran junger Curadin. Wenn es soweit ist folge deinem Herzen.« Verwirrt wollte Tallin noch fragen was er denn damit meine, aber da schlief er auch schon ein.

Als Tallin erwachte, fand er sich in einem düsteren Wald wieder. Hohe Bäume liessen kein Licht durch ihr Blätterwerk scheinen, kein Vogelgezwitscher oder sonstige Laute waren zu hören. Es herrschte Totenstille. Beim Anblick seiner Umgebung war ihm sogleich bewusst, dass er sich in Zia befinden musste, dem Reich der schwarzen Königin. Cassian musste wahrlich über grosse Kräfte verfügen, wenn er ihn alleine mit einer Berührung soweit weg gezaubert hatte. Es musste etwa ein Monatsmarsch sein, den Tallin so eingespart hatte. Dankbar für diese Geste schickte er ihm einen stummen Gruss. Er war sicher das der Weise ihn hören würde.

Als ein starker Windstoss das Blätterdach über seinem Kopf unheimlich rascheln liess, wickelte Tallin sich fester in seinen Tarnumhang und dankte Jovin, dass er dadurch vor den mannigfaltigen Gefahren, die in Zia auf in lauerten, geschützt war.

Er folgte einem, teilweise schon völlig überwuchertem, Waldpfad um aus dem Wald hinauszufinden. Immer wieder wich er seltsamen Tieren, Patrouillen und Räuberbanden aus. Zwar wurde er durch den Mantel geschützt, aber er wollte sein Glück nicht unnötig strapazieren. Am dritten Tage seiner Wanderung durch den Wald wurde es allmählich heller und erreichte eine Strasse die sich dem Waldrand entlang schlängelte. Tallin war froh, diesen düstern Wald endlich hinter sich zu lassen.

Tallin liess seinen Blick über die Landschaft schweifen und ein Frösteln überlief ihn. Graue, bedrohlich wirkende Wolken verdeckten die Sicht zur Sonne, wo einst grüne Wiesen waren, war nur noch verbrannte Erde zu sehn. Überhaupt wirkte das ganze Land öde und wüst.

Mit jedem Schritt ins Landesinnere wurde die Umgebung trostloser und leer. Die Einwohner schienen alle panikartig geflüchtet zu sein. Die einzigen Menschen auf die Tallin traf waren die zahlreichen zianischen Soldaten, die in regelmässigen Abständen Kontrollpunkte errichtet hatten. Obwohl er durch seinen Umhang geschützt war, klopfte ihm das Herz doch jedes Mal bis zum Hals, wenn er einen dieser Kontrollposten passierte.

Am zehnten Tag seiner Reise sah er in der Ferne ein gewaltiges Gebirge aufragen. Pechschwarz, mit messerscharfen Kanten uns Spitzen schien es ihn aus der Ferne zu verhöhnen. Dies mussten die, als unbezwingbar geltenden, Teufelsberge sein. Dahinter lag die gefürchtete Drachenschlucht.

Dies war ein eine schmale Schlucht, die der Legende nach bis ins Erdinnere reichte. Es hiess, die schwarze Königin würde sich hier ihrer Feinde entledigen, indem sie diese Menschen den Dämonen und Teufeln der Finsternis opferte. Tallin wusste, wie grausam Andrina war, aber er blieb gegenüber den Gerüchten über Menschenopfer skeptisch.

Es war mitten in der Nacht, als Tallin endlich den Fuss des Gebirges erreichte. Er suchte sich ein geschütztes Plätzchen um noch ein wenig zu schlafen.

Im Morgengrauen machte Tallin sich an den Aufstieg. Doch schon zu Beginn musste er die ersten Rückschläge einstecken. Die scharfen Felsen zerschnitten seine Handflächen. Fluchend setzte er sich auf einen Felsvorsprung und betrachtete seine blutigen Hände. »Mist. Aber ich muss es schaffen. Ich muss einfach diesen verfluchten Berg überwinden!«

Tallin griff unter seinen Umhang und riss sich von seinem Hemd zwei lange Stoffstreifen ab um sich damit die Hände zu verbinden. Tallin betrachtete sich die Verbände und blickte dann an sich hinunter. »Na ja.. eigentlich ist bauchfrei ja nicht gerade üblich« murmelte er vor sich hin als er den Schaden an seinem Hemd begutachtete.

Mit den Verbänden an den Händen, die ihn vor den scharfen Kanten schützten ging der Aufstieg zügiger vor sich. Innert weniger Stunden erreichte Tallin den Gipfel und machte sich an den Abstieg.

Gerade wollte er über den letzten Felsvorsprung auf den Boden runterklettern als ihn das typische Scheppern von Soldatenrüstungen innehalten liess. Neugierig spähte er hinunter auf den Platz. Dieser fügte sich wie eine leicht ovale Fläche in spitzen Felsen ein, am anderen Ende war ein schmaler Pfad erkennbar der anscheinend nach draussen führte. Da er niemanden sah, sprang er hinunter und landete auf dem Platz der mit feinen schwarzen Steinen bedeckt war.

Nochmaliges Scheppern liess Tallin nach rechts herumfahren, dort mussten die Soldaten sein. Vor Neugierde gepackt schlich Tallin sich näher um das Geschehen genauer verfolgen zu können. Was er entdeckte, schien auch die schlimmsten Gerüchte die sich um die schwarze Königin rankten zu bestätigen.

Nur wenige Meter von ihm entfernt schleiften sechs Soldaten in pechschwarzen Rüstungen einen Menschen zu einem Felsen. Bei genauerem Hinsehen bemerkte Tallin das es kein gewöhnlicher Fels war. Es war ein massiver Altar von sicher zwei Metern Länge aus schwarzem Obsidian mit eingeschnitzten Zeichen und Abbildern von Dämonen. Tallin vergewisserte sich das er vollständig von seinem Umhang eingehüllt war und näherte sich den Soldaten.

