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Riding the Devil

Teil 2

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Lies mich:

Was im ersten Teil als - mehr oder weniger normale – Liebesgeschichte begann, wird jetzt so richtig hart. Lies diesen Teil bitte nicht, wenn du dich nicht wohl fühlst!

 

... blieb ich und krallte mir ein Brötchen. Schinken und Eier sind ja ganz nett, aber die Portion hätte nicht mal für 'ne verhungernde Ameise gereicht. "Wieso ist das eine perfekte Lösung? Ich mein, keine Schule hört sich ja ziemlich klasse an, aber ist das nicht auch 'n bisschen langweilig?" Chris' Vater tupfte sich die Lippen ab und legte das Besteck auf den Teller, der ungefähr zwei Nanosekunden später verschwand. "Chris ist ein... außergewöhnlicher Junge." Na, das war mit echt noch nicht aufgefallen. Ich grinste. "Normalerweise schlägt nicht gleich jemand mit 'nem Stock auf mich ein." Er nickte. "Chris sagt, er will ein Krieger werden und er nimmt das sehr ernst.” Ich hab zwar nie verstanden, was so toll daran sein soll, irgendwo am Arsch der Welt fremden Leuten den Kopf wegzuschießen oder in einer Blechkiste nach Hause zu kommen, aber wem’ s Spaß macht... "Na ja, inzwischen soll' s bei der Bundeswehr ja ganz lustig sein, aber mein Ding ist das nicht." Er gab ein undefinierbares Geräusch von sich. "Es geht nicht um die Bundeswehr, Chris will ein Krieger werden, kein Soldat. Er...will etwas tun...gegen Dinge, die nicht in Ordnung sind." "Versteh ich nicht. Es gibt doch reichlich Leute, die bei Amnesty oder Greenpeace mitmachen, aber das sind doch nicht gleich...Krieger." Und schon wieder dieses Geräusch. "Ein Krieger ist jemand, der jederzeit bereit ist, zu sterben." Oops. Und noch mal oops. Was war das hier? Al-Quaida für Arme? Scheiße, da lern ich mal einen netten Jungen kennen und schon am nächsten Morgen stellt sich raus, dass er einen ganz üblen Sprung in der Schüssel hat. Ich legte das angebissene Brötchen weg, schmeckte irgendwie nach Pappe. Ich dachte an Terry und eine seiner goldenen Regeln für Stuntmen "Wenn du die Situation nicht mehr kontrollierst, dann lauf weit und schnell!" Gute Idee, verdammt gute Idee. "Äh, ja, ich glaube, ich muss noch den Bus erwischen..."

In Gedanken war ich schon aus dem Haus, aber dann setzte Herr von Mehringfeld noch einen drauf. Er fing an zu lachen und er lachte bis ihm die Tränen übers Gesicht liefen. So hatte ich mir die Terrorleute nicht vorgestellt. "Daniel, warte bitte! Ich habe mich da wohl etwas missverständlich ausgedrückt und das tut mir leid." Hm, na gut. "Gibt es Menschen, für die du, wenn es so richtig hart auf hart ginge, auch dein Leben riskieren würdest?" "Ja, sicher. Für Dad und auch für Terry und noch für ein paar andere." Er nickte. "Siehst du, so geht es Chris auch. Er versucht einfach, alles zu tun, damit er das auch kann, wenn es notwenig sein sollte." "Hört sich an, als ob er zu viele Filme gesehen hätte."

Immerhin wusste ich ziemlich gut, was das für ein riesiger Aufstand war, bis ein Schauspieler im fertigen Film eine Treppe runterfällt und bei der Gelegenheit noch fünf Leute umlegt. Chris Vater zögerte. "Das trifft es nicht ganz. Du wirst es besser verstehen, wenn du ihn näher kennst. Chris will...beschützen und er will sich auch die notwendigen Fähigkeiten dazu erwerben und das unterstütze ich voll und ganz." "Hört sich für mich immer noch 'n bisschen merkwürdig an, aber damit kann ich leben." Konnte ich auch, denn das Brötchen schmeckte wieder und jeder von uns hat 'ne Macke und wenn Chris auf andere Leute aufpassen wollte, es gibt schlimmeres. Chris' Vater lächelte.

