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Hallo Ben

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Hallo Ben!

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht wirklich, wo ich anfangen soll. Schließlich gibt es vieles, was ich dir erklären muss.

Es ist nicht gerade leicht für mich, dir diesen Brief zu schreiben, denn ich kann mir selber kaum erklären, was gerade in mir vorgeht. Ich habe dich wirklich geliebt, ob du es mir glaubst, ist deine Sache, aber ich weiß, dass es so ist. Doch ich hatte immer das Gefühl, dass ich dich nicht glücklich machen kann; dass ich dir nicht das geben konnte, was du brauchst.

Bei Hagen weiß ich genau, wie ich ihn zum Lachen bring, wann bei ihm der Punkt erreicht ist, ab dem es reicht. Ich weiß, welche Zärtlichkeiten er mag und fast alles über ihn und seine Familie.

Von dir wusste ich hingegen fast nichts und ich wusste nicht, wie ich an dich herankommen sollte, wie ich dich im Innersten berühren sollte.

Versteh mich bitte nicht falsch, die Zeit mit dir war verdammt schön, denn du hast sehr viele Eigenschaften, die Hagen nicht hat und in die ich mich verliebt hatte.

Ich wusste deine romantische und verschmuste Art immer sehr zu schätzen. Es war schön, dich einfach nur im Arm zu halten und zu wuscheln oder uns gegenseitig Angst zu machen, doch irgendwann hat mir einfach die Tiefe in unserer Beziehung gefehlt. Vielleicht lag es an mir, denn ich brauche viel Zeit, um Vertrauen aufzubauen. Vielleicht habe ich falsch gehandelt Schluss zu machen und es hätte sich alles noch entwickelt ... Ich weiß es nicht, aber ich glaube es ist besser so. Das mit Hagen ist zwar nicht gerade die perfekte Beziehung, doch ich liebe ihn.

Deine Anne

Ich legte den Brief auf meinen Schreibtisch und schmiss mich aufs Bett. Ich überkreuzte meine Arme hinter meinem Kopf und dachte nach ... über Anne. Sie war echt süß, doch nun war es vorbei. Ich sah hinauf zur Decke und sah meine Amerika-Flagge, die ich erst kürzlich dort oben befestigt hatte. Ich wusste selber, dass ich mit Anne nie glücklich werden konnte, das ging einfach nicht. Dazu hatte sie zwei Dinge zu viel und eines zu wenig. Ich lachte kurz, eigentlich war die Situation nicht zum Lachen, ich wusste, dass ich schwul war, doch ich wollte es nicht wissen. Ich konnte mich einfach mit diesem Gedanken nicht anfreunden, deshalb hatte ich meist auch immer Freundinnen.

Die Tür sprang auf und beinahe aus den Angeln.

»Ben wusstest du eigentlich, dass men Freund wad mit Jenny hadde?«

Ich zuckte kurz zusammen.

»Mensch Mandy, kannst du nie anklopfen?«

Ganz empört stellte sie sich, beide Hände in die Hüften gestützt, provokativ vor mein Bett. Sie spannte ihre Lippen an, wodurch sie einen merkwürdigen Froschmund bekam.

Ich starrte gelassen in die Luft.

»Oh maaan, kannste mir nich mal Antwort gebn?«

Ich schaute sie skeptisch an. »Klar wusste ich das.«

»Sammal!«, sprach sie und wurde knallrot im Gesicht, »und dann hälste es nicht für nötich mir ma wad zu sagn? Du bist ja en toller Freund.«, sagte sie beleidigt und knallte die Tür hinter sich zu.

»Mensch, jeder hat gewusst, dass Daniel was mit Jenny hatte. Kann ja auch nichts dafür, wenn du zu blöd bist und das nicht bemerkst.«, schrie ich lautstark hinter ihr her. »Und knall die Tür nicht immer so!«

Die verbreitet immer einen Stress, kein Wunder, dass es kein Junge lange mit ihr aushält und fremdgeht. Doch sie war zu doof, um das zu bemerken. Zugegeben, sie entsprach dem Topbild von Frau, wenn man sie das erste Mal sah. Lange blonde Haare, Top Figur und leuchtend blaue Augen, doch ich fragte mich immer, wenn ich sie sah, was sie wohl im Kopf haben musste. Es machten sich immer alle über sie lustig und sie raffte es nicht. Aber dennoch mochten wir sie auch alle. Über Mandy nachzudenken war genau so schwierig, wie über meine Zukunft nachzudenken. Inzwischen war mir immerhin schon mal klar geworden, dass ich nur mit einem Jungen glücklich werden kann. Doch ich traute mich keineswegs mit Jemandem darüber zu sprechen, nein das war mir viel zu peinlich und außerdem wollte ich noch etwas bei Daniel und Marco in der WG wohnen bleiben. Wer weiß was die mit mir anstellen würden, wenn die rausbekommen würden, dass ...

Die Tür schmetterte auf.

»Sammal, wollt ihr mich schicken? Daniel sacht, er hätte gar nischt gehabt mit der Jenny.«

Äußerst sauer und genervt sah ich wiederum zur Tür hinüber.

»Mensch Mandy. Glaub doch was de willst. Ruf doch bei der Auskunft an, die helfen dir bestimmt gern!«

»Bei der Auskunft?« fragend stülpte Mandy ihren Kopf nach vorn.

»Mandy!«, sagte ich und fasste mir an Kopf. »Geh jetzt und mach die Tür von außen LEISE zu!«, fauchte ich sie an.

Ihre Lippen verzogen sich zu einem leichten O, ihre Augen waren aufgerissen.

»Hadde denn mein Schnubbel wad mit der Jenny oda nich?«

»MANDY ... RAUS!«, schrie ich und erhob mich ruckartig von meinem Bett.

»Oh Jott, oh Jott. Nun reg dich doch nicht so uf! Und schrein brauchste auch net, bin doch net schwerhörig!«, sagte sie kopfschüttelnd und schloss zur Abwechslung mal leise die Tür hinter sich.

Ich setzte mich auf den Bettrand und seufzte leise, wobei ich auf die Uhr schaute, die über meiner Mini-Anlage hing. Viertel vor sechs, das hieß, es gab bald Abendessen. Das rote Quadrat von meinem Kalender stand auf einem Freitag und das hieß wiederum, dass ich heute mit Essen machen dran war. Jede Woche das gleiche Spiel. Freitags und Samstags war ich für das Abendessen zuständig. Schon Scheiße, ausgerechnet am Wochenende kochen zu müssen, aber dafür war ich ja nicht mit dem Müll dran.

Ich stand auf und verließ mein Zimmer.

»Was gibts denn heute zum Abendessen, Kleiner?«, fragte mich Marco, der auf der Couch im Wohnzimmer saß und bestimmt ARD an hatte. Er schaute sich jeden Tag "Marienhof" und "Verbotene Liebe" an.

»Ich dachte an Ravioli frisch aus der Dose ...«, sagte ich und zog meine Augenbrauen hoch.

»Hmm ne! Ich dachte mehr an ein saftiges Rumpsteak medium mit heftig viel Beilagen!«, grinste er mich an und legte seine Füße auf den Stubentisch.

»Dann gib mir die Bestellkarte!«, sagte ich ebenfalls scherzend und öffnete die Tür des Speiseschranks, aus dem mich die Raviolidosen schon heftigst angrinsten.

»Ist Mandy wieder weg? Ist so ruhig hier?«, fragte ich in den Raum und öffnete die erste Dose.

»Ne Quatsch, die is mit Daniel in seinem Zimmer.«

»Vertragungspoppen?«, fragte ich und holte einen Topf aus dem Schrank neben dem Ofen.

»Exakt! Aber nu mal Ruhe hier, "Marienhof" fängt jetzt an.«

Nichts leichter als das. Ich schüttete drei Dosen von den gefüllten Nudeln in den Topf, stellte diesen auf das Cerankochfeld und stellte auf Stufe 3. Langsam rührte ich mit einem Holzlöffel den Inhalt um.

»Hey Kleiner!«

Ich schaute zu Marco und hob fragend den Kopf.

»Kommt deine Anne heute nicht mal vorbei oder was?«

»Ne man, ist doch Schluss!«

Marco nahm seine Füße von dem Couchtisch und steckte sich ne Kippe an.

»Ach was! Echt? Haste Schluss gemacht?«

»Ne sie.« Die Ravioli begannen zu blubbern und ich stellte eine halbe Stufe runter »Die hat's wieder nach Hagen verschlagen.«

»Ach was? Zu dem Arsch ey? Die ist doch was doof!«

»Wo die Liebe hinfällt ...«, erwiderte ich und schaute nebenbei aus dem Fenster runter auf die Straße.

»Lasse man machen. Die wird noch sehen, was sie von hat.« Er legte seine Füße wieder zurück auf den Tisch.

Die Straße war nass und es schüttete wie aus Kübeln. Draußen gingen zwei Leute lang, die jeder einen fetten Regenschirm in der Hand hielten. Das müsste mir passieren, es regnet volle Kanne und ich geh spazieren oder was? Da hätte ich aber ein Bild von.

Ich stellte den Herd aus, schlenderte zu Daniels Zimmer und klopfte an.

»Mandy? Willste auch Ravioli mitessen?«

Ich hielt mein Ohr an die Tür.

»Jaaaa, oh jaaaaa.«

Das hatte mir schon als Antwort gereicht. Ich deckte einfach mit für sie auf und wie sich herausstellte, war's richtig. Sie schlang die Nudeln förmlich runter, so dass man sich denken könnte, dass sie zu Hause nichts bekommt. Mit zerzausten Haaren und fertig aussehender Miene trank sie nach dem Essen ihren Orangensaft auf Ex aus und rölpste einmal kräftig.

»Das hat jeschmeckt«, sagte sie.

»So was bekommste zu Hause nicht, was?«, fragte Marco, seine Augen blitzten.

»Nee maan. Hab immer ken Bock für mich selbst wat zu kochn«, sagte sie lachend.

Naja da hatte sie irgendwie recht. Mandy wohnte eigentlich 150km entfernt, doch sie hatte hier ne Ausbildung am Laufen und hatte darum auch hier ne Wohnung für sich allein. Als sie mit Daniel zusammenkam, hatte er erst mit dem Gedanken gespielt, sie in unserer WG aufzunehmen, doch Marco und ich waren davon nicht gerade angetan. Gott, was dann hier jeden Tag los wär ...

»So, dann will ich mal Heime gehen!«, sagte Mandy. »Muss morgen frühs um 6e raus.«

Sie erhob sich von ihrem Stuhl und ging zur Garderobe auf dem Flur, nahm sich ihre weiße Jacke, an welcher die Enden der Ärmel und der Kragen aus weichem schlicht weißem Fell geziert war, und zog sie sich über.

»So haut rin!«, sagte sie, kam zum Esstisch zurück und gab Daniel noch einen Kuss auf den Mund, der sich schließlich auch von seinem Stuhl erhob und Mandy zur Tür brachte.

Die Tür schloss sich und Daniel kam zurück an unseren Tisch.

»Super! Jetzt machen wir Party ey! Deine Alte is weg«, kreischte Marco, stand auf und machte ein paar Tanzbewegungen, die sehr unrhytmisch aussahen.

Ich grinste. »Ja, dann mach mal die Musik an, ich räume noch schnell den Tisch ab!«

»Ja Kleiner, super Idee! Los, man. Jetzt noch ein bisschen Party, hey das geht!« Marco ging ins Wohnzimmer zu Daniels Anlage und drückte den Power Knopf.

»Ihr habt se doch nicht mehr alle!«, sagte Daniel grinsend. »Von wegen Party ... unsere Nachbarn werden sich bedanken.«

»Ach das geht.«

»Mach doch leise!«

»Was hast du gesagt??«

»Mach die Musik leiser!«, brüllte Daniel.

Ich stapelte die Teller übereinander und legte sie auf die Spüle. Den Topf wusch ich schnell ab und die Teller und das Besteck schob ich in die Spülmaschine.

Marco machte die Musik leiser.

»Achso, ich habe Pascal für morgen zum Frühstück eingeladen. Das wolle ich nur mal erwähnen.«, sagte Daniel, nahm sein Glas vom Esstisch und setzte sich in der Stube auf die Couch.

»Hey Alter. Spinnst du? Muss das sein?«, fragte Marco und schmiss sich im wörtlichen Sinne zu Daniel auf die Couch.

»Hey man. Das ist mein Kumpel. Kann doch auch nichts dafür, dass er dir damals deine Schnitte ausgespannt hatte.«

»Man, ich sag dir. Es ist ja nicht nur das! Er hat eine total hinterfotzige Art, das merkt man doch sofort, nicht war Kleiner?«

Marco schaute mich fragend an und zündete sich ne Kippe an.

»Weiß nicht«, sagte ich und setzte mich ebenfalls mit aufs Sofa und Marco gab mir eine Zigarette. »Habe ihn erst zwei Mal oder so gesehen. Ansonsten war ich ja immer bei Anne, wenn er da war.«

»Ne ...«, sagte Daniel. »Der ist schon in Ordnung. Ist n Superkumpel.«

Es war halb zwölf, eh ich ins Bett kam. Ich stellte mein Radio auf 'Sunshine Live' und schlief bei der Musik ein.

KLOPF KLOPF

KLOPF KLOPF KLOPF

Ich öffnete langsam meine Augen. Das Sonnenlicht, das genau durch mein Fenster schien, brannte in den Augen.

»Ja?«, brachte ich nüchtern heraus.

»Hey Kleiner, biste schon wach?«

Das konnte ja nur Marco sein, denn wer sonst nannte mich schon Kleiner? Zugegeben, gegenüber seiner Größe (1,84m) war ich klein, aber ich dachte mir immer, dass es daher kommt, dass wir schon als Kinder immer zusammen gespielt hatten. Noch dazu bin ich 3 Monate und 10 Tag jünger als er.

Marco kam zur Tür rein und setzte sich zu mir aufs Bett.

»Na? Gut geschlafen?«

Fast jeden Morgen, wenn es Wochenende war, kam er in mein Zimmer und fragte mich, ob ich denn gut geschlafen hätte und jedes mal, wenn er das tat, fühlte ich mich wie sein kleiner Bruder. Ich fand's super, einen älteren Bruder zu haben, wenn ich schon keine leiblichen Geschwister hatte.

Ich gähnte erst, bevor ich ihm antworten konnte. »Naja ein bisschen könnte ich noch.«

»Ach Quatsch! Schlafen kannste, wenn du tot bist«, sagte er und riß mir die Bettdecke weg.

»Sag mal spinnst du???«

»Los jetzt, raus aus den Federn!« Marco öffnete das Fenster sperrangelweit. »Wir wollen doch heute mit dem Super-Pascal frühstücken!«, sagte er ironisch.

Ich grinste ihn an. »Du kommst mir vor wie meine Mutter!«

Marco stützte seine Hände in die Hüften. »So mein Kleiner, hier hast du dein Pausenbrot, und wehe du isst nicht alles auf, dann bekommst du für den Rest deines Lebens Hausarrest. Sei lieb und geh mit keinem Fremden mit!«, witzelte er mit hoher Stimme, wobei er bei jedem Satz eine andere Gestikulation vornahm. Ich lachte mich scheckig und er mit mir, bis er mein Zimmer verließ und ich nur noch ein »Husch husch ... wie das Blatt im Wind« hörte. Langsam kroch ich aus meinem Bett und sah erst mal zum Fenster raus. Die Sonne schien schon hoch über den Dächern und warmer Wind zog an meinem Gesicht vorbei. Ich packte meine Sachen zum Duschen und verkrümelte mich ins Bad. Auf dem Weg dorthin sah ich Daniel bereits den Tisch decken. Junge, der musste ja wirklich viel von Pascal halten. Marco grinste mir zu, als ich die Tür des Badezimmers öffnete und rein ging. Der morgendliche Blick in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing, sagte mir wie jeden Morgen, dass ich wohl noch nicht wach zu sein schien. Ich versuchte meine Augen, die immernoch zu Schlitzen zusammengezogen waren, langsam zu öffnen und kaute dabei auf meiner Zunge rum. Schließlich schaltete ich unser Duschradio ein und begann mir die Zähne zu putzen.

»Hast noch genau eine viertel Stunde!«, hörte ich es von draußen.

Ich spülte aus und machte mich nackig, bereit um unter die Dusche zu wandern. Es wär wohl zu viel verlangt gewesen, wenn mir Marco und Daniel mal etwas von dem Fructies überlassen könnten, also musste Schauma ran.

Schließlich stellte ich die Dusche aus, rubbelte mich trocken und zog mich an.

DING DONG

Oh es hatte geklingelt. Musste Pascal sein.

»Juten Morschen ihr Hübschen!«, hörte ich es brüllen. Oh nein ... MANDY!!!

Ich verließ das Badezimmer und da stand sie: gekleidet in ihrer weißen Jacke mit dem Fell und einer Bäckertüte in der Hand.

»Was willst du denn hier?«, fragte Marco dreist.

»Ach ich hab mich im Plan jeirrt. Scheffin hat vielleicht blöde jeguckt, als ich heute auf Arbeit war.«, kicherte sie, wobei ihr Kichern eine dermaßen hohe Tonlage hatte, dass man schon von Körperverletzung hätte reden können. »Was machst du mich überhaupt so an? Hab doch auch Brötchen mitjebracht.« Sie hielt die Brötchentüte hoch, als ob sie sie nach einer einstündigen Jagd errungen hätte. »Was du man willst?«, fügte sie misstrauisch hinzu und gab schließlich Daniel den Willkommenskuss.

»Ach ist ja schon für mich mitjedeckt wa?«

»Nein.«, äußerte sich Daniel mit einem kreisenden Blick, »Pascal kommt noch zum Frühstücken vorbei.«

»Ooooch auf den hab ich ja nun gar kenen Bock. Der labert imma so viel. Der geht mir vielleicht auf den Kranz. Das eine mal auf Disco da hat der mich dermaßen zugekanntet ... ich dachte, mich haut's um.«

»Weise Worte, weise Worte.«, sprach Marco, der nur äußerst selten mit Mandy einer Meinung war.

Ich setzte mich zu Marco auf die Couch und rauchte meine erste Kippe, als es wieder klingelte.

Daniel macht auf und begrüße Pascal, der hinter der Tür hervorkam. Mir hat's beinahe den Atem verschlagen, als ich ihn sah. Voll auf Rave. Haare an den Seiten kurzrasiert, oben seitlich abstehend, tolle Figur und schöne dunkle Augen.

»Guten Morgen diesseits und jenseits der Zonengrenze!«, sagte er. »Ich hoffe, es fühlt sich keiner angegriffen?«, sagte er und legte die von ihm mitgebrachten Brötchen auf den Frühstückstisch. Mandy schaute düster unter ihren langen blonden Haaren hervor. Marco und ich mussten anfangen, leise zu kichern.

»Mich haste beleidicht!«, sagte Mandy dann, die sich nichts gefallen ließ.

»Ach tut mir leid«, sagte Pascal ironisch. »Ihr seid ja auch nur Menschen.«

»Sammal ...«, mehr brachte Mandy nicht heraus, ihre blauen Augen waren weit aufgerissen und sie ärgerte sich über so viel Dreistigkeit auf einmal.

Marco und ich kriegten uns nicht mehr ein. Pascal gab mir schließlich höflich die Hand und stellte sich mir vor, denn schließlich hatten wir noch nie miteinander geredet.

»Pascal!«, grinste er.

»Ben!«, sagte ich immer noch lachend über Mandy, die sich mit verschränkten Armen an den Esstisch gesetzt hatte und schmollte.

Pascal gab nun Marco die Hand und dieser schaute böse durch seine blau-grauen Augen drein. Pascal zog ein zynisches Grinsen auf und ich spürte förmlich die Spannung, die sich zwischen beiden auszubreiten schien.

Das Frühstück war echt super. Es gab sogar gekochte Eier, die ich mir immer aufs Brötchen legte und etwas Salz darüber verstreute. Danach fiel mir jedoch ein, dass ich noch mal zum Buchladen musste. Hatte mir da ein Buch für den Deutsch-Leistungskurs bestellt, das wir lesen sollten und ich wollte schon mal am Wochenende damit anfangen. Jetzt, nachdem ich das 11. Schuljahr verlassen und das 12 begonnen hatte, hatte ich wieder neuen Kampfgeist entwickelt, denn die Themen, die wir jetzt durchnahmen, waren allesamt ja bereits abiturrelevant.

»So, Leute! Ich muss jetzt noch mal schnell weg, in die Stadt. Muss noch mal zum Buchladen!«

»Hey das ist doch voll weit!«, platzte es aus Pascal heraus. »Daniel, kann ich nicht dein Auto kurz haben? Dann fahr ich mit Ben schnell hoch.«

Ich schaute verwirrt zu Pascal dann zu Daniel.

»Aber fahr mir keine Beule rein!«, grinste er und warf Pascal seinen Autoschlüssel zu.

»Keine Bange, die anderen beiden haste ja bis heute nicht gesehen!«, antwortete er kichernd.

Ich drehte mich um. Es wunderte mich, dass Pascal einfach so Daniels Auto bekam, das ihm normalerweise über alles ging und über Mandy sowieso. Marco schaute böse unter seinem Igelhaarschnitt zu Pascal hervor.

»Na, dann komm!«, sagte Pascal und winkte mit dem Autoschlüssel. Es war doch auch etwas unfair, ihn einfach so abzustempeln, ohne ihn zu kennen. Die Meinung anderer ist nun mal die Meinung anderer und nicht die meinige.

Wir gingen den Treppenflur hinunter und Pascal schloss Daniels roten VW auf.

»Auch eine?«, fragt er, der sich schon fertig angeschnallt hatte und mir seine Zigarettenschachtel hinhielt.

»Gern!«. ich griff zu und nahm mir eine Lucky raus.

»Feuer?«

Ich beugte mich, mit der Kippe im Mund, zu ihm rüber und er gab mir mit einem netten Lächeln Feuer. Schließlich ließ er den Wagen an und fuhr los Richtung Stadt.

»Wohnst du schon immer mit Daniel zusammen in einer WG?«, fragte Pascal schließlich.

»Ja. Ich und Marco ...«, Pascal verzog das Gesicht, doch ich fuhr fort, »... haben Daniel in der 10 Klasse Realschule kennengelernt, weil er einmal kleben geblieben ist. Naja, wir haben uns auf Anhieb gut verstanden, waren in den Pausen immer Eine rauchen und so, haben zusammen gelernt und dann hatten wir mal die fluchse Idee, zusammen in ne WG zu ziehen.«

»Und eure Eltern?«

»Du kannst dir sicher vorstellen, dass sie nicht sonderlich begeistert waren. Meine Mutter hielt mir einen endlosen Vortrag und ich sollte die Vor- und Nachteile aufschreiben, die eine WG beinhaltet.«

Pascal grinste. »Deine Mutter ist wohl sehr um dich besorgt?«

»Naja was heißt besorgt??«, fragte ich, während Pascal den Blinker nach rechts betätigte und in den 2. Gang schaltete. »Ich bin halt ihr einziges Kind und besorgt um mich ist sie halt immer. Mütter halt«, grinste ich rüber zu ihm.

»Das Herz einer Mutter ist wie das Tor zum Glück ...«

Ich schaute Pascal skeptisch an. Er schien eigentlich nicht den Eindruck zu erwecken, sehr poetisch oder so zu sein.

»Täglich geöffnet!«, fügte er hinzu.

Erstaunt über seinen Satz, bemerkte ich, dass er damit vollkommen recht hatte.

Er bog rechts ein und parkte zwischen einem Ford und einem weißen BMW.

»So sind da!«

»Vorwärtseinparker.«, scherzte ich.

»Zugegeben«, sagte er, »Habe ich's nicht so mit Rückwärtsfahren, geschweige denn Rückwärts einparken. Aber dafür bin ich kein Warmduscher.«

Wir lachten und er schloss das Auto zu.

»Muss ich den Knopf runter machen?«

Er nickte

»Hat das Auto denn keine Zentralverriegelung?«

»Doch doch, nur die ist kaputt!«, konterte er und streckte die Zunge raus.

Wir gingen die Stadt hoch Richtung Buchladen. Eine Glocke klingelte, als ich die Tür des Ladens öffnete.

»Guten Tag, hatte ein Buch bestellt.«

Der kleine Mann hinter der Kasse stierte durch seine viel zu große Brille. Seine Haare waren weiß wie Kalk, sofern man das bei der Anzahl von Haaren noch erkennen konnte.

»Einen Moment bitte, das macht meine Frau! Einen Augenblick, ja?«, antwortete der Mann freundlich und verschwand hinter einer Tür.

Pascal zuckte mit den Schultern.

»Wie kann ich ihnen helfen?«, fragte mich nun seine Frau, die ebenfalls eine viel zu große Brille trug und mich anstarrte.

»Ich hatte ein Buch bestellt.«

»Auf welchen Namen bitte?«

»Dinkler, Ben Dinkler.«, antwortete ich.

Die Frau tippte am PC herum. »Max Frisch, Stiller. Nicht wahr?«

»Exakt!«, sagte ich und bezahlte.

»Ein komisches Ehepaar...«, sagte Pascal, nachdem er die Tür des Geschäftes (Die Glocke klingelte erneut) schloss, die er mir freundlicherweise geöffnet hat.

»Ja, aber die passen gut zusammen.«, grinste ich.

Wir stiegen ins Auto ein und fuhren wieder zurück zu Daniel und Marco.

Ich schloss die Tür auf.

»Hey Kleiner ... wieder da? Haste dein Buch gekriegt, ja?«, fragte Marco, der es sich mit Daniel in der Stube bequem gemacht hatte.

»Klar hab ich.«

»Schmeiß mal rüber«, sagte er und hob die Hände.

»Interessiert dich sowieso nicht«, sagte ich und warf ihm das Buch zu. »Genau sowenig wie mich.«

Pascal schloss die Wohnungstür. »Kannst mir mal dein Zimmer zeigen!« sagt er.

Marco verdrehte die Augen.

»Wenn du magst. Komm mit!«

Ich warf Marco schnell das Buch zu und er fing es lässig auf.

Schließlich ging ich mit Pascal in mein Zimmer. Er sah es sich ganz genau an und setzte sich schließlich auf mein Sofa.

»Hübsch hast es hier«, sagte Pascal und schaute zu meinem Nachttisch rüber, auf dem ein Foto von Anne stand. »Deine Freundin?«, fragte er und nickte zum Bild rüber.

Ich sah es an. »Nein!«, sagte ich, und packte es in die unterste Schublade. »Ex Freundin.«

»Das tut mir leid. Wusste ich nicht.«

Ich hatte kein Bock jetzt mit ihm über Anne zu sprechen, die mir sowieso nie das geben konnte, was ich brauchte. »Hast du ne Freundin?«, fragte ich ihn.

»Ne, diese ganzen Weiber sind doch alle gleich. Mode hier und da, Make Up in Massen und nie darfst du ihnen widersprechen.« Er überkreuzte seine Arme hinter seinem Kopf und lehnte sich gegen die Lehne. »Noch dazu kommt, dass du ihnen alles ausgeben musst und dabei reden sie doch immer von Gleichberechtigung«, grinste er.

