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Kalanja'neiu - Legende einer vergessenen Welt

Teil 11

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Inhaltsverzeichnis

XXIX

Nachdenklich nagte er an seiner Unterlippe. Die Pergamentrolle war zu groß, um auf den Tischen ausgerollt werden, doch hier, am Boden, war das Licht der Nachmittagssonne zu schwach. Sein Blick schweifte durch den Raum, blieb an einer der vielen kleinen leuchtenden Kristallkugeln hängen. Wenn er auf einen der Stühle klettern würde, sollte er an eine der Wandhalterungen herankommen.

Beinahe wäre er über eine kleine Teppichfalte gestolpert. Fluchend stützte Felix sich auf die Rückenlehne des Stuhles, bevor er ihn erneut hochhob und zur Wand trug. Flink stieg er hinauf. Das alte Holz knarrte unter seinen Füssen. Der Stuhl wackelte. Er streckte sich. Seine Fingerspitzen streiften die kleine Lichtkugel, doch er konnte sie nicht herauslösen. Verflixt, er war zu klein. Entschlossen streckte er sich erneut, stellte sich auf die Zehenspitzen, zog sich an der eisernen Wandhalterung ein kleines Stückchen hoch. Geschafft!

Vorsichtig schlossen sich seine Finger um die kleine Kugel, hoben sie aus der Wandhalterung. Sie fühlte sich überraschend kühl an. Doch wie nun ohne Scherben wieder auf den Boden gelangen? Kurz entschlossen steckte Felix sich die kleine Kugel in den Ausschnitt seines Hemdes. Sein Gürtel verhinderte, dass die Lichtkugel heraus fiel. Nun hatte er beide Hände frei.

Wenige Augenblicke später stand er mit beiden Füßen wieder sicher auf dem Boden, stellte den Stuhl zurück an seinen Platz, kniete sich vor die Pergamentrolle.

Felix griff unter sein Hemd, zog die Lichtkugel hervor. Behutsam legte er sie auf den Boden, schob sie näher an die Schriftrolle. Er begann zu lesen. Die verblasste Schrift war auf dem brüchig gewordenen Pergament kaum zu entziffern.

Die ersten Zeilen interessierten ihn nur beiläufig, da Yashi ihm die Geschichte Kay'shamarus bereits in groben Zügen erzählt hatte. Seine Mundwinkel zuckten leicht. Man musste wohl wahnsinnig oder von der Wichtigkeit seines Anliegens überzeugt sein, um ungeladen auf der Siegesfeier der Ja'neisa, der nach dem großen Krieg herrschenden Oberschicht Akshars, zu erscheinen um eine Audienz vor den Ältesten zu verlangen.

„Ah, nun wird's interessant.“ Felix erhob sich, blickte sich suchend um. Dies musste er später noch einmal in Ruhe durchlesen, aber sie würden ihm wohl nicht gestatten, diese Rolle aus der Bibliothek zu entfernen. Bewaffnet mit einem Bogen Papier, Federkiel und einem kleinen Tintenfässchen ließ er sich vor der Schriftrolle nieder.

Vorsichtig, um nicht aus Versehen den Originaltext mit Tinte zu bekleckern, tauchte er die Feder ins Fässchen und begann zu schreiben.


Entspannt lehnte Manju sich an eine der weißen, kunstvoll verzierten, Marmorsäulen, die das Dach des nach allen Seiten offenen Ishan-Schreines trugen. Efeu rankte sich an vielen von ihnen in die Höhe, trug farbenprächtige Blüten, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Er schloss die Augen, nahm alle Eindrücke in sich auf. Die Strahlen der Nachmittagssonne wärmten ihn, eine leichte Brise strich über sein Gesicht, die Efeublätter raschelten. Genüsslich sog er die frische Luft ein. Der süße sinnliche Duft der Blumen, so viel köstlicher als die schweren Duftwässerchen, mit denen sich die Damen und Herren des Hofes besprühten.

Ein aufgeregtes Zwitschern durchbrach die Stille. Er öffnete die Augen, blickte sich um. Junge Smaragdfinken. Mit ihrem grünschwarzen Gefieder waren sie zwischen den Blumensträuchern, die neben den Treppenstufen wuchsen, kaum zu sehen. Sie stritten sich um einen fetten Wurm, den einer von ihnen aus der feuchten Erde der Blumenbeete gezogen hatte, die von den Priestern rund um den Schrein angelegt worden waren und liebevoll gepflegt wurden.

Manju lächelte, als er einen kleinen blauvioletten Schatten im Augenwinkel sah, der sich langsam an die Streithähne anschlich. Wenn die Finken nicht aufpassten, würde die kleine Eidechse ihnen die Beute vor der Nase wegschnappen.

Lar Manju, bitte nur einen Augenblick.“ Die durchdringende hohe Stimme zerstörte die friedliche Stimmung. Aufgeregt flatterten die Smaragdfinken davon, überließen den Wurm der kleinen Echse. Manju verdrehte die Augen. Er hatte mit Absicht den kleinen Schrein aufgesucht und nicht den viel besuchten Tempel um alleine zu entspannen, Ruhe zu finden. Doch die, durch Meditation und Gebet gewonnene innere Ruhe löste sich auf, wich einer leichten Gereiztheit.

„Ja?“ Mit undurchdringlicher Miene blickte er hinunter auf die junge Elbin, die am Fuß der Treppe stehen geblieben war.

„Verzeiht, aber ich…“ stammelte die junge Frau. Manju blitzte sie ungnädig an. Sie atmete tief durch, streckte sich. „Verzeiht Lar , aber ich habe Fragen bezüglich eures kurzen Betreten des Drachenlandes. Ich schreibe eine Arbeit über die Geschichte unserer Reiche. Es ist sehr schwierig, sich alles vorzustellen, wenn man es nie persönlich gesehen hat. Ich war unterwegs zu einer Geschichtslektion bei Meister Yagoda. Aber, als ich euch hier entdeckte, musste ich herkommen.“

„Die Beziehungen zwischen den Reichen ist immer noch sehr zerbrechlich. Ich glaube, wir sollten dies nicht unnötig strapazieren, indem ich hier über die Drachen plaudere. Nun entschuldige mich bitte, ich werde erwartet.“

Erst schien es, als ob die junge Elbin noch etwas erwidern wollte, doch Manjus abweisender Blick erstickte weitere Fragen im Keim. Nach einer knappen Verbeugung eilte sie davon, ließ Manju alleine.