"Das freut mich. Am kommenden Wochenende wollen wir zu unserem Landhaus fahren, etwas ausspannen. Hättest du nicht Lust, mit uns zu kommen?" Ausspannen? Wovon denn? Das hier war doch besser als jeder Urlaub. "Klar! Also...ich meine, wenn Chris nichts dagegen hat." "Unsinn! Aber du kannst ihn gleich fragen. Wir fahren am Freitag um drei und kommen Sonntag im Laufe des Nachmittags zurück."

Erst kamen Rührei mit Lauch und Paprika, dazu der Schinken, übrigens auch in verdammt kleinen Schüsselchen, und dann kam Chris und es war gut, dass ich schon was gegessen hatte, auf nüchtern Magen hätte er mich umgehauen. Die Haare noch nass, weißes T-Shirt und kurze Hose und ein Lächeln für mich...für mich...

"Morgen zusammen. Habt ihr mir was übrig gelassen?" Ich grinste. "Mit Mühe, aber wir haben uns zurückgehalten, damit du genug hast." "Mein Dank wird dir ewig nachschleichen. Hast du gut geschlafen?" "Traumhaft. Übrigens...", wo wir gerade beim Träumen waren, "...dein Vater hat mich eben für das nächste Wochenende eingeladen, wenn du einverstanden bist?" "Ich glaub schon. Aber nur..." Er machte es spannend und biss in ein Brötchen mit Rührei und Schinken, es wurde eine ziemliche Schweinerei,"...wenn ich vorher auch mal bei dir frühstücken darf."

Ich hab ja gesagt, dass es gut war, dass ich schon gefrühstückt hatte, sonst hätte ich mich bestimmt verschluckt und wäre erstickt oder so was. Chris' Vater guckte, als wäre gerade 'ne fliegende Untertasse gelandet und ich bin ziemlich sicher, dass sogar Josefs Unterkiefer nach unten sank. "Äh...ja...klar...kein Problem. Du weißt,..." ...dass wir kein Gästezimmer haben, wollte ich gerade sagen, aber das musste ich ja nicht vor allen Leuten erzählen... "...dass du dann heute kommen musst? Während der Schulzeit ist das ziemlich blöd und morgen ist Sonntag, da geht das gut." Aus seinem Lächeln würde ein Grinsen, auch ziemlich toll! "Ja, so ungefähr habe ich mir das auch gedacht. So gegen sieben?" "Gemacht. Gibt' s was, dass du nicht magst? Ich mein zum Abendessen?" Der Butler verdrehte unauffällig die Augen. "Bohnen schmecken am besten, wenn man sie kurz vor dem Verzehr durch ein Schnitzel ersetzt. Ansonsten ess ich so ziemlich alles." Ein leises Hüsteln von Josef. "Darf ich an deine tiefsitzende Abneigung gegen Blattsalat und sämtliche Kohlsorten erinnern? Zuzüglich die ausgesprochene Abscheu gegenüber Rosinen, Spinat und grober Leberwurst. Dazu Zunge, sämtliche Innereien..." "Schlachtabfälle heißen nicht umsonst so!" Chris natürlich. "...und Fisch, der nicht viereckig und paniert ist." Womit ich die Dose Hering in Tomatensauce allein essen konnte. Chris kriegte rote Ohren und das wollte ich nicht. "Aber eine Scheibe Brot und Marmelade..." Unser übliches Abendessen "...sind doch okay, oder? Und 'n Stück Käse wird sich auch noch finden. Bei uns ist noch keiner hungrig ins Bett gegangen." Das war zwar gelogen, aber das musste er nun wirklich nicht wissen. Ich gab ihm meine Adresse und verabschiedete mich formvollendet...oder etwas in der Art.