Ich war in dem Punkt zwar ganz und gar nicht seiner Meinung, dennoch nickte ich mit einem hämischen Grinsen und setzte mich zu ihm.

Vom Wohnzimmer her hörte man nun laute Musik, ich wollte nachschauen, was denn nun da los ist, doch Pascal hielt mich an der Hand fest.

»Wo willst du hin?«

Erstaunt darüber, dass er noch immer meine Hand hielt, sagte ich ihm, dass ich gucken wollte, was da drüben abgeht.

»Die Musik erinnert mich daran, dass doch heute Schützenfest ist«, sagte Pascal, ohne auf meine Absicht, in die Stube gehen zu wollen, näher einzugehen.

»Gehst du mit mir hin?«

Ich staunte ihn an. »Ich wollte eigentlich mit Marco hin. Das haben wir schon seit zwei Wochen geplant.«

»Ach komm. Wir verstehen uns doch so gut. Lass uns zusammen hingehen, OK?« Er drückte meine Hand ganz fest und schaute treu-doof unter seinen dunklen Augenbrauen hervor. Ein kurzer Schauer erfasste mich. Wenn Marco so etwas machte, war es etwas anderes, wir waren schon so lange Freunde, aber bei Pascal ...

»In Ordnung«, sagte ich nach einer kurzen Pause und zugleich wusste ich, dass es ein Fehler war, Marco zu versetzen.

»Dann los. Das Schützenfest ist doch nicht weit weg oder? Da können wir doch auch zu Fuß hin.«

»Klar ist nur ein Katzensprung. 5 Minuten, dann sind wir da.«

»Super!« Pascals dunkel-braune Augen waren weit geöffnet. »Bin mal gespannt was alles da ist! Break Dancer und so, bestimmt auch nen Top Spin oder ein Fliegender Teppich ... ich liebe Schützenfeste.«

»Hey ...«, sagte ich grinsend, »... du freust dich ja voll.«

»Klar.«

Marco war ganz schön beleidigt und schaute mich böse an, als wir sagten, dass wir mal über den Rummel gucken wollten. Wütend verschränkte er seine Arme und schaute provokativ zur Glotze. »Dann trefft ihr bestimmt auch Daniel und Mandy. Die sind auch gerade los!«

»Komm doch mit!«, sagte ich, um mein schlechten Gewissen zu erleichtern, obwohl ich genau wusste, dass er nie im Leben auch nur einen gemeinsamen Schritt mit Pascal zusammen gehen würde. So sarkastisch es auch klingen mag, aber ich denke, Marco würde sogar auf sein Grab pissen, wenn es möglich wär.

»Ne, ne Kleiner. Geh ruhig. Ich schaue was es bei ViVa Neues gibt.«

»OK«, sagte ich und zog mir ne Jacke über, Pascal wartete bereits auf dem Hausflur. »Dann mach ich jetzt los«, sagte ich und ohne mich eines Blickes zu würdigen, wünschte mir Marco ironisch viel Spaß. Ich wusste, dass ich jetzt voll die Scheiße abgezogen habe, nur andererseits musste ich einfach mit Pascal zum Rummel gehen. Vielleicht war bereits in meinem Kopf der Gedanke, mit Pascal erstmalig was zu starten, vielleicht mochte er mich so gern, wie ich ihn schon mochte und vielleicht war er ja so wie ich??? Oder war ich jetzt zu naiv??

»Wow, hier geht Fun!«, sagte Pascal mit aufgerissenen Augen voller Freude und schaute sich heftigst auf dem Rummel um. »Hey Ben. Ein Top Spin ... komm mit.« Wild schleifte er mich mit sich in Richtung Top Spin.

»Kommst mit rein?«, fragte er voller Begeisterung.

»Ne, sorry. Das ist nichts für mich.«

Pascal runzelte die Stirn. »Quatsch oder? Warum denn?«

»Naja ...«, sagte ich verlegen, »... ich hab da ein leicht großes Problem mit Höhen!«

Er lachte. »Wirklich? Du bist nicht schwindelfrei? Du hast Höhenangst?«, fragte er und konnte es kaum glauben. »Aber das ist doch nicht so hoch.«

»Es reicht schon«, sagte ich. »Aber geh rein. Ich warte hier auf dich.«

»Das macht dir nichts aus?«

»Quatsch. Mach schon. Ich rauche in der Zwischenzeit eine.«

Rasch ging er zur Kasse und saß schließlich auch schon im Karussell. Ich fragte mich nur, wie man drauf sein muss, um da rein zu gehen. OK, hätte ich keine Höhenangst, wär ich da jetzt auch drin, aber in Anbetracht der Tatsachen hielt ich es für das Beste mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen. Pascal schien überhaupt keine Angst zu haben, er hob die Arme hoch, als sich das Teil bestimmt 1000 malt überschlug und freute sich voll.

»Na wie wars?«, fragte ich, als Pascal auf mich zu schlenderte.

»Hey, super wars ... echt super«, keuchte er.

Wir schlenderten weiter über den Rummel und beim Break Dancer, der ja nun nicht in die Höhe ging, gab mir Pascal eine Fahrt nach der anderen aus. Eigentlich wollte ich das ja gar nicht, doch er bestand darauf. Es war voll lustig mit ihm, es kam mir teilweise vor, als wären wir schon lange ein Paar und die Blicke, die mir Pascal manchmal zuwarf, gaben mir sogar noch das Gefühl von Bestätigung meiner Gedanken. Nur andererseits empfand ich es, als lebte ich in einer momentanen Traumwelt, die ich mir selbst errichtet hatte.

Erst spät kamen wir zu Hause bei mir an. Die Zeit verging viel zu schnell mit ihm. Er war so lustig und ich konnte weniger und immer weniger verstehen, warum Marco ihn nicht mochte. Nur wegen dieser Freundin damals? Scheiße passiert.

»So da sind wir«, sagte Pascal und steckte beide Hände in seine Hosentaschen.

»Ja«, sagte ich. »Willst du noch mit rein kommen?«

»Ne, Quatsch. Ist schon so spät. Ich mache mich jetzt auch heimwärts.«

»Schade!«

Er grinste mich an und strich mir über meine Wange. »Wenn du Lust und Laune hast, können wir uns morgen treffen. Was sagst du dazu?«

Meine Augen leuchteten. »Klar. Kommst du vorbei? Um 15 Uhr?«

»Klar Ben. Ich bin dann da. Machs gut!«

Ich sagte ihm nur sehr ungern Tschüss, doch ich tat es. Was hätte ich dafür gegeben, wenn er mir einen Abschiedskuss gegeben hätte? Mittlerweile war ich mir sicher, dass ich glücklich mit ihm werden würde. Oder nein, ich glaub, ich könnte mit keinem Jungen momentan glücklich werden, denn ich stand nicht zu mir. Mein Schwulsein war mir immer noch sehr peinlich und ich traute mich noch immer nicht, nicht mal mit Marco, darüber zu reden. Es war Angst vor seiner Reaktion, Angst davor, dass er nicht mehr mein Freund sein will und Angst davor, aus der WG ausziehen zu müssen. Doch dann war es wohl kein richtiger Freund ...

Im Treppenflur traf ich Mandy.

»Ben, hau rin! Ich mach mich los!«

»Mandy! Willst du schon gehen? Morgen ist doch Samstag«, sagte ich, um sie zu ärgern, denn ich wusste, dass sie morgen arbeiten musste.

»Hey, du hast wohl nich mehr alle Raller an der Walle. Muss frühs um 6e ausn Nest. Also hau rin«, sagte sie und setzte ihren Weg fort.

Ich schloss die Wohnungstür auf. Daniel war wohl bereits schlafen gegangen, nur Marco saß noch allein auf der Couch. Mit wütendem Blick sah er mich an.

»Na wie wars denn mit dem Super-Pascal auf dem Rummel? Hoffe es hat Spaß gemacht«, sagte er und schaute mich nicht ein einziges Mal an.

,, hat Spaß gemacht«, sagte ich und schloss die Tür.

Marco sah mich nun an. »Ben, wie oft soll ich dir noch sagen, dass er voll link ist. Das hat schon seinen Grund, wenn ich dir das sage, glaub mir.«

»Du kennst ihn doch gar nicht richtig.«, antwortete ich wütend.

»Ach ...«, sagte Marco und stützte seine Ellenbogen auf seine Knie. »Aber du kennst ihn wohl nach einem Tag schon? Er lässt gern Leute ins Kalte Wasser fallen und für gewöhnlich erkauft er sich seine Freunde. Er ist falsch, Ben, begreif das.«

Ich erinnerte mich, dass er mir heute auf dem Rummel jede Fahrt ausgegeben hatte, doch er tat es für mich. Er konnte nicht falsch sein.

»Marco, ich komm mit ihm klar. Nur weil er dir damals deine Freundin ausgespannt hat, heißt das noch lange nicht, dass er link und falsch ist.«

Marco sprang auf. »Verdammt, es geht schon längst nicht mehr nur um meine damalige Freundin. Das war zwar sehr schlimm für mich, aber er hat noch andere, ganz andere Dinge gerissen. Trau ihm nicht, Ben.«

»Achja? Jetzt sind's noch mehr Dinge, die er gerissen hat? Marco, ich dachte du seist mein Freund, also erzähl mir nicht so ne Scheiße über Pascal. Was hat er denn noch gerissen?«

Marco schwieg kurz und seufzte.

»Na, « begann ich erneut. »Musst dir wohl erst was ausdenken oder was? Das hätte ich nie von dir gedacht. Gute Nacht«, sagte ich und ging in mein Zimmer. Ich hörte noch, wie Marco noch ein paar mal meinen Namen rief, doch ich reagierte nicht drauf. Ich war sauer auf ihn, total sauer. Warum wollte er nicht, dass ich mit Pascal klarkam? Er ist nicht falsch, nein, er ist total nett und lieb und ich ... ich ... ich bin in ihn verknallt.

»Ben??? Ben??? Hey Ben!!!«

Langsam öffnete ich die Augen und streckte mich. »Jaaaaaa?«

»Ben? Sag mal pennst du noch?«

Es war Daniel. »Nein dank dir nicht mehr. Was issn?«, fragte ich und grub mich ganz tief in meine Bettdecke ein.

»Wollt nur hören, ob du noch lebst. Und außerdem haben wir es schon 14 Uhr. Wolltest du dich nicht um 15 Uhr mit Pascal treffen?«

Der Name Pascal ließ mich erwachen, oder war es eher die Tatsache, dass ich noch genau eine Stunde Zeit hatte, um mich fertigzumachen?

»Danke Daniel. Ich steh jetzt auf.«

Ich ging durch das Wohnzimmer Richtung Bad. Marco saß in der Küche und brutzelte sich was. Ich wusste, dass er mich sah, doch er schaute mich nicht einmal an. Ich machte mich fertig, als es auch schon klingelte und Pascal vor der Tür stand. Als Marco ihn sah, ging er in sein Zimmer und knallte lautstark seine Tür zu.

»Oh, bin wohl unerwünscht?«, fragte Pascal. In seinem Gesicht war ein aufgesetztes Lächeln zu sehen.

»Quatsch. Der hat nur schlechte Laune«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass es falsch war.

»Hattest du heute irgendwas Bestimmtes vor?«, fragte Pascal mich ernst.

»Nein ... ist mir egal, was wir machen ...«

»OK, es ist zwar erst 15 Uhr, aber wollen wir heute mal so einen richtig schönen Saufabend machen?«

Den ganzen Tag nur zu saufen, erschien mir als etwas langweilig und stupide, doch da dieser Sauftag mit Pascal war, beschloss ich einzuwilligen. Ich war sehr erstaunt, dass er bereits an alles gedacht hatte. Ein paar Liter Sangria, ein paar Desperados und Sekt und Wein. Ich fragte mich, ob ich heute Abend überhaupt noch einen klaren Gedanken fassen konnte, wenn das Ganze jetzt schon losging.

»Am besten wir fangen mit dem Sangria an, oder?«, sagte er, als wir in meinem Zimmer gelandet waren. Die Sonne spiegelte sich in meinem Fenster und ließ das Rollo runter. Ich schob ne Feier-CD in meine Anlage und drückte auf Play, als mir einfiel, dass wir ja noch diese Dosenfrüchte hatten, die man immer in diese meterhohen Eimer machte. Ich holte sie rasch und schüttete dann alles in einen großen Eimer.

»So, jetzt mach die Heizung auf 20, schütte etwas Sand in dein Zimmer und leg ne CD mit Meeresrauschen ein und ich fühl mich wie auf Mallorca«, sagte Pascal scherzhaft.

Es klopfte unerhofft an meiner Tür und die sprang auf.

»Juten Tach!«

Das war ja klar. »Mandy! Du sollst die Tür nicht immer so aufschmeißen.«

»Och maaan. Stell dich nicht so zimperlich an, Mensch«, sagte sie lachend und setzte sich zu mir und Pascal aufs Sofa.

»Tach Pascal.« Mandy stieß ihm in die Seite. »Wie isses?« Ich musste lachen. Es war erstaunlich, wie man sich verhält, wenn man Leute trifft und noch erstaunlicher war es mit anzusehen, wie man über diese Leute redet, die man zuvor noch gesehen hatte.

»Tach Mandy. Ganz gut und selbst?«

»Ja ganz jut. Aber habe heute auf Arbeit mit Scheffin Karten gespielt. Sammal, ich kannte dieses Spiel gar nicht, aber hab immer jewonnen. Geil wa?«, freute sie sich und stierte auf den Alkohol. »Was solls denn heut mit euch beden werdn? Wollt ihr euch die Kante gebn oda was?« grinste sie und ließ ihren Blick über den Sangria und die Dosenfrüchten gleiten.

»Klar Mandy. Das muss mal wieder sein.«

»Na dann macht mal ihr beden Hübschen. Ich geh erst mal wieda zu meinem Schnubbel. Wir bleben heut auch Heime. Sammal, Ben, geht Marco heut Disco?«

»Keine Ahnung. Wir haben noch nicht wieder gesprochen.«

»Naja ... dann bis später ... Haut rin.«

Und dann erhob sich Mandy mit einem leisen Stöhnen vom Sofa und knallte die Tür zu.

»So, wolln wa?«, fragte Pascal.

Ich nahm mein Glas in die Hand und das Gesaufe konnte beginnen. Mit totaler Neugierde wartete ich ab, was mir der Abend noch brachte. Bei dem Gedanken, mit Pascal irgendwas zu starten, war mir ganz flauschig im Bauch. Er war einfach so nett und vor allen Dingen voll hübsch. Bei jedem Blick in seine dunklen Kuh-Augen stieß ich innerlich ein leises Seufzen aus.

Als die Sonne langsam unterging und wir schon mehr oder weniger angetrunken waren, stellte ich ein paar Kerzen auf meinen Tisch auf.

»Romantisch, Romantisch«, sagte Pascal. »Passend zum heutigen Abend.«

»Wieso zum heutigen Abend?«, ich sah ihn an. Er grinste leicht und seine Augen leuchteten. Ich liebte seine Augen ... sie waren so unendlich tief, man konnte sich beinahe darin verirren.

»Naja, mir gefällt dieser Tag, dein Zimmer auch und ... und du ganz besonders.«

Ich schluckte und war so schockiert, dass ich mich heftigst verschluckte. Pascal schlug mir sanft auf meinen Rücken.

»Gehtâpos;s wieder?«

»Ja ja ...« ich räusperte mich, »... geht schon wieder.«

»Hab ich was Falsches gesagt?« er strich mir über meine Wange.

»N... nein. Hast du nicht.«, jetzt stieg diese Hitze in mir auf. Mein Körper schien verbrennen zu wollen und ich merkte, wie sich mein Gesicht verfärbte.

Er grinste mich an. »Ich weiß, Alkohol vermittelt eine gewisse Gleichgültigkeit, doch es ist mir keineswegs gleichgültig, dir zu sagen, dass du total niedlich bist, Ben!«

Dieser Satz hatte gesessen, mir wurde noch wärmer. Ich grinste ihn schüchtern an, denn auf diesen Satz fand ich nicht die richtige Antwort, geschweige denn irgendetwas anderes, was ich denn nun hätte sagen können.

»Hat's dir die Sprache verschlagen?«

Ich nickte und schaute auf den Boden.

Pascal richtete mit seinem Zeigefinger meinen Blick auf ihn, kam näher und schloss seine Augen. Ich war so furchtbar aufgeregt, er wollte mich küssen, jetzt, hier ... wie würde es wohl sein, einen Jungen zu küssen?

»Na ihr beden! Was geht?«

Die Tür sprang auf und Mandy kam herein. Geschockt sah ich sie an. Pascal tat so als ob er sich nach vorne zu mir beugte, da er sich heftigst verschluckt hatte. Mandy schaute skeptisch.

»Mensch Pascal. Zu doof zum trinken oda was?«, lachte sich Mandy tot.

»Tja Mandy. Andere sind so doof und merken nicht wenn ihr Freund fremdgeht.«, antwortet ich spöttisch.

»Sammal ... nun flipp doch nicht gleich so aus, Ben.« Sie beugte sich nach vorn. »Außerdem hatte mein Schnubbel gar nischt mit der Jenny. Das weiß ich jetzt 100 prozentig.«

»Ach Mandy ... hast es geschafft, bei der Auskunft anzurufen, ja?«

Sie stützte ihre Hände in die Seiten. »Haha Scherzkeks. Hast wohl nen Caspar gefrühstückt. Ne er hat's mir gesacht.«

Pascal hat sich inzwischen wieder von seinem gespieltem Verschlucker erholt und ich schaute Mandy besserwisserisch an »Mir hat dein Schnubbel aber was anderes erzählt.«

»Du kannst mich ma ...«, sagte sie beleidigt. »Ach Pascal. Ich soll dir noch von Daniel ausrichten, dass du morgen zum Frühstück kommen sollst«, dann verschwand sie und die Tür flog zu. Pascals Blick wanderte zu mir.

»Schade.«

Ich grinste. »Find ich auch.«

Seine Hand wanderte auf meinen Oberschenkel und er beugte sich erneut zu mir. Mit seiner anderen Hand strich er mir übers Haar und dann berührten sich unsere Lippen. Es war mein erster Kuss mit einem Jungen, ich weiß nicht, wie oft ich schon davon geträumt hatte, aber es war viel schöner, als ich es mir je hätte träumen lassen. Gefühlvoll biss er auf meine Unterlippe und es schien mir, als würde seine Zunge mit meiner fangen spielen. Er ließ sich langsam nach hinten fallen und zog mich mit sich. Übereinanderliegend wanderte seine Hand unter mein Shirt, dann zog er es mir aus und strich über meinen Körper. Er beugte sich nach oben und küsste meinen Bauch und umkreiste meine Brustwarzen mit seiner Zunge. Langsam zog ich ihm sein Shirt aus.

»Pascal ... ich ... ich mein ich hab noch nie ...« Er legte seinen Finger auf meine Lippen. »Ist schon OK Ben.« Er gab mir einen Kuss und legte mich mit dem Rücken auf die Couch. Er beugte sich über mich und öffnete den Knopf meiner Hose und zog sie mir aus. Pascal nahm meine Hände und wies sie zu seiner Hose. Ich zog sie ihm aus und er legte sich ganz auf mich. Ich merkte, dass er so höllisch erregt war wie ich. Wir begannen uns leidenschaftlich zu küssen, bis er mich unter ständigem Küssen zum Bett wies. Seine Hände strichen über meinen Rücken und ich bekam eine Gänsehaut nach der anderen. »Du machst mich total an«, sagte er und ging mir in meine Shorts, mit der anderen Hand streichelte er meinen Bauch. Ich war dermaßen erregt, dass es nicht lange dauerte, bis ich kam. »Ist schon OK«, flüsterte er mir leise ins Ohr und nahm meine Hand und steckte sie in seine Shorts. Er begann zu stöhnen, küsste meinen Hals und strich mit seiner Hand durch mein Haar. Als sein Stöhnen immer intensiver wurde, wusste ich, und schließlich merkte ich es auch an meiner Hand, dass er nun auch fertig war. Zusammen rauchten wir eine Zigarette und er strich mir unaufhörlich über meinen Bauch und sah mich verträumt an. Ich malte mir aus, wie schön es doch sein musste, ihn morgen früh neben mir liegen zu haben ...

»Hey Ben, sei bitte nicht sauer«, er machte seine Zigarette aus, »aber ich muss jetzt dringend nach Hause.« Pascal stand auf und zog sich an. Ich schaute ihn geschockt an und brachte keinen Ton heraus. Ich hörte, wie unsere Wohnungstür geschlossen wurde und da lag ich nun in meinem Bett allein. Es war nun keine Freude, die ich empfand, sondern Doofheit. Wie konnte ich es denn auch so weit kommen lassen? Aber andererseits war es ja auch möglich, dass er selbst mit der Situation nun nicht klarkam. Ich drehte mich auf die Seite und mummelte mich ganz in meine Bettdecke ein. Weinend schlief ich ein. Ich bemerkte noch kurz, dass Marco zu mir ins Zimmer kam und mir über meinen Kopf strich, doch ich schlief schnell wieder ein.

Klapperndes Geschirr, wilde Gespräche und singende Vögel weckten mich am nächsten Morgen auf. Ich rieb mir die Augen und setzte mich aufs Bett. Von der Küche aus hörte ich Marco und Mandy.

»Marco. Müssen wa nich langsam mal den Ben aufweckn? Daniel müsste jeden Moment mit den Brötchen wiederkomm.«

»Ja, das kannst du machen.«

»Sammal, habt ihr euch jestriten oda was?«

»Hey Mandy. Ob du's glaubst oder nicht, es gibt auch Sachen, die dich nichts angehen.«

»Och maaan. Nun sei doch nicht gleich wieda so jemein. Wo ist Pascal eigentlich, der Idiot? Der sollte doch schon längst da sein!«

Ich stand auf und torkelte in die Küche.

»Guten Morgen. Gut geschlafen?«, fragte ich in den Raum.

»Morgen Ben. Von wejen geschlafen. Ich hab ken Auge zujekrigt. Daniel hat jeschnarcht, als ob er den jesamten Nieselwald absägn wollte.«

Ich schaute Mandy an. »Du meinst Regenwald!«

»Maaaan, gerade erst aufstehn und schon rummucken. Is mir doch ejal, wie dieser Busch heißt.« Sie schaute erneut zur Uhr. »Ey, langsam könnte der Pascal ja mal komm.«

Marco stellte Marmelade und Honig auf den Tisch. »Das Arschloch kommt heute nicht.«, raunte es aus ihm heraus. Er sah mir traurig in die Augen. Wusste er etwas? Hatte er was mitbekommen? Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, also boxte ihn fest gegen seine Schulter. »Er ist kein Arschloch. Er ist ein guter Freund von mir« und ich wusste selber nicht, warum ich das nun sagte. Marco sah mir erneut traurig in die Augen, ging zur Stube, holte einen weißen Briefumschlag und knallte ihn mir vor die Stirn. »Dann guck mal, was dein supertoller Pascal für nette Dinge über dich schreibt, Träumer.«

Ich hob den Briefumschlag, der auf den Boden gefallen war, auf.

Für Daniel Ich schaute skeptisch.

»Schau nur rein«, sagte Marco.

Ich öffnete den Umschlag und holte einen Zettel raus.

Hey Daniel mein Kumpel,

Sorry wenn ich dir auf diesem Wege absagen muss, wegen dem Frühstück, doch ich habe keinen Bock mich von diversen Schwuchteln anmachen zu lassen, die bei dir in der WG wohnen. Außerdem habe ich keinen Bock, dermaßen angebaggert und genötigt zu werden, dass ich vor Ekel kotzen könnte. Ich habe ja eigentlich nichts gegen Schwule, aber wenn Ben einem plötzlich in die Hose geht, ohne das man es will, und versucht, mich mit Alkohol soweit zu bringen, dass ich mitmache, dann könnte ich echt kotzen.

Wenn du magst, komm doch mal wieder bei mir vorbei, da ist schwuchtelfreie Zone. Bis dann ...

Dein Kumpel Pascal

Mit geröteten Augen legte ich den Brief auf den Tisch. Ich spürte, wie meine Augen anschwollen. Marco verbarg seine Hände in seinen Hosentaschen. Mir stand das Wasser in den Augen.

»Wad denn mit dir los?«, fragte Mandy.

Ich antwortete nicht. Ich rannte in mein Zimmer, schloss die Tür zu und drehte die Musik laut auf. Ich hörte, wie Marco meinen Namen rief und an die Tür klopfte, doch ich wollte es überhören. Ich wollte jetzt niemanden sehen oder hören, meine Gedanken drehten sich im Kreis. Er hatte mich geoutet, vor meinen Freunden. Er hat es total gerissen angestellt. Selbst wenn ich jetzt alles abstreiten würde und sagen würde, was wirklich passierte, dann würde mir keiner glauben. Pascal ... Pascal ... Pascal ..., je öfter ich diesen Namen in Gedanken sagte, desto mehr und mehr spürte ich den Hass, der sich in mir breitmachte und mit der Verzweiflung verschmolz. Ich spürte meinen Körper zittern und dann fasste ich klare Gedanken, plötzlicher Mut machte sich in mir breit. Wollte ich jetzt wirklich alles abstreiten und weiterhin mit einer Lüge im Leben gegenüber meinen Freunden leben? Das wollte ich nicht mehr, es ist an der Zeit, es jetzt rauszulassen, es offen zu sagen. Ich würde mich doch von diesem Idioten nicht zum Narren halten lassen. Was bringt es mir, mich zu vergraben? Die Verzweiflung war nun ganz verschwunden, ich schaltete die Musik aus und ging zum Frühstückstisch. Daniel war inzwischen wieder da und da saß er, zusammen mit Marco und Mandy am Frühstückstisch, auf dem noch zwei unbenutzte Teller standen.

Alle starrten mich an nur Daniel nicht. Er beschmierte sein Brötchen weiterhin mit Erdbeermarmelade. Pascals Brief lag naben seinem Teller.

»Setz dich Ben«, sagte Marco und wies auf den Stuhl neben sich.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich muss euch was sagen.«, begann ich das Gespräch.

Jetzt schaute auch Daniel mich an. »Wird auch Zeit«, sagte er. »Ich finds nicht gerade toll, dass du meine Freunde wegekelst.«

»Jetzt hör ihm doch erstmal zu.«, brummte Marco Daniel an.

»Also, ich habe Pascals Brief gelesen.« Ich holte kurz Luft. »Zwischen dieser ganzen Scheiße, die da drin steht, gibt es auch etwas, worin er recht hat.«

Neugierige Augen betrachteten mich. Daniel legte sein Messer mit der Schnittseite auf sein Brötchen.

»Es stimmt, dass ich schwul bin.«

Mandys Kinnlade ballerte fast auf den Tisch, Marco nickte nur mit dem Kopf und Daniel wartete wahrscheinlich, dass ich weiterredete.