Als diese den anscheinend bewusstlosen Gefangenen auf den Altar hievten und seine Hand und Fussgelenken mit den dafür vorgesehenen Fesseln an den Ecken des Altares festketteten, konnte Tallin zum ersten Mal einen Blick auf den Gefangenen werfen. Die Schrammen und Blutergüsse in seinem Gesicht und auch die zerrissene Kleidung liess darauf schliessen, dass er zuvor einige Hiebe hatte einstecken müssen und sich seinen Henkern nicht freiwillig ergeben hatte.

Tallin zögerte nicht, und ergriff das goldene Zeremonienschwert das neben dem Altar lag und schwang es hoch über seinem Kopf durch die Luft. Er wusste nicht woher er die Gewissheit nahm, aber er wusste, dass er diesem Mann helfen musste.

Als die Soldaten sahen, dass das goldene Schwert wie von Zauberhand durch der Luft schwebte schrieen sie entsetzt aus und hielten es für ein Zeichen der Götter, dass sie den Angeketteten nicht opfern durften. So schnell ihre Füsse sie trugen flüchteten sie und Tallin hörte noch wie sie beschlossen, der Königin zu sagen sie hätten ihren Auftrag ausgeführt und den Gefangenen getötet.

Er wartete, bis die Soldaten nicht mehr zu sehen waren und näherte sich dann dem Altar um dem Mann die Fesseln zu lösen. Neugierig musterte er den Bewusstlosen und versank in dessen Betrachtung.

Obwohl die Kleidung ziemlich ramponiert war konnte Tallin erkennen, dass es sich um die Überreste gut gearbeiteter Ware handelte. Schwarze Hosen schmiegten sich eng um die Hüften und fielen locker um die Beine. Das langärmlige Hemd musste einst weiss gewesen sein und schien ihm auf den Leib geschneidert worden zu sein.

Der Mann musste ein junger Krieger sein. Er war groß, wohl so um die zwei Meter. Tallin ließ seine Blicke über den durchtrainierten Körper streifen. Er war gut gebaut. Muskulös, aber nicht übertrieben. Aber was machte er da? Wieso betrachtete er den Körper eines Mannes mit so viel Interesse? Verwirrt über sein Verhalten löste er den Blickkontakt und befreite den Mann erst einmal von den Fesseln.

Dann traf sein Blick auf das Gesicht. Kurzes schwarzes Haar, energische Gesichtszüge und ein sinnlicher Mund liessen Tallins Herz höher schlagen. Er beugte sich vor um mit seiner Hand sanft die Wange des Kriegers berühren und strich mit federleichten Berührungen über dessen Gesicht. Als Rechtfertigung sagte er sich, dass er ja bloss die Schrammen und Blutergüsse verarztete.

Als der Unbekannte nach einer Weile die zu sich kam, blickte ein Paar smaragdgrüne Augen verwirrt in Tallins Richtung.

Dieser griff nach der Hand des Mannes um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein. Doch der Fremde schrie auf und starrte panisch in seine Richtung. Im ersten Augenblick war Tallin nicht klar, weshalb der Mann so auf ihn reagierte. Erst als dieser Beschwörungsformeln zur Vertreibung böser Dämonen murmelte realisierte Tallin das seine Unsichtbarkeit den Fremden so beunruhigt hatte.

»Hab keine Furcht.« Tallin versuchte seine leicht zitternde Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen. »Ich will dir nichts Böses. Es ist nur ein Zauber der mich vor deinen Augen verbirgt.«

Die Erleichterung war dem Fremden anzusehen. »Man nennt mich Ramun. Ich stehe zutiefst in eurer Schuld Zauberer, denn ohne eure Hilfe hätten mich die Soldaten getötet. Bitte sagt mir wie ich euch zu Diensten sein kann.«

Mit diesen Worten verneigte sich Ramun tief und ein Amulett, das bisher unter seinem Hemd verborgen gewesen war, kam zum Vorschein. Bei dessen Anblick erschrak Tallin, denn er kannte dieses Amulett. Das kunstvolle Amulett zeigte einen silbernen Drachen der sich um eine, in der Mitte eingelassene, kirschgrosse schwarze Perle schlang.

Dies war ein Amulett der königlichen Familie von Zia. Der Fremde, dessen Anblick in Tallin derart starke Gefühle ausgelöst hatte war niemand anders als Prinz Ramun. Der Sohn der schwarzen Königin. Zutiefst erschüttert wandte sich Tallin von ihm ab.

Während Tallin fieberhaft überlegte, was er denn nur tun, wie er sich denn verhalten sollte fragte Ramun plötzlich wer er denn sei und aus welchem Reich er sei. »Mein Name und meine Herkunft sind hier ohne Bedeutung. Doch sagt mir Prinz Ramun, weshalb wollte eure eigene Mutter euch töten?«

Ramun seufzte tief und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er blickte in die Richtung in der er Tallin vermutete. »Ich weiss es nicht: Vor drei Tagen liess sie mich zu sich rufen. Sie und Balrick, der Erzmagier von Zia waren in ihre schwarzen, mit magischen Zeichen versehenen Zeremonienroben gekleidet. Sie umkreisten mich und murmelten irgendwelche Formeln. Auf einmal wurde Balrick kreidebleich und schrie ich sei verflucht. Man müsse mich unschädlich machen, ehe die Prophezeiung sich erfülle.«

Wütend drehte sich Ramun auf dem Absatz um und kickte kleine Steinchen weg. »Wozu das Ganze führte habt ihr ja gesehen, Zauberer. Wenn ihr mich nicht gerettet hättet, wäre ich irgendwelchen Dämonen geopfert worden.« Er senkte seine Stimme. »Bitte gestattet mir euch zu begleiten, denn der Weg zurück ist mir nun verwehrt.«

Stille senkte sich über den Opferplatz. In Tallins Kopf rasten die verschiedensten Gedanken, und alle drehten sich um diesen jungen Krieger, der ihn in ein noch nie dagewesenes Gefühlschaos gestürzt hatte. Von Ramun ging eine Faszination und Anziehung aus die Tallin schon fast ängstigte. Er spürte instinktiv, dass dieser junge Zianer sein Leben verändern würde und er war sich nicht sicher ob er das auch wollte.

