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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt

Teil 16

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Inhaltsverzeichnis

XLVI

Nachdenklich lehnte er sich gegen die massive, steinerne Brüstung des großen Balkons und betrachtete die tiefen Rillen und Kratzer, die Drachenklauen im Laufe der Jahrhunderte in den steinernen Boden gegraben hatten. Tief unter sich konnte er die Lichter Draconas erkennen, seinem Zuhause. Hier, in der Universitätsstadt des Landes, welche sich an den Fuß des Ratsberges schmiegte, hatte Konjaru den größten Teil seines Lebens verbracht. Auch wenn er in den Tiefebenen Draconias, nahe der Hauptstadt Dracaron geboren worden war, so fühlte sich sein Herz doch hier zuhause. Die Militärakademie, die Bibliotheken, die Tavernen und die schmalen Gassen der Altstadt; alle waren sie einmal ein Teil seines Lebens gewesen. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wie oft er die schmalen Stufen hinauf zu Rubinkralles Heimstatt und den Ratshöhlen erklommen hatte, wenn er seinen Vater bei seinen Verpflichtungen begleitet hatte. „Psst, sei leise. Wenn der Kommandant…“ Der Wind trug die leise gewisperten Wortfetzen nach oben. Konjaru wandte sich ab. Seine schlanke, in dunkelblaue Gewänder gehüllte Gestalt hob sich kaum vom sternenklaren Nachthimmel ab. Einzig sein von dunklen Haaren umrahmtes Gesicht leuchtete im fahlen Mondlicht, welches die schon beinahe gespenstische Blässe seiner Haut noch betonte. Tief in Gedanken versunken betrachtete er seine Hände, drehte sie nach innen und außen. Beinahe so, als ob es sich um etwas Fremdes und nicht um einen Teil seines eigenen Körpers handeln würde. Wie gerne würde er sich zusammen mit den Rekruten aus der Akademie schleichen, um sich in der Stadt zu vergnügen. Doch wie konnte er sich zu ihnen gesellen, wenn er nicht länger einer der ihren war. Er wusste nicht, was er war. Aber eines wusste er mit aller Gewissheit – er war nicht länger menschlich.

Panjaru saß neben seinen Eltern und dem obersten Heiler des Reiches vor dem großen Kaminfeuer in Rubinkralles Halle. Doch während die anderen mit ernsten Mienen den Worten des ältesten Drachen lauschten, wanderte sein Blick immer wieder zu den hohen Balkontüren, durch die sein Bruder verschwunden war. Wehmütig schloss er für einen kurzen Moment die Augen. Obwohl Konjaru der Erstgeborene war und die Pflichterfüllung gegenüber der Familie und seinem Erbe an erster Stelle standen, so hatte er dies seinen kleinen Bruder nie spüren lassen. Panjaru dachte daran, wie sie zusammen im Bach versucht hatten, Forellen mit bloßer Hand zu fischen, und am Ende ohne Fische, aber pitschnass von oben bis unten und laut lachend wieder nach Hause zurückgekehrt waren. Sie hatten sich einmal so nahe gestanden, doch nun war alles anders.

Es schmerzte Panjaru zutiefst, derart ausgeschlossen zu werden, doch wie die anderen, so respektierte auch er den Wunsch Konjarus nach Ruhe. Er konnte ja selbst noch kaum fassen, was während des letzten Mondes alles geschehen war. Wie mochte es da erst Konjaru ergehen? Die Gedanken des jungen Kriegers kehrten zu jener Nacht zurück, in der sein Bruder buchstäblich aus dem Reich der Toten zurückgekehrt war.


Wie eine Schockwelle war der mentale Aufschrei der Drachen über das Land gefegt, hatte es in seinen Grundfesten erschüttert und erstarren lassen. Selbst jene Menschen, die keinen Drachen als Seelenpartner hatten, welche die eher ruhenden, mentalen Fähigkeiten ihrer Rasse erst richtig erweckten, spürten, dass großes Unheil über das Reich gekommen war. Drachen und Drachenreiter hatten sich in ihrem Schmerz und ihrer Trauer vereint, ihre Gedanken hatten sich zu einem stummen Trauergesang verflochten, dessen Melodie in den Köpfen und Herzen des gesamten Volkes erklang und ohne Worte all die Pein und den Schmerz über diesen Verlust widerspiegelte. Seit dem großen Krieg war kein Drache mehr außerhalb einer Schlacht gefallen, war kein Seelenlicht einfach so erloschen. Selbst von den wenigen Ältesten, die beide großen Kriege überlebt hatten und tausende von Jahren zählten, war in dieser Zeit nur einer zu Kalanja, ihrer aller Mutter zurückgekehrt. Doch nun hatte es begonnen. Nur noch schwach flackerte das Licht von Silberklaues Seele, bald würde es ganz erloschen sein. In die Trauer über das unabwendbare Schicksal von Drache und Reiter mischten sich bange Fragen über die Zukunft. War dies nach dem Verlust des “coeru kalanja’neiu“, dem Herzen der Erde ein weiteres unheilvolles Zeichen, dass nun jene starben, die aus ihrem Blut geboren worden waren?

Heiße, ungeweinte Tränen brannten in Panjarus Augen. Seit Silberklaues magische Seele begonnen hatte für immer aus dieser Welt zu entgleiten, waren nur wenige Stunden vergangen. Doch erschienen sie ihm wie Jahre. Ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, war er hinter seinen Eltern her gerannt, als diese an das Krankenlager ihres Sohnes eilten. Es war, als ob ein Teil von ihm die Kontrolle über seinen Körper übernommen und sich so von jenem abgelöst hatte, der am liebsten vor Verzweiflung und Kummer getobt, geschrien und geweint hätte. Seine Mutter weinend über ihren ältesten Sohn gebeugt zu sehen, die Hilflosigkeit und die Trauer in den Augen seines Vaters – Panjaru fühlte sich, als ob ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden wäre. Alles was ihm bisher in der Not Halt und Trost gegeben hatte, existierte nicht länger. Seine Eltern waren nicht unbezwingbar, nicht gegen jedes Ungemach des Lebens gewappnet. Nein, vor Darshan waren sie alle nur schwache, sterbliche Geschöpfe. Nicht einmal die Gedankenstimme Goldauges vermochte ihm Trost zu spenden.

„Konjan, Sora, wir sollten ihn zu Silberklaue tragen. Es wäre besser, sie würden zusammen…“ Rubinkralle beendete den Satz nicht. Es war nicht nötig.

Behutsam hob Konjan den schlaffen Körper seines Sohnes hoch und trug ihn hinter Rubinkralle her, der ihnen durch lange, von Fackeln erhellte Gänge hindurch den Weg zu den Gästeschlafhöhlen für Drachen wies. Auch wenn er unter dem Gewicht wankte, so lehnte Konjan doch die Hilfe der Bediensteten ab. Drache und Reiter sollten in ihrer letzten Stunde zusammen sein und diesen Dienst wollte er seinem Erstgeborenen ohne fremde Hilfe erweisen.

Gramerfüllt blickte er auf Konjarus Gesichtszüge, die den seinen so ähnlich waren, doch war kaum noch Leben in ihnen. Lediglich das schwache Heben und Senken der Brust zeigte, dass sein Sohn noch nicht vor Darshans Thron stand. Er schluckte leer. Eltern sollten ihre Kinder nicht überleben. Eine schmale Hand schob sich auf seine Schulter, drückte ihn kurz und stahl sich so sachte wieder davon, wie sie gekommen war. Sora, Konjan nickte ihr dankend zu. Nach so vielen Jahren des Zusammenlebens spürte sie jede seiner Gefühlsregungen und wusste genau, was er in diesem Augenblick am meisten gebraucht hatte.

Vor Silberklaues Quartier wartete bereits eine kleine Gruppe Draconi auf sie. Eine ältere Frau in silberweißer Robe löste sich aus den Reihen der Heiler und Magier und trat auf Rubinkralle zu. Ihre dunklen Augen blickten ratlos zu dem großen Drachen hoch. „Wir haben alles versucht. Doch all unsere Heilzauber, Kräuter und Gebete zur großen Mutter bewirkten nichts. Rubinkralle, ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Noch nie habe ich gesehen, dass die Magie von Reiter und Drache ohne ersichtlichen Grund erlischt. Einzig in den alten Überlieferungen aus unseren Kriegszeiten finden sich kleine Randnotizen, dass dies jenen Drachen oder Kriegern widerfuhr, die von einer sehr starken Magiequelle getroffen worden waren, welche das Band zwischen ihnen zerrissen hatte. Doch meines Wissens waren Konjaru und Silberklaue weder im Krieg, noch waren sie einer derart starken Macht ausgesetzt.“

Rubinkralle nickte bedächtig. „Niemand von uns kann an diesem Punkt noch eingreifen, Hohepriesterin. Einzig das Beisammensein der beiden kann vielleicht noch etwas bewirken. Doch für uns bleibt nur die Hoffnung, dass das Schicksal sich noch einmal gnädig erweist.“ Er machte einige Schritte zur Seite um den Weg für Konjan freizugeben.

Marani, die Hohepriesterin Kalanjas, eilte ihm entgegen, fuhr mit der Hand prüfend über Konjarus Stirn und zuckte zurück. Die Haut war eiskalt. „Rasch, Konjan. Legt euren Sohn zu Silberklaue.“

Der stolze Krieger nickte und trat hinter der Priesterin in Silberklaues Höhle. Aufmerksam bewacht von Goldauge und Regenbogen, Konjans hellgrauem Drachen, über dessen Schuppen ein schimmernder Perlmuttglanz lag, dämmerte Silberklaue zusammengerollt vor sich hin. Matt hob er den Kopf und Freude leuchtete in seinen Augen auf, als er seinen Seelengefährten erblickte. „Danke, dass Ihr mir meinen Gefährten bringt, Konjan.“

Dieser nickte, bettete seinen Sohn vorsichtig gegen Silberklaues Flanke und strich liebevoll die Haare aus Konjarus von nasskaltem Schweiß bedeckter Stirn. „Mein Sohn, Konjaru…“, stieß er mit rauer, gefühlsgeladener Stimme hervor. Noch einmal fuhr er liebevoll über das Gesicht seines Erstgeborenen, bevor er sich erhob und zusammen mit seiner Gemahlin neben seinen Drachen trat. Sanft strich er über die weicheren Schuppen ihrer Schnauze, als Regenbogen ihn tröstend anstupste. Stumm wartete er, den Arm um Sora gelegt und die Augen fest auf seinen Sohn gerichtet.

Eine eisige Brise riss Panjaru aus seinem tranceartigen Dämmerzustand. Er wusste nicht, wie lange seine Eltern, die Drachen und er bereits an Silberklaues und Konjarus Seite harrten. Minuten zogen sich wie Stunden qualvoll dahin, ohne auch nur das geringste Anzeichen auf neue Hoffnung. Der junge Krieger blickte sich um. Auch die anderen schien der kalte Luftzug aus ihren Gedanken gerissen zu haben. Alarmiert wandte Panjaru seine Aufmerksamkeit wieder seinem Bruder zu, als ein weiterer Lufthauch durch den Raum wirbelte. Noch bevor er die aufgeregten Gedankenstimmen der Drachen hörte, fühlte er, dass eine weitere, überaus starke Präsenz im Raum war. Unsichtbar, trotz der kühlen Luft, die sie mit sich gebracht hatte. Er keuchte auf. „Goldauge!“

„Ich spüre es ebenfalls, Panjaru. Wie auch die anderen“, antwortete der Drache.

„Ist das nun…“, die Stimme des jungen Mannes brach, Tränen brannten in seinen Augen.

„… das Ende?“ , Goldauges sanfte Stimme hallte in seinem Kopf wider. „Vor hundertdrei Jahren habe ich das erste und letzte Mal einen anderen Drachen sterben sehen. Meinen Urgroßvater, und der war nach Rubinkralle einer unserer Ältesten. Ich weiß es nicht, mein Freund. Ich spüre es in jeder Faser meines Körpers, wie Silberklaue uns immer mehr entgleitet. Doch diese andere Kraft…“ Goldauge schüttelte ratlos den Kopf und starrte mit bangem Blick auf die Szene, die sich vor ihren Augen abspielte. Ein leichter Nebel hatte sich um Silberklaue und Konjaru gelegt, während diese wie in stummer Zwiesprache auf einmal die Augen öffneten und auf einen Punkt in der Luft vor sich blickten.

„Silberklaue!“ , eine tiefe, samtene Stimme rief nach ihm. Der Drache öffnete die halbgeschlossenen Lider, hob müde den Kopf. Irgendwas hatte sich verändert, doch der Drache war zu erschöpft, um seine magischen Fühler auszustrecken. Doch eines war gewiss. Sie waren nicht mehr in Rubinkralles Hort. Dunkelheit umhüllte sie. Nur eine schemenhafte, graugewandete Gestalt war bei ihnen und ein leiser Lufthauch trug einen schweren, süßlichen Duft mit sich.

„Wer bist Du und wohin hast Du uns gebracht?“

„Und ich dachte immer, Drachen würden erst schöne Reden schwingen, ehe sie direkt auf den Punkt kommen.“ Ein leises Lachen lag in ihrer Stimme.

