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Uglo der Steinzeitjunge

Teil 9 - Der Fluch des Schamanen

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Uglo hörte an den leiser werdenden Geräuschen, dass sich nun auch die kleine Gruppe um seinen Vater in die Siedlung zurückzog. Er war fast am Verzweifeln. So nah und doch unerreichbar war seine Rettung gerade gewesen. Mutlos sackte er in einer Ecke der Fallgrube zusammen. Wann würden sie die Suche nach ihm wieder beginnen? Oder hatten sie die Suche etwa… nein! Das konnte und wollte er nicht glauben. Nicht sein Vater, nicht Taglo und auch nicht Ango. Voller Wehmut fielen ihm seine Mutter und seine kleine Schwester ein. Wie gerne wäre er jetzt wieder bei ihnen. Seine Gedanken wanderten weiter, wie vertraut erschien ihm auf einmal Großmutter Kuchola, sie kannte ihn, seit er ein kleiner Junge war, sie wusste alles von ihm. Scheinbar auch, dass er… - Irana! Würde er sie wiedersehen? Was hatte Kuchola nur damit gemeint, dass er mit Irana im Schilfversteck schon sehen und verstehen würde…?

Hoffnungslosigkeit übermannte ihn. Der Zauberer hatte gesagt, er würde nicht gebraucht zum Erhalt der Sippe, dabei wünschte er sich so sehr, ein wertvolles Mitglied des Geschlechts zu werden…. Ein Weinkrampf schüttelte ihn.

Die Siedlung kam nach und nach zur Ruhe. Von dort drangen kaum noch Stimmen oder andere Geräusche zum ihm herüber, bis es ganz still wurde. Eine gefühlt unendlich lange Zeit verging, die Sterne am Himmelszelt, die Uglo schon eine Weile betrachtete, verblassten nach und nach und wurden durch heraufziehende Gewitterwolken verdeckt. Sorgenvoll blickte er zum Himmel. Der Wind hatte scheinbar aufgefrischt, denn die Wipfel der Bäume, die er von seinem Gefängnis aus sehen konnte, bogen sich bedrohlich. Uglo drückte sich so gut es mit den Fesseln ging, in die Ecke. Immer wieder schlummerte er kurz ein.

Irgendwann schreckte er auf, es hatte zu regnen begonnen. Der Boden der Grube war unterdessen schon durchgehend feucht geworden. Der lehmige Grund ließ das Wasser nicht versickern, so dass sich an einigen Stellen schon Wasserlachen gebildet hatten. Ein erster Blitz erhellte den Himmel, er fuhr ziemlich in der Nähe in die Bäume. Kurz darauf krachte es ohrenbetäubend. Das Echo hallte mehrfach durch das enge Tal.

Uglo war zusammengezuckt. Jetzt aber, trotz des Rauschens des stärker werdenden Regens, vernahm er deutlich näherkommende Schritte, schlurfende, patschende Schritte. Er kannte den Gang inzwischen – der Schamane kam. Weiter drückte er sich in seine Ecke und schaute nach oben. Scheinbar trug der Alte schwer, denn sein Atem rasselte noch mehr als sonst.

An der Kante der Grube schabte es und ein roher Birkenstamm mit abgeschlagenen Ästen wurde Stück für Stück in die Grube herabgelassen. Was war das jetzt? Was hatte der Alte vor? Ächzend stieg der Zauberer, den Stamm als Leiter nutzend, Stumpf für Stumpf in die Grube herunter. Hasserfüllt blickte er auf seinen Gefangenen herab. „Nicht, dass du glaubst, ich geb‘ dich her, niemals. Ich hab‘ noch was vor mit dir.“ Ein höllisches Grinsen überzog sein Gesicht. „Aber diese Schnüffler sind schon ziemlich nah gekommen. Ach was rede ich, das geht dich alles gar nichts an.“ Er fluchte laut, „Sauwetter, da kommt das Monster nicht gleich wieder und nicht, dass ein Neugieriger in die Fallgrube glotzt.“ Mit gierigem Blick flüsterte er heiser, „Nein, ich werde dich zu mir bringen…“, kichernd lachte er auf. Er beugte sich nach vorn und zog Uglo rücksichtslos an den gefesselten Füßen aus der Ecke weg.