Etwas später im Wohnzimmer der von Mehringfelds

Chris Vater setzte sich mit einer Tasse Tee zu Chris und schaute ihn lange an. "Wie kommt es?" Chris holte tief Luft. "Du meinst wegen Daniel?" Sein Vater nickte. "Ich...ich mag ihn. Vielleicht..." Er lächelte. "...vielleicht auch ein bisschen mehr. Er ist viel besser, als er selbst weiß. Ich hab ihm gestern etwas Kendo gezeigt und ich bin zwischendurch ziemlich fies geworden." "Was meinst du damit?" "Nun, ich habe Daniel hart getroffen, mehrmals, das hat sicher richtig wehgetan. Und dann habe ich ihm die Chance gegeben, mich zu treffen, das hat er auch, aber er hat die Treffer nur angedeutet, verstehst du? Er wollte mir nicht wehtun, obwohl ich ihm allen Grund dazu gegeben hatte." Chris Vater lächelte. "Du magst Daniel also, weil er dich nicht geschlagen hat?" "Quatsch! Ich mag ihn, weil er cool ist...lustig...intelligent..." Ein Grinsen schlich sich auf das Gesicht von Chris' Vater. "Und gut aussehend!" Chris wurde rot. "Ähm...ja, und er sieht gut aus." "Das könnte sehr hilfreich sein, Chris." "Vielleicht. Ich weiß noch nicht, ob ich ihn da mit reinziehen will. Willst du ihm am nächsten Wochenende mehr über mich erzählen?" Herr von Mehringfeld schüttelte energisch den Kopf. "Nein! Es geht hier nicht darum, was ich will. Wenn du ihm vertraust und du willst, dass Daniel dir auch vertraut, dann wirst du ihm etwas mehr über dich erzählen müssen, aber ob und wann du das tust, ist ausschließlich deine Entscheidung." Chris nickte. "Okay. Nimm die Sachen mit...vielleicht brauchen wir sie."

Zurück zu Daniel - Samstagabend, 18:55 Uhr

So langsam wurde es mir doch mulmig, ich mein, unsere Gegend hier ist nicht wirklich schlimm, aber ich wusste nicht, wie Chris auf die Typen reagieren würde, die hier rumlaufen und auf den Müll auf den Straßen und in jedem Aufzug stinkt' s nach Pisse und überhaupt und deshalb dackelte ich wie ein Blöder durch die Wohnung. Okay, okay, nicht nur deshalb, sondern weil ich Chris sehen würde und da war dies komische Gefühl in der Magengegend und... "Daniel, kannst du mir mal helfen?" Dad hatte beschlossen, zur Feier des Tages zu kochen, Frikadellen, Kartoffelbrei und Paprika. Stimmt schon, eigentlich isst man das bei uns mit Spinat, aber ich hatte dem Butler zugehört.

"Die Kartoffeln sind gar. Machst du den Brei, ich will eben noch eine rauchen, bevor Chris kommt." Na, das konnte ich gut verstehen. "Bist du etwa auch nervös, Dad?" Sollte eigentlich ein Witz sein, aber er ließ sich Zeit mit der Antwort. "Ja, ein bisschen. Deine Freunde sind oft hier, aber du hast noch nie jemanden eingeladen, den du liebst."

Muss heftig gekracht haben, als meine Kinnlade runterfiel. "Äh...ich...ist...du...ich mein...woher weißt du das?" Dad weiß schon länger, dass ich schwul bin, aber wie hatte er das mit Chris mitgekriegt? Er lächelte. "Glaubst du, ich war nie verliebt? Du hast die Wohnung aufgeräumt, Stunden im Bad verbracht und du läufst wie ein wildgewordener Handfeger in der Wohnung herum, glaub mir, du bist verliebt. Und jetzt geh ich erst mal auf den Balkon." Also, das mit den Stunden im Bad stimmt nicht, aber sonst hatte Dad Recht, wie meistens. Ich war mit dem Kartoffelbrei fast fertig und hatte zwischendurch noch die Paprika ein bisschen nachgewürzt, als es schellte. Na, wer konnte das schon sein. "Chris, komm rein!" Tat er auch. Am liebsten hätte ich ihn ja umarmt, aber ich hab mich nicht getraut, stattdessen hab ich ihm nur die Hand auf die Schulter gelegt. "Ich freu mich, dass du gekommen bist!"

