zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Hürdenlauf

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Wir trafen uns im Dunkeln,

Ich kenne deinen Namen nicht.

Ich nahm den Geruch deines Körpers wahr,

Ich kenne deinen Namen nicht.

Wir liebten uns leidenschaftlich,

Ich kenne deinen Namen nicht.

Ich habe dich in mich aufgenommen,

Ich kenne deinen Namen nicht.

Unsere Wege gingen auseinander,

ohne ein Wort gewechselt zu haben.

Du warst mein Todesengel,

Ich werde deinen Namen nie erfahren.

aus "PositHIV leben" von Mike-Roy Wagner

Irgendwo tickt eine Uhr. Gleichmäßig, nicht laut. Aber das Geräusch kratzt an meinen Nerven. Es scheint lauter zu werden. Ich reibe mir mit der Hand übers Gesicht, strecke mich vorsichtig, drehe mich auf die andere Seite. Mein Arm trifft etwas Festes, Weiches. Kurz zögere ich, dann kommt mir wieder ins Bewusstsein, dass ich nicht allein bin. Als ich die Augen öffne, stelle ich auch fest, dass ich nicht zu Hause bin. Die Kommode, auf der sich Bücher reihen, ist mir fremd.

Ich sehe den jungen Mann neben mir liegen. Er schläft auf dem Bauch, die braunen Haare sind ganz zerzaust.

Lautlos schiebe ich meine Beine aus dem Bett, richtet mich auf und strecke mich erneut. Auf dem Boden finde ich meine Jeans, meine Unterhose liegt am Fuß des Bettes. Mein Hemd hängt über einem Stuhl, meine Socken hole ich unter dem Schreibtisch hervor. Ich sammele leise meine Kleidung auf und ziehe mich hastig an.

Zufrieden stelle ich fest, dass mein Portemonnaie sich noch in meiner Hose befindet, ebenso der Schlüssel für mein Auto.

Ich husche kurz ins Bad, gurgele mit lauwarmem Wasser, wasche mir das Gesicht, fahre mir mit den Händen durch die Haare, um ihnen eine Form zu geben, was mir nur im Ansatz gelingt.

Dann ziehe ich meine Schuhe an, die ordentlich an der Garderobe stehen, hebe meine Jacke vom Korridorboden auf und verschwinde aus der Wohnung. Als ich die Wohnungstür zuziehe, werfe ich einen kurzen Blick auf das Namensschild an der Klingel. Paolo L.

Ich mache mir eine kleine Notiz im Kopf, dann eile ich die Treppe hinunter, auf die Straße. Wo bin ich hier? Welche Straße? Welcher Stadtteil? Und vor allem, welche Stadt?

Auffallend viele Berliner Autokennzeichen lassen mich vermuten, dass ich mich tatsächlich noch in meiner Heimatstadt befinde.

Ich gehe einmal um den Häuserblock, auf der Suche nach meinem schwarzen Audi. In einer Seitenstraße finde ich den Wagen schließlich, entriegel ihn durch einen Druck auf die kleine Fernbedienung im Schlüssel und nehme auf dem Fahrersitz Platz.

Mein Navigationssystem verrät mir, dass ich mich gar nicht so weit von zu Hause weg befinde. Ich begebe mich unter der fachkundigen Wegweisung von Navi Trevor auf den Heimweg.

Zu Hause treffe ich André in der Küche an.

„Morgen!“, rufe ich ihm zu, als ich meine Jacke an den Haken hänge und meine Schuhe darunter stelle. „Ich geh duschen. Gibt’s noch Kaffee?“

„Loki, du bist eine verdammte Schlampe! Weißt du das?“

Ich kann hören, dass er grinst. Er steht vor der Arbeitsfläche und zerteilt verschiedene Gemüsesorten in kleine Stücke.

„Es ist gleich drei, wenn du Kaffee willst, musst du dir selbst welchen kochen. Alex und ich haben schon vor Stunden gefrühstückt.“

„Ihr seid eben anders als ich“, erwidere ich, klaue ihm ein Stück Möhre vom Brettchen und schiebe es mir in den Mund. „Meine Uhr geht anders. Vor allem am Wochenende.“

Mit diesen Worten begebe ich mich ins Bad.

Warmes Wasser und Seife waschen den Schweiß und die Erlebnisse der letzten Nacht von meinem Körper. Nur die kleine Notiz in meinem Kopf bleibt: Paolo L..