Nach einer Weile räusperte sich Tallin. »Ihr könntet mein Führer sein Prinz. Aber wisst, dass es mein oberstes Ziel ist den Talisman der Nacht und mit ihm auch die Schreckensherrschaft eurer Mutter zu vernichten.«

Ramun zuckte nur mit den Schultern und erklärte sich einverstanden, Tallin zum Palast zu führen.

»Aber ich bitte euch um eins Herr, sprecht nicht mehr zu mir als ob ich ein Prinz wäre. Ich habe mich von meiner Familie losgesagt. Von heute an bin ich nur noch Ramun.«

»Gut Ramun, dann will ich deinem Wunsch entsprechen und dich wie ein normaler Bürger behandeln. Aber nenn mich nicht Herr. Lin reicht.«

Tallin nannte den Kosenamen mit dem ihn seine Kinderfrau als Kind immer gerufen hatte. Er freute sich wieder menschliche Gesellschaft zu haben und wollte mit der Nennung dieses Namens die Distanz zwischen ihm und Ramun verkleinern.

Ramun sah einige Schritte vom Altar entfernt etwas im Staub aufblitzen. Es war sein Schwert, das ihm der Kommandant seiner Henker abgenommen hatte. Froh seine Waffe wieder in den Händen zu halten gürtete er sich das Schwert um und zeigte Lin an, dass er nun abmarschbereit war.

Sie liessen den Opferplatz hinter sich, suchten einen Unterschlupf und warteten die Nacht ab. Tallin wusste, zwar konnte er tagsüber ungehindert an den zianischen Wachen vorbei spazieren, doch Ramun würde auffallen. Während die beiden jungen Männer auf den Einbruch der Dunkelheit warteten fragte Tallin Ramun über das Leben im Palast aus. Er hörte aufmerksam zu und merkte sich für ihn wichtige Einzelheiten. Vor allem die finsteren Machenschaften des Magiers Balrick und Königin Andrina waren von grossem Interesse.

Auf einmal unterbrach Tallin Ramuns Redefluss. »Erzähl später weiter. Sieh, die Nacht bricht herein.« Vorsichtig verwischte Ramun alle Spuren die auch nur im Entferntesten darauf hätten hinweisen können, dass diese Höhle jemandem als Unterschlupf gedient hatte. Vorsichtig und auf leisen Sohlen verliessen sie ihr Versteck und setzten die Reise fort.

Selbst im Dunkel der Nacht war die Zerstörung des Landes nicht zu übersehn. Erschütternd wandte sich Tallin an seinen Führer: »Sag mir, sah es hier in Zia schon immer so aus? Es sieht aus als wäre dem Land das ganze Leben entzogen worden.« Ramun lachte verbittert auf.

»Nein, früher waren hier die Weiden und Felder der Bauern. Was du hier siehst ist das Werk des Talismans. Alleine seine Anwesenheit im Schloss bewirkt dies. Ich darf nicht daran denken was geschieht, wenn es Andrina gelingen sollte ihn zu aktivieren und seine volle Kraft zu nutzen.«

Bei diesen Worten erinnerte sich Tallin an den seltsamen Traum den er in Cassians Zuhause hatte und erstarrte. Nun verstand er auch, was Cassian damit gemeint hatte als er sagte, dass die Largias-Gabe auch ein Fluch sein konnte. Er hatte die Zerstörungskraft des Talismans gesehen als er in die Vergangenheit geblickt hatte.

»Glaub mir Ramun, du WILLST nicht wissen wie es hier aussehen wird, wenn es uns nicht gelingt diesen verfluchten Talisman zu vernichten.« Überrascht von der Heftigkeit in Tallins Stimme drehte sich Ramun um.

»Was willst du mir sagen Lin? Kein Mensch weiss wie die Folgen wären. Ich glaubte ja selber, dass der Talisman der Nacht nur eine Legende ist bis ich eines besseren belehrt wurde.«

»Ich habe gesehen was damals geschah. Wie Tod und Verderben über die Welt hereinbrachen. Das hier ist eine Kleinigkeit dagegen.«

Mit diesen Worten drehte sich Tallin um und schritt schnell weiter. Ramun, der die sich entfernenden Schritte hörte, folgte ihm.

»Wer bist du Lin? Welches Geheimnis umgibt dich?«, fragte sich Ramun. Er wünschte sich, doch nur einmal einen Blick auf seinen Begleiter mit der samtigen Stimme werfen zu können. So viele Fragen brannten ihm auf der Zunge, doch er traute sich nicht sie zu stellen.

Kurz vor Tagesanbruch schlugen sie in einer verlassenen Ruine ihr Lager auf. Tallin reichte Ramun etwas von Brot und Dörrfleisch. »Es ist nicht viel. Unser Vorrat neigt sich zu Ende. Morgen werden wir uns neuen Proviant verschaffen müssen. Schlaf du als erster Ramun, ich werde die erste Wache übernehmen.« Kurz darauf schlief dieser tief und fest.

Tallin betrachtete den Schlafenden im ersten Licht des Tages und spürte eine aufsteigende Wärme in sich. »Wer bist du Ramun?«, flüsterte er leise. Er stand auf und kauerte sich nahe neben Ramun auf den Boden um ihm näher zu sein. Längst hatte Tallin es aufgegeben gegen die Gefühle anzukämpfen die dieser Krieger in ihm weckte.

Er hob die Hand und strich sanft durch Ramuns Haare, beugte sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Nein, du bist nicht mein Feind. Es ist unwichtig wer deine Mutter ist«, wisperte er und setzte sich wieder auf um weiter über den Schlaf Ramuns zu wachen.