Chris grinste. "Na, und ich erst, ich werd mir doch kein kostenloses Frühstück entgehen lassen." Ich brachte Chris' Rucksack in mein Zimmer und natürlich kam er mit - und sah das uralte "Stirb langsam" Poster mit Bruce Willis und zog die Augenbraue hoch. "So, so, du magst also Männer mit Glatze." "Quatsch, ich mag auch Männer mit Haaren, nur waren die Stunts dermaßen großartig, dass..." So lange hat' s gedauert, bis ich gemerkt hab, dass ich mich verplappert hatte, dafür dauerte es nur 'ne halbe Sekunde oder so, bis ich knallrot war. Hatte keinen Zweck, sich elegant aus der Affäre zu ziehen, also packte ich das berühmte Kaninchen bei den Hörnern.

"Das war ziemlich fies!" War’s ja auch. Mich so in die Falle laufen zu lassen. Chris nickte, lächelnd. "Vielleicht, aber ich weiß gern, wo ich dran bin. Ich will nicht den ganzen Abend um den heißen Brei tanzen." Und dann kam sein Gesicht immer näher und er küsste mich. Auf die Lippen. Und das war nur noch toll und als ich seinen Körper so nah...

"Ähm! ’Tschuldigung, ich störe wirklich ungern, aber so langsam wird das Essen kalt." Ich hab noch nie gesehen, dass sich jemand so schnell bewegt wie Chris in diesem Moment...und ich hab auch noch nie gesehen, wie jemand so schnell rot wird.

"Ich...ent...äh..." Jetzt war ich dran mit Lächeln. "Kein Panik, mein Dad weiß schon, dass ich dich mag. Dad, das ist Chris, Chris, mein Dad."

Sie machten shake-hands. Dad grinsend, Chris immer noch etwas verlegen. "Hallo Chris, willkommen bei uns zu Hause. Und es tut mir wirklich leid, dass ich gestört habe, aber ihr standet da sicher ein paar Minuten und irgendwann muss man ja auch Luft holen." Das war wohl nur die halbe Wahrheit. Dad hatte zwar eigentlich kein Problem mit mir und Jungs aber zuzugucken, wie ich einen küsse, das ist schon was Anderes.

"Äh, ja, sicher. Herr Larssen, vielen Dank, dass ich hier sein darf und ich hoffe, es macht

keine Umstände, dass ich hier..." Dad’ s Grinsen wurde breiter. "Ach Chris, könntest du nicht mal versuchen, Daniel solche Umgangsformen beizubringen? Ich hab’ s schon lange aufgegeben, aber vielleicht hast du ja Erfolg. Übrigens, den Herrn Larssen lass mal stecken, hier bin ich Tom und so soll' s auch bleiben." Das ist hier bei uns wirklich so, wenn jemand 'Sie' sagt, dann ist er nicht von hier und das mit den Umgangsformen war einfach nicht wahr. "Gern...Tom. Übrigens hat mein Vater mir noch etwas mitgegeben..."

Er kramte in seinem Rucksack und kam mit einer Flasche Wein. Dad lächelte. "Dein Vater ist ein vorausschauender Mann, wie es aussieht gibt es ja etwas zu feiern. Und richte ihm bitte meinen Dank aus." Es war zwar kein Rothschild, aber natürlich viel zu schade für ein Abendessen, wir haben ihn trotzdem getrunken. Und irgendwie sind wir dann ins Erzählen gekommen und hatten unheimlich viel Spaß.

Ungefähr zur gleichen Zeit irgendwo in Deutschland

Zwei Männer saßen mit dem Rücken zur Wand an einem ruhigen Tisch in einer Kneipe, einer schaute sich den Inhalt eines Briefumschlages an. "Sieht gut aus. Wird er mitspielen?" Der andere Mann schnaubte leise. "Er wird tun, was ihm gesagt wird, natürlich im vereinbarten Rahmen." Der erste Mann nickte. "Natürlich, den finanziellen Teil haben wir ja geklärt. Steht er später vielleicht für... etwas finalere Tätigkeiten zur Verfügung?"

