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Uglo der Steinzeitjunge

Teil 5 - Die Lawine

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Informationen

 

Die kleinen Mädchen und Jungen am Ufer schauten verdutzt auf den großen unbekleideten Jüngling, der am Ufer auftauchte, sie begannen zu lachen und zu kichern.

Unter den Kindern war auch Angos jüngerer Bruder Ongo.

Der erkannte den Freund seines Bruders, zeigte mit dem Finger auf ihn und rief ganz laut, „Uglo, Uglo wie ein Mann so schnell, hat um die Hüfte aber kein Fell…ha ha ha …“

Uglo erstarrte, mit hochrotem Kopf hielt er den Trinksack vor seine Blöße und beeilte sich, den Fellsack wieder zu befüllen.

Wie der Blitz sauste er über den großen freien Platz zurück, auf dem sich inzwischen auch schon auch ein paar größere Mädchen und Jungs eingefunden hatten. Auch sie tuschelten und zeigten auf den entblößten Jüngling, der so schnell er konnte wieder in seiner Höhle verschwand.

Ango war eingeschlafen. Uglo fluchte vernehmlich, als plötzlich sein Vater hinter ihm im Höhleneingang auftauchte.

„Uglo, du sollst nicht fluchen, wenn der Federgeist dich hört, dann…“

Er stutzte, „was macht Ango hier und warum liegt er in deinem Fell?“

Vorwurfsvoll blickte er auf seinen Sohn, „und warum läufst du nackt in der Siedlung herum? Die Kinder spotten schon.“

Uglo verneigte sich vor seinem Vater. Mit bebender Stimme begann der Junge dann „Vater, großer Bogo, entschuldige bitte, tadle mich nicht … Ango ist verletzt, kannst du ihm helfen?“

Unwillig betrachtete der große Mann die Wunde des Schlafenden und zog leise pfeifend die Luft durch die Zähne ein. „Was ist ihm denn passiert, das sieht nach einem Schlag auf den Kopf aus, warum geht er nicht zu Unkido damit?“

Entsetzt und heftig schüttelte Uglo den Kopf, „nein, weil, na weil…? Es ist, ich muss, dir als Sippenältestem …Ich muss dir etwas Merkwürdiges berichten …“

Der Vater kannte seinen Sohn gut, so aufgelöst und verschreckt hatte er ihn lange nicht mehr erlebt.

Etwas musste geschehen sein, dass den Jungen so unruhig werden ließ.

Wortlos setzte er sich zu ihm und wies auf den Platz neben sich.

Uglo setzte sich mit gekreuzten Beinen seinem Vater gegenüber und begann damit, dass er eigentlich heute Morgen seinen Fischspeer aus dem Wald holen wollte.

„Du weißt ja, wobei ich den in der Nacht verloren hatte.“ Der Vater nickte schmunzelnd.

„Dabei ist auch mein Schurz zerrissen und da bin ich einfach so..., na ja, ich habe nicht daran gedacht.“

Aufgeregt flüsternd berichtete Uglo dann davon, was er im Wald beobachtet und erlebt hatte. Von den zerstörten Fährten, davon, wie der Schamane in großer Hast aus dem Wald gerannt war und wie er schließlich den verletzten Ango gefunden hatte. Der lag unweit einer zerkratzten Fährte niedergeschlagen im Gebüsch.

„Vater, kann das denn alles Zufall sein? Der Zauberer, der eine Fährte falsch liest, dann sind die Spuren zerstört und dann wird Ango überfallen und, der“, jetzt flüsterte er nur noch, „und der Schamane rennt hastig aus dem Wald…Alle Fährten verwischt! Ich hab sie doch selber gefunden, es war niemand weiter dort oben. Nur Ango, ich und der Zauber …“ Uglo verstummte, selbst erschrocken davon, was er gerade ausgesprochen hatte.

Der Sippenälteste schwieg zu den Überlegungen. Tief holte er Luft, „Uglo, wenn deine Gedanken so stimmen, dann heißt das, dass …“

Er erhob sich und trat zu Ango, der gerade wach geworden war. Der Junge schaute den Sippenältesten mit erschrockenen Augen an, „entschuldige großer Bogo, ich war eingeschlafen, Uglo hat mich mit in eure Höhle genommen, ich geh gleich wieder.“

Er wollte aufstehen, sofort aber taumelte er und fiel wieder auf das Lager.