»Aber das ich ihn mit Alkohol so weit bringen wolle, um ihn ins Bett zu kriegen, das ist totaler Schwachsinn. Es war seine Idee, mit mir zu saufen und er begann mich zu küssen und er machte die ersten Schritte, sodass ...«, ich stockte kurz beim weiterreden, doch es musste jetzt raus. »... wir miteinander schliefen!«

Totale Stille. Keiner sagte was, man hörte nur das Radio, das auf der Arbeitsplatte neben dem Herd lustig seine Melodie spielte. Ich wartete auf irgendwas, nach was genau, wusste ich nicht, nur auf irgendwas. Marco stand auf und nahm mich in den Arm und drückte mich ganz fest. In diesem Moment wusste ich, er war mein Freund und er würde mich niemals allein oder im Stich lassen. Daniel stand auf, nahm Pascals Brief und schmiss ihn in den Müll. Doch sagte er kein einziges Wort zu mir.

»Oh Jott, oh Jott, dann sind wa ja jetze Rivalen wa?«, kicherte Mandy und ich war froh, dass sie die Situation auflockerte, auch wenn sie es bestimmt nicht so geplant hatte.

»Setz dich doch Ben«, sagte Daniel nach einer kurzen Pause.

Ich ließ mich neben Marco nieder und zusammen aßen wir dann. Es war mir immer noch unangenehm hier zu sitzen, doch nach einer Weile war es fast so wie immer. Mandy verbrannte ihre Lippen an dem heißen Kakao, Daniel aß sein Leberwurstbrötchen mit Marmelade und Marco klaute mir wieder mal die Butter vom Brötchen. Ich fühlte mich jetzt freier. Ich hatte nicht mehr das Gefühl meinen Freunden irgendwas zu verheimlichen.

Als das Frühstück vorbei war, stand ich auf und räumte alles zusammen. Noch immer, war ich total nervös und unsicher in allem was ich tat, und ging es auch nur darum, Luft zu holen.

»Ben?« Daniel sah mich ernst an. »Wenn du willst, dass es erst mal unter uns bleibt, dann ist das OK«, sagte er ernst und sah schließlich Mandy an. »Nicht wahr Mandy?« Sie nickte. Ich nickte dankend mit dem Kopf und es wunderte mich, dass Mandy Daniels Frage mit Ja beantwortete, denn normalerweise war sie voll die Klatschtante. Aber ich dachte, in diesem Punkt, kann man Mandy vertrauen.

Es klopfte an meiner Zimmertür und Marco kam herein. Ich lag gerade auf meinem Bett und ordnete meine Gedanken.

»Darf ich mich setzen?«

»Klar komm rein.«

»Ich hatte dich gewarnt«, sagte Marco leise.

»Es tut mir leid, das wir uns wegen Pascal gestritten haben«, sagte ich. »Ich hätte meinem besten Freund vertrauen sollen.«

»Du warst verliebt, Ben. Da macht man Sachen oder Dinge die ...«

»... einen ganz schön in peinliche Situationen bringen können«, setzte ich Marcos Satz mit einem Grinsen fort.

Er lächelte. »Das ich Pascal nicht ab kann, hat nicht nur mit dieser Freundin zu tun. Ich wollte dir ja sagen, was er noch abgezogen hatte, doch du warst ja so sauer gewesen, dass es dazu gar nicht mehr kam.«

»Ja ich dachte echt, du wolltest dir nur irgendwas ausdenken.«

»Nein.« Marco schaute auf den Boden. »Kannst du dich noch an Devon erinnern?«

»Klar, dein Bruder. Der war doch immer zwei Klassen über uns in der Schule oder nicht?«

»Genau der.S« Marco seufzte.

»Der wohnt doch jetzt in Flensburg, ne?«

»Ja genau. Als sich meine Eltern scheiden ließen, ist er mit meinem Dad nach Flensburg gezogen.«

»Stimmt, den hatte ich schon ganz vergessen. Was macht der so? Mal wieder was von ihm gehört?«

»Kein Wunder, dass du ihn vergessen hast, ist ja schon zig Jahre her ... Wir haben so eigentlich keinen Kontakt mehr. Naja er hatte mich vor 2 oder 3 Monaten mal angerufen, also bevor wir uns heftigst gestritten hatten. Wie du weißt, reden wir schon seit Längerem kein Wort mehr miteinander und es ist mir auch egal, was er momentan macht und so ... «

»Bist du dir da sicher?«, fragte ich.

»Nein, um ehrlich zu sein, vermisse ich ihn, nur ...«

»Nur ...?«

»Ben, er will nicht mehr mit mir reden. Ich hatte Schuld an unserem Streit und diese ganze Sache nimmt mich auch ziemlich mit. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als ihn mal wiederzusehen und ihn einfach mal in den Arm zu nehmen ...« Selten hatte ich Marco weinen sehen ...

»Was ist denn passiert? Warum hast du mir darüber noch nichts erzählt?«

» ... Weißte noch, mit wem er immer rum hing?«

Ich grübelte und dabei erinnerte ich mich, dass Devon immer ein Vorbild für mich war. Er war immer voll beliebt, hatte tausende Freunde und er war immer der ungeschlagene Sieger im Fangen spielen. Ich schmunzelte. Fangen spielen ... Ich glaube, er war damals in der 3. Klasse. Ich musste da gerade mal in der 1. gewesen sein. Ich erinnerte mich, dass er blonde Haare hatte, aber mit wem er rum hing ...

»Weiß nicht mehr!«, sagte ich.

»Pascal!«, antwortete Marco.

Ich schaute überrascht. »Mit Pascal?«

»Ja.« Marco steckte sich ne Kippe an.

»Und was hat das jetzt mit eurem Streit zu tun?« Interessiert starrte ich Marco an.

»Wie gesagt rief mich Devon vor ungefähr 2 oder 3 Monaten an. Er erzählte mir, dass Pascal in Flensburg mal einen Praktikumsplatz hatte.«

»In Flensburg??? Warum denn so weit weg?«

»Die beiden waren immer super Kumpel gewesen und Pascal wollte Devon mal besuchen. Er suchte sich nen Praktikumsplatz dort und wohnen konnte er ja bei meinem Dad und Devon.«

»Und was ist daran so schlimm?«

Marco setzte ein ironisches Grinsen auf. »Gar nichts ... nur Ende der 3. Praktikumswoche hat Pascal ihn genauso reingelegt wie dich?«

Ich schaute Marco skeptisch an und steckte mir auch ne Kippe an. »Du meinst ...«

»Ja genau.« Marco aschte ab. »Er hat mit Devon geschlafen und unserem Vater alles erzählt. Pascal hatte es genauso dahingestellt wie bei dir. Devon hätte ihn gegen seinen Willen verführt und so ... Devon hat sich bei mir ausgeweint. Unser Dad wollte ihn erst rausschmeißen.«

Ich schluckte. Es war unglaublich. Ich wusste nicht, worüber ich zuerst nachdenken sollte. Darüber, dass Pascal wirklich ein überaus großes Arschloch ist, oder darüber, dass Marcos Bruder, mein damaliges Vorbild, ebenfalls schwul oder halt bi war! Doch dann stellte sich mir die Frage ,was Pascal denn nun ist? Aber das war einer der unwichtigsten Gründe für mich. Er war für mich gestorben. Bei der verdammten Scheiße, die er mit Devon und auch mit mir abgezogen hatte ...

»Und warum habt ihr euch dann gestritten?«

Marco wischte sich mit seiner Hand die Tränen aus den Augen. »Pascal hat's auch hier jedem erzählt und ich wurde von vielen Kumpels angemacht. Von wegen "Dein Bruder ist schuwul ..." und so. Ich konnte damit nicht umgehen und habe deshalb Devon zur Sau gemacht, wie er denn so doof sein konnte, um auf Pascal reinzufallen. Ich habe Devon aufs Übelste beschimpft und es fielen Worte wie Schwuchtel, Tunte, Arschficker und so.«

Ich staunte, dass Marco dazu fähig gewesen war, wo er doch seinen Bruder so mochte.

»Ich war enttäuscht, dass er schwul war. Er war mein Vorbild und wenn ich jemanden es gewünscht hätte ein Haus, eine tolle wunderschöne Frau und ein paar Kinder zu bekommen, dann Devon. Ich konnte einfach mit der Situation nicht umgehen, mein Vorbild, meinen Bruder, zu verlieren und auch noch das Gelächter zu ertragen, das ich durch ein paar Kumpels immer wieder mitbekam.«

»Marco, warum hast du mir nie davon erzählt.«

»Ben, es war mir peinlich.« Er schaute mich an. »Ja es war mir peinlich, einen schwulen Bruder zu haben und ich wollte nicht, dass du das erfährst!«

Stille trat ein. Hatte er mich damit jetzt auch beleidigt? War es überhaupt eine Beleidigung? Wie meinte er das?

»Wie meinst du das?«, fragte ich leise in den Raum.

»Wenn man das Wort "Schwul" hört, denkt man immer gleich an Abnormalität, an Leute, die ausgeschlossen werden, Jungs, die sich wie Mädchen benehmen ...« Er aschte ab und machte schließlich seine Kippe aus. »Ben, ich will dich jetzt genau so wenig beleidigen wie meinen Bruder, aber du musst zugeben, dass das Fakt ist.«

»Du hättest es mir sagen können«, sagte ich. Bei keinem der Sätze, die wir uns zuwarfen, sahen wir uns einmal in die Augen.

»Stimmt. Dir hätte ich es sagen können, du bist doch mein bester Freund.«

»Immer noch, ja?«

»Klar. Ich habe, seitdem ich das mit Devon weiß, sehr lange darüber nachgedacht. Was das Schwulsein betrifft.« Jetzt schaute er mir in die Augen. »Ben, klar weiß ich, dass Schwule genauso Menschen sind wie andere, ich weiß, dass es nicht abnormal ist, es benehmen sich auch nicht alle wie Mädchen, doch es ist noch immer ein Tabu der Gesellschaft.«

»Und genau das ist es, warum sich Schwule nicht trauen, sich zu outen und dann ihr Leben lang unglücklich mit einer Frau zusammenleben, um von sich abzulenken«, sagte ich wütend.

»Anne?«, fragte Marco.

»Genau.«

»Ich habe gemerkt, dass du nicht lange getrauert hast.«

»Nein, ich habe nicht lange getrauert und ich war auch nicht glücklich mit ihr. Wie denn auch? Es ist so ätzend. Du schaust dich auf den Straßen nach total niedlichen Jungs um, denkst dir: "Der wär doch was, ist er so wie du?" Du beneidest Mädchen um ihre Freunde und schließlich kommst du zu dem Punkt, an dem du dir wünscht, du wärst hetero. Du wünscht dir nichts sehnlicher, nur um diese ständige Frage "Ist er so wie ich" nicht mehr im Kopf zu haben. Du lernst Jungs in der Disco oder was weiß ich wo kennen, freundest dich mit ihnen an. Sie gefallen dir supergut. Sie sind nett, total hübsch, doch manchmal sind sie noch mehr für dich. Du willst die Freundschaft nicht aufs Spiel setzen und machst keine Anstalten herauszubekommen, ob sie so sind wie du, aus Angst die Freundschaft würde zerbrechen. Doch vielleicht sind sie ja doch so wie du und du verpasst sie.«

Marco hörte mir mit großen Augen zu.

»Und wenn du dann Einen findest, der dir gefällt und der supernett ist, denkst du, du hast es geschafft. Nein, dann bist du erst am Anfang. Wie willst du mit ihm leben?«

Erwartungsvoll starrte ich Marco an. Er zuckte mit den Schultern.

»Du bist stolz, ihn als Freund zu haben und würdest es am liebsten der ganzen weiten Welt berichten, doch wie stehst du dann da? Du lebst eine ewige Lüge gegenüber deinen Freunden. Bei jedem Kuss musst du aufpassen, dass niemand in der Nähe ist;. In den Arm nehmen? Vergiss es. Streicheln verboten und kuscheln sowieso.« Ich merkte es selber. Ich ließ alles raus. Alles, worüber ich mir schon so lange den Kopf gemacht hatte, alles was in meinen Gedanken rumspukte.

»Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich wusste nicht ...«

Ich unterbrach Marco. »Nein, wie konntest du es auch wissen? Du bist hetero. Du kannst deinen Schatz in der Öffentlichkeit küssen, ohne blöd angeschaut zu werden. Du kannst sie deinen Eltern vorstellen und weißt, es bleiben deine Eltern. Du kannst vor deinen Freunden von ihr schwärmen, sie streicheln, mit ihr kuscheln wo du willst.« Ich holte Luft. »Klar machst du dir keine Gedanken darüber Marco. Aber gerade das ist es ja. Wie soll man verstehen, ohne sich Gedanken zu machen?«

»Es ist zu mühselig, um sich Gedanken zu machen. Was man nicht versteht, gilt als doof und blöd«, sagte Marco. Genau das war es. Er brachte es auf den Punkt. Er verstand mich also. Es war das erste Mal, dass ich so offen über meine Gedanken sprach und es hat mir sehr gut getan. Als Marco mein Zimmer verließ, wusste ich, dass er und ich nun noch fester zusammengewachsen waren. Er umarmte mich sogar, als er mir eine gute Nacht wünschte. Momentan hätte ich echt auf alles verzichten können, nur auf Marco nicht ...

Am nächsten Morgen klingelte mein Wecker um Punkt 6 Uhr. Es war Zeit für den ersten Schultag. Ab jetzt gab es keine Klassen mehr, wie man sie normalerweise kennt. Wir wurden alle nach Kursen aufgeteilt. Allerdings war es in BVWL (Betriebs- und Volkswirtschaftslehre) und Rechnungswesen so, dass man in der Gemeinschaft seiner bekannten Klasse blieb. In den anderen Kursen wie Spanisch oder Bio sah man plötzlich Gesichter, die man vorher nie in der Schule gesehen hatte. Die meisten fremden Gesichter sah ich jedoch in meinem Deutsch Leistungskurs. Nur wenige aus meiner alten Klasse hatten Deutsch als Leistungskurs gewählt. Es dominierte das weibliche Geschlecht diesen Kurs, Mark, einer meiner Schulfreunde, und ich waren in diesem Kurs die einzig männlichen Geschöpfe. In allen Kursen wurden erst einmal die Themen bekanntgegeben, die dieses Semester unterrichtet wurden. Neben BVWL Kurs hörte sich auch der Deutsch Kurs ganz schön schwer an.

Zu Hause angekommen, machte ich erstmal was zu essen. Daniel und Marco kamen meist gegen 16 Uhr von der Arbeit. Sie hatten es immer gern, wenn dann das Essen auf dem Tisch stand. Irgendwie kam ich mir manchmal wie so eine Hausfrau vor, naja jedenfalls was das Essenmachen betrifft. Es gab heute Spaghetti mit Tomatensauce. Allerdings eine Tomatensauce allá Ben Dinkler. Ich musste lachen, als ich sämtliche Gewürze in den Topf füllte. Es fiel mir auf, dass ich jedes Mal andere Gewürze nahm und die Sauce doch immer gleich schmeckte. Nur das fiel den anderen beiden Bewohnern nie auf.

Punkt 16:15 kamen die beiden. Marco schmiss seine Sachen in sein Zimmer und setzte sich an den Küchentisch. »Was gibt's zu essen?«

»Etwas, was es noch nie vorher in dieser Wohnung gegeben hatte«, antwortet ich stolz.

Daniel sah mich fragend an. »Was ist es?«

»Spaghetti!«, antwortete ich nüchtern und hob beide Deckel der Töpfe hoch um den Inhalt zu präsentieren.

»Spaghetti?«, fragten beide wie im Chor, nachdem sie erst den Inhalt der Töpfe und schließlich mich sehr doof ansahen.

»Naja ... klar Spaghetti. Aber keine gewöhnlichen ...«, sagte ich leise.

»Was sind denn das nun für Spaghetti?«, fragt Marco und füllte sich ein Glas mit Orangensaft.

»Mensch, die Spaghetti sind doch nicht das entscheidende ...!«, sagte ich genervt.

»Aber du sagtest doch das die Spaghetti ...«

Daniels Tür öffnete sich langsam. Wie gebannt sahen wir Drei der Tür dabei zu.

»Sammal ...«, klangs aus Daniels Zimmer und eine Person mit langen blonden Haaren und ziemlichen Tränensäcken betrat die Stube. Sie zog ein Gesicht, das dem eines Boxers (also Hundes) sehr ähnlich war.

»Spaghetti, Spaghetti, Spaghetti ... Könnt ihr denn nicht mal üba wad anderes redn? Da bekommt man ja richtig Kohldampf.«

»Mandy. Was machst du denn hier?«, fragte Daniel entgeistert und schlug die Augen weit auf.

»Wad solln das heißn? Du hast mir doch den Schlüssel jegebn«, sagte sie und setzte sich mit an den Küchentisch.

Marco und ich sahen Daniel an. »Ach ...«, entgegnete er »Stimmt ja. Marco, Ben, ich hab Mandy den Wohnungsschlüssel gegeben. Nur damit ihr Bescheid wisst.«

Ehrlich gesagt, waren wir beide davon nicht so ganz überzeugt, aber es war nun mal seine Freundin und eigentlich war sie auch immer nett.

Mandy stützte ihre Ellenbogen auf den Tisch und ihr Kopf versank hinter ihren Händen. »Und wad is nun mit den Spaghettis?«, stöhnte sie vor sich hin. Ihre Stimme verhallte hinter ihren Händen und man musste genau zuhören, um sie zu verstehen.

»NEIN!«, sagte ich genervt. »Nicht die Spaghetti ... die Sauce ist das Geheimnis«, fauchte ich, noch immer mit den beiden Topfdeckeln in der Hand.

»Ahh!«, schrie Marco und deutete mit seinem Zeigefinger auf mich. »Du hast mal wieder deine Sauce allá Ben Dinkler gemacht.«

»Exakt!«, sagt ich und Daniel stöhnte leise, »Darauf hätte ich doch auch kommen können ...«

Jetzt erst legte ich die beiden Deckel weg, legte noch ein Gedeck für Mandy auf und dann aßen wir Mittag. Jeder erzählt ein bisschen über seinen Tag. Nur Mandy hatte nicht viel zu erzählen, schließlich lag sie ja den ganzen Tag im Bett.

»Könnt ihr euch eigentlich noch an die Aufnahmeprüfung erinnern?«, fragte Marco plötzlich mit vollem Mund.

»Welche Aufnahmeprüfung?«, fragte Daniel und rollte seine Spaghetti auf seinem Löffel auf.

»Mann, wer den Schlüssel für unsere Wohnung haben will, der muss doch die...«, gruselig begann Marco weiterzureden, »... A u f n a h m e p r ü f u n g bestehen!«

Alles schaute Mandy an, die immer kleiner auf ihrem Stuhl zusammensackte. Ich grinste »Stimmt ja ... die Aufnahmeprüfung ... die hatte ich ganz vergessen.«

»Tja Mandy. Ich glaub, da kann ich dir nicht helfen. Da musst du durch!«, sagte Daniel und strich ihr übers Gesicht.

»Wad issn dad für ne Aufnahmeprüfung?«, fragte Mandy leise.

»3 Monate Küchendienst!«, sagte Marco wie aus der Pistole geschossen und zeigte mit seinem Zeigefinger auf Mandy, als wär er eine Pistole.

Mandys Augen weiteten sich. »Sammal ...«

»Nein, war nur 'n Scherz Mandy«, unterbrach Marco sie. »Aber ich denke, mit einem Wohnungsputz kommst du super weg!«

»Ich bin doch nicht eure Putze.«

»Doch Mandy. Für einen Tag bist du es. Du musst ja nicht Staubwischen oder so. Bring einfach alles ein wenig in Ordnung.«

Und das tat Mandy dann. Man konnte ihr bei der Arbeit ansehen, dass sie nicht viel Gefallen daran fand, aber sie tat es. Ihr Gesicht wurde immer länger, als sie unter den Teppich im Wohnzimmer sah, unter dem Marco beim Fegen immer den Dreck versteckte. Danach begann sie unser Essen abzuräumen, arbeitete dann in der Küche weiter, nochmals über das Wohnzimmer bis zum Bad, indem sie etwas länger blieb als gedacht, und dabei musste Marco doch so dringend aufs Klo. Doch Mandy machte keine Anstalten ihn mal reinzulassen. Erst als sie fertig war, konnte Marco der Natur gerecht werden und stürmte ins Bad.

Am Ende des Tages hatte Mandy ihre Aufnahmeprüfung bestanden. Die Wohnung glänzte und blitzte. Es erschien mir komisch, dass wenn Marco, Daniel oder ich die Wohnung aufräumten, sie längst nicht so gut aussah wie jetzt. Muss wohl doch daran liegen, dass das Aufräumen und sauber machen den Mädels in die Wiege gelegt worden ist.

In dieser Woche blieb eigentlich alles beim Alten. Im Deutsch LK mussten wir binnen 6 Tagen Max Frisch mit Stiller durchlesen, was ich mir mit Pascal gekauft hatte. Naja, da ich gerne las, war es kein so großes Problem für mich, noch dazu war es recht einfach geschrieben, nur was der Herr Leiten da von mir wissen wollte, konnte ich ihm eigentlich gar nicht genau sagen. Es war erstaunlich, was Lehrer aus einem einfachen Buch für Schlüsse ziehen konnten. Ich fand allerdings, dass von Herrn Leiten da vielzuviel hineininterpretiert wurde. Naja Lehrer halt. Wir nahmen dann noch kurz das Zeitalter der Aufklärung durch (Der Ausdruck sich seines eigenen Verstandes zu bedienen) und danach noch Sturm und Drang. Eigentlich konnte ich sagen, dass die Stunden in Deutsch immer toll waren, aber ich merkte irgendwie, dass mich der gute Lehrer nicht so unbedingt leiden konnte. Am meisten gefielen mir die Stunden in Spanisch. Da saß ich neuerdings, nachdem sich die Sitzordnung bestimmt 1000 mal geändert hatte, neben einem blonden Typen, den ich total geil fand. Er hatte nichts Besonderes an sich, war ganz normal gekleidet, doch irgendetwas reizte mich sehr an ihm. Gleich in der ersten Stunde, in der ich neben ihm saß, sagte er, dass er mich vom Sehen her kannte. Bonuspunkt für mich dachte ich mir.

Marco und Daniel gingen ihrer Arbeit nach und Mandy auch. Nur pennt sie jetzt irgendwie jede Nacht bei uns in der WG. Am Samstag hatten wir alle prächtig ausgeschlafen und nach dem Abendessen, das diesmal erst um 21 Uhr fertig war, schauten wir fern.

»Liegt heute eigentlich irgendwas an?« Marco schaute durch die Runde.

»Ne, aber hätte heute mal wieder richtig Bock wegzugehen«, sagte ich.

»Jawoll Kleiner. Wir verstehen uns.« Ich grinste. »Wie sieht's aus mit Disco heute?«, fragte Marco und erhaschte von Mandy und Daniel gierige Blicke.

»Klar«, sagte Daniel, der einmal in die Hände klatschte.

»Also, los Kameraden. Fertig machen und ab geht's.«

Alle stürmten in ihre Zimmer und machten sich fertig. Jeanshose und T-Shirt drüber, etwas Gel in die Haare und fertig war ich. Die anderen sahen auch nicht anders aus. Irgendwie wollte ich mal auffallen. Doch mit was für Sachen? Keine Ahnung. Also ließen wir die Sache. Alle warteten nur noch auf Mandy, die etwas länger brauchte, um sich zu schminken. Am liebsten hätte ich ja auch etwas Puder oder so drauf gemacht, um meine Pickel zu verdecken, aber ein Junge und Make up? Dann haste deinen Ruf weg ...

Wir fuhren los, in die nächstliegende Disco. Daniel am Steuer und Mandy neben ihm. Wie Daniel so im Auto saß, fiel mir auf, wie gut er eigentlich aussah. Dieses ärmellose Shirt, das er an hatte ... wow, noch dazu hatte er auch ein paar Muskeln, die sich perfekt zu seinem Shirt machten, man könnte Mandy beneiden ... . Bei der Fahrt legte er ein Techno Tape ein, um uns schon mal in Vorfreude zu bringen. Marco, der neben mir saß, fuchtelte mit seinen Armen durch die Gegend, ich glaub, es sollte irgendein afrikanischer Regentanz sein.

Als wir da waren, suchten wir uns einen Parkplatz und gingen zum Eingang. Die Securitys tasten uns Jungs ab und Mandy konnte so durchgehen.

»Schade das du kein Junge bist wa, Mandy?« rief Marco weniger leise.

»Sammal spinnst du? Hab doch meinen Schnubbel«, sagte sie und nahm Daniels Hand. Drinnen angekommen, ging schon Party. Laute Musik, grelle Lichter, tanzende Leute überall. Wir suchten uns ein freies Fleckchen, wo wir uns hinstellen konnten, und Marco schmiß ne Runde Desperados. Ich sah mich um und nahm einen Schluck aus meiner Flasche. Viele Leute und alle hatten voll die weiten Hosen an, in total verschiedenen Farben. Ich mein, es ist ja nun nicht so, als ob ich noch nie in einer Disco war, aber da liefen die so rum wie wir. Hier war das ganz anders. Ein Typ hatte eine weite Hose an, an dessen Innenseiten noch mal ein Reißverschluss runterging. Später sah ich ihn mit Rock, dazu also der Reißverschluss. Ich beschloss erstmal, ein wenig rumzuschauen. Marco war bereits auf der Tanzfläche. Neben den Leuten, die total gut tanzen konnten, hielt sich Marco gerade so über Wasser. Daniel und Mandy leckten sich in einer ruhigen Ecke rum. Auf meinem Weg hörte man trotz der lauten Musik einige Sätze von den Leuten, an denen ich vorbeiging. "Haste mal ne Kippe" "das musst du mir mal ausleihen" "woher hast du die" "macht Spaß heute" waren die häufigsten Sätze.

»Hoppla!«

Ich schreckte auf. Ich war so in Gedanken, dass ich son kleines Mädel anrempelte.

»Oh tut mir leid. Sorry«, sagte ich entgeistert und sah mir das Mädel erstmal an. Ungefähr 1,60m groß war sie, also nicht die Größte, kein Wunder, dass ich sie übersah. Kurze dunkle Haare, die hoch toupiert waren. Sie trug auch eine von diesen weiten Hosen und drüber hatte sie ein schwarzes Top.

»Macht doch nichts«, grinste sie. »Ich hab dich hier noch nie gesehen? Bist das erste Mal hier?«

»Ja. War sonst immer woanders.«

Sie lächelte. »Und wie findest's hier?«

Ich schaute mich um. »Ganz nett. Mir gefallen die Hosen so gut, die hier alle anhaben.«

»Kennst du die etwa nicht?«, entgeistert sah mich das Mädchen an. Ihr Mund zeigte mir ein empörtes O.

»Nein. Auf der Straße sieht man solche Hosen ja auch nie und in der Disco, wie gesagt, laufen die Leute eher so rum wie ich heute.«

Sie holte eine Luckys Packung aus ihrer Tasche und bot mir eine an.