Der andere Mann zuckte mit den Schultern, "Vielleicht später, aber das müssten wir dann neu verhandeln." "Selbstverständlich, aber warten Sie nicht zu lange." Der andere Mann trank einen Schluck, wischte sich den Schaum von den Lippen und sagte dann leise: "Übrigens, sein Name ist Jacques." Der erste Mann griff nach einer Speisekarte. "Okay, wie wäre es mit einem Dessert?"

Zurück zu Daniel

Vielleicht war’ s so gegen eins, ich weiß es nicht mehr so genau, als es dann doch mal Zeit fürs Bett wurde. Wir räumten ein bisschen auf und dann holte Dad seine Jacke. "Ich mach noch einen Spaziergang. Schlaft gut!" Nee, ist nicht so, als ob Dad uns Zeit geben wollte, damit wir ins Bett gehen konnten, zusammen, meine ich, er geht immer noch mal raus, hat was mit seinem Rücken zu tun. Ich krallte mir Isomatte, Decke und 'n Kissen. "Du kannst das Bett haben, ich mach’ s mir auf dem Boden gemütlich." Chris zog die Augenbraue hoch und ich glaub, er guckte auch 'n bisschen enttäuscht. "Ich dachte..." Ich wusste ziemlich genau, was er dachte, deshalb bin ich zu ihm hin und hab ihn umarmt. "Chris, ich hab noch nie...du weißt schon, mit einem Jungen. Und...ich will nicht dauernd aufpassen müssen, ob Dad wiederkommt. Ich will Zeit haben...für dich." Chris küsste mich und diesmal hat uns keiner gestört. "Daniel, jemanden wie dich habe ich noch nie getroffen. Du bist unheimlich süß und ich verspreche dir, dass wir viel Zeit haben werden. Und ich möchte neben dir schlafen, egal, wie eng es ist. Komm ins Bett!"

Chris

Es dauerte nicht lange bis Daniel schlief, dann bin ich ganz vorsichtig aus dem Bett geklettert, hab mich angezogen und bin mit einem Päckchen Zigaretten auf den Balkon gegangen. Daniels Vater schlief wohl im Wohnzimmer und das wollte ich ihm nicht vollqualmen. Ich hatte so viel, worüber ich nachdenken musste und ich wusste einfach nicht, was richtig war. Daniel war das Beste, was mir in den letzten Jahren passiert war und er mochte mich...vielleicht liebte er mich sogar. Und ich wusste einfach nicht, ob ich ihm das antun sollte, ich meine, mich zu lieben, dazu gehört schon ein bisschen mehr, als bei anderen Jungs. Ach, Scheiße, da gehört viel mehr zu. Nicht mal meine Mutter hat das geschafft...nicht mal meine Mutter. Und Karl...der Mann, zu dem ich Papa sagen darf...er gibt sich alle Mühe, aber er ist nun mal nicht mein Vater, nicht das ich wüsste, wer das eigentlich ist. Karl und ich sind eigentlich eher Partner bei ein paar Sachen, von denen Daniel auch nichts weiß. Und es wäre einfach unheimlich unfair, ihn da mit rein zu ziehen. Ich schaute in die Nacht, der Ort, an dem ich zu Hause war. Ich schaute lange, aber ich fand keine Antworten.

Daniel

Als ich aufwachte, lag Chris auf der Isomatte, war ihm wohl doch zu eng geworden. Er schlief auf der Seite und ich konnte sein Gesicht sehen und da bin ich noch 'n bisschen liegengeblieben und hab ihn angeguckt und mir wurde ganz warm. Dieser Junge liebte mich und wollte gestern Abend sogar mit mir schlafen, mit mir. Und ich war doch nur 'n ganz normaler Junge ohne Kohle.

