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Glühwein und Weihnachtsengel

Weihnachtschallenge 2007

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Beitrag zur Weihnachtschallenge 2007

 

Brrr. Kalt. Zitternd schloss ich die Wohnungstür. Winter... einfach nicht meine Jahreszeit. Überall dieser Schnee, die hektischen Menschen in der Stadt, die panisch versuchen, ihre Weihnachtseinkäufe zu erledigen... und habe ich den Schnee und die Kälte erwähnt? Es war der 23.12., also quasi fünf vor zwölf... und warum konnte dieser Idiot von Zeitungszusteller das Schmierblatt nicht in den zweiten Stock hochtragen anstatt es einfach nur im Erdgeschoss in den Flur zu schmeißen? Und warum zum Kuckuck bin immer ich der Trottel vom Dienst, der runter latscht und das Ding holt? Mürrisch werfe ich die Zeitung auf den Tisch in unserer kleinen Küche, nachdem ich die Wohnungstür lautstark zufallen habe lassen. Ein Blick aus dem Fenster bestätigt mir, was ich vor ein paar Minuten noch am eigenen Leib erfahren musste. Es hat in der Nacht wieder Unmengen geschneit. Aus dem zweiten Stock unserer Wohnung habe ich einen perfekten Blick auf das Grundstück unseres allseits beliebten Nachbarn, dessen Garten mit einer grässlich, blendenden weißen Schneedecke bedeckt war.

Ich schlinge meine Arme um meinen Körper, werfe einen nachdenklichen Blick auf die Kaffeemaschine und überlege es mir doch anders. Ich mache heute Blau. Mit einem riesigen Grinsen und einem leicht angehauchten kindlichen Gefühl der Vorfreude latsche ich in mein Zimmer zurück. Es ist der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien und nur, weil ich da nicht erscheine, wird die Welt nicht untergehen und das Schulgebäude wird auch im neuen Jahr noch an derselben Stelle stehen. Auf dem Weg zu meinem Bett fische ich noch eine vereinsamte schwarze Socke vom Boden. Eigentlich hatte ich für gestern Abend vorgehabt, das Gegenstück zu suchen. Ich hebe leicht meine Schultern an und stopfe dann das Stück Stoff unter mein Bett zu den ganzen anderen einzelnen Socken. Mit einem mehr als nur zufriedenen Seufzen kuschle ich mich unter die noch leicht warme Decke.

Ein penetranter Ton reißt mich aus einem wirklich wundervollen Traum. Ungeschickt und mit geschlossenen Augen versuche ich mein Handy irgendwie zu erhaschen und stopfe es einfach unter mein Kissen, als ich es endlich zwischen die Finger bekomme. Mist aber auch! Das Kissen unterdrückt zwar den Ton einigermaßen, nur durch den scheiß Vibrationsalarm werde ich ständig am Ohr gekitzelt.

Mit einem: „Scheiß neue Technik“, hole ich das kleine, nervige Ding wieder hervor und nehme das Gespräch blind entgegen. Noch bevor ich ‚Hallo‘, ‚Ja‘ oder was auch immer sagen kann, schallt mir ein verdammt fröhliches Hallo entgegen. Manchmal hasse ich meine Freunde, aber vor allem dann, wenn sie so beschissene gute Laune haben, wenn ich gerade schlafen oder den guten Tag einen guten Tag sein lassen will.

„Du verpasst gerade kurze schwarze Haare, absolut hinreißende grüne Augen, einen grauen Rollkragenpullover und perfekt sitzende Jeans“, quietschte mir Laras ekelhaft heitere Stimme aus dem Telefon entgegen.

