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Frinton

Teil 1 - Böses Erwachen

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Ich renne. Wie ein Verrückter. Ich höre ganz deutlich die Schritte hinter mir, aber ich kann einfach nicht schneller! Da hinten, am Ende der Straße, steht ein Haus, und die Tür steht weit offen. Ob ich mich da rein retten kann? Ich will nicht, dass er mich fängt!

So schnell mich meine Füße tragen haste ich über den Asphalt. Es sind nur noch wenige Meter bis zu meinem rettenden Unterschlupf, aber die Schritte werden lauter, er keucht angestrengt.

„Bleib stehen!“, ruft er.

„Nein“, murmle ich panisch. „Nein, nein, nein, nicht…“

Plötzlich sehe ich, wie die rettende Tür sich langsam schließt. Ich nehme meine letzte Kraft zusammen, das kann ich noch schaffen! Hechelnd setze ich zum Sprung an, das schaff ich noch, ich bin-

WUMM!

„Jetzt hab ich dich.“

„NEIN!!!“

Mit rasendem Herzen schrecke ich hoch. Wo bin ich? Wo ist mein Verfolger? Wo ist die Tür? Um mich herum ist alles dunkel. Oh verdammt, es war nur ein Traum…

Ich lasse mich zurücksinken, schließe die Augen und versuche, mich zu beruhigen. Mein Herz hämmert in meiner Brust, aber ich merke, dass ich runterkomme. Wie spät es wohl sein mag? Ich trau mich gar nicht, wieder einzuschlafen. Der Traum war echt beängstigend. Ich weiß gar nicht mehr, wie er begonnen hat. Auf einmal war jemand hinter mir gewesen, hatte mir Angst eingejagt, und ich war losgestürmt. Gesehen hab ich ihn allerdings nicht…

Mittlerweile schlägt mein Herz wieder auf Normalfrequenz und ich spüre die Müdigkeit im ganzen Körper.

„Haaaaaargh!“ Erst mal gähnen und strecken, und dann… huch, was ist das denn Warmes in meinem Rücken? Ach, mein Freund schläft also noch, dieser Faulpelz. Ich muss im Schlaf doch ganz schön gestrampelt haben. Aber mein treuer Gefährte hat sich davon wohl nicht stören lassen.

Noch ein wenig schlaftrunken torkle ich aus unserem gemütlichen Kuschelnest, tapse über den Flur bis ins Wohnzimmer. Der Weg ist ewig lang… Manchmal ist mir diese Wohnung ja fast zu groß. Auf der anderen Seite ist so viel Platz natürlich super. Das hat nicht jeder!

Durchs Fenster kann ich die ganze Stadt sehen, bis zum Ende der Welt. Da, wo die Sonne jeden Abend verschwindet. Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, hat mir das richtig Angst eingejagt. Hatte Bedenken, der große helle Kreis wär jetzt für immer verschwunden. Sah ja schon den ganzen Tag über so krank aus, das Ding. Strahlte erst irrsinnig hell und weiß und wurde dann immer gelber, rötlicher, schwächer, sackte ab. Dabei hat es den ganzen Himmel mit eingefärbt, alles da oben war orange. Und dann wurde es dunkel. Aber bisher ist die Sonne ja immer wieder aufgetaucht.

Auf dem Boden finde ich einen Kräcker. Wer hat den denn da liegen gelassen? Nicht lange drüber nachdenken, einfach wegmampfen, bevor mein Freund Baxter ihn findet. Der steht total auf Kräcker. Eigentlich steht er auf alles Essbare… Was man ihm durchaus auch ansieht. Er hat ordentlich Speck angesetzt. Vielleicht ist er auch deswegen so faul. Ich sollte ihn mehr scheuchen. Fast jeden Tag gehen wir spazieren, und er trottet meist einfach nur so vor sich hin. Aber ich, ich will die Welt entdecken. Auch mal zwischen den Bäumen herlaufen und nicht immer nur auf den Fußgängerwegen! Aber für so was ist Baxter einfach nicht zu begeistern.

Zusammen mit meinem Kräcker kuschle ich mich auf die Couch und schaue mir die Stadt von oben an. So viele bunte Lichter… Ich frage mich, was passiert, wenn es mal einen riesigen Knall gibt und der Strom für einen ganzen Tag ausfällt. Mir würde das glaub ich gar nicht so viel ausmachen. Aber für die ganzen Menschen da unten, die um die Uhrzeit noch da draußen sein müssen, wäre das mit Sicherheit eine Katastrophe.

Ich hör den Kühlschrank summen. Leise nur, aber durchdringend und nervig. Stört meine Idylle grad irgendwie. Aber den Stecker ziehen kann ich nicht. Der ist irgendwo hinter der Küchenzeile in der Wand.

