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Uglo der Steinzeitjunge

Teil 2 - Geheimnisvolle Spuren

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Informationen

 

Uglo entzündete vor der Höhle seiner Familie das kleine, über Nacht erloschene Feuer wieder. Diese Kunst hatte er sich von seiner Mutter Akana abgeschaut und sich dabei sehr gelehrig gezeigt. Schon bald durfte er oft das Feuer entzünden und war sehr stolz darauf, seinen Eltern helfen zu können.

Manchmal verspottete ihn Ango deswegen, weil es eigentlich die Aufgabe der Frauen und Mädchen war, sich um das Feuer zu kümmern. Sein Vater aber hatte ihm Mut zugesprochen, „wer weiß, wozu du die Feuerkunst noch mal gebrauchen kannst.“

Eigentlich war Ango ja nur neidisch darauf, dass Uglo diese Tätigkeit schon gut beherrschte, er selbst war jedoch zu stolz, sich als Junge mit einer solchen Tätigkeit der Frauen zu beschäftigen.

Uglos Schwester hatte bereits das Innere der Höhle etwas aufgeräumt. Sie hatte die Schlaffelle auf das Holzgestell vor der Höhle zum Lüften aufgehängt. Die größere Feuerstelle in der Mitte der Behausung wurde nur im Winter oder in besonders kalten Nächten benutzt. Sie war jetzt mit flachen Steinen abgedeckt, auf denen Akai die vorbereiteten Fische bereitgelegt hatte. Sie hatte ihre Aufgabe fleißig erledigt, die Fische gesäubert, die Innereien entfernt und am Waldrand in eine der Abfallgruben gebracht. Sie wartete schon ungeduldig darauf, dass sie zusammen mit ihrem Bruder die Fische braten und dann endlich ihren Hunger stillen konnte. Schon bald zog ein verführerischer Duft in die Höhle.

Die Kinder hatten sich gerade um das kleine, nur noch glühende Holzfeuer gesetzt, als am Zugang zur Lichtung ein leiser Gesang und ein immer lauter werdendes Gewirr von Frauenstimmen, vermischt mit Gelächter, zu hören war. Akai wurde aufmerksam. „Uglo, horch unsere Mutter kommt zurück.“ Sie sprang auf und lief der Frauengruppe entgegen. Uglo war auch aufgestanden und ging der Mutter, die einen sichtbar schweren Korb trug, ebenfalls entgegen. „Guten Morgen Mutter, ich möchte dir tragen helfen, darf ich?“ „Das ist lieb von dir Uglo, wir haben viele Beeren, Pilze und Früchte gefunden. Der Korb ist sehr schwer.“ „Ich bin stark und schaff das, gib mir den Korb Mutter.“ Sie seufzte, „es stimmt, du bist schon ganz schön gewachsen.“ Uglo nahm ihr den Korb ab, hob ihn auf eine Schulter und stapfte voran zu ihrer Höhle. Dabei rutschte sein viel zu kurzer Schurz hoch. Sie betrachtete ihren Sohn liebevoll von hinten, wie er mit dem schweren Korb vor ihr herlief. Sie musste sich eingestehen, dass er in der letzten Zeit doch sehr gewachsen war und seine Muskeln sich deutlich abzeichneten. Schmunzelnd dachte sie bei sich „ja, er wird stark werden wie sein Vater.“ Sie beschloss, ihrem Großen bei nächster Gelegenheit einen größeren Fellschurz zu nähen.

Uglo hatte den Korb in der Höhle abgestellt, Akai zog ihre Mutter zum noch glimmenden Feuer vor der Höhle. „Schau Mutter, Uglo war heute Morgen schon fischen und wir haben die Fische gebraten, du hast doch bestimmt Hunger nach dem langen Marsch.“ Der Junge kam hinzu, seine Mutter zog ihn an sich „mein Großer, du warst heute schon im Fluss? Und so viele Fische, du bist ein guter Fischer und schon fast ein richtiger Mann…“ Das Lob der Mutter machte ihn stolz…

Voller Stolz schaute auch seine kleine Schwester auf ihn.