»Danke«, sagte ich. »Ich heiße übrigens Ben.«

»Zuckerchen.«

»Sorry. ich habe deinen Namen nicht verstanden.«

»Zuckerchen!!«, brüllte sie mir ins Ohr.

»Zuckerchen?«, fragte ich unglaubwürdig.

»Hey was geht Kleiner?«, fragte Marco, der auf einmal aus dem Nichts auf mich zugeschossen kam und mir freundschaftlich auf den Rücken klopfte. Zuckerchen sah Marco mit großen Augen an.

»Alles Klar«, sagte ich »Habe gerade Zuckerchen kennengelernt.«

»Was?«, fragte Marco und fing an laut loszulachen. Dann beugte er sich zu ihr rüber. »Heißt du wirklich Zuckerchen?«

Sie grinste ihn an. »Ja, so nennen mich alle. Aber wirklich heiße ich Melanie.«

»Krasse Sache«, sagte Marco und nickte zustimmend mit seinem Kopf »So nen Namen hat nicht jeder.«

»Da hast du recht«, sagte Melle lachend.

»Und woher kennst du Ben?«

»Ach, der hat mich gerade angerempelt, dann kamen wir ins Gespräch.«

Marco und ich blieben noch ne ganze Zeit lang bei Zuckerchen stehen. Wir verstanden uns total super. Sie stellte uns ein paar ihrer Freunde vor und, unter uns gesagt, dieser Sven gefiel mir total gut.

»Was hast du gesagt?«, fragte mich Sven.

»Wo hast du und diese Blonde tanzen gelernt?«, schrie ich in Svens Ohr.

»Diese Blonde?«, er zeigte auf das Mädel neben sich, die ihre Arme in die Höhe streckte und zu der Musik voll ab ging.

»Genau.« Ich nickte.

»Diese Blonde ist meine Freundin«, sagte Sven.

Naja es wär ja auch zu schön gewesen, wenn Sven so wär wie ich. Aber vielleicht ist er ja bi? Nur ich hatte keinen Bock, die neu gefundenen Freunde gleich sozusagen auszuspionieren.

»Alina ist ihr Name!«, sagte Sven schließlich.

»Aha.« Es sah echt gut aus, wie sie tanzte, doch als Sven sich dann dazustellte und ebenso abging wie sie, waren meine Augen natürlich auf ihn gerichtet. Es sah echt Hammer aus. Diese Bewegungen mit den Beinen und den Armen gleichzeitig, stellte ich mir als ziemlich schwierig vor. Doch am meisten bewunderte ich die Ausdauer, die sie beim Tanzen hatten. Ich hätte da schon längst Seitenstechen gehabt. Suchend erblickte ich Marco noch immer bei Zuckerchen. Die beiden verstanden sich super.

»Wie haltet ihr das eigentlich durch, so lange zu tanzen?«, fragte ich Sven und wunderte mich, dass nun seine Augen zu engen Schlitzen zusammengezogen waren.

»Weißt du Ben ...«, sagte er und stützte seine Hände in die Hüften. »Es gibt da diverse Aufputschmittel.« Dann nahm er seine Red Bull Dose in die Hand und setzte zum Trinken an. Alina, wie seine Freundin hieß, hielt ihre Hand auf und er gab ihr schließlich die Dose.

Ich traute mich gar nicht zu fragen, was er denn nun für Aufputschmittel meinte. Ich ahnte, dass es Drogen sein mussten, doch das konnte ich mir nicht vorstellen, allein schon deswegen nicht, weil ich damit nie in Berührung gewesen war und auch nie mit Leuten zu tut hatte, die so etwas nahmen.

»Was meinst du für Aufputschmittel?«, fragte ich schließlich doch.

Sven packte mich an meine Schulter und zog sich an mich. Er roch ziemlich gut. »Schon mal was von Ecstasy gehört?«

Ich schluckte.

»Davon gehst du richtig ab. Musst nur aufpassen, dass du nen Feierteil erwischt. Kopfteile sind nicht so gut, halt nur, wenn du mal völlig abschalten willst«, sagte er und machte sich schließlich eine Kippe an.

Ich wollte nun nicht unbedingt nachfragen, was denn nun ein Feierteil oder ein Kopfteil ist, auch wenn es mich nun höllisch interessierte. Wie gesagt, hatte ich nie was mit Drogen zu tun, doch ich interessierte mich total dafür. Heimlich beobachtete ich Sven. Ich wollte sehen, wie sich jemand verhält, der Ecstasy nimmt. Noch dazu sah er halt höllisch gut aus. Er hatte auch eine von diesen weiten Hosen an, die an den Innenseiten einen separaten Reißverschluss hatte. Allerdings in schimmerndem Blau. Ein eng anliegendes Shirt mit einer Flamme drauf und seine Haare waren zu vielen Strähnen gegelt, die an seinem Kopf runterhingen. Aber am schönsten fand ich seine Augen. Diese Augen, sofern man sie durch die schmalen Ritzen sehen konnte, faszinierten mich total. Eine Mischung aus braun und grün, wie ich später feststellte, denn die Discolichter vermischten sich ständig mit der Farbe seiner Augen, noch dazu war von seiner Regenbogenhaut nicht viel zu sehen, weil das gesamte Auge fast nur aus Pupille bestand. Es gefiel mir, wie er drauf war und das machte mir Angst. Er war so wie ich gern sein wollte. Er war total offen und unterhielt sich mit allen möglichen Leuten, die an uns vorbeigingen. Mir schoss das Wort VORBILD in den Kopf und dann musste ich sofort an Devon denken. Doch Sven und Devon waren Typen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten. Doch wusste ich ja gar nicht, wie Devon sich entwickelt hatte. Vielleicht würde er ja jetzt auch in Flensburg oder sonst wo in einer Disco stehen und total auf Drogen abgehen. Mir erschien diese Situation immer interessanter und sie wurde auch immer interessanter, als ich bemerkte, dass nun Zuckerchen mit Marco auf dem Podest stand und tanzten wie die Gejagten.

»Na, du bist also Ben ja?«, fragte mich eine Mädchenstimme. Ich drehte mich um und sah Svens Freundin Alina vor mir stehen. Ein total hübsches Mädchen mit ebend auch so einer weiten Hose. Die hatten irgendwie alle an, die bei Melle, oder halt Zuckerchen, standen.

»Ja, ich bin Ben. Du bist Alina, nicht wahr?«

»Ja, hat dir Sven wohl schon erzählt wa?«

»Ja das hat er.« Ich schaute sie näher an. Ihre Augenbrauen waren abrasiert. Mit Kajal hat sie sich welche nachgezogen, die an den Außenseiten nach oben geschwungen waren. Das gab ihrem eigentlich niedlichem Blick einen bösen Unterton. Als ich in ihre Augen sah, sah ich auch nur hauptsächlich Pupille.

»Sorry wenn ich dich jetzt so direkt frage, aber nehmt ihr hier alle Drogen?«

Alina grinste und sie schien durch mich durchzusehen. »Naja, die Meisten. Ist halt geil.«

Jetzt wollte ich's auch wissen. Ich fasste mir ein Herz. »Alina, kannst du mir auch was besorgen?«

Sie schaute mich an. »Hast du schon mal?«

»Ne.« Und dieses Ne war mir sehr peinlich. 17 Jahre alt und noch nie eine Konfrontation mit Drogen gehabt ...

»Dann besorg ich dir auch nichts. Das kannste vergessen.«

Ich schaute erschrocken. Ich dachte immer, es wär egal, wem sie das Zeug andrehen, Hauptsache die Kohle kommt rein, doch die hier waren anders.

»Ich will nicht, dass du damit anfängst«, sagte Alina. »Ich kenn dich zwar nicht, aber mach nicht den Fehler und fang damit an.«

Sie schien es ernst zu meinen, denn sie grinste nicht ein einziges Mal. Ihr Blick verunsicherte mich total. Noch dazu schien sie sich total zu widersprechen. Erst war's geil, aber ich soll bloß nie damit anfangen? Und jetzt dachte ich erst recht, dass ich es machen sollte. Ich hatte noch nie irgendwas Verbotenes getan. Nicht einmal geklaut oder so, war nie in einer Schlägerei verwickelt und das hatte ich satt. Ich glaub es war genau der Zeitpunkt an dem der Rebell in mir zum Vorschein kam. Diese ganze Atmosphäre, die hier herrschte, diese Freundschaft, die hier unter Melles Leuten verbreitet war und noch dazu die Leute selbst, die alle total nett waren ... Ich wollte dazugehören. Man konnte hier auf keinen Fall von Gruppenzwang oder Ähnlichem reden, doch ich wollte jetzt einfach auf Droge sein und ich schaffte es auch, mir ein Teil, so wie sie es hier alle nannten, zu besorgen und auch zu schmeißen.

Alina bemerkte das und hob ihre Augenbrauen. »Du darfst nicht drauf warten, dass du was merkst.«

Ich nickte und stellte mich an einen Tisch zu Sven, der sich gerade mit so einem dunkelhaarigen Mädchen unterhielt. Ich schaute zu Marco und Zuckerchen aufs Podest. Die beiden waren nicht mehr zu stoppen. Die tanzten und machten voll Party. Ich grinste innerlich, dann wurde mir total warm und ich bekam das Grinsen aus meinem Gesicht nicht mehr weg. Ich hatte plötzlich das Gefühl, mich unbedingt bewegen zu müssen, zu tanzen. Ich begann ein paar Schritte vor und wieder zurück zu gehen. Aus dem schüchternen Ben wurde der Ben, dem nun alles egal war. Es war mir echt Latte, was die anderen über meine Tanzart dachten. Ich fühlte mich total wohl. Alina stellte sich schließlich neben mich, grinste mich an und begann nun neben mir zu tanzen. Ich schaute mir ein paar Tanzschritte von ihr ab. Die Musik empfand ich nun viel intensiver und es schien, als ob ich die Farben der Discolichter fühlen konnte. Mein Kopf war total frei. Ich haute richtig rein. Ich gab mich der Musik völlig hin und tanzte mit Alina zusammen um die Wette. Ich stoppte kurz und atmete tief durch. Mir wurde schwindelig und ich dachte ich müsse mich übergeben.

»Hey Ben. Alles klar?«, fragte mich Sven, der plötzlich an meiner Seite stand.

»Alles super. Mir is nur ein bisschen schlecht.«

»Na dann trink lieber mal nen Schluck«, sagte er und gab mir seine Cola vom Tisch.

Verblüfft sah ich erst das Glas an und dann ihn.

»Ist besser wenn du jetzt was trinkst«, sagte er.

Ich nahm das Glas und trank ein paar Schlücke. Danach steckte ich mir ne Kippe an und wollte mich eigentlich hinsetzen.

»Nicht hinsetzten. Geh lieber mal ne Runde«, sagte Zuckerchen, die plötzlich neben mir aufgetaucht war. Ihr tropften die Schweißperlen beinahe von der Stirn. Es war erstaunlich, dass bereits alle wussten, dass ich ein Teil genommen hatte.

»Geht krass ab, wa Kleiner?« Marcos Augen waren geschlossen, doch grinste er bis über beide Ohren. Marco hatte also auch was geworfen. Um ehrlich zu sein, hatte ich von ihm auch nichts Anderes erwartet. Ich fand sogar, irgendwie war er total der Typ dafür, wenn man das so bezeichnen konnte. Ich ging also auf Zuckerchens Rat eine Runde. Verschwommene Gesichter sahen mich an ...

Ein Arm legte sich über mich und ich vernahm ein leichtes Brummen. Eine Hand lag auf meinem Bauch. Ich spürte, dass ich nur noch bekleidet in Boxershorts im Bett lag. Ich öffnete langsam die Augen und stellte fest, dass ich Gott sei Dank, in meinem Zimmer lag. Ich schob die Bettdecke runter und sah die Hand. Wer konnte das bloß sein? Mein Blick wanderte zur Seite auf einen Kopf, der unter der Bettdecke versteckt lag. Mein Herz klopfte und die wildesten Gedanken füllten meinen Kopf. Es würde mich ja freuen, wenn Sven jetzt neben mir lag ... langsam schob ich die Bettdecke weg, mein Herz raste.

»MARCO!!!«

»Hmmmm, was'n los?«, die Bettdecke bewegte sich leicht.

»Musst du mich so erschrecken?«

»Mensch Ben, lass mich schlafen. Ich bin todmüde.« Sprachs und mummelte sich wieder in die Bettdecke ein. Ich nahm seine Hand von meinem Bauch, zog mir Joggingklamotten an und setzte mich in die Stube vor die Glotze. Wir hatten es bereits kurz vor 6 Uhr abends. Ich fragte mich, wo die Zeit hin war, ich hatte den ganzen Tag verschlafen. Was mich ja interessierte war, wie ich nach Hause kam und wann ich zu Hause war. Auf dem Stubentisch war ein Zettel.

Hallo ihr beiden Langschläfer,

bin mit Mandy spazieren. Bringen heute Abend was zu Essen mit. Ihr braucht also nichts machen.

Gruß Daniel

Das hörte sich gut an. Vielleicht fuhren sie ja bei Mc vorbei. Ich legte mich auf die Couch. Ich war ziemlich gerädert. Schließlich zwang ich mich selbst unter die Dusche und die tat höllisch gut. Danach legte ich mich wieder auf die Couch im Wohnzimmer, schaltete ViVa an und dachte nach. Über Sven, Alina und Zuckerchen. Es waren Leute gewesen, auf die man stolz sein kann, sie als Freunde zu haben. Keine Frage, zu Anfang sind sie alle nett, aber waren diese nicht irgendwie anders? Ich fasste mir an den Kopf. Wie um Himmels willen konnte man darauf stolz sein, Freunde zu haben die Drogen nahmen? Man sollte ihnen helfen, davon loszukommen, nur das konnte man selbst nur tun, wenn man selbst keine nahm ... und ich habe gestern daran Gefallen gefunden ...

Einige Zeit später kam Marco mit tiefen Augenringen aus meinem Zimmer zu mir ins Wohnzimmer und setzte sich neben mich. Daniel und Mandy brachten uns ne Pizza mit. Für mich eine Hawaii und für Marco eine Salami Pizza. Die restliche Woche überstanden wir nur mit dem Gedanken an Samstag. Dann würden wir wieder in die Disco fahren. Wie mir Marco erzählte, konnte er sich noch daran erinnern, dass wir uns mit Sven, Alina und Zuckerchen sogar für den kommenden Samstag verabredet hatten, was mich total freute. Doch meine Freude war getrübt von der ersten Klausur, die wir in BVWL schrieben. Wie ein Idiot büffelte ich Tag für Tag und es kamen dann sogar 13 Punkte bei raus (was einer 1- gleicht). Marco freute sich voll für mich, als ich ihm die erfreuliche Nachricht mitteilte, und schenkte mir eine Topfpflanze vom Blumengeschäft Meyer auf der anderen Seite unserer Straße. Mein dummes Buch (bereits das Zweite) für den Deutschkurs hatte ich auch rechtzeitig zu Ende gelesen und konnte Herrn Leiten auch das sagen, was er hören wollte. Was mich am meisten freute war, dass ich in dieser Woche die ersten Sätze mit diesem Schnuckel-Typen, der neben mir in Spanisch saß und übrigens David heißt, geredet hatte. Die Gruppenarbeiten wie zum Beispiel "Los problemas con sus padres", was soviel hieß wie "Die Probleme mit euren Eltern" fassten wir beide gemeinsam zusammen. Ich musste mich dabei an früher erinnern, als ich noch nicht in der WG wohnte. Auch die Probleme, die man mit einzelnen Personen in der WG hat, habe ich verschlüsselt mit in dem Text verfasst. David und ich mussten lachen, als es um die dauernde Benutzung des Badezimmers ging. Wie sich herausstellte, brauchte auch er immer Stunden im Bad. Mit Mark, meinem Schulfreud, musste ich mich beinahe bepissen vor Lachen, als jemand sagte, dass gewisse Schüler aus Angst vor der Geschichtsgruppenarbeit, ins Ausland geflohen seien. »Das sei eine Idee wert«, sagte Mark. Es war ja auch kein Wunder, denn unsere Geschichtslehrerin, Frau Ohnesorge, war eine ziemlich ... ziemlich breite Gestalt, die gern Leute ins kalte Wasser fallen ließ. Dadurch, dass unser Geschichtsraum im 3. Stock lag, dauerte es immer ein bisschen, bis denn Frau Ohnesorge zum Unterricht erschien. Und wenn sie denn dann endlich mal da war, brauchte sie für die Anwesenheitsliste und um Luft zu holen ca. immer ne knappe halbe Stunde.

»Na Kleiner, freust dich schon?«

Ich schloss die Tür der Mikrowelle und stellte die Zeit auf exakt 5 Minuten. »Worauf?«

»Man ...« er klopfte mir mit beiden Händen auf die Schulter, »Heute ist Samstag!«

Ich grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Stimmt ja! Wann fahren wir denn heute los? Hat Daniel was gesagt?»

»Halb elf ...«, sagte Marco und tanzte einmal im Kreis.

Bereits um 9 verschwanden er und ich im Badezimmer und machten uns fertig.

Diesmal war ich etwas eher fertig als Marco. Bereits am Morgen hatte ich mir meine Sachen, die ich heute Abend anziehen wollte, bereit auf meinen Schreibtisch gelegt. Marco gelte sich noch die Haare, als mein Handy klingelte.

»Ja?«

»Hi mein Schatz, ich bins ...!«

Ich schaute verdutzt zu Marco und runzelte die Stirn. Seine Kopfbewegung zeigte mir, dass er wissen wollte, wer dran war.

»Hi Mama.«

Marco nickte und gelte weiter.

»Wie gehts dir?«, fragte ich.

»Ganz gut. Und bei dir? Wie läuft's mit der Schule?«

»Mit der Schule läuft's bisher ganz gut. Aber warum rufst du so spät an?«

»Du kannst dich freuen ... Du bist vor 10 Minuten das 5-te mal Cousin geworden!«, sagte meine Mum so, dass ihre Freude kaum zu überhören war.

»Echt? Hat Heike geworfen? Das wurde aber auch langsam Zeit« freute ich mich. »Junge oder Mädchen?«

»Ein kleines Mädchen. Sie heißt Sarah.«

»Schön. Und Heike geht's gut?«

»Ja, ist alles bestens gelaufen. Alles ohne Komplikationen.«

»Das freut mich.« Ich setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer.

»Ich hol dich morgen ab, dann kannst du sie dir angucken.«

»Klar.« Man war ich begeistert, strahlend sah ich Marco an und er zwinkerte mir zu.

»Ich bin dann so um 10 Uhr bei dir. Geht das?«

Ich biss auf meine Unterlippe. 10 Uhr morgens. Ich erinnerte mich an den letzten Sonntag. Ich war fast tot gewesen ...

»Alles klar. Bin dann fertig.«

»OK, und was machen Marco und Daniel so?«

»Denen geht's super. Wir wollen heute noch in die Disco.«

»Na dann grüß die beiden Mal und viel Spaß heute Abend. Ich verlass mich auf dich.«

Mir war klar, was sie damit meinte. »Klar. Ich mache nichts Unanständiges.«

»Dann bis morgen mein Schatz.«

»Ja Tschü!«

Ich legte auf.

»Heike hat geworfen??? Wie redest du denn über deine Tante?«, lachte Marco sich tot. Ich musste selber grinsen. »Ja sie hast ein Mädel bekommen ... Sarah. Soll dich auch schön grüßen.«

»Von Sarah? Die kennt mich doch gar nicht.«

»Quatsch. Idiot! Von meiner Mum.«

»Das ist lieb«, sagte er und zupfte noch immer an seinen Haaren rum. »Grüß sie mal lieb zurück.«

»Ja, das kann ich morgen machen.« Ich steckte mir ne Kippe an.

»Wieso morgen?«

»Sie holt mich morgen ab.« Ich atmete kurz auf. »Um 10 Uhr morgens.«

Marco runzelte seine Stirn und sah mich grinsend an. »Kleiner, weißt du, wie du da aussiehst??«

»Aber es ging nun mal nicht anders und ich konnte ja auch schlecht sagen, dass es mir da noch von den Drogen so schlecht geht.«

»Dann hättest es verschoben ...«

»Dann heißt es wieder, dass ich keinen Wert auf die Familie legen würde. Außerdem will ich den kleinen Wurm ja auch sehen.«

Marco schaute in den Spiegel. Nun schien wohl alles zu stimmen. Er kam zu mir auf die Couch und steckte sich ebenfalls eine Kippe an.

»Für wen machst du dich eigentlich so schick?«, fragte ich.

Das Schloss der Wohnungstür gab merkwürdige Geräusche von sich und schließlich sprang sie laut auf.

»Nabend!«, sagte Mandy und kam hereingewatschelt. Hinter ihr Daniel.

»Wo wart ihr denn so lange?«, fragte Marco.

»Bummeln in der Stadt.«, sprach Daniel.

»So lange???«, fragte ich.

»Klar maan. War doch schen oder mein Schnubbel?«

Daniel nickte.

Es schien als ob Daniel nun doch ernsthaft vor hatte, mit Mandy dauerhaft zusammen zu sein. So lang ich mich erinnern konnte, war er noch nie mit einem Mädchen bis nachts in der Stadt spazierengegangen ...

Daniel und Mandy standen fertig gestyled vor mir. Marco ging noch kurz aufs Klo und schon fuhren wir in die Disco. Mit totaler Vorfreude auf Zuckerchen, Alina und natürlich Sven, erschien mir der Weg dorthin besonders lang zu sein. Daniel erhaschte noch einen Parkplatz gleich vor dem Eingang. Er meinte immer, das sei sicherer wegen dem Auto, weil ja auch die Securitys immer beim Eingang stehen würden.

»Marco ...« krächzte Zuckerchen, die man trotz der lauten Musik hören konnte. »Wie geht's?« Sie umarmte ihn ganz fest, dann kam sie zu mir. »Hey Ben. Geht's dir, wieder besser?« Fragend schaute ich sie an und nickte schließlich einfach. Ich hatte keine Ahnung was sie meinte ... Alina und Sven standen hinter Zuckerchen. Beide kamen auf mich zu. Alina umarmte mich und Sven gab mir lässig seine Hand. Ich zündete mir erstmal ne Kippe an und schaute ein wenig durch die Gegend. Marco unterhielt sich gerade mit so 'nem Typen, den ich nie vorher gesehen hatte. Die Haare seitlich abstehend, weite Raver Hose an, enges schwarzes T-Shirt an und ne Sonnenbrille auf. Er müsste ungefähr in Marco und meinem Alter sein. Ich schaute weiter, Richtung Tanzfläche. Es war noch nicht viel los. Meistens ging erst gegen 24 Uhr Party.

»Hey Kleiner.« Ich drehte mich zu Marco und er gab mir durch seine Handbewegung zu verstehen, dass ich ihm folgen sollte. Er ging voran und ich hinterher. Unsere kleine Reise endete auf dem Klo. Wir gingen in eine Kabine und Marco holte ein kleines Päckchen mit weißem Pulver drin raus. Ich kannte mich mit dem Thema Drogen nun eigentlich nicht aus, doch was man durch die Nase ziehen konnte, davon wollte ich einen großen Bogen machen.

»Ne Marco. Is nicht.«, sagt ich.

»Quatsch Kleiner. Ist nicht schlimm. Sind Ampfe!«

Ich schaute ihn fragend an.

»Naja, Amphetamine halt. Bewirken halt, dass du wach bleibst. Mehr ist das nicht. Es sei denn, du nimmst ne höhere Dosis, dann kommste auch ein bisschen drauf.« Er legte seinen Arm um mich. »Brauchst ja nur ne kleine Nase nehmen.« Ich wusste nicht warum ich jetzt nickte, aber ich tat es einfach. Marco schüttete ein wenig von der Ampfe auf den Klodeckel und baute mit seiner Sparkassenkarte zwei kleine Lines. Er grinste mich an. »Letztes Wochenende hatte ich die auch schon«, sagte er und holte einen 10 Euro Schein aus seinem Portemonnaie, den er zusammenrollte. »So, fertig. Willst du zuerst?« »Ne, mach man«, sagte ich. Ich wollte erstmal schauen, wies denn überhaupt gemacht wurde. Er stopfte sich das eine Ende, des gerollten Scheins in die Nase und mit dem anderen Ende zog er das weiße Pulver rein. Er zog kräftigst hoch. »So jetzt du.!« Er gab mir seinen Schein und ich mache es ihm nach. »Du musst das untere Ende etwas schief halten, dann klappt's besser. Ach so und wundere dich nicht, wenn du einen ekelhaften Geschmack im Mund hast«, grinste er.

»Keine Sorge, das war mir schon klar!«, sagte ich. Schnell zog ich das weiße Zeug in meine Nase rein, damit ich es schnell hinter mir hatte.

»Heute gehen weiße Tauben«, sagte er.

»Was geht heute? Weiße Tauben? Wo gehen die denn hin?«, fragte ich ihn und fragte mich in Gedanken, was er da für einen Stuss erzählt.

»Mensch das sind Teile, Kleiner. Willste eine haben, schenk dir eine.«

»Klar!«, sagte ich mit großen Augen. »Wenn se hast, sag mir Bescheid.«

»Bescheid!« Marco wühlte in seiner Tasche und holte noch son kleines Päckchen raus. Er schüttelte den Inhalt auf seine Hand. Es waren zwei Teile. »Hier haste eins. Aber lass uns wieder rausgehen ...«

Gesagt-Getan. Ich legte mir das Teil unter die Zunge, so soll's angeblich schneller wirken, wie man mir gesagt hatte, sofern man denn den Geschmack aushielt. Und schon machte sich dieser in meinem Mund breit. So ein total ekliger Geschmack. Ich gab's schnell auf, das Teil unter der Zunge zu behalten, und schluckte es schnell runter. Ich schluckte noch schnell ein paar Hände Wasser aus dem Wasserhahn runter und dann ging's. Marco grinste mich an und schon gingen wir wieder zurück zu Zuckerchen und den Anderen.

»Na? Wo waren wir denn??«, fragte sie und grinste.

»Was ziehen«, sagte ich, als ob es mittlerweile selbstverständlich wär.

»Auf dem Jungen Klo? Sag mal spinnt ihr?«

Ich schaute sie fragend an.

»Da kommen doch die Securitys immer rein. Habt ganz schön Schwein gehabt ...«

Ich zuckte kurz zusammen und malte mir aus, wie das hätte ausgehen können. Da nimmt man einmal son Zeug und gleich würd man erwischt ...

Nach ca. einer Stunde begann das Teil zu wirken. Mir wurde wieder unendlich warm und doch fühlte ich mich einfach geil. Ich drehte mich um, um an mein Wasser zu gelangen, welches bei Sven beim Tisch stand und dann sah ich sie. Das war doch die, die sich letzte Woche so lustig mit Sven unterhalten hatte. Die beiden waren doch nur am lachen. Ich ging auf sie zu und laberte sie einfach mal an. Wenn ich nichts genommen hätte, hätte ich das niemals getan.

