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Uglo der Steinzeitjunge
Teil 10 - Eine folgenreiche Begegnung
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Informationen
- Story: Uglo der Steinzeitjunge
- Autor: Mischa Bär
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery, Krimi, Historisch
Uglo kam ganz allmählich wieder zu sich. Er lag auf dem Rücken im Schatten einiger Sträucher. Noch ehe er die Augen öffnete, zogen die letzten Ereignisse, an die er sich erinnern konnte, bevor er am Fluss in Ohnmacht gefallen war, wieder an ihm vorbei. Die schlammige Fallgrube, der brutale Schamane, der brausend tobende Gewitterregen und der Fluch des Zauberers, den er Uglo entgegengeschleudert hatte, als der ihn in die Grube gestoßen hatte. Er konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, wie der Fluch des Zauberers lautete und was er bedeutete… An einen riesigen, grimmig zotteligen Bären, der dann am Rand der Fallgrube auftauchte und den bösen Alten… Aber auch an das ohrenbetäubende Getöse und den gewaltigen Feuerregen, mit dem die alte Eiche auf der anderen Flussseite zersprungen war. Er hatte eine unheimliche Kraft gespürt, die von den kleinen bläulichen Blitzen ausging und über das Wasser hinweg nach ihm gegriffen hatte.
Uglo traute sich nicht, die Augen zu öffnen, er fühlte sich erschöpft, schmutzig, verschwitzt und allein. Er lauschte angestrengt. Das Erste, was wieder in sein Bewusstsein drang, war das laute, tosende Rauschen des Wasserfalls auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses. Ebenso ein stetiges, ungewisses Summen in seinen Ohren. Es klang, als ob ganz viele Stimmen gleichzeitig reden würden, aber alle durcheinander. Merkwürdig, er verstand kein einziges Wort. Auch schien manchmal entfernt ein Lachen zu ihm herüberzuwehen. Viele fremde Laute mischten sich dazu, ein entferntes rhythmisch-dumpfes Stampfen, begleitet von ihm unbekannten Klängen. Vorsichtig öffnete er die Augen, um sie sofort wieder zu schließen. Grelles Sonnenlicht schoss durch das lichte Blätterdach des Gebüschs in seine Augen. Er beschattete seine Augen mit der Hand, richtete sich auf und sah sich kurz um. Ja, er war immer noch am Flussufer, das Wasser rauschte wie immer, nur - es war inzwischen heller Tag, die Sonne schien und es war warm. Uglo beugte sich nach vorn, die Sonnenstrahlen blitzten genau durch das große, kreisrunde Loch im Felsen hoch oben auf der der anderen Flussseite. Also hatte der große Sonnenbogen seinen höchsten Punkt schon überschritten und der Tag war schon etwas älter. Wie lange hatte er hier gelegen, warum hatten ihn die anderen nicht gesucht oder gefunden? Sein Vater, der Sippenälteste oder Ango, der doch das Flussufer ganz genau kannte? Es war doch gleich am Zugang zur Siedlung passiert, dass…
Er stutze - er konnte sich nicht an die vielen Büsche erinnern, die ihm den Blick auf die Siedlung und die Höhlen seiner Sippe versperrten. Etwas verwirrt schüttelte er den Kopf. Uglo sah an sich herunter und beschloss, so wie er es immer getan hatte, sich erstmal rasch im Fluss abzukühlen und vor allem zu säubern. Dann wollte er zur Höhle der Eltern gehen.
Der Junge erhob sich und trat, so wie er es gewohnt war, nackt an das Flussufer. Seinen Lendenschurz hatte der Schamane ja zerrissen. Vorsichtig, um nicht auszurutschen, tastete er sich wieder Schritt für Schritt auf den glitschigen Steinen im Wasser vorwärts. Rasch reichte ihm die Strömung bis über die Schenkel. Er bedauerte, dass er seinen Fischspeer nicht dabeihatte. Eine angenehme Kühle umfing ihn, als ihm das Wasser über seinen Unterleib, den Bauchnabel, den Hintern und dann über den Rücken nach oben kroch. Mit einem kühnen Sprung hechtete er sich nach vorn und tauchte ganz in die Fluten ein. Nach ein paar schnellen Armbewegungen unter Wasser tauchte er in der Mitte des Wassers wieder auf. Er genoss es, sich ein Stück mit der Strömung in Richtung der Stromschnellen treiben zu lassen. Er kannte diese Stellen im Fluss ziemlich genau, an denen es auch für ihn gefährlich werden konnte und begann rechtzeitig, mit kräftigen Schwimmbewegungen, wieder zurück und näher an das Ufer zu gelangen. Als er wieder Grund unter den Füßen spürte, richtete er sich auf und reckte sich. Lange hatte er in der Grube gelegen und freute sich, endlich wieder die Frische des Wassers zu fühlen und seine alte Kraft zu spüren.