„Aber“, Uglo schluckte kurz, „aber Ango war mit mir beim Fischen, wir haben gemeinsam so viele Fische gefangen.“ Die Mutter nickte ihm zu, „es ist gut und wichtig, dass ihr zusammenhaltet, sehr wichtig…“ An das Mädchen gewandt, „Akai, hol noch eine Hand voll Pilze, ein paar Blätter vom Bärlauch und zwei helle Wurzeln aus dem Korb, ich werde unser Essen damit noch etwas verfeinern.“

Uglo war schon etwas länger auf den Beinen und verspürte nun starkes Hungergefühl. Sein Magen knurrte vernehmlich, aber er sagte keinen Ton. Wenn er ein Mann werden wollte, musste er es lernen, sich zu beherrschen.

Die Mutter hatte das Geräusch aber auch gehört, strich ihrem Großen durch die lange rote Mähne und meinte, „du bist tapfer Uglo, gleich können wir essen.“

Während sie schweigend ihre Mahlzeit einnahmen, dachte Uglo über seine Aufgaben des Tages nach. Bis zur Mittagssonne musste er heute zum alten Schamanen, dort würde er gemeinsam mit den gleichaltrigen Jungen üben, Tierspuren zu lesen. Das fiel ihm leicht. Flink konnte er die Spuren der Höhlenbären, des Leoparden oder des Berberlöwen erkennen. Bei kleineren Tieren war das nicht so einfach, aber diese waren besonders wichtig, waren doch Hase, Reh oder Wildschwein wichtige Nahrungslieferanten.

Gleich nach dem Essen sprach die Mutter die Kinder an, „Uglo, bevor du heute zum Schamanen gehst, musst du noch den Abfall wegbringen und bring bitte auch noch Holz vom Vorratsplatz mit. Wir brauchen auch noch wieder Reisig für das Kochfeuer, denk bitte später mit daran. Akai, ich bringe dich heute mit den anderen Mädchen zur Hüterin des Feuers, du wirst lernen, wie man das Feuer entzündet und es hütet. Vorher muss aber die Höhle noch gesäubert werden. Denk bitte auch noch an das Schlaffell des Vaters. Sicher ist er sehr müde, wenn die Männer von der Jagd kommen.“

Die Kinder waren es gewohnt, der Mutter zu helfen und machten sich gleich an ihre Arbeit.

Was Uglo der Mutter aber nicht erzählte war, dass er sich für den späteren Nachmittag, wenn die Sonne einen bestimmten Stand erreicht hatte, mit Ango noch zum Baden an ihrem geheimen Ort treffen wollte. Die Mutter würde nicht fragen, da die Kinder oft gemeinsam in der näheren oder weiteren Umgebung des Lagers spielten oder unterwegs waren.

Rasch erledigte er die ihm übertragenen Aufgaben. Zur Abfallgrube ging er zwar nicht so gern, es stank dort immer ziemlich, da hier nicht nur die Abfälle der Sippe vergraben wurden, sondern die Bewohner in der Nähe auch ihre Notdurft verrichten. Manchmal gab es dort auch sehr unangenehme Begegnungen, wenn mehrere Leute dort gleichzeitig etwas zu erledigen hatten…

Aber, er hatte Glück, niemand war zu dieser Zeit gerade dort. Er entleerte den Korb mit den Resten der Fischmahlzeit und dazu auch noch die große Tonschale, in der die Abfälle der letzten Tage gesammelt worden waren. Mit kräftigem Schwung bedeckte er die Abfälle mit Hilfe eines Grabstockes mit frischer Erde, so dass wenigstens eine leichte Abdeckung den Geruch des Essenreste milderte und die wilden Tiere nicht sogleich die Witterung aufnehmen konnten.

Sorgsam schaute er sich um, er war allein. Er ging ein Stück in den Wald hinein, schaute sich nochmals um und hockte sich hinter ein dichtes Gebüsch, hob seinen Schurz an und erledigte sein Geschäft. Mit einer Hand hielt er das Fell sorgfältig hoch, mit der anderen riss er hastig ein trockenes Grasbüschel vom Waldboden und säuberte sich…

Auf dem Rückweg zur Höhle lud er die Behältnisse voll mit Holzscheiten, die er nach Hause trug. Das Reisig würde er später aus dem Wald holen.