Gegen Mittag wechselten sich die beiden ab. Ramun überwachte das Gelände und dachte über seinen Traum nach. Lins samtene Stimme, sanfte Hände die ihn berührten, ein leichter Kuss konnte es nicht doch vielleicht mehr als ein Traum gewesen sein? Er seufzte tief.

»Wunschdenken du Narr!!« schalt er sich selbst. »Bei Jovin, wie kann es sein dass alleine seine Stimme und sein Verhalten mich in Wunschträume verfallen lassen?! Es wird wohl ein Wunschtraum bleiben mit Lin endlich jemanden kennen zu lernen der meine Gefühle erwidert. Und nun Schluss mit diesen Selbstgesprächen!« Ramun wandte sich wieder dem Ausguck zu und beobachtete die Strasse um sich nähernde Soldaten frühzeitig zu entdecken.

Dieses Muster wiederholte sich die folgenden Tage und Nächte. Am Tage schliefen sie abwechslungsweise und während der Nacht wanderten sie meist schweigend um das Risiko entdeckt zu werden möglichst gering zu halten. Auch waren beide bemüht ihre Gefühle voreinander zu verbergen was durch das Vermeiden von langen Gesprächen leichter fiel.

Tallin rang schwer mit sich. Immer wieder wollte er der Versuchung nachgeben, den Umhang ablegen und sich Ramun zu offenbaren. Doch Angst vor Ramuns Reaktion und das Wissen, dass es ihm verboten war den Tarnumhang abzulegen liessen ihn standhaft bleiben.

Sie ahnten nicht, dass die schwarze Königin mit Hilfe ihrer schwarzen Magie entsetzt feststellte, dass ihr Sohn noch lebte.

Es war am 16. Tag ihrer gemeinsamen Reise als das Unglück geschah. Kurz vor Morgengrauen, als sie in der verfallenen Ruine eines alten Tempels ihr Lager aufschlagen wollten, gerieten sie in einen Hinterhalt der zianischen Armee. Als Ramun die heranstürmenden Krieger sah, griff er in die Richtung in der er Lin vermutete, packte ihn und stiess ihn ins Gebüsch. Tallin schlug dabei mit der Schläfe auf einem Stein auf und sank in tiefe Bewusstlosigkeit.

Lin war in Sicherheit. Das war erst einmal das Wichtigste. Eine leichte Beute wollte Ramun für die heran stürmenden Soldaten nicht sein. Er zog sein Schwert und beschloss, zumindest seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.

Der erste Soldat kam auch gleich auf ihn zugerannt. Viel zu schnell viel zu unaufmerksam. Gekonnt wich Ramun seinem Hieb aus, lies den Soldaten an sich vorbei rennen und in einer schnellen Drehung stieß er mit seinem Schwert zu. Es blieb ihm keine Atempause denn da drang bereits der Nächste auf ihn ein. Den Hieb des Angreifers parierte er, sauber, wie er es aus den alten Büchern seines Lehrmeisters gelernt hatte. Wendig wie er war, duckte er sich unter dem Arm des Soldaten durch und hieb ihm den Knauf in den Nacken, so dass dieser bewusstlos zu Boden sackte.

Inzwischen hing sein Hemd in Fetzen von seinem Körper. Rasch riss Ramun es sich runter um dadurch nicht behindert zu werden. Gerade rechtzeitig, den jetzt stürmten gleich zwei auf ihn zu. Dem Stoß des einen ausweichend, parierte er den Hieb des Zweiten. Durch eine schwungvolle Drehung nach rechts brachte er einen Gegner zwischen sich und den anderen und konnte damit Zeit gewinnen, sich um beide nacheinander zu kümmern. Ramuns Atmung ging schnell, das Herz schlug hart gegen die Rippen, sein Oberkörper glänzte vom Schweiss. Doch sein Kampfwille war ungebrochen.

Aber es half alles nichts... nachdem er diese zwei ausgeschaltet hatte, traf die Hauptgruppe ein. Von allen Seiten stürmten sie nun auf ihn ein. Obwohl er noch einige kräftige Hiebe platzieren konnte, war er dieser Übermacht nicht gewachsen. Zwei der Gegner konnten ihn von hinten überwältigen, fesselten ihn mit schweren Eisenketten und brachten ihn ins Schloss.

Hm.. irgendetwas kitzelte ihn in der Nase, aber was? Langsam öffnete Tallin die Augen und fand sich im Gras liegend wieder. »Wieso piekst mich ein Grashalm in der Nase?«, fragte er sich. Verwirrt richtete er sich auf und blickte umher. Was war nur geschehen? »Ramun!«, durchfuhr es ihn siedendheiss und er sprang auf.

Panikartig und völlig kopflos rannte er wie ein aufgeschrecktes Huhn auf die Lichtung vor der Tempelruine. Als er das niedergetrampelte Gras und die Kampfspuren sah kehrte die Erinnerung zurück. Verzweifelt suchte Tallin jeden Busch ab, sah hinter jeden Felsen oder Stamm, Ramun musste doch irgendwo sein.

Da sah er im Licht der Sonne etwas Silbernes im Gras aufblitzen. Pfeilschnell stürzte sich Tallin darauf. Es war Ramuns Drachenamulett. Es musste ihm im Kampf abgerissen worden sein. Tallin hob es auf und sah die Blutspritzer darauf. Laut aufschluchzend sank er auf die Knie. »Ramun« schriee er laut und seine Schreie hallten von den Felsen wieder.

Tallin wusste nicht wie lange er auf der Wiese kniete. Die Abenddämmerung brach schon herein doch es war ihm egal. Wie betäubt starrte er immer noch das blutbespritzte Amulett an. Alles war auf einmal bedeutungslos geworden. Königin Zia, der Talisman der Nacht.. alles wurde bedeutungslos neben dem Schmerz der Tallin zu zerreissen schien.