Mann, so 'ne Chance hat man nur einmal im Leben, ist toll, auch mal Glück zu haben. Ich stand ganz leise auf und küsste ihn ganz vorsichtig auf die Stirn, denn... "Au!" Was war denn...das Erste, was ich merkte, war, das meine Lippe verdammt weh tat und dann sah ich Chris und da hab ich mich richtig erschrocken. Ich hab noch nie im Leben soviel Angst gesehen. Meine Augen wurden nass und das kam nicht von meiner Lippe und ich bin runter zu ihm und hab ihn in die Arme genommen, so ähnlich, wie ich das früher mal mit ’nem Vogel gemacht habe, der nicht mehr fliegen konnte, nur war der weich und flauschig. Chris war wie ein Brückenpfeiler, nur dass er zitterte. Ich wusste’ doch auch nicht, was ich machen sollte, also hab ich ihn ganz festgehalten und ihm irgendwas ins Ohr gemurmelt und irgendwann wurde das Zittern weniger und als Chris seine Arme um mich legte, wusste ich, dass ich was richtig macht hatte. "Danke!" Seine Stimme klang ziemlich rau. Natürlich wusste ich, dass ich da Blödsinn redete, aber ich sagte es trotzdem: "Schlecht geträumt?" Er nickte. "So was in der Art. Du blutest. War ich das?" Und weil ich meinen Kopf an seinen gelegt hatte, war die Suppe an seinem Hals, sah ziemlich vampirmäßig aus. "Das waren wir beide, kein Problem. Geh duschen, ich guck mal nach dem Frühstück." Jaaa, natürlich wollte ich wissen, was mit Chris los war, aber irgendwie wusste ich genau, dass das jetzt nicht die richtige Gelegenheit war. Dad saß noch mit der Sonntagszeitung in der Küche und schaute nur kurz hoch. "Na, hat da jemand 'ne dicke Lippe riskiert?" Dad hat es sich schon lange abgewöhnt, wegen jedem Kratzer einen Aufstand zu machen. Ich gab eines von diesen Geräuschen von mir, die nur Dad versteht, beugte mich übers Spülbecken und wusch mir das Blut ab. Dann murmelte ich: "Chris ist kompliziert." Dad schüttelte den Kopf. "Glaube ich nicht. Du verstehst ihn nur noch nicht. Wart ihr gestern Nacht noch auf dem Balkon?" "Nee, wir sind sofort schlafen gegangen." Dad grinste. "Du bist sofort schlafen gegangen. Im Aschenbecher sind ein paar Stummel, die nicht von uns sind. Was wird Chris schon allein nachts auf dem Balkon gemacht haben, außer nachzudenken? Du hast da einen außergewöhnlichen Freund, Daniel, und ich glaube, du solltest gut auf ihn aufpassen." So langsam hatte ich das Gefühl, dass Dad Recht hatte.

Die Woche lief so vor sich hin, weil ich eigentlich nur darauf gewartet hab, dass endlich Freitag ist und natürlich dauerte das endlos lange und natürlich war’s dann doch irgendwann mal so weit und ich saß mit Chris auf dem Rücksitz von so 'nem großen Audi und Josef fuhr uns an den Arsch der Welt.