Der wehrlose Junge knallte mit den auf dem Rücken gefesselten Armen auf dem Boden in eine feuchte Stelle unter ihm. Er stöhnte vor Schmerz und Scham gedämpft auf. Der Schamane lachte gehässig auf, „was jammerst du? Hast du schon wieder vor Angst… und du willst ein Mann sein? Oder denkst du, nur weil du einen großen Zauberstab hast, der immer mal spuckt, bist du schon ein Mann? Oder weil dein Vater dir die Feder auf den Rücken gebrannt hat? Kindskopf. Ich werd‘ es dir zeigen. Nichts weißt du!“

Er packte Uglo unter den Armen und wuchtete ihn sich über die Schulter. Wieder drückte die knochige Schulter des Alten den Bauch und die Weichteile des Jungen schmerzhaft zusammen.

Von seiner Last schwankend, setzte Unkido einen Fuß auf die unterste Sprosse. Scheinbar strengte es ihn sehr an, mit dem fast erwachsen Jüngling auf der Schulter auf den Astenden aufwärts zu steigen. Sie knackten bedenklich. Keuchend und immer wieder innehaltend, stieg er ganz langsam eine weitere feucht glitschige Stufe hinauf. Eben setzte er an, den nächsten Ast zu belasten, als dieser mit einem dumpfen Knacken nachgab und der Zauberer mit seinem Gefangenen auf dem Rücken zurück in die Grube stürzte. Unglücklich rutschte der Junge von der Schulter und schlug vollkommen wehrlos als Erster auf dem nassen Boden auf. Der alte schwere Mann krachte mit seinem ganzen Körpergewicht auf den gefesselten Jungen. Nur seinem muskulösen Körper war es zu danken, dass der Alte Uglo bei seinem Sturz nicht sämtliche Knochen im Oberkörper brach. Trotzdem stöhnte Uglo laut auf, so laut es der Knebel in seinem Mund zuließ. Der Alte rappelte sich rasch auf, beugte sich über seinen Gefangenen und schlug ihm mit der offenen Hand ins Gesicht, „halt’s Maul oder willst du, dass ich dich gleich hier dem Federgeist übergebe, dich absteche?“ Er zog sein spitzes Steinmesser aus dem Gewand und hielt Uglo die Spitze an den Hals, „also, sei still, sonst…“ Lauschend hob er seinen Kopf, aber das laute Rauschen des Regens schluckte jedes andere Geräusch.

Er schaute sich um, voller Ekel betrachtete er die beiden blutverkrusteten Köder, die für das Monster in der Grube ausgelegt worden waren. In seinem Gesicht begann es zu arbeiten, sein Blick fiel auf Uglo… Er überlegte angestrengt.

Ihm wurde aber im selben Augenblick bewusst, dass er mit dem Jungen allein in der Grube war. Und wenn er ihn… dann wäre er aber selber in der Fallgrube gefangen.

Mit gezücktem Messer trat er näher an den Liegenden heran. Mit dem Dolch in der Hand beugte er sich über ihn… Uglo erschrak, seine Augen fixierten die Spitze der Waffe, die auf ihn zeigte. Mit angsterfüllten Augen schüttelte er den Kopf. Sein bettelnder Blick aber ließ den Schamanen nur höhnisch auflachen. Uglo wollte von ihm wegrutschen, der Alte aber packte ihn an der Fußfessel und zog ihn wieder zu sich heran.

„Eigentlich hast du Recht, ich sollte hier ein Ende machen. Sie würden dich finden, tot - na und!? Ich wäre fein raus. Ich weiß von nichts, hab sogar geholfen, nach dir zu suchen. Aber ich will dich… ich brauch dich noch lebend als Pfand.“ Seine Stimme wurde hysterisch, „neiiin… du verstehst? Und da gibt es noch einen neuen Schnüffler, der zu viel weiß, Ango, der Dummkopf hat ihnen alles erzählt… Ach, was quatsche ich hier?“

Er packte Uglo mit beiden Händen und drehte ihn grob an den Schultern auf den Bauch. Der Junge kam mit dem Gesicht an genau der Selle zu liegen, an der er sich vor kurzer Zeit nicht zurückhalten konnte. Hustend rang er nach Luft, der Knebel drückte sich noch fester in seinen Mund. „Hab‘ dich nicht so, ist doch deine eigene Brühe...“ Ein verächtliches Lachen folgte.