Natürlich bin ich bei der Stimmlage sofort hellwach und sitze kerzengerade im Bett. Mein Blick huscht panisch in meinem Zimmer hin und her, bis er endlich an der Digitalanzeige meiner Uhr hängen bleibt. Es ist gerade einmal zehn Minuten nach Zehn. Irritiert runzle ich die Stirn: „Was macht ihr jetzt schon dort?“

Im Hintergrund konnte ich die Anderen aus der Clique hören. „Hoffmann macht einen auf krank. Du verpasst, wie immer, das Beste“, erklärte mir Lara. „Mach dich auf die Socken oder du siehst ihn dieses Jahr nicht mehr“ Gleich danach legte sie auf und ließ mir nicht einmal die Möglichkeit eines Protestes. Was natürlich eh nicht passiert wäre, aber trotzdem sehe ich mein Handy etwas verdattert an ehe ich tatsächlich in die Gänge komme und aus dem Bett hüpfe.

Wie bei meiner Schussligkeit nicht anders zu erwarten, verheddere ich mich auch gleich in meiner Decke. Ich vollführe eine 10-Punkt-Knielandung auf meinem Teppich, aber nicht ohne mir zuvor noch mein Schienbein am Bett zu stoßen. Nicht zu vergessen die herrliche Beule auf meiner Stirn, die ich dem Fußteil meines Bettes zu verdanken habe. In Zukunft schlafe ich auf dem Boden und schmeiße das verdammte Bett aus dem Fenster. Fluchend wie ein Rohrspatz und auf einem Bein hüpfend, versuche ich ins Bad zu kommen. Allerdings muss ich auf halben Weg noch einmal kehrt machen, weil ich wieder einmal die Hälfte vergessen habe. Beziehungsweise habe ich dieses Mal gleich gar nichts mitgenommen. Also das Ganze noch einmal von vorne, aber dieses Mal ohne eine akrobatische Einlage. Eine Viertelstunde später wickle ich mir dann endlich meinen Schal um den Hals und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Nicht, dass ich mich wahnsinnig darauf freue, jedem meine Beule auf der Stirn zu präsentieren, einmal von den netten und aufbauenden Worten abgesehen, die meine Freunde für meine Tollpatschigkeit übrig haben werden. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich sie manchmal hasse?

Ich verziehe mein Gesicht, als ich die Haustür öffne und gleich von einem Schwall eiskalter, frischer, nach Schnee riechender Luft begrüßt werde. Kurz sehe ich sehnsuchtsvoll zur Treppe zurück, die mir einladend zuzuwinken schien - wenn sie das denn könnte. Ich entscheide mich allerdings gegen die Wärme meines Bettes und stampfe mies gelaunt durch den Schnee in Richtung Bushaltestelle. Eigentlich mag ich den Winter, aber nur wenn ich zu Hause bin, mich mit einer warmen Schokolade oder einem Blutorangentee unter einer Decke an meinen Liebsten kuscheln kann - wenn ich denn einen Liebsten hätte. Aber ganz bestimmt nicht dann, wenn ich mir fast die Nase abfriere.

Es dauert fast eine halbe Stunde, bis ich mich durch die Menschenmenge bis zum Domplatz vorgekämpft habe. Dass ich dabei einige Male meine Ellbogen benutzt und einmal sogar ein kleines Kind fast umgestoßen habe, erwähne ich wohl besser nicht. Es ist nicht schwer meine Freunde zu finden, schon alleine deshalb nicht, weil Michael auch da war, der mit seiner Größe Alles und Jeden überragt. Ich liege mit meinen eins achtzig ja im Durchschnitt, aber der Mistkerl musste natürlich alle übertrumpfen und fast zwei Meter in die Höhe schießen. Ich habe nie nachgefragt, aber ich bin mir sicher, seine Mutter hat ihm Dünger unters Essen gemischt. Lara sieht mich als Erste und wie üblich fuchtelt sie mit ihren Armen wie wild in der Luft herum. Allerdings frage ich mich, wieso sie das tut? Ich meine, Hallo?! Die Tussi hat sich vor einer Woche ihre Haare grün gefärbt, aber nicht irgendein dezentes Grün. Nein, es musste unbedingt in so einen Osterhasengrasgrün sein, dass mir sogar jetzt noch schlecht davon wird. Gut, ich gebe ja zu, dass es zu ihr passt. Sowohl vom Äußeren her, wie auch zu ihrem Charakter, aber konnte es nicht einfach eine andere Farbe sein? Eine normale Farbe, wie Braun, Schwarz, Blond oder Rot vielleicht? Mit einem fröhlichen ‚Hallo‘ springt sie mir an den Hals, als hätte sie mich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Dabei waren wir noch gestern Nachmittag unterwegs. Sie hatte mir netter Weise dabei geholfen ein Geschenk für meine Mutter zu besorgen, ansonsten hätte diese, wie übrigens jedes Jahr, nur irgendein billiges Parfüm bekommen.