Manju atmete auf, als sie hinter der nächsten Wegbiegung verschwand. Manchmal war es wirklich lästig, welches Getue die gewöhnlichen Elben um einen Ja'neisa machen konnten. Die junge Studentin glaubte wohl, dass ein Ja'neisa nur einmal kurz einen Fuß über die Grenze setzen musste und sofort alles über das Drachenreich wusste. Dabei waren sie schon kurz nach der Grenze durch Konjaru und Silberklaue aufgehalten worden.

Manju lächelte. Sein Co'ru , sicher wartete er schon wieder im Gasthof auf ihn. Wehmütig dachte Manju an die großzügigen und luxuriösen Räume im Haus seines Onkels. Aber eine derartige Konfrontation mit der Ja'neisa-Kultur wollte er seinem Drachenkrieger nicht zumuten.

Noch einmal trat er vor den Altar, verneigte sich ehrerbietig vor der goldenen Sonnenstatue, die von Blütenblättern, Räucherstäbchen und anderen kleinen Opfergaben umgeben war. Nach einem letzten kurzen Gebet wandte er sich um, stieg die Stufen hinunter, überquerte die Wiese, bis er wieder den knirschenden Kies des regulären Weges unter seinen Füssen spürte.

Er folgte dem gewundenen Weg zurück zum Gasthof, lauschte den zwitschernden Vögeln, deren Gezwitscher auf einmal durch ein leises Summen gestört wurde. Leises Summen? Stirnrunzelnd wandte Manju den Kopf.

Im Gras, unter den dicht belaubten, ausladenden Ästen einer großen Masari-Eiche, zwischen zwei dicken, knorrigen, aus der Erde ragenden Wurzeln, saß Konjaru, die Hände auf den Knien, die Augen geschlossen. Hierher zog sich sein Liebster also zurück, wenn er meditieren wollte. Manju verstand nicht, warum er einen Baum dem Tempel oder einem Schrein vorzog. Dann schüttelte er den Kopf, lächelte. Wie hatte er es nur vergessen können. Die Drachenkrieger verehrten Kalanja, die Mutter , und wo war man ihr am nächsten, wenn nicht mitten in der Natur?

Da war es wieder, dieses Summen unterbrach seine Gedankengänge. Manju lauschte. Konjaru atmete ruhig ein und aus, doch er summte nicht, vielmehr schien die Luft um ihn herum diese Geräusche zu verursachen, ja regelrecht zu vibrieren. Sachte schickte Manju einen telepathischen Ruf aus, doch Konjaru reagierte nicht.

Sorge stieg in ihm auf. Rassenübergreifende Telepathie war sicherlich anstrengender als zwischen zwei gleichrassigen Personen, doch bisher hatte sein Gefährte damit keine Schwierigkeiten gehabt. Entgegen seinem ersten Gedanken, Konajrus Meditation nicht zu stören, verließ Manju den Weg, eilte quer über die Wiese auf die Bäume zu.

Bereits bevor er sich vor ihm auf die Knie fallen ließ, nahm er das blasse, angespannte Gesicht, die feinen Schweißperlen auf der Stirn Konjarus wahr. Hier stimmte definitiv etwas nicht. Sanft berührte er die Schulter des Drachenkriegers. Konjaru öffnete langsam die Augen.

„Nun fällt es also auch schon anderen auf?“

„Was fällt auf? So kenne ich Dich nicht. Was ist bloß mit Dir los?“ Er strich ihm sanft übers Gesicht. „ Co'ru , bitte.“

Konjarus Lippen streiften Manjus Hand. Allmählich bekam sein Gesicht wieder ein wenig Farbe. „Ich weiß nicht, was die Ursache ist, aber ich kann Dir zeigen, was mit mir geschieht.“

Er hob die Hand, drehte die Innenfläche nach oben. Eine kleine blassblaue Flamme flackerte auf, tanzte nervös herum. Konjaru schloss die Finger darum, ließ sie erlöschen. „Verstehst Du?“

Manjus Augen weiteten sich, er nickte. Die Magie Konjarus war saphirfarben. Diese blassblaue Flamme, das starke Flackern. „Deine Magie ist aus dem Lot, geschwächt.“ Er forschte in Konjarus Gesicht. „Seit wann?“

„Erinnerst Du Dich an die Auseinandersetzung am Tor?“

„Als Felix sich veränderte und mich beinahe getötet hätte? Ja, daran erinnere ich mich noch sehr gut.“

„Ich war danach müde und dachte, dass es nur etwas Ruhe bedarf, bis meine Magie sich wieder erholen würde. Doch das geschah nicht. Im Gegenteil, sie wird immer schwächer. Der große Alte wüsste vielleicht Rat, doch ich kann ihn von hier aus nicht erreichen.“ Er lehnte sich zurück.

„Yashi oder mein Onkel wissen sicher einen Weg um Kontakt herzustellen. Ich werde sie fragen…“

„Nein!“

„Aber…“

„Nicht Dein Onkel, auch sonst niemanden. Yashi werde ich um Rat fragen, aber ich werde dem Reich keine Schande machen, indem ich geschwächt wie ein kleines Kind vor einen Ja'neisa trete und um Hilfe bitte.“ Er richtete sich auf, straffte die Schultern.

Es war mehr ein leises Flüstern, doch Konjaru hörte es. „Ich bin auch ein Ja'neisa.“ Heftig zog er den betrübt blickenden Manju an sich, barg den Kopf an seiner Schulter.

„Du bist mein Co'ru , wie könnte ich in den Spiegel sehen, wenn ich Dir gegenüber nicht ehrlich bin?“ Manju erwiderte die Umarmung, seufzte. Schon wieder standen die Ereignisse des Drachenkrieges wie drohende Schatten neben ihnen. Doch dies war etwas, das sie gemeinsam angehen mussten und Konjaru war dazu momentan nicht in der Lage.

