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Uglo der Steinzeitjunge
Teil 6 - Ein Verdacht
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Informationen
- Story: Uglo der Steinzeitjunge
- Autor: Mischa Bär
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Fantasy und Mystery, Krimi, Historisch
Die Jungen folgten den Männern etwas unsicher. Ango schaute seinen Freund fragend an, der zuckte aber nur mit den Schultern. Mit einer knappen Handbewegung signalisierte er ihm, abzuwarten. Die Erwachsenen setzten sich so, dass sie den Höhleneingang im Blick behielten, Bogo deutete nur mit der Hand auf die Erde und die Knaben setzten sich vor ihm auf den Boden. Ango hatte sich wieder etwas erholt, war aber nicht sicher, was sein Vater und der Sippenälteste zu seiner frühen Erkundungstour im Wald sagen würden.
Taglo begann, „Ango, du bist hier in einer geheimen Beratung mit ein paar“, er zögerte und blickte den Sippenältesten kurz an. Der nickte, „also mit drei Männern unserer Sippe.“ Uglo horchte auf, Stolz ergriff ihn, er richtete sich etwas weiter auf. Taglo hatte ihn einen Mann genannt. Ango sah ihn unsicher an, aber sein Vater nahm wieder das Wort, „ja, Uglo hat den Schwur geleistet und die ersten Mannbarkeitsrituale bestanden. Wir wissen, dass du dich auch schon darauf vorbereitest und auch, dass du bei einem der nächsten Mondwechsel bestimmt vom Schamanen zum Manneszauber gerufen wirst. Aber darum geht es jetzt nicht. Du musst über unsere Beratung hier mit euch schweigen, jedem gegenüber, vor allem darf der Schamane nichts davon erfahren.“ Eindringlich schaute er seinem Sohn ins Gesicht. „Hast du das verstanden?“
Ango bekam große Augen, fragend schaute er von einem zum anderen. Er nickte unsicher. „Schwöre es“, verlangte Bogo. Uglo hielt die Luft an. „Sprich mir nach - ich schwöre bei meiner Freundschaft zu Uglo, bei allem, was mir lieb ist und vor dem großen Federgeist. Und wenn ich diesen Schwur breche, dann…“
Taglo legte dem Sippenältesten die Hand auf die Schulter, „Bogo, er ist noch ein Ki ..., also ein Jüngling…“ Der nickte und schaute den Jungen aber ernst an. Ango ging vor den Männern auf die Knie und wiederholte den Schwur.
„Berichte uns nochmal genau, was du gestern beim Spurenlesen mit Unkido gesehen hast.“ Stockend begann Ango davon zu erzählen, wie sie ihre Spuren gesucht und dann dem Zauberer erklärt hatten. „Aber ich war nicht mit Uglo zusammen, ich hatte die Spuren nicht gesehen. Jedoch habe ich bemerkt, dass der Zauberer nicht wollte, dass wir anderen die Fährten sehen, er wollte nur mit Uglo allein dorthin gehen. Uns andere hat er alle weggeschickt, auch alle aus Uglos Trupp. Dann“, er druckste herum, „also dann, wir hatten uns für später, wenn die Sonne…, na wir hatten uns am Fluss verabredet, aber Uglo kam nicht.“ Uglo versuchte zu erklären, „aber ich konnte doch…“ Bogo hob nur die Hand, sofort verstummte der Junge. „Na und, als Uglo dann abends wieder auftauchte und das Rentierkalb abholen wollte, hat er so geheimnisvoll geredet …, da wollte ich mir die Spuren dann heute Morgen selbst mal anschauen… Na, aber den Rest kennt ihr ja.“ Verlegen schaute er auf den Boden.