Die Sonne war inzwischen schon so hoch gestiegen, dass sie auch den Boden der Lichtung erwärmte. Gerade als Uglo das Holz an der Feuerstelle abgelegt hatte, trat Ango vor die Höhle.

Sie hörten, wie der Schamane seinen Gesang zur Knochentrommel begann, der die Jungen herbeirief. Uglo ordnete schnell nochmal seine Kleidung und rannte hinter Ango her zur anderen Seite der Lichtung, wo die Behausung des Zauberers stand.

Der Schamane lebte nicht in einer Höhle, sondern in einem prachtvollen Zelt aus Leder, das aus der Haut erlegter Tiere gewonnen wurde. Viele bunte Streifenbänder schmückten die Außenwände des Zeltes. An den langen Tragstangen waren verschiedene rituelle Gegenstände befestigt. Es fanden sich dort einige Bisonschädel, mit spitzen, bedrohlich wirkenden Hörner, dann viele Ketten, deren Bedeutung Uglo nicht kannte. Auch ein menschlicher Schädel starrte von oberhalb des Zelteingangs mit leeren Augenhöhlen auf die Besucher hinab. Vor dem fürchteten sich die Kinder am meisten.

Noch nie waren Ango, Uglo oder einer ihrer Freunde im Zelt des Schamanen gewesen. Nur der Sippenälteste und die Männer des Großen Rates hatten das Recht den Schamanen in seinem Zelt aufzusuchen, außer, man wurde hineingerufen. Aber das war für die Kinder undenkbar und wohl auch gut so …

Die Knaben in Uglos Alter versammelten sich um den rituellen Steinkreis, der sich vor dem Zelt befand. Ein paar Jüngere standen etwas abseits der Gruppe und schauten neugierig hinüber. Als am Zelt das Eingangsfell zur Seite geschlagen wurde, stoben sie in alle Richtungen auseinander. Die um den Steinkreis sitzenden Jungen erhoben sich

und verneigten sich vor dem Zauberer. Der musterte die Versammelten mit steinerner Miene eine Weile, fragte dann mit barschem Ton „wo ist Bergo, der Sohn von Takano?“ Die Jungen erstarrten und schauten betreten zu Boden.

Unwirsch fuhr der Zauberer Uglo an, „Nun, Uglo, was weißt du dazu, die Familie lebt doch in deiner Nähe?“ Uglo erschrak etwas, trat dann zögerlich einen Schritt vor und ging auf die Knie. „Großer Zauberer Unkido, ich weiß es nicht genau, aber wenn ich mich recht erinnere, war Bergo vor kurzem von einem Baum gestürzt und wurde dabei am Bein verletzt. Ich glaube“, jetzt wurde er unsicher, wie sollte er das sagen? Er holte nochmal tief Luft und sprach bedacht weiter „also ich glaube, du hast ihn vor ein paar Nächten mit einem großen Zauber geheilt. Er ist aber noch sehr schwach und liegt in seiner Höhle auf dem Fell…“ Er schaute zu Boden.

Im Gesicht des Schamanen zuckte es kurz, hatte er das vergessen? Aber keiner der Jungen bemerkte die Unsicherheit des Zauberers, weil alle ihren Blick ehrfürchtig gesenkt hatten. Er räusperte sich „Nun gut, dann last uns aufbrechen, wir werden die Spuren um die Abfallgruben herum lesen. Enko, du führst uns.“ Er zeigte mit seinem mit einem Federkranz geschmückten magischen Speer, den er stets bei sich trug, auf einen der Jungen.

Enko, der Kleinste der Gruppe, stand als erster auf und die anderen Burschen folgte ihm in einer Reihe. Der Schamane schritt gemächlich mit einigem Abstand hinter der Gruppe her. Schon nach kurzem Weg war der strenge Geruch der Abfallgruben zu riechen. Es waren weniger die Abfälle, die den beißenden Gestank hervorriefen, als vielmehr die menschlichen Hinterlassenschaften, die überall in der Umgebung der Grube herumlagen.