Frisch geduscht und in sauberen Klamotten begrüße ich zuerst meine beiden Frettchen: Mäxchen und Moritz, dann schmiere ich mir ein Brot. Während ich zufrieden mein spätes Frühstück genieße, übertrage ich die Notiz in meinem Kopf in mein Buch. Unter das aktuelle Datum kritzele ich ein paar Zeilen, dazu den Namen „Paolo“. Als ich das Buch zuklappe, ist der Name bereits aus meinem Kopf gelöscht.

Ich war zwei Jahre alt, als mein Vater sein Gehör verlor. Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie es passiert ist, und meine Mutter redet nicht darüber.

Als ich in den Kindergarten kam, schickte meine Mutter mich zu einer Frau. Ihr Name war Simone und sie brachte mir die Geheimsprache bei. Ich lernte, wie ich meine Hände bewegen musste, damit mein Vater mich verstand. Auch mein großer Bruder besuchte Simone. Aber Konstantin lernte nicht so schnell wie ich und er hat auch nie den Eindruck erweckt, sich besonders dafür zu interessieren.

Vaters Stimme war anfangs oft laut gewesen und erschreckte mich. Nach dem Unfall wurde es still, und wir sprachen auch nicht mehr so viel miteinander. Auch an diese plötzliche Stille, von der Mutter manchmal erzählt, habe ich kaum Erinnerung.

„Nimm deine Medikamente.“ André schiebt ein Döschen über den Tisch, direkt neben meinen Teller. Hastig deckt er zu Ende. 3 Teller, 3 Gläser, 3 Gabeln, 3 Messer, 3 Dessertlöffel, 3 Salatschüsselchen.

„Alex kommt zum Essen?“, frage ich und spüle meine Tabletten mit einem großen Schluck Wasser herunter.

„Ja“, antwortet André, ohne mich anzusehen. Er streicht das Tischtuch glatt und eilt wieder in die Küche.

Ich verdrehe die Augen. Immer, wenn Alex zu Besuch ist, macht er so einen Aufstand. Und heute ist es besonders extrem. André trägt seinen Anzug, den schwarzen, den er auch auf der Arbeit braucht.

Seit über 5 Jahren kenne ich André jetzt und seit etwa 2 Jahren wohnen wir zusammen, aber ich habe ihn noch nie so nervös erlebt.

„Jetzt setz dich doch mal!“, rufe ich ihm hinterher, als er zum x-ten Mal an mir vorbeirauscht, etwas auf dem Tisch platziert und wieder in der Küche verschwindet. „Du machst mich ganz wahnsinnig. Ich hatte eine lange Nacht!“

André beachtet mich gar nicht. Ich höre, wie er mit Salatbesteck aus Plastik im Salat herumrührt, dann wie Brot geschnitten wird.

Als es klingelt, kracht in der Küche etwas zu Boden.

„Nichts passiert!“, schallt es von André. „Mach die Tür auf, ich bin sofort fertig!“

Kopfschüttelnd gehe ich zur Tür, öffne per Druck auf den Schalter die Haustür und sehe auch schon Alex die Treppe hinauf kommen.

„Hi, Loki“, grüßt er mich lächelnd. Ich fühle mich plötzlich völlig underdressed. Alex steht vor mir, ebenfalls im Anzug, die Krawatte ordentlich gebunden.

Unsicher zupfe ich mir am Ärmel meines T-Shirts.

„Soll ich- hab ich was verpasst, soll ich was- was anderes anziehen?“

Mit einem Engelslächeln schüttelt Alex den Kopf. „Du siehst gut aus.“

„Nicht fremd flirten, Schatz!“ André kommt aus der Küche, umarmt seinen Freund und küsst ihn zur Begrüßung. „Ich hab dich vermisst...“

„Ich war doch nur 5 Stunden weg!“, lacht Alex. „Aber du hast mir auch gefehlt.“

Es gibt Gemüseauflauf und dazu einen gemischten Salat, zum Nachtisch Schokoladenpudding mit Sahne. Als ich den letzten Rest Pudding mit dem Löffel aus dem Schälchen gekratzt habe, will ich endlich wissen, wofür André so einen Aufwand betrieben hat.