„Lass uns zum Gasthof zurückkehren, Manju. Ich werde mich ein wenig hinlegen.“ Manju blickte dem Drachenkrieger nach, wie er mit festen, wenn auch langsamen Schritten auf den Gasthof zuging. Sein Herz zog sich zusammen. „Ishan und all ihr Götter, nehmt mir meinen Geliebten nicht.“


Warum musste der Platz dieser Rolle ausgerechnet eines der obersten Regale sein? Felix blickte seufzend auf die hohen Regale, doch es half nichts. Er konnte die Prophezeiung nicht einfach auf dem Boden liegen lassen. Während die Tinte auf seiner Abschrift trocknete, rollte er das Pergament sachte zusammen, steckte es in sein Hemd um beide Hände frei zu haben. Flink kletterte er die Leiter hoch, legte die Schriftrolle zurück an ihren Platz.

In Gedanken versunken kletterte er hinunter, hob die Abschrift des Textes auf, steckte sie zusammengefaltet in seinen Gürtel.

Ein lautes Knurren. Felix legte sich die Hände auf den Bauch. Es war wohl Zeit, sich mal wieder im Gasthof blicken zu lassen. Lucanja würde in Kürze das Abendessen servieren. Möglicherweise war auch Tapani endlich zurück, wo auch immer er die ganze Zeit gesteckt hatte.

Felix zog die schwere Tür der Bibliothek hinter sich zu, eilte durch die Gänge des Gebäudes. Gedankenversunken ging er an den Torwachen vorbei, stieg die Stufen der großen Eingangstreppe hinunter und machte sich auf den Heimweg. Er hatte keinen Blick übrig für die letzten Sonnenstrahlen, die den Himmel in sanftem Rot erglühen ließen. Unaufhörlich kreisten seine Gedanken um die Prophezeiung Kay'shamarus.

Das Klappern des Geschirrs ließ Felix aufblicken. Doch es war nur Lucanja, die die leeren Suppenschalen abräumte. Er seufzte. Bisher verlief das Abendessen schweigend. Manju war in Gedanken versunken, Yashi und Konjaru fehlten. Tapani hatte ihn nur kurz begrüßt, war mit den Worten „wichtige Geschäfte“ schnell wieder verschwunden. Nach vergeblichen Versuchen mit dem Elben eine Unterhaltung anzufangen, ließ er ihn alleine.

Auf dem Weg in sein Zimmer begegnete er Lucanjas Sohn, den er am Tage ihrer Ankunft in Akshareen bereits einmal gesehen hatte. Leider konnte er sich nicht mehr an den Namen des Jungen erinnern, so dass er ihn zum Gruß nur kurz anlächelte. Sicher hatte der Junge wieder die Lampen in der Kammer angezündet, damit er nicht erst im Dunkeln zum Tisch tappen musste.

Dort angekommen sah Felix, dass nicht nur die Öllampe brannte, sondern neben einem Krug Wasser sogar ein Teller mit kleinen Gebäckstückchen auf dem Tisch stand. Er musste Yashi fragen, wie er der Wirtin und ihrem Sohn eine kleine Freude machen könnte. Diese kleinen Aufmerksamkeiten verdienten Dank. Kurz fragte er sich, ob wohl auch hier absteigende Elben dies so sehen würden.

Er schob sich ein Gebäckstückchen in den Mund, schloss genüsslich die Augen. Honig, Mandeln und ein ihm unbekannter, wenn auch köstlicher Geschmack breiteten sich in seinem Mund aus. Er hatte schon fast den halben Teller Gebäck verputzt, als er, immer noch kauend, das Pergament aus seinem Gürtel zog und auf dem Tisch ausbreitete. Wieder und wieder las er die Zeilen. Doch statt verständlicher zu werden, verwirrten sie ihn immer mehr.

“Höret ihr Mächtigen, die ihr trunken von Wein und Glück die Geburt des neuen Tages feiert:

Wenn die Kinder das Blut Kalanjas meucheln, die Herrschaft des Silbers endet, das Licht des Herzens verblasset, dann suchet den Gezeichneten Illaris. Erkennet die Zeichen, die da sind verborgen, tief in ihm, denn der Dunkle erwachet.

Wappnet euch. In der Dämmerung des Tages beginnt die letzte Schlacht im Angesicht des Blutmondes.

Geteiltes Herz, neu geboren in Blut und Tränen. Höre den leisen Ruf des Vogels in der tiefsten Dunkelheit der Nacht. Wirst Du Hüter oder Herrscher sein? Fremdes Kind, gesegnet, verflucht, Rettung oder Untergang. Finde Deinen Weg alleine, oder das Licht des Tages wird auf ewig erlöschen.“

Wie hatten die Weisen daraus auch nur einen einzigen Schluss ziehen können? Er steckte das Papier wieder zurück in seine Gürteltasche. Der Schlüssel mochte in der Geschichte Akshars liegen, doch er war zu müde um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Gähnend streckte er sich.

„So grüblerisch, mein kleiner Vertan?“ Tapani hatte unbemerkt die Kammer betreten, zog Felix an sich, wuschelte ihm durchs Haar.

„Ich bin nur müde.“ Eigentlich hatte er Tapani alles erzählen wollen. Die Begegnungen mit Illari und Vadin, der Fund der Prophezeiung, doch Felix schwieg.

„Anstrengender Tag, was?“ Seine Lippen fuhren über Felix' Hals, neckten, knabberten an seinem Ohr. „Dann willst Du wohl sicher gleich ins Bett gehen.“ Der Ba'nei schien nicht über seine Geschäfte reden zu wollen. Zielstrebig fuhren seine Hände unter Felix Hemd, liebkosten seine Brust, glitten tiefer. Felix stöhnte kehlig auf, als Tapanis Finger ihn umschlossen, liebkosten, reizten. Der Ba'nei lachte leise auf, löste sich von ihm. „Dafür scheinst Du mir nicht zu müde zu sein“, raunte er Felix zu.