„Bleib!“ Mit barschem Ton hatte der Sippenälteste Ango zurechtgewiesen. „Was hattest du heute Morgen im Wald an den Spuren zu suchen, hast du sie zerstört?“

Ango, derart scharf gefragt, fing beinahe an zu weinen, nur mit Mühe konnte er die Tränen zurückhalten.

„Nun?“

Uglo wollte etwas besänftigen eingreifen, „Vater, Ango ist…“

„Schweig Uglo, ich habe Ango gefragt.“

Nun, mit etwas Trotz in der Stimme, antwortete der „Großer Bogo, ich habe nichts Unrechtes getan, ich wollte die Spuren, die wir gestern gelesen hatten, nochmal anschauen, weil, weil… Aber als ich oben auf den Pfad kam, waren sie alle schon verwischt, richtig zerstört. Ich bin ihnen bis zur letzten gefolgt, danach weiß ich nichts mehr, ich bin erst im Gebüsch wieder aufgewacht, wo Uglo mich gefunden hat. Ich hatte Kopfschmerzen und dann das Blut entdeckt. Ich war es aber nicht, bitte glaube mir.“

Bogo zog seinen Sohn zur Seite und fragte ihn leise, „weiß er, dass du den Zauberer oben gesehen hast?“

Ango zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf, „ich hab‘ es ihm nicht gesagt.“

Wieder an den Verletzten gerichtet fragte Bogo, „hast du da oben etwas gehört oder jemanden bemerkt?“ Ango schüttelte den Kopf.

Der Eingang zur Höhle verdunkelte sich plötzlich, Bogo fuhr herum. Im Gegenlicht erkannte er die Umrisse des Zauberers. Rasch erhob er sich, ging dem Medizinmann bis zum Höhleneingang entgegen, um ihn zu begrüßen.

„Großer Unkido, was verschafft mir die Ehre deines frühen Besuches?“

Blitzschnell hatte Uglo das große Schlaffell über den auf seinem Schlafplatz liegenden Ango fallen gelassen. Er selbst erhob sich ebenfalls und begab sich rasch zum Eingang und verneigte sich tief vor dem Gast. Auf den magischen Speer gestützt, erwiderte der Schamane den Gruß der beiden.

Der Zauberer erstarrte, als er Uglo wahrnahm, er stotterte „Uglo, du bist hier und was, wo, äh……?“ Sein Blick wanderte von Uglo zu Bogo und wieder zurück zu dem Jungen. Aufmerksam musterte er den Jungen, er starrte auf seinen Kopf und seine Haare …Er schien zu überlegen…

Jetzt erst bemerkte er, dass Uglo unbekleidet war. Er stotterte wieder unsicher, als ob er etwas überlegen müsste „Ja, äh, also, Ich wollte deinen Sohn Uglo ernsthaft daran erinnern, dass er als Mitglied der geweihten Männer unseres Geschlechts nur in Ausnahmefällen unbekleidet in der Siedlung erscheinen darf. Man hat mir berichtet, du warst nackt am Flussufer …?“

Uglo ließ sich auf die Knie fallen und bat den Mann um Vergebung, „ich hab mich noch nicht so recht daran gewöhnt, großer Zauberer. Ich war doch bisher immer morgens so im Fluss. Ich muss meinen Lendenschurz noch suchen, er liegt sicher hinten in einer Ecke. Bitte verzeih mir, ich werde deine Mahnung beachten.“

Unwillig winkte der Alte ab, „ja ja schon gut, ähm, was anderes, Uglo, weißt du wo Ango ist, ihr seid doch Freunde?“ In Uglos Gedanken begann ein Kreiseln, was sollte er antworten…, durfte er den Zauberer belügen, ohne dass der Federgeist es ihm verraten würde?