„Also“, beginnt er und nimmt Alex’ Hand. Die beiden sehen sich kurz verliebt in die Augen, dann ist Andrés Blick wieder auf mich gerichtet. „Alex und ich werden zusammenziehen. Wir haben uns die ganze Woche über Wohnungen angesehen und vorgestern haben wir uns für eine entschieden.“

„Du ziehst aus?“ Ich weiß nicht, ob ich über diese Nachricht erfreut oder entsetzt sein soll. „Wann?“

„Zum nächsten Ersten.“

„Das ist in zweieinhalb Wochen!“

„Ja.“ Er nickt glücklich. „Jetzt, wo ich Ferien habe, passt das so gut.“

„Aber, aber wäre es nicht besser für euch, in einem halben Jahr zusammenzuziehen? Wenn Alex die Ausbildung fertig hat und du dein Studium beendet hast?“

„Das hatten wir auch überlegt, aber die Wohnung ist einfach der Wahnsinn, wir konnten nicht anders!“

Ich nehme mein Glas in die Hand, starre hinein, trinke einen Schluck Wasser, senke wieder den Blick, dann stelle ich das Gefäß ab.

„Ich geh mit den Frets“, murmele ich, stehe auf und gehe in mein Zimmer.

Jedes meiner beiden Frettchen hat ein Geschirr. Ich führe sie mindestens einmal am Tag Gassi. Weniger zu dem Zweck, dass sie sich erleichtern – beide sind ans Katzenklo gewöhnt und zu 99% stubenrein – sondern eher, damit sie Auslauf und frische Luft bekommen. Ich will, dass es ihnen bei mir gut geht.

Wenn ich nachdenken muss, gehe ich mit den Tierchen durch den Tiergarten. Spaziere stundenlang herum, bis mir die Füße wehtun.

So auch jetzt.

Um jedes meiner Handgelenke habe ich die Schlaufe einer Frettchenleine gelegt und die Hände in meinen Hosentaschen vergraben. Mäxchen und Moritz tollen, wuseln herum, genießen das schöne Wetter. Groß sind sie geworden. Vor zwei Jahren habe ich sie als Babys für mich und meinen damaligen Freund geholt. Jetzt sind sie ausgewachsen, haben aber immer noch genug Schabernack im Kopf.

Nach zwei Stunden komme ich wieder nach Hause. André und Alex sind nicht mehr da. Der Tisch in Andrés Zimmer ist abgeräumt, zusammengeklappt und weggestellt worden, in der Küche läuft die Spülmaschine. Normalerweise macht es mir nichts aus, wenn ich allein in der Wohnung bin, doch diesmal stört es mich. Ich fühle mich allein.

Ich gehe in mein Zimmer, schmeiße mich auf mein Bett und heule. Mir ist übel, und mir tut der Bauch weh. Scheiß Nebenwirkungen...

Ich werde die Wohnung für mich haben. Vielleicht für immer. André ist mein bester Freund, auf ihn konnte ich mich immer verlassen. Seit ich ausgezogen bin und meine Eltern den Kontakt zu mir abgebrochen haben, ist er meine Familie. Meine Eltern wollen kein HIV positives Kind.

André ist das egal. Er kümmert sich um mich, wenn es mir schlecht geht, sorgt dafür, dass ich meine Medikamente nehme, geht mit mir zum Sport, damit ich ausreichend Bewegung bekomme, kocht Essen, damit ich in der Mittagspause etwas Warmes auf dem Teller habe.

Wenigstens den Job habe ich wieder. Nach meiner Ausbildung zum Bankkaufmann bin ich nicht übernommen worden. Fast ein ganzes Jahr war ich arbeitslos, feierte zu viel und tat zu wenig für mich. Die Quittung bekam ich vor etwa 8 Monaten. Meine Werte waren miserabel. Seitdem nehme ich Medikamente und treibe Sport, achte auf meine Ernährung.

Nein, das Letzte stimmt so nicht. André achtet auf meine Ernährung.

Vor einem halben Jahr bekam ich die Stelle bei der Bank. Mein Partyleben beschränkt sich wieder aufs Wochenende, die Freitag- und Samstagnächte verbringe ich in Clubs, Bars, fremden Betten.

André ist davon nicht so begeistert. Er ist der Meinung, ich solle an meine Gesundheit denken und kürzer treten. Vielleicht hat er Recht. Ganz bestimmt sogar. Aber ich liebe die Musik, das Tanzen, den Sex; das alles bin ich, das gehört zu mir, auch, wenn es mich krank gemacht hat.

Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht, ziehe ein Taschentuch aus der Packung in meinem Nachtkästchen und schnäuze mich.

Ich fühle mich befreiter. Meine Angst ist in meinem Kopfkissen versickert und wurde ins Taschentuch gerotzt.

Ich setze mich auf meine Couch, greife mein Notizbuch und blättere ein wenig darin. Es ist jetzt das sechste Buch. Ich weiß nicht, warum ich überhaupt angefangen habe, jede meiner Bettgeschichten aufzuschreiben. Über 1000 verschiedene Männer sind es jetzt schon. Jeden, den ich habe haben wollen, habe ich bekommen. Nur den einen nicht: Daniel. Der einzige Mann, den ich je geliebt habe, ist zugleich der einzige Mann, den ich geil gefunden aber nie im Bett gehabt habe.