Seine nassen Haare schüttelte er mit einer kühnen Kopfbewegung so in die Luft, dass ein regelrechter Wasserschwall um ihn herum entstand. Und noch einmal tauchte er den Kopf ins Wasser, strubbelte sich mit den Händen durch seine langen feuerroten Haare und warf sie wieder in die Luft.
Der Bogen aus perlenden Wassertropfen sank vor seinen Augen auf die Wasseroberfläche - Uglo erstarrte, was war das? Hatte er richtig gesehen? Durch den eben noch glitzernden Wasservorhang tauchte in der Flussmitte gerade ein heller Haarschopf aus dem Wasser auf, Arme, die verzweifelt versuchten, der starken Strömung zu widerstehen, die das Etwas in seine Richtung trieb. Und wieder tauchte der Kopf aus dem Wasser auf, ein helles Gesicht mit angststarren Augen. Ein weit geöffneter Mund schnappte nach Luft, dann waren wieder nur noch die verzweifelt wirbelnden Arme zu sehen, der Kopf war wieder unter der Wasseroberfläche verschwunden. Ein Paar strampelnde Füße peitschten hoffnungslos das Wasser.
Ohne Zeit zu verlieren oder weiter nachzudenken, warf Uglo sich wieder in die Fluten und versuchte so schnell wie möglich in die Flussmitte zu kommen. Er war nicht schnell genug, kurz bevor er nach den wirbelnden Händen greifen konnte, schoss ein schlanker hellhäutiger Körper an ihm vorbei. Uglo erkannte, es musste ein hellhaariges Kind, etwa in seinem Alter sein, das hier verzweifelt um sein Leben kämpfte. Ohne weiter zu zögern, schwamm Uglo jetzt direkt in die stärkste Strömung und erhöhte selber auch sein Tempo, indem er mit kräftigen Schwimmstößen dem Körper hinterherschwamm. Er musste ihn unbedingt vor der Stromschnelle erreichen. Nicht einen Moment dachte er daran, dass das auch für ihn gefährlich werden konnte. Endlich erreichte er den Treibenden, packte mit eisernem Griff einen Fuß und begann augenblicklich seitlich gegen die Strömung zu kämpfen. Dabei geriet der Kopf des anderen immer wieder unter Wasser, aber das konnte Uglo jetzt nicht beachten. In seiner Panik begann der andere richtig mit den Beinen zu strampeln. Uglo hatte große Mühe, dass ihm der Fuß nicht aus der Hand rutschte. Er selbst wurde unter Wasser gezogen, für einen kurzen Moment schienen seine eigenen Kräfte zu schwinden. Wenn es ihm nicht ganz schnell gelingen würde, sie beide aus der mittleren Strömung zu bringen, wären sie beide verloren. Sein Kopf tauchte wieder aus dem Wasser auf, seine Lunge füllte sich wieder mit Luft. Kurz orientierte er sich zum Ufer hin. Erneut zog ihn der strampelnde Körper unter Wasser. Keuchend und unter größter Anstrengung gelang es ihm endlich, etwas weiter in Richtung Ufer zu schwimmen, die Strömung ließ merklich nach. Rasch zog er nun den Körper an sich, drehte ihn so, dass er den Kopf in die Hände nehmen konnte und ihn über Wasser halten konnte. Der Gerettete hatte die Augen geschlossen, er war zu erschöpft, um sich noch weiter zu wehren. Weder gegen den Fluss noch gegen Uglo. Atmete er noch? Uglo konnte es nicht erkennen, zu schwer ging sein eigener Atem, sein Herz wummerte in seiner Brust. Mit starken Beinstößen strampelte er sich näher ans Ufer heran. Endlich fühlte er den steinigen Boden unter den Füßen. Als er selber sicher stehen konnte, zog er sich den kraftlosen, widerstandslosen Körper über die Schultern und um den Nacken und watete behutsam ans Ufer. Jetzt nur nicht noch stürzen…