„Nein, berichte genau, was hast du am Morgen gemacht, wo hast du sie gefunden - alles…“
Ango dachte noch einen Augenblick lang nach, dann begann er wieder, „ja also, wenn ich es noch mal genau überlege, ich hatte schon ein unsicheres Gefühl heute Morgen, da oben im Wald. Weil, zuerst musste ich etwas suchen, bis ich den Pfad wieder gefunden hatte, aber ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich nicht allein bin. Hab‘ aber niemanden weiter dort gesehen. Dann hatte ich ein schabendes Geräusch gehört, so als ob sich ein größeres Tier an einem Baumstamm reibt oder so was.“ Fragend schaute er seinen Vater an. „Und weiter?“, zischte Bogo leise ungeduldig, „was dann?“ „Da hab‘ ich mich dann ganz still verhalten, das Geräusch hörte auf und ich bin langsam in diese Richtung geschlichen. Das Geräusch kam immer wieder, umso weiter ich ging.
Dann hatte ich auch schon eine Stelle entdeckt, die vollkommen zerkratzt war, aber ich konnte sie im Dunkeln im Wald nicht genau erkennen. Auch immer weiter auf dem Pfad, immer wieder zerkratzte Stellen, größer als meine Hände. Es waren vielleicht so viele“, er hielt beide Hände hoch und spreizte die Finger ab. Uglo nickte, „ja, das stimmt, so viele waren es …“ „Ich hatte mich gerade an einer Stelle hingekniet, dann weiß ich nichts mehr. Ich bin erst im Gebüsch wieder aufgewacht als Uglo mich gefunden hat. Mein Kopf hat gebrummt und ich hab‘ das Blut bemerkt.“
Eine Pause trat ein.
„Was hast du eigentlich heute früh schon oben im Wald gemacht?“ Etwas unwillig wandte sich Taglo an Uglo, „ist das nicht ziemlich eigenartig, dass du zur gleichen Zeit wie Ango dort gewesen bist oder bist du ihm etwa gefolgt? Was wolltest du auf dem Pfad?“ Uglo erschrak, hilfesuchend schaute er seinen Vater an. Der wiederholte die Frage, „was hast du dort gemacht?“ Der Junge blickte seinen Vater ungläubig an, „ihr glaubt doch nicht, dass ich die Spuren zerstört habe und dass ich Ango…, Vater!“ Er kämpfte mit den Tränen, „Nein, Vater, du weißt, ich hatte meinen Speer gestern im Wald verloren und wollte…“
Bogo unterbrach ihn, „Taglo, es stimmt, ich war gestern Abend nochmal mit ihm oben, er hat mir die Spuren gezeigt, von denen der Schamane beim TongoTongo gesprochen hatte. Uglo hatte schon vermutet, dass der Zauberer falsch gesprochen hat, deshalb waren wir dort. Es stimmt, die Spuren waren noch da und sein Speer muss noch oben im Gebüsch liegen.“ Wie der dorthin kam, verriet er aber nicht... „Und die Fährte stammt niemals von einem Vielfraß. Ein riesiger Charrrr sucht nach uns, er riecht unsere Sippe und ist gekommen…, wir sprechen seinen richtigen Namen besser nicht aus. Bestimmt kann er uns hören. Der Federgeist möge uns schützen. Entweder der Schamane ist unwissend oder er lügt und wollte deshalb, dass niemand…“ Er verstummte und schaute Ango unsicher an. Der begann zu begreifen, worum es ging, und hielt vor Anspannung die Luft an. Mit großen furchtsamen Augen schaute er seinem Vater in die Augen.
In Gedanken versunken nickte Taglo, „Ango hat geschworen, er wird schweigen. Aber habt ihr die Zweige dort angeschaut, war dort vielleicht ein Abdruck? Eigentlich muss dort im Gebüsch doch eine Spur zu finden sein. In welcher Höhe waren die Zweige geknickt, wie groß war der Angreifer, wie breit war die Schleifpur? Man kann doch einen Jungen wie Ango nicht so einfach in die Büsche ziehen ohne Spuren zu hinterlassen... Habt ihr die Stelle nochmal aufmerksam abgesucht? Vielleicht hat er etwas verloren oder…“ Er blickte die Jungen fragend an. Uglo und Ango wurden beide bleich vor Scham, daran hatten sie gar nicht gedacht. Uglo stammelte, „als, also nein, ich wollte, ich hatte…“ stumm schüttelte er nur den hochroten Kopf.