Der Kontakt zu Daniel ist mäßig. Manchmal schreiben wir uns E-Mails, ab und an treffe ich ihn im Chat an, aber auch das ist sehr selten geworden.

Ich lernte ihn im Internet kennen, kurz bevor ich meinen Aids-Test gemacht habe. Eigentlich habe ich damit gerechtet, dass er sich in meine Galerie der One-Night-Stands einreihen würde, doch dann bekam ich mein positives Ergebnis, er kümmerte sich um mich und ich verliebte mich in ihn. Aber die Angst, ihn anstecken zu können, war zu groß. Deshalb ist es vor zwei Jahren auseinander gegangen. Es hat nicht lang gehalten, aber trotzdem war der Schmerz groß. Ich habe danach viel Zeit mit mir verbracht, und dann begonnen, mir den Frust und den Schmerz aus der Seele zu vögeln (und vögeln zu lassen). Ich stürzte mich ins Partyleben, trank, nahm Drogen, tanzte, hatte Sex. Machte eigentlich so weiter wie bisher. So habe ich schon immer meine angestauten Emotionen abbauen können: mit Frustficken.

„Loki?“

Erschrocken sehe ich auf. Ich habe André gar nicht kommen gehört.

„Darf ich reinkommen?“, fragt er. Als ich nicke, nimmt er neben mir auf dem Sofa Platz. Ich lege das Buch beiseite.

„Ich weiß, wir haben dich ins kalte Wasser geworfen... Und das tut mir Leid“, beginnt er. Ich schüttele den Kopf, blicke auf meine Füße.

„Nein“, sage ich. „Ist schon okay. Hey, ich hab die ganze Wohnung für mich. Dann haben die Frets mehr Platz und so... Und ich kann mich ganz neu einrichten!“

„Meine Ersparnisse werden für den Umzug draufgehen... Wir nehmen die Küche mit.“

„Okay.“

Wir sehen uns nicht an, das ganze Gespräch über nicht. In meinem Kopf entsteht eine Liste der Dinge, die ich neu werde kaufen müssen, wenn André ausgezogen ist. Küche, Waschmaschine, Wäschetrockner, Spiegelschrank, Garderobe... Die Liste wird immer länger.

Alex wohnt in einer WG und hat nicht all zu viele eigene Dinge, da ist es praktisch, dass André bereits einen kompletten Hausstand besitzt. Und was besitze ich? Alles, was sich in meinem Zimmer befindet. Mehr nicht. Aber von meinen Rücklagen ist noch genug übrig für eine große Küche und die restlichen Dinge.

Vor 7 Jahren starb mein Großvater an Krebs. Er war erfolgreich an der Börse, hat als Broker nicht schlecht verdient. Seine Frau, meine Großmutter, ist schon seit vielen Jahren tot, ihre gemeinsamen 3 Söhne und 2 Töchter sind selbst sehr erfolgreich. Und so vererbte er mir, seinem Lieblingsenkel, sein gesamtes Vermögen. Zu viel für einen 16jährigen.

Aber genug für einen 18jährigen, um sich den Führerschein und das erste Auto leisten zu können, genug für einen 21jährigen, um sich einen nagelneuen, 75.000 EUR teuren Audi kaufen zu können und genug für einen 22jährigen arbeitslosen, auszukommen, ohne hungern zu müssen.

Und immer noch ist eine fünfstellige Summe auf meinem Konto.

„Willst du noch mit zum Schwimmen kommen? Alex hat ein Schwimmbad entdeckt, das bei diesen Temperaturen bis 23 Uhr geöffnet hat, und wir dachten-“

„Nein“, unterbreche ich ihn, vielleicht eine Spur zu schroff. Es tut mir Leid. „Nein“, füge ich schnell an, diesmal etwas sanfter. „Es gibt ein paar Clubs, die auf mich warten. Und Micha.“

Micha kenne ich, seit ich André kenne. Die beiden sind schon ewig gute Freunde und in den letzten Jahren ist zwischen uns dreien eine besondere Freundschaft entstanden. André, der Vernünftige, Micha, schrill und tuntig aus Leidenschaft und ich, Jonathan, von allen Loki genannt, der Aufreißer, der jeden haben kann.