Mit einem kurzen Nicken begrüße ich die Anderen aus der Runde und lasse mir von Lara den neuesten Tratsch und Klatsch aus der Schule erklären, während mein Blick fast sofort sehnsuchtsvoll an der Glühweinbude hängen bleibt. Die Anderen halten ihre Tassen bereits in den Händen und wärmen ihre Finger daran, während ich meine eigenen Hände in meine Jackentasche stopfe, damit sie mir nicht abfrieren.

„Dieses Mal bleiben wir aber nicht stundelang hier stehen“, unterbricht Michael einfach Laras Erzählungen, worüber ich ehrlich gesagt nicht einmal traurig bin.

Innerlich äffte ich meinen Freund nach. Ganz so schlimm waren wir dann auch wieder nicht. Gut, wir sind zwar jeden Tag hier und trinken unseren Glühwein auf den Stufen des Doms, während sich unter uns die Menschmenge ständig bewegte, aber stundenlang, wie sich Michael auszudrücken pflegte, waren wir dann auch wieder nicht da.

Ich zucke, auf seine Aussage hin, einfach mit meinen Schultern und schlendere bewusst gelangweilt zum Glühweinstand hinüber. Wie üblich hole ich mir mein warmes Getränk am seitlich gelegenen Fenster ab und nicht Vorne, wo eine riesen Menschentraube lechzend nach Glühwein stand.

Während ich darauf warte, endlich an die Reihe zu kommen, spiele ich mit der Hülse einer leeren Walnuss, die auf dem Boden herumlag. Nur schrittweise geht es voran, weshalb ich die Walnuss auch vorsichtig nach vorne kicke, damit ich etwas zum Zeitvertreib habe und nicht ständig in den Stand hinein starre. Warum müssen die vor mir auch unbedingt Unmengen an Glühwein bestellen? Die sollen sich gefälligst hinter mich stellen. Bleibt nur zu hoffen, dass da auch noch eine Tasse für mich übrig bleibt. Endlich bin ich an der Reihe und hebe meinem Kopf, um meine Bestellung aufzugeben. Bei der Tussi mit den Stöckelschuhen vor mir konnte ich hören, dass sie von einer Frau bedient wurde, umso überraschter bin ich dann, als ich mich dem Mann gegenüber finde, wegen dem ich mich seit fast 24 Tagen hier herumtrieb.

„Glühwein“, bringe ich nach einigen Augenblicken gerade noch so heraus, wofür ich ein Lächeln erhalte. Gott, kann irgendwer bitte dieses Lächeln verschwinden lassen? Da muss man doch einfach weiche Knie bekommen, selbst wenn man noch so stockhetero ist. Ich stelle mich leicht auf die Zehenspitzen und erhasche gerade noch so einen Blick auf einen perfekt geformten Hintern. Gut, dass Jeans das Meiste da hindrücken, wo es hingehört, außer man trägt so eine komische Push-up-Hose, durchschoss es mich gedanklich. Innerlich schüttele ich jedoch den Kopf, das glaube ich dann auch wieder nicht. Ich lege das Kleingeld für meinen Glühwein auf die Theke und nehme die Tasse mit beiden Händen entgegen. Unsere Hände streifen sich kurz, was eine kleine Hitzewelle durch meinen Körper jagt. Beschämt sehe ich auf die Tasse und entferne mich einen Schritt, ehe ich bemerke, dass da ein kleiner Zettel am Henkel meiner Tasse hängt. Verwirrt sehe ich zurück, kann aber den Schwarzhaarigen nicht mehr sehen.