Bevor Uglo antworten konnte, fragte Bogo dazwischen, „was ist denn mit Ango? Warum fragst du nach ihm?“ Der Schamane schaute ihn an, als ob er in Gedanken ganz woanders wäre, „äh, was?“ Wieder winkte er ab, „nur so.“ Schnell sprach er weiter,

„Bogo kommst du mit zur Stromschnelle, wir wollen beginnen, die Grube vorzubereiten.“

„Ja, ich komme gleich nach, geh schon mal vor, ich werde Uglo noch eine paar Aufgaben geben.“

Im Gehen wandte sich der Schamane noch mal um, „ja und Uglo kann dann auch gleich mitkommen und wenn ihr Ango seht…“ Unsicher blieb er nochmal stehen, blickte Uglo prüfend an. Er winkte ab und verschwand kopfschüttelnd in Richtung Fluss.

Rasch griff der Vater in eine Nische an der Seite der Höhle und zog einen älteren Fellschurz hervor, „hier, bedecke dich damit erstmal, bis die Mutter einen anderen für dich genäht hat. Er ist noch etwas groß, aber…, mach einfach.“ Rasch befestigte Uglo das viel zu große Kleidungsstück seines Vaters um seine Hüften.

Uglo war ganz aufgeregt „Vater, hast du auf den magischen Speer geachtet? Er sah aus, als ob er am Schaft mit Blut beschmiert war, das …“

„Ja, ich hab es auch gesehen, schweig aber erstmal…“ Noch einmal schaute der Vater vorsichtig aus der Höhle, dann zog er das Fell von Ango, der sich voller Angst unter der Felldecke zusammengekrümmt hatte.

„Hast du alles mitgehört?“ Ango nickte. „Also, warum sucht er dich? Ob er weiß, dass du oben warst?“ Ango zuckte nur mit den Schultern, „Weiß nicht.“

„Vater, hast du bemerkt, wie erstaunt der Zauberer war, mich hier zu sehen? Er hat gedacht, dass ich es war, den er niederschlagen hat? Er hat so genau auf meine Haare geschaut, als ob… Der hat gedacht, ich bin ihm dort auf die… Ob er oben im Wald Ango und mich verwechselt hat? Und das mit meinem Fell, das war doch nur…“

Ango schaute die beiden verständnislos an. „Hä, der hat gedacht, ich bin du…? Und was hat er mit deinem Lendenschurz?“

Bogo unterbrach rasch „Ango zeig mal deine Wunde. Oh, es hat aufgehört zu bluten, das ist gut. Uglo, du bleibst hier, deine Mutter kommt gleich, sie wird Ango helfen. Du kommst dann nach zur Stromschnelle. Ich werde Taglo alles, auch von Ango, berichten, ich glaube, er hat auch eine ähnliche Vermutung wie wir.“

Ango blickte die beiden fragend an, „was hat mein Vater?“

Unsicher schaute Bogo seinen Sohn an, der nickte ihm zu, „keine Bange Vater, ich achte mein Gelübde.“

Zu Ango gewandt meinte er, „jetzt nicht, ich bin dein Freund, du kannst mir vertrauen, später wirst du alles verstehen… Vater du musst zum Fluss, ich komme dann nach.“

Bogo strich seinem Sohn durch die Haare und wandte sich zum Gehen.

„Ich versteh gar nichts mehr, was ist mit meinem Vater, was ist an der Stromschnelle und warum sucht mich der Zauberer?“

„Ich erklär es dir später, du musst erstmal bei uns in der Höhle bleiben. Ich darf dir nicht mehr erzählen, ich habe es gestern Abend in der Großen Versammlung geschworen, du weißt ja, dass ich … na ja.“

Wieder trat ein Schatten in den Höhleneingang, „ah Guten Morgen Mutter, … kannst du Ango…?“

Seine Mutter legte nur den Finger auf die Lippen. „Ich weiß Bescheid, die Männer erwarten dich an der Stromschnelle, beeile dich…“ Eilig legte er Ango seine Stirn an den Kopf, „hab Vertrauen. Ich muss los.“

Im Fortgehen hörte er, wie seine Mutter meinte, „Ango, wir müssen erstmal deine Haare aufbinden, mit dem Zopf kann ich dich nicht …“ Ango, wimmerte leise, „Akana nicht, mein Kopf…“ Scheinbar begann die Mutter Angos Kopfwunde zu betasteten.