Mittlerweile ist der Kräcker vollständig in meinem Magen verschwunden. Hmmm, Baxter muss hier gelegen haben, das Couchkissen riecht noch total nach ihm. Gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit, obwohl ich alleine bin. Ob ich mich wieder zu Baxter schmusen soll? Nein, lieber nicht. Die Couch ist viel bequemer.

Zufrieden lege ich meinen Kopf auf das weiche Kissen und schließe die Augen. Moment mal… hat es da nicht gerade geknistert? Und es riecht nicht nur nach Baxter. Es riecht auch verdammt nach Kräckern! Neugierig hebe ich den Kopf, schiebe das Kissen beiseite. Hey, wer hat denn die Kräckertüte da versteckt? Das war bestimmt Pascal. So was ist nur dem zuzutrauen! Er ist ja ein ganz netter Kerl, aber als Mitbewohner oft völlig ungeeignet. Und ständig versteckt er Chips oder Kräcker, damit Baxter sie nicht findet. „Du bist schon fett genug“, sagt er dann immer und sperrt den Knabberkram im Schrank ab. Aber hat Pascal wirklich gedacht, er könne eine offene Tüte Kräcker vor Baxter verbergen, indem er sie unters Sofakissen legt?

Mir ist das ja auch total gleichgültig. So ein kleiner Mitternachtssnack ist doch sehr angenehm, also bediene ich mich am Salzgebäck. Die Dinger sind wirklich vorzüglich! Pascal wird mich hassen, wenn er morgen früh sieht, dass ich die Polster vollgekrümelt habe. Aber soll er schimpfen.

Nach einer guten Hand voll habe ich genug. Mein Bauch spannt schon; bevor ich mich überfresse und meinen Magen hier entleere, sollte ich lieber aufhören. Wenn ich die Couch voll kotze, schmeißt Pascal mich ganz bestimmt raus. Das Ding ist sein Heiligtum.

Ich lasse die offene Tüte einfach auf der Couch liegen, strecke mich und drücke meine Nase wieder in das Kissen, das so vertraut nach Baxter riecht. Hier einfach liegen bleiben und erst aufstehen, wenn die ersten Sonnenstrahlen mich in der Nase kitzeln… Ein voller Magen macht mich immer so furchtbar müde. Sogar an das eintönige Brummen aus der Küche habe ich mich gewöhnt. Wenn mein Mund nur nicht so verdammt trocken wär… Das ist der Nachteil beim Knabberzeug: man kriegt so einen furchtbaren Durst davon. Aber jetzt aufstehen und in die Küche gehen, wo mein Wasser steht, dazu bin ich eigentlich viel zu bequem. Ich lasse meinen Blick durchs dunkle Wohnzimmer wandern. Schon langweilig… jetzt häng ich hier. Bloß nicht an meine trockene Zunge denken. Wenn wenigstens Baxter wach wäre! Aber den will ich jetzt auch nicht wecken. Ob ich mir ein paar DVDs angucke? Das Fach unter dem Fernseher ist voll mit bunten Plastikhüllen voller glänzender Scheiben. Als ich das letzte Mal da dran war, ist Pascal ziemlich ausgerastet, weil ich die DVDs aus- aber nicht wieder eingeräumt habe. Aufräumen macht mir eben keinen Spaß! Das sollte er doch verstehen. So, wie es manchmal in seinem Schlafzimmer aussieht, ist er auch nicht gerade der Ordnungsfanatiker.

Nein, so klappt das nicht. Ich brauch ganz dringend was zu trinken, sonst verdurste ich, ganz sicher! Also rutsche ich nun doch von meinem gemütlichen Schlummerplatz, mache mich auf den Weg in die Küche, finde mein Wasser und stille meinen Durst. Einen ganzen See könnte ich trinken, so ausgetrocknet fühle ich mich. Schluck für Schluck wandert kühles Nass durch meine Speiseröhre. Herrlich, wie gut das tut!

Zufrieden wische ich mir die letzten Tropfen aus dem Bart. Die Fliesen unter meinen Füßen sind echt kalt, lange will ich hier nicht mehr stehen. Aber… was mach ich jetzt? Meine kalten Füße an Baxter aufwärmen und einfach weiterschlafen? Mich wieder aufs Sofa legen und dort den Rest der Nacht verbringen? Oder doch die DVD-Sammlung auseinander nehmen? Unentschlossen wandere ich durch die Wohnung, drehe eine Runde durchs Wohnzimmer, setze mich einen Moment auf den weichen Flokati neben die Couch. Das Ding ist riesig. Pascal hat es eines Tages aus einem schwedischen Möbelhaus mitgebracht, seitdem dient es mir als Sitzgelegenheit. Hier liege ich, wenn wir zusammen fernsehen, hier breite ich mich aus, wenn die Sonne durch die großen Fenster direkt auf diese Stelle scheint und ich die Strahlen genießen möchte, und hier sitze ich, wenn ich nachts aus einem Albtraum hochschrecke und nicht mehr schlafen kann…