„Was lernt ihr eigentlich bei diesem Zauberer? Spurenlesen heißt doch auch … Ihr wollt Männer werden oder sein? Dazu gehört mehr, als dass euch da unten neue Haare wachsen und dass ihr auch immer öfter, ach …“ Taglo winkte enttäuscht ab. Er erhob sich und ging ratlos ein paar Schritte hin und her. Bogo zischte ihn an, „setz dich hin!“
„Vater, ich muss dir noch etwas berichten. Also, als ich oben auf dem Baum saß, um Wache zu halten, du weißt, als ihr unten an der Grube gearbeitet habt, na also da war es dort oben so heiß geworden. Ich bin ein Stück weiter in den Schatten auf einen anderen Baum geklettert. Als ich dann nochmal nach oben zur Felskante geschaut habe, war mir so, als ob ich da eine Bewegung gesehen habe, es kann auch ein Tier gewesen sein, aber…“ Die Erwachsenen waren aufmerksam geworden, „was aber, sprich weiter.“ „Genau in dem Moment brachen die Felsen von oben los und“, er begann zu zittern, sein Atem wurde heftiger und er musste schlucken… „Der größte Felsen traf gerade die Kiefer, auf der ich noch einige Augenblicke vorher saß. Wenn ich nicht …“, Er begann heftig zu schluchzen. „Und dann hast du auch noch von oben irgendwas gerufen, so dass wir aufmerksam wurden und uns an den Felsen stellen konnten, du hast uns das Leben gerettet. Ob das alles nur ein Unglück war?“ Taglo sprach die Frage aus. Ango hatte mit offenem Mund staunend zugehört.
Stille.
In diesem Moment kam Akana aufgeregt in den hinteren Teil der Höhle, in den sich die Männer zur Beratung zurückgezogen hatten. „Bogo, der Schamane verlangt nach dir, nach dir und Taglo.“ „Wo ist er?“ „Er steht draußen vor der Höhle, er ist ziemlich wütend, weil, …“ Bogo antwortete nicht, zog Taglo mit sich. Im Gehen drehte er sich nochmal zu den Jungen um und nickte ihnen vertrauensvoll zu. „Wir reden später weiter, passt auf euch auf.“
Inzwischen war die Sonne schon weiter emporgestiegen, sie hatte schon beinahe den Mittagspunkt überschritten. Blinzelnd traten die beiden Jungen aus der Höhle. Uglo schirmte seine Augen mit der flachen Hand vor den hellen Strahlen ab und schaute zum Fluss, wo die Männer dabei waren, die Fallgrube für das Untier weiter zu vertiefen. Einer der Männer ragte gerade noch mit den Schultern aus der Grube, während er den Sand und das lose Gestein aus der Grube warf. Uglos Blick wandert nach oben in die Bäume, dort oben saß jetzt der lange Faugo, der Sohn von Gobu, der gerade in der Grube schuftete. Uglo hob kurz die Hand zum Gruß, Faugo reckte sich hoch und winkte zurück.
Ango schnaufte, „eine Hitze hier draußen und viel zu hell.“ Er schüttelte seine offenen Haare, die ihm seit heute Morgen ebenso wie bei Uglo, bis auf die Schultern fielen. Gleich darauf stöhnte er auf, „mein Kopf, mir wird schlecht.“ Uglo zog ihn wieder in die Höhle zurück und griff sich dabei den Trinkschlauch. „Los komm, du musst erstmal was trinken.