Hastig streiften sie sich die Kleider vom Leib, ließen sich engumschlungen aufs Bett sinken. Das Reden würde warten müssen, war Felix' letzter Gedanke, bevor Tapanis Hände und Lippen ihm das Denken unmöglich machten.

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als sich ihre verschwitzen Körper nebeneinander ausstreckten, sie sich aneinander kuschelten. Tapanis leises Schnarchen zeigte Felix, dass sein Geliebter erschöpft eingeschlafen war. Etwas war diesmal anders gewesen. Der Gedanke war lächerlich, aber Tapani hatte ihn mit einer Leidenschaft und Intensität geliebt, als ob es kein Morgen geben würde. Unwillig schüttelte Felix den Kopf, bettete seinen Kopf an Tapanis Schulter. Er sollte aufhören, sich über den Ba'nei den Kopf zu zerbrechen. Kurze Zeit später schlief auch er ein.

XXX

Der Mond tauchte das Land in silbernes Licht. Am wolkenlosen Himmel funkelten unzählige Sterne wie kleine Diamanten. Yashi liebte solch klare Nächte. Zufrieden steuerte er auf den Gasthof zu. Lucanja hatte ihm bestimmt noch etwas zu Essen bereitgestellt, bevor sie sich schlafen legte.

Beinahe wäre er an dem schweigenden Elben vorbei geschwebt der, halb verdeckt durch einen Busch, auf der kleinen Holzbank neben dem Eingang saß. Yashi musterte seinen ehemaligen Schüler. Manju war selbst für einen Elben sehr blass. Er wandte den Kopf, blickte Yashi an.

„Auch Tee?“ Manju hob seinen Becher, wies auf die große Kanne neben sich.

„Gerne.“

Er wartete, bis sich der Grünling mit seinem gefüllten Becher neben ihm niederließ. „Du scheinst dem Jungen den Kopf zurecht gerückt zu haben.“

„Oh, das brauchte ich nicht. Er hat von sich aus beinahe den ganzen Tag alleine in der großen Bibliothek verbracht.“

„Warum hast Du ihn allein gelassen? Ich dachte, dass Du ihn etwas in die richtige Richtung lenken wolltest.“

„Er muss seinen Weg alleine finden. Ich wurde erst vor wenigen Stunden wieder daran erinnert, auf eine höchst ungewöhnliche Weise. Wo ist denn Konjaru?“

„Wir verbringen den Abend einmal nicht zusammen, schon werden Fragen gestellt? Es steht nirgends geschrieben, dass ein Paar immer zusammen sein muss.“

Yashi sah ihn an, zog die Augenbraue hoch.

Manju seufzte, fuhr sich durchs Haar. „Er ist wieder bei der großen Masari, nahe des Ishan-Schreins. Es ist sein bevorzugter Ort zur Meditation.“

„Soll ich mit ihm sprechen?“ Yashi drehte seinen Becher zwischen den Fingern, wartete auf eine Antwort. Manju gab keinen Laut von sich. Der Grünling hob den Kopf.

„So ernst also?“ Yashi stellte seinen Becher auf die Bank. „Dann werde ich Dich nun alleine lassen. Der Schrein soll bei Mondlicht wunderschön aussehen.“

Noch lange starrte er dem kleinen Grünling nach, voller Hoffnung und Angst zugleich.


„Willst Du mir nicht erzählen, was mit Dir los ist?“

„Yashi“, Konjaru öffnete die Augen. „Ich habe nicht gespürt, dass Du Dich näherst.“

Der Grünling zog die Brauen zusammen. Hier stimmte etwas gar nicht. Die Drachenkrieger waren stolz auf ihre über Jahre hinweg geschärften Sinne. Er legte die Hände auf Konjarus Kopf. „Gestattest Du?“

„Ja.“

Forschend, tastend schickte er seine Magie aus. Sah Konjarus Schwäche, seine versiegende Magie. Er löste den Kontakt, dachte fieberhaft über eine mögliche Ursache nach. „Seit wann?“

„Der Vorfall am Tor.“

Yashi schüttelte den Kopf. „Auch wenn es eine sehr starke Macht war, die wir an jenem Abend zurück in ihre Schranken verwiesen haben. Deine Magie ist Dir angeboren, sie würde nicht so einfach langsam erlöschen.“

„Ist sie wirklich angeboren oder ziehen wir unsere Kraft nur aus der allgegenwärtigen Magie im Drachenreich?“ Er bemerkte die sich weitenden Augen des Grünlings, den Ausdruck des Verstehens. „Yashi, was ist?“

„Ich denke, dass ein Körnchen Wahrheit in Deiner Frage steckt. Draconi und Drache finden in der Jugend zueinander, gehen eine mentale Verbindung ein. Dies könnte Auswirkungen darauf haben, wie stark die Magie ist, wenn Reiter und Drache getrennt sind. Seit über vier Monden sind Du und Silberklaue getrennt. Aber dennoch, die magischen Fähigkeiten werden euch in die Wiege gelegt. Eine Trennung dürfte keine derart extremen Folgen haben.“

„Und wenn die Verbindung seit der Geburt bestand?“, warf Konjaru leise ein, blickte fest in Yashis Gesicht.

„Auch wenn ich gestehen muss, dass Deine Magie wesentlich stärker ist, als bei einem Krieger Deines Alters zu erwarten wäre. Was ?!“ Yashi starrte Konjaru an. „Was hast Du eben gesagt?“

„Was ist, wenn die Verbindung seit der Geburt besteht?“

Yashi erinnerte sich an Legenden über jene Handvoll Auserwählte, die Draconi lucis , deren Verbindung mit einem Drachen einer vollständigen Verschmelzung der Seelen sehr nahe kam. Doch konnte es wirklich sein?

Konjaru fuhr sich mit der Hand über sein Gesicht, strich das Haar zurück. Sein Mundwinkel zuckte. Er konnte sich nicht dran erinnern, je einen derart ungläubigen Ausdruck auf Yashis Gesicht gesehen zu haben.