Er hatte nicht gewusst, dass er Ramun so geliebt hatte. Ja, es war Liebe. Nun gestand er es sich ein. Es waren nicht nur freundschaftliche Gefühle die seinen Puls zum rasen gebracht hatten, die sein Herz hatten schneller schlagen lassen, kaum dass er Ramun anblickte oder den Klang seiner Stimme vernahm.

Das war es, was seine Mutter und auch Cassian ihm sagen wollten. »Tani und Liun.das meinte sie. Sie waren Geliebte und nicht nur Waffenbrüder. Und Cassians Worte ich solle auf mein Herz hören, und nun ist es zu spät!« Mit einem verzweifelten Schrei schlug Tallin seine Faust auf den harten Boden.

Da, was war das? Ein leichter Wind glitt wie ein sanftes Wispern durch die Blätter und schien ihm etwas mitteilen zu wollen. Tallin hob den Kopf und lauschte aufmerksam. Es konnte doch nicht sein, aber da, schon wieder erklang ein Flüstern: »Tallin, denk an deine Gabe« Tallin riss die Augen auf: Das war ja Cassians Stimme. Der Schleier, der sich um sein Bewusstsein gelegt hatte lichtete sich und er begriff, was Cassian ihm sagen wollte.

Tallin setzte sich im Schneidersitz hin und nahm Meditationshaltung ein. Er atmete tief und ruhig durch um sich auf sein Inneres zu konzentrieren. Wooam! Wie ein Blitz durchzuckte es Tallin und er sackte in sich zusammen. Er fühlte sich leicht, schwebend. Als er die Augen öffnete fand er sich im schwarzen Schloss wieder.

Diesmal sah er also nicht die Vergangenheit. Dies musste die Zukunft oder die Gegenwart sein. Tallin sah wie die Zugbrücke hinunter gelassen wurde und flog hinunter. Was er sah liess ihn jubilieren. Soldaten eskortierten einen Gefangenen ins Innere und es war sein Ramun. Sein Liebster lebte noch! Tallin rannen Freudentränen über die Wangen und mit einem Ruck fiel er wieder in seinen Körper zurück.

Voller neuer Energie sprang Tallin auf und tanzte auf der Wiese herum. Ramun war am Leben aber wie lange noch? Er wusste er musste schnellstmöglich ins schwarze Schloss gelangen. Vorsichtig reinigte er das Amulett von den Blutspritzern und steckte es in seine Brusttasche.

Während Tallin noch überlegte wie er ins Schloss gelangen konnte, sah er einen Tross Soldaten mit Versorgungsgütern näher kommen. Bei Jovin! Die Götter mussten ihm heute wohlgesonnen sein. Ein Soldatentross, der einzige Weg ins Schloss zu gelangen, da die Zugbrücke sich nur für die Soldaten öffnete. Tallin schlich zur Strasse hinunter und wartete.

Als die Wagen an ihm vorbeifuhren sprang er auf. Der Soldat, welcher den Wagen lenkte wunderte sich zwar über den Ruck der auf einmal durch seinen Wagen ging, da er aber nichts entdecken konnte drehte er sich mit einem Achselzucken wieder um.

Erleichtert atmete Tallin auf. Das hatte ja besser geklappt als er gedacht hatte. Nun sollte es nur noch eine knappe Tagesreise bis zum Schloss dauern. Zu Fuss hätte er mehrere Tage gebraucht.

Neugierig sah sich Tallin auf dem Wagen um und freute sich diebisch. Er war auf dem Wagen mit Lebensmitteln gelandet. Hungrig suchte er nach etwas Leckerem. Er fand gebratenes Hähnchen und biss genüsslich hinein. Als er den letzten Bissen verspeist hatte lehnte er sich entspannt zurück. Mit vollem Magen und der Gewissheit, dass sein Ramun noch am Leben war spürte er eine neue Zuversicht in sich. »Warte nur Königin Andrina. Das Ende deiner Schreckensherrschaft naht!«

Er war gerade eingenickt, als der Wagen mit einem Ruck anhielt. Tallin wäre dabei fast runtergefallen. Vorsichtig stieg er aus dem Wagen und guckte, was denn los war. »Das schwarze Schloss«, flüsterte er und ein Angstschauer erfasste ihn. »Du darfst keine Angst haben Tallin. Du bist ein König, also verhalte dich auch so!« machte er sich selber Mut, während er neben dem Wagen herlief und so über die schwere Zugbrücke ins Schlossinnere gelangte.

Ein eiskalter Schauer überlief ihn. Dieses Schloss schien von den Angstschreien hunderter Menschen wiederzuhallen. Es roch nach Tod und Verderben. Er schluckte leer, wickelte sich fest in seinen Umhang und ging die Treppe zum Thronsaal hinauf. Er musste Andrina finden. Auf dem Wege würde er hoffentlich erfahren, wo er den Drachen finden konnte, der als einziges Lebewesen im Stande war, den Talisman der Nacht zu vernichten. » Ein unsichtbar Drache, dessen schwarzes Äusseres eine Seele des Lichtes verbirgt«, wiederholte er Cassians Worte, doch noch immer wusste er nicht, wie er sie deuten konnte.

Als er sich dem Thronsaal näherte hörte er Stimmen. Vorsichtig spähte er hinein. Leise, jedes Geräusch vermeidend trat er ein und trat auf die Dreiergruppe zu die sich lautstark unterhielt. »Königin Andrina, General Baltran und der Erzmagier Balrick« dachte sich Tallin und musterte die Anwesenden. Die Königin musste einst eine schöne Frau gewesen sein, ehe sich Hass, Missgunst und Machtgier in ihr Gesicht eingegraben hatten.

Eingehüllt in eine schwarze Magierrobe, der langen schwarzen, von einzelnen grauen Strähnen durchzogenen Haarpracht war sie ein imposanter Anblick. Jede Faser ihres Körpers schien von schwarzer Magie erfüllt. Das schrecklichste waren jedoch ihre Augen. Völlig schwarz und ohne die kleinste Gefühlsregung schienen sie seelenlos durch einem hindurch zu blicken.