Am Ufer angelangt kniete er sich hin und ließ den Körper langsam und sachte zu Boden gleiten. Immer noch schwer atmend kniete er sich daneben. Er kam erst jetzt dazu, richtig hinzuschauen. Der Junge war doch jünger als er selbst, hatte helle Haare, so richtig goldglänzend, so wie Ango. Aber viel kürzer geschnitten. Das fein gezeichnetes Gesicht zierten einige kleine, niedliche bräunliche Punkte. Uglo ließ seinen Blick weiter über den Körper nach unten wandern. Erleichtert registrierte er, dass sich der Brustkorb des Jungen langsam hob und senkte, er atmete. An einem Arm trug der Junge etwas, das wie ein Armband aussah. Wassertropfen glänzten darauf. Uglo staunte, solch einen Fetisch trug bei Ihnen höchstens der Schamane oder zu Feierlichkeiten der Sippenälteste. Ein breiter Streifen aus dunklem Material, der oben auf dem Handgelenk in etwas Rundem mündete, das einem Amulett ähnelte. Vorsichtig fuhr er mit einem Finger darüber. Seine Finger wanderten sanft tastend weiter, den Arm hinauf. Er fühlte, dass der Junge kaum behaart war, lediglich ein zarter heller Flaum bedeckte die Unterarme und an den Schienbeinen glänzten kleine, im Sonnenlicht glitzernde Wasserperlen an den hellen Härchen. Verdutzt blickte er auf den Lendenbereich des Jungen, dort, wo die Jungen aus seiner Sippe einen Schurz aus Fell trugen, bedeckte ein seltsames Kleidungsstück den Unterleib des Jungen. Der eigenartige Schurz des Jungen ließ den Bauchnabel frei, endete aber gleich oben an den Schenkeln, die er fest umschloss. Überhaupt lag der Schurz ganz eng am Körper an. Er bedeckte wirklich nur das eine Körperteil…. Deutlich erkannte Uglo jetzt an der leichten Beule unter dem Stoff, dass er einen Jungen vor sich hatte. Der Schurz war von der Farbe, die die Frauen seiner Sippe aus den Früchten der wild wachsenden Kirsche gewannen. Ratlos hockte Uglo neben dem Jungen und wusste nicht weiter. Unentschlossen strich er ihm mit sachter Hand vorsichtig über die Brust und ließ sie dann dort liegen, wo das Herz schlagen sollte. Die Haut fühlte sich kalt an. Schwach spürte er den Herzschlag. Selbst überrascht von einem eigenartigen Gefühl der Vertrautheit, das ihn augenblicklich durchströmte, ließ er seine Hand dort liegen.
Der Junge begann zu husten, ein wenig Wasser trat aus einem Mund. Ein Zucken ging durch seinen Körper. Wie ertappt zog Uglo seine Hand zurück. Plötzlich bäumte sich der Junge auf, sein Körper schnellte nach oben, er begann zu würgen. Gleich darauf fiel er wieder zurück und der Junge erbrach sich, viel Wasser und etwas Schleim schossen aus seinem Mund. Schnell hatte Uglo ihn auf die Seite gedreht, so dass der Schleim abfließen konnte und der Junge wieder Luft bekam. Mit Tränen unter den geschlossenen Lidern drehte sich der Junge wieder auf den Rücken und beruhigte sich langsam. Fast liebevoll betrachtete Uglo das Gesicht des Knaben.
Mit einem Mal schlug der die Augen auf und starrte Uglo, der sich über ihn gebeugt hatte, ins Gesicht. Mit einer Hand fuhr er sich über das Gesicht, so, als ob er nicht glauben konnte, was er sah. Erschrecken, ja Angst kam in seine Augen. Sein Mund formte ein paar Laute, die Uglo nicht verstand. Aber er konnte aus dem Tonfall des Jungen heraushören, dass er Angst vor ihm hatte. Uglo schüttelte den Kopf und hob langsam die Hand und wollte sie wieder beruhigend auf die Brust des Knaben legen, ihm bedeuten, dass er keine Angst haben müsste. Der Junge begann zu wimmern und versuchte aus der Reichweite von Uglos Hand zu rutschen. Er sank aber gleich wieder kraftlos auf den Boden. Uglo zog seine Hand zurück tippte sich an die Brust und sagte seinen Namen. „Ich bin Uglo und wer bist du?“ Der Knabe begann zu zittern, ein einziger Schauer schüttelte seinen schlanken Körper, als ob er frieren würde. Unschlüssig stand Uglo auf. Dem Knaben, der den muskulösen, braun gebrannten und stärker behaarten Jüngling im Liegen von unten musterte, musste der andere unheimlich erscheinen. Noch unter dem Eindruck des gerade überstandenen Todeskampfes im Fluss, dann seine ihm unerklärliche Rettung und nun die unheimliche Erscheinung des Fremden, der ihm doch irgendwie vertraut erschien, ließ ihn die Fassung verlieren. Noch dazu bemerkte er, dass ... der andere vollkommen nackt war und ein… hatte…, so was hatte er noch nicht gesehen.