Silberklaue schnaubte. „Ich mag es nicht, wenn sich jemand in der Dunkelheit versteckt. Woher soll ich wissen, ob…“ Er verstummte, als er die beruhigende Hand Konjarus auf seiner Flanke spürte. Sein Gefährte war nun ebenfalls erwacht und lauschte aufmerksam.

Ungeduld schwang in der nun wieder ernsten Stimme der Unbekannten mit.„… ob Du mir trauen kannst? Gar nicht. Ich habe es weder nötig mich zu verstecken, noch mich vor Dir zu rechtfertigen. Also höre mir aufmerksam zu, Silberklaue von den Drachen. Es ist kaum noch Magie in euch. Eure Trennung und der magische Schlag des Herzsplitters gegen Deinen Seelengefährten schwächten eure Verbindung, ja durchtrennte sie sogar und brachte euch hierher, in mein Reich. Jedoch gibt es einen Weg. Entscheidet euch.“ Die graugewandete Gestalt trat zur Seite und gab den Blick auf ein helles, silberweißes Licht frei. Die Augen der beiden weiteten sich in ungläubigem Erkennen, dann löste sich die Dunkelheit auf.

Starr standen Panjaru und die anderen da. Hilflos hatten sie mit angesehen, wie der Nebel sich immer mehr verdichtet und ihnen den Blick auf ihre Liebsten verwehrt hatte. Doch auf das, was sich nun hinter dem sich lichtenden Nebel abspielte, darauf war keiner von ihnen gefasst gewesen.

Konjaru, dessen Blick noch immer auf einen unsichtbaren Punkt vor sich geheftet war, hob mit letzter Kraft seinen Arm, legte seine Hand auf Silberklaues Hals und nickte, als ob er zu irgendetwas seine Zustimmung gegeben hätte. Sein Drache stupste ihn noch ein letztes Mal an, dann lösten sie sich auf. Saphirblaue, silberne und weiße Lichtpünktchen tanzten umher, wogen ineinander und verschmolzen zu einer einzigen, bläulich schimmernden Wolke, die allmählich wieder Gestalt annahm.

„Es ist vollbracht!“

Panjaru lief es eiskalt den Rücken hinunter, als die tiefe, samtene Stimme aus dem Nichts durch den Raum hallte.


Nur langsam kehrten seine Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Noch immer konnte Panjaru das Geschehene kaum fassen. Noch nie in der Geschichte des Drachenreiches waren Reiter und Drache zu einem einzigen Wesen verschmolzen. Sein Bruder mochte von der Schwelle des Todes zurückgekehrt sein, doch er war nicht mehr derselbe.

Bis auf einen kleinen, eisblau geschuppten Fleck auf der Brust, welcher entfernt an einen Drachenpfotenabdruck erinnerte, hatte sich Konjaru äußerlich nicht verändert. Es war seine Aura, die Drachen und Menschen gleichermaßen verstörte. Sie veränderte sich kontinuierlich, war mal Mensch, mal Drache und auch wieder keines von beiden. Sie entzog sich jeglichem mentalen Zugriff. Die Drachen fühlten, dass Silberklaues Seele noch immer unter ihnen weilte, doch war es keinem von ihnen gelungen, diese zu erreichen. Misstrauisch beäugten sie Konjaru, beobachteten jeden seiner Schritte, in der Hoffnung herauszufinden, welche Auswirkungen die Symbiose hatte. Ob Konjaru nun über die magischen Fähigkeiten seines Drachen verfügte und falls ja, zu welchem Zweck er sie einsetzen würde. Keiner von ihnen wusste, durch welche Zauberei die beiden aus Darshans Reich zurückgekehrt waren. Sie spürten nichts Böses in ihm, doch brachte man jene Stimmen nicht zum Schweigen, die von widernatürlichem Unheil und dem Verkauf der Seelen an Zadok sprachen.

Panjaru atmete tief durch und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Rubinkralle zu, der mit seinen Eltern das weitere Vorgehen besprach. Solange keiner von ihnen wusste, welche Folgen diese ungewöhnliche Verschmelzung mit sich bringen würde, sollte Konjaru hier, in der Obhut des großen Alten bleiben.

Draußen auf dem Balkon seufzte Konjaru und verharrte in seinem Schritt, bevor er sich von der Türe abwandte und sich wieder gegen die Brüstung lehnte. Sie sprachen wieder über ihn. Wie auch schon die Abende zuvor. Er konnte es ihnen nicht verdenken aber wie konnte er sich wieder zu seiner Familie begeben und sie in die Arme schließen, solange er selbst nicht ganz verstand, was eigentlich mit ihm und Silberklaue geschehen war. Immer wieder tauchten Erinnerungsfetzen an die Reise nach Draconi, seine Begegnung mit dem Tod und seine Wiederkehr auf. Doch sobald er versuchte, sich darauf zu konzentrieren, verschwanden sie. Sie lagen für ihn unerreichbar unter einem dichten Schleier des Vergessens begraben. Müde fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht und hielt seinen schmerzenden Kopf. Seit diesem Ereignis peinigten ihn hämmernde Kopfschmerzen und seltsame Laute und Geräusche in seinem Kopf raubten ihm den Schlaf. Er vermisste seinen Gefährten. Obwohl er die Gegenwart seines Drachens in sich fühlte, so war es dennoch, als ob eine unsichtbare Wand sie voneinander trennte.

„Quälen Dich so trübe Gedanken, Konjaru von den Draconi?“ Ein schlanker, in grüne Jägerkluft gehüllter Mann saß im Schneidersitz auf der Brüstung und blickte den Drachenkrieger offen an.

„Wie?“ Konjaru wirbelte herum, hob seine Hände und nahm die typische Verteidigungshaltung des draconischen Militärs ein. Der jahrelange Drill war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Sein Körper reagierte, obwohl er mit seinen Gedanken meilenweit entfernt gewesen war. Konjarus Blick flog in Richtung Balkontür. Wie hatte der Fremde es geschafft, unbemerkt zu ihm zu gelangen. Er musterte ihn, aber es war ihm unmöglich zu sagen, welcher Rasse dieser angehörte. Doch er spürte keine Furcht. Lediglich eine milde Neugierde. Etwas ging von dem Mann aus, das ihm ein Gefühl von Vertrauen und Frieden vermittelte.

Schmunzelnd strich sich der Fremde das braune Haar aus der Stirn. „Zermartere Dir nicht den Kopf darüber, wie ich hierher gekommen bin, Konjaru. Deine Symbiose mit Silberklaue war weithin spürbar. Genauso wie das Chaos, welches augenblicklich in Deinem Inneren tobt. Ein Wunder, dass Du noch nicht das Gefühl hast, als ob Dein Kopf platzen würde.“ Sein Gesicht wurde ernst und er erhob sich. Er war groß. Seine Augen befanden sich mit Konjarus auf gleicher Höhe, als er mit weicher Stimme sagte: „Du bist verwirrt. Aber vertraue mir, all dies geschieht aus gutem Grund. Deine Rolle in diesem Spiel ist noch nicht zu Ende.“

Konjaru blinzelte verwirrt. Doch sein Gegenüber fuhr ungerührt fort. „Es wird Zeit, dass Du aus Deiner Melancholie wieder erwachst, Drachenkrieger. Lerne, wie Du aus Deinem neu gewonnenen Leben mit all seinen Kräften und Schattenseiten gewinnen kannst, um Deinen Freunden im letzten großen Kampf beizustehen.“

Konjarus Augen weiteten sich. „Vadin!“ Seine Knie wurden weich.

Vadins Mundwinkel zuckte leicht. „Nie erkennt mich jemand gleich auf Anhieb außer meinen kleinen, grünen Freunden. Irgendwie scheint ihr immer erst an mich zu denken, wenn ich von Wissen und Lernen spreche.“, in Vadins Augen lag ein liebevoller Ausdruck, als er von den Grünlingen sprach, deren Schutzpatron er war.

Verwirrt musterte Konjaru ihn. Er konnte es nicht fassen und fragte sich, welche Irrungen und Wirrungen Illari noch für ihn bereithielt. Erst kehrte er durch eine Laune des Schicksals in die wirkliche Welt zurück und nun erhielt er eine Lektion in Lebensweisheit von einem Gott.

„Versuch gar nicht erst, die Beweggründe meiner Schwester zu durchschauen, Drachenkrieger. Nicht einmal wir, ihre Familie, wissen, was sie für uns bereithält. Deine Rolle in ihrem Spiel ist noch nicht zu Ende. Sie muss wichtig sein, denn ansonsten hätte sie sich niemals an Darshan gewandt.“

Darshan, die Todesgöttin. Konjaru erinnerte sich an die tiefe, samtene Stimme, die Dunkelheit und den Frieden, den er an jenem Ort zwischen den Welten verspürt hatte. Doch woher…? „Lest Ihr meine Gedanken?“ Der Drachenkrieger blickte Vadin unbehaglich an.

„Nein, ich habe keinerlei Interesse daran, Deine Gedanken zu lesen. Jedoch bist Du derart aufgewühlt, dass Du mir Deine Gefühle und Fragen regelrecht entgegen schleuderst. Durch Silberklaue sind Deine telepathischen Kräfte um vieles verstärkt worden, bis hin in die magische Welt. Deswegen bin ich hier. Du hast uns seit Deiner Rückkehr praktisch ununterbrochen mit wirren Gedankenfetzen bombardiert. Thasin hat deswegen bereits Kopfschmerzen und sich im Schlafzimmer verkrochen.“ Der Gott der Weisheit blickte missmutig bei dem Gedanken und wandte sich erneut an Konjaru. „Ich werde versuchen, Dir dabei zu helfen, Deine Fähigkeiten zu entdecken und in geordnete Bahnen zu lenken.“

„Welchen Sinn hat dies alles ohne Silberklaue? Ich spüre seine Gegenwart, doch ich finde keinen Weg zu ihm. Ihn so nahe zu spüren und dennoch nicht erreichen zu können, zerreißt mich!“ Tiefer Schmerz schwang in der zitternden Stimme des Drachenkriegers mit.

Vadin trat einen Schritt näher und legte ihm beide Hände auf die Schultern, drückte ihn tröstend. „Verzweifle nicht. Ich weiß, das Band zwischen Dir und Deinem Drachen ist zerrissen, doch ich kann Dir den Weg zu ihm zeigen. Es wird jedoch beschwerlich und Du musst mir uneingeschränkt vertrauen. Dies funktioniert nur, wenn Du meine Gegenwart in Deinem Inneren vollkommen akzeptierst und zulässt. Nur dann kann ich Dir den Weg weisen, wie Du zurück zu Deinem Drachen finden kannst.“

Konjaru blickte ihn prüfend an. Ihm vertrauen? Wie konnte Vadin ihm so eine Frage stellen. Wem, wenn nicht den Göttern, konnten die Völker dieser Erde denn trauen. Dennoch, jemandem völligen Zugang zu seinen tiefsten Sehnsüchten, Ängsten und intimsten Gedanken zu gewähren, der nicht sein Seelenpartner war? Unschlüssig zögerte er einige Minuten, bis er schließlich die Schultern straffte und zustimmend nickte. „Gut, fangen wir an!“

Vadin nahm Konjarus Kopf zwischen seine Hände. „Schließ Deine Augen.“

Konjaru gehorchte. Er spürte, wie eine fremde Präsenz sich langsam ihren Weg in seine Gedanken suchte. „So, nun können wir beginnen. Reich mir Deine Hand.“, hörte er Vadin in seinen Gedanken. „Stell Dir einfach vor…“ Der Gott verstummte und blickte Konjaru verblüfft an. Er hatte nicht gerechnet, dass der Drachenkrieger ohne weitere Anleitung auf Anhieb verstehen würde, was er nun zu tun hatte, um eine stabile mentale Verbindung herzustellen.

Durch die jahrelangen Meditationsübungen und die telepathische Verbindung zu Silberklaue fiel es Konjaru nicht schwer, sich Vadin und sich selbst in seinen Gedanken vorzustellen, zu materialisieren und auf diese Art mit ihm in Kontakt zu treten. Er trat zu Vadins mentalem Ich und griff nach dessen Hand. „Und nun?“

„Ich habe ganz vergessen, dass ihr eine strenge mentale Schulung durchlauft auf eurem Weg zum Krieger. In Deinem Falle ist dies nun von großem Nutzen. Versuche, Dich ganz auf Dein Inneres zu konzentrieren. Dich fallen zu lassen.“

Langsam und gleichmäßig atmete Konjaru ein und aus und schob alle Gedanken beiseite, die ihn von ihrem Vorhaben ablenken könnten. Vadin drückte ihm aufmunternd die Hand. „Los“, und zog ihn mit sich. Konjaru sah, wie Vadin sich den Weg durch Erinnerungsfetzen bahnte, diese beiseiteschob, bis nichts mehr vor ihnen lag außer einem kleinen, blauschimmernden Ball, der durch eine spinnenwebenartige, grausilberne Barriere von einem silberblauen Licht getrennt wurde.

„Ist das…?“, flüsterte Konjaru. „Ist dies Silberklaue?“ Seine Stimme bebte und er schluckte leer.