Sie fuhr den General an. »Wie konnten eure Männer derart versagen, General?! Ramun muss sterben und das wisst ihr nur zu genau!« An der Stelle trat Balrick einen Schritt vor und erinnerte den General nochmals an die Prophezeiung. »Ihr wisst, dass nur ein Drache des Lichts den Talisman und die Königin vernichten kann und Ramun ist dieser Drache. Durch List und Betrug gelang es dem Gott Jovin in der Gestalt des toten Königs zu Königin Andrina zu gelangen und mit ihr einen Sohn zu zeugen. Er wusste, nur so konnte der Drache des Lichts geboren werden.« Der General erbleichte. Er hatte zwar gewusst, dass Ramun in altem zianisch Drache hiess, aber er hätte nie gedacht, dass Ramun Jovins Sohn war.

Königin Andrina knüpfte an Balricks Erzählung an. »Ich versuchte alles um das Erbe des Lichts in Ramun auszumerzen. Doch es gelang nicht. Also General. Ich will dass ihr ihn noch heute Nacht tötet! Dann kann mich nichts und niemand mehr aufhalten.« Ihre Augen blitzen auf und liessen Tallin für einen Augenblick einen Blick in ihre dunkle Seele werfen. Erschüttert über das Gesehene floh Tallin aus dem Thronsaal. Er musste Ramun finden bevor der General ihn tötete.

Er machte sich auf den Weg zu den Kerkern, wo er Ramun vermutete. Seine Gedanken kreisten um das neu gewonnene Wissen. »Also ist er der unsichtbare Drache mit der Lichtseele. Sein Amulett zeigt auch einen Drachen. Aber Jovins Sohn? Ramun soll der Sohn eines Gottes sein?« Entschlossen schob Tallin diese Gedanken zur Seite. Im Augenblick gab es wichtigeres zu erledigen. Über Ramuns Abstammung und alles weitere konnte er sich Gedanken machen, wenn seine Aufgabe erfüllt und sein Liebster gerettet war.

Je tiefer Tallin in die Kellergewölbe vorstiess, desto dunkler wurde es. An den feuchten Wänden wuchs Moos und Schimmel und hinter den Zellentüren war da Gestöhne und die Hilfeschreie der Gefangenen zu hören. Er blickte auf seiner Suche in jede Zelle. Da waren Männer, Frauen und Kinder. Soldaten, Magier einfach alle die der Königin unbequem geworden waren. Doch er fand Ramun nicht.

Verzweifelt fragte er sich, wo er denn sonst sein könnte, als er am Ende des Korridors eine weitere Tür entdeckte, die sich just in diesem Moment öffnete. Tallin rannte auf die Türe zu um schnell hindurchschlüpfen zu können, bevor sie sich wieder schloss.

Er fand sich auf einer düsteren Wendeltreppe wieder. Tallin fror und rieb sich über die Arme um wieder etwas warm zu bekommen. Er wollte schon die Treppen hinuntersteigen als er sah, dass Fussabdrücke auf den Stufen sichtbar waren. »Ein Glück ist hier alles feucht und kalt«, dachte Tallin und folgte den Spuren nach oben wo er auf eine Falltüre stiess. Fluchend setzte er sich auf die Treppenstufen. Die Falltüre war mit mehreren Schlössern gesichert. Wie sollte er da reingelangen? Wie konnte er so Ramuns Leben retten?

Doch was war das?! Tallin spürte auf einmal ein Kribbeln im ganzen Körper und sah wie ein helles weisses Licht ihn einhüllte. Überrascht schloss er die Augen uns merkte, dass er sich bewegte. Als er die Augen wieder öffnete fand er sich auf der anderen Seite der Falltüre wieder.

»Wie?« fragte sich Tallin. Ein leises Lachen ertönte und er sah eine Projektion Cassians vor sich. »Junger Curadin. Ich sagte doch du besitzt die Kräfte der Largias im vollen Umfang. Dazu gehören auch das Teleportieren und die Telepathie. Du hast noch viel zu lernen. Zurzeit gelingt es dir nur deine Fähigkeiten zu aktivieren, wenn du emotional stark aufgewühlt bist. Aber dennoch ist das im Augenblick ausreichend.« Mit diesen Worten verschwand Cassian wieder und Tallin blickte sich im Raum um.

Auf einer Pritsche in der hintersten Ecke des Raumes sah er Ramun liegen. Leise schlich er zu ihm hin und blickte voller Zärtlichkeit und Stolz auf ihn nieder. Mehrere Wunden und Schrammen zeugte davon wie erbittert er ihren Feinden Widerstand geleistet hatte. Er beugte sich über ihn und legte ihm sacht eine Hand auf die Schulter und rüttelte ihn sanft. »Wach auf Ramun«, flüsterte er.

Ramun drehte sich um und blickte suchend durch den Raum. »Lin? Lin!«, schrie er auf und seine Augen leuchteten vor Glück. »Oh Lin bist du es wirklich? Wie kommst du hierher?« Tallin legte ihm einen Finger auf die Lippen.

»Sscht! Ramun, weisst du, wann die Wachen zurückkommen?«

»Frühestens in einer Stunde Lin. Sag, hast du einen Plan?«

Tallin befreite Ramun zunächst von seinen Ketten und gab ihm das verlorene Amulett zurück. Währenddessen er überlegte wie er ihm alles erzählen konnte. Die Geschichte des Talismans, die Rolle des Drachens seine Gefühle für ihn.

Er sammelte all seinen Mut zusammen, setzte sich neben Ramun auf die Pritsche und nahm seine Hand. »Es gibt da einiges was ich dir erzählen muss Ramun«, setzte Tallin zum Sprechen an.