»Hi, dich kenn ich doch auch, ja?«

»Aber natürlich kennen wir uns, wenn auch nur n bisher vom sehen«, grinste sie.

Ich gab ihr meine Hand »Ben.«

»Denise«, sagte sie. »Du kannst mich aber auch 'Königin der Nacht' nennen«, grinste sie.

»Wieso das?«

»Naja, weißt du, wenn es so gegen 1 oder 2 Uhr ist, dann mutiere ich zu einer eleganten Schönheit.«

»Weil dann alle drauf oder besoffen sind, wa?«, lachte ich, aber Denise schien es gar nicht so lustig zu finden. Empörend öffnete sie ihren Mund, der darauf hin fast das gesamte Gesicht verbarg, überkreuzte ihre Arme und drehte sich weg.

»Nein! Weil die Lichter dann Pastellfarben bekommen und die machen sich gut zu meinem Teint.«, lachte sie schließlich.

»Na hoffentlich passen die Pastellfarben denn auch zu meiner Hose.«

»Ach klar!«, sagte Denise und winkt mit ihrer rechten Hand ab. »Aber dann erscheint sie durchsichtig.«

Ich konnte nur noch lachen, über was für ein Zeug wir uns unterhielten. Über total bescheuerte Sachen lachten wir uns tot. Als sie mich dann jedoch fragte, warum das A so groß ist wie das B, wenn doch das C so aussieht wie das D, hatte sie mich ganz schön geschickt. Ich machte mir bestimmt 2 Stunden darüber Gedanken, bis ich mich doch dazu durchringen konnte, es dabei zu belassen, dass es nun mal so ist oder auch nicht.

»Kommt ihr heute auch noch mit After machen?«, fragt Denise.

»Ich weiß davon nichts«, sagte ich und steckte mir ne Kippe an.

»Das wär bestimm lustig. Wir machen heute bei Zuckerchen After. Frag sie doch mal, ob ihr mitkommen könnt.«

Und das tat ich dann auch. Zuckerchen war sogar total begeistert davon und als Marco das mitbekam, war auch schon alles durchorganisiert. Wie wir hinkommen und wegkommen und Daniel und Mandy, die dann auch gleich nach Hause fuhren, waren auch schon eingeweiht, dass wir später nachkommen.

»Hey Ben. Du kommst nachher auch mit After?«, fragte Sven mich.

»Ja und Marco auch.«

»Hey das geht«, sagte er. »Dann rauchen wir zusammen einen.«, sagte er und klopfte mir auf die Schulter.

Eigentlich fragte ich mich ja, was so toll daran sei, sich nach der Disco zusammenzusetzen, doch wie toll es war, merkte ich, als es soweit war. Marco und ich fuhren mit Sven mit. Es war eine Fahrt von 15 Minuten, dann konnten wir, Zuckerchen und Alina, die auch mitgefahren waren, wieder aussteigen. Wir standen vor einem Mehrfamilienhaus. Sven fuhr wieder weg, um noch die Anderen zu holen, die mit auf After kamen.

In Zuckerchens Zimmer angekommen, verteilten wir uns auf der Couch und dem Bett, die als Sitzgelegenheit zu Verfügung standen.

»Freut mich, dass ihr beiden mit zur After gekommen seit«, sprach Zuckerchen und schaute Marco und mich an.

»Klar man. Was solln wir denn schon zu Hause?«, sagte Marco.

Alina holte sich eine Kippe aus ihrer Schachtel und hielt ein Feuerzeug drunter. »Wo ist denn dein Schälchen?«, fragte sie Melle.

»Hinter der Couch. Marco, schaust du mal nach?«

Er beugte sich hinter und holt eine Schale, in der Tabakreste zu erkennen waren, hervor. Was sie damit will, wollte ich nicht fragen. Ich hatte Angst davor, dass sie mich auslachen würden. Ich kannte das alles gar nicht, was hier geschah. Noch nie hatte ich so was mitgemacht ...

Die Tür ging auf.

»Jetzt kann die After starten. Die Königin der Nacht gesellt sich zum Fußvolk«, sagte Denise und stellte sich in eine sexy Pose. Hinter ihr kamen noch zwei andere Gestalten hervor und zum Schluss kam Sven. Er setze sich zu Alina mit aufs Sofa, auf dem Marco und ich bereits saßen. Die anderen zwei Gestalten setzten sich zu Zuckerchen aufs Bett.

»Was denn? Keine Mucke?«

Zuckerchen nahm eine Fernbedienung von dem kleinen Tisch, der vor uns stand, und ließ die Musik an. Alina hörte schließlich auf, mit dem Feuerzeug unter der Zigarette rumzufuchteln und holte den Tabak aus dieser raus und schüttete ihn in die Mischschale. »Wer hat denn was dabei?«

Denise hob den Finger, als ob sie auf der Schulbank sitzen würde, sprang auf, zeigte uns ihren Mittel- und Zeigefinger, die ein verkrakeltes V darstellten. »Die Königin der Nacht hat an alles gedacht.« Sie kramte in ihrer Tasche und holte so ein Päckchen raus, in dem auch die Ampfe von Marco drin waren, und gab es Alina. Sie bröselte ein bisschen rum und erhitzte den Klumpen, den sie nun rausgebröselt hatte. Nachdem er fast pulverig war, gab sie ihn zu dem Tabak und mischte beides zusammen. »Wer will?«

Zuckerchen holte ein langes Rohr hinter ihrem Bett hervor, das unten rundlich war und an einer Seite eine Ausragung hatte. Das rundliche war mit Wasser gefüllt. Sie tat die Mischung in die Ausragung, hielt ihren Mund an das offene Ende des Rohrs und zündete die Mischung an. Dann zog sie und man hörte das Blubbern des Wassers. Qualm entstand in dem Rohr, welchen Zuckerchen mit einem Zug einatmete.

»Wow, das geht!«, sagte sie, als sie ausgepustet hatte.

Um halb 10 fuhr Sven Marco und mich freundlicherweise nach Hause. Daniel und Mandy schliefen noch tief und fest.

»Hey Kleiner, du darfst ja gleich wieder los, wa?«

Ich sprang noch einmal unter die Dusche, zog mir neue Klamotten an. Marco gab mir noch eine Nase, damit ich wach bleibe. Der ekelhafte Geschmack floss meinen Hals runter und ich trank einen Schluck Wasser hinterher.

»Scheiß Geschmack, ne?«, fragte Marco, zog seine Klamotten aus und setzte sich in Boxershorts auf die Couch ins Wohnzimmer.

»Das kannste wissen.«

»War geil heute.«

»Stimmt. Die Leute sind voll OK.«

»Ja«, grinste Marco mich an. Ich kannte dieses Grinsen.

»Neues Mädel in Aussicht?«

Marco grinste noch mehr.

»Zuckerchen?«, fragte ich und hob grinsend meine Augenbrauen.

»Die is süß, ne?«, er lief etwas rot an.

»Naja, was soll ich dazu sagen?«

»Dir gefällt Sven viel besser oder?«

Scheiße »Ja, der sieht doch wohl echt Hammer aus, oder nicht?«

»Was soll ich jetzt dazu sagen?«, grinste er. »Nein, der sieht schon nicht schlecht aus, aber der ist ja mit Alina zusammen.«

»Ja ich weiß.« Ich stützte meinen Kopf auf meine Hand. »Grund aber kein Hindernis«, antwortete ich gleichgültig.

»Aber ein sehr großes Hindernis«, sagte Marco und verzog seinen Mund. »Woher willst du wissen, dass er so ist wie du?«

Stimmt. Woher sollte ich das wissen? Vielleicht war Alina ja nur Tarnung? Oder er fand sich halt zu Mädels und Jungen hingezogen? Ich hatte keinen Plan. Ich hielt es für das Beste, mich nicht weiter auf Sven zu versteifen.

KLOPF KLOPF

Ich öffnete die Tür.

»Hi mein Schatz. Lass dich ansehen. Gut siehst du aus. Wie geht es dir?« Sie umarmte mich ganz fest, kam herein uns schaute sich um »Oh, hallo Marco. Wie sitzt du denn da? Zieh dir was an, sonst holst du dir noch was weg.«

»Guten Morgen Frau Dinkler«, sagte Marco grinsend und ging in sein Zimmer, um sich was überzuziehen, denn er wusste, dass er keine Chance gegen meine Mum haben würde. Das kannte er noch von damals, als er immer bei mir war.

»Was ist mein Schatz, wollen wir gleich los?«

Ich kramte noch schnell mein Handy und meine Zigaretten in meine Jackentasche und dann fuhren wir auch schon los.

Ich konnte mir eigentlich gleich denken, dass mal wieder eine Familienversammlung stattfand, die sich bei meiner Oma traf. Neben dem vielen "Dich hab ich aber lange nicht gesehen" hörte ich mein Patenkind rufen. »Benny!« wie wild kam die Kurze auf mich zugerannt und schlang sich mir um den Hals.

»Natalie!«, ich umarmte sie ganz doll. Mit ihren 4 Jahren war sie schon ein total aufgewecktes Kind.

»Benny, guck mal, ich bin heute eine Frau.« Stolz präsentierte sie mir ihr neues Kleid, ganz in hellblau. Ihre dunkelblauen Augen strahlten und ihre beiden blonden Zöpfe wackelten hin und her, als sie sich im Kreis drehte, denn ich musste dieses Kleid ja schließlich von allen Seiten sehen.

»Wow, bist ja richtig schick!«, sagte ich.

»Ja, bin hübsch heute«, grinste sie.

»Und du hast ein kleines Schwesterchen bekommen?«

»Jaaaa!« sie hüpfte ein paar Mal in die Luft, dann nahm sie meine Hand und brachte mich in die Stube. Wie konnte es anders sein, stand meine Oma vor dem Kinderwagen.

»... ja? Findest du das toll? Ja? ... und wenn du groß bist, back ich dir eine schöne Schwarzwälder Kirschtorte ...«

Ich grinste. »Das hat aber noch Zeit«, sagte ich.

Meine Oma sah zu mir auf. Überrascht sah sie durch ihre große Brille. »Ben. Du bist ja schon da.« Schließlich wagte ich den Blick in den Kinderwagen. Was ich dort erhoffte zu sehen, bot sich mir in keinem Fall, denn ich sah gar nichts. Ein fast undurchdringlicher Blick durch einen Haufen von Decken ermöglichte mir schließlich doch einen Blick auf das kleine Geschöpf. Sie hatte nur ganz wenig Haare auf dem Kopf und ihre großen blauen Augen sahen mich ratlos an. Ich liebte Kinderaugen.

»Das ist meine kleine Schwester«, sagte Natalie.

»Wie heißt sie nochmal?«, fragte ich peinlich.

»Sarah, Herr von und zu Dinkler!«, sagte eine Frauenstimme, die nun ebenfalls in den Kinderwagen sah und das Kleine betrachtete.

»Tach Heike.«

»Na Neffe. Auch mal wieder im Lande? Was sagst du zu meinem neuen Wurf?«

»Sie hat es dir erzählt ...«, sagte ich grinsend.

»Klar. Deine Mutter erzählt mir alles!«, sagte Heike.

Und dann ging's los mit Kaffee trinken. Meine Oma hüpfte wie ein wilder Floh von der Küche in die Stube (in der übrigens striktes Rauchverbot herrschte, solange Sarah dort schlief) und wieder zurück. Natürlich ging ich ihr zur Hand und deckte den Tisch. Ich fragte mich, warum ich keine Anzeichen von Müdigkeit hatte, das Ziehzeug von Marco hatte es also ganz schön in sich. Ich bekam ein leicht schlechtes Gewissen, wenn ich daran dachte, was ich so in der Disco nahm, wenn ich meine Familie ansah. Niemand wusste etwas davon und das war auch gut so. Zugegeben hatte ich nicht so besonders Lust auf dieses Familientreffen, doch jetzt, wo ich hier war, fand ich es voll toll. Man kann schon sagen, dass meine Family total cool ist und noch dazu eigentlich ziemlich groß. Am Abend nach dem Grillen pflümte Moni mit ihrer Zunge zwischen den Zähnen und Carmen sagte ihr, dass sie sich das doch aufheben sollte, dann hat sie noch was für nachher. Am lustigsten war Jens, der Vater meines Patenkindes, der uns auftischen wollte, dass Natalie mit ihren vier Jahren vor hat, sich nur mit anderen Kindern zu beschäftigen, die es schaffen, sie intellektuell zu stimulieren. Frank, der ein begeisterter Angler war, erzählte von seinem 30 Zentimeter Fisch, den er gefangen hatte. Bei zunehmendem Alkoholpegel schaffte es dieser Fisch schließlich auf eine stolze Größe von einem Meter und Natascha, meine 10 jährige Cousine, fragte mich aufgrund dessen, ob denn Fische noch wachsen, wenn sie tot sind. Martina versuchte ihren Mann davon zu überzeugen, dass eine Markise mit Motorbetrieb sich doch gut über ihrer Terrasse machen würde (schließlich hatte sie die Idee, die Markise ihm zum Geburtstag zu schenken) und Sylvia, die Mutter von Natascha, war andauernd auf der Suche nach ihrem kleinen Köter, der dem Hund meiner Oma anscheinend das Fressen aus seinem Napf geklaut hatte. Ich fragte mich allerdings, wie ich denn morgen aus dem Bett kommen sollte. Für einen kurzen Moment hatte ich die fluchse Idee noch ne Nase zu ziehen und so zur Schule zu gehen, doch davon hielt ich nicht viel.

Um Punk 22Uhr war ich wieder zu Hause in meiner WG. Wie ich es vermutet hatte, schliefen bereits alle. Auch ich ging sofort in mein Zimmer, stellte meinen Wecker, doch schaffte ich es nur schwer einzuschlafen.

RIIIIING ... RIIIIING ... RIIIIING ...

Schlaftrunken öffnete ich meine Augen und schaute auf den Wecker. 6 Uhr morgens. Ich schaltete den Wecker aus, den dieses Geräusch ... naja. Ich setzte mich auf und mir wurde total schwindelig. Ich fasste mit meiner Hand an meinen Kopf und schüttelte mich. In schleppenden Bewegungen schaffte ich es unter die Dusche. Ich hätte durchmachen sollen, dann wär ich jetzt nicht so benebelt.

Dieser Schultag war einer der Beschissensten überhaupt. Ich war gar nicht ansprechbar, hatte nur damit zu kämpfen, meine Augen aufzuhalten. Auch die Tatsache, dass mir Frau Knebe in Bio eine Sechs im mündlichen gab, da ich eingeschlafen war, weckte mich nicht auf, erst der Ellenbogen von Matze, der schmerzhaft in meine Rippen stieß, ließ mich erwachen.

Ich war heilfroh endlich zu Hause angekommen zu sein. Ich stellte zwei Mikrowellengerichte für Marco und Daniel bereit und legte mich schlafen.

Obwohl ich mir fest vornahm, dass ich so was nicht noch mal durchmachen wollte, passierte es nun doch fast jeden Montag. Nur die Tatsache, dass ich dann doch jeden Sonntag durchmachte und vor der Schule noch ne Nase zog, ließ es zu, dass ich in der Schule nicht einpennte. In unserer Stammdisco lernten wir alle mit der Zeit total viel neue Leute kennen. Bis auf wenige Ausnahmen waren alle am Schmeißen und schließlich betrachtete man die Disco als zweites Zuhause und unsere Freunde als zweite Familie. Aus einer Pille am Wochenende wurden bereits zwei, weil man von der ersten schon nichts mehr merkte. Wir wollten Neues ausprobieren und durch eine Freundin namens Kathrin kam ich jetzt auch an Sachen wie Speed und Koks dran. Ich zog es so durch, dass ich nur am Wochenende feierte und halt montags ne Nase zog, doch Marco begann nach wenigen Wochen auch während der Woche zu schmeißen. Sein Tag begann nicht, wie bei mir, mit einer Zigarette, sondern mit Kiffen. Es war keinesfalls so, dass die Leute, die nichts schmissen, von uns ausgestoßen wurden, nein, sie gehörten genauso dazu wie alle anderen auch, von Gruppenzwang oder Ähnlichem war hier also auf gar keinen Fall die Rede. Daniel und Mandy wussten, dass Marco und ich angefangen hatten zu feiern und seit dem war das Verhältnis etwas gespannt in der WG. Doch je länger wir mit den Drogen weitermachten, um so mehr wurde uns alles egal. Ich begann meine Schule schleifen zu lassen, schwänzte am laufenden Band und kam somit von einem Durchschnitt von 10 Punkten, was einer 2 minus gleicht, auf den "stolzen" Durchschnitt von 6 Punkten, was einer 4 plus ähnelt, doch es war mir egal. Marco bekam mehrere Abmahnungen auf seiner Arbeit und bei der Nächsten würde er fliegen, doch ihm war es auch egal. Das Einzige was für uns momentan zählte war Party und Feiern. Auf einmal stellten wir fest, dass es auch noch mehr Leute wie uns gab, und somit waren wir fast jeden Tag bei Zuckerchen, Sven und Alina oder bei Denise, oder wie sie sich immer nannte, die Königin der Nacht, zu Hause. Marco und ich wollten unser Leben genießen, solange wir noch jung waren. Es konnte doch nicht jetzt schon alles aus Verantwortung und Arbeit bestehen ... Wir "arbeiteten" oder eher gesagt gammelten immer dem Wochenende zu. Ich konnte es diesmal kaum erwarten, denn ich hatte letztes Wochenende, glaubte ich, ein bisschen mit Sven geflirtet, und endlich war es mal wieder soweit. Wir fuhren in unsere Disco ...

»Hallo Ben, kannst du mir heute mal Speed besorgen? Du kennst doch diese Kathrin gut.«, sprach Sven mich an. Wie gut er heute wieder aussah, zum Träumen ...

»Klar kann ich machen, aber sie ist noch nicht da. Ich sag dir dann Bescheid, wenn sie da ist, OK?«

Sven nickte und ging zu Alina zurück, die ihn erwartungsvoll ansah und schließlich auch nickte. Zuckerchen und Marco kamen Hand in Hand zu unserer Clique zurück. Marco hatte tiefe Augenränder, die er versucht hatte, mit Make up zu überdecken, doch man konnte sie trotzdem sehen. Zuckerchen setzte sich auf seinen Schoß, er sah ihr in die Augen und sie begannen sich zu küssen. Ich schaute genauer hin. Tatsächlich ... sie küssten sich. Das wurde aber auch langsam mal Zeit, die ganzen letzten Wochen waren sie schon am Anbahnen gewesen und jetzt hat's endlich mal geklappt. "Drogen machen gleichgültig" Ich beneidete die beiden, bis ich entschloss, mal eine Runde zu gehen. Er stand auf der rechten Seite von mir aus, genau neben dem Mädel Klo. Ein paar Kumpels standen neben ihm und rauchten eine. Einer der vielen, er hatte ein blaues enges T-Shirt an, nahm einen Schluck aus seinem Cola Glas und spülte seinen Mund durch; ist wirklich ekelig, wenn der Geschmack im Mund bleibt. Ich ging weiter und kam ihm immer näher. Er war etwas am Tanzen gewesen, und als ich länger hinsah, bemerkte ich, wie gut er tanzen konnte. Er hatte es echt drauf. Seine kurzen dunklen Haare standen an allen Enden ab. Er hatte eine Feierhose in Schwarz an und drüber trug er einen weißen Pulli. Ich verstand nicht, wie man hier einen Pulli anziehen konnte, denn mir war im T-Shirt schon immer total warm. Seine Ärmel hatte er hochgekrempelt. Als ich dann neben ihm war und ihn ansah und er mich durch seine beinahe total schwarzen Augen anstierte, fiel mir auf, dass er ganz schön groß war ... MOMENT, er stierte mich an?? Ich drehte mich um und er sah mich immer noch an, wobei er aber nicht aufgehört hatte zu tanzen. Ich grinst und er zurück ... MUSS JA NICHTS BEDEUTEN ... redete ich in Gedanken mit mir selber, ABER SCHÖN WÄR'S! Es war verrückt, ich hatte ihn doch nur für den Hauch einer Sekunde gesehen und doch reichte dieser Augenblick aus, um sagen zu können, dass er allen meinen Vorstellungen, jedenfalls vom Aussehen her, entsprach.

»Haste schon was?« Svens Augen schauten erwartungsvoll.

»Nein, sie ist noch nicht da!«, ich zuckte zusammen, als ein Mädel mir an meinem T-Shirt rumzupfte.

»Fussel ... Fussel ... Fussel ...«

Ich schaute sie verwirrt an und Sven drehte sich um, um sein Lachen zu verbergen.

»Fussel ... überall Fussel ...«, sie zupfte weiter an meinem T-Shirt. Es war zwar schwarz, doch sah ich keinen einzigen.

»Entschuldige, aber wo sind denn da Fussel?«, fragte ich.

Sven verbarg sein Lachen hinter seiner Hand.

Das Mädchen sah mich groß an. »Mensch, da überall auf deinem T-Shirt.«

Ich hob die Augenbrauen ... »Wo?«

Sie sah mich erneut an. »Das ist echt voll krass, wenn man drauf ist. Ich sehe dann immer überall Fussel. Schrecklich.«

Ich fing laut an zu lachen.

»Lach nicht so, ist so! Kann sie ja auch dran lassen ...«

»Ach ...«, ich winkte ab, »tu dir keinen Zwang an ...«

»Haha sehr witzig.« Sie stützte ihre Hände in ihre Seiten, presste ihre Lippen zusammen und ließ erst jetzt von meinem Shirt ab. »Wie heißt du überhaupt?«

»Ben ... Ich heiße Ben.«

»Hallo Ben, ich heiße Sarah.« Sie gab mir ihre Hand und gab mir ein Küsschen auf die Wange. »Ich kenn dich vom Sehen her. Bist neuerdings öfter hier, nicht wahr?«

»Ja.«

»Siehste. Gesichter kann ich mir gut merken.«

Als ich sie mir näher betrachtete, fiel mir auf, dass sie ganz schön krass geschminkt war. Dass die Augenbrauen abrasiert sind und mit Kajal nachgezogen waren, war ja nichts Neues für mich, aber der Lidschatten in pink, gelb und blau ging bis zu der Kunstaugenbraue hoch. Sie hatte zwei Zöpfe, rechts und links, der Pony war pink gefärbt, ebenso wie die Spitzen der beiden Zöpfe.

»Du bist aber auch nicht mehr ganz alleine wa?«, grinste sie mich an.

»Ne, das geht schon noch!«

»Wollen wir was trinken gehen?«

Ich sah sie an und grinste zurück, eigentlich wollte ich gerade ja sagen, aber dann sah ich diesen Typen von vorhin auf mich zukommen.

»Wo stehst du denn?«, fragte ich Sarah schnell.

»Immer beim Eingang, wieso denn?«

Ich fasste sie an die Schulter »OK, dann komme ich da nachher hin, ja?«

Sie zuckte die Schultern und ich ging dem Typen hinterher. Es tat mir leid, dass ich sie einfach so dastehen ließ, ich weiß selbst nicht genau, was mich da geritten hatte, aber ich musste ihm einfach folgen. Ich kam mir sehr lächerlich vor, denn allein das ich hinter ihm herging, war schon etwas tolles. Er blieb wieder bei seinen Kumpels neben dem Mädel Klo stehen. Ich seufzte kurz, als ich an ihm vorbeigehen musste ...

»Hey warte mal!«

Ich drehte mich um und konnte es gar nicht fassen. Dieser Junge, er winkte mich zu sich.

»Was denn?«

»Du bist doch vorhin schon mal an mir vorbeigegangen, nicht?«

»Ja ...«

»Wie heißt du denn?«

»Ich bin Ben!«

»Hallo Ben, ich bin Jan!« Er gab mir seine Hand. »Wollen wir mal in die Lounge gehen ... eine rauchen?«

Ich wusste nicht, wie ich ihn ansah, aber ich musste ihn wohl ganz merkwürdig angeschaut haben, so mit ganz großen Augen oder so, denn er hob seine reche Augenbraue und biss sich auf die Unterlippe.

»Klar, komm!«

Ich ging voran und er folgte mir. Ich weiß nicht, ob es so war, aber ich spürte seine Blicke in meinem Rücken, solange bis wir einen Platz in der Lounge ergattert hatten und uns setzten. Er holte seine Lucky Schachtel aus der Hosentasche und bot mir eine an. Zitternd nahm ich die Zigarette und er gab mir Feuer.

»Und wie isses?«, fragte er und zündete nun auch seine an.

»Ja, ganz gut, und selber?« Wohl nur der übliche Small-Talk aber besser als nichts ...

»Ja geht schon. Man hält sich halt so über Wasser, nicht?« und legte lässig seine Ellenbogen auf seine Knie. Was für eine schöne Stimme er doch hatte ...

»Man ... das hört sich ja an, als ob du bald untergehst!«, scherzte ich.

»Nene ...« er schüttelte den Kopf »so schnell geh ich schon nicht unter, keine Bange.«

»Hey Ben! Hier bist du ... Ich dachte, du wolltest vorbeikommen??« Sarah stand beim Eingang der Lounge und ihre Zöpfe mit den pinken Spitzen wackelten von links nach rechts.

»Hey Sarah, ich komm nachher noch vorbei.« Die hatte ein perfektes Timing.

»Versprochen?«

»Versprochen!«

Sie gab mir einen Luftkuss, ich grinste kurz und dann ging sie.

»Deine Freundin?«, fragte Jan.

»Ne!!! Die habe ich heute kennengelernt. Sie hatte mich vorhin angesprochen, ob wir nicht was trinken wollen ...«

»Naja,«, sagte Jan »ist doch ne ganz Süße!«

Hmm, gerade das wollte ich nun nicht von ihm hören. Allerdings schaffte ich es, das Thema ganz schnell wieder zu wechseln. Wir unterhielten uns noch sehr lange über dies und das, bis wir dann mal wieder auf das aktuelle Thema Drogen stießen. Es war toll, wenn man mitreden konnte. "Wer Drogen nimmt, ist schwach", das mag wohl sein, doch der ist auch gesehen bei den Leuten. Doch natürlich war mir klar, dass Ersteres eher zutraf. Man muss sich nur durchsetzen können, das beste Beispiel dafür war Mike. Ein großer gesehner Raver um die 20 Jahre, der die ganze Disco kannte und sich viel mit dem DJ unterhielt. Doch er nahm keine Drogen. Es gingen die wildesten Gerüchte um ihn, dass er zum Beispiel heimlich verkaufen würde, dass er sich vor Mädchen kaum retten könnte (was ich auch glaubte, denn er sah verdammt gut aus) und dass er schon mal an die Mafia geraten wär ... und natürlich gehörte ich zu der Elite, die von Mike gegrüßt wurde. Irgendwie empfand ich es immer als Höhepunkt des ganzen Abends, wenn Mike auf mich zukam und sich erkundigte, wies mir geht und ob alles klar ist. Wenn er ging, klopfte er mir immer freundschaftlich auf die Schulter und sagte, hau rein! Ich wünschte mir immer inständig, dass die gesamte Disco das sehen würde. Alle sollten sie gucken, wenn sich Mike mit mir unterhielt. Ich habe ihn durch Kathrin kennengelernt, von der ich Speed für Sven holen sollte, und mich auf Anhieb gut mit ihm verstanden. Er hing meist mit der Clique rum, die immer an der Bar stand und diese Leute schmissen alle, was nun nicht gerade positiv auf das Gerücht, er würde heimlich verticken, auswirkte, doch es war ihm egal.