Dieser erholte sich von der Überraschung. Wissbegierig brannte er darauf, mehr über seinen ehemaligen Schüler zu erfahren. „Ich erinnere mich daran, dass Silberklaue bereits hinter Dir her tapste, als er noch so klein wie ein junger Drachenbär war. Da musst Du etwa 95 Jahre alt gewesen sein. Normalerweise frage ich nicht nach, da es eine sehr persönliche Angelegenheit ist, auf welchem Wege sich Drache und Draconi finden. Doch sag mir, seit wann?“

Konjaru antwortete nicht gleich, zögerte. Doch dann, mit Blick zu den Sternen begann er zu sprechen.

„Meine Mutter sagte mir, dass sie kurz nach meiner Geburt ein Geräusch an der Haustür hörte, ein leises Kratzen. Sie öffnete. Ein kleiner Drache, nicht größer als ein Kätzchen schoss durch den Türspalt, rannte quer durch den Raum bist zur Wiege. Der Kleine fiepte und krächzte.“

Ein Lächeln huschte über Konjarus Lippen. „Er gab erst Ruhe, als meine Mutter ihn hochhob und neben mich legte. Sie suchte in der Umgebung nach seiner Mutter, doch sie fand niemanden. Was sehr ungewöhnlich ist, da Drachenmütter ihre Jungen nie einfach so alleine lassen würden. Regenbogen, der Drache meines Vaters half meinen Eltern dabei, außer meinen Geschwistern und mir auch noch einen Babydrachen groß zu ziehen.“

„Ein Drache des Lichts… unglaublich. Es gibt nicht viele Draconi, die so gesegnet werden.“ Yashi konnte es kaum glauben.

„Ich werde zurückkehren müssen. Silberklaue…“

Yashi nickte. „Es wird keinen anderen Weg geben, als dass Du so schnell wie möglich wieder bei Deinem Drachen bist. Wer weiß, welche Auswirkungen dies alles auf ihn hat. Womöglich weiß auch Rubinkralle einen Weg, dass dies nicht noch einmal geschieht. Ich weiß, dass Du Deinen Drachen nur zurückgeschickt hast, weil der große Alte lediglich Dir den Aufenthalt in Akshar genehmigt hat. Außerdem konnte er wohl nicht ahnen, dass Du so lange bei uns bleiben würdest.“

„Yashi“, Konjaru schluckte. „Wie soll ich rechtzeitig zurückkehren? Ich spüre, wie ich mit jedem Tag schwächer werde.“

„Es gibt einen Weg. Doch ich werde Hilfe brauche. Bitte gestatte mir, Meister Yagoda beizuziehen.“

Konjaru schwieg, überlegte. Schließlich nickte er. „In Ordnung. Doch Yashi, keinen der Elben oder Ja'neisa. Sie brauchen nichts von meiner Schwäche zu wissen.“

Der Grünling verkniff sich den Kommentar, dass der Drachenkrieger Nacht für Nacht sein Lager mit einem Silberhaar teilte. „Ich werde Deinen Wunsch respektieren. Geh schlafen, mein Freund. Du wirst Deine Kräfte noch brauchen.“

Es war ein kurzer Weg zum Palast. Lautlos schwebte der kleine Grünling an den schlummernden Wachen vorbei, bog ab und begab sich in den Flügel mit den Schlafgemächern. Unter der Tür Yagodas schimmerte Licht. Yashi lächelte. Sein Mentor hatte sich nicht verändert. Er klopfte.

„Wer da?“

„Yagoda, ich muss mit Dir sprechen.“ Er hörte ein Rumpeln, Schritte. Knarrend öffnete sich die Tür.

„Yashi? Komm rein, Junge. Erzähl, was führt Dich mitten in der Nacht zu mir?“ Yashi folgte seinem Mentor in den Raum, setzte sich neben ihn an den Tisch, der mit Schriftrollen und Notizblättern übersät war. Mit einer energischen Armbewegung fegte Yagoda eine Ecke des Tisches frei. „Warte ich hol uns noch Tee, dann reden wir.“

„Was denn? Du zauberst die Kanne nicht herüber?“, neckte Yashi ihn. Ach es war viel zu selten, dass sie so beieinander waren, redeten.

„Von Hand aufgebrühter Tee ist durch nichts ersetzbar. Hol uns Tassen, während ich mich um den Tee kümmere.“ Kurze Zeit später saßen sie wieder beisammen, tranken ihren Tee. „Nun sag, was kann ich für Dich tun?“

„Kennst Du die Legenden über die Draconi lucis ?“

Yagoda nickte langsam. „Ich glaube mich zu erinnern, dass Rubinkralle mir in unserer Jugend einmal etwas darüber erzählt hat. Warum?“

„Konjaru ist ein Drache des Lichts. Seine Magie ist beinahe erloschen. Ich glaube, dass es an der Trennung zwischen ihm und seinem Drachen liegt. Aber was auch immer die Ursache dafür ist, er muss auf schnellstem Wege wieder zurück ins Drachenreich.“

„Ich verstehe.“ Yagoda nickte bedächtig.

„Deswegen bin ich hier. Wir müssen den großen Alten kontaktieren. Nur Rubinkralle kann Drachen herschicken, um Konjaru nachhause zu bringen.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob wir ihn kontaktieren können. Er selbst wäre ohne weiteres in der Lage, uns zu rufen. Aber wir?“ Yagoda hob fragend die Augenbrauen.

Yashi zog ein kleines Röhrchen aus seiner Gürteltasche, schüttelte es leicht. Rotgoldenes Pulver war zu sehen, nicht viel, höchstens eine Messerspitze. „Hiermit. Aber ich kann die Formel nicht alleine sprechen.“

„Ist es das, wofür ich es halte?“ Neugierig inspizierte Yagoda das Röhrchen, betrachtete den Inhalt.