In den nächsten Minuten hörte man neben den Wassertropfen, die an den Wänden hinunterrannen nur den Klang von Tallins Stimme. Und so erfuhr Ramun alles über seine Begegnung mit Cassian, dem weisen Hüter der blauen Quelle, die Reise durch Zia und das belauschte Gespräch zwischen der schwarzen Königin, dem Erzmagier Balrick und General Baltran.

Doch Tallin traute sich nicht, ihm seine Gefühle zu offenbaren. Wie könnte er auch? Schliesslich war Ramun der Sohn eines Gottes und er nur ein normaler Sterblicher, dessen Mutter eine Largias gewesen war.

»Ich brauche deine Hilfe«, schloss Tallin seinen Bericht. »Nur du kannst, in meinen magischen Umhang gehüllt, den Talisman vernichten. Denn Du bist der prophezeite Drache mit des Lichts.«

Ramun spürte wie seine unbändige Freude darüber wieder bei Lin zu sein einen Dämpfer erhielt. Wieso sprach Lin nur über die Mission? Warum kein einziges Wort zu dem was zwischen ihnen vor sich ging? Er konnte sich doch nicht so ihn ihm getäuscht haben, oder doch? Versucht seine Enttäuschung zu verbergen nickte er, um zu signalisieren, dass er verstanden hatte und bereit war, ihm in diesem Kampf zur Seite zu stehen. »Vertrau mir Lin. Du kannst dich auf mich verlassen.«

Mit einem Seufzer erhob sich Tallin um seinen Umhang abzulegen. Just in dem Moment schien ein Sonnenstrahl durch das schmale Kerkerfenster und hüllte Tallin, der nun zum ersten Mal sichtbar vor Ramun stand ein. Dieser sprang auf und musterte erstaunt den bildschönen Jungen der da vor ihm stand.

Klein, sicher gut zwei Köpfe kleiner als er, von schlanker zierlicher Statur. Die etwas zu grosse Kleidung fiel locker um seinen Körper. Zwei grosse, saphirblaue Augen, die das schmale Gesicht zu beherrschen schienen, schauten ihn erwartungsvoll, ja sogar etwas ängstlich an. Das silberne Haar glitzerte im Licht und verlieh seinem Gesicht einen fast überirdischen Hauch. Ramuns Herz schlug ihm bis zum Hals und er glaubte in Lins Augen zu ertrinken.

Er machte einen Schritt auf Lin zu. Aber Lin? Ramun musterte den jungen Mann vor sich genauer. »Silbernes Haar, diese Augen du musst der Sohn von Königin Genoveva sein. Prinz, nein, König Tallin von Curadin.« Scheu senkte diese den Kopf und wisperte: »Ja, ich bin Tallin von Curadin. Ich« Da hörten sie durch die Falltüre das Klirren von Rüstungen.

Schnell legte Tallin Ramun den Umhang um die Schultern und sah wie dieser verschwand. Gerade rechtzeitig. Schön stürmte General Baltran mit seinen Männern in die Zelle um den Konprinzen gemäss den Befehlen der Königin noch vor Sonnenuntergang zu töten.

Als sie jedoch nur Tallin vorfanden packten sie ihn und schleppten ihn vor die erboste Königin. Ramun wusste, dass nun alles nur noch eine Frage der Zeit war. So schnell er konnte eilte er denn Soldaten hinterher um den Talisman, der im Thronsaal aufbewahrt wurde, zu zerstören, bevor seinem Tallin etwas zustiess.

Als er endlich den Thronsaal betrat, schrie die schwarze Königin soeben dem General und Balrick zu, sofort den »Curadin Balg« zu beseitigen. »Wie konnte dieses abartige Geschöpf des Guten in meinen Palast gelangen?!?«, keifte sie. »Alleine die Gegenwart dieser Largiasbrut verunreinigt die böse Macht des Talismans. Tötet ihn! Tötet ihn auf der Stelle!«

Das Blut gefror Ramun in den Adern als er sah wie der Erzmagier Balrick mit den Händen durch die Luft wirbelte, dunkel Flüche murmelte und einen tödlichen Feuerball auf Tallin abfeuerte.

»Neiiiiiiiiiiiiiiiin!« schrie er aus Leibeskräften und stürmte auf Tallin zu. Mit einem todesmutigen Sprung hechtete er los und warf sich vor Tallin und fing den Feuerball ab.

Doch statt tödlich verwundet zu Boden zu fallen schwebte Ramun auf einmal im Raum. Nun sichtbar weil die Kapuze des Umhanges vom Kopf gerutscht war. Entsetzt schrie Königin Andrina auf, denn auf einmal leuchtete Ramuns Amulett in einem pulsierenden Licht auf und hüllte seinen Körper ein bis nur noch ein heller Lichtblitz zu sehen war der pfeilschnell auf den Thron zuraste, neben dem auf einem Sockel der Talisman der Nacht lag und diesen umkreiste bis eine lautlose Explosion den Saal erschütterte und der Talisman in tausende Scherben zerbrochen auf den Stufen des Thronpodestes lag.

Erdbeben erschütterten den Palast und im Thronsaal begannen tiefe Risse aufzuklaffen die, so schien es, bis in die Hölle reichten.

Tallin, der durch die Wucht der Explosion zu Boden gegangen war schaute sich um. Über dem zerstörten Talisman schwebte noch immer dieses seltsame Licht. Neben ihm lag der tote General und starrte mit glasigen Augen gegen die Saaldecke. Er war durch die Druckwelle gegen die Wand geschleudert worden und beim Fall auf den Boden von seinem eigenen Schwert durchbohrt worden.

Die Soldaten schienen in Panik geflohen zu sein und überall tat sich der Boden auf, bebten die Wände und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das Schloss im Erdboden versinken würde.

Nun waren nur noch er, Andrina, Balrick und das Licht, das einmal Ramun gewesen war im Saal. Im Augenwinkel sah er, dass sich die Königin und der Erzmagier an den Händen fassten und mit einer Beschwörungsformel versuchten dieses Licht zu vernichten. Wie eine Klaue schoss der schwarze Zauber der beiden auf das Licht zu, als sich dieses ausdehnte, grösser und grösser wurde und verschwand.