Vadin nickte bedächtig. „Allmählich verstehe ich, was Darshan mit euch gemacht hat. Ihr seid beide aus der Zwischenwelt zurückgekehrt, doch reichte die Kraft nicht für euch beide. Indem Silberklaue seinen Körper aufgab, konnte seine magische Seele auf Dich übergehen. Doch eure Verschmelzung ist unvollständig. Irgendetwas oder jemand muss eure Vereinigung unterbrochen haben. Ihr teilt euch denselben Körper, doch euer Bewusstsein ist völlig voneinander getrennt.“

„Und was können wir nun tun?“

„Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder Du und Silberklaue verschmelzt zu einem einzelnen, gemeinsamen Bewusstsein oder ihr bleibt getrennt und findet einen Weg, um miteinander zu kommunizieren. In jedem Fall jedoch musst Du die Barriere überwinden. Gelingt es Dir jedoch nicht…“, Vadin blickte ihn ernst an. „Du bist ein Draconi lucis, einer der wenigen Krieger, die sich bereits kurz nach ihrer Geburt mit ihrem Drachen vereinen. Auch vor dem Übergang von Silberklaue in Deinen Körper war Deine Magie stärker als die der anderen Krieger. Doch nun ruhen auch die Kräfte eines Drachen in Dir. Silberklaue mag mit seinen 300 Jahren noch jung gewesen sein, aber er verfügte bereits über große Kräfte. Es ist genügend von seiner Magie auf Dich übergegangen, um aus Dir eine Gefahr für Deine Umgebung zu machen. Du musst einen Weg zu Silberklaue finden und lernen, Deine neuen Kräfte zu beherrschen. Gelingt Dir dies nicht, dann riskierst Du, dass Du allmählich sämtliche Kontrolle über Deine Magie verlierst, was für die Menschen in Deiner Umgebung wohl den sicheren Tod bedeuten würde.“

Konjaru verzog das Gesicht. Alleine die Vorstellung, welche Vadins Worte in ihm beschworen, war kaum fassbar. Zögernd streckte er seine Hand aus, um die Barriere zu berühren. Ein unangenehmes, schmerzhaftes Kribbeln durchfuhr seine Hand. Er zitterte, als ein Gefühl eisiger Kälte durch seinen Körper schoss. Schmerzgepeinigt presste er seine Lippen zusammen. „Ich komme nicht durch sie hindurch“, stöhnte Konjaru und wich zurück. Eine unerklärliche Furcht erfasste ihn.

„Du musst! Deine Freunde, nein die ganze Welt braucht Dich im Kampf gegen Zadok. Stell Dich diesem Hindernis und überwinde es!“ Vadins harte Worte ließen Konjaru zusammenzucken.

„Wie denn? Alleine wenn ich versuche, mich ihr zu nähern, erfasst mich eine grausige Kälte… Angst…“, die Stimme des sonst stets beherrschten Kriegers brach. In seinem Innern rangen der Wunsch nach einer Wiedervereinigung mit Silberklaue und seine Angst vor der Barriere miteinander.

„Überwinde Deine Furcht. In Dir wohnt genügend Kraft dazu. Denke an Silberklaue, Manju, Deine Freunde und Familie. Schöpfe Mut aus ihrer Liebe und Freundschaft zu Dir.“.

Konjaru spürte, wie Vadin ihm ein Gefühl der Zuversicht und Hoffnung sandte. Fühlte, wie Angst und Zweifel verdrängt wurden, während vor seinem inneren Auge Bilder und Erinnerungen an seine Liebsten vorbeizogen. Ein Bild hielt Konjaru fest. Manju, wie er mit zerwühlten Haaren, schimmernden Augen und einladend geöffneten Lippen zu ihm hochblickte und sich an seinen Körper schmiegte. Konjaru spürte einen Kloß im Hals. Wie sehr er seinen Liebsten doch vermisste. Wenn, nein, sobald er wieder kräftig genug war, würde er sich auf den Weg machen, um nicht einen Tag länger als nötig von ihm getrennt zu sein. Entschlossen trat er erneut auf die Barriere zu und trat durch sie hindurch.

Sein ganzer Körper wurde von einem eisigen Kribbeln erfasst, dichter Nebel schien sich um ihn zu legen und ihm langsam die Luft abzuschnüren. Bilder, die er verdrängt hatte, die er nie wieder sehen wollte, stürmten auf ihn ein. Der Tag ihres Todes, der Augenblick, an dem er fühlte, wie seine Seele zusammen mit Silberklaues diese Welt verließ, sein Bedauern darüber, dass er nie wieder die warmen Lippen seines Geliebten auf seiner Haut spüren würde. Unerbittlich wurde er gezwungen, sich jedem einzelnen dieser Augenblicke zu stellen. Die Kälte, die unheimliche Stille und Ruhe der Zwischenwelt, in der Darshan sie erwartet hatte. Beim Gedanken an die einschüchternde und dennoch Frieden und Ruhe spendende Aura der Todesgöttin erschauerte Konjaru. In ihrer Gegenwart hatte alles an Bedeutung verloren. Nichts war mehr wichtig, weder Liebe noch Hass. Nur Stille und Ruhe. Gut konnte er sich noch an die schiefergrauen Augen erinnern, die ihm mit einem Blick bis in die tiefsten Abgründe seiner Seele geblickt hatten. Doch da war noch jemand gewesen außer Darshan. Erinnerungen an ein weißes, hell leuchtendes Licht kehrten allmählich zurück. An ein Licht, das mit seiner Kraft und Energie wieder Leben in seinen sterbenden Körper brachte. Ruckartig riss der Drachenkrieger die Augen auf. Nun wusste er, wem er die Rückkehr von den Toten verdankte und zu welchem Preis.

Konjaru stolperte. Vertieft in die aufwühlenden Erkenntnisse um seine Rückkehr hatte er gar nicht bemerkt, dass nun nichts mehr länger zwischen ihm und seinem Drachen stand. Lächelnd trat er vor, schloss die Arme um das silberblau schimmernde Licht und ließ sein projiziertes Ich seinen Körper wieder verlassen.

„Hallo, mein alter Freund. Es freut mich, Dich wieder in meinen Gedanken zu hören“ Silberklaues trockene Stimme hallte durch Konjarus Kopf, als er die Augen öffnete und sich nun auf dem Balkon wiederfand. Mit wackeligen Beinen lehnte er sich erschöpft an die Brüstung. Eine einzelne Träne rann über seine Wange, als er dem Gott der Weisheit ein letztes Mal dankbar zulächelte, bevor dieser verschwand.

XLVII

Felix schlief. Er hatte seine Schlafrolle ein wenig abseits von den anderen ausgebreitet, um Ruhe zu finden, doch es war ihm nicht vergönnt. Unruhig wälzte er sich hin und her.

Der blaue Mond flackerte, sein Licht verblasste langsam, bis er schließlich in seinem Flug innehielt und in die Finsternis stürzte. Felix fing ihn in seinen Händen auf und barg ihn an seiner Brust. Eine einzelne Träne rann über seine Wangen und fiel auf das kostbare Kleinod. Das durfte nicht geschehen. Was immer auch erforderlich war, er würde es unternehmen, um das Licht wieder zu entfachen. Doch was konnte er tun?

Ein leises Stöhnen entrang sich Felix’ Lippen, sein Kopf flog hin und her. Sein Herz raste.

„Es liegt alleine in Deinen Händen. Was Du verlangst, ist weit mehr wert, als Du zu geben in der Lage bist. Doch ich werde mich in diesem besonderen Fall mit weniger zufriedengeben. Nun sag, gilt unser Handel? Entscheide Dich!“

Felix zerrte an seinem schweiß getränkten Hemd, als ob er keine Luft bekommen würde. Sein Atem flog.

„Ja, unser Handel gilt!“ Er fühlte, wie er mit dem Stern verschmolz, sich in seinem Licht verlor. Kraftvoll pulsierte die Energie durch seinen Körper, schoss durch seine Arme in die kleine Kugel. Doch Felix spürte, wie er mit jedem Augenblick schwächer wurde. Kälte kroch durch seinen Körper und ihm wurde schwarz vor Augen.

„Felix!“ Besorgt beugte sich Tapani über den schweißnassen, sich hin und her wälzenden Körper seines Freundes, packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn. „Felix, wach auf!“

Endlich öffnete Felix die Augen, doch in seinem Blick lag kein Erkennen. Sein Atem flog. Er blinzelte, als er fühlte, wie Tapanis warme Hände beruhigend über seine Arme strichen. Allmählich beruhigte sich sein Atem wieder. Mit einem leisen Wimmern barg er sein Gesicht an Tapanis starker Brust.

„Sscht!“, Tapani strich ihm sanft über die schwarzen Haare und wiegte ihn beruhigend. „Es war doch nur ein böser Traum, mein kleiner Vertan. Akis Geschöpfe können furchterregend sein, aber sie sind doch nichts weiter als Illusion.“

Felix schwieg und presste sein Gesicht fester gegen den Dieb. Lauschte seinem kräftigen, ruhigen Herzschlag. Er durfte Tapani nicht verraten, dass es kein gewöhnlicher Alptraum gewesen war. Doch wie gerne hätte er die Bürde, die schwer auf seinen Schultern lastete mit jemandem geteilt. Er lauschte weiter den Worten seines Geliebten, doch er verstand ihren Sinn nicht. Tapanis Brusthaare kitzelten ihn in der Nase und er genoss das sanfte Vibrieren des Brustkorbes, während sein Liebster weiter belanglose Kleinigkeiten erzählte, um ihn zu beruhigen. Allmählich wich das Gefühl von Kälte und Tod aus Felix’ Gedanken und machte einem ganz anderen Gefühl Platz.

Tapanis Stimme stockte, als Felix Hand sich langsam aber zielstrebig unter sein geöffnetes Hemd schob und liebkosend über seine Haut strich, ihn neckte, reizte. Tapanis Lippen entrang sich ein leises Stöhnen, während Felix jeden Zentimeter seiner Haut mit Händen und Lippen liebkoste. Heiß, hungrig. Spielerisch ließ Felix seine Zähne über Tapanis Brustwarzen gleiten, strich ihm mit der Zungenspitze über den Hals und verharrte auf seinem heftig klopfenden Puls. Aufstöhnend grub Tapani die Hand in Felix Haar, drehte sein Gesicht zu sich und starrte ihn mit glühenden Augen an. Wilde, ungebändigte Lust brannte in ihnen, fand Widerhall in denen seines Freundes.

Heftig prallten ihre Körper aufeinander, fielen sie übereinander her. Tapanis Lippen pressten sich auf Felix Mund. Sie versanken in einem leidenschaftlichen, stürmischen Kuss, während sie sich hastig aus ihren Kleidern schälten. Felix schmiegte sich an Tapanis harten, sehnigen Körper, genoss die Wärme, rieb sich mit langsamen, aufreizenden Bewegungen an ihm. Mit einem neckischen Blick beugte er sich über ihn und ließ seine Zunge um Tapanis Nabel streichen. Kühner werdend glitt Felix tiefer und umschloss ihn mit seinen Lippen. Tapani stöhnte kehlig auf, seine Hüften bewegten sich, doch Felix hielt ihn unerbittlich fest, während seine Zunge wahre Kunststücke vollbrachte. „Es reicht!“ Unsanft riss Tapani Felix von sich weg und stürzte sich auf ihn. Erst als Felix‘ Haut unter den Liebkosungen glühte und sein Körper zitterte, ließ Tapani kurz von ihm ab, bevor er nun endgültig in ihn eindrang. Felix biss sich auf die Lippen, als sich Tapanis Finger in seine Hüften gruben, ihn noch näher an sich zogen. Heiß spürte er den Atem seines Geliebten in seinem Nacken, während Tapani ihre Lust getrieben von ungestilltem Hunger nach mehr unerbittlich vorwärts peitschte und sie beide zu einem überwältigenden Höhepunkt führte.

Keuchend brach Tapani über Felix zusammen, rollte sich erschöpft von seinem Geliebten und bettete Felix’ Kopf an seine Schulter. Er lachte zärtlich, während er sie notdürftig säuberte und Felix’ Decke über ihre nackten Körper zog. „Es ist schön, Dich wieder in meinen Armen zu halten“, wisperte er und zog seinen Liebsten noch enger an sich. Felix zeichnete mit einem Finger kleine und große Kreise auf Tapanis Bauch, während er nach den richtigen Worten suchte. „Ich wollte Dich nicht wegstoßen, Tapani. Doch es ist so viel geschehen in den letzten Wochen. Der Angriff auf die Barriere, welcher die Erdbeben ausgelöst hatte. Die ersten kleinen Angriffe entlang der Grenze, Konjarus Zusammenbruch und schließlich die Begegnung mit Dayari“, er räusperte sich. „Verzeih mir, aber ich brauchte einfach…“

„Scht!“, Tapani legte einen Finger auf Felix’ Lippen. „Ich verstehe, dass es für Dich beinahe zu viel ist. Du bist hier in einer fremden Welt und steckst mitten in einem Krieg, von dem Du bis vor einigen Monaten noch gar nichts wusstest. Dafür brauchst Du Dich nicht zu entschuldigen. Doch versprich mir eines, mein kleiner Vertan. Stoße mich nicht mehr von Dir, als ob Du meiner überdrüssig geworden wärst.“ Liebkosend fuhr Tapani mit dem Finger über den kleinen, von einer bronzenen Mondsichel eingefassten Mondstein, den Felix seit jenem Abend in Akshareen nie mehr abgelegt hatte. „Weißt Du noch, was ich Dir versprochen habe, als ich Dir diesen Anhänger geschenkt habe?“

Felix nickte. „Du würdest mich nie mehr ohne ein Wort oder eine Erklärung verlassen, sondern an meiner Seite bleiben“.