Der Schamane teilte die Knaben in drei Gruppen, eine führte Ango, die andere Enko und die dritte Gruppe sollte Uglo führen. Missmutig zogen die Jungen los. So hatten sie sich das Spurenlesen nicht vorgestellt, an den stinkenden Haufen, die Spuren von irgendwelchen Tieren finden und bestimmen zu müssen. Sie wollten Jäger werden und nicht…

Aber, es half nichts. Der Schamane würde dann später die Spuren sehen wollen und erklärt haben wollen.

Uglos Trupp hatte einigermaßen Glück, sie fanden in einiger Entfernung ein paar Spuren von kleineren Tieren, ein paar Abdrücke von Kojoten, eine Spur eines Berberlöwen, die aber schon sehr alt war. Sie war fast nicht mehr zu erkennen.

Auf dem Rückweg zum Treffpunkt schrie der kleinste der Gruppe, er hieß Margo, auf einmal leise auf. Er bückte sich und tastete mit den Fingern den Boden ab. „Uglo, komm mal, hier…“ Er deutete mit blassem Gesicht auf etwas am Boden. Die Jungs scharten sich um die Stelle und schauten Uglo, der sich zu Margo hinunter gekniet hatte, neugierig über die Schulter. Fragend schaute Margo dem Größeren ins Gesicht, er flüsterte „was ist das? Was für ein Tier?“

Uglo befühlte den Abdruck am Boden, er hatte eine solche Spur auch noch nicht gesehen. Er legte seine Hand in die Mitte der Spur, sie war nicht mal halb so groß wie der Abdruck im Boden. Ein tiefer runder Eindruck, an dessen einer Seite lange spitz zulaufende Streifen sternförmig in den Boden gedrückt waren, so viele, wie Uglo Finger an einer Hand hatte.

Ein sehr großes Tier musste diese Spur hinterlassen haben. Er zuckte mit den Schultern, „ich weiß es auch nicht, diese Spur kenne ich nicht.“

Automatisch hatte er auch nur geflüstert. „Aber sie scheint noch recht frisch zu sein, schaut mal, die Ränder sind sogar noch etwas feucht…“ Er richtete sich auf und begann in der Umgebung der Spur nach weiteren Abdrücken zu suchen. Da, in unmittelbarer Nähe fand er die nächste Spur und weiter… Die Abstände der beiden Eindrücke in den Boden waren so weit auseinander, dass selbst der größte der Jungen in Uglos Gruppe, der lange Faugo, sie nicht mit einem Schritt erreichen konnte. Die Spur führte direkt in die Richtung ihrer Siedlung. Uglo bekam eine Gänsehaut. Er spürte direkt, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief.

„Wir müssen sie dem Schamanen zeigen, der kennt die Spur bestimmt. Sie führt in unsere Richtung.“ Aufgeregt begaben sich die Jungen nun mit schnellen Schritten zum Sammelplatz, wo der Schamane und die anderen beiden Gruppen schon ungeduldig auf sie warteten. Sie hatte ihre Spuren dem Schamanen schon gezeigt und erklärt.

Spöttisch wurde Uglos Trupp von den anderen Jungen empfangen. „Ihr hab euch wohl verlaufen oder ist auch einer von euch in einen stinkenden Haufen gelaufen?“ Sie drehten sich dem kleinen Enko zu, der mit rotem Gesicht ganz verschämt hinter den anderen stand und sich mächtig schämte. Großes Gelächter. Der Zauberer hob gebieterisch die Hand, das Gelächter verstummte.

Die Jungen aus Uglos Trupp schwiegen. Der Schamane wollte gerade zu einer langen Schmähung ansetzen als Uglo nah an ihn herantrat, sich vor ihm auf die Knie fallen ließ und leise darum bat, ihm etwas sagen zu dürfen. Verdutzt hielt der Zauberer die Luft an, das hatte noch nie einer der jungen Burschen ihm gegenüber gewagt. Eigentlich wollte er sich ärgern, aber der Sohn des Sippenältesten hatte ihm vorhin schon mal etwas Wichtiges mitgeteilt und er vermutete, dass Uglo einen Grund haben musste, um ihn direkt anzusprechen.

„Steh auf, Uglo, Sohn des Bogo, folge mir zu meinem Zelt. Ihr anderen könnt gehen.“

Zwar erstaunt, aber ohne weiter zu fragen, zerstreuten sich die beiden anderen Gruppen. Nur der Trupp, den Uglo geführt hatte, verharrte unschlüssig auf der Stelle.