Mir ist es eindeutig zu still in der Wohnung. Ich höre die Uhr auf dem Fernseher ticken, der Kühlschrank ist immer noch nicht leiser geworden und von draußen dringen leise Geräusche von der Straße herein. Ansonsten ist da nichts. Und das Nichts rauscht in meinen Ohren… Halb zwei zeigt die Uhr an. Na, da weiß ich jetzt wenigstens, wie spät es ist. Ich lehne meinen Kopf gegen das Sofa, schließe die Augen und konzentriere mich abwechselnd intensiv auf die einzelnen Geräusche. Es ist so richtig schön langweilig… Ich glaub, ich kuschle mich doch wieder zu Baxter. Wenn ich vorsichtig bin, wecke ich ihn auch nicht auf und finde in seiner Nähe vielleicht ein wenig ruhigen Schlaf. Noch so einen Albtraum kann ich nicht gebrauchen.

Als ich in den Korridor komme, sehe ich durch den Türspion Licht vom Flur hereinfallen. Wer ist denn um die Zeit noch da draußen? Es ist nicht mal Wochenende, da gehört man doch ins Bett! Ich höre Schritte auf der Treppe, die näher kommen. Der Nachbar von unten drunter?

Das Licht geht aus, aber die Schritte verstummen nicht, nein, sie kommen sogar direkt auf unsere Etage zu! Zwei Füße stellen sich auf die Fußmatte vor unserer Tür, es knarzt leise. Besuch für Pascal? Kann ja eigentlich nicht sein, der hätte doch unten schon geklingelt. Das ist mir alles nicht geheuer… So leise ich kann schleiche ich zurück ins Wohnzimmer, verstecke mich hinter der Wand und luge vorsichtig in den Korridor.

Es klappert am Schloss. Wer auch immer da draußen ist, macht sich gerade an unserem Schloss zu schaffen! Dann klackt es, und die Tür geht auf. Er hat einen Schlüssel!

„Pascal?“, frage ich zitternd und drücke mich ganz nah an meine schützende Wand. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber es muss doch Pascal sein. Oder hat er seinen Schlüssel abgegeben, einen Nachschlüssel machen lassen? „Bist du’s, Pascal?“

Ich kriege keine Antwort. Und die will ich auch gar nicht mehr. Das ist nicht Pascal! Das ist nicht Pascals Jacke, das sind nicht seine Schuhe, und Pascal liegt doch im Schlafzimmer und schläft! Panisch stürze ich hinters Sofa und kauere mich dort zusammen. Die fremden Füße wandern durchs Wohnzimmer, ganz nah an mir vorbei.

„Geh weg…“, wimmere ich leise. Was will der hier? Meine Herzfrequenz ist um das mindestens zehnfache angestiegen, jedenfalls fühlt es sich genau so an.

„Ich hab dich längst gesehen.“

„AAAHH!“

Plötzlich ist da sein Gesicht direkt vor meinem. Gleich strull ich mich ein! Ich kann nicht erkennen, wer es ist. Er trägt eine dunkle Mütze und hat sich einen schwarzen Schal so um den Kopf gewickelt, dass nur noch seine Augen zu sehen sind. Pascals Augen sind das wirklich nicht.

„W- w- was willst du hier? W- wer bist d- du?“

Statt mir zu antworten, langt er mit seiner Hand zu mir herüber und streicht mir durch die Haare. Das soll er lassen!

„Du bist schön still, dann hab ich auch was für dich.“

Still sein? Ich will am liebsten laut kreischen und um Hilfe rufen! Der Kerl ist mir nicht geheuer.

„Hier, schau.“

Er holt ein Stück Wurst aus seiner Hosentasche. Handschuhe trägt er, aus schwarzem Leder.

„Ich will das n-“ Bevor ich ausreden kann, stopft er mir das Wurststück in den Mund. Angewidert spucke ich es wieder aus. Der spinnt doch total! Was soll der Scheiß?

„Verschwinde, oder ich schreie!“, keife ich ihn an. „Du hast hier nichts verloren!“

„Hey, nicht so aggressiv.“ Spinn ich oder grinst er? Seine Augen zeigen eindeutig, dass er mich nicht ernst nimmt. „Und jetzt sei schön lieb.“ Mit einem kräftigen Griff stopft er mir die Wurst zwischen die Zähne und hält mir Mund und Nase zu. Nicht doch! Ich krieg doch keine Luft mehr! Zappelnd versuche ich, ihn von mir wegzudrücken, aber er ist viel stärker als ich. Ich muss atmen! Ich brauch Luft! Das Wurststück rutscht durch meine Speiseröhre. Scheiß Reflex!