„Ich stehe zu meinem Wort, mein Vertan. Auch wenn das Wort eines Diebes für manche wohl nicht allzu viel zählt, aber ein Ba’zru pflegt seinen Schwur zu halten.“ Tapani drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Stirn. „Also, versuch gar nicht erst, mich wieder loswerden zu wollen.“

Mit einem leisen Lachen kuschelte sich Felix tiefer in Tapanis Armbeuge, küsste ihn innig und schlief innert weniger Augenblicke tief und fest. Er bemerkte nicht, dass sein Geliebter noch lange wach lag und sorgenvoll in den dunklen Nachthimmel blickte.


Missmutig strich Bayuna über ihre zerknitterten Kleider, bevor sie sich auf den Weg zurück in ihr Schlafgemach machte. Seit einigen Tagen lebte sie nicht mehr länger in den schäbigen Soldatenquartieren sondern hinter den dicken Mauern des Ostflügels, in dem neben dem Thronsaal auch Zadoks private Gemächer lagen. Doch auch diese Auszeichnung änderte nichts daran, dass Zadok sie nach jeder ihrer flüchtigen Begegnungen wegschickte, sobald er seine Gier und Lust befriedigt hatte. Ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen, als sie ihren breiten Schwertgurt anlegte. Gepeinigt dachte sie an die vielen blauen Flecken und Schürfwunden auf ihren Schenkeln, Hüften und Brüsten, bevor sie den Gurt wieder lockerte. Wahrlich, Zadoks Gespielin zu sein erforderte einen hohen Tribut, doch Bayuna war überzeugt, dass er bald erkennen würde, dass sie die richtige Königin für sein dunkles Reich wäre.

Ein leichter, kühler Luftzug strich durch den leeren, nur spärlich von Fackeln erhellten Flur. Bayuna fuhr ein kalter Schauer über den Rücken. Sie drückte sich in eine kleine, dunkle Nische und legte die Hand um den Griff ihres Dolches. Eilige Schritte hallten durch den Flur und sie erkannte, wer zu nachtschlafender Stunde durch die Gänge des Schlosses schlich. Mit hasserfülltem Blick verfolgte sie die schlanke Gestalt von Zadoks bevorzugtem Spion, der mit starrem Blick an ihr vorbeieilte, ohne die Kriegerin in ihrem Versteck zu bemerken. Vor einer massiven, mit kunstvollen Eisenbeschlägen verzierten Türe blieb er stehen. „Tritt ein!“, erklang der Befehl, noch bevor der junge Mann die Hand zum Anklopfen erheben konnte. Ein tiefer Atemzug, er straffte die Schultern und öffnete die Tür zu Zadoks Gemächern.

Sachte und leise schlich sich Bayuna näher. Wut loderte in ihrem Herzen. Sie wurde für den Rest der Nacht in ihre Gemächer zurückgeschickt, nur damit ihr Herr diesen Emporkömmling von Spion empfangen konnte. Doch sie würde herausfinden, was die Gründe dafür waren, dass sich dieser Mann beinahe alles erlauben konnte, ohne das Zadok ihn als Menschenopfer an die Priesterschaft übergab. Selbst Craynar, ihr Bruder, der lange Jahre sein persönlicher Diener und bevorzugtester Spion gewesen war, hatte er ohne einen Hauch von Bedauern hingerichtet, als er ihm nicht mehr von Nutzen war. Geflissentlich vergaß sie, dass sie selbst hierbei etwas nachgeholfen hatte, da Craynar ihr auf ihrem Weg an Zadoks Seite hinderlich gewesen war. Lautlos formten ihre Lippen einen alten Tarnzauber der Dunkelelfen, der ihre Gegenwart vor Zadok verbergen sollte. Bayuna wusste nicht, ob der Zauber ausreichte, doch sie wagte es nicht, ganz ohne magischen Schutz vor den Gemächern ihres Herrn zu lauschen. Sie schlich sich näher und linste durch einen kleinen, schmalen Spalt zwischen den polierten Holzbrettern der massiven Türe hindurch. Doch was sich ihr nun offenbarte, damit hätte sie niemals gerechnet.

Aufgebracht umrundete Zadok seinen Sonderbeauftragten, der mit gesenktem Kopf vor ihm kniete und sich mit einem Arm auf sein aufgestelltes Bein aufstützte.

„Du weißt genau, was alles davon abhängt, dass Du Deinen Auftrag ausführst! Seit dem letzten Kontakt aus Akshareen habe ich von Dir nichts mehr gehört – nichts! Seit beinahe einem Mond nun schon keine Nachrichten, keine Fortschritte. Stattdessen wird die Magie des Herzens immer stärker und nun hat sich auch noch eine mir unbekannte Kraft eingemischt! Bisher war ich mit Dir mehr als nur geduldig, doch allmählich zweifle ich daran, ob Du der richtige Mann für diese Aufgabe bist! Sag schon, wie willst Du Dein Versagen dieses Mal rechtfertigen?!“ Bebend vor Zorn blieb er vor dem jungen Mann stehen. Dieser hob den Kopf und blickte Zadok aus braunen Augen fest an. Doch seine leicht zitternde Stimme konnte seine Angst nicht verbergen.

„Ich wollte Euch nicht hintergehen, Zadok. Nichts läge mir ferner. Doch die Magie um mich herum war zu stark, um Euch eine Nachricht zukommen zu lassen, ohne dass ich mich verraten hätte. Selbst jetzt wage ich es kaum, da ich jederzeit entdeckt werden kann.“ Er verstummte und senkte seinen Blick wieder demütig zu Boden. Er sah nicht, wie sich die Augen des Magiers zu schmalen Schlitzen verengten und sich seine Lippen zu einem grausamen, zynischen Lächeln verzogen.

Er zuckte zusammen, als Zadok das Schweigen mit eisiger Stimme durchbrach und seinen Sonderbeauftragten mit höhnischem Spott bedachte. „Wer außer dem Herzen sollte so mächtig sein und Deinen Verbindungszauber zu mir blockieren können? Und selbst wenn ich spüre, wie die Kraft des Herzens stetig zunimmt, so ist es doch noch zu schwach, um sich meiner geballten Macht zu widersetzen!“ Siegessicher wandte er sich ab und trat an seinen massiven, aus dunklem Holz gefertigten Arbeitstisch. Auf ihm stapelten sich Schriftrollen, lagen gleich neben Schalen, kleinen Glasfläschchen und anderen Vorratsbehältern. Inmitten des Tisches lag direkt neben einer großen, kunstvoll verzierten Schale aus Obsidian eine längliche Kiste aus Ebenholz. Zadok öffnete sie und strich mit liebkosenden Fingern über die juwelengeschmückte Scheide seines Zeremoniendolches, der auf einem Kissen aus tiefrotem Samt ruhte. Ja, es war an der Zeit, dass seine Klinge wieder im Blut seiner Opfer baden durfte, um ihn und seine Verbündeten mit der gewonnenen Blutmagie zu stärken. Erregung erfasste ihn. Beinahe hätte er vergessen, dass er nicht alleine in seinen Gemächern war. Doch da riss ihn die Stimme des jungen Mannes aus seinen Gedanken.

Der Spion konnte nicht sehen, was Zadok in den Händen hielt. Doch lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Erschauernd atmete er tief durch und sprach weiter. Er wusste, dass nicht nur sein Leben und seine Seele verwirkt waren, wenn er Zadok nicht überzeugen konnte.

„Die Drachenberge und die großen Wälder sind voll von Magie, mein Herr. Die Drachen sind alt und mächtig und auch die Kraft der Hexe ist größer, als ich es mir je hätte träumen lassen. Eine Aura großer Macht umgibt ihre kleine Gestalt…“

„Hexe?!“ keuchte Zadok auf. Mit bleichem Gesicht machte er einen Schritt auf den Mann zu und riss ihn an seinem Arm empor auf die Füße. „Erzähl mir von ihr!“ Seine Augen flackerten nervös und der schwarze Opal seines Stirnreifes glühte auf, während er voller Ungeduld auf eine Antwort wartete.

„Sie ist ein Bastard. Das Blut der meisten Rassen Kalanjas fließt durch ihre Adern. Doch irgendwie hatte sie es sogar geschafft, sich die in dem Jungen ruhende Macht zunutze zu machen. Sie ist unglaublich stark, Zadok.“ Der junge Mann atmete auf. Es schien tatsächlich so, als ob der dunkle Magier ihm nun endlich Glauben schenkte.

„So sind die Legenden über das Mädchen also wahr“, murmelte der dunkle Herrscher leise vor sich hin und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. In einem etwas sanfteren, schon beinahe versöhnlichen Tonfall wandte er sich erneut an seinen Spitzel. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie den großen Krieg überlebt hat. Nun verstehe ich, warum Du Deine Pflichten vernachlässigt hast.“ Zadok nickte bedächtig und trat erneut an seinen Arbeitstisch. Gedankenverloren glitten seine Hände über die Pergamentrollen, Gefäße und Werkzeuge. „Es war richtig von Dir, die Hexe nicht herauszufordern. Aber…“ Zadok drehte sich um, den Zeremoniendolch in der rechten Hand und fuchtelte damit durch die Luft. Zorn blitzte aus seinen Augen. „…es entschuldigt Dein Versagen nicht! Mehr denn je brauche ich den Jungen und seine Macht in meinen Händen, wenn die Hexe sich aus ihrem Exil herauswagt. Möge Illari verflucht sein! Dies ist nur wieder eines ihrer Ränkespiele, doch dieses Mal werde ich als Sieger daraus hervorgehen!“

Die Stimme des Magiers überschlug sich. Helle Wut und Wahnsinn spiegelte sich in Zadoks Augen, je mehr er sich ereiferte. Doch da war noch etwas. Ein unheilvolles, rotes Glühen, welches in der Tiefe lauerte. Instinktiv wich der junge Mann vor ihm zurück. Kaltes Grauen packte ihn.

Doch just in dem Augenblick, als die Augen des Zauberers bereits wie zwei hell funkelnde Rubine brannten, schloss dieser die Augen, atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, war das Glühen verschwunden. Für dieses Mal hatte er seine Dämonen erfolgreich wieder in das Schattenreich zurückgesandt.

Der Spion schluckte. „Aber warum muss es ausgerechnet der Junge sein? Gibt es keinen anderen Weg, um Eure Rache zu vollenden?“ Flehend blickte er zu seinem Herrn.

Spöttisch verzogen sich Zadoks Lippen. „Bettelst Du etwa um das Leben Deines kleinen Gespielens? Junge, hübsche Burschen, die sich mit Dir auf den Laken wälzen, findest Du in fast jeder Taverne. Hast Du vergessen, dass es hier nicht nur um das kümmerliche Leben des Jungen und das Deine geht?“

Zadok winkte den jungen Mann zu sich an seinen Arbeitstisch und strich mit der Hand über eine große, mit kunstvollen Mustern gravierte Schale aus schwarzem Obsidian, die zur Hälfte mit klarem Wasser gefüllt war. In ihrem Innern breitete sich Nebel aus, bevor sich im Wasser die Gestalt einer blonden Frau spiegelte, die sich in einem düsteren, von dicken Nebelschleiern verdeckten Ort befand. Verzweifelt kämpfte sie sich zwischen unzähligen grauen, schemenhaften Gestalten hindurch, wollte diesen Ort hinter sich lassen; doch es gab für sie kein Entrinnen. Unendliche Qual lag in ihrem Blick, als sie direkt in die Augen des jungen Spions blickte. Eine einzelne Träne rann über ihre Wange. „Erlöse mich!“ wisperte sie, bevor der Nebel sie erneut verschlang.

„Nein!“ Der junge Mann ließ seinen sehnsüchtig nach ihr ausgestreckten Arm langsam sinken. Tränen rannen ungehindert über seine Wangen. Gramerfüllt wandte er sich dem Magier zu. „Nein, ich habe es nicht vergessen“, sagte er mit tonloser Stimme. „Doch bitte, ich flehe Euch an… lasst ihre Seele…“

„Nein! Sie wird in alle Ewigkeit meine Gefangene bleiben, wenn Du mir nicht gehorchst. Du kennst den Preis…“

Kraftlos ließ sich der junge Mann auf einen Stuhl sinken und strich sich verzweifelt das Haar aus der Stirn. „Ja… ja…, ich kenne ihn.“

„Gut! Nun kehre zurück und erfülle Deinen Auftrag!“ Für heute hatte er seinen Spion entlassen. Zadok trat ans Fenster und blickte mit wehmütigem Blick in die dunkle Nacht hinaus. Ein leises, warmes Lachen schlich sich in seine Erinnerungen.


Mit funkelnden Augen schüttelte sie ihre langen Locken und blinzelte ihm zwischen die Haarsträhnen hindurch schelmisch zu. Nur spärlich bedeckte ihr Haar ihren nackten Körper, der sich immer noch erhitzt vom vergangenen Liebesspiel an ihren geliebten Magier schmiegte. Liebkosend strich Zadok über ihre Schenkel und ließ seine Hand auf ihrem sanft gewölbten Bauch liegen. Leise lachend hob er den Blick und verlor sich in ihren Augen. Tapanjas Liebe ließ ihn beinahe alles Geschehene vergessen. Krieg, Verrat, Verlust und Rache. Alles verlor an Bedeutung beim Gedanken an den warmen Körper seiner Geliebten und seinem Sohn, der in ihrem Leib heranwuchs.