Schnell stelle ich die Tasse auf einem der überfüllten Stehtische ab und löse den Zettel von der Tasse. Die Anderen müssen nicht unbedingt davon wissen und vermutlich ist es nur irgendeine sinnlose Werbung, die ich spätestens zu Hause in den Papierkorb werfen werde. Ich stecke den Zettel in meine Hosentasche und gehe dann wieder zu meinen Freunden zurück. Michaels ständiges Gejammer und Laras Gequatsche über die Klassenschlampe sorgen nach einer Stunde tatsächlich dafür, dass wir uns alle ins ‚republic‘ verziehen, wo es wesentlich wärmer ist und wir uns nicht mehr die Zehen abfrieren. Vorher lasse ich mich noch breittreten und bring die leeren Tassen zurück, wofür ich mir auch den Einsatz einstreife. Alles in allem verläuft der Tag doch noch sehr angenehm und ich habe genug, am Glühweinstand gesehen, um mich zu Hause in meinem Bett in einen schönen Traum vertiefen zu können. Was ich dann auch spät nachts mache, nachdem ich nach Hause gekommen bin. Allerdings nicht, ohne mir von meiner Mutter sagen lassen zu müssen, dass ich morgen bereits um halb sieben – also mitten in der Nacht – mit ihr einkaufen gehen muss. Seitdem einige Geschäfte am 24. schon um sechs Uhr aufsperren, hatte meine Mutter ihre Feiertagseinkäufe auf genau diesen Tag verlegt und ich muss es ausbaden. Wie wunderbar.

Ich brauche am nächsten Morgen beinahe 20 Minuten und hundert Ermahnungen von meiner Mutter ehe ich mich aus dem Bett quälen kann. Ein Blick in den Spiegel bestätigt mir, was mir mein Gefühl sagt. Ich sehe aus wie ein frisch ausgekotztes Apfelmus. Selbst eine Katzenwäsche ändert nichts daran und ich verzichte gleich von vornherein darauf, mir meine Haare zu bürsten. Die machen ohnehin immer nur das, was sie selber wollen. Schnell fahre ich mir mit den gespreizten Fingern durch meine halblange Wuschelmähne und schlurfe mies gelaunt in die Küche. Meine Mum ist wieder einmal frisch und munter und hält mir ihre eigene Kaffeetasse entgegen, aus der ich schlürfend einen Schluck nehme. Mehr Frühstück gönnt sie mir nicht, sondern schleift mich gleich aus der Wohnung, zum Auto und dann ab ins Einkaufscenter. Zumindest erbarmt sie sich im Europark etwas und lädt ihren armen, verzweifelten und noch immer halb schlafenden Sohn in dem riesigen Einkaufscenter zu einem Frühstück ein. Was allerdings nicht heißt, dass das auch in Ruhe geschehen würde.

Ich mag den Europark nicht. Viel zu groß, viel zu laut, viel zu viele Jugendliche und das Wichtigste: Viel zu viele hektische Menschen. Alle, die bisher noch kein Geschenk hatten, kauften spätestens heute eines und die Meisten suchten sich dafür dieses Center aus. Irgendwo verständlich, immerhin hatten sie hier alles an einem Ort und mussten dafür nicht in die Saukälte raus. Allerdings wäre es mir lieber, sie würden nicht zur gleichen Zeit wie ich einkaufen. Warum mussten die auch ausgerechnet ständig in meinen Ellbogen laufen? Können ja auch mal ausweichen. Ich gebe ein leises Knurren von mir, als wir endlich wieder zu Hause ankommen und nachdem ich meiner Mutter die Einkaufstaschen hochgetragen habe, seile ich mich ungeniert in mein Zimmer ab.