“ Wieder im Inneren der Höhle setzten sie sich um die kalte Feuerstelle. Uglo reichte seinem Freund den Trinkschlauch, der den Schlauch kurz mit Druck zusammenpresste, so, dass er den emporschießenden Wasserstrahl gekonnt mit dem Mund auffangen konnte. Gierig schlürfte er die Erfrischung in sich hinein. Er reichte den Vorratsbehälter an Uglo weiter, der genauso gekonnt seinen Durst stillte. Er bemerkte, dass ein Freund ihn aufmerksam beobachtet hatte. „Was ist los, was starrst du mich so an?“ Ango stotterte etwas, bevor er sich zur Frage entschloss, „du Uglo, du hast doch gestern Abend, na ich mein, …das Mannbarkeitsritual, was musstest du machen? Sagst du es mir?“ Uglo war ziemlich überrascht von der Frage, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. „Nein, ich werde es dir nicht sagen, das habe ich geschworen. Jeder, der in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen werden will, muss bestimmte Prüfungen bestehen, dazu gehört auch das sichtbare Zeichen auf meinem Rücken, das du schon gesehen hast.“ „Zeig nochmal.“ Uglo drehte sich so, dass Ango das Brandmal mit der fliegenden Feder sehen konnte. „Sieht aus, als ob es mit einem glühenden Stein gemacht wurde, oder?“ Uglo schwieg dazu. „Hattest du große Schmerzen?“ Keine Antwort. Ango biss sich auf die Lippen, er hatte verstanden, Uglo würde dazu nichts mehr sagen. „Uglo, mein Vater hat auch vorhin davon gesprochen, ein Mann werden oder sein, also ich verstehe, es gehört auch dazu Schmerzen auszuhalten und so. Aber was hat er damit gemeint, dass mehr dazu gehört, als dass uns da, er deutete auf seinen Fellschurz, neue Haare wachsen und wir auch immer öfter …, was meinte er auch noch, hast du das verstanden?“
Uglo hob ganz langsam ungläubig den Kopf, „hä, was meinst du?“ „Na, er hat doch gemeint, dass da noch mehr ist als nur die neuen Haare… aber auch…“
Uglo konnte sich das Grinsen nicht mehr verkneifen, laut auflachend prustete er los. Er schaute seinen Freund ungläubig an, „du willst, du weißt nicht, was er…“, er schüttelte sich vor Lachen, „was er gemeint hat…?“ Er warf sich kichernd auf den Rücken. Dabei verrutschte ihm mal wieder der viel zu große Fellschurz seines Vaters. Ango starrte interessiert auf das sich bietende Bild. Als Uglo sich wieder aufsetzte, hing der Blick von Ango immer noch an der gleichen Stelle fest.
„Na was wohl …“, Uglo überlegte kurz, griff sich wieder den Trinkschlauch und drückte diesen jetzt ein paar Mal rhythmisch zusammen, aber nur so, dass jeweils nur kurze kleine Wasserspritzer in die Höhe schossen. Grinsend schaute er dabei Ango ins Gesicht, der verständnislos auf die pulsierenden Wasserfontäne schaute. „Hä, was machst du, was soll das sein?“
Uglo schüttelte nur wieder lachend den Kopf und winkte ab. „Was hast du heute noch vor? Wollen wir nachher, wenn die Sonne sich senkt, nochmal zum Baden an unsere Stelle, ich glaub das passt heute ganz gut oder … traust du dich nicht? Wenn du willst, dann zeig ich dir, was ich meine. “ Ango nickte nur, ohne zu wirklich zu verstehen. „Ja klar, aber ich muss erst nochmal zu meiner Mutter.“
Uglo hatte sich wieder beruhigt, er schmunzelte. „Ja gut, Ich werde auch noch was erledigen.“ Ango erhob sich und verließ die Höhle. Kopfschüttelnd schaute Uglo ihm nach. Er beschloss, nun endlich seinen Speer aus dem Wald zu holen.