Die Hand des Spions lag bereits auf dem Türgriff, als ein Satz ihn mitten in der Bewegung verharren ließ. Da lag etwas in Zadoks Stimme, tiefe Trauer und Bedauern, was ihn beinahe menschlich wirken ließ.

„Auch wenn Du es mir nicht glaubst, ich habe Tapanja einmal von ganzem Herzen gelie…“ Zadok stockte. Sein eben noch wehmütiger Blick verschwand, wandelte sich in seinen üblichen, emotionslosen Gesichtsausdruck. Ja, er hatte sie auf seine Weise geliebt. Doch er konnte sich keine Schwäche erlauben. Sein Pakt mit IHM, die vom Dämonenherrscher geliehene Kraft und Magie waren nur so lange auf seiner Seite, solange er hart und unerbittlich blieb. Für sanfte, liebevolle Gefühle war in seinem von Rachedurst bestimmten Leben auf die Dauer kein Platz.

„Geliebt?“ Der junge Mann spuckte das Wort förmlich aus. „Ihr habt recht, ich kann es nicht glauben. Warum sonst solltet ihr…“

„Genug!“, donnerte der dunkle Magier. Die sentimentale Stimmung war völlig aus Zadoks Stimme verschwunden und an ihre Stelle war wieder der stahlharte, schneidende Befehlston getreten. Sein Stirnreif glühte auf. „Geh jetzt! Doch bei all dem Hass auf mich vergiss niemals, dass Du mir nicht entkommen kannst… mein Sohn!“

Sohn?! Bayuna taumelte entsetzt von der Tür zu Zadoks Räumen weg und rannte in ihre Gemächer zurück.


Felix blinzelte verschlafen, gähnte herzhaft und räkelte sich zufrieden, bevor er sich wieder an Tapanis Seite schmiegte. Langsam ließ er die Ereignisse des letzten Tages Revue passieren. Der Gedanke an die entsetzen Gesichter der beiden Suchhörnchen, als der kleine Babydrache sie als seine Eltern ausgesucht hatte, ließ ihn schmunzeln. Nachdem Kion wieder aus seiner Ohnmacht erwacht war, hatten sie versucht, den kleinen Drachen davon zu überzeugen, dass zwei Suchhörnchen unmöglich seine wahren Eltern sein konnten. Doch entweder waren Yashis Kenntnisse der Drachenlautsprache tatsächlich schon zu stark eingerostet oder das kleine Drachenmädchen war einfach viel zu stur, um von einem einmal gefassten Entscheid wieder abzulassen. Hartnäckig hatte sie sich mit ihren kleinen Klauen in Rubions Fell festgekrallt und ihre Schnauze an seine Schulter gekuschelt. Erst als das Suchhörnchen sich an einen Baum gelehnt niederließ, löste der Drache seine Krallen und kuschelte sich zum Schlafen in Rubions Schoß zusammen. Kion, welcher die Szenerie misstrauisch beäugte, ließ sich erst durch den flehenden Blick seines Geliebten dazu bewegen, sich an seiner Seite hinzusetzen und mit ihm zusammen über das schlafende Baby zu wachen. Noch immer lächelnd ließ Felix seine Gedanken weiterschweifen. Doch bei der Erinnerung an seine Albträume verfinsterte sich sein Gesicht. Ärgerlich schüttelte er den Kopf. Nein, er wollte den Morgen nicht mit trüben Gedanken beginnen.

Seine Hand glitt langsam und liebkosend über den Bauch seines Liebsten, als er plötzlich innehielt. Tapanis Brust hob und senkte sich rasch, sein Herz klopfte heftig. Felix hob den Kopf. Tapani, der vollkommen übernächtigt und gehetzt aussah, starrte mit offenen Augen in das Blätterdach über ihnen. Fast schien es so, als ob er sich gar nicht bewusst wäre, dass er nicht alleine war. Nachdenklich zog Felix die Stirn kraus. Irgendetwas stimmte hier nicht. Doch er konnte sich keinen Reim darauf machen, was über Nacht zu so einem Stimmungswechsel geführt hatte. „Konntest Du nicht schlafen?“

Tapani verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln und schüttelte den Kopf. „Mach Dir bloß keine Sorgen, mein kleiner Vertan.“ Er schob Felix sanft von sich, erhob sich, suchte seine über den Waldboden verstreuten Kleidungsstücke zusammen und klopfte kleine Grashalme und Laub von ihnen ab. Hastig schlüpfte er in Hose und Hemd. An seiner Gurtschnur nestelnd murmelte er vor sich hin. „Wir sollten zu den anderen zurückkehren; Felix. Yashi und die anderen werden bereits dabei sein, unsere ganze Ausrüstung wieder zusammenzupacken.“

Mit diesen Worten setzte er sich hin und zog seine Stiefel an. Felix musterte den gesenkten Kopf seines Liebsten, der seinem Schuhwerk viel zu viel Aufmerksamkeit widmete. Grübelnd fuhr er sich durch die Haare. Irgendetwas bedrückte Tapani. Felix fragte sich, ob er in der letzten Nacht im Schlaf gesprochen und somit verraten hatte, was der Grund für seine andauernden Albträume war. Er hoffte, dass dem nicht so war. Darshan hatte sehr deutlich klargemacht, dass sie eine Offenbarung ihres Handels nicht billigte. Während Felix sich weiter seinen Kopf zermarterte, erhob sich Tapani voller Tatendrang, legte ihm einen Arm um die Taille und zog ihn für einen kurzen, harten Kuss an sich. Neckend strich er Felix übers Kinn. „Du kratzt. Versuch doch, ob Yashi vor unserer Abreise wieder etwas Wasser in einer Schale zu einer spiegelnden Fläche erstarren lässt, damit Du Dich rasieren kannst.“ Lachend hielt er inne, als sein Magen laut und vernehmlich knurrte. „Komm“, er umfasste Felix’ Handgelenk und zog ihn mit sich. „Bestimmt hat Kion schon Frühstück für uns vorbereitet.“

Doch als sie Hand in Hand wieder auf die kleine Lichtung traten, erkannten sie, dass entgegen Tapanis Worten noch keine Spur von einem fertig zubereiteten Frühstück zu erkennen war. Yashi lächelte ihnen erfreut zu, als er ihre ineinander verflochtenen Finger und die zerzausten Haare gewahrte. Nur Dayari, die sich gegen Drago lehnte und dem Bären durch sein dichtes Fell streichelte, kniff die Augen skeptisch zusammen, als sie Tapani musterte. Doch der Ba’nei, der dem offenen Misstrauen der Hexe ansonsten stets gelassen begegnete, wich ihrem Blick aus. Zu sehr fürchtete er sich davor, dass sie seine Tarnung durchbrechen und sehen würde, dass auch in seinen Adern gemischtes Blut floss.

Fragend sah er den kleinen Grünling an. „Frühstück?“ Yashi verzog grinsend die Lippen und deutete mit einem leisen Nicken auf die kleine Szenerie, welche sich den Gefährten an diesem Morgen bot.

Rubion stand in der Nähe der Feuerstelle und hielt den kleinen Drachen in seinen Pfoten. Dessen Kopf lag an seiner Schulter, während sich der geschuppte Schwanz der kleinen Echse um seine Brust ringelte. Sanft wiegte er die Kleine hin und her, während er beruhigende Laute von sich gab und versuchte, Kion etwas mehr Zeit für die Frühstückszubereitung zu verschaffen. Nachdem der kleine Drache bereits mehrere dargebotene Beeren, Wurzeln und Blätter verschmähte hatte, mischte Kion auf Yashis Rat hin einen dicken Brei aus Getreide, Larven und etwas Milch, welche der Grünling aus etwas Wasser umgewandelt hatte.

Vorsichtig trat er mit der Schüssel zu Rubion, tauchte seinen Finger in die Masse und hielt diesen lockend vor die missmutig verzogene Schnauze der Kleinen. Neugierig schnupperte sie kurz, bevor sie sich auf Kions Finger stürzte und gierig jedes bisschen Brei ableckte, das noch an seiner Pfote war. Die beiden Nager blickten sich erleichtert an, während sie nun auf diese Weise auch den restlichen Inhalt an den Drachen verfütterten. Endlich hatten sie etwas gefunden, was diesem wählerischen Drachenbaby schmeckte. Yashi hatte sie bereits vorgewarnt, dass Drachen in den ersten Wochen ihres Lebens täglich mehrere Mahlzeiten brauchten, um sich gesund zu entwickeln.

Mit einem lauten Rülpser kuschelte sich die Kleine nun wieder an Rubions Brust und blickte die beiden seelenvoll aus ihren großen, saphirblauen Augen an, gähnte herzhaft und schloss die Augen zu ihrem wohlverdienten Verdauungsschlaf. Erst jetzt bemerkten die beiden Suchhörnchen, dass die gesamte Gruppe die morgendliche Fütterung aufmerksam verfolgt hatte. Kion, der dem kleinen Drachenmädchen noch sanft die Schnauze gestreichelt hatte, räusperte sich verlegen und blickte Manju und Tapani, deren Mundwinkel verdächtig zuckten, missmutig an. Vor allem Manju würde es ihm immer wieder unter die Nase reiben, dass ausgerechnet er sich so liebevoll um einen kleinen Drachen kümmerte. Er, der sich ansonsten immer lauthals über die Kinder geärgert hatte und diese nicht besonders leiden konnte, da diese Hörnchen meist mit Kuscheltieren verwechselten und an seinem Fell herumgezerrt hatten.

„Habt ihr alle nichts zu tun? Ich rackere mich hier für unser Frühstück ab und ihr habt noch nicht einmal alles zusammengepackt und verschnürt für den weiteren Weg“, schimpfte er los und versuchte, sich seinen Gefährten wieder als bärbeißiges Hörnchen zu zeigen.

Dayari lächelte leise über den nur allzu offensichtlichen Ablenkungsversuch. „Keine Sorge, Kion. Gleich nach dem Frühstück können wir aufbrechen.“ Sie setzte sich abseits von den anderen ans Feuer, während Kion immer noch leise vor sich hin schimpfend frische Brotfladen, Beeren und etwas getrocknetes Fleisch verteilte. Dayari wuschelte Drago, der sich an ihrer Seite niedergelassen hatte, kurz durch das dichte Fell und blickte Yashi mit zusammengezogenen Brauen an. „Das Gelände wird hier immer steiler, der Wald dichter. Es ist unwahrscheinlich, dass unsere beiden Freunde“, sie wies auf die beiden friedlich grasenden Packpferde, „dies heil überstehen würden. Wir sollten sie hier zurücklassen.“

Tapani, der ansonsten genau wie Manju jeden Wortwechsel mit der Hexe vermied, unterbrach sie mit skeptischem Blick. „Du willst die Tiere hier einfach aussetzen?“

Dayari blitzte ihn mit zornigem Blick an. „Ich würde eher Dich hier aussetzen, als die beiden einfach ihrem Schicksal zu überlassen.“ Mit diesen Worten wirbelte sie herum, raffte ihre Röcke und lief zu den beiden Pferden.

Sie berührte ihren Rubin, trat zu Lari und Patu, welche neugierig ihre Köpfe hoben und die Nüstern blähten. Sanft streichelte sie über ihre Flanken, beugte sich vor, nahm ihnen die Führungsleinen ab und wisperte ihnen etwas ins Ohr. Keiner der anderen konnte verstehen, was sie den beiden sagte, doch spürten sie, dass ein Hauch von Magie in der Luft lag. Verblüfft sahen sie, wie die beiden Packpferde über Dayaris Hände leckten, sie noch einmal kurz anstupsten, bevor sie mit einem Wiehern davon trabten. Yashi blickte bedauernd auf die schmale Gestalt Dayaris, während sie ihre Magie wirkte. Lediglich gegenüber den Hörnchen und den anderen Tieren hatte sie ihre feindselige Haltung aufgegeben. Doch jedes Mal, wenn sie Manju, Tapani oder ihn musterte, verschwand jegliche Zuneigung aus ihrem Gesicht und machte offenem Misstrauen Platz.

„Wohin hast Du sie geschickt?“, fragte Felix, der neben sie getreten war. Im Gegensatz zu seinen Freunden war er nicht überrascht, dass Dayari so einfach mit jedwelcher Tierart sprechen konnte. Er kannte sie, hatte er doch in jenem Moment, als sie für einen kurzen Augenblick zu einem einzigen Wesen verschmolzen waren, jede einzelne ihrer Erinnerungen und Gedanken gesehen.

„Sie werden nach Akshareen zurückkehren. Sie haben mir von ihrem Stallmeister erzählt, der ihnen immer wieder kleine Möhrenstückchen und Zucker zusteckt. Ich denke, sie freuen sich bereits auf ihre Heimkehr. Nun komm, wir sollten endlich aufbrechen, ehe die Sonne bereits hoch am Himmel steht.“ Mit den Worten kehrte sie zu den anderen zurück und schlang eilig einige Bissen hinunter, bevor sie ihre wenigen, bereits zusammengeschnürten Habseligkeiten schulterte und Tapani mit gerecktem Kinn und schmalen Augen herausfordernd anstarrte. Dieser zuckte bloß mit den Schultern und wandte sich Felix zu. Er würde sich davor hüten, es auf einen Streit mit der Hexe ankommen zu lassen. Auch wenn ihre Hand nicht mehr permanent auf ihrem Dolchknauf ruhte, so wirkte sie dennoch stets angespannt und angriffsbereit. Stumm packte er sein Gepäck und schritt hinter den anderen her.