»Du bist doch heute auch drauf oder nicht?«, fragte Jan grinsend.

»Ja aber du auch. Du hast voll die weiten Pupillen!«

Er lachte »Ja? Hab ich Teller?«

»Ja, aber keine Angst, sie stehen dir!«

Er hob beide Augenbrauen und winkelte seinen Mund an »Oh, danke!«

Und damit hatte ich keineswegs gelogen. Er war echt total süß und was würde ich alles dafür tun, mit ihm zusammenzukommen? Ich kannte ihn zwar nicht richtig und doch schien er ganz nett zu sein und außerdem war ich in dieser Angelegenheit dermaßen naiv, dass es schon wehtat.

»Bist ja doch ein ganz Netter!«, sagte Jan.

Das Fragezeichen über meinem Kopf konnte man nicht übersehen. »Wie kommst du denn jetzt darauf?«

»Naja, die Leute, mit denen ich heute hier bin, die kennen dich vom Sehen und haben gesagt, du wärst hochnäsig, eingebildet und arrogant«, brachte er nüchtern heraus.

Ich musste voll loslachen. Jan schien sich zu fragen, warum ich denn nicht sauer wär, aber ich habe so was noch nie über mich gehört, noch dazu war es so was von lächerlich, dass es schon wehtat.

»Was lachst du denn jetzt so?«, fragte er leise.

»Ich habe so was Doofes noch nie über mich gehört.«

Jan sah mich kritisch an, ich hoffte nur, er würde mich nicht für verrückt halten.

»Und wenn sie das denken, warum hast du mich dann angesprochen?«, fragte ich schließlich wieder ernst.

Jan schwieg eine Weile und rieb seine Hände aneinander. »Hey Ben, ich habe dich jetzt total lieb gewonnen, du bist echt nett ...«

Ich hörte ihm stillschweigend zu.

» ... bist n klasse Kerl, wie ich das momentan sagen kann, und ich hoffe, du bist mir jetzt nicht böse, wenn ich dich jetzt frage ...« Er schwieg eine Weile. »Ach Quatsch, ne bist n prima Kerl, ich mach so ne Scheiße nicht ...«

Ich war dermaßen verwirrt ... was wollte er denn jetzt?

»Was ist denn?«, fragte ich ihn.

»Ich habe dich eigentlich angesprochen weil ...«

»Weil ...?«

Er rieb weiter seine Hände aneinander und sah auf den Boden. »Wir aus Spaß eine Wette laufen hatten.«

»Was denn für ne Wette?«

»Naja, ob du nun so bist oder nicht!«

»Wie jetzt? Ob ich eingebildet, hochnäsig und arrogant bin?«

»Nein, ob du ... ob du schwul bist!«

Dieser Schmerz, der ganz plötzlich in meinem Magen zu spüren war, ließ mich kurz aufzucken und diese plötzliche Lähmung breitete sich in meinem ganzen Körper viel zu schnell aus.

»Ey, du bist doch bekloppt!! Wie kann man über so was wetten? Es ist mir im Grunde so was von scheißegal, wer jetzt von euch blechen darf, aber du kannst deinen Kumpels sagen, dass es nicht so ist. Und angenommen es wär so, dann würde ich mir jetzt mal überlegen, ob ich jemanden jetzt ganz schön wehgetan hätte! Arschloch!« Ich wunderte mich über mich selbst, wie ich das jetzt so schnell rausbringen konnte und noch dazu so zu schreien, denn die gesamten Leute, die neben und vor uns saßen, sahen Jan neugierig an, als ich die Lounge verließ. Wütend und traurig zugleich ging ich zurück zu Sven, Alina und den anderen. Als ich an Sarah vorbei kam, hütete sie sich auch nur einen Ton von wegen "wann kommst du denn??" zu sagen.

Ich setzte mich neben Alina auf den Hocker und es wagte keiner mich anzusprechen. "Respekt"

In meinem Kopf drehten sich Kreise. Wie kamen die bekloppten Arschlöcher darauf, um so etwas zu wetten? Ich wette ja auch nicht darüber, ob Mike heute Entenbraten gegessen hatte. Apropos Enten ... Ich stockte ... was essen die eigentlich? Ich sehe die nie etwas fressen, es sei denn, man füttert sie. Aber was essen Enten denn sonst? Die essen doch keine Fische und um Insekten zu fangen, wären sie wohl etwas zu ungewandt. Angenommen sie würden Algen oder so fressen ... aber es gab doch keine Algen bei uns im Teich am Kurpark ... wie hören die eigentlich? Haben Enten ... haben Enten Ohren? Wo sind die denn ...??? STOP!!!! Was denke ich denn hier für einen Mist? Ist Scheiße nachzudenken, wenn man drauf ist. Aber wie kommt das denn? Da muss doch irgendwas drin sein, was mich dazu bringt, über solche scheiß Dinge nachzudenken ... aber wenn ein Jäger eine Ente erschießen will, damit sie Mike zu Mittag essen konnte, dann müsste er sie ja anlocken ... es gab doch da diese Pfeifen ... also mussten sie ja doch hören können und demzufolge Ohren haben ... MAN BEN ... denk nicht über eine solche Scheiße nach!!!!!!! Ich stand auf und machte mir ne Zigarette an. Mittlerweile kannte ich Alinas Blick, der mich so mitleidig anschaute. Ich gab ihr eine Kippe ab.

»Bist n Schatz!«, sagte sie und gab mir einen Schmatzer auf die Wange.

Bevor ich hier noch weiter über Enten nachdenken würde, gehe ich lieber zu Sarah, der die Freude ins Gesicht geschrieben war. Wir gingen zur Bar und holten uns ein Desperados. Eigentlich hielt ich sie eher für etwas durchgeknallt, aber dennoch kam ich wunderbar mit ihr aus. Ich mein, sie war anders als alle anderen. Anders als Marco, als Zuckerchen, als Sven, als Alina und auch anders als Kathrin und Mike und all die vielen anderen, die ich hier kannte. Mit ihr ließ es sich leicht reden, über Dinge, die eigentlich belanglos waren, lachten wir uns beinahe tot.

»... vielleicht kannst du mir diese Frage beantworten, aber steckt der Vogel Strauß wirklich seinen Kopf in den Sand?«, fragte sie mich ernst, wobei ich heftigst zu lachen anfangen musste und sie lachte mit.

»Ähmm, also ich kanns dir gar nicht sagen ...«, brachte ich unter schwersten Lachanfällen heraus.

Natürlich entging mir nicht, dass sie heftigst was von mir wollte, doch sie hatte ja von Anfang an keine Chance bei mir. Eigentlich wollte ich ihr nicht zu viel Hoffnung machen und ich wollte nicht, dass sie sich in meine Arme legte, doch als ich sah, dass Jan im Anmarsch war, drückte ich Sarah ganz fest an mich. Jan warf mir einen traurigen Blick zu, den ich jedoch nicht erwiderte. Es war ganz schön gemein, Sarah in dieser Situation auszunutzen, doch es war mir lieber so, als wenn Jan vielleicht doch noch Grund zur Annahme hätte, dass ich schwul sei.

Die Zeit verging nun ziemlich schnell. Ich erfüllte meine Mission Sven Speed zu besorgen und Kathrin und ich plauderten eine Weile. Schließlich kam Mike auch in die Disco und als er mich sah, lächelte er und kam auf mich zu, um mich wie immer, zu begrüßen und mich zu fragen, wies geht. Er stellte sich, wie gewohnt wieder zu seiner Clique an die Bar und Sarah sah mich mit großen Augen an, dass Mike mich gegrüßt hatte.

»Woher kennst du denn Mike?«, fragte sie erstaunt.

»Ach ...«, winkte ich ab, »das ist ein alter Freund von mir.«

Ich fragte mich, was Devon, Marcos Bruder, wohl sagen würde, wenn er mich nun sah ...

Die Zeit rannte davon und Sarah und ich tauschten Handynummern aus, um in Kontakt zu bleiben. Die After bei Zuckerchen, war diesmal etwas öde. Wir haben zwar mal wieder alle gekifft, die Mische hat mal wieder Alina gemacht, aber dadurch, dass Marco und Zuckerchen permanent am rumlecken waren, war es dann doch etwas öde.

»Sammal ...«

Ich hörte etwas rascheln, drehte mich um und stülpte meine Kopfkissen über meinen Kopf.

»Das kanns ja wohl nich sein. Am pennen ... alle bede ... EY!«

Ich ließ ein leichtes Stöhnen vernehmen.

»Maaan, raus ause Federn. Wir habens viertel zwei!«

Ich öffnete langsam meine Augen und sah das Grauen vor meinen Augen.

»Maaannnnddddyyyy!«

Sie zuckte zusammen. »Maaan, du hast doch nicht mehr alle Raller anner Walle. Musste mich so erschreckn? Raus jetzt ausse Federn!« Sie riss meine Bettdecke weg, öffnete meine Zimmerfenster und ging in die Küche ohne meine Tür zuzumachen. Ich richtete mich langsam auf und setzte mich aufs Bett, um mir eine Zigarette anzumachen. Die Zeiten, an denen Marco mich jedes Wochenende weckte, waren wohl vorbei ...

»Maaaannnnnddddyyy!! Maaaaan!«

Oh, es schien, als habe sie jetzt auch Marco aufgeweckt ...

Ich stand auf und ging, so wie ich war, mit meiner schwarzen Snoopy Buxe und meinem weißen Schlabber-T-Shirt ins Wohnzimmer, wo Daniel vor der Glotze saß.

»Na Kumpel. Hatse dich geweckt?« frage er ohne mich anzusehen. Er wirkte sichtlich erfreut, doch so sehr ich auch nachdachte, fand ich keinen Grund dafür. Ich setzte mich neben ihn.

»Mensch ... du riechst ja voll nach Verwesung ... geh erstmal unter die Dusche.«

»Nein. Ihr kommt jetzt alle ine Küche«, sagte Mandy. Im Schlepptau hatte sie den ebenfalls verwesten Marco und eine kleine Gestalt, die Marcos DIESEL Shirt anhatte. Das kleine Geschöpf rieb sich die Augen, wodurch der Rest ihrer Wimperntusche noch mehr verlief, und sah in die Runde. »Guten Morgen alle sammt!«, sagte sie und winkte einen Kreis.

»Zuckerchen?«

»Hallo Ben!«

Hui ... das hatte ich gar nicht mitbekommen, dass sie mit uns nach Hause gefahren war.

Wir trotten also alle, mehr oder weniger wach, in die Küche und ich glaubte meinen Augen nicht. Der Küchentisch war dermaßen geschmückt, dass ich schon dachte, ich hätte Weihnachten vergessen. Frische Brötchen, Marmelade, Schmand, gekochte Eier, Salami, Käse, Weintrauben-Käse Platten mit Herzstochern ... alles was man wollte. Mandy ging zum Kühlschrank und holte drei Flaschen Asti raus. Zuckerchen war diese Situation wohl etwas unangenehm, denn sie umfasste mit beiden Händen ihren Marco und schaute auf den Boden.

»Setzt euch!« Mandys und Daniels Augen strahlten. Daniel legte für Zuckerchen noch ein Gedeck auf, konnte er ja nicht wissen, dass Marco über Nacht Besuch hatte.

Mandy eilte und holte sich einen Zettel und einen Stift. Wild kritzelte sie auf dem Blatt Papier herum und hielt es schließlich hoch.

1 + 1 = 3

Marco, Zuckerchen und ich schauten mit halb offenen Augen zu dem Zettel.

»Mandy ...« Marco streckte sich »wir wissen ja alle, dass dir etwas fehlt, aber eins plus eins sind zwei!«

Mandys Augen blickten genervt nach oben und ihr Mund verzog sich, Daniel lachte. Zuckerchen rätselte, indem sie sich das ganze Essen auf dem Tisch ansah. Ihre Augen blieben bei der Weintrauben-Käse Platte mit den Herzstochern stehen. »Mandy???« ich traute mich nicht auszusprechen, was ich dachte ...» bist du ... bist du ... bist du schwanger?«

Mandys Augen und auch die von Daniel leuchteten vor Freude.

»Ja«, brachte Mandy heraus.

»Und ...« Daniel erhob sich von seinem Stuhl »wir möchten zusammen mit euch und diesem Frühstück unsere Verlobung feiern.«

Marco und ich bekamen den Mund nicht mehr zu, Zuckerchens Augen verweilten noch immer bei der Weintrauben-Käse Platte und Mandy nahm Daniel in den Arm. Marco sah aus, als hätte er einen Alien in Shorts gesehen.

PLOPP! Daniel öffnete die erste Flasche Asti und schenkte uns allen etwas ein.

»Auf euch Drei!«, sagte ich, während wir alle über der Mitte des Tisches anstießen.

»Auf euch Drei!«, sagten Marco und Zuckerchen fast gleichzeitig.

»Haut rin!«, sagte Mandy und Zuckerchen konnte nun endlich einige dieser Weintrauben-Käse Häppchen probieren. Es war, glaub ich, das schönste und doch lustigste Frühstück, dass ich je hatte, abgesehn davon, dass Marco und ich nach Verwesung stanken. Ich freute mich dermaßen für Mandy und Daniel, dass mir beinahe die Tränen kamen. Ehrlich gesagt, hätte ich das nie für möglich gehalten, dass ausgerechnet die beiden mal zusammenbleiben würden, wo doch Daniel sie des öfteren mit Jenny betrogen hatte. Aber ich glaubte schon, dass das nun Vergangenheit war. Er hatte jetzt eine Verpflichtung. Er war verlobt und angehender Papa. Kinder ... Kinder ... hmm, ich hätte auch gern später mal Kinder, aber das geht ja schlecht und die Idee, eines zu adoptieren, fand ich doof. Ich war schon immer der Meinung, dass ein Kind auch eine Mutter braucht und außerdem wollte ich ja ein Kind ... also von mir selbst. Aber das war wohl ein Wunsch, der niemals in Erfüllung gehen würde ...

Daniel wurde seiner neuen Aufgabe vollkommen gerecht. Mandy und ihr Bauch, waren die wichtigsten Dinge in seinem Leben. Er überraschte sie sogar mit einem Wochenende an der Ostsee. Marco und ich hingegen rutschen mehr und mehr ab. Marco, der anfangs noch immer kurz nach dem Aufstehen einen kiffte, tat das nun während des gesamten Tages. Kurz vor Beginn der Arbeit, waren 4 Nasen normal. Ich hielt das alles noch mehr unter Kontrolle. Am Wochenende nahm ich zwar auch alles was ich kriegen konnte und wandelte dermaßen verplant durch die Disco, dass ich die wildesten Blicke erhielt, dennoch waren Drogen während der Woche tabu. Naja, eigentlich schon ...

Die Lust auf Partys und Drogen gewann schließlich die Oberhand und Marco und ich fuhren nun auch während der Woche in Discos. Der darauf folgende Schultag fand irgendwie nie für mich statt. Und die Tatsache, dass nun alle Leute in meinen Kursen immer eingebildeter wurden, ermutigte mich auch nicht, die Schule mal wieder zu besuchen. Marco schaffte es immer irgendwie das mit seiner Arbeit in den Griff zu bekommen, doch sein momentaner Lebensabschnitt prägte sich tief in seinem Äußerem. Er wurde dünn ohne Ende und seine Augen schienen ihm nicht mehr zu gehören.

»Hallo Ben. Ich weiß nicht ob es das Richtige ist, dir zu texten, aber ich wollte mich noch mal bei dir entschuldigen. Es tut mir ehrlich leid. Lass uns doch heute Abend noch mal unterhalten. Mir liegt wirklich viel daran. Ciao Jan«

Es war Samstagnachmittag und ich konnte gar nicht glauben, was da auf meinem Handy stand. Ich empfand es sogar als etwas dreist, dass er sich meldete. Erst wettet er mit ein paar Kumpels um mich und dann versucht er sich zu entschuldigen, weil es ihm ja soooo unendlich leidtun würde.

»Woher hast du meine Nummer?«, textete ich zurück und steckte mir ne Kippe an.

»Habe dieses Mädchen mit den pinken Strähnen im Haar gefragt. Die hat sie mir gegeben. Hoffe bist nicht sauer. Würde mich echt freuen, wenn wir noch mal reden könnten.«

»Ich glaube, es wurde alles gesagt, ich lasse mich von euch doch nicht verarschen! Ich glaub, das habe ich nicht nötig!«, textete ich zurück, mit dem Gedanken, dass er es vielleicht doch ernst meinte. Ich wusste es nicht und es war mir viel zu riskant, mit ihm jetzt hin und her zu texten.

»Ben! Es tut mir leid! Ich wollte dich nicht verarschen. Ich wusste nicht das du so nett bist ...« weiter las ich nicht, ich löschte sie, ich löschte sie alle von Jan und nachdem nochmals ein »Bitte« auf meinem Handy stand, hörte er auch auf zu texten, als er merkte, dass ich nicht mehr zurückschrieb.

Marco war mal wieder am kiffen. »Heute Abend Ben, heute Abend isses wieder so weit ... PARTY!«

Ich freute mich und doch sah ich ihn besorgt an. Ich wusste, dass es der falsche Weg war, den wir beide gingen, doch ich konnte mir nicht vorstellen, in der Disco nichts zu nehmen, und wenn ich Marco sagen würde, dass er es nicht mit den Drogen übertreiben sollte, dann würde er mit dem Kommentar kommen, dass ich es ja selber mache und dass es seine Sache ist und ich mich da nicht einmischen sollte, so gut kannte ich ihn mittlerweile. Ich merkte, wie er und ich uns durch die Drogen veränderten. Er war schon längst nicht mehr der Marco, den ich kannte, er war jetzt der "Feier Marco" und ich war nun der "Feier Ben"! Ich konnte nicht genau sagen, wie wir uns veränderten, doch eines merkte ich immer und immer mehr ... wir wurden gefühlskalt. Es interessierte uns nicht mehr, wie viele Probleme doch unsere Freunde oder unsere Familie haben, wir wurden egoistisch durch und durch. Ich weiß nicht, ob das der Grund war, warum Marco in der Disco seine Freundin Zuckerchen dermaßen mit Weibern verarschte, aber ich konnte es mir vorstellen. Er liebt sie, hatte er mir gesagt ... Gefühlskälte! Früher hätte er so was nie gemacht ... er war eigentlich gar nicht der Typ dafür ...

Alina war wieder mal in Partylaune und mit Sven und mir total drauf. Mittlerweile 3 Teile um heftigst abzugehen.

»Kommste mit raus?«, fragte Alina.

»Was willste denn da?«

»Wir gehen zu Sven ins Auto und hören Pink!«

»Na du hast Einfälle!« grinste ich.

Wir gingen trotzdem raus. Svens Auto stand auf dem Parkplatz direkt vorm Eingang. Alina schob die Kassette rein.

»Everyday I fight a war against the mirror ...«, sang Alina lautstark mit, wobei sie ihr Handy als Mikrofon benutzte. Natürlich machte ich mit. Die Leute, die vorbeigingen, starrten ins Auto und manche tippten sich an die Stirn ... egal.

Mit einer dermaßen super Laune gingen wir wieder rein. Alina verschwand sofort zu Sven und die beiden leckten sich heftigst rum. Ein schönes Paar sind die beiden. An Sven ranzukommen, hatte ich mittlerweile längst aufgegeben, der hatte seine Alina und war glücklich mit ihr.

Zwei Hände fassten meine Schultern. »Es tut mir wirklich leid!«

Ich drehte mich mit einem fetten Grinsen um, welches sofort wie weggeblasen war. Jan stand vor mir, mit seinen dunklen Augen sah er mich traurig an.

»Jan?«, sagte ich überrascht ... ich sammelte mich »Raffst du nicht, dass ich mit dir nichts zu tun haben will? Verpiss dich! Schieb Leine!«, brüllte ich ihn an.

Seine Blicke wurden trauriger und ohne etwas zu sagen, sah er mich einfach nur weiter traurig an ... trauriger als vorher. Ich hielt inne ... schaute ihn an und empfand das Gefühl der Kälte in mir. Ich bekam Gänsehaut. Ich weiß nicht, ob es wegen seines Blicks war oder ob ich mich über mich selbst erschrak, so kalt geworden zu sein, aber er hatte ja selber Schuld. Ich wandte mich von ihm ab. Er tippte mir verzweifelt auf meine Schulter. Sven, Alina und Zuckerchen schauten schon verwirrt und Sven machte Anstalten, ihn von mir wegzuzerren oder eine reinzuhauen, doch ich winkte ab. Ich drehte mich wieder zu ihm. Er schien mir irgendwas sagen zu wollen, doch seine Lippen blieben geschlossen.

»Was ist denn? Haste mich nicht verstanden oder was?«

»Ben???« So traurig wie er es sagte, fegte es mir ein Schauer durch den Körper, der mich erweichen ließ.

»Komm mit in die Lounge«, sagte ich schließlich. Ich wusste, dass wenn er mich wieder verarschen wollte, er es garantiert nicht noch mal in der Lounge versuchen würde, denn das letzte Mal war es ihm höllisch peinlich, dass ich ihn dort so fitt gemacht hatte und er wusste, ich würde es wieder tun.

Wir setzten uns etwas abseits auf eine der blauen Sofagarnituren.

»Was ist denn jetzt?«

»Ben ... es tut mir leid was ich gemacht habe ...«

»So viel weiß ich auch schon!«, unterbrach ich ihn...

»Aber es gab da einen Grund, warum ich das gemacht hatte. Es war eigentlich keine Wette ...«

Interessiert hörte ich ihm zu.

»Es war eine ... Ich wollte wissen, ob du so bist wie ich!«

Ich hielt den Atem an und dann war da wieder diese Lähmung, die sich durch meinen Körper zog ...

»Hallo Ben! Da bist du ja! Ich hab dich schon überall gesucht ... Ich war bei diesen Typen, der mit Alina zusammen ist, und der hat gesagt, dass du in die Lounge wolltest!« Sarah kam, während sie sprach, auf Jan und mich zu. Ihr Pink in den Haaren hatte sich schon etwas herausgewaschen und wirkte nun mehr wie ein schweinchenrosa. Jan war die Situation sehr unangenehm, er schaute auf den Boden und würdigte Sarah keines Blickes.

»Hi Sarah!«, gequält von der Lähmung, die nunmehr gerade in meinen Beinen war, schaffte ich es nur schwer aufzustehen, um sie zu umarmen. Sie gab mir einen Schmatzer auf die Wange und freundlich, wie sie war, gab sie Jan die Hand und stellte sich vor. Man konnte merken, dass er sie eigentlich gar nicht kennenlernen wollte.

»Moment mal. Wir kennen uns doch schon, oder nicht?«, sie musterte ihn. »Klar, du hast mich nach Bens Handynummer gefragt, stimmt's?«

Jan nickte nur ohne einen Ton von sich zu geben.

»Du Sarah, Jan und ich müssen was besprechen. Kann ich nachher zu dir kommen?«

Sie stützte ihre Hände in die Seiten. »Das war ja mal wieder klar. Immer wenn ich zu dir kommen, hast du keine Zeit. Aber egal ... versprichst mir, dass du kommst, OK?«

Ich nickte. Sarah strich mir mit ihrem Finger über mein Gesicht und kam mit ihren Lippen immer näher. Auch das noch, sie wollte mich küssen. Ich drehte mich weg, schon die zweite Person heute, die mich traurig anschaut ... sie verschwand.

Jan sagte kein Wort, doch er hatte es gesehen, das wusste ich, doch er tat so, als hätte er die ganze Zeit auf den Boden geschaut.

»So sie ist weg!«, sagte ich zu ihm.

»Hmmmh!«

»Wo waren wir gerade?« ich geb's zu, noch blöder hätte ich unser Gespräch nicht wieder aufnehmen können.

»Ben, du weißt ganz genau wo wir stehen geblieben sind. Willst du es unbedingt noch mal hören?? OK! Ich bin schwul und steh auf dich! Jetzt ist es raus und mach damit, was du willst«, sagte er und ging. Diesmal war ich wohl derjenige, der zurückgelassen wurde. Ich empfand es als sehr schade, dass er nun weg war und dieses Gefühl mischte sich mit der Freude, die ich empfand, dass Jan auf mich stand. Ich könnte ihn jetzt haben, doch dann fiel mir das mit Pascal wieder ein. Er hatte mich dermaßen ausgenutzt, dass es immer noch wehtat, wenn ich daran dachte. Normalerweise würde ich jetzt mit Marco darüber reden, nur er war ja nicht mehr mein Marco, ich denke, er hätte mich ausgelacht, wenn er es sich überhaupt angehört hätte. Er war gerade mit einem Mädchen im Gange, dass ich vom Sehen her kannte. Sie hatte lange blonde Haare und gierig schlang sie sich um Marcos Hals. Um es gingen Gerüchte rum, dass sie es wohl mit jedem treiben würde, ich glaube ihr Name war Susann. Ich hätte kotzen können, als ich das sah. Am liebsten hätte ich es Melle erzählt, doch ich konnte meinem besten Freund nicht in den Rücken fallen. Wie besessen leckten sich die beiden rum und ich fragte mich, was denn nun gerade in Marcos Kopf vor sich gehen musste. Dachte er an Melle oder hatte er sie momentan völlig aus seinem Kopf verdrängt? Als ich an den beiden vorbeiging, um zu Sarah zu laufen, steckte er sich gerade ne Kippe an und sah mich vorbeigehen.

»Ben ... Ben ... Hallo Ben ...!«, er kam auf mich zugerannt. »Das ... das ... ey, das bleibt doch unter uns, oder?« Jetzt erkannte ich Furcht in seinen Augen und das tat höllisch gut.

Ich legte meine Hand auf seine Schulter »Marco, ich bin dein Freund und ich werde Zuckerchen nichts sagen. Aber überleg dir, was du für ein tolles Mädchen hast und dann schau dir an wer da auf dem Sofa auf dich wartet. Wenn ich das aber nochmal sehe, dann garantiere ich für nichts ...« Er schluckte »... denn das hat Melle nicht verdient!«, sagte ich und ging.

Von Chill out Musik war in der großen Disco nichts zu hören, es lief gerade »The Night« als ich rüber kam. Ich sah Melanie auf dem Podest tanzen. Sie hatte ja keine Ahnung, was gerade passierte. Man sah ihr an, dass sie überglücklich war, seitdem sie mit ihrem Marco zusammen war. Und dann dachte ich an die Ironie des Schicksals. Sie hatte bekommen, was sie sich gewünscht hatte und dann ...