Vorher rannte er aber nochmal an den Fluss, um den Wasserbehälter wieder aufzufüllen. Bei seinem Spiel für Ango hatte er den letzten Wasserrest verspritzt. Auf einmal verlangsamte er seinen Lauf und ging nur zögernd langsam weiter in Richtung Ufer. Schon aus dieser Entfernung bemerkte er ein junges Mädchen, das nach einem Bad im Fluss scheinbar vollkommen nackt am Ufer stand und seine langen Haare im Spiegel der Wellen kämmte. Er erkannte Irana, die Urenkelin der Hüterin des Feuers. Er kannte das Mädchen schon seit er selbst ein kleiner Junge war, sie waren etwa gleich alt. Früher hatten sie viel gemeinsam gespielt und auch oft einfach unbekleidet im Fluss gebadet. Aber jetzt und hier, sie so zu sehen … Er blieb stehen und betrachtete den schönen Körper der jungen Frau, ihm wurde heiß, sein Atem ging schneller. Er bekam feuchte Hände, obwohl er noch nicht am Wasser war. Auch an einer anderen Stelle seines Körpers spürte er eine Regung …. Nein, er konnte doch jetzt nicht so und einfach mit dem Wassersack…, aber sie stand genau an der Stelle, wo alle immer Wasser holten… Plötzlich drehte sich Irana um und erschrak. Sie hatte gefühlt, dass sie beobachtet wurde. Wie gebannt schaute Uglo auf den betörenden Anblick, der sich ihm bot. Seine Augen wanderten von ihrem Gesicht über ihre Brüste hinunter zum lockigen Dreieck in ihrer Körpermitte, wo sich ihre Schenkel schlossen, hier blieb sein Blick hängen … Mit hochrotem Gesicht schnappte sich das Mädchen ihr kurzes Fell und rannte lachend an ihm vorbei hinauf in die Siedlung. Wie versteinert blieb Uglo stehen und schaute ihr verdattert nach. Sie hatte gelacht …. Sein Blick wanderte an sich selbst hinunter, der Schurz seines Vaters war eigentlich nicht zu eng… Er zuckte zusammen und rannte dann, ohne weiter nachzudenken zum Fluss und warf sich in die Fluten. Im kalten Wasser entspannte er sich langsam …
Mit tropfnassem Fell, aber gefülltem Wasserbehälter, schlenderte er gedankenversunken zur Höhle zu rück. Was war das eben? Nur ein Trugbild? Weil er immer schon mal von Irana geträumt hatte? Bevor er in die Höhle trat, ließ er seinen Blick noch einmal über den freien Platz der Siedlung schweifen. Nein, von dem Mädchen keine Spur mehr. Er schüttelte den Kopf.
Seltsam, das Mädchen hatte ihm in einem Augenblick wie ein Geist den Verstand vernebelt. Was hatte er sich vorhin gerade vorgenommen? Er dachte kurz nach. Ach ja, er wollte in den Wald, seinen Speer holen.
Kurz schaute er sich in der Höhle um, alle waren unterwegs. Er hängte den Wassersack wieder auf und stieg zum wiederholten Mal an diesem Tag den Weg in den Wald hinauf. Wo hatte sein Vater ihn in der Nacht noch gleich nochmal überwältigt, an welcher Stelle? Aufmerksam den Pfad absuchend ging er den zerstörten Spuren nach. Schon bei der nächsten Spur kniete er sich wieder auf den Boden. Das Blätterdach der Bäume hatte den Waldboden feucht gehalten. Deutlich waren neben der gelöschten Spur ein paar unterschiedlich große Fußabdrücke zu erkennen, wovon die kleineren urplötzlich endeten. Neben dem Pfad, etwas bergauf, entdeckte er eine eingedrückte Stelle im Moos und gleich daneben die Reste des Strickes aus Fasern, der seinen Fellschurz gehalten hatte. Beim Kampf mit dem Vater war der gerissen. Der Test seines Schurzes lag gleich daneben. In der morgendlichen Dämmerung hatte er ihn nicht gefunden. Grinsend knüpfte er den Fellrest an seinen Schurz. Suchend sah er sich weiter im Gebüsch um. Der Vater hatte ihn mit heftigem Schwung umgerissen, der Speer musste also noch etwas tiefer ins Gebüsch geflogen sein. Vorsichtig, um sich nicht weiter zu zerkratzen, schlich er seitlich ins Gebüsch, immer noch ein Stück weiter.
Der Pfad lag schon einige Schritte hinter ihm, als er ein schnaufendes Keuchen in seinem Rücken vernahm. Lautlos drehte er sich um und ging in die Hocke und lauschte in Richtung des Pfades. Das dichte Blattwerk versperrte ihm die Sicht auf den Weg, auf dem das Geräusch unmittelbar auf der Höhe seines Versteckes aufhörte. Er hielt den Atem an. Das Dickicht vor ihm bewegte sich, hatte er etwa eine Spur hinterlassen, als er sich versteckt hatte? Innerlich fluchte er, die geknickten Zweige, seine Spur… Noch tiefer drückte er sich auf den Boden. Vor ihm wurde das Gestrüpp etwa in Schulterhöhe zerteilt, aber keine menschliche Hand oder ein Arm kam zum Vorschein - über ihm zerteilte ein hölzerner Stab mit einer steinernen scharfen Spitze die Blätter. An der Spitze war ein zerfetzter Kranz aus bunten Federn erkennbar!