„So ist fein.“ Endlich lässt er mich los, Luft strömt durch meine Nase.

„Arschloch! Was hast du mir da gegeben? Was war das? Antworte mir!“

„Gute Nacht.“ Er zwinkert mir zu. Gute Nacht? Das ist keine Antwort auf meine Frage! Er ignoriert mich einfach, richtet sich auf und geht.

„Hey!“, brülle ich und krieche hinter der Couch hervor. „Verschwinde!“ Was ist das denn? Vor meinen Augen verschwimmt alles… Und wo ist er hin? Hey, ich hab ihn verjagt! Ich kann ihn nicht mehr sehen. Aber mein Kopf ist so schwer… Was ist nur los? Alles ist so bunt und verschwommen… Meine Beine sind ganz weich, ich muss mich hin…le…gen…


Verdammt… mein Kopf… Hab ich etwa wieder Bier getrunken? Ich sollte doch wissen, dass ich das nicht vertrage… Wie- wieso lieg ich denn im Wohnzimmer auf dem Boden? Oh Gott ist das hell, ich muss wirklich viel getrunken haben! Es ist sicher mitten am Tag.

Ich blinzle in Richtung Fernseher, reibe mir über die Augen. Bald eins am Mittag! Ooohh… ich kann kaum aufstehen. Alles tut mir weh… Aber… warum bin ich alleine? Ganz langsam wuchte ich mich auf die Füße und torkle zu Baxters und meiner Schlafstätte. Der pennt noch, war ja klar.

„Baxter?“, flüstere ich leise, er antwortet mit einem tiefen Seufzen. Na gut, lass ich dich halt weiterschlafen. Und Pascal? Das ist total untypisch für ihn, um die Zeit noch in den Kissen zu liegen. Oder ist er schon unterwegs? Aber dann hätte er mich doch geweckt!

Jeder Schritt tut in meinem Kopf unheimlich weh, und mir ist schwindelig. Die Müdigkeit steckt mir tief in den Knochen, am liebsten würde ich mich einfach wieder hinlegen. Die Nacht hat mich wirklich geschlaucht, gleich zwei Albträume hintereinander…

Moment mal! Das… das war kein Traum! Dieser Kerl, der mitten in der Nacht einfach in die Wohnung kam, das hab ich nicht geträumt! Er kam hier rein, die Wurst, die er mir gegeben hat… die war vergiftet! Er hat mich außer Gefecht gesetzt und bestimmt die ganze Wohnung ausgeräumt! Ich muss Pascal finden, ich muss schauen, was alles geklaut wurde, wir müssen die Polizei holen!

„Pascal!“ Ich stolpere fast über meine eigenen Füße. „Pascal, es ist jemand eingebrochen!“ Die Tür zu seinem Zimmer steht offen, ich stürze herein. „Pascal! Wach auf! PASCAL!“ Pascal liegt auf dem Bauch. Sein rechter Arm hängt aus dem Bett auf den Boden. Nur spärlich dringt Sonnenlicht durch die Rippen der Jalousien herein.

„Wach auf, Pascal!“ Ich zerre an seiner Decke, aber Pascal rührt sich nicht. „Du musst sofort aufstehen, Pascal!“ Seine Hand ist ganz kalt. Und was ist das da? Vorsichtig streiche ich über den Fleck auf dem Boden. Oh nein… Das… ist das Blut?! Mit einem Satz lande ich neben ihm auf der Matratze, rüttle an ihm, aber er regt sich immer noch nicht.

„Pascal! Pascal, Pascal!!!“ Jetzt kann ich das rote Zeug auch überall an seinem Kopf und auf dem Laken erkennen. Seine Haare sind ganz verklebt, seine Augen geschlossen. Nein!

Ich springe von seinem Bett auf den Boden, stürme los.

„Baxter!“, kreische ich im Rennen. „Baxter! Pascal!“ Fast werfe ich Baxter aus dem Bett, als ich mit Schwung versuche, ihn zu wecken. „Baxter!“ Er wird doch nicht auch…? Nein, das kann nicht sein. Er hat vorhin doch noch geatmet. Und von Blut ist hier auch nichts zu sehen. Dieser fette Schlafsack! Ich setze mich oben auf ihn drauf und beiße ihm ins Ohr.

„Aaah!“ Na bitte, er ist wach. Und schleudert mich in hohem Bogen aufs harte Parkett. „Was? Wer? Wie? Wo? Warum?“

„Baxter!“ Ich rappele mich auf. „Baxter, Pascal ist tot. Er wurde ermordet!“

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