„Clubs, okay.“

André klingt ein wenig enttäuscht. Aber auf ein Mondlichtplanschen mit dem glücklichen Pärchen habe ich wirklich keine Lust. Die zwei sind auch nach über 2 Jahren Beziehung noch verliebt wie am ersten Tag, was sie auch zeigen. Und manchmal fällt es mir auf die Nerven. Klar bin ich neidisch auf das, was die beiden haben. So etwas hätte ich mir mit Daniel gewünscht...

Aber ich liebe meine Freiheit. Eine offene Beziehung will ich nicht, das hat für mich etwas Unehrliches. Single sein ist schon okay. Geborgenheit bekomme ich auch von André, und den Sex hole ich mir einfach in der Szene.

Mein Mitbewohner und bester Freund steht auf, um in seinem Zimmer seine Tasche zu packen. Als er fertig ist, kommt er noch einmal zu mir.

„Grüß Micha von mir“, sage er. „Und pass auf dich auf.“ Er drückt mir zwei Kondome in die Hand, dreht sich um und geht.

Kopfschüttelnd betrachte ich die Gummis in meiner Hand. Schon früher, vor meiner Infektion, haben er und Micha mir ständig Kondome zugesteckt.

Jetzt habe ich selbst genügend von den Dingern; ich bestelle sie online im 100er Beutel, so sind sie günstiger als in 3er, 10er oder 12er Packs, die man im Handel erwerben kann. Ich will niemanden anstecken und bestehe auf Safer Sex. In meinem Handschuhfach im Auto befindet sich eine Dose mit Gummis und ich habe immer ein, zwei in der Hosen- oder Jackentasche oder im Rucksack, wenn ich einen bei mir habe.

Bei meinem ersten „Ausflug“ in die Szene war ich 17. Seit einem halben Jahr etwa war mir bewusst, dass ich schwul bin und habe es endlich für mich akzeptiert. Es war ein langer Prozess. Mein älterer Bruder Konstantin, seit etwa seinem 15. Lebensjahr in der rechten Szene tätig, hat als 19jähriger im Gefängnis gesessen, als ich 13 war, weil er zusammen mit seinen Freunden ein schwules Pärchen krankenhausreif geschlagen hat, und deshalb habe ich Angst vor ihm. Immer noch.

Mit fast 18 habe ich mich dann dazu entschieden, das erste Mal in die Szene zu gehen, zu schauen, was da so los ist. Meinen Eltern erzählte ich, ich würde bei einem Schulfreund übernachten.

An der U-Bahnhaltestelle habe ich André dann getroffen. Er fiel mir auf, gefiel mir, mit seinen dichten, braunen Locken und den freundlichen, hellen Augen. Und deshalb ging ich zu ihm, setzte mich neben ihn und sprach ihn einfach an.

„Hi.“

„Oh; Hi, Kleiner!“

„Bist du öfter hier in der Gegend?“

„Klar. Und du?“

„Nee... Ich war noch nie hier, meine Eltern wissen nicht, dass ich hier bin...“

„Du bist neu hier? Mhm... Magst du vielleicht mit mir mitkommen? Ich treffe mich hier mit einem Freund, wir gehen zusammen ins KI.“

„Ja... Gerne!“

Ich ging einfach mit ihm mit, mit zwei damals 20jährigen, mir völlig fremden Jungen. Es war kurz vor Weihnachten und dementsprechend furchtbar kalt, aber von der Kälte bemerkte ich nichts. Zu groß war meine Nervosität.

Ich erinnere mich noch genau an diese Nacht. Laute Musik, fesselnde Beats, buntes Licht, gut gekleidete und halbnackte Körper zogen mich in ihren Bann. Ich stürzte mich in die tanzende Menge, bewegte mich zwischen den schwitzenden Körpern, als hätte ich nie etwas anderes getan. Als ich müde wurde, holte ich mir ein Getränk und setzte mich, um mich auszuruhen.

Und dann sprach er mich an: Clemens.

Groß, brünett, strahlende Augen, das T-Shirt so eng, dass ich seine Brustwarzen erkennen konnte.

„Ich hab dich hier noch nie gesehen.“

Er war bestimmt 7 oder 8 Jahre älter als ich; wie ich später erfuhr, hatte er im Sommer seinen 26. Geburtstag gefeiert.

„Ich... war noch nie hier.“

„Willst du tanzen?“

Ich nickte einfach, folgte ihm, obwohl André, der es sich mit Micha zur Aufgabe gemacht hatte, auf mich aufzupassen, mich am Arm festhielt und mir einen besorgten Blick zuwarf. Ich wollte mit diesem Mann tanzen, wollte ganz nah bei ihm sein, und als er mich dann in mitten all dieser Männer und Jungen küsste, herrschte in meiner Hose endgültig Alarmstufe rot. Ich spürte, wie mein Mordsständer in meine Jeans tropfte; und es war mir peinlich, als Clemens mir mit einer Hand in den Schritt fasste, meine Erektion bemerkte und mich angrinste.