Akana sprach beruhigend auf ihn ein, „schhschh, Ango, mein Großer, gleich wird es besser…“, weiter verstand Uglo nichts.

Insgeheim musste er ein wenig grinsen, „tsss, mein Großer…“

Schon aus der Entfernung sah er die Männer an der Stromschnelle stehen, offenbar berieten sie, wie sie mit ihrer Arbeit beginnen könnten. Etwas abseits standen sein Vater und Taglo und sprachen miteinander. Als Uglo sich näherte, beendeten sie das Gespräch, kurz nickte Taglo dem Jungen zu und begab sich dann mit Bogo zu den anderen.

Die Männer standen um den Schamanen herum, der gerade ein Beschwörungsritual vollzog. Seinen Speer hatte er mit der Spitze in die Erde gerammt, an dieser Stelle sollte die Fallgrube für das Ungeheuer entstehen. Die Stelle war klug gewählt, genau hier war der Durchgang zur Siedlung gerade mal so breit, dass zwei erwachsene Männer hindurchpassten. An beiden Seiten ragte die Felswand weit hinauf, so dass, wenn das Untier von hier kommen sollte, es keinen anderen Weg in die Siedlung nehmen konnte.

Entgeistert starrte Uglo auf die große dunkle Stelle an der Schaftspitze vom magischen Speer…, seine Augen hafteten an dem kleinen magischen Federkranz unterhalb der Speerspitze – er war zerrissen. Nur einzelne Reste des Federbusches waren noch zu erkennen …

„Uglo, träumst du schon wieder? Beeile dich, geh zu Taglo!“

Die donnernde Stimme des Schamanen riss ihn aus seinen Gedanken.

Die anderen Männer waren inzwischen schon auseinandergegangen und begannen mit den Arbeiten für die große Falle.

Erschrocken schaute der Junge auf, „äh, ja, äh ich …“

Mit einem bösen Blick auf Uglo riss der Zauberer den Speer aus dem Boden und wandte sich ab.

Kurz verfolgte Uglo den Zauberer mit seinen Blicken, ehe er Taglo aufsuchte.

Der erwartete ihn schon am Durchgang zur Ebene. „Meinen Gruß für dich Taglo, ich soll mich bei dir einfinden.“

Taglo schaute sich suchend um, der Schamane war außer Hörweite. Trotzdem sprach er besonders laut, „Uglo, du kletterst hier am Felsen hoch bis in die oberste Baumkrone. Pass auf, du beobachtest den Pfad und die Büsche hin zur Siedlung. Nicht, dass das Untier uns überrascht, wenn wie beim Graben sind.“

Leiser fuhr er fort, „was ist mit Ango passiert, warum ist er bei euch in der Höhle? Ich hatte vorhin bei Bogo nicht alles verstanden, der Schamane kam dazwischen.“

Noch einmal berichtete er dem Vater von Ango, was er heute am frühen Morgen im Wald oberhalb der Siedlung erlebt hatte. Ungläubig schüttelte Taglo den Kopf, „und der Schamane war am gleichen Platz…?“

Uglo nickte, „Ja, ist das nicht seltsam? Und die Spuren sollen von einem Vielfraß sein, dabei …. Und der magische Speer, das Blut und der Federkr …“

„Uglo - Taglo - warum ist der Junge noch nicht auf dem Baum?“, brüllte es von Weitem.

Der Zauberer schien besonders aufmerksam auf den Jungen zu achten. „Wenn das Untier kommt, wollen wir nicht überrascht werden!“

Rasch erklomm Uglo, den Felsüberhang, ebenso flink hatte er die obersten Äste der Kiefer erreicht.

Von dort oben hatte er einen wunderbaren Ausblick. Zu einer Seite hin reichte die Sicht bis weit in die Ebene hinein, aus der die Sippe vor einigen Monden hierher gewandert war. In der Ferne schimmerten blassblau die Berge, die sie auf ihrer Wanderung überwunden hatten.

Ihm gegenüber ragten die Gipfel der die Siedlung schützenden Berge weit in den Himmel hinauf. Erst in dieser Höhe konnte man die scharfen Felszacken richtig erkennen. Auch das ringförmige Loch in dem spitzen Gipfel, durch das die Sonne am Nachmittag schien, erschien aus diesem Ausblick riesig. Uglo war begeistert von diesem Blick.