„Bitte verzeih, großer Zauberer“, wieder fiel Uglo vor ihm auf die Knie, genauso wie auch die anderen Knaben seiner Gruppe.

„Wir müssen dir etwas Wichtiges zeigen, etwas, was uns unbekannt ist und uns Sorgen macht. Bitte folge uns.“ Durchdringend schaute er den Zauberer an.

Abwartend schauten die Jungen dem Mann ins Gesicht. „Nun Uglo, wenn du es für so wichtig hältst, dann werde ich dir folgen. Aber wir gehen beide allein, die Jungen können gehen.“ „Aber …“, hob Uglo an, um dem Zauberer zu widersprechen.

Wütend stieß der Zauberer seinen Speer auf den Boden, er fauchte: „Uglo, Sohn des Bogo, treib es nicht zu weit, ich habe gesagt, wir beide gehen alleine, Schluss jetzt.“

Der scharfe Ton des Schamanen duldete keinen Widerspruch.

Enttäuscht erhoben sich die anderen und schlenderten langsam in Richtung Siedlung.

Als die anderen Jungen außer Hörweite waren, zischte der Schamane den Jungen an, „mach das nicht noch einmal, widersprich mir nie wieder vor den anderen Jungen.

Nur weil du der Sohn des Sippenältesten bist, hast du nicht die Rechte deines Vaters, haben wir uns verstanden?“

Erschrocken sah Uglo zu Boden, mit rotem Gesicht nickte er wortlos. Der Schamane strich ihm auf einmal ganz sanft mit der Hand durch seine rote Mähne, „so Uglo, und jetzt zeig mir, was ihr entdeckt habt.“ Uglo sah zu ihm auf, nickte und ging wortlos in die Richtung, wo Margo vorhin die unbekannte Spur entdeckt hatte.

Auch der Zauberer kniete sich zu der Spur hinunter, legte seine Hand hinein und verharrte so einen langen Moment. Er roch an seiner Hand. Sorgsam betastete er die Ränder, „noch feucht“ murmelte er, „fast noch frisch“. Als er sich aufrichtete, um sich nach weiteren Spuren umzusehen, erkannte Uglo, dass der Mann leichenblass im Gesicht geworden war. Schwer atmend stützte er sich auf seinem Speer ab, sein Blick schweifte suchend umher.

„Großer Zauberer, kennst du das Tier, das diese Fährte gemacht hat?“

Der Mann folgte den Spuren einige Schritte. Wie abwesend antwortete der Zauberer nicht, seine Augen weiteten sich als er den Abstand der einzelnen Abdrücke voneinander erkannte. Halblaut murmelte „Großer Federgeist, steh uns bei!“ Mit starrem Blick drehte er sich ganz langsam zu dem Jungen hin. „Uglo, das ist eine große Gefahr für unsere Sippe, wir müssen noch heute, wenn die Männer wieder da sind, den großen Rat einberufen.“

Uglo erstarrte, was war los? Er traute sich nicht mehr zu fragen. Wenn der Zauberer den Großen Rat einberief, mussten die Spuren etwas Ungeheuerliches bedeuten.

„Uglo!“ Der Junge erwachte aus seinen Gedanken, „Uglo, du darfst mit niemandem außer deinem Vater, über deine Entdeckung reden, mit niemandem! Hörst du, du musst das Geheimnis hüten. Eine große Gefahr bedroht unsere Sippe.“ „Aber, die anderen Jungs …“ Er kam nicht dazu, den Satz auszusprechen, der Schamane blitzte ihn böse an, „widersprichst du mir schon wieder, das machst du nicht umsonst. Ich werde dich strafen.“ Sein magischer Speer zeigte mit der Spitze, an der der Federkranz heftig vibrierte, auf Uglo.

„Und nun geh und schweig!!“

Entsetzt von der Drohung des Zaubers trottete Uglo mit hängenden Schultern in Richtung der Siedlung.

Vor der Höhle spielte seine kleine Schwester mit ihren Freundinnen Murmeln mit bunten Steinen, die der Fluss rund gewaschen hatte.