»Na??« Sarah stieß mir an die Schulter. »Du wolltest doch bestimmt gerade zu mir, oder?«

Erschrocken trat ich einen Schritt zur Seite. »Ja wollte gerade zu dir.« Hmm, oder wollte ich lieber zu Jan?

»Wollen wir tanzen?«

»Neee ... danach ist mir momentan überhaupt nicht ... du ich muss nochmal kurz zu Jan ... bin gleich wieder da ...«

Sarah verdrehte die Augen und ging weg. Ich allerdings ging erstmal zu Sven.

»Hey Sven ... ich fahr vielleicht gleich mal kurz weg. Ich komme aber wieder, nur das du Bescheid weist.«

»Ach hier ... haste dir ne geile Braut geangelt oder was?«

»Hmmmm, sowas ähnliches ...«

»Ist OK Ben. Ich weiß Bescheid ... viel Spaß!«

Typisch Sven, dachte ich, als ich auf dem Weg zum Weiberklo war, bei dem Jan immer mit seinen Kumpels stand. Er sah mich schon von Weitem und nachdem er mich überrascht angeschaut hatte, verbarg er seinen Blick hinter einem Kumpel. Ich ging auf ihn zu.

»Hey Jan!«, seine Augen glimmerten, als ob sie im Schleudergang wären.

»Wasn?«

»Bist du mit dem Auto hier?«

Er runzelte die Stirn. »Ja wieso?«

»Wollen wir beide mal kurz weg?« Er schaute skeptisch. »Nur reden«, sagte ich.

Er redete mit dem Kumpel, der letztes Mal das blaue T-Shirt an hatte. Heute sah er allerdings etwas grün im Gesicht aus ...»OK, komm!«

Ohne ein Wort zu sagen, gingen wir raus und stiegen in einen Audi ein. Sarah hatte versucht, mich bei der Tür abzufangen, doch ich konnte ihr ausweichen. Die Ärmste.

»Wohin?«

Ich gab ihm Anweisungen, wo er abzubiegen hatte und schließlich landeten wir irgendwo in der Botanik. Ehrlich gesagt hatte ich ja selbst keinen Plan, wo wir hin sollten, aber mit dem Platz, wo wir landeten, hatten wir einen Glückstreffer. Es war der Kurpark, der etwas außerhalb lag. Wir gingen durch den Park, bis wir einen Spielplatz entdecken. Neben dem Üblichem wie Schaukeln, Wippen, kleine Häuschen sah man dort auch eine Hängematte. Wir setzten uns darein.

»Und sonst ...«, fragte er.

Ich musste lachen ... »Naja bestens und bei dir ...?«

»Ja muss ja ...«

Ich verschnaubte und genoss die plötzliche Stille, die hier war. Man hörte nur das Rauschen des Waldes, der hinter uns lag. Ich schmiss mich nach hinten und legte meine Hände unter meinen Kopf.

»Ich war vorhin ganz schön überrascht«, sagte ich leise.

»Das habe ich gesehen ...«, er schmiss sich ebenfalls nach hinten.

»Wär ja auch verwunderlich gewesen, wenn du das Fragezeichen über meinem Kopf nicht bemerkt hättest. Zigarette?«

»Klar!«

Wir zündeten uns die Kippen an.

»Aber ...«, begann ich wieder, »du musst mich auch verstehen, denn immerhin hast du mir ganz schön übel mitgespielt. War ja kein Wunder, dass ich dir nicht trauen konnte.«

»Hmm, da hast du wohl recht. Es tut mir leid!«

»Schon vergessen.« Ich wurde ganz schön nervös in seiner Gegenwart und am liebsten hätte ich ihm die ganze Zeit zugehört, er hatte eine voll schöne Stimme und die Art, wie er etwas sagte, machten mir weiche Knie.

»Wie alt bist du eigentlich?«, fragte er.

»17! Und du?«

»Ich bin 19.«

Ehrlich gesagt verwunderte mich das etwas, denn er sah etwas älter aus, jedenfalls von seiner Statur her, doch sein Gesicht zeigte, dass er jünger war.

»Und du hast mich angesprochen, weil du was von mir wolltest?«

»Nein!« er hielt kurz inne »Weil ich was von dir will, Ben.«

Stille!

Ich fasste mit meiner linken Hand seine rechte und er fasste fest zu und strich mit seinem Daumen über meine Handfläche hin und her.

Stille!

»Du bist echt niedlich!«, sagte er. Ich wollte nicht zu voreilig sein, doch ich war dermaßen von Freude und Glück erfüllt, dass mir die Tränen in den Augen standen.

»Zum Glück verschleiert die Nacht mein Gesicht, sonst sähest du mich vor Scham erröten.«

»Romeo und Julia?«, grinste er.

»Nein! Romeo und Julian. Ich habe die Zweitversion genommen!«, grinste ich.

Er beugte sich hoch, sah mir in die Augen und ich wusste schon, was nun passieren würde. Er strich mir mit seinem Finger über mein Gesicht, schließlich über die Lippen und schaute mich mit seinen dunklen Hundeaugen direkt an. Ich zog seinen Kopf mit meiner Hand zu mir runter und dann küssten wir uns. Er hatte wunderbar weiche Lippen.

»Ben??? Hallo Ben???«, hörte ich eine vertraute Stimme. Oh Gott! Wer konnte das sein? Ich traute mich gar nicht nachzusehen, doch Jan wich panisch von mir und zwei große Augen, die Mike gehörten, sahen mich verwundert an. Neben ihm noch zwei Augen, die mich groß anstarrten. Ein großer blonder Typ stand neben ihm und steckte eine Lucky Schachtel in seine Hosentaschen.

»Mike!«, sagte ich wie in Trance mit den Gedanken, was er wohl sagen würde ...

»Das hätte ich gar nicht von dir gedacht!«, sagte Mike erschrocken. »Wenn ich das vorher gewusst hätte ...«, grinste er und nahm den blonden Typen an die Hand. Jan und ich tauschten erstaunte Blicke aus.

»Was heißt denn hier, wenn ich das vorher gewusst hätte?«, fragte der blonde Typ und Mike gab ihm einen Kuss.»Nichts!«

»Was dagegen, wenn wir uns dazusetzen?«, fragte Mike.

»Nein, setzt euch!«, sagte ich noch immer voll verwirrt.

»Darf ich vorstellen? Das ist Dave, mein Freund. Und das ist Ben und ... und ... und ...«

»Jan!«, sagte Jan.

»Und Jan!«, setzte Mike seinen Satz zu Ende.

Wir gaben uns die Hand.

»Also ehrlich Ben, du hast mich ganz schön erschreckt. Das hätte ich von dir nie gedacht.«, sagte Mike.

»Von dir habe ich es aber noch viel weniger gedacht.«

»Das kann ich mir vorstellen!«, er nickte, »Und ihr beiden seit schon wie lange zusammen?«

Jan und ich sahen uns grinsend an.

»10 Minuten?«, sagte Jan und schaute mich fragend an.

Ich nickte und gab ihm einen Kuss.

»Hui und noch nie gestritten, das will was heißen!«, scherzte Dave.

Jan und ich grinsten uns an. Ich glaube wir dachten beide, dass es auch nie soweit kommen wird, aber dieser Gedanke, den man grundsätzlich zu Beginn einer Beziehung hat, ist ebenso lächerlich wie naiv.

»Wie spät isses eigentlich?«, fragte ich in unsere Runde.

Sechs Augen blickten fast gleichzeitig auf ihre Uhren.

»Kurz vor drei!«, sagte Mike, der es als Erstes schaffte.

»Oh, Scheiße. Habe Sven gesagt, dass ich kurz weg bin und jetzt sitzen wir schon eineinhalb Stunden hier. Ich glaub wir müssen langsam los.«

Jan nickte. Dave und Mike wollten noch da bleiben und mein Großer und ich gingen zum Auto.

»Bevor wir jetzt ins Auto einsteigen, will ich dir noch was sagen«, sagte er, als wir bei seinem Auto ankamen. Im Schutz der Dunkelheit und des Waldes, der hinter uns lag, nahm er meine Hände. »Ben, ich kenn dich weder lange noch gut ...« er stockte etwas. Gespannt wartete ich ab. »... und doch bedeutest du mir schon total viel. Ich habe mich nie mit einem Jungen geküsst, du warst heut mein Erster. Ich möchte, dass das heute kein Sonntag-Morgen-Traum war, ich möchte, dass wir das nicht einfach wegwerfen, was heut geschehen ist.« Er meinte es total Ernst, nicht einmal zierte sein Gesicht ein kleines Lächeln oder dergleichen. Er war sehr ernst bei der Sache. Ich nahm ihn in den Arm. »Ich habe nie gewollt, dass das heute nur ein Sonntag-Morgen-Traum würde.« Und jetzt erst, als ich wieder in sein Gesicht sah, erkannte ich ein kleines Lächeln. Er nahm mich ganz fest in seine Arme und dann küssten wir uns. »Am liebsten würde ich es der ganzen Welt sagen ...«, sagte er und stieg ins Auto ein.

»Man Ben ... wo warst du so lange? Hat aber ganz schön lang gedauert ...!«

»Neidisch?«, brachte ich nüchtern heraus. Für einen kurzen Moment kam mir der Gedanke, mit Sven mal wegzufahren, doch diese Gedanken waren nun endlich vorbei, ich hatte jetzt Jan.

»Neidisch?« Sven lachte ... »Wenn du wüsstest, was ich mit Alina so mache, dann wärst du aber ganz schön neidisch.«

Ich versuchte ... nein, ich versuchte mir gar nicht erst vorzustellen, was die beiden so im Bett trieben, dennoch musste ich über diesen Gedanken, den ich ja eigentlich gar nicht hatte, lachen.

»Findest du wohl witzig, wa?« Sven klopfte mir auf die Schulter »Ich kann dir gern mal zeigen, kommste heut mit zu mir? Alina schläft heute zu Hause, die wird nichts mitbekommen.«

Geschockt sah ich ihn an.

»Man, war doch nur ein Joke!«, er grinste. »Obwohl ... mal mit nem Jungen ins Bett ...«, sagte er und ging ne Runde. Ein paar Meter weiter stand Alina und unterhielt sich mit Denise, die da mit ein paar anderen Jungs stand. Sven blieb dort stehen, begrüßte alle und ich machte mir so meine Gedanken.

»Die Königin der Nacht ist gewählt sich unters Fußvolk zu mischen!« schrie es plötzlich hinter mir los.

Ich drehte mich um ... »Hi Denise! ... Stimmt 2 Uhr ist es schon längst vorbei, bist ja schon mutiert, wa?«

Sie grinste »Na sieht man das denn nicht?«, fragte sie und stellte sich in Pose. OK, sagen wir sie versuchte sich in Pose zu stellen. Sie wuschelte in ihrem langen dunklen Haar und zupfte ihren BH zurecht. »Na, mein Kleiner. Wir haben uns heute noch gar nicht gesehen.«

Da hatte sie recht und zudem war das ziemlich schade. Denise ... Ich kannte sie ja noch nicht lange, aber lustig war sie alle Male. Nach einem kleinen Plausch über ihre Mutation zur Königin der Nacht und des Sinnes des Lebens, ging ich rüber zu Jan. Ich wollte einfach bei ihm sein.

Bei seinem Stammplatz angekommen, sah ich, dass er gar nicht da war. Ein paar Runden durch die Disco brachten ihn mir aber auch nicht zurück. Naja, sein Kumpel sah vorhin ja schon so dreckig aus, die sind bestimmt gefahren, aber er hätte wenigstens "Tschüss" sagen können ...

»Morschen! Maaaan du schläft ja auch imma länga, wa? Raus ause Federn. Wenn das so weida geht, verschläfte dein janzes Leben!«

Wie jeden Sonntag quälte ich mich aus dem Bett. »Danke fürs Wecken Mandy!«, schrie ich mehr oder weniger ironisch in die Küche und als Dank kam ein von Mandy ohrenbetäubendes, schrilles Lachen. Scherzeshalber jagte ich zum Fenster, um weitere Komplikationen zu vermeiden. Das hätte ich lieber nicht tun sollen, denn mein Körper reagierte mit krassen Schwindelgefühlen und meine Augen sahen nun mehr nichts als schwarz. Ich setzte mich auf den Boden und griff nach meinem Handy, das auf meinem Tisch lag. 20 Anrufe in Abwesenheit. Ohoh. Ich konnte mir schon denken, wer das war. 1 Neue Nummer ... JAN! und dann kribbelte es überall in meinem Körper und ich wurde richtig wach. 1 Kurzmitteilung erhalten.

»Hallo mein Schatz!? Habe schon 1000 x versucht dich anzurufen ... wollen wir uns heute treffen? Schreib zurück ... dein Jan«

Natürlich textete ich gleich zurück und schrieb ihm, dass er heute zu mir kommen könnte ... so gegen 18 Uhr. Ich musste mich ja schließlich noch fertig machen und so wie ich momentan (also wie jeden Sonntag) aussah, würde er rückwärts wieder rausgehen.

»Hi!«, sagte Melle, die in der Stube saß. »Ausgeschlafen?«

Mandy saß mit Daniel eingekuschelt neben ihr. Daniel strich über Mandys Bauch. Kaum vorzustellen, dass da drin was leben sollte.

»Hi Melle«, sagte ich und winkte mit der rechten Hand kurz auf. »Mandy! Darf ich mal hören, ob man schon was hören kann?«

»Hihihihihihihi, du wirst noch nischt hörn könn.«

Ich ging zu Mandy und presste mein rechtes Ohr auf ihren Bauch. Abgesehen von den Grummelgeräuschen ihres Magens war jedoch nichts zu hören. Plötzlich fiel ich auf den Boden und hielt meine Hand an meine Wange. Alles schaute mich erschrocken an.

»Es hat mich getreten!«, sagte ich und alles war am lachen.

Um kurz vor Sechs klingelte es an der Tür. Ich rannte hin und öffnete. Es war Jan und dann ergab sich ein ganz bescheuerter Moment. Wir gaben uns die Hände, denn er sah, dass Mandy, Daniel, Melle und inzwischen auch Marco im Wohnzimmer saßen und ihn anstarrten. Mir war es in dem Falle egal, denn alle außer Melle wussten, dass ich schwul war und Melle konnte so was bestimmt auch für sich behalten. Ich nahm ihn in die Arme und gab ihm einen Kuss. Seine Augen wurden größer und seine Gesichtsfarbe nahm die einer Tomate an. Ich nahm ihn bei der Hand, wenn schon ins kalte Wasser springen, dann richtig!

»Hey Leute, das ist Jan! Jan, das sind von links begonnen Marco, Melle, Mandy und Daniel!«

Jan ließ ein kurzes HI hören und die anderen auch.

»Du bist öfters inna Disco oder? Ich kenn dich vom sehen!«, sagte Marco.

»Ja kann sein, du kommst mir auch bekannt vor.«

»Seida zusamm?«, fragte Mandy und grinste.

Zuckerchen sah Mandy, mich und Jan an, wie eine Kuh wenn's donnert.

»Ja, seit gestern!«, sagte ich. Diese Antwort musste ich ihm einfach abnehmen.

Melle sah aus wie weichgekochter Käse. »Du bist schwul, Ben?«

»Ja«, sagte ich und begann mit meiner Hand, in der ich Jans hielt, etwas zu schlendern. Sein Händedruck wurde stärker und ich beschloss, erstmal mit ihm in mein Zimmer zu gehen. »Aber behalt's für dich Melle!«, rief ich zurück.

In meinem Zimmer angekommen, schloss ich die Tür und Jan sah sich in meinem Zimmer um.

»Musste das sein?«, fragte er.

»Ja, weil ich es am liebsten der ganzen Welt erzählen würde.«

Er grinste.

»Doch ich gebe mich erst Mal mit ein paar Freunden zufrieden«, grinste ich. »Wo warst du gestern, äh, heute Morgen eigentlich plötzlich?«

»Mein Kumpel gings nicht gut. Man gut, dass ich mit dem Auto da war, sonst wären sie ohne mich gefahren.«

»Hmm, dann hättest du wohl bei mir schlafen müssen!«, erwiderte ich mit einem ganz speziellen Unterton. Jan grinste und gab mir einen Kuss. Ich zog seinen Kopf zurück und wir küssten uns nun inniger. Langsam ließ ich mich auf das Bett zurückfallen. Es war ein wunderschönes Gefühl, denn schließlich war ich hinter ihm her gewesen und ich hatte bisher noch nie bekommen, was ich wollte.

Jan stand auf, zog mein Rollo runter und zündete die Kerzen an, die auf meinem Tisch standen.

»Hast doch bestimmt nen CD Player, oder?«

»Klar!«, sagte ich und wies in die andere Ecke meines Zimmers.

»Oh, gut.« Er kramte in seiner Tasche und holte ne CD raus. »Habe mir was für uns einfallen lassen!«, sagte er, wobei er seine CD in den Player legte und gleich auf Play drückte.

"If this world is very thin ..." tönte es aus der Anlage.

»Hey, das kenne ich doch ...«

"Stay with me ..."

»Hey, Jan. Das ist voll schön, das Lied.«

Er nickte »Ist mein Lieblingssong. Zwar schon etwas alt, aber super.« Er kam zurück aufs Bett und lehnte sich an die Wand. Ich legte meinen Kopf auf seine Schultern und er legte seinen Arm um mich.

»Irgendwie schon komisch ..«, sagte Jan, sein Blick lag auf den Kerzen, deren Licht flackerte.

»Hmm?«

»Naja. Ich mein jetzt auf einmal ist alles in Ordnung. Ich habe mich immer gefragt, wann ich denn endlich mal auf dem Weg wär, glücklich zu werden und beginnen würde, jemanden zu lieben ... und jetzt halte ich die Antwort im Arm. Schon verrückt, wa?«

Ich schmiegte mich näher an ihn und legte meine Hand auf seinen Bauch. »Ja, da hast du recht. Nur ich denke, es haben nicht alle so ein Glück wie wir beide.«

»Sag mal ...« Jan schaute mich an »Sind deine Eltern eigentlich Diebe?«

»Hä? Wie kommst du denn darauf?? Natürlich nicht!«

»Doch das waren sie! Sie klauten die beiden schönsten und hellsten Sterne, durch die du mich gerade ansiehst!«

Ich schaute skeptisch. Ich denke mal, er hatte mit einem Kuss oder so gerechnet, doch was brachte ich heraus »Den Spruch hast du doch aus der Bravo!«

Er schaute verwirrt. »Nein. Wieso?«

»Naja, der Spruch ist nicht sonderlich schön und hast du schon mal braune Sterne gesehen??« scherzt ich.

»Man, Ben. Das ist doch parabellisiert!«, rechtfertigte er sich, doch als er merkte, dass ich ihn nur verarschen wollte, begann er mich zu kitzeln. »Man, weist du, wie lange ich gebraucht habe, diesen Spruch auswendig zu lernen???«

»3 Jahre?«

Nun war es aus. Er begann mich zu kitzeln, dass ich so lachen musste, dass es mir die Luft wegschnürte, dann nagelte er mich auf dem Bett fest, indem er meine Hände auf die Matratze drückte. Ich schnappte immer noch unaufhörlich nach Luft.

»Keine Kondition ..«, sagte Jan.

»In anderen Sachen schon.«, gab ich zurück.

Jan grinste und beugte sich zu mir. »Dann werde ich mal versuchen, es rauszubekommen«, sagte er und begann mich zu küssen. Ich schlang meine Arme um ihn. Nach einer Weile ging er mir plötzlich unters T-Shirt und zog es mir aus. Das Gleiche tat ich auch bei ihm, indem wir uns weiterküssten. Total gefühlvoll strich ich ihm über den Rücken und er strich mit seinem Daumen über mein Gesicht.

"Stay with me ..."

Es blieb dabei, dass wir nur unsere T-Shirts auszogen, denn mehr wollte ich nicht, noch nicht, und ich merkte, dass er auch nicht mehr wollte. Wir verbrachten den Rest des Abends damit, es uns in meinem Bett gemütlich zu machen und uns die ganze Zeit, bei ein und demselben Lied, zu unterhielten. Über unsere Kindheit, über Freunde, über Problem und natürlich auch übers Schwulsein. Er erzählte mir, dass es keiner von ihm wüsste, außer ich, und das gab mir ein ganz schön schlechtes Gewissen, als ich zurückdachte, wie ich ihn vor meinen Freunden vorgestellt hatte.

»Bist du deswegen jetzt sauer auf mich?« fragt ich ihn.

»Naja, ich mein, irgendwann muss ich ja damit leben, dass es die Meisten wissen. Eigentlich ist es komisch ...« er holte Luft »immer wenn ich daran gedacht habe, dass es wer wüsste, dann hätte ich austicken können. Mit dir an meiner Seite ist das was anderes, Ben. Es erscheint mir gar nicht mehr so schlimm ...« Er hörte zu sprechen auf und lachte kurz. Ich glaub, er lachte sich eher selbst einmal zu, denn witzig fand er es nicht, dann gab er mir einen Kuss. »Wer weiß es alles von dir?«

Ich musste sofort an Pascal denken ... dieses Arschloch ... dieser Brief, den Daniel erhielt ... und wie Marco zu mir stand ... »Nur die, die heute auch hier sind.«, antwortete ich. »Aber du hast recht, mit einem Partner an deiner Seite, ist das viel einfacher. Ich wünschte mir auch, ich hätte damals einen gehabt.«

»Hast du es einfach allen so erzählt, Ben?«

»Nein, es war mehr ein ... ein ... Ach Jan, ich möchte darüber jetzt erstmal nicht reden ...«

Jan verzog seine Augenbrauen ...

»Schlimm?«

»Ne ist schon OK.«

Um 22 Uhr verließ er mich und fuhr nach Hause. Die Schule am nächsten Tag war grauenvoll. Sämtliche Lehrer fragten mich, ob ich denn wieder gesund sei und mein Klassenlehrer machte mich voll an, weil ich nicht bei der Schule angerufen habe und mich krankmeldete. Von einigen Lehrern bekam ich somit auch eine 6 im mündlichen. Ich bekam voll das schlechte Gewissen mir gegenüber, dass ich mich so dermaßen verschlechtert hatte. Noch dazu fiel mir auf, dass sich die ganzen Leute in meinen Kursen dermaßen geändert hatten, dass es schon wehtat. Aus lustigen Mädels und Jungen wurden eingebildet und hochnäsige Arschlöcher. Auch Matze, mit dem ich sonst immer rumhing, sah mich ganz genervt an, als ich ihm von meinem Wochenende erzählen wollte, ich glaub, er dachte, wie man denn nur in die Disco gehen könnte, man muss ins Restaurant.

»Hallo Ben, wie war die Schule?«

Marco saß, als ich nach Hause kam, auf der Couch in der Stube und schaute fern. Vor ihm seine über alles geliebten Päckchen mit dem weißen Inhalt. Seine Augen waren blutrot und in der Wohnung roch es nach Kiffen.

»Mensch Marco ... warst du heute wieder nicht auf Arbeit?«

Er lachte. »Scheiß Arbeit ...«

Ich sah ihn ernst an.

»Man Ben, keine Bange. Heute war Montag und ich war voll fertig. Gehe morgen wieder hin. Auch ne Nase? Ist erstklassig!« grinste er.

»Ne danke. Jan holt mich nachher noch ab und da will ich einen klaren Kopf haben ... außerdem weist du, wie ich darüber denke, wenn man das während der Woche macht.«

»Spaßbremse!«

Ich ging in die Küche und machte mir ein paar Scheiben Toast.

»Wo ist denn der Ketchup?«, fragte ich Marco, immer noch weiter in den Schränken suchend.

»Der ist alle.«

»Wie alle, du warst doch am Freitag einkaufen oder nicht?«, ich sah ihn ernst an.

»Ne war nicht einkaufen, hatte kein Geld«, sagte er ohne mich anzusehen.

»Spinnst du? Daniel und ich haben dir das Geld doch, so wie immer, wenn wer mit einkaufen dran ist, auf den Küchentisch gelegt, zusammen mit einem Zettel, auf dem unter anderem auch Ketchup draufstand. Sogar Mandy hat Geld mit zugelegt, weil sie so oft hier ist.«

»Man, da lag kein Geld, Ben!«

»Ja, wer sollte es denn genommen haben? Der heilige Geist oder was?«

Marco lachte sich tot »Der heilige Geist ... hahahahah. Ja ich hab ihn gestern gesehn ...«

»Mensch Marco!«, ich wurde lauter, »Ich finds nicht lustig! Wo soll das Geld denn sein?«

»Frag doch mal deinen neuen Lover!«

Es traf mich wie ein Blitz. Wie konnte Marco jetzt so gemein sein? Er und ich wussten beide genau, dass Jan es nicht gewesen sein konnte, weil er die ganze Zeit bei mir im Zimmer war.

»Du spinnst doch. Lass mal die Drogen weg, vielleicht weist du dann ja wieder, wo das Geld ist.«

Marco stand wütend auf »Was ich mache, das ist meine Sache Ben und wage es ja nicht, mir in mein Leben reinzuquatschen!«

»Ja anders merkst du es doch nicht ... du weißt ganz genau, wo das Geld ist!«

»Sag doch gleich, dass du denkst, ich hätte es für Speed oder Amphe ausgegeben!«

»Und? Ist es so?«

»Ja Ben!« Er verschnaubte »Jetzt hast du was du wolltest, oder? Jetzt bist du stolz auf dich!«

»Ey, du drehst doch voll am Rad. Denkste, ich wär stolz darauf zu wissen, dass du unser Geld für Drogen ausgibst? Aber Gott sei Dank schlafe ich nicht hinterm Mond, um zu begreifen, dass diese Scheißdrogen dich zu jemandem machen, der du nie warst und nie gewesen wärst!«

»Ich bin wer ich bin und du solltest dich einen Scheißdreck scheren, dich in mein Leben oder in meine Persönlichkeit einzumischen, du bescheuerte Drecksschwuchtel!«

Ich hielt den Atem an und wünschte mir inständig, er hätte das nie gesagt, denn dieser letzte Satz ließ einen Riss in unsere Freundschaft springen. »Jetzt kann ich Devon verstehen!«, sagte ich. Marco standen plötzliche Tränen in den Augen. Ich hob meinen Rucksack vom Küchenboden auf und ging in mein Zimmer.

Das war der Punkt, an dem ich mir sagte, ich wollte nie wieder was mit den Scheißdrogen zu tun haben. Sie machen dich zu jemanden, der nicht mehr du bist. Dreckszeug ...

»Hallo Ben, stehe vor der Tür, kommste runter?«, las ich auf meinem Handy. Ich packte meine Zigaretten in meine Hosentasche, nahm mein Handy und ging raus. Im Augenwinkel sah ich Marco auf der Couch im Wohnzimmer sitzen, der gerade einen kiffte.

»Hallo Ben!«, sagte Jan, seine Augen strahlten, doch meine blickten ins Leere.

»Hi!«, brachte ich heraus und Jans Gesichtsausdruck verriet mir, dass er wusste, dass was mit mir nicht stimmen konnte.