Sie ist diejenige, die diese ganzen Holzköpfe immer an Weihnachten einlädt, und nicht ich, also kann sie sich durchaus auch alleine um das Essen kümmern. Seit ich mich daran erinnern kann, ist es eine Art Tradition, dass Mutters Schwester und ihre Eltern den heiligen Abend bei uns verbringen. Mum hat mir einmal erklärt, dass wir das so machten, weil wir sonst alleine wären, nachdem mein Vater sich kurz vor meiner Geburt mit einer Anderen abgesetzt hat. Mir würde es allerdings absolut nichts ausmachen, wenn wir an dem Abend mal alleine wären. Stattdessen muss ich den ganzen Trubel aushalten, inklusive dem nervigen kleinen Ding, das sich meine Cousine schimpfte und das jedes Mal wieder in meinem Zimmer schlief und mir in der Nacht ihre Knie in den Bauch schlug. Warum musste diese verdammte kleine Kröte auch ausgerechnet bei mir schlafen? Die sollen sich, nachdem sie sich die Wampen vollgeschlagen haben, gefälligst wieder in ihr Auto setzen und verschwinden. Oder noch besser: Das lästige Balg gleich gar nicht mitbringen. Die haben zu Hause auch einen Baum stehen, sollen sie halt dort feiern und Basta.

Mum lässt mir natürlich keine Ruhe und steht einige Minuten später in meinem Zimmer und fordert mich dazu auf, wenigstens, wie sie es gerne ausdrückte, den Saustall zu beseitigen, der sich in meinem Reich angehäuft hat. Pft, was glaubt sie eigentlich? Ist doch alles in bester Ordnung. Die einzelnen Socken befinden sich vor Blicken geschützt unter meinem Bett. Mein Computer wird von einem alten Pullover, vor Staub geschützt. Die Fensterscheibe wird perfekt von der Innenjalousie verdeckt und durch das dämmrige Licht sieht man die einzelnen Staubkörner kaum. Auf der zerkratzten und leicht dreckigen Oberfläche meines Schreibtisches befinden sich so viele Blätter und Bücher, dass man das auch nicht sehen kann. Gut, das Bett könnte ich vielleicht ein bisschen herrichten, was ich dann auch mache, aber das war‘s dann auch schon.

Mit einem zufriedenen Seufzen lasse ich mich auf meinen Drehstuhl fallen und schalte den PC ein. Hab ja auch nichts anderes zu tun, also kann ich auch ein bisschen surfen. Mums Werkeln in der Küche überhöre ich geflissentlich, ich würde ihr ohnehin nur im Weg stehen. Die Freude darüber, dass ich nichts zu tun habe, dauert allerdings nicht lange an, weil Mum kurz darauf schon wieder in meinem Zimmer steht. Dieses Mal sagt sie aber nichts mehr wegen dem Aufräumen. Sie weiß ja, dass da bei mir Hopfen und Malz verloren ist. Sie schnappt sich nur die Hose und den Pullover, die ich am Vortag angehabt habe und geht wieder raus. Jaah, ich gebe es ja zu: Ich bin ne faule Socke und froh darüber, dass meine Mum hinter mir herräumt, aber was soll‘s. Man(n) muss das Leben genießen, solange man es genießen kann. In der Zwischenzeit hat sich mein Computer auch endlich dazu entschlossen hochzufahren und Hurra, ich wurde ausnahmsweise einmal ohne Schwierigkeiten ins Internet eingewählt. Erst einmal gucken, ob sich einer meiner Freunde auch abseilen konnte. Noch bevor ich die dementsprechenden Klicks machen kann, steht meine Mutter, wieder einmal, neben mir und legt mir ein paar Sachen hin.

„Hab ich aus deiner Hose rausgeholt“, meint sie erklärend und verschwindet wieder.

Desinteressiert betrachte ich die Kleinigkeiten, wobei mir die Werbung auffällt, die ich gestern von der Tasse meines Glühweins herunter geholt hatte. Ich spiele etwas damit und will es eigentlich schon wegschmeißen, überlege es mir dann aber doch anders und falte den Zettel auseinander. Überrascht drehe ich ihn hin und her und wende ihn ein paar Mal. Das ist gar keine Werbung, sondern eine Internetadresse. Eine Seite, die ich nicht kenne und von der ich noch nie gehört habe, nickstories.de, was soll das überhaupt sein? Unter der Adresse steht auch noch ein Name. Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert und so gebe ich die Adresse ein und schaue mir die Seite erst einmal an.