„Bist du mit dem Auto hier?“, fragte er.

„Nein- ich“, stammelte ich. „Ich hab noch keinen Führerschein.“

„Wohnst du allein?“

Verlegen schüttelte ich den Kopf. Ich fühlte mich wie ein Kind.

„Dann magst du vielleicht mit zu mir kommen?“

Jetzt ein schüchternes Nicken meinerseits.

„Okay, dann komm!“

Wir holten unsere Jacken fuhren mit der U-Bahn zu ihm. Ich war nervös, die ganze Fahrt über, wollte seine Hand halten, traute mich aber nicht.

Seine Wohnung im ersten Stock war modern eingerichtet. Clemens bot mir etwas zu trinken an. Cola mit Rum. Wir tranken jeder ein Glas, dann setzte er sich aufs Bett und klopfte mit der Hand neben sich.

„Komm zu mir.“

Natürlich folgte ich dieser Aufforderung. Wir küssten uns, innig, tief, immer wilder, Clemens drückte mich auf den Rücken aufs Bett, streichelte mich. Er erregte mich wahnsinnig, und wieder hatte ich dieses peinliche Kribbeln im Bauch, als er meine Hose öffnete und über den feuchten Fleck in meinen Boxershorts streichelte.

Irgendwann waren wir nackt.

„Ich- hab das noch nie...“, stotterte ich, als er auf mir lag, seine feste, warme, feuchte Latte an meinen Oberschenkel gepresst und seine Lippen an meinem Hals.

„Ist okay, ich zeig dir, wie’s geht“, erwiderte Clemens.

Er führte mich. Ganz vorsichtig drang er in mich ein. Ich war anfangs viel zu verkrampft, und es tat weh.

„Entspann dich“, waren Clemens’ Worte. „Mach dich locker und lass dich einfach fallen.“

Und das tat ich.

Am nächsten Morgen erwachte ich in einem fremden Bett. Allein. Ich stand auf, fand meine Boxershorts auf dem Boden, zog sie an und machte mich auf die Suche nach einem Badezimmer. Schnell wurde ich fündig, erledigte mein Geschäft und wusch mir das Gesicht.

„Kaffee?“

Er erschreckte mich, doch sein Lächeln beruhigte mich schnell und ich folgte ihm in die Küche. Ein Croissant und eine Tasse Kaffee wanderten in meinen Magen, dann war es Zeit für mich zu gehen.

„Sehen wir uns wieder?“, fragte ich, als ich im Hausflur stand.

„Nein“, lächelte er, und zu meinem Erstaunen tat es gar nicht weh.

„Okay“, war meine Antwort, dann ging ich. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Micha ist pünktlich. Seit sein Freund sich vor 3 Monaten von ihm getrennt hat, ist er noch dünner geworden und sieht oft krank und blass aus. Aber heute ist diese Blässe mit einer Schicht Make-up bedeckt, und der dünne Körper steckt in einem durchsichtigen, hautengen T-Shirt und dazu passenden schwarzen, engen Hosen.

„Loki!“ Er umarmt mich und drückt mir ein Küsschen auf jede Wange. „Wie geht es dir?“

„Geht so“, antworte ich knapp und gehe um mein Auto herum, öffne die Fahrertür und steige ein. „André zieht mit Alex zusammen. Nächsten Monat schon. Schöne Grüße übrigens.“

„Ja, ich weiß.“ Micha hat neben mir auf dem Beifahrersitz Platz genommen und schnallt sich an.

„Du hast das gewusst?“

„Ja“, nickt er. „Seit zwei Wochen schon. Alex hat genug von seiner WG und deshalb haben die beiden angefangen, sich ein Nestchen zu suchen!“

Beim Reden fuchtelt er mit seinen Händen herum. 25 Jahre alt und immer noch so tuntig, wie ich ihn vor 5 Jahren kennen gelernt habe!

Ich bin wütend. Warum hat André Micha eingeweiht, aber mich noch nicht?

„Es ist unfair.“

„Was ist unfair?“

„Dass er es allen gesagt hat, nur mir nicht! Er geht einfach weg und lässt mich sitzen, von heute auf morgen!“

„Ich hab es gewusst, richtig. Und die beiden Täubchen selber. Ansonsten niemand. Nicht einmal die Eltern von unserem Andrélein waren eingeweiht, Cheri.“

Meine Hände klammern sich fest ums Lenkrad. Ich starre fest auf die Straße, nehme jede Kurve hart, bremse viel zu abrupt. Micha quietscht panisch neben mir.