Du liebe Güte, da war ja echt gar nichts mehr, nur noch Grünzeug und Viecher und Gegend. Chris' Vater saß vorne und blätterte in irgendwelchen Sachen herum, aber dann bog Josef in so 'nen Bauernhof ein, na ja, jedenfalls so was ähnliches. War alles ziemlich groß und da waren 'ne Menge kleiner Schuppen dabei, aber trotzdem sah man sofort, dass es hier keine Tiere gab. Wir waren noch nicht mal ausgestiegen, als die Haustür aufging und ein Mann herauskam. Chris' Vater übernahm die Vorstellung: "Das ist Walsh. Er kümmert sich hier um alles." Sah aber irgendwie gar nicht nach Hausmeister aus. Er gab mir die Hand und lächelte. "Und bevor Chris Gruselgeschichten über mich erzählt, ich bin auch der Bodyguard." Na, das kam schon eher hin. Der Typ sah wie 'n Soldat aus, der versucht, nicht wie ein Soldat auszusehen. "Ich bin Daniel. Ist doch gut zu wissen, dass sie sich um die bösen Typen kümmern." Er grinste. "Klar, ich mache denen die Tür auf und zeig ihnen, wo du schläfst." "Dacht ich' s mir doch. Und hinterher stehen sie an der Tür und winken?" "Selbstverständlich, ich bin doch ein höflicher Mensch." Chris lachte. "Lass dich nicht verarschen, Daniel, meistens ist er höflich, aber Gnade dir Gott, wenn er es nicht ist." Walsh guckte so gekränkt, dass ich auch lachen musste und danach kriegte ich die Privatführung durchs Haus. Es war groß, okay, aber irgendwie auch gemütlicher als das in der Stadt, persönlicher, hier konnte man es aushalten. Am Ende der Tour brachte mich Chris wieder ins Wohnzimmer und da war sein Vater.

"Dad, hast du die Sachen mit?" Er schaute Chris an und dann mich, ziemlich lange. "Willst du das jetzt machen, Chris? Bist du sicher?" "Nein, aber ich will auch nicht das ganze Wochenende warten..." "Okay." Er stand auf und ging aus dem Zimmer. Ich guckte Chris an und er schüttelte den Kopf "Lass dich überraschen." Nur, dass das nicht wie eine schöne Überraschung klang. Chris' Vater kam wieder und gab ihm ein kleines Päckchen. "Soll ich mitkommen?" Chris zögerte. "Ja, ich glaube, das wäre gut." Dad hatte gemeint, dass ich Chris nur noch nicht verstehen würde und er hatte Recht, ich hatte keine Ahnung, was hier abging, aber es war wichtig, das wusste ich. Wir sind dann zu Chris' Zimmer gegangen und dann kam es: "Daniel, ich brauche dein Wort, dass du nichts von dem, was du jetzt siehst und hörst, jemals weiter erzählst. Niemals, verstehst du?" Ich versuchte ein Lächeln. "Natürlich, und wenn ich' s doch mache, musst du mich leider umlegen." Chris hat mich nur angeguckt, bis mir ziemlich mulmig wurde. "Das hier ist ernst, viel ernster, als du weißt." War es auch, denn dann machte er den DVD-Player an. Ich sah ganz eindeutig Chris, nur jünger. Er war nackt und machte Sachen mit anderen Kindern und Männer machten Sachen mit ihm und ich wäre am liebsten weggelaufen. Und dann, als dieser Mann Chris wehtat, so weh, dass Chris schrie und die Kamera ganz nah ranging und nur noch sein Gesicht zu sehen war, die aufgerissenen Augen und der Mund, da passierte etwas, etwas mit mir. Irgendwo, ganz tief in mir drin, da war etwas, dass ich noch nie gespürt hatte und ich wusste, dass ich jetzt Wände einreißen konnte und Autos hochheben.