„Uglo, wo bleibst du so lange, Ango war schon da und hat nach dir gefragt. Spielst du mit uns?“

Aber Uglo antwortete ihr gar nicht. Ohne ein Wort schlich er auch an der Mutter vorbei, die ihn fragend anschaute. Er verkroch sich in seine Schlafecke, zog sich seine Felldecke bis über das Gesicht und wollte nichts mehr sehen oder hören.

Etwas später spürte er, dass seine Mutter sich zu ihm gesetzt hatte, ihm durchs Haar strich, aber nichts weiter sagte. Er fühlte, dass er feuchte Augen bekam, schon lange hatte er nicht mehr geweint, er war doch bald ein Mann!

Was hatte er falsch gemacht?

„Magst du mir etwas erzählen, mein Großer?“ Uglo schüttelte den Kopf, „ich darf nicht, der Zauberer hat es mir verboten, dabei hab ich doch nur…“ Er verstummte, „er wird mich strafen.“ Er schluchzte auf und drehte sich der kalten Felswand zu.

Leise ging die Mutter wieder an ihre Arbeit.

Kurz darauf erschien Ango vor der Höhle, er grüßte Akana und fragte nach Uglo. „Wir waren verabredet, wollten schwimmen gehen, aber Uglo ist nicht gekommen. Hat er es vergessen?“ Die Mutter schüttelte den Kopf, „Nein Ango, bestimmt nicht, aber es geht ihm nicht gut, er kam ganz unglücklich vom Spurenlesen zurück, was ist dort geschehen? Weißt du etwas darüber?“ „Nein Akana, der Schamane hat uns alle weggeschickt, er wollte mit Uglo allein sein, also ich meine, Uglo sollte ihm was zeigen, mehr weiß ich aber auch nicht.“ Die Mutter ging mit den Worten „Ich schau mal nach ihm“ in den hinteren Teil der Höhle, wo Uglo eingeschlafen war. Die Mutter gab Uglos Freund Bescheid, er sollte später wiederkommen.

Uglo wurde durch die leise Unterhaltung seiner Eltern wach. Der Vater war mit den Männern der Sippe von einer erfolgreichen Jagd zurückgekehrt. Die Sippe hatte nun für ein lange Zeit ausreichende Fleischvorräte. Sofort begannen die Frauen damit, die erlegten Tiere zu zerlegen und das Fleisch zu verarbeiten, so, dass es haltbarer wurde. Die fertigen Stücke wurden mit grauer Tonerde eingerieben und in kühlen Erdgruben verwahrt.

Die Sonne wanderte schon wieder den gegenüberliegenden Bergspitzen zu, es war eben noch nicht Sommer, bald würde der Schatten der Gipfel die Siedlung wieder in dämmriges Licht hüllen und die Abendkühle würde einziehen. Der Vater hatte sich gerade an das kleine Feuer gesetzt, um sich ein wenig auszuruhen, als die Trommel des Schamanen die Männer zu sich rief. Erstaunt warf sich Bogo seinen Fellumhang über, ging nochmal in die Höhle, um die große Kette des Sippenältesten aus geschliffenen Steinen und Krallen des Berberlöwen umzuhängen. Fragend sah er seinen Sohn an, der beim Klang der Trommel aufgeschreckt war und steif dasaß. „Vater, ich muss dir was sagen.“ Der Vater, nun schon in Eile, sagte rasch, „später Uglo, du hörst doch die Trommel rufen, ich werde erwartet.“ „Ja Vater, ich weiß, aber…“

Der Vater war aus der Höhle getreten und eilte mit straffem Schritt dem Zelt des Schamanen entgegen.

Erst jetzt kamen ihm die Worte seines Sohnes ins Bewusstsein, was hatte Uglo gesagt? „Der Schamane will mich strafen.“ Unvermittelt blieb Bogo vor dem Eingang zum Zelt des Schamanen stehen. Was war geschehen, dass Uglo Angst vor dem Zauberer hatte?