„Du wirst uns noch umbringen!“

Ich lenke den Wagen in eine Parklücke.

„Komm, steig aus“, sage ich zu Micha und löse meinen Gurt. „Jetzt wird gefeiert!“

Es ist voll, wie jeden Samstag. Den ganzen Tag war es heiß, und dementsprechend fallen auch die knappen Outfits der Anwesenden umso spärlicher aus. Viele haben ganz auf Oberbekleidung verzichtet und nur ihr knappstes Höschen an.

Micha sucht sich einen Platz in der hintersten Ecke. Das ist sonst nicht seine Art. Er macht gern die Nacht zum Tag und verbringt sie auf der Tanzfläche. Doch seit der Trennung von Lennart hat er sich verändert.

Ich begrüße einen Bekannten, wechsele ein paar Worte mit ihm. Dann gehe ich zu Micha herüber. Er sitzt da, nuckelt an einem Cocktail und versucht glücklich auszusehen, was ihm nur mäßig gelingt.

„Bleibst du jetzt den ganzen Abend da?“, will ich von ihm wissen.

„Ich denke“, nickt er, ohne mir in die Augen zu sehen. Ich ziehe mein T-Shirt aus und drücke es ihm in die Hand.

„Dann halt das. Das war teuer.“

Mit nacktem Oberkörper und in engen Jeans tauche ich in die Menge ein, bewege mich zur Musik, werde eins mit ihr, vergesse meinen Frust und meine schlechte Laune. Männer tanzen mich an, ich tanze Männer an, bis ich völlig verschwitzt und außer Atem bin. Mein aktuelles Gegenüber heißt Leander, hat dunkelblonde kurze Haare, einen wohlgeformten Körper und bewegt sich auf der Tanzfläche wie ein junger Gott. Ich schätze ihn auf 20, 21, auf jeden Fall jünger als ich selbst.

„Willst du was trinken?“, schreie ich ihn an, versuche gegen die laute Musik anzukommen.

„Was?“ Ich sehe eher, was er sagt, als das ich es verstehen kann. Ich greife ihn an seinem nackten Oberarm, ziehe ihn ein Stückchen mit mir, deute in Richtung Bar und sehe ihn fragend an. Leander nickt und lächelt.

Bei einem Cocktail ruhen wir unsere müde getanzten Körper aus, unterhalten uns ein wenig. Er erzählt vom Studium, ich höre ihm nur halb zu. Mein Interesse richtet sich eher auf seinen nackten Oberkörper, die kleinen, dunklen Brustwarzen, die glatt rasierte Brust, den Bauchnabel. Sein Körper glänzt vom Schweiß. Ich rücke neben ihn, lege ihm den Arm um die Hüften.

„Die sind hier echt lecker, die Cocktails.“ Er stellt sein Glas ab. Ich beuge mich vor, rieche an seinem Hals, sauge seinen Geruch ein, küsse die feuchte, leicht salzige Haut.

„Hier ist noch was ganz anderes sehr lecker“, hauche ich ihm ins Ohr. Ich beginne, sein Ohrläppchen zu küssen, mit den Lippen sanft daran zu zupfen. Seine Hand legt sich auf meinen Rücken, streichelt mich, greift mir an den Hintern, ich sehe ihn an, dann spüre ich seine Lippen auf meinen, seine Zunge drängt sich in meinen Mund. Ich empfange sie, umspiele sie mit meiner, fahre mit der Hand über seinen Oberkörper.

Ich ziehe ihn auf meinen Schoß. Er wird meine Erektion spüren, aber peinlich ist es mir nicht mehr. Leander hat auch eine, ich spüre die feste Beule, als ich seinen Oberschenkel nach oben bis zu seinen Schritt abtaste. Jetzt legt er seine Beine rechts und links um mich, die Arme um meinen Hals, ich knete seine Backen. Wir knutschen immer noch, er spielt an meinem Piercing, das ich in der rechten Brustwarze trage. Ich küsse seinen Hals, runter über sein Schlüsselbein, lecke über seine Nippel, sauge daran.

In mir wächst der Drang, Leander einfach die restliche Kleidung, die er trägt, vom Leib zu reißen und über ihn herzufallen.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, keucht Leander in mein Ohr: „Willst du mit zu mir kommen?“

„Ja“, nicke ich. Er steht auf, deutet mir mit einer Kopfbewegung an, ihm zu folgen.