Ein lauter Schrei der Angst entfuhr seinem Mund. Ratlos sah sich Uglo um. Aus Richtung seiner Siedlung hörte er lauter werdende Stimmen. Ein Lachen kam in sein Gesicht, „sie kommen, endlich-sie kommen.“ Er wendete sich den Geräuschen entgegen und rief laut „Vater, Taglo, Ango hier bin ich, am Fluss, hier bin ich!“ Er ging seinen Leuten ein paar Schritte entgegen, sie mussten jeden Moment aus dem Gebüsch kommen. Gebüsch? Unsicher stoppte er seinen Schritt. Gebüsch? Gestern waren doch hier noch keine Sträucher? Schlagartig verstummten die Stimmen. Ungläubig blieb Uglo stehen. Er traute seinen Augen nicht.
Aus dem Blättergewirr trat als erstes ein hochgewachsener, muskulöser hellhäutiger Mann, er war nackt. Das heißt, nein, er trug auch einen solchen knappen kirschfarbigen Lendenschurz wie der Junge, den Uglo vor dem Ertrinken gerettet hatte. In einer Hand hielt er einen langen hölzernen Stab, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem magischen Speer des Schamanen hatte. Uglo erschrak und wich ein paar Schritte zurück, war das schon der Fluch des Schamanen? Gleich nach dem einen Mann traten noch zwei weitere, ebenso halbnackte Männer aus den Sträuchern, der eine war klein und ziemlich beleibt, sein fetter Bauch hing über seinen Lendenschurz herab. Der Dritte war ein langer Dünner. Er hatte Ähnlichkeit mit dem Vater des langen Falgo. Überrascht blieben die drei Männer stehen und musterten Uglo, der ihnen in etwa zehn Schritt Entfernung gegenüberstand. Wenn er doch nur seinen Speer dabeigehabt hätte. Die beiden letzten Männer hätte er sich zugetraut, der Große aber...
Unschlüssig, was er tun sollte, drehte er sich nochmal zu dem Jungen um, der inzwischen aufgestanden war und ein paar Schritte hinter ihm stand. Unsicher, fragend blickte ihn der Knabe an. Einem spontanen Gefühl folgend hob Uglo kurz die Hand, winkte dem Jungen, der immer noch abwartend hinter ihm stand und rannte urplötzlich so schnell er konnte in die Büsche, wo er selbst vorhin erst aufgewacht war. Hier versteckte er sich. Gleich darauf kroch er auf dem Bauch wieder seitlich ein Stück zurück, so dass er freien Blick auf die Fläche hatte, wo der Junge und der große Mann sich gerade lange und scheinbar herzlich umarmten. Der Junge hatte dem Mann seinen Kopf an die Brust gelegt und schien etwas zu erzählen. Der Mann strich dem Jungen durch die Haare und drückte ihn immer wieder fest an sich. Ob das Vater und Sohn waren? Uglo sah, dass der Junge weinte und schluchzte, immer wieder zeigte er auf den Fluss, dann auf die Stelle, wo er aufgewacht war, nachdem Uglo ihn dort abgelegt hatte und dann - eindeutig wies er mit der Hand auf die Stelle im Gebüsch wo Uglo verschwunden war. Er zog seinen Vater an der Hand auf das Gebüsch zu, der zögerte, besprach etwas mit den anderen beiden Männern und schüttelte schließlich energisch den Kopf. Er nahm den Jungen fest an den Schultern und schob ihn energisch den Weg zurück, auf dem die Männer hierhergekommen waren. Gerade als die Gruppe in die Büsche eintauchte, drehte sich der Junge nochmal um. Sein Blick richtete sich genau auf die Stelle, von der aus Uglo ihn beobachtete. Ohne es zu wissen, traf sein Blick Uglo genau in die Augen. Er winkte schüchtern in diese Richtung. Woher wusste der Junge, dass Uglo ihn beobachtete? Uglo spürt einen kleinen Stich im Herzen, augenblicklich wusste er, er wollte den Jungen wiedersehen…
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