„Aua!“, Felix knirschte mit den Zähnen, als sich dicke Dornen durch seine Kleidung bohrten. Leise fluchend befreite er sich von der Ranke und kletterte weiter. Er wusste nicht, wie lange sie schon unterwegs waren, doch allmählich konnte er keine Bäume mehr sehen. Zwar hatten sie immer wieder eine kurze Rast eingelegt, da das Drachenbaby immer wieder gefüttert werden musste, doch es fiel der gesamten Truppe zusehends schwerer, in dem steilen und unwegsamen Gelände voranzukommen.

Kurz flammte der Gedanke an die letzten Ferien mit seiner Familie in den Schweizer Alpen auf. Damals war er bloß hinter seinen Eltern und seinem Bruder Thorsten, dem Sportass, her gekeucht und hatte es kaum bis zur nächsten Bergbahnstation geschafft. Wenn sie ihn jetzt sehen würden. Aus dem schlaksigen Jungen war ein schlanker und kräftiger junger Mann geworden, der heute nicht nur mühelos mit ihnen mitgehalten, sondern sie sogar überholt hätte. Felix schüttelte widerwillig den Kopf. Er wollte nicht an sein altes Leben denken. Hier, mitten in diesem verhexten Wald, war er jemand und kein Nichts, das in den Augen der eigenen Familie nie etwas richtig machte.

Müde blickte er zu den anderen. Selbst der leichtfüßige Elb und Tapani, der sich wie ein geübter Jäger durch den Wald bewegte, wirkten leicht erschöpft. Felix strich sich über das Gesicht und hinterließ darauf eine feine Dreckspur. Dayari, welcher nicht entgangen war, dass Felix mit kleineren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, ließ sich langsam zurückfallen. Fragend blickte sie ihn an.

„Es geht schon, Dayari. Es liegt nur an diesem Wald. Lach mich nicht aus, aber ich glaube beinahe, dass er alles versucht, um uns daran zu hindern, die Grenze zum Drachenreich zu erreichen.“ Er lächelte schief, doch dann weiteten sich seine Augen erstaunt, als sie seine Hand umfasste und er ein leichtes Kribbeln in seinem Arm spürte. Mit einem Zischen stieß er den Atem aus und löste sich von ihr. „Du darfst Dich nicht verausgaben! Du…“

„Ich weiß genau, was ich tue. Du bist erschöpft, doch es ist wichtig, dass wir noch heute die Waldgrenze erreichen. Also musst Du doch zugeben, dass ein kleiner Energieschub genau das war, was Du eben am dringendsten gebraucht hattest. Du hast recht mit Deinen Vermutungen. Der Wald ist verwunschen. Ob es nun Fluch oder Segen ist, darüber könnte man wohl lange streiten. Aber es ergeht jedem Reisenden, der hier durchkommt so. Egal wie kräftig und ausgeruht man startet, am Ende ist jeder müde und erschöpft. Beinahe so, als ob der Wald ein Weiterkommen verhindern wolle.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es war für mich immer ein Schutz. Den Ba’nei und Elben widerstrebte es deshalb, den Wald zu betreten. So war ich geschützt. Der Zauber kann mir auch nichts anhaben. Die alten Bäume hier sehen in mir wie in den Tieren ein Kind des Waldes. Darum geschieht mit uns nicht dasselbe wie mit euch anderen. Nun komm, es ist nicht mehr allzu weit.“ Mit diesen Worten ließ sie ihn stehen und eilte flink wieder an die Spitze zurück.

„Kleiner Energieschub“, Felix brummelte. „Ich fühle mich, als ob ich mehrere Kannen Kaffee in mich hineingeschüttet hätte. Und so was nennt sie klein.“ Kopfschüttelnd kletterte er weiter, erleichtert darüber, dass die Kraft in seine Arme und Beine zurückgekehrt war. Noch glaubte er nicht daran, dass sie bald an ihrem Ziel ankommen würden. Doch allmählich begann der Wald sich zu lichten. Die Nacht brach bereits herein, als sie zwischen den Bäumen heraustraten und sich die schroffen, steilen Felsen des Drachengebirges majestätisch vor ihnen erhoben. Karge, von kleinen Gesteinsbrocken übersäte Wiesen erstreckten sich vor Ihnen und in der Nähe schlängelte sich ein kleiner Gebirgsbach.

Kion legte den Kopf in den Nacken, blickte die Felswände hoch und quiekte entsetzt auf. So gut Hörnchen sich auch in bewaldeten Gebieten bewegen konnten; sie hassten genau wie ihre viel kleineren Nagerverwandten nichts mehr, als offenes, ungeschütztes Gelände. „Müssen wir da etwa hochklettern?“

Yashi schüttelte den Kopf. „Nein. Wir befinden uns nun bereits in der Nähe der Grenze und außerhalb der magiedämpfenden Wirkung des Waldes. Es sollte möglich sein, von hier aus eine der Grenzpatrouillen zu benachrichtigen, ohne dass die Nachricht bloß in Bruchstücken ankommt.“ Er holte seine kleine Sprechkugel hervor und blickte sich um. „Schlagt ihr das Lager auf. Ich werde unsere Freunde über unser Kommen unterrichten.“

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als der kleine Grünling zu ihnen zurückkehrte. Manju, der mit gespannter Miene in die schwelende Glut des Lagerfeuers starrte, hob den Kopf. „Und?“, presste er mit beherrschter Stimme hervor. Yashi spürte, welche Kraft es den Elben kostete, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Doch er brachte keine Neuigkeiten, die den in Manju tobenden Sturm besänftigen würden. Sachte schüttelte er den Kopf und drückte aufmunternd Manjus Schulter.

Der Elb seufzte tief. „Gar nichts? Kein Wort darüber…“

„Ich habe Rubinkralle nicht erreicht, mein Freund. Es scheint, als ob ich auf meine alten Tage hin eine stärkere Sprechzauberkugel benötige.“ Ärgerlich schüttelte Yashi die kleine Kugel, steckte sie wieder zurück in den kleinen Leinenbeutel an seinem Gürtel.

Manju fuhr sich mit fahrigen Bewegungen durch die Haare. „Aber wie kommen wir zu Konjaru? Sein Bruder sagte doch, dass sie die beiden zu Rubinkralle bringen würden. Yashi, ich muss zu ihm! Diese Ungewissheit treibt mich in den Wahnsinn. Nicht zu wissen, ob…“, seine Stimme brach, als er sich hastig erhob und lautlos zwischen den Bäumen verschwand.

Stumm blickte der kleine Grünling dem Elben nach. Tröstende Worte waren hier fehl am Platze. Sie würden Manju nur daran erinnern, dass er entgegen den Sitten seines Volkes seine Gefühle nicht länger beherrschen konnte. Die Ruhe des Waldes würde ihm dabei helfen, wieder die Kontrolle über sich zu gewinnen.

Müde kroch Yashi in seine Bettrolle. Obwohl ihm in den letzten Wochen nur selten genügend Schlaf vergönnt gewesen war, kam er nicht zur Ruhe. Er konnte es nicht benennen, doch seit letzter Nacht wurde Yashi das Gefühl nicht los, dass das Unheil, welches ganz Akshar bedrohte, ganz in ihrer Nähe war. Besorgt und mit gerunzelter Stirn ließ er seinen Blick über ihre kleine, zusammengewürfelte Gruppe schweifen. Die beiden Hörnchen hatten sich eng aneinander gekuschelt schlafen gelegt. Ein leises Schnarchen lenkte seine Aufmerksamkeit auf den kleinen Drachen, der sich fest an das dichte Fell seiner Zieheltern kuschelte. Felix und Tapani hatten sich neben dem Feuer niedergelassen, doch Tapani schien keine Ruhe zu finden. Unruhig wälzte er sich hin und her, Schweißperlen traten auf seine Stirn. Yashi runzelte die Stirn. Nur zu gut erinnerte sich der Grünling daran, wie Felix sich auf der Reise nach Akshareen in Alpträumen gewunden hatte, die jedes Mal auf die Präsenz von Zadoks Spitzeln hinwies. Spürte Tapani etwa auch, dass ihnen selbst hier, nahe dem Reich der Drachen, Gefahr drohte? Tastend sandte Yashi seine Magie aus, doch er konnte nicht zu dem Ba’nei durchdringen. Fast schien es ihm, als ob er über einen magischen Abwehrschild verfügen würde. Yashi schüttelte den Kopf. Er brauchte unbedingt Schlaf. Wenn er bereits Magie bei einem Ba’nei vermutete, so würde er bald auch weiße Mäuse vor seinen Füßen tanzen sehen. Gähnend lehnte er sich zurück, doch Aki schien ihm in dieser Nacht nicht hold zu sein. Wenigstens gönnte er den anderen ihre verdiente Ruhe. Der morgige Tag würde anstrengend werden. Yashi wusste nicht, wie die Drachen auf Manju und die Waldhexe reagieren würden. Er wusste, dass Rubinkralle einer Annäherung der Völker nicht abgeneigt war, aber es gab Separatisten unter den Mitgliedern des Drachenrates, die lieber jeden Ja’Neisa tot sehen würden, bevor sie einen von ihnen innerhalb der Grenzen Draconias geduldet hätten.

Dayari schien die kommende Konfrontation mit den Drachen nicht zu kümmern. Sie hatte sich an Dragos Flanke gekuschelt und schien, genau wie der Bär, tief und fest zu schlafen. Eine kleine Strähne löste sich aus Dayaris Haar und kitzelte sie. Unwillig zog sie die Nase kraus, ehe sie sich in einer leicht veränderten Haltung wieder an Drago lehnte. Wie sie so da lag, mit entspannten Gesichtszügen und die Hände tief im dichten Fell ihres pelzigen Freundes vergraben, wirkte sie eher wie ein kleines Mädchen, denn eine machtvolle Hexe, die beinahe so alt war, wie er selbst. Der Grünling fragte sich nicht zum ersten Mal, welche Rolle sie in diesem Ganzen spielte. Würde sie dazu fähig sein, ihren Groll und Hass gegen Akshar zu vergessen und zusammen mit ihnen gegen Zadok kämpfen? Er wusste es nicht.

Yashis Gedanken wanderten einige Tage zurück. Noch immer überkamen ihn Schuldgefühle und Zweifel, wenn er an die Begebenheiten vor über fünfhundert Jahren dachte. Die Brutalität, mit der systematisch sämtliche Mischblütigen und ihre Eltern gejagt und getötet worden waren, entsetzte ihn. In keinem der historischen Dokumente der großen Bibliothek war davon auch nur ein Wort zu lesen. Gemäß den offiziellen Darstellungen hatte man sie lediglich zusammengetrieben und aus Akshar verbannt... Yashi lachte höhnisch auf. Eine gezielte Jagd auf Kinder, Frauen und Männer als „schlichte Umsiedlung“ zu betiteln, war nichts weiter, als ein Versuch der damaligen Regierung, ihre Hände in Unschuld zu waschen. Womöglich hatte Felix recht. Es war an der Zeit, die Stellungen der verschiedensten aksharischen Rassen zu überdenken. Hätte man in den Ba’nei und den Dunkelelben gleichwertige Geschöpfe Kalanjas gesehen, dann wären sie wenn möglich nicht wie Tiere gehetzt und abgeschlachtet worden.

Es dauerte in dieser Nacht noch lange, ehe sich Aki dem kleinen Grünling erbarmte und ihm den ersehnten Schlaf gewährte.

XLVIII

„Wie kann er es bloß wagen…“, ereiferte sich ein alter, grauer Drache, über dessen Schnauze sich eine tiefe Narbe zog. Erbost peitschte seine Schwanzspitze hin und her, seine Krallen gruben sich tief in den steinernen Sims unter ihm.

„Unerhört!“, keifte ein schlanker, jadegrüner Drache zustimmend. „Ein Ja’Neisa innerhalb des Reiches. Die Ahnen werden nicht dulden, dass ihr Andenken derart besudelt wird!“ Empört spreizte Jadeklaue ihre Schwingen und blickte nach Zustimmung heischend in die Runde.

Seit den frühen Morgenstunden saßen sie in der großen Versammlungshöhle auf ihren Rängen und ereiferten sich über die Nachricht, welche letzte Nacht von Draconikriegern überbracht worden war. Yashi, der Grünling, welcher als Rubinkralles Schützling lange unter ihnen gelebt hatte, hatte es tatsächlich gewagt, einen Ja’Neisa an ihre Grenzen zu führen und bat um Geleit nach Draconia.