Auf der anderen Seite konnte er die Lichtung gut überblicken, die meisten. Höhleneingänge lagen ihm zu Füßen, das Zelt des Schamanen bildete kurz vor dem Übergang zu den hohen Felsen den Abschluss der Siedlung. Direkt hinter dem Zelt des Schamanen erkannte Uglo von weitem etwas, das wie ein Zugang zu einer Erdhöhle aussah. Er wundert sich, noch nie hatte er diese Stelle vorher bemerkt. Vielleicht war es der Zugang zu den Vorräten des Zauberers?

Er schenkte dem aber keine weitere Beachtung. Der Schamane selber war aber nicht mehr zu sehen.

Seine scharfen Augen beobachteten das gegenüberliegende Waldstück, den Pfad zur Siedlung und die Schneise, die der Wasserfall auf der anderen Seite des Flusses geschaffen hatte. Wenn ein größeres Tier in die Siedlung wollte, musste es einen dieser Wege nehmen oder aber es kam im Fluss geschwommen. Das wäre aber für einen Vielfraß ungewöhnlich, sie meiden das Wasser.

Oder aber, die Gefahr kam von oben, über die Felsen in die Siedlung. Aber dann müsste das Untier schon entlang der Felsen, Bäume und abstehenden Wurzeln klettern können. Unsicher ließ Uglo bei diesen Gedanken seinen Blick auch einmal nach oben über die Felskante schweifen.

Kurz war ihm, als ob er dort eine unscheinbare Bewegung wahrnehmen konnte.

Aber er schüttete den Kopf, sicher hatte er sich getäuscht.

Die immer höher steigende Sonne hatte ihn auf seinem hohen Beobachtungsplatz bereits erreicht und schien schon gnadenlos auf seinen Kopf. Vorsichtig zog er sich ein wenig weiter zurück, so dass er ab und zu den Kopf in den Schatten der Baumkrone zurücknehmen konnte.

Von oben schaute Uglo den Männern zu. Mit großer Mühe begannen sie, den Boden aufzubrechen. Es sah recht anstrengend aus, wie sie versuchten, mit den Grabstöcken, mit denen sonst Wurzeln oder Pflanzen aus dem Boden gehoben wurden, eine zunächst flache Mulde in die steinige Erde zu treiben, die sie dann ausheben wollten.

Nach einiger Zeit wurde die Mulde langsam tiefer.

Die Männer hatten sich abgewechselt, unten entdeckte Uglo nun seinen Vater, der gemeinsam mit Taglo dabei war die Grube zu erweitern. Selbst von hier oben konnte der Junge erkennen, wie sehr anstrengend die Tätigkeit war. Schweißnass glänzten die Muskeln der beiden Männer im Sonnenlicht.

Langsam wurden seine eigenen Muskeln steif und der Hintern drohte ihm einzuschlafen. Um sich wieder etwas aufzulockern, kletterte er von der Kiefer, auf der er nun schon seit dem Morgen saß, weiter auf einen der nebenstehenden Bäume in Richtung des Durchgangs zur Ebene hin. Hier suchte er sich einen neuen Beobachtungsplatz. Wieder ließ er den Blick über den Pfad, den Fluss und die Berge schweifen. Von hier aus konnte er noch besser den heranführenden Pfad, die andere Waldkante und den Wasserfall beobachten.

Uglo hatte es sich in einer dicken Astgabel bequem gemacht und lehnte sich mit dem Rücken an den Stamm. Er fühlte in der Wärme immer mehr, dass er schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen war.

Die Sonne ließ die Luft flirren, tapfer versuchte, er die Augen offen zu halten…

Lautes Poltern holte ihn aus seinem Dämmerzustand, erschrocken riss er die Augen auf und starrte dem Geräusch entgegen. Oberhalb der Felskante hatte sich eine Steinlawine gelöst und sauste mit wachsender Geschwindigkeit durch die Bäume den Abhang hinunter.