„Moment“, sage ich, sehe mich nach Micha um. Ich entdecke ihn nicht weit von uns. Mein T-Shirt liegt neben ihm, und in der Hand hält er ein Glas Cola.

Ich hole mir mein T-Shirt, ziehe es über.

„Kommst du nach Hause?“, frage ich Micha, der zuckt mit den Schultern. Ich greife in meine Hosentasche, werfe ihm den Schlüssel meines Audis zu. Gekonnt fängt er ihn auf.

„Hier. Bring ihn morgen einfach ’rum, stell ihn bei uns vor die Tür. Wenn keiner da ist, schmeiß den Schlüssel in den Briefkasten. Ich hau ab. Ich hab da was Interessantes entdeckt.“ Ich grinse und zeige mit dem Kopf auf Leander, der ein paar Meter von uns entfernt steht und auf mich wartet.

„Viel Spaß!“, höre ich Micha mir nachrufen.

Wir fahren mit der U-Bahn, dann einige Stationen mit dem Bus. Die ganze Fahrt über knutschen wir, fummeln aneinander herum. Ich kann es kaum erwarten, endlich bei ihm anzukommen.

Seine Wohnung ist im Dachgeschoss, wir müssen einige Treppen steigen, bis wir oben sind. Ich ziehe meine Schuhe aus, werfe sie einfach zu Boden. Meine Socken folgen ihnen, dann mein T-Shirt, mein Gürtel, Leanders Hose, meine Hose... Unsere Klamotten bilden eine perfekte Hänsel-und-Gretel-Spur ins Schlafzimmer, wo wir uns unserer letzten Kleidungsstücke entledigen.

Wir wälzen uns auf dem Bett, knutschen. Ich sauge an seinem steifen Glied, lecke über seinen erregt zuckenden After, knete seine Bäckchen dabei. Er stöhnt, krallt sich im Laken fest.

„Hast du Gummis?“, will ich wissen.

„Da in der Schublade.“ Er deutet auf seinen Schreibtisch. Ich klettere vom Bett, hole ein Kondom aus dem Schubfach und lege mich neben Leander.

„Zieh’s drüber“, bittet er mich, sieht mir dabei tief in die Augen. Seine Hand streicht über meine Brust, herunter über meinen Bauch bis zu meinem Penis, der hart und feucht nach oben ragt.

„Und dann fick mich.“

Ich lege mich auf ihn, küsse ihn, unsere Schwänze reiben aneinander. Sein Stöhnen macht mich noch schärfer, und mein Stöhnen heizt ihn an. Er schlägt seine Beine über meine Schultern, streichelt meinen Hinterkopf mit den Füßen.

„Komm!“ Er grinst frech und versaut, die dunkelblonden Haare kleben ihm an der Stirn. Ich zwinkere ihm zu, öffne die Kondomverpackung, rolle mir das Gummi über. Vorsichtig gebe ich Gleitgel auf seinen After. Leander stöhnt auf, als ich mit zwei Fingern in ihn eindringe, um das Gel zu verteilen.

Er greift nach der Flasche, schmiert meinen Schwanz ein. Es fühlt sich gut an, ich kann es kaum erwarten, endlich in ihm zu sein.

Ich nehme seine Beine, lege sie hoch, auf meine Schultern, halte ihn an den Schenkeln. Mit einem Ruck gleite ich in ihn hinein. Sein Gesicht verzerrt sich vor Schmerz und Lust, er stöhnt, keucht.

„Alles okay?“

„Ja, mach weiter.“

Leander legt seine Hände auf meinen nackten Hintern, zieht mich nah an sich heran. Er bewegt sich mit mir, wirft den Kopf zurück, drückt seine Hüfte in meine Richtung.

Meine Stöße werden heftiger, schneller. Leander zieht mich zu sich herunter, wir küssen uns, sein Glied wird zwischen unseren Bäuchen gerieben. Nicht mehr lange, dann werde ich kommen.

Noch ein paar kräftige Stöße, dann sinke ich erschöpft über Leander zusammen. Ich rolle mich neben ihn, ringe nach Atem. Ich bin nass geschwitzt, fühle mich angenehm entspannt. Feucht glänzt Sperma auf seinem Bauch, ich kann erkennen, wie die Bauchdecke sich gleichmäßig hebt und senkt. Irgendwo hat er ein Taschentuch hergeholt, wischt sich sauber, dann spüre ich seine Hand auf meiner Schulter. Sanft streichelt er mich. Ich werde müde, langsam fallen mir die Augen zu...

Lesemodus deaktivieren (?)