Yashi nickte. „Blut und eine Schuppe von Rubinkralle. Er gab es mir für Notfälle.“

Sein Mentor lächelte. „Du musst Dir sein Vertrauen wahrlich verdient haben. In den falschen Händen könnte diese Gabe großes Unheil anrichten. Komm, lass uns den alten Knaben aufwecken.“ Yagoda stellte die Tasse hin, holte eine silberne Schale aus einem der vielen Regalfächer, die vor lauter Büchern und Schriftrollen überquollen. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen. „Wir werden heiliges Feuer benötigen.“ Yagoda überlegte kurz, dann hellte sich seine Miene auf. „Komm.“

„Vadin?“

„Vadin ist unser Schutzpatron, der Gott der Wissenschaft. Er wird uns nicht zürnen, wenn wir einen kleinen Funken seines Tempelfeuers verwenden.“

Schweigend machten sie sich auf den Weg. Jeder hing den eigenen Gedanken nach. Ein Zauber aus Feuer und Blut würde sie viel Kraft kosten, doch nur so würden sie die Drachen rufen können.

Der weiße Marmor des Tempels schimmerte im hellen Mondlicht. Keiner der Priester war zu sehen, als sie die Stufen hoch schwebten, die Tür öffneten und das Tempelinnere betraten. Sie durchquerten den Gebetsraum, der von kleinen, nur gedämpft leuchtenden Lichtkugeln erhellt wurde. Yashis Blick schweifte durch den Tempel, blieb an dem kleinen, blumengeschmückten Bildnis Thasins hängen, das die Priester in der Ecke des Raumes aufgestellt hatten.

Vor dem mit Blumen und Opfergaben geschmückten Altar blieben sie stehen. An beiden Seiten des Altars brannte Feuer in großen goldenen Schalen, die von kunstvoll gearbeiteten Ständern gehalten wurden. Das heilige Feuer. Ehrerbietig verneigten sie sich vor Vadins Bildnis. Ein Gebet murmelnd hob Yagoda die silberne Schale empor, erflehte Vadins Segen, legte sie vor dem Altar auf den Boden.

Er kniete sich vor die Schale. „Yashi, das Feuer.“

Yashi tat wie ihm geheißen. Er griff mit seiner Magie in die Flammen des Tempelfeuers, hob eine kleine Flamme heraus. Kurz darauf tanzte sie in der Schale. Yashi kniete neben seinem Mentor, die silberne Schale zwischen ihnen. Sie hoben die Hände, fütterten die Flamme mit ihrer Magie. Sie schwoll an, tauchte den Raum in grünes Licht. Yagoda lächelte zufrieden. „Soweit so gut. Nun der schwierigste Teil. Gib Schuppen und Blut ins Feuer, dann leg all Deine Kraft, Deine Magie ins Feuer, rufe.“

Yashi nickte, holte das kleine Röhrchen hervor. Behutsam öffnete er den Verschluss, schüttete das Pulver in die Flammen. Roter Rauch stieg auf, vernebelte ihnen die Sicht. Ununterbrochen murmelten sie die uralten Beschwörungsformeln, riefen nach dem Alten. Kleine Schweißperlen rannen über ihre Gesichter, doch sie ließen nicht nach.

Ein Schatten wurde in den Flammen sichtbar. Am liebsten hätte Yashi vor Freude in die Hände geklatscht, doch er wagte es nicht, auf nur einen Augenblick nachzulassen. Das Bild wurde klar, gab den Blick auf einen Haufen roter Felsen frei, Felsen die anfingen sich zu bewegen. Es war immer wieder ein beeindruckendes Schauspiel. Gemächlich entrollte sich der feuerrote, goldgesprenkelte Drache, reckte sich, spreizte seine mächtigen Schwingen. Er blinzelte den beiden aus seinen saphirblauen Augen zu.

„Wisst ihr eigentlich, wie spät es ist?“ Rubinkralle gähnte, gab den Blick auf eine Reihe scharfer Zähne frei.

„Ich grüße Dich, alter Freund.“ Yagoda neigte den Kopf. „Zu lange schon haben wir uns nicht mehr gesehen.“

„Yagoda, wahrlich ist es schon wieder 500 Jahre her? Die Zeit vergeht einfach viel zu schnell, mein junger Freund.“

Yashi hüstelte. Nur ein Drache, der zu den Erstgeborenen seiner Rasse zählte, konnte einen über 700 Jahre alten Grünling jung nennen. Rubinkralle blinzelte ihm zu.

„Ich habe hier immer noch ein Pack Masam-Tee, Yashi. Du könntest Dich mal wieder bei mir blicken lassen. Doch nun sagt schon, was bringt euch dazu, mich aus meinen Träumen zu reißen?“

Yashi ergriff das Wort. „Ehrenwerter, nicht ohne Grund ersuchen wir um Deine Hilfe. Konjaru ist erkrankt. Es ist sehr ernst.“

Rubinkralle richtete sich auf, kniff die Augen zusammen. „Heute Nachmittag kam Goldauge zu mir. Silberklaue hat sich zurückgezogen, wirkt geschwächt. Sie und Panjaru sind bereits unterwegs.“

„Dann hatte ich Recht. Es liegt an der Verbindung.“

„Erzähl.“ Rubinkralles Schwanzspitze zuckte unruhig, klopfte auf den Boden.

„Konjarus Magie verblasst, beginnt zu erlöschen. Ich glaube, dass es an der Trennung zwischen ihm und Silberklaue liegt. Er ist im Grunde nur die Hälfte eines Ganzen. Er ist ein…“

„… Drache des Lichts. Du hast Dir unsere Legenden gut gemerkt, mein grüner Freund.“

„Könnt ihr einen Weg finden, damit Konjaru sich uns später wieder anschließen kann?“

„Wird seine Unterstützung denn benötigt? Oder bittest Du für den spitzohrigen Freund, den Sakuna und Nimjaru erwähnten.“

„Es wäre auch von Vorteil, wenn die Beiden einen Weg finden könnten, um zusammen zu bleiben. Aber hier geht es um viel mehr. Ich fürchte, dass Zadoks Heerscharen bald wie Heuschrecken über unser Land herfallen werden. Ohne eure Unterstützung werden wir ihn nicht bezwingen können.“

„Habt ihr den Auserwählten? Konjaru berichtete von einem seltsamen Fremdling.“

„Wir glauben, dass er derjenige ist. Doch er muss den Weg alleine finden. Sogar Illari…“

„Oh.“ Rubinkralle kratzte mit der Pfote über seine Schnauze. „Gut wir werden uns überlegen, wie wir euch helfen können. Wenn Illari persönlich eingreift, hören auch wir zu. Gebt Panjaru einen Bericht über die jüngsten Ereignisse in Akshar mit. Nun lasst mich schlafen.“ Er rollte sich wieder zusammen, steckte seinen Kopf unter die Schwingen. Sein Bild verblasste und die beiden Grünlinge waren wieder alleine. Blass und erschöpft lehnten sie sich an den Altar, fielen in einen tiefen Schlaf.