»Was ist denn los?«, fragte Jan mich besorgt.

Ich wollte darüber nicht unbedingt reden, denn schließlich ging es Jan nichts an, was Marco machte. Ich winkte diese Frage also ab und wir stiegen in sein Auto ein.

»Wo geht's denn hin?«, fragte ich.

»Naja, wenns dir nichts ausmacht, wollte ich, dass du heute mal meine Leute kennenlernst ... danach können wir noch nen schönen Abendspaziergang machen ...«

Es brachte nichts jetzt Trübsal zu blasen und nur wegen Marco schlechte Laune zu schieben. Nicht jetzt, wo Jan neben mir saß und ich wollte auch nicht unbedingt, gleich ein schlechtes Bild bei seinen Freunden abgeben, doch ich behielt Marco und unseren Streit im Hinterkopf.

Wir hielten an einer Anreihung von Wohnblöcken, die alle samt weiß gestrichen waren, nur die Umrandung der Fenster war von Wohnblock zu Wohnblock verschieden gestaltet. Blau, gelb, braun, beige, schwarz, alles war vertreten und ich empfand es als ziemlich hässlich. Jan führte mich zum dritten Wohnblock auf der linken Seite. Wachsmutstraße stand auf dem Straßenschild, das neben dem ersten Haus stand, gleich daneben eine Laterne. Reken stand auf der Klingel, die Jan gleich zwei Mal hintereinander betätigte. Man hörte den Buzzer und Jan stemmte sich gegen die Tür. »Die geht immer ziemlich schwer auf!«, sagte er. Wir gingen in den zweiten Stock, die rechte Tür stand bereits offen und wir traten, Jan natürlich vorweg, ein. Ein langer dünner Flur entpuppte sich in dem ein Spiegel und eine Garderobe angeordnet war. Es waren 4 Türen, die vom Flur abgingen, aus der dritten hörte ich bereits eifriges Geschnabbel.

»Hi!«, sagte Jan und grüßte jeden Einzelnen, indem er typisch cool mit jedem einschlug. »Habe noch einen Kumpel mitgebracht.«

»Hi ich bin Ben!«, freundlich gab ich jedem die Hand und jeder stellte sich vor. Peter, Vincent, Thomas und Basti.

»Setz dich doch, wos frei ist«, sagte Basti, dem hier wohl die Wohnung gehören mochte.

Peter, Vincent und Thomas rückten etwas zusammen und somit war noch Platz für Jan und mich.

»Auf den Sessel will wohl keiner?«, fragte Basti in die Runde. Als ich ihn mir näher ansah, fiel mir auf, dass er ja derjenige war, dem es letzten Samstag so dreckig ging und er war der, der immer dieses blaue Shirt anhatte.

»Da will bestimmt keiner mehr drauf, nachdem wir wissen, was du darauf getrieben hast«, scherzte Vincent. Er schien ein ganz Lustiger zu sein, seine roten Haare standen seitlich ab und seine Art zu reden war an sich schon komisch, noch dazu, dass er ein wenig lispelte.

»Ich sag ja nur, die dicke Blonde..«, sagte Thomas, der recht groß gewachsen war, in die Runde. Ich muss zugeben, er sah höllisch gut aus. Auch wenn er nur eine typische normalo Frisur hatte, wirkte er sehr attraktiv und sympathisch. Vom Aussehen her hätte man denken können, dass er bestimmt schon an die 25 Jahre war, doch seine Art verriet, dass er jünger sein musste.

»Hauptsache es hat Spaß gemacht«, grinste Basti.

»Du bist auch öfter in der Disco, oder?«, fragte mich Thomas.

»Ja, doch ... bin so gut wie jeden Samstag da.«

»Du kennst doch auch Mike, oder?«

Erschrocken, dass er ihn kannte und doch zugleich erfreut darüber, brachte ich ein selbstbewusstes "Ja" auf die Beine und Thomas grinste. (Man, sah der gut aus ...)

»Ich bin mit ihm zur Schule gegangen, war ein ganz schöner Streber damals«, grinste er.

»Was? Mike? Das kann ich gar nicht glauben.«

Und so begann unser Gespräch. Jan unterhielt sich mit Peter, Basti und Vincent über vergangene Zeiten, sie schienen schon sehr lange befreundet zu sein. Thomas und ich redeten noch lange über Mike. Er erzählte mir Sachen, die ich von Mike nie gedacht hätte, zum Beispiel, dass er nach seinem Abi Lehramt studieren wollte. Ich konnte gar nicht glauben, dass Mike sein Abi hatte, nicht dass ich ihn für doof oder so gehalten hätte, aber er sah ganz und gar nicht danach aus. Wenn ich so in meinen Jahrgang sah, sah ich aufgetakelte Tussen und Typen, die sich für die Schöpfer des Universums hielten, Mike war ganz anders ... so wie ich ... so wie Jan oder all die anderen, die hier in unserer Runde saßen. Als ich Thomas dann erzählte, dass ich auch gerade mein Abi machte, fragte er mich dann erst mal nach Tausenden von Lehrern aus und ob ich die denn hätte. Gemeinsam machten wir uns dann über Frau Ohnesorge, meine Geschichtslehrerin lustig.

»Braucht sie denn immer noch ne halbe Stunde für die Anwesenheitsliste?«, fragte Thomas mich grinsend.

»Ja, daran hat sich nichts geändert. Wenn man ihre Verschnaufpause dazurechnet, dann kommen wir gut auf eine Dreiviertelstunde.«

»Hast du auch Herrn Leiten?«

»Ja, das ist mein Deutsch Leistungskurs Lehrer.«

Thomas schlug seine Hände vors Gesicht. »Mag er dich?«, fragte er leise.

»Ich glaub nein.«

»Dann mach dich bereit für eine Ehrenrunde!«, sagte Thomas »Wenn er dich nicht mag, kannst du in Klausuren 100 Seiten schreiben und du bekommst 0 Punkte, also eine Sechs.«

Als ich das hörte, machte ich mir ernsthaft Gedanken, das Jahr zu wiederholen. Nicht unbedingt wegen Herrn Leiten als mehr deswegen, dass ich ja schon lange nicht mehr in der Schule gewesen war und den ganzen Stoff nicht mitbekam. Party war mir einfach wichtiger als Schule.

Gegen 23 Uhr machten Jan und ich uns dann auf den Weg. Wir verabschiedeten uns von allen und Thomas nahm mich kumpelhaft in den Arm, was Jan gar nicht gefiel, was man daran sah, wie er Thomas ansah.

»... und meld dich mal!« sagt Thomas.

»Ha ha ... wie denn?«

»Ach warte, gib mir mal dein Handy.« Thomas gab seine Nummer ein und ich steckte es wieder in meine Jackentasche.

»Scheinst dich ja mit Thomas gut zu verstehen, oder?«, fragte Jan mit einem wütenden Unterton, als er den Schlüssel im Schloss umdrehte und losfuhr.

»Ja er ist ein Netter. Wir haben über die Lehrer an meiner Schule geredet und über Mike«, sagte ich. »Nichts weltbewegendes...«, fügte ich hinzu, um gleichgültig zu wirken, was eigentlich überhaupt nicht zu traf. Thomas war schon einer ... ein hübscher, netter Typ, doch Jan gegeüber hatte er keine Chance, selbst wenn er mich haben wollte, was ich aber nicht glaubte, und mir auf keinen Fall vorstellen konnte.

»Abendspaziergang? Oder zu müde?«, fragte Jan.

»Ne, können wir machen.«

Wir hielten an einem Wald an. Jan schloss sein Auto ab und nahm meine Hand. Hier wird uns bestimmt niemand sehen, dachte ich mir.

»Schön hier, nicht?«, fragte Jan und drückte meine Hand fester.

»Ja, schön ruhig.«

Der Himmel war auf unserer Seite, denn er war kein Stück bewölkt. Tausende von Sternen waren am blau-schwarzem Himmel zu sehen und der sichelförmige Mond leuchtete fast schon orange.

»So was wollte ich immer schon mal machen!«, grinst Jan und zündete sich eine Kippe an.

»Was?«, fragte ich ihn und klaute ihm die Kippe aus seinem Mund.

Grinsend steckte er sich die nächste an. »Mit meinem Freund Hand in Hand einen Abendspaziergang machen, Händchen halten und in den Himmel schauen.« Er zog einamal. »Romantisch, nicht?«

Der leichte Wind zog an den Bäumen vorbei und ließ merkwürdige Töne hören, wenn Jan nicht bei mir gewesen wär, hätte ich wohl etwas Angst bekommen, doch mit Jan an meiner Hand, fühlte ich mich sicher.

Nach ca. zehn Minuten erreichten wir eine Lichtung, die sehr groß war. Sie erstreckte sich bestimmt zwei Kilometer weit. Man konnte Umrisse von Koppeln sehen, auf denen irgendwelche Tiere grasten. Von hier aus war der Himmel noch schöner zu sehen. Jan zog seine Jacke aus und legte sie auf den Rasen. »Komm, setz dich. Die Jacke ist groß genug für uns beide.«

Ich ließ mich nieder und schnipste meine Kippe weg. Jan setze sich zu mir und legte seinen Arm um meine Hüften. »Zum greifen nah und doch so fern!« Ich schaute ihn fragend an. »Na der Himmel, Ben. Man könnte denken, du brauchst dich nur etwas zu strecken und schon könntest du ihn berühren, doch in Wahrheit ist er Tausende von Kilometern weit weg, unerreichbar für dich.«

Solche Sätze hätte ich von Jan nie erwartet, denn schließlich war er das typische Bild eines Jungen, von wegen, nie Schwäche zeigen und beinahe Jedem eins aufs Maul hauen, der ihn auch nur schief ansah.

»So geht's mir bei dir auch«, fügte Jan hinzu.

»Wie meinst du das? Ich sitz doch neben dir.«

»Ja du bist neben mir und doch so weit weg.« Er machte kurz Pause, ehe er weiterredete »Ich habe das Gefühl, ich komme nicht so ganz an dich ran, Ben. Und ich frage mich jeden Tag warum das so ist.«

Es ist mir nie aufgefallen, dass es so war, doch jetzt, wo Jan es aussprach, fiel mir auf, dass es wirklich so war. Ja, wir waren zusammen, ein Paar, und doch ließ ich ihn nicht so ganz an mich ran, dass er mich innerlich berühren konnte. Es war Pascal, der das verhindert hatte, ich hatte einfach Angst, Jan könnte dasselbe machen. Wie Pascal war auch er so lieb zu mir, doch wollte ich den Fehler nicht noch ein zweites Mal begehen.

»Lass mir einfach Zeit«, sagte ich zu Jan und legte meinen Kopf an seine Schulter. Er drückte mich fest an sich und ich fühlte, dass er wusste, dass er nicht näher auf das Thema eingehen solle.

»Ich hab dich unendlich gern!«, flüsterte mir Jan leise ins Ohr und strich mir über meinen Rücken.

»Ich dich auch!«, flüsterte ich leise zurück.

»Dann stört es dich auch nicht, dass ich dich jetzt küssen möchte?«

»Hast du dafür schon einen Antrag ausgefüllt?«

»Brauche ICH dafür einen Antrag?«

»Nein, du nicht.«

Er nahm mich in die Arme und wir küssten uns, plötzlich zitterte er am ganzen Körper.

»Was ist denn mit dir los? Ist dir kalt?«, fragte ich.

»Nein.« Er grinste »Habe Schmetterlinge im Bauch!«

Ich lächelte ihn an, strich ihm über seinen Nacken und wir küssten uns erneut. Jan beugte sich immer weiter zu mir herüber und ich gab's schließlich auf, mich auf einer Hand halten zu wollen. Wir lagen im Gras, neben uns seine Jacke, die Sterne und der Mond schauten uns zu und wir waren glücklich und plötzlich wusste ich, was es mit den Schmetterlingen auf sich hatte, ich zitterte am ganzen Körper.

»Hab dir welche abgegeben!«, sagte Jan scherzend.

Es hätte wirklich schöner nicht sein können, Jan war bei mir und das reichte eigentlich schon aus.

»HEY! KEINE SAUEREIEN AUF DER WIESE!!!!« schrie eine Männerstimme vor uns und wir hörten, wie mehrere Jungs lachten.

Jan und ich sahen uns panisch an, standen auf und ergriffen die Flucht. Als wir im Wald waren, und ich noch einmal zurück sah, sah ich Jans Jacke noch auf dem Wiesenboden liegen.

»Warte!«, sagte ich, lies Jans Hand los und lief zurück. Ich hörte nur noch ein »Scheiße« und lauf aufstampfende, schnelle Schritte tönten mir entgegen. Je näher ich der Jacke kam, umso lauter konnte ich die Schritte hören. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Entschlossen, die Jacke aufzuheben und sogleich kehrt zu machen, stolperte ich auch noch über meine eigenen Füße.

»HEY! DU DA!« hörte ich die Stimme wieder rufen.

Ich raffte mich so schnell es ging auf und lief zurück zu Jan, der mir entgegengekommen war.

»Los jetzt Ben!«, sagte er hastig, nahm meine Hand und schleifte mich beinahe hinter sich her. Die Schritte waren leiser zu hören und verstummten schließlich ganz. Jetzt erst ließ Jan mich verschnaufen und das hatte ich auch bitter nötig.

Völlig geschafft gingen Jan und ich weiter zum Auto, stiegen ein und Jan fuhr auch gleich los. Plötzlich fing ich laut an zu lachen.

»Hmm? Wasn mit dir jetzt los?«, fragte Jan und schaute mich kurz an.

»Ich find's lustig!«, sagte ich und kauerte mich in den Sitz.

»Was ist denn so lustig?« Jan begann nun auch etwas zu lachen.

»Naja, von wegen "Hier sind wir ungestört"!«

»Und das findest du so lustig?«

»Naja und ... was die man wollten?«

»Naja ... das kann ich dir sagen ...« er machte eine kurze Pause, als er in den vierten Gang schaltete. »Das war Privatgrundstück und die Leute, denen das gehört ... naja ich hab gehört ...«

Jan trieb die Spannung auf den Höhepunkt »Was ist denn mit diesen Leuten?«

»Naja, ich hab gehört, die sperren alle ein, die unbefugt auf ihrem Gelände rumlaufen und ziehen ihnen die Haut ab.«

»Was?«, fragte ich verwirrt. »So was können die doch nicht machen, das ist doch verboten!«

Jan lachte genüsslich und als er meinen verdutzten Gesichtsausdruck sah, konnte er sich kaum halten vor Lachen.

»Guck auf die Straße!«, sagte ich.

»Man Ben, das war doch nur 'n Scherz!«

»Aber kein lustiger! Meiner Cousine wurde die Haut abgezogen, nachdem sie ermordet wurde ...«, brachte ich es nüchtern heraus.

Jan sah mich erschrocken an. »Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid«, sagte er und strich mir über die Wange und als ich nun seinen Gesichtsausdruck sah, musste ich heftigst anfangen zu lachen. Jan sah verwirrt zu mir ... »Du hast mich verarscht du Blödmann!«, sagte er empört.

»Ja, was du kannst, das kann ich schon lange!«, lachte ich.

»Das kriegst du zurück!«, sagte er. Ich strich ihm übers Bein und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Geschenkt!«

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker mich aus dem Schlaf. Es war halb Sechs. Schule! Ich machte mich fertig und ging viertel nach 7 aus dem Haus.

»Ach Ben. Schön dich mal wiederzusehen! Du weißt, dass wir heute eine Vokabaltest schreiben?«, sagte David voller Ironie zu mir. Wir hatten uns mal gut verstanden, doch jetzt wollte er wohl der Elite beitreten und ich fühlte mich, als ob es ein Ziel dieser war, mich nicht zu beachten oder fertigzumachen, natürlich im freundlichen Sinn. Ich wollte David diesen Genuss nicht gönnen, mich voll perplex dastehen zu sehen und somit sagte ich ihm, dass ich das wüsste und auch gelernt hätte. Seine Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Test bestand aus 15 Vokabeln, die wir noch dazu konjugieren mussten. Charlar (was so viel hieß wie "sich unterhalten" oder "plaudern") war eine, der 10 Vokabeln, die ich wusste und nach einigem Nachdenken auch konjugieren konnte. Meine Lehrerin würdigte mich in der ganzen Stunde keines Blickes, genauso erging es mir auch in Mathe und Bio, wo wir gerade den Tricarbonsäurezyklus durchnahmen.

»Ben? Könntest du uns noch einmal die Reihenfolge der Energiegewinnung des Körpers zu Grunde legen?«, fragte mich Frau Holzer.

»Keine Ahnung!«, sagte ich, obwohl die Worte Endoxidation und Glykolyse in meinem Kopf rumschwangen. Frau Holzer gab ein genüssliches Grinsen preis.

Die Pausen waren das Schlimmste, wenn ich da nicht Nadja gehabt hätte. Sie war in Bvwl in meinem Kurs und schien so die Einzige zu sein, die, wie ich, nicht eingebildet oder hochnäsig war. Sie wurde genauso geschnitten wie ich. Es war halt nicht unser Ding uns für was Besseres zu halten, nur weil wir aufs Gym gingen.

»Hauptschüler?« Sabine aus dem Spanisch Kurs sah ihre genauso eingebildete Freundin Steffi an »Wer gibt sich schon mit denen ab?«

»Hey sag mal, du hast doch schon längst nicht mehr alle Lichter, Sabine!«, kam es plötzlich aus mir heraus. Erschrocken sah sie mich an. »Wer redet denn überhaupt mit dir?«

»Hey, wenn ich höre, was du hier von dir gibst, dann könnte ich erstens kotzen und zweitens stelle ich fest, dass ich Hauptschüler kenne, die mehr Grips in der Birne haben als du!«

Mit empörtem Gesicht nahm Sabine ihre Schultasche vom Tisch (man stellte die doch nicht auf die Erde!!!) und ging mit ihrer Freundin Steffi im Schlepptau in die Pausenhalle. Durch das Fenster sah ich, dass sie erstmal ihren ganzen Klatschweibern davon berichten muss, was ich gerade gesagte hatte.

»Jetzt wirst du's noch schwerer haben!«, sagte Nadja.

»Ach! Sind doch alles nur Tussen! Patati und Patata und wie sieht mein Nagelack heute aus? Schon für Spanisch geübt? Wir schreiben zwar erst in zwei Jahren die nächste Klausur, aber ich fange schon mal an.«, äffte ich Sabine nach und Nadja konnte sich vor Lachen kaum halten.

Marco und ich redeten seit dem Vorfall noch immer kein Wort miteinander. Wenn wir uns sahen, dann suchten wir die schnellste Möglichkeit aus demselben Raum zu verschwinden. Ich staunte diesen Nachmittag nicht schlecht, als ich den Küchentisch voller Babyklamotten sah. Mandy stand davor und kramte und wühlte und tat.

»Mandy! Was machst du da?«

Sie wandte sich zu mir um und hatte ein breites Grinsen auf den Lippen. »Haben Daniel und ich heute morjen jekauft.«

»Aber ihr wisst doch gar nicht, was es wird!«

»Ach das iss ejal. Wir haben neutrum Kleidung gekauft.«

»Du meinst neutrale Kleidung?«

Mandy winkte ab.

»Was hättest du denn gern? Junge oder Mädchen?«, fragte ich sie und schaute mir die niedlichen kleinen Strampler an. Rote mit Mickey Maus drauf und einen mit vielen Luftballons in sämtlichen Farben.

»Eigentlich isses mir ejal. Hauptsache es is jesund. Aber wenn ichs beeinflussen könnte, dann ein Mädchen.« Sie kramte die ganzen Strampler wieder in die große Tüte. »Sie wird dann Emely heißn und aufs Gymnasium gehen und danach studieren!«

Naja, wenn ich da an unsere Mädchen auf dem Gym dachte, war ich nicht sonderlich begeistert von dem Werdegang von Baby Emely.

Es war ungefähr eine Woche später, an dem sich dann alles veränderte. Daniel kam mit wutentbrannten Augen auf mich zu. Ich war mir allerdings keiner Schuld bewusst. Wütend und schnaubend kam er auf mich zugestampft.

»Ben!«, sagte er im ernsten Ton »Schau mal in deine Geldkassette.« Ich ahnte bereits Fürchterliches und wollte es mir ausreden. Ich wusste, was jetzt kam. Ich ging in mein Zimmer, Daniel wartete in der Küche, beide Hände in die Seiten gestützt. Ich holte die Geldkassette unter meinem Bett hervor (OK, kein sonderlich gutes Versteck, aber diese sollten ja auch nur Besucher nicht sehen, wir in der WG vertrauten uns ... eigentlich) und sah hinein. Ich wollte nicht, dass das wahr war, was ich jetzt sah, denn ich sah nichts. Nichts von den 50 Euro war noch drin, kein Cent. Ich ging mit der Geldkassette zu Daniel und öffnete sie vor ihm.

»Hast du das ausgegeben?«, fragte er mich ernst.

Ich schüttelte nur mit dem Kopf.

»Jetzt ist Marco eindeutig zu weit gegangen!«, fluchte Daniel. Sein Gesicht wurde von einer Röte umgeben, welche ich nur an Tomaten kannte, oder halt reifen Äpfeln.

Daniel kochte vor Wut. »Ich habe mit ihm ein ernstes Gespräch geführt, Ben. Er hatte mir versprochen, dass ...« doch weiter kam er nicht. Er war bereits auf dem Weg zu Marcos Zimmer. Ohne anzuklopfen stürmte er herein, Getobe und Geschrei hörte ich bis in die Küche, wo ich noch immer mit meiner Kassette stand. Ich glaube ich wurde kreideblaß. Wenn ich etwas hasste, dann war es eine Prügelei zwischen zwei guten Freunden. Ich hatte Daniel noch nie so schreien hören, zuerst wehrte sich Marco, doch schließlich drang seine Stimme immer weiter in den Hintergrund. Ich zitterte innerlich und wusste nicht, ob ich nun dazwischen gehen sollte oder lieber hier stehen bleiben sollte. Als ich schließlich dazukommen wollte, war bereits alles zu Ende. Daniel hatte Marco am Kragen gepackt, dieser wehrte sich natürlich heftigst, und hatte ihn aus unserer Wohnung geschmissen. Marco klopfte wie wild gegen die Tür und schrie Sachen wie, "Das kannst du doch nicht machen" und "Das ist auch meine Wohnung", doch er gab das schnell wieder auf. Für einen kurzen Moment wollte ich ihn erst reinlassen, doch in dem Punkt musste ich Daniel nun recht gegen. Das Geld, das war sicher, war bereits längst weg und weder Daniel noch ich würde es je wiedersehen. Für einen Schüler sind 50 Euro ne Menge Geld und für Daniel sind 350 Euro, wie sich später herausstellte, auch ne Menge Geld, noch dazu als angehender Papa.

Es vergingen Monate, ohne auch nur ein Lebenszeichen von Marco zu hören. Seine Arbeit rief ein paar Mal bei uns an, doch wir konnten denen ja auch keine Auskunft geben, sie sollten es über sein Handy probieren. Wir laufen unseren Auszubildenden doch nicht hinterher, bekam ich als Antwort. Den Job konnte er wohl vergessen, ich biss mir auf die Lippen. Wenn ich nur irgendwie Devon hätte erreichen können, dann wär Marco anders drauf. Zuckerchen meldete sich am laufenden Band, um nach Marco zu fragen. Sie machte sich große Sorgen um ihn und es kam vor, dass sie einfach mal so vorbeikam, als dachte sie, er sei wieder da und wir redeten über ihn, wobei Melle oft die Tränen in den Augen standen. Mich ließ das auch nicht kalt. Ohne Zweifel fehlte mir jemand. Es war krass, wenn man bedenkt, wer oder eher gesagt, was ihn so verändert hatte. Ich dachte jeden Abend vorm schlafen an ihn, wo er sein könnte, was wir schon alles erlebten, wie er mir als bester Freund zur Seite stand und an seine lockere und coole Art, die dann immer steifer geworden war. In dieser Zeit wurde die Beziehung zwischen Jan und mir immer intensiver, bis wir sogar das erste Mal miteinander schliefen. Es war echt schön, wenn man von der Tatsache absieht, dass man sich doch im Wald sehr beobachtete fühlt. Für ihn war es das erste Mal mit einem Jungen, aber er hat sich ganz gut angestellt. Als wir uns bei all unseren Freunden outeten, war unsere, mittlerweile konnte man es so nennen, Liebe noch inniger als vorher. Mandys Bauch wurde immer dicker und wenn man jetzt sein Ohr an ihren Bauch hielt, kam es schon mal vor, dass man ins Gesicht getreten wurde, worüber sich Mandy immer heftigst amüsierte und ihr schrilles Lachen zu hören war. Daniel schwoll die Brust immer mehr an, kein Zweifel, diese Jenny von damals hatte ausgedient. Mandy war die Einzige für ihn. Marcos Zimmer wollten sie als Kinderzimmer haben. Naja, mir war das erst gar nicht recht, denn schließlich konnte Marco ... nunja, ich glaub kaum. Aber ich fühlte mich nun irgendwie ziemlich unwohl in unserer WG. Ich mein, die Tatsache, dass ich mit einer kleinen Familie inner Wohnung wohne, ist nicht gerade berauschend. Daniel und Mandy, mit denen ich über meinen Auszug sprechen wollte, boten mir aber an, dass ich bis zum Ende meiner Schule noch da wohnen bleiben könnte, wenn mich schließlich das Babygeschrei nicht stören würde. Nunja, den Kurs 12 musste ich wiederholen. Und seitdem das mit Marco war, habe ich nie wieder irgendeine Droge in den Händen gehalten, außer halt Kippen oder mal n Schluck Alkohol. Ich hab gesehen, was Drogen bewirken können. Wie sehr wollte ich einfach die Zeit zurückdrehen und alles rückgängig machen, doch vielleicht war das einfach ein Lebensabschnitt von mir, aus dem ich lernen sollte und musste. Man konnte sagen, das Leben nahm wieder seinen gewohnten Lauf ein. An den Wochenenden schlief ich bei Jan, seine Eltern wussten bereits Bescheid und seine Mutter war sogar begeistert davon. Sie hatte schon genug mit ihren Enkeln von Jans Geschwistern zu tun. Ich wusste gar nicht, dass Jan Geschwister hat, die schon so alt sind. In der Woche war Schule angesagt, und zwar jeden Tag. Der neue Kurs war überhaupt nicht eingebildet, es waren viele dabei, die so waren wie ich. Also locker und aufgeschlossen und superlustig. Von Pascal hab ich nie wieder was gehört. Jan war sehr engagiert bei der Sache, wenn es ums Fach Spanisch ging. Er liebte Fremdsprachen und als ich eines morgens bei ihm aufwachte, lag neben mir ein Zettel:

¡Contigo con el fin del mundo!
(mit dir bis ans Ende der Welt)

Als ich eines Abends durch die Straßen ging, sah ich einen jungen Mann auf der Bank schlafen, zugedeckt mit Zeitungen, in der Hand ein Päckchen.

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