Was Uglo so nicht sah, der Schinder hatte einen Strick aus seinem Gewand gezogen. Der Junge merkte nur, dass ihm eine Schlinge um den Hals gelegt wurde, die der Alte langsam zuzog. „So, mein kleiner Held, damit du nicht auf dumme Gedanken kommst. Ich schneide jetzt deine Fußfessel durch. Du steigst über die Sprossen der Leiter nach oben und ziehst mich dann nach. Aber keine faulen Tricks, sonst bleibt dir die Luft weg.“ Wie zum Spaß zog er die Schlinge enger. Uglo begann nach Luft zu hecheln. In seinem Kopf hämmerte es, er röchelte und nickte mit letzter Kraft. „Na siehst du, du verstehst mich.“ Die Schlinge wurde gelockert und gleich darauf spürte Uglo, dass seine Füße frei waren. „Steh auf, los mach schon!“ Die lange Zeit der Fesselung, der Bewegungslosigkeit und die Kälte hatten bewirkt, dass Uglos Körper total steif und die Beine gefühllos geworden waren. Seine Füße suchten auf dem nassen Boden unsicher nach Halt. Schwankend versuchte er sich zu erheben, was mit den gefesselten Armen auf dem Rücken nicht leicht war. Der Alte zerrte ihn an den klatschnassen Haaren hoch, „wirds bald?“ Taumelnd stand er vor dem Zauberer, der ihm nun die Handfesseln zerschnitt. Aber nur, um Uglo sofort die Hände wieder, nun aber vor dem Körper, erneut zu fesseln. Uglo wehrte sich nicht, ihm fehlte einfach die Kraft dazu. Fragend schaute er seinen Peiniger an. Wieder schlug der dem Jungen mit der flachen Hand ins Gesicht. „Gaff nicht so, los du kletterst voran. Aber denk dran, eine dumme Bewegung und du liegst atemlos wieder in der Grube. Los jetzt!“ befahl er.

Er drückte den Jungen an die halb zerstörte Leiter und schob ihn, nachdem Uglo die ersten beiden Sprossen zitternd und vorsichtig erklommen hatte, ungeduldig am Hintern nach. „Nun stell dich nicht so an!“

Als Uglo mit dem Kopf aus der Grube herausschauen konnte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Gern hätte er einmal tief Luft geholt, aber er hatte immer noch den Knebel im Mund. Da seine Hände vor dem Bauch gefesselt waren, dachte er für einen Moment daran, sich den ekligen Lappen aus dem Mund zu reißen. Er wollte nicht schreien nein…, nur einmal tief Luft holen. Aber im gleichen Augenblick spürte er, dass sich die Schlinge um seinen Hals wieder fester zog. Der Alte hatte sein kurzes Zögern bemerkt oder konnte der Schamane wirklich Gedanken lesen? Sehnsuchtsvoll schaute Uglo in Richtung des großen Feuers, dessen Flackern er von weitem erahnen konnte. Ein greller Blitz fuhr krachend in die Baumspitzen unmittelbar neben der Fallgrube. Das Donnern erfolgte fast im selben Moment. Das Gewitter hatte die Siedlung erreicht.