XXXI

Schon wieder. Felix starrte frustriert zur Decke. Tapani hatte vor wenigen Minuten die Kammer verlassen. Statt sich über das ständige Verschwinden zu unterhalten, waren sie erneut im Bett gelandet. Wütend hieb er mit der Faust ins Kissen. Was war nur mit dem Ba'nei los?

Felix stand auf, suchte seine Kleidung zusammen und ging, nur mit einem Handtuch bekleidet, ins Badehaus. Während das kalte Wasser auf seinen Körper prasselte, seine Lebensgeister weckte, hing er seinen Gedanken nach.

“Höret ihr Mächtigen, die ihr trunken von Wein und Glück die Geburt des neuen Tages feiert: Wenn die Kinder das Blut Kalanjas meucheln, die Herrschaft des Silbers endet, das Licht des Herzens verblasset, dann suchet den Gezeichneten Illaris. Erkennet die Zeichen, die da sind verborgen, tief in ihm, denn der Dunkle erwachet.“

Die Mächtigen, damit waren sicherlich die Ja'neisa gemeint. Sie waren nach dem Krieg die regierende Rasse. Der Dunkle war Zadok. Doch der Rest, würde er das Rätsel je lösen können?

Er trocknete sich ab, schlüpfte in seine Hosen. Gerade wollte er zu seinem Hemd greifen, als draußen Lärm ausbrach. Laute, aufgeregte Rufe, Flügelschlagen. Neugierig eilte Felix aus dem Badehaus, die kleinen Steine auf dem Boden des Innenhofes pieksten seine nackten Fußsohlen. Lucanja stand da, starrte mit weit aufgerissenen Augen in den Himmel. Felix hob den Kopf. Er traute seinen Augen nicht, als ein grosser Schatten über den Hof glitt. Ein Drache! Er musste sofort zu Yashi und den anderen. Noch im Laufen streifte er sich das Hemd über, schlang den Gürtel um seine Hüften. Im Speiseraum blieb er abrupt stehen, strich sich das noch feuchte Haar aus der Stirn.

Neben zwei völlig übernächtigt aussehenden Grünlingen saß ein junger Drachenkrieger. Er trug sein braunes Haar länger, als Felix es bisher bei Drachenkriegern gesehen hatte. Wer der junge Mann wohl war? Neugierig trat Felix näher. Der Fremde redete schnell auf Yashi und Yagoda ein. Sie hoben die Köpfe, als sie den Jungen bemerkten.

„Felix, dies ist Panjaru von den Drachenreitern, der jüngere Bruder Konjarus.“ Yashi winkte ihn zu sich, wandte sich wieder an den Neuankömmling. „Panjaru, darf ich Dir den Jungen vorstellen, von dem ich Dir eben erzählt habe.“ Felix begrüßte Panjaru, erwiderte dessen knappe Verbeugung. Die Familienähnlichkeit war nicht zu verleugnen. Er hätte eine kleinere Ausgabe von Konjaru sein können, wenn nicht dieser eher verschmitzte Ausdruck in seinen Augen gewesen wäre.

„Mein Bruder, ehrenwerter Yashi?“ Panjaru schien es eilig zu haben.

„Ich habe Manju nach oben geschickt. Sie sollten gleich hier sein. Gib ihnen Zeit zum Abschied.“

Abschied? Felix blickte Yashi verwirrt an. „Konjaru verlässt uns?“

„Es wird nur für eine kurze Weile sein. Er ist sicher bald wieder bei uns.“ Felix musterte die Anwesenden misstrauisch. Was war hier bloß los? Doch an ihren unbeweglichen Mienen war nichts abzulesen.


„Panjaru ist hier, Co'ru .“ Manju trat vor Konjaru, strich ihm die lange, dunkelblaue Seidentunika glatt, legte ihm die Wange auf die Brust, atmete tief den vertrauten Geruch seines Liebsten ein.

Konjaru hob die Arme, hielt ihn fest. „Mein Bruder? Wie?“

„Yashi und Yagoda haben einen Weg gefunden, mit dem großen Alten zu reden. Dein Bruder ist mit seinem Drachen hier um Dich nachhause zu holen. Silberklaue ist ebenfalls krank.“ Manju spürte, wie sein Liebster erstarrte.

„Silberklaue? Ich muss gehen. Oh, Co'ru .“ Konjarus Stimme brach.

Manju hob den Kopf, die Augen glänzten feucht. „Wir sehen uns doch bald wieder. Glaub bloß nicht, dass Du einfach auf einen Drachen steigen kannst um mich loszuwerden.“ Sanft strich Konjaru über das Gesicht seines Freundes, liebkoste ihn.


„Du schon wieder!“, zischte Bayuna, vertrat ihm den Weg. Diesmal würde er ihr nicht so einfach davonkommen.

„Lass mich in Ruhe. Zadok wartet nicht gerne.“ Er schob sie zur Seite, lief weiter den langen Flur entlang.

„Du bist spät.“ Zadok blickte ihm grimmig entgegen, als er den düsteren Thronsaal betrat. Der Angesprochene fiel auf die Knie, beugte sich Zadoks Macht. „Gute Neuigkeiten, Zadok. Der Drachenkrieger wird Akshar verlassen. Es werden weniger, die zwischen uns und dem Jungen stehen. Bald schon wirst Du den Jungen hier, im Thronsaal, willkommen heißen könnten.“

Zadok verzog das Gesicht zu einem diabolischen Grinsen. „Gut gemacht. Nun geh, bring mir Resultate.“

Bayuna knirschte mit den Zähnen. Am liebsten hätte sie geschrien, doch sie wollte ihren geheimen Horchposten nicht verraten. Schon wieder diese Vertraulichkeit zwischen den beiden. Sie würde schon noch herausfinden, welche Verbindung zwischen ihnen bestand. Niemand würde sich zwischen sie und die Macht stellen, die sie als Frau an Zadoks Seite und Anführerin seiner Truppen erhalten würde.