An seiner Stelle räkelte sich ein grosser Drache. Seine Schuppen glänzten in reinstem Perlmutt während die Kämme von seinem Kopf bis zur Schwanzspitze golden schimmerten. Um den Hals trug er ein Amulett. Es zeigte einen silbernen Drachen der sich, um eine nun weisse Perle schlang.

Ramun lebte! Tallin konnte es kaum fassen und jubelte innerlich auf. Durch irgendeine Macht war er vom Feuerball verschont geblieben und hatte sich in den Drachen des Lichts verwandelt, und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Balrick stürmte auf den Drachen zu, eingehüllt von schwarzen Blitzen. »Ich werde dich vernichten du elende Missgeburt des Lichts!« Der Drache wirkte schon fast gelangweilt als er den mächtigen Kopf drehte, hinunter stiess, den gellend schreienden Erzmagier zwischen seine Fänge nahm und mit einem schwungvollen Wurf in eine der Spalten warf, aus denen schon die Dämpfe heisser Lava quollen.

Noch bevor er sich seiner letzten Gegnerin zuwenden konnte, schleuderte Andrina schwarze Energiekugeln auf den Drachen. Sie hatte nichts mehr zu verlieren. Mit dem Talisman waren all ihre Pläne zerstört worden. Ihre Wut und ihr Hass wirkten wie ein Katalysator auf ihre schwarzen Kräfte. Mit letzter Kraft schrie sie ein Machtwort und ein gebündelter Strahl puren Hasses und Verderbens schoss aus ihren Händen auf den Drachen zu.

Mit einer Anmut, die man einem so grossen Geschöpf gar nicht zugetraut hatte entfaltete er seine Flügel, stiess sich vom Boden ab und durchbrach die Decke. Mit weit aufgerissenen Augen sah Königin Andrina wie der Drache nun auf sie zustürzte. Aus seinen Vorderläufen schossen zwei grelle Blitze und liessen von der einst so mächtigen und überall gefürchteten schwarzen Königin Andrina nur noch ein Häufchen Asche übrig.

Es war als ob ihr Tod wie ein Schlüssel wirkte. Das ganze Schloss sackte in sich zusammen und fiel in einen, sich neu bildenden Lavakrater. Tallin wurde von einem Stein getroffen und stürzte ohnmächtig zu Boden. Kurz bevor er in den Abgrund fiel schlossen sich sanft goldene Klauen um seinen Körper und trugen in durch die Nacht in Sicherheit.

Wieder wanderte Tallin durch die Zeit. Er sah wie der Lavakrater sich nach dem Verschlingen des Palastes wieder verschloss, wie ein heilender Nebel sich über Zia und die anderen gebeutelten Reiche legte und die Wunden heilte, die Andrina mit ihrer schwarzen Magie geschlagen hatte. All die verbrannte Erde, der ausgedörrte Boden verschwunden. Stattdessen erstrahlten die Wiesen im satten Grün und nichts wies darauf hin, wie er nur wenige Stunden zuvor ausgesehen hatte.

Als Tallin wieder erwachte, blickte er in das vertraute Gesicht Cassians. Stöhnend richtete er sich auf und hielt sich den schmerzenden Kopf. »Langsam mein junger Held«, versuchte dieser ihn am Aufstehen zu hindern. Doch seine Worte verhallten ungehört. Langsam wankte Tallin zum Höhlenausgang und blickte sich verzweifelt nach Ramun um. Was war mit ihm geschehen? War er als Drache zu seinem Vater in die göttlichen Reiche geflogen?

»Tallin«, ertönte es hinter ihm, »Endlich bist du aufgewacht!« Tallin wirbelte auf dem Absatz herum und starrte ungläubig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ramun trat aus dem Höhlenschatten und lächelte.

Mit einem glücklichen Aufschrei rannte Tallin auf ihn zu und stiess so hart mit ihm zusammen, dass er Ramun gegen die Höhlenwand zurückstiess. »Das tut weh«, keuchte er. Ehe Tallin sich entschuldigen konnte riss Ramun ihn in seine Arme und drückte ihn an sich. Seine Lippen glitten über Tallins Gesicht fanden, seine Lippen und versanken in einem leidenschaftlichen Kuss. Engumschlungen sanken sie ins Gras, liessen die Hände erkundend über den Körper des anderen gleiten.

Tallin wusste nicht wie lange sie so dort lagen. Jegliches Zeitgefühl war verschwunden. Alles was zählte war, dass Ramun bei ihm war. Ein Hüsteln liess die beiden errötend auseinander fahren und im vergeblichen Versuch ihre Kleidung wieder zu ordnen purzelten sie vor Cassians Füsse.

Dieser lachte schallend. »Nicht so stürmisch meine Kinder. Ihr habt noch euer ganzes Leben Zeit dafür. Nun müssen Entscheidungen getroffen werden. Das Volk bereitet alles für deine Krönung vor, junger Curadin. Doch du junger Drache«, Cassian blickte Ramun ernst an. »Du musst dich nun entscheiden. Dir stehen die Türen hier im Reich der Sterblichen und im Reich der Götter offen. Jovin, dein Vater überlässt die Wahl dir. Willst du mit all deinen Fähigkeiten als Sterblicher hier auf der Erde bleiben? Oder als Sohn des höchsten Gottes deinen Platz an dessen Seite einnehmen und unsterblich werden?«

Tallin drängte sich eng an Ramun und fürchtete seine Antwort. Was war schon das Leben hier verglichen mit der Unsterblichkeit eines Gottes? Der Grössere drückte ihn eng an sich und und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich bleibe bei dir mein Herz. Was ist schon Unsterblichkeit verglichen mit dem Leben an deiner Seite.«

Ende

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