Der magische Speer des Schamanen!
Uglo fröstelte, war der Schamane ihm gefolgt und suchte ihn? Ungeduldig fuhr die Spitze des Speers mehrmals über seinem Körper hin und her und schob die Zweige suchend auseinander. Die scharfe Klinge senkte sich und verharrte kurz, Uglo wollte schon aufatmen, als der Speer ruckartig mehrfach vor ihm in den Boden gestoßen wurde. Bedrohlich nah vor seinem Gesicht und seinen Schultern. Schlangengleich versuchte der Junge rückwärts noch tiefer in das Dickicht zu rutschen. Ein dürrer Zweig hatte sich bei seiner Bewegung von hinten in seinem Lendenschurz verfangen und spießte ihm schmerhaft in den Bauch, mit einem leisen Knacken zerbrach er. Uglo stöhnte lautlos auf. Zu seinem Glück hörte der Schamane bei seinem rasselnden Atem auch das Rascheln der Blätter unter Uglo nicht. Schließlich aber wurde der Speer zurückgezogen - er hatte Uglo offensichtlich nicht entdeckt. Der Junge hörte ein unklares Gebrabbel und dann, wie das Stampfen des Alten sich wieder entfernte. Es klang, als ob er weiter bergauf in den Wald in Richtung der Felsenkuppe gehen würde.
Immer noch zitternd am ganzen Körper blieb er in seinem Versteck liegen. Der Schreck saß ihm noch zu sehr in den Gliedern. Er fühlte, dass es feucht unter ihm geworden war. Vor Aufregung hatte er nicht bemerkt, dass sein Körper dem zwingenden Bedürfnis, sich erleichtern zu müssen, nachgegeben und der Natur freien Lauf gelassen hatte … Trotzdem blieb er weiter auf dem Boden liegen.
Erst eine ganze Weile später wagte er, sich wieder zu bewegen. Die Glieder schmerzten, vollkommen steif und verspannt erhob er sich möglichst lautlos und kroch auf allen Vieren, immer wieder lauschend, zum Pfad zurück. Bevor er sich ganz erhob, wartete er nochmal eine kleine Weile. Als er auf den Pfad trat, streckte er sich erstmal. Den Rest des kleinen zerbrochen Zweiges, der noch in seiner Hüfte steckte, zog er mit raschem Schwung heraus, ein dünner Blutstrahl lief ihm vom Bauch unter dem Lendenschurz auf den Schenkel. Ungeduldig wischte er einfach mit der Hand darüber…
Betroffen schaute er jedoch auf seinen feuchten Lendenschurz, er würde es erklären müssen. Er schämte sich dafür, dass er sich vor Angst nicht hatte beherrschen können… Das durfte aber nur der Vater erfahren ... Wohin aber war der Schamane verschwunden? War der ihm wirklich gefolgt? Aber warum? Oder war es Zufall, dass er hier unterwegs war? Er war ratlos, was sollte er tun? Dem Zauberer folgen oder doch lieber in die Siedlung zurückkehren, seinem Vater berichten? Aber eigentlich wollte er doch seinen Speer holen. Suchend blicke er sich um, wo sollte er weitersuchen?
Er hatte eigentlich keine Lust, nochmal ins Unterholz zu kriechen, aber ohne Speer wollte er auch nicht heimkehren. Also besah er sich wieder die Kampfstelle, ließ die Situation vor seinem geistigen Auge nochmal ablaufen und richtete dann seinen Blick auf eine knorrige alte Eiche. Zielstrebig stieg er über ein paar liegende Stämme in diese Richtung und schon nach wenigen Schritten hielt er seinen Speer in den Händen. Ganz fest packte er die Waffe mit der Rechten, die Linke strich fast zärtlich über das glatte Holz.
Zuversichtlich entschloss er sich nun, dem Schamanen zu folgen. Er wunderte sich sehr, dem Mann in den letzten Tagen so oft in der Siedlung und im Wald begegnet zu sein. Was machte der hier so oft, was war das mit dem magischen Speer und was wollte der Zauberer von Ango?