Eng umschlungen standen sie da. Küssten sich, zärtlich, versprechend. Worte waren überflüssig. Sie lösten sich von einander. Hand in Hand verließen sie das Zimmer, stiegen die schmale Treppe hinunter. Kurz bevor sie den Speiseraum betraten, drückte Konjaru ein letztes Mal Manjus Hand, ließ ihn los und trat vor seinen Bruder. Sie blickten einander an, verbeugten sich.

„Panjaru“, Konjaru musterte seinen Bruder. „Wie hast Du es geschafft, dass Oberst Hamarun Dir Urlaub gewährt hat?“

„Ich habe die Ausbildung früher als erwartet abgeschlossen, Bruder. Im Augenblick durchstreifen Goldauge und ich die Berge und Ebenen.“

Konjaru lächelte stolz. „Meinen Glückwunsch. Ich wusste, dass Du unserer Familie Ehre erweisen würdest.“

Sein Bruder nickte, die Augen strahlten über das ausgesprochene Lob. „Ich warte draußen, teile Goldauge mit, dass wir bald aufbrechen werden.“ Nach einem letzten Gruß an die Anwesenden eilte er aus dem Raum.

Konjaru wandte sich an die wartenden Grünlinge, neigte den Kopf. „Ich danke euch. Doch nun verabschiede ich mich von euch. Lebt wohl. Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“ Er wandte sich ab, verließ den Gasthof.

Draussen warteten bereits Panjaru und Goldauge. Manju stand neben ihnen. In einiger Entfernung standen einige Elben, die tuschelnd zu ihnen herüber blickten. Noch eine kurze Umarmung, ein flüchtig getauschter Kuss, dann stieg Konjaru schweren Herzens hinter seinem Bruder auf den Drachen, hielt sich an ihm fest.

„Du bist eine richtige Schönheit“, Konjaru strich bewundernd über die silbergoldenen Schuppen. Silberdrachen waren selten. Sein Bruder hatte mit seiner Gefährtin großes Glück und Ehre in ihren Clan gebracht. Goldauge wandte den Kopf, zwinkerte ihm zu. Sie schien für Komplimente sehr empfänglich zu sein.

Panjaru lachte. „Verwöhn sie nicht zu sehr, großer Bruder. Sonst will sie nur noch süße Worte hören.“ Goldauge schnaubte, schnappte spielerisch nach ihm. Er strich ihr besänftigend über den Hals. „Ya'nu kaaa“ Der Drache reagierte auf den Ruf, breitete die Schwingen aus, stieß sich vom Boden ab. Majestätisch erhob sie sich in die Lüfte. Nach einer letzten Runde über dem Gasthof sprach Panjaru den Tarnzauber, sie verschwanden.


„Bayuna!“ Zadoks Stimme donnerte durch den Palast. Aufgeregt lief er durch den Thronsaal, seine schwere Robe raschelte bei jedem Schritt. Er würde nicht länger nur darauf warten, dass ihm der Junge gebracht wurde. Nun musste er von zwei Seiten her zuschlagen. „Bayuna!“

Die junge Frau eilte durch die Tür, die Haare noch feucht vom Bad. Sie warf sich vor Zadok auf die Knie. „Ja, Meister?“

„Formiere die Truppen.“

„Meister?“ Bayuna riss den Kopf hoch.

Zadok blieb vor einem grossen Tisch stehen. winkte sie zu sich, zeigte auf einen markierten Punkt auf der Karte. „Hier, der Übergang zwischen den Schwarzbergen und der Steppe. Schlagt zu. Rennt solange gegen diesen verfluchten Bann an, bis aus kleinen Rissen riesige Löcher werden. Bis er nicht nur einzelne von uns, sondern eine ganze Armee durchlässt.“

Bayuna salutierte, bebte innerlich vor Freude. Er übertrug ihr eine derart wichtige Aufgabe. Dieser Fremde hatte sie nicht von ihrem Platz verdrängen können. „Jawohl, Meister. Wir werden angreifen.“

Zadok sah ihr nach. Das dumme Kind. Sie glaubte wirklich, dass ihm ihre Ambitionen nach Höherem, ihre Spionagetätigkeiten nicht aufgefallen waren.


Felix starrte in den Himmel, an den Punkt, an dem Goldauge und die Drachenkrieger verschwunden waren. Drachen, sie waren einfach wunderschöne Geschöpfe Kalanjas. Ein Ruck ging durch seinen Körper, er stutzte, riss verblüfft die Augen auf. Felix dachte an die Geschichte ihrer Entstehung. “Aus ihrem vergossenen Blut schuf Kalanja die Drachen, die ersten Geschöpfe, und hauchte ihnen Leben ein.“ Aber klar doch, die Drachen waren der Schlüssel! So schnell er konnte eilte er hoch in sein Zimmer, holte die Abschrift der Prophezeiung aus der Tasche, breitete das Pergament auf dem Tisch aus. Da, genau da war die Stelle.

Wenn die Kinder das Blut Kalanjas meucheln, die Herrschaft des Silbers endet, das Licht des Herzens verblasst, dann sucht den Gezeichneten Illaris. Erkennt die Zeichen, tief in ihm verborgen, denn der Dunkle erwacht.

Das Blut Kalanjas, die Drachen. Felix Augen leuchteten. Er las weiter. Herrschaft des Silbers, damit mussten die Ja'neisa gemeint sein. Ihre Herrschaft über Akshar endete, nachdem Vadin den Krieg zwischen den Reichen auf seine Weise beendet hatte. Doch wer war der Gezeichnete? Abrupt wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Wetterleuchten, lautes Donnern, Schreie. Felix steckte das Pergament ein, eilte ans Fenster. Entsetzt starrte er auf das Geschehen.

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