„Ach halt Dein vorlautes Mundwerk, Jadeklaue! Woher willst Du Grünschnabel wissen, was unsere Ahnen dulden oder nicht!“ Mondlicht, die neben Rubinkralle zu den ältesten und größten Drachen gehörte und als einzige von Ihnen nicht in den Rängen sondern auf der Tribüne Platz genommen hatte, streckte sich und blickte strafend in die Runde. Im Licht der Fackeln schimmerten ihre milchigweißen Schuppen wie mit Silberstaub bestreut. „Viele von euch lernten gerade erst ihre Flügel zu gebrauchen, als die großen Kriege tobten. Ja, auch meine Seele schreit beim Gedanken daran, dass wir einen Ja’Neisa in unserem Reich willkommen heißen. Doch bedenkt, in welchen Zeiten wir leben! Seid ihr alle blind und taub geworden, dass ihr nicht mehr spürt, wie sich das magische Gefüge der Welt verändert?!“

„Du wirst wohl allmählich senil, meine Liebe“, ereiferte sich der graue Drache, der einer der lautesten Fürsprecher der Separatisten war. Jadeklaue und Seestern, ein kleiner, blau geschuppter und leicht pummeliger Drache, kicherten hämisch.

„Schweigt!“ Mondlicht fuhr herum, hob die Pfote, deutete auf die beiden und zischte laut. Erschrocken fuhr sich Seestern über die Schnauze. Er versuchte etwas zu sagen, doch nur ein leises Krächzen verließ seinen Rachen. Jadeklaue duckte sich. Es war wohl besser, Mondlicht nicht noch weiter zu reizen. Wer wusste schon, wie lange es dauern würde, bis sie den Schweigebann von Seestern nehmen würde. Das letzte Mal, als einer der jüngeren Drachen eine der Ältesten verärgert hatte, konnte er seine Schnauze während des ganzen Sommers nicht mehr öffnen. Hätten damals Rubinkralle und Saphirauge nicht beruhigend auf Mondlicht eingewirkt, wäre der arme verhungert, bevor sie den Bann wieder von ihm genommen hätte.

„Nun zu Dir, Graubart!“, Mondlicht starrte den grauen Drachen aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich weiß, dass Du immer noch um Deine Tochter trauerst, die in der Schlacht gegen die Ja’Neisa getötet wurde. Doch Du kannst nicht ewig in der Vergangenheit leben! Stell Dich der Gegenwart und öffne endlich Deine Augen!“

Die großen Flügeltüren schlugen mit einem lauten Krachen gegen die Wand und hinderten Graubart an einer weiteren beleidigenden Attacke gegen Mondlicht und die anderen „Verräter“, wie er jene Drachen abfällig nannte, die bereit waren, sich erneut mit Akshar zusammenzuschließen.

„Wer hat diese Versammlung einberufen?“ Rubinkralle, flankiert von Saphirauge, einem eisblauen Drachen mit Silberkamm, und Feuersturm, dessen Schuppen orangerot glühten, betrat die Halle, nahm zusammen mit ihnen auf der steinernen Tribüne Platz und ließ seinen Blick durch die gefüllten Reihen des Rates schweifen. Nahezu alle Mitglieder des Drachenrates hatten sich eingefunden und saßen nun, die meisten von ihnen leicht zusammengerollt, auf den mächtigen, in Stein gemeißelten Rängen, welche sich wie gewaltige Stufen im Halbkreis vor der Tribüne erhoben. Seit Jahrtausenden wurde hier debattiert und gestritten. Doch noch nie hatte es ein Drache gewagt, derart offen den Vorsitz der Ältesten zu missachten und eigenmächtig eine Versammlung einzuberufen.

„Das war ich!“ Graubart erhob sich und blickte Rubinkralle zornerfüllt an. „Schließlich mussten wir an Deinem Verstand zweifeln, als wir erfuhren, dass Du tatsächlich einem Ja’Neisa erlaubst, einen Fuß in unser Reich zu setzen!“

„Ach, glaubst Du das wirklich?“ fragte Rubinkralle süffisant. „Glaubt ihr tatsächlich“, wandte er sich nun an die gesamte Versammlung, „dass ich, der ich mich mit den anderen Ältesten und der Hohepriesterin Kalanjas beraten habe, grundlos jemandem Geleit gewähre? Habt ihr alle bereits vergessen, was vor wenigen Wochen geschehen ist? Habt ihr vergessen, wie Silberklaues Seele ins Reich der Toten entglitt und in Konjaru wiedergeboren wurde? Diese Verschmelzung, die Tatsache, dass in diesem Jahrhundert mehr Draconi’lucis geboren wurden, als jemals zuvor, sollte euch zeigen, dass wir auf etwas zusteuern, für das wir alle unsere geeinten Kräfte benötigen werden. Yashi, der Grünling und Manju, der Ja’Neisa, kommen als offizielle Abgeordnete des Rates von Akshareen.“ Er blickte zu Saphirklaue, Mondlicht, Feuersturm und Smaragdblume. „Wir werden sie als Gäste willkommen heißen und dies ist mein letztes Wort!“ Obwohl Rubinkralle die Stimme nicht erhoben hatte, dröhnten seine letzten Worte durch die große Halle und ließen die Separatisten erbeben. Sich im Disput mit Rubinkralle anzulegen war eines. Sich jedoch mit dem gesamten Ältestenrat anzulegen, das wagte keiner von Ihnen.

Graubart grollte zornig. „Ihr werdet uns alle vernichten!“ Smaragdblume, ein großer, tiefgrüner Drache, welche sich bisher als einzige der Ältesten zurückgehalten hatte, entrollte sich und starrte Graubart wortlos an. „Es reicht!“

„Es reicht in der Tat meine Schwestern und Brüder! Ich hätte nicht gedacht, dass ihr sturer seid, als der Rat der Weisen in Akshareen mitsamt der Priesterschaft. Doch ihr seid es! Während sie akzeptieren, dass manche Dinge geschehen müssen, sträubt ihr euch mit aller Macht dagegen und verliert damit kostbare Zeit. Warum übergebt ihr Zadok nicht gleich den Schlüssel zur großen Bibliothek des Wissens, damit er euch mit euren eigenen Zaubersprüchen schlagen kann?“

Eine schlanke Frau stand zwischen Smaragdblume und Mondlicht, die Hände auf die Flanken der beiden Drachen gelegt. Das lange schwarze Haar fiel bis auf ihre Hüften und der Amethyst, welcher in ihren Stirnreif eingelassen war, leuchtete hell.

„Illari!“, keuchte Jadeklaue.

Rubinkralle blickte sie mit milder Neugierde an. „Was tust Du hier, Schwester. Ich dachte, seit Mutter in tiefem Schlaf verfallen ist, ruht auch ihr jungen Götter an ihrer Seite.“

Illari trat auf den großen Drachen zu und legte ihre kleinen Hände auf seine Schnauze. Still hielten sie Zwiesprache. Doch jedem der anwesenden Drachen wurde klar, dass keine der jungen Götter sie aufsuchen würde, wenn es nicht den Interessen Kalanjas, ihrer aller Mutter dienen würde.

„So ist es nun soweit?“, fragte Rubinkralle, als die kleine Göttin sich von ihm löste.

Illari nickte. „Du wirst alles verstehen, sobald Du sie in Deinem Heim willkommen heißen wirst. Möge das Glück an eurer Seite sein.“ Mit diesen Worten verschwand sie.

Feuersturm grummelte. „Glück! Und das aus dem Munde der Schicksalsgöttin.“ Rubinkralle unterbrach ihn. „Verzeih, mein Freund. Doch wir sollten uns vorbereiten. Yashi und seine Gefährten werden bald eintreffen. Ich bin wirklich gespannt auf jene, in die Illari so große Hoffnungen setzt.“


Missmutig stocherte Manju in seiner Portion Haferschleim, welchen Kion für sie alle zubereitet hatte. Nur Drago tat sich etwas abseits an Wurzeln, Beeren und einem Kaninchen gütlich, welches er in den frühen Morgenstunden erlegt hatte.

„Wie lange müssen wir hier denn noch warten?“

„Übe Dich in Geduld, Manju“, tadelte Yashi. „Sie sagten mir, dass uns heute Morgen eine Eskorte zu Rubinkralles Heim geleiten werde. Drachen pflegen ihre Versprechen zu halten. Uns bleibt also nichts weiter übrig, als auf sie zu warten“.

Das Geräusch schlagender Schwingen ließ sie hochblicken. Vier Drachen glitten über sie hinweg und setzten auf der nahe gelegenen Wiese zur Landung an. Yashis Gesicht erhellte sich, als er zwei der Drachenreiter erkannte. „Sakuna! Nimjaru! Wie schön, euch beide wiederzusehen. Sagt, bringt ihr uns Neuigkeiten von eurem Kommandanten, von Konjaru?“

Die beiden Drachenkrieger wechselten einen raschen Blick. Rubinkralle hatte sie angewiesen, die kleine Gruppe unverzüglich und ohne weitere Erklärungen zu ihm zu bringen. Doch Yashi, der ihnen als Kinder Geschichten und Sagen Kalanja’neius erzählt hatte, konnten sie nicht im Ungewissen lassen. „Er lebt, ehrenwerter Yashi. Doch alles Weitere möchte euch Rubinkralle erklären! Bitte kommt. Wir haben nicht allzu viel Zeit.“ Sakuna winkte Yashi zu seinem Drachen. Eisfeuer, Nimjarus Drache, musterte die beiden Hörnchen und ihre kostbare Fracht interessiert. „Erstaunlich, ich habe noch nie erlebt, dass ein Drache sich Nager als Zieheltern auserwählt. Kommt, steigt bei mir auf. Ich will alles über diese junge Dame hier erfahren.“ Er zwinkerte dem kleinen Drachenbaby zu, das in fröhliches Glucksen ausbrach und mit hohen Pfeif- und Trillergeräuschen auf die erwachsenen Drachen einplapperte. Yashi grinste. Drachen waren furchtbar sentimental, wenn es um ihren Nachwuchs ging. Alleine der Anblick der Kleinen hatte ausgereicht, um ihre feindliche Haltung ihnen gegenüber aufzuweichen. Er zog seine kleine Sprechkugel hervor und sandte Yagoda eine kurze Nachricht.

Rasch verteilten sie sich auf die übrigen Drachen und brachen auf. Dayari lehnte sich an Felix‘ Schulter und wischte sich die Tränen aus den Augen. Es war den Drachen nicht möglich gewesen, Drago auf ihren Rücken mitzunehmen. Schweren Herzens hatte sie sich von ihrem getreuen Freund verabschiedet und bittere Tränen in seinen dichten Pelz geweint. Seit dem Tage, als sie sich in die dichten Westwälder Akshars flüchten musste, waren ihre Tage von Einsamkeit bestimmt gewesen. Erst Drago hatte Freundschaft und Zuneigung zurück in ihr Leben gebracht. Seit Jahren hatten sie keinen Tag getrennt verbracht. Sie wusste, dass es Drago in den Wäldern gut ergehen würde und er vor Jägern sicher war. Die Drachen erlaubten ihm den uneingeschränkten Wechsel zwischen den Reichen, sodass er sich in den wildreichen Wäldern der Grenzregion bewegen konnte. Doch sie vermisste ihn so sehr. Derart in trüben Gedanken versunken, hatte sie keinen Blick für die Schönheit eines Drachenfluges. Tapani, der noch nie zuvor auf einem Drachen geritten war, kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mit gebanntem Blick starrte er auf die unter ihnen liegende Landschaft. Die schroffen Bergketten, das sanfte Grün der weiten Ebenen und die Küste des großen Ozeans, die in weiter Ferne zu erkennen waren. Nach etwas mehr als zwei Stunden erkannte er mit Bedauern, dass sie sich allmählich ihrem Ziel näherten. Eine kleine Stadt schmiegte sich an den Fuß eines hohen, zerklüfteten Berges. Bei näherem Hinsehen entdeckte Felix, dass mehrere Höhlenöffnungen in den massiven Felswänden sichtbar wurden. Er fragte sich, ob die Drachen hier tatsächlich im Inneren des Berges lebten.

„Nicht alle Drachen, aber Rubinkralle und die anderen Ältesten haben hier in Dracia ihren festen Wohnsitz.“ Silberblatt, der Drache, auf dessen Rücken Felix ritt, wandte sich mit seiner Gedankenstimme an den jungen Mann.

„Du kannst es von hier aus nicht sehen, doch der Berg ist bis tief in sein Innerstes mit großen Gängen und Höhlen durchzogen. Einst waren sie wohl natürlichen Ursprungs, doch mit der Kraft der Magie wurden sie unseren Bedürfnissen angepasst. Nur die Ältesten wissen, welche Geheimnisse noch tief in seinem Innern schlummern. In den frühen Tagen unseres Reiches, als die Ältesten und die Draconi gerade erst begannen, in Harmonie miteinander zu leben und ihre Seelen zu verbinden, gründeten sie hier das Zentrum des Wissens. Auch wenn Dracaron unsere Hauptstadt ist, so leben doch alle bedeutenden Gelehrten und Drachen weiterhin hier.“

Felix speicherte alle Informationen sorgfältig ab. Doch eine Frage ließ ihn nicht los. „Warum sprichst Du auf diesem Weg mit mir, Silberblatt?“

„Wir benutzen unsere Lautstimme nicht besonders oft und gerne. Auf diesem Wege geht es schneller und einfacher. Zudem solltest Du Dich allmählich an diese Art der Kommunikation gewöhnen. So wie ich den großen Alten und unseren Yashi verstanden habe, erwartet euch noch so manches Ungemach. Da kann eine lautlose Verständigung eines Tages die Rettung für Dich sein.“

„Was siehst Du in mir? Warum teilst Du Dein Wissen nicht auch mit Tapani und Dayari?“

„Du bist der Auserwählte. Ich habe während der letzten Jahrhunderte einiges gesehen. Doch Deine Aura leuchtet in einem ungewöhnlichen, magischen Licht. Ja, auch die Hexe ist sehr stark. Aber auch wenn ich nicht zu den Gelehrtesten meines Volkes zähle, erkenne ich doch, wenn ich einen Erwählten der Götter vor mir sehe. Silberblatt verstummte und setzte wie die anderen Drachen langsam zur Landung an.