"Wer hat das getan?" Ich kannte diese Stimme nicht ...dauerte was, bis ich merkte, dass es meine eigene war. "Er ist tot." "Ich hoffe, er ist langsam krepiert." Dieses Gefühl, dass ich alles tun konnte, ging langsam weg, aber es blieb ein Rest in mir und ich wusste ganz genau, dass es jetzt da war und dass ich es immer wieder Hochholen konnte. Ich holte tief Luft. "Du kannst es jetzt ausmachen." "Gern." Chris' Vater räusperte sich. "Du weißt noch nicht alles. Es gibt sieben Filme von dieser Art und Tausende Fotos. Der achte Film sollte der letzte sein, etwas, das man Snuff-Video nennt. Am Schluss sollte Chris sterben, vor laufender Kamera." Wahrscheinlich hätte ich entsetzt sein sollen oder traurig, aber ich war nur wütend...so unheimlich wütend. Ich setzte mich neben Chris und legte meinen Arm um ihn, fühlte sich an wie ein Stahlträger, aber mein Arm war auch nicht weicher. Sein Vater redete weiter: "Es war mehr oder weniger Zufall, dass wir Chris da rechtzeitig rausgeholt haben...für andere kamen wir zu spät. Daniel, ich habe dir doch erzählt, dass Chris ein Krieger werden möchte, erinnerst du dich?" Ich nickte nur. "Kannst du das jetzt besser verstehen?" "Natürlich." Er schaute mich lange an, dann gab er mir etwas. "Das hier sind Kinder, die, soweit wir wissen, in dem Haus gestorben sind, in dem auch Chris war." Es waren Bilder, ganz normale Bilder mit Kindern die lachten und spielten...und die jetzt tot waren. Ich gab sie ihm wieder und er legte sie vorsichtig in das Päckchen. Chris stand auf. Ist schwierig, mit zusammengebissenen Zähnen zu reden, aber er schaffte es "Wenn ich hier noch weiter sitze, platze ich. Komm, gehen wir Holz hacken." Also, verblüfft war ja wohl kein Ausdruck. Da steht er einfach auf und geht...und geht Holz hacken?? Sonst noch was? Chris' Vater stand langsam auf...er guckte mich traurig an.

"Geh ruhig mit, vielleicht hilft es dir auch. Es ist nicht leicht, solche Dinge zu sehen." Ich weiß nicht, ob es half, aber als ich Chris gefunden hatte, suchte ich mir 'ne Stelle, die gut 10 Meter von ihm weg war...schon klar, dass er auf seine Erinnerungen einprügelte und da wollte ich um nichts in der Welt im Weg sein. Wenn man' s kann, kann man stundenlang Holz spalten, aber irgendwie kann ich' s wohl nicht richtig, jedenfalls hab ich nach 'ner Stunde erst mal Zigarettenpause gemacht, weil da gerade der Butler ein Tablett mit 'n paar Wasserflaschen und Gläsern hingestellt hatte, war 'ne verdammt gute Idee. Ich glaub, die Schufterei hätte mir schon geholfen, wenn ich nicht immer ein Auge bei Chris gehabt hätte...der hackte wie ein Automat und das machte mir viel mehr Sorgen, als wenn er laut brüllend auf die Holzblöcke eingeschlagen hätte.

Irgendwann hörte er einfach auf und blieb stehen wie eine kaputte Maschine. Ich bin dann zu ihm rüber, schön langsam, ich wollte nicht schon wieder 'ne dicke Lippe riskieren, aber als ich gesehen hab, dass nicht alles, was da an seinem Gesicht runterlief, Schweiß war, da hab ich ihn einfach umarmt, ganz fest und wie ich da so stand und Chris irgendwann seinen Kopf an meinen legte, da hab ich kapiert, dass das so 'ne Art Wettlauf war, zwischen ihm und dem Scheiß, der passiert war. Und ich hab kapiert, dass er bis jetzt immer gewonnen hatte...aber wenn er auch nur ein Mal verlieren würde, dann würde es nie wieder einen Wettlauf geben. Und er hat dieses Mal den Wettlauf wegen mir gemacht...damit ich verstehe, wer er ist. Dass er nicht kompliziert ist, wie ich zuerst gemeint hatte, sondern dass er so ist, wie er sein muss...dass er Chris ist, der Junge, auf den ich mehr aufpassen würde, als auf mich selbst. Der Abend war ruhig, ich glaub wir hatten einfach alle viel zu viele Sachen im Kopf, dafür wurde der nächste Tag so richtig spannend...oder wie man das nennen soll.

Nachwort:

Auch wenn man das als Autor vielleicht nicht so offen sagen sollte: Ich verstehe nicht viel von den Sachen, über die ich hier schreibe, es handelt sich um reine Fantasie. Snuff-Filme existieren leider tatsächlich, sie sind haufenweise auf Schülerhandys gefunden worden, es scheint sie auch im Zusammenhang mit Kinderpornografie zu geben - manchmal frage ich mich, ob es überhaupt eine Grenze für menschliche Grausamkeit gibt.

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