Mit diesen Gedanken schlug er rasch die Lederdecke zum Eingang des Schamanenzeltes zur Seite. Seine Augen hatten sich schnell an das Halbdunkel gewöhnt, alle Männer des Großen Rates saßen bereits versammelt um das Feuer in der Zeltmitte und murmelten leise ihre Gebete. Der Zauberer empfing den Sippenältesten mit einer leichten Verbeugung und bat ihn zur Seite und sprach ihn leise an. „Bogo, holst du bitte deinen Sohn Uglo mit hierher, er hat uns etwas Wichtiges zu sagen.“

Bogo erschrak, er wurde richtig bleich, er wusste, dass er den Zauberer nicht nach dem Grund fragen brauchte, er würde ihm nicht antworten. Er nickte nur stumm und verließ wieder das Zelt. Uglo saß vor der Höhle noch an der gleichen Stelle, wo der Vater ihn verlassen hatte. „Uglo, der Zauberer hat mich geschickt, du sollst zum Rat der Großen Männer kommen. Was hast du …?“

Uglo erschrak, er atmete schwer und begann zu schluchzen, zu zittern. „Vater, bitte, glaub mir, ich hab nichts Unwürdiges gemacht- oder, ja, ich ich hab dem, dem Schamanen widersprochen, ihn…“, jetzt war es vorbei.

Er warf sich vor dem Vater auf den Boden, „er wird mich strafen, ich muss vor den Großen Rat, bitte Vater… Ich hab dir Schande gemacht.“

Er konnte nicht weitersprechen. Bogo trat auf seinen Sohn zu, zog ihn hoch und strich ihm übers Haar, „das glaub ich nicht, es klang so, als ob er deinen Rat braucht. Komm erstmal mit, ich werde dich beschützen.“ Er wischte seinem Sohn die Tränen aus dem Gesicht und sagt dann barsch, „los, komm jetzt.“

Vor dem Zelt des Schamanen holte der Junge noch einmal tief Luft, nach seinem Vater trat er ein. Alle Gesichter der Männer wandten sich ihm zu. Sofort ließ Uglo sich auf die Knie fallen und legte seinen Oberkörper auf dem Boden ab.

Sein Vater hatte im Kreis der Männer seinen Platz neben dem Zauberer eingenommen.

Eine Weile passierte nichts weiter, Uglo blieb in seiner Haltung am Boden, nur die Knochentrommel des Schamanen wurde in ihrem Rhythmus immer schneller und das gebetsartige Gemurmel der Männer schwoll weiter an.

Dann, mit einem Mal, trat Stille ein. Die Stimme des Schamanen erklang.

„Uglo, Sohn des Bogo, tritt in die Mitte des Großen Rates.“

Der Junge, tat, was ihm gesagt wurde. Aufrecht, mit leicht trotzigem Gesicht stand er in der Mitte des Kreises, er war bereit, die Strafe des Zauberers zu ertragen, denn er war sich sicher, dass er bestraft werden würde. Aber er wollte wie sein Vater, wie ein Mann, tapfer sein.

Der Zauberer trug einen Federschmuck ringförmig um den Hals, um die Knie trug er einen Kranz aus Adlerfedern und auch seine Füße waren mit Ringen aus Federn eines bunten Vogels geschmückt.

Mit dröhnender Stimme begann er „Uglo, du bist zum Rat der Großen Männer gerufen worden, weil du ein Geheimnis kennst, dass für die Sippe große Bedeutung besitzt. Wir müssen dir ein Gelübde abnehmen, dass es erfordert, dass du mit deinem Leben dafür einstehst, dass dieses Geheimnis in deinem Körper eingeschlossen bleibt. Bist du dazu bereit?“

Uglo war total überrascht, was passierte gerade mit ihm? Vollkommen überwältig von der Situation nickte er nur.

Der Schamane räusperte sich kurz, schaute sich im Kreis der Männer noch einmal um.

Feierlich begann er, „Uglo, Sohn des Bogo, wir lassen dir einen Teil des Mannbarkeitszaubers angedeihen, du bist damit, obwohl du noch sehr jung bist, dazu bestimmt, die Pflichten eines Mannes unserer Sippe auf dich zu nehmen und dich ihrer würdig zu erweisen. Solltest du aber jemals deinen Schwur brechen, so wird dich das Geschlecht der fliegenden Feder für immer verstoßen. Hast du das verstanden?

Bist du dazu bereit?“

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