Auf dem Felsvorsprung wartete bereits ein in dunkelblaue Seide gewandetes Paar auf sie.

„Konjan, Sora!“ Yashi trat erfreut vor die beiden und neigte respektvoll den Kopf.

„Alter Freund“, Konjan verzog den Mund zu einem leisen Lächeln. „Der große Alte erwartet euch bereits. Kommt, wir bringen euch in eure Gemächer. Wir sollten euch kurz Gelegenheit geben, euch von der Reise zu erholen, damit ihr für den Empfang bereit seid.“

„Ein offizieller Empfang?“ Yashi verzog gequält das Gesicht.

Konjan nickte. „Ihr seid als offizielle Delegation aus Akshar hier, mein Freund. Dies bedeutet, dass sich Rubinkralles Hofmeister begierig auf die alten Aufzeichnungen gestürzt hat, um euch genau den Empfang zu bieten, der euch gebührt. Gönnt ihm den Spaß, ansonsten ist seine Funktion hier kaum noch von Wichtigkeit, da Rubinkralle nicht sehr viel Wert auf Protokoll und Etikette legt.“

Sora zupfte ihren Gemahl am Ärmel und deutete auf den silberhaarigen Elben, der etwas unsicher vor ihnen stand. Konjan musterte ihn eindringlich, doch Manju hielt den prüfenden Blicken stand. Sora lächelte und trat auf den Elben zu. „Willkommen, mein Junge. Wir haben von Panjaru schon einiges von Dir gehört. Komm mit uns. Später wirst Du unseren Ältesten wieder in die Arme schließen können.“ Mit diesen Worten umarmte sie den verblüfften Manju und zog ihn hinter sich her in die Räume ihrer Familie. Konjan lachte leise. „Sie ist sehr energisch, wenn sie etwas will, nicht wahr mein Freund?“

Yashi nickte. „Wie geht es Deinem Sohn?“ Konjan bedeutete ihm, ihn zu begleiten und weihte den Grünling in die Ereignisse der letzten Wochen ein.


„Nun, wie gefällt Dir Dein Schwiegersohn?“ Rubinkralle saß mit Konjan, Sora und Panjaru in der großen Bibliothek und wartete mit ihnen zusammen auf ihre Gäste. Mondlicht hatte sich gemütlich vor dem Kamin niedergelassen, während die anderen Ältesten an Rubinkralles Seite warteten. Obwohl Rubinkralles Räumlichkeiten so angelegt worden waren, dass mehrere große Drachen in einem Raum genügend Platz fanden, so wirkte die Bibliothek auf Panjaru heute viel kleiner. Nicht nur alle Ältesten waren hier. Marani, die Hohepriesterin Kalanjas, war ebenso anwesend wie General Karapanju und Ratsälteste Marsja, welche die Interessen der Draconi repräsentierten.

Konjan blickte mit gefurchter Stirn zur Balkontüre, durch die Konjaru verschwunden war. „Ich muss gestehen, Rubinkralle, dass mir ein Draconi lieber gewesen wäre. Ausgerechnet ein Ja’Neisa. Doch die Wege des Herzens sind unergründlich. Wenn sich die Herzen der Beiden gefunden haben, so ist mir Manju als Sohn willkommen. Aber ich mache mir Sorgen darüber, wie er auf die Veränderung meines Sohnes reagieren wird. Selbst wir haben uns noch nicht an seine neue Präsenz gewöhnt. Ich spüre es jedes Mal, wie Drachen und Draconi gleichermaßen zusammenzucken, sobald Konjaru einen Raum betritt.“ Der Krieger räusperte sich und schwieg.

Als die gewaltigen Türflügel der Bibliothek langsam aufschwangen, stockten die Unterhaltungen. Jeder der Anwesenden blickte gespannt auf die sich nähernde Gruppe. Ein Raunen ging durch die Menge, als Yashi mit den beiden Suchhörnchen und dem Drachenbaby vor Rubinkralle trat. „Dies sind Kion und Rubion mit ihrem Drachenjungen“, stellte Yashi die beiden vor.

Neugierig beugte Rubinkralle seinen Kopf. „Wen haben wir denn hier?“ Sanft stupste er mit der Schnauze das kleine Drachenbaby an, welches sich, etwas eingeschüchtert von Rubinkralles Größe, fest in Rubions Fell krallte. Nur zögerlich fing sie an zu plappern. Leise Glucks- und Pfeiftöne erklangen, als sie Rubinkralle kurzen Bericht erstattete. Der große Alte verzog das Gesicht, fast wirkte es so, als ob er lächeln würde. Amüsiert wandte er sich an die beiden Hörnchen. „Sie erzählte mir gerade, wie sie euch gefunden hat und wie ihr euch um sie kümmert. Ich hatte schon zuvor von euch gehört, doch scheint es mir, als ob ihr in den Erzählungen von Nimjaru und Sakuna etwas… größer gewesen seid.“

Rubion streckte sich und wiegte den kleinen Drachen beruhigend. „Wir können uns sehr gut um die Kleine kümmern, ehrenwerter Rubinkralle.“

„Oh daran zweifle ich nicht, Rubion. Es mag sein, dass ein anderer Drache ihr unsere Geheimnisse und unsere Lebensweise besser näherbringen und sie aufziehen könnte, doch sie hat euch auserkoren; und davon ist sie nicht abzubringen. Wir sind sehr eigensinnig, und wenn ein Drache sich etwas in den Kopf gesetzt hat, egal wie klein er dabei sein mag, so ist er kaum mehr davon abzubringen. Also nehmt meine Einladung an und seid meine Gäste. Es würde mich sehr freuen, wenn ihr hier in Draconia euer neues Zuhause finden könntet.“

Kion blinzelte überrascht. Dieser große Drache, der sie beide mit einem Happs verschlingen könnte, bat sie darum, mit dem Baby hier zu leben. Skeptisch legte er den Kopf schief. „Da wäre nur eine Frage zu klären, werter Rubinkralle. Fressen Drachen Suchhörnchen?“

Rubinkralles lautes Lachen und Mondlichts amüsiertes Glucksen hallten durch den Raum und folgte ihnen, während Sora die beiden zu Mondlicht an den warmen Kamin führte. Auf einmal erfüllte Schweigen den Saal, als Manju, gefolgt von Felix, Tapani und Dayari die Bibliothek betrat.

Manju, der seine silberdurchwirkte Robe angezogen hatte, schritt langsam auf Rubinkralle zu, kreuzte die Arme vor der Brust und verneigte sich wortlos. Worte waren nicht nötig, denn er hatte alle seine magischen Schranken fallengelassen. Er spürte, wie die anwesenden Drachen bis tief in seine Seele blicken konnten. Der Ja’Neisa in ihm wehrte sich dagegen, sein Innerstes vor so vielen Wesen zu offenbaren. Doch Manju wusste, dass dies der einzige Weg war, um zu beweisen, dass seine Rasse aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hatte und bereit war, sich wieder den Drachen anzunähern. Nach einigen Minuten des Schweigens nickte Rubinkralle dem Elben anerkennend zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Felix richtete, der Tapanis Hand hielt. Manju, der von Sora an ihre Seite geholt worden war, blickte sich suchend um. Doch er konnte seinen Liebsten nirgends entdecken.

Marani, die Hohepriesterin, keuchte laut auf, als sie Felix erblickte. Sie spürte, wie die Macht Kalanjas die Aura dieses jungen Mannes durchdrang. Sah das silberweiße, mit kleinen violetten Sprenkeln durchwirkte Licht, welches den jungen Mann wie eine zweite Haut umhüllte. „Der Gezeichnete… das fremde Kind…“ Sie wirbelte herum. „Rubinkralle, die Prophezeiung… sie beginnt!“

„Die Prophezeiung hat vor langer Zeit begonnen, meine Liebe“, die Ruhe des Drachens ließ das aufgeregte Gemurmel verstummen. „Doch nun neigt sie sich langsam unweigerlich ihrem Ende zu…“, er verstummte, als Dayari hinter Felix hervortrat und sich den Blicken der Anwesenden aussetzte. Sie fühlte sich unbehaglich. Seit Jahrhunderten war sie nicht mehr so vielen neugierigen Blicken ausgesetzt gewesen. Zur Beruhigung strich sie leicht über ihren Rubin und atmete tief durch. „Bei der großen Göttin!“, hauchte Panjaru und betrachtete Dayari, die in der ungewohnten, geliehenen draconischen Kleidung ein wenig steif auf Rubinkralle zuschritt.

Die schwere, schwarz-rote Seidenrobe hob ihre Vorzüge raffiniert hervor und betonte das Leuchten des Rubins, den sie offen um ihren Hals trug. Sie hatte ihren praktischen Zopf gelöst, sodass sich ihr pechschwarzes Haar bis über ihre Hüften lockte und bei jedem Schritt hin und her wog. Die silberweißen Strähnen schimmerten wie Sternenstaub auf ihrem Haar. Die schwarzen Augen blickten etwas nervös und doch stolz, während sie ihr Kinn eigensinnig hervorreckte. Sora stieß ihren Sohn ärgerlich an, als er nur mit Mühe seinen Blick aus Dayaris Ausschnitt lösen konnte. Er räusperte sich verlegen.

Rubinkralles Blick wurde sanfter, je näher Dayari auf ihn zu kam. Mitfühlend sah er die feine Narbe auf ihrem Gesicht. Das unendliche Leid, welches sie durchlitten hatte, war für jeden der Drachen greifbar. „So hast Du Deinen Wald nun verlassen, kleine Dayanarani.“

„Woher?“ Dayari wirke verwirrt und blickte ihn aus großen Augen fragend an.

„Vor über fünfhundert Jahren bat eine sterbende Seele mich darum, die Wälder unseres Grenzgebietes mit einem Schutzzauber zu versehen. Nach Außen sollte es der Sicherheit unserer Grenzen dienen. Doch nun erkenne ich, dass Du der wahre Grund dieser Bitte warst. Kleiner Waldvogel, Illaris Wege erscheinen so oft unergründlich und doch, wenn auch erst nach langer Zeit, versteht man ihre Beweggründe.“ Als Dayari Rubinkralles Blick auf ihrem Rubin fühlte, nickte sie langsam. „Waldhexe!“, hörte sie ein leises Raunen durch den Raum gehen, doch sie achtete nicht darauf. Schon wieder Illari, Schicksal.

„Manju“, das leise Flüstern ließ den großen Elben herumwirbeln. Konjaru! Da stand sein Geliebter, nur wenige Schritte von ihm entfernt in der geöffneten Balkontüre; und doch schien es ihm, als ob ganze Welten zwischen ihnen lägen. „Konjaru, mein Liebster“, wisperte Manju, eilte auf den Draconi zu und riss ihn in seine Arme. Tränen rannen über die Wangen des Elben, doch er versteckte sie nicht. Bei den Göttern, sollten doch alle sehen, dass er, Manju Ja’Neisa liebte. Liebkosend fuhren seine Hände über Konjarus Körper, vergewisserten sich, dass er auch wirklich hier vor ihm stand. Aber da war etwas, das ihn irritierte. Es war ihm, als ob er nicht nur seinen Geliebten, sondern auch jemand anderen liebkosen würde. Verwirrt blickte er Konjaru an. „Was ist mit Dir geschehen, Liebster?“

„Scht, mein Liebster. Ich werde Dir alles erklären. Doch erst gilt es, eine Schuld zu tilgen.“ Sanft küsste er ihm die Tränen von den Wangen, bevor er sich aus den Armen des Elben löste und wenige Schritte vor Felix stehen blieb. Felix schüttelte abweisend den Kopf. „Konjaru… nein…“

Doch es war zu spät. Alle blickten gespannt auf die kleine Szenerie, die sich ihnen bot. Schließlich geschah es nicht jeden Tag, dass einer der größten Krieger der Draconi vor einem Fremden, einem Jüngling, das Knie bog und sich verneigte.

Felix starrte verlegen zu Boden, als Konjaru sich vor ihm ehrerbietig verneigte. „Konjaru, bitte…“

„Ich war dabei, Gezeichneter Illaris. So werde ich nichts weiter sagen, denn ich kenne Deinen Schwur. Aber wisse, dass ich auf ewig in Deiner Schuld stehe. Nichts in dieser Welt kann vergelten, was Du für uns auf Dich genommen hast…“

Ein lautes Krachen unterbrach die Szenerie und erlöste Felix vorerst vor den neugierigen Fragen seiner Freunde. Ein Drachenreiter stürmte keuchend direkt auf Rubinkralle zu.

„Alarmiert den Rat! Rubinkralle, die Grenze wurde durchbrochen. Zadonia ist frei, die Shinmari wurden geschlagen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Akshareen fällt!“

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