Der Pfad wurde zusehends steiler. Über dem Weg öffneten sich mehr und mehr die Baumkronen. Er musste schon eine ganze Weile unterwegs sein, die Sonne schien inzwischen schräg zwischen den Blättern auf den Weg. Fast war Uglo oberhalb der Stelle angekommen, wo sich unten die Siedlung befand und von wo heute früh der Felsen abgestürzt war. Uglo schlich jetzt nur noch in der Deckung der Bäume und Büsche langsam Schritt für Schritt vorwärts, irgendwo hier musste auch der Schamane sein. Er verharrte und lauschte. Da, er vernahm ein kratzendes Scharren, als ob jemand mit dem Grabstock die Steine durchsuchen würde. Dort vorn, unmittelbar über dem Abgrund entdeckte er den Alten, der sich immer wieder zum Boden beugte. Scheinbar suchte er etwas. Immer wieder schob er mit dem stumpfen Ende des magischen Speeres die Steine auseinander…
Jetzt trat der Zauberer direkt an die Felskante heran. Aufmerksam betrachtete er die Kante, schob ein paar Steine mit dem Fuß hin und her. Dann sah es aus, als ob er unten in der Siedlung eine Bewegung verfolgen würde. Sehr aufmerksam und konzentriert schaute er hinunter. Schließlich hörte Uglo einen halblauten bösartigen Fluch, der Zauberer hob den Speer und schüttelte ihn wütend und drohend in Richtung der Siedlung unterhalb. Ruckartig, wie ein Raubvogel hob er den Kopf. Gerade noch so konnte Uglo den Kopf runternehmen, der Alte starrte in seine Richtung, hatte er die Bewegung mitbekommen? Aber der Mann wandte sich zum Gehen. Laut fluchend und mit dem Speer aufstampfend schleppte er sich an Uglo vorbei. Scheinbar war er auf einmal in Eile, fast rannte er wieder hinunter in Richtung der Siedlung.
Uglo verließ das Versteck und trat nun selber vorsichtig an die Felskante heran.
Der Fluss war von hier oben ein schmales Band und der Wasserfall war kaum zu erkennen. Tief unter sich erkannte er klein die Männer, die unten an der Fallgrube für das Untier arbeiteten. Wenn er genau hinsah, erkannte er Ango, der gerade mit den Männern an der Grube sprach. Dann folgte er weiter dem Weg, der in Richtung der geheimen Stelle am Fluss führte, die eigentlich nur die beiden Jungs bisher kannten. Schon oft hatten sie miteinander gesessen, gebadet und geträumt … Ango geriet aus seinem Blickfeld, als er der Flussbiegung folgend, am Überstreifen zwischen den hohen Schilfbüschen verschwand. Uglo seufzte, wieder wird Ango an ihrer geheimen Stelle am Fluss vergeblich auf ihn warten. Obwohl, wenn er sich beeilen würde …
Aufmerksam betrachtete er nochmals die Stelle vor sich, deutlich waren die frischen Bruchkanten am Felsen zu erkennen. Beim genauen Hinschauen erkannte er auch hier oben wieder die runden Abdrücke des Zauberspeers des Schamanen, die er auch schon an den zerstörten Spuren gesehen hatte. Der Alte war also wirklich an den Spuren gewesen. Uglo erschrak vor sich selbst, wie hatte er den Zauberer eben für sich genannt…? Er bat im selben Moment den großen Federgeist um Verzeihung. Aber in Gedanken fügte er so manches zusammen.
Das alles musste er sofort dem Sippenältesten berichten. Er wandte sich bereits zum Gehen, als ihm etwas weiß Glänzendes zwischen den Steinen auffiel. Er bückte sich danach und hielt einen mächtigen Reißzahn eines Höhlenbären in der Hand. Der war an einer Stelle sauber durchbohrt, als ob er zu einer Kette gehört hatte. Eine solche Kette hatte Uglo bisher nur beim Schamanen gesehen…. Uglo nahm sein Fischspeer fest in die rechte Hand und begann zu laufen…
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