Uups, wo bin ich den da gelandet? Wie immer, wenn ich mich konzentriere, beiße ich leicht auf meine Zunge, was ich sofort unterlasse, als ich es bemerke. Mit völlig neuem Interesse widme ich mich dieser … Neuentdeckung. Ich bin zwar nicht unwissend, aber was das World Wide Web angeht, bin ich ein absoluter Idiot. Ich habe zum installieren von ICQ schon mehrere Versuche gebraucht und neue Kontakte einzuladen, trau ich mich jetzt auch noch nicht, weil ich mit Sicherheit einiges falsch machen würde. Jaah, ich bin ein absolutes Technikschaf. Es grenzt ja schon fast an ein Wunder, dass ich vor zwei Monaten meinen Führerschein geschafft habe, wobei das Fahren an sich gar kein Problem dargestellt hatte. Bevor ich mich mit der Seite wirklich beschäftigen kann, ruft mich Mum zum Essen, dem ich auch grummelnd nachkomme, aber auch nur, weil ich wirklich hungrig bin. Dieses schnelle Frühstück im Europark war ja nicht wirklich etwas für Jemanden, der noch, so wie ich, im Wachstum ist.

Nach dem Essen bringt mich meine Mutter tatsächlich dazu, mit ihr den Baum zu schmücken. Allerdings frage ich mich, weshalb sie das tut? Egal, wo ich eine der Glaskugelen hinhänge, es passt ihr nicht und mit dem Lametta geht das Spiel weiter. Mittlerweile ist meine ohnehin nicht vorhandene Weihnachtsstimmung am Tiefpunkt angelangt und ich ziehe mich genervt zurück. Was soll der ganze Rummel überhaupt bringen? Entweder man rast von einem Geschäft zum Anderen, damit man ja auch kein Geschenk vergisst, oder man muss lästige Verwandtenbesuche absolvieren. Wobei der Besuch bei der Mutter meines Vaters noch immer der Schrecklichste von allen ist. Dieses ständig in die Wangen kneifen und der absolut nerv tötende Singsang, von dem ihre Stimme begleitet wird, könnte mich zum Auszucken bringen und dabei bin ich eigentlich ein friedliebender Mensch. Aber diese Frau ist das Letzte. Alleine, wenn sie mich lauernd fragt, ob ich den schon eine Freundin hätte? Das Gesicht, das sie zieht, wenn ich dann verneinend meinen Kopf schüttle, ist zum Kotzen. Dann verdreht sie immer ihre Augen und predigt mir was vor, was mich absolut nicht interessiert.

Ihr einziges Glück ist, dass ich Mum versprochen habe, ihr altes Herz zu schonen, weshalb ich bisher nichts davon gesagt habe, dass ich mehr an anderen Dingen interessiert bin. Obwohl… eigentlich könnte ich was sagen. Mum geht ja nie mit, wenn ich zu meinem Geburtstag und zu Weihnachten zu der alten Fettel gehen muss. Aber versprochen ist nun mal versprochen. Der Monitor meines PCs hat sich mittlerweile in den Standby-Modus geschaltet, weshalb ich die Maus kurz an stupse, damit er wieder in Fahrt kommt. Derweil richte ich mir schon einmal das Hemd und die Hose her, in die meine Mutter mich zwingt. Das Hemd hat sie mir zum Geburtstag geschenkt und ist danach einfach in meinen Schrank gewandert. Ich habe es nicht einmal aus der Verpackung genommen, weil ich nun mal kein Hemd-Mensch bin. Ich hasse Hemden, wenn ich ganz ehrlich sein soll.

Ich schmeiße die Sachen einfach aufs Bett und pflanze mich wieder vor meinem Computer. Die Seite, die ich vorhin durchstöbern wollte, ist noch immer da. Es dauert, wie üblich, ein bisschen ehe ich mich wirklich zu Recht finde. Neugierig suche ich nach dem Namen, der ja auch auf dem Zettel steht und klicke dann gespannt auf das Gedicht, das unter dem Namen steht:

Von