Die Krone der Kiefer, in der er noch vor kurzem gesessen hatte, wurde durch zwei, drei größere Felsbrocken glatt abrasiert. Mit lautem Poltern stürzten sie in die Tiefe. Zwischen einigen anderen Bäumen und Sträuchern rasten die Steine hindurch, einige wurden abgelenkt und in die Höhe geschleudert, so dass sie weit nach vorn in Richtung der grabenden Männer sprangen. Ganz fest klammerte er sich an seinen Stamm, mit einem durchdringenden Schrei versuchte Uglo die Männer unten zu warnen…

Aufmerksam geworden richteten diese den Blick nach oben, mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrten sie auf die herabstürzende Gefahr. Vor lauter Staub und herumfliegenden Ästen konnte Uglo nicht mehr erkennen, was unten auf dem Platz geschah…

Angstvoll ging sein Blick wieder nach oben, wie viele Steine würden noch folgen?

Etwas, nicht mehr als ein Schatten, verschwand gerade in dem Moment, als er den Felsgrat mit den Augen absuchte. Täuschte er sich oder hatte er dort oben eine Bewegung wahrgenommen?

Er hatte es nicht genau erkennen können, war es ein Tier, dass zufällig den Steinsturz ausgelöst hatte oder… war gar ein Mensch dort oben gewesen?

Angstvoll schaute er wieder auf die Stelle, an der eben noch Taglo und sein Vater gearbeitet hatten. Die angefangene Grube war von den herabgestürzten Steinen und der mitgerissenen Erde bedeckt. Einige Äste lagen um die Absturzstelle herum.

Uglo atmete auf, sein Vater und auch Taglo hatte sich vor der Lawine gerettet, indem sie sich direkt an die Felswand gedrückt hatten und so die herabstürzenden Massen über sie hinweg geflogen waren.

Aufmerksam spähte Taglo nach oben, schaute nach, ob sich noch mehr Gestein in Bewegung setzen würde. In der hohen Kiefer entdeckte er Uglo, der sich weit nach vorn gebeugt hatte und ihm kurz zuwinkte. Er wendete sich an Bogo und sprach kurz mit ihm.

Der trat aus dem Schatten des Felsens heraus und hob kurz die Hand in Richtung Uglo und bedeutete ihm, herunterzukommen.

Vorsichtig, die Äste unter ihm immer wieder prüfend, kletterte Uglo zitternd von dem eben Erlebten hinunter, das letzte Stück ließ er sich über den glatten Felsen nach unten rutschen. Sicher landete er auf beiden Füßen.

Mit schlotternden Knien, heftig atmend schaute er auf den Geröllhaufen und das zersplitterte Holz, das sich an der Stelle auftürmte, wo eben noch sein Vater und Taglo gearbeitet hatten. Ihm traten Tränen in die Augen. Die beiden Männer umringten ihn. Was war das? Uglo erschrak ein wenig, hatte sein Vater Wasser in den Augen? Taglo trat auf ihn zu und umarmte ihn, er flüsterte „danke Uglo, du hast uns das Leben gerettet, danke für deinen Ruf.“

Sein Vater strich ihm nur wortlos über die Schultern. Er betastete kurz die Arme und den Körper seines Sohnes, „geht es dir gut?“

Uglo konnte nicht antworten, erschüttert schluchzte er nur, „ich, ich hatte gerade erst meinen Platz…“ wieder schüttelte es ihn… „wenn, wenn ich nicht…“

Inzwischen waren einige der anderen Männer hinzugekommen, die durch das Getöse aufmerksam geworden waren und das Schreckliche aus der Entfernung mitbekommen hatten.

Mit barschem Ton befahl Bogo ihnen den Platz fei zu räumen und sich um die begonnene Grube zu kümmern.

Taglo begleitete Bogo und Uglo zur Höhle, wo Ango gerade dabei war ein paar trockene Fische vom Vortag zu kauen. Seine Haare trug er immer noch offen, sie waren noch etwas blutverschmiert.

„Akana, Akai, wir müsse etwas beraten, wir dürfen nicht gestört werden.“

Taglo befahl seinem Sohn mit strenger Stimme, „Ango, komm her!“ Bogo winkte Uglo zu sich, alle vier zogen sich in den hinteren Teil der Höhle zurück.

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