„Gaff nicht so lange, los weiter…“, brüllte der Zauberer ihn von unten an. Er selbst war schon ein wenig hinterher geklettert und stieß den Jungen nun mit der Faust in den Rücken. Kaum war Uglo mit den Knien über den Rand der Grube auf die Ebene gelangt, da spürte er, dass die Schlinge um seinen Hals wieder fester gezogen wurde. Unwillkürlich griffen seine gefesselten Hände danach, um sie zu lockern, aber jäh riss der Schamane am Strick und blaffte, „zieh mich raus oder du wirst es bereuen.“ Durch die grobe Handlung geriet der Junge aus dem Gleichgewicht und stürzte am Rand der Grube flach hin. Er lag auf dem Bauch und streckte dem Alten beide Hände entgegen. In der einen Hand hielt dieser den Strick, der um Uglos Hals lag, die andere streckte er nach oben und reichte sie dem Jungen hin. Wieder knallte ein Blitz in direkter Nähe in den Wald, der Lichtblitz und das Donnern waren eins. Das scheußlich verzerrte Gesicht des Schamanen schien durch das grelle Licht noch hässlicher. In einer gedankenschnellen Entscheidung zog Uglo seine Hände, nach denen der Alte gerade greifen wollte, im letzten Augenblick zurück, so dass der alte Mann ins Leere griff. Mit ganzer Kraft packte Uglo die Spitze der einfachen Leiter, die über den Grubenrand ragte, mit den gefesselten Händen und stieß den Baumstamm in die Grube hinein. Die Augen des Zauberers weiteten sich vor Schreck. Vor Überraschung griff er mit beiden Händen nach dem Baumstamm, auf dem er gerade stand. Dabei ließ er den Strick aus seiner Hand fahren und geriet ins Taumeln. Krampfhaft mit einem drohenden wütenden Fluch versuchte er, sich zu halten. Mit einem gurgelnden Laut kippte der Zauberer mitsamt dem Baumstamm in die matschige Grube zurück.

Noch im Fallen stieß er mit einem grimmigen Gesichtsausdruck einen Zauberfluch gegen Uglo aus, drohend schüttelte er eine Faust, ehe er geräuschvoll unten aufschlug. Erschöpft lag Uglo am Rand der Grube und starrte hinunter, der Alte rührte sich nicht.

Uglo hatte im Getöse des Gewitters nur einen Teil des Zauberspruchs des bösen Mannes verstanden. „Nie wieder… Geschlecht… Federgeist… dieser Welt…“ Erschüttert vom eben Erlebten zerrte er mit fahrigen Fingern an seinem Knebel. Es war nicht leicht, ihn zu lösen, da er hinter seinem Kopf verknotet war und er ja immer noch gefesselte Hände hatte. Schließlich gelang es ihm, den Fellfetzen aus seinem Mund zu zerren… Luft, frische Luft war sein Gedanke. Tief atmete er die kühle Nachtluft ein. Es gelang ihm jedoch nicht die Handfesseln zu lösen.

Zitternd erhob er sich und stand unschlüssig da. Noch einmal schaute er zurück. Im strömenden Regen sah er verschwommen eine riesige Gestalt mit zotteligem Fell am Rand der Grube stehen. Sie war gerade im Begriff, hineinzusteigen. Das Getöse des Wolkenbruchs wurde übertönt durch einen unmenschlichen, markerschütternden Schrei, der aus der Tiefe der Fallgrube zu kommen schien. Dann trat Stille ein, nur der Regen sang sein eintöniges Lied…

Ohne Mitleid wendete er sich ab und wankte erschöpft zum Fluss. Vergeblich versuchte er den Fesselknoten an seinen Handgelenken mit den Zähnen zu lockern. Sein ausgetrockneter Mund schrie förmlich „Durst, Durst…“ Kraftlos ließ er sich auf die Knie fallen… Gierig sogen seine Lippen das frische erlösende Nass in großen Schlucken in seinen Körper… Aber alles ging viel zu schnell nach der langen Gefangenschaft… Die klare, kalte Luft stach in seiner Lunge, das kalte Wasser schoss in seinen Magen. Plötzlich wich ihm das Blut aus dem Gesicht und sein Hirn spielte verrückt. Ihm wurde schwindelig.

Ihm gegenüber, auf der anderen Flussseite, krachte genau in diesem Moment ein übermächtiger Blitzstrahl mit einem gleichzeitigen Donnerschlag in einen knorrigen alten Baum. Die Erde schien zu beben. Das grelle Licht fuhr dem Jungen in die Augen, er riss geblendet die Arme hoch und hielt die gefesselten Hände vor das Gesicht. Gleißendes Licht umgab die alte Eiche, kleine blaue Flammen umliefen sie züngelnd. Die winzigen blauen Blitze schienen über das Wasser hinweg nach Uglo zu greifen. Er verspürte ein Rasen und Sausen in seinem Kopf, es fühlte sich an, als ob eine unbekannte Energie von ihm Besitz ergriff. Der Strick, der bis eben noch seine Hände fesselte, fiel zu Boden. Splitternd zerbarst der uralte Riese in einem riesigen Funkenregen…

Erschöpft sackte Uglo ohnmächtig am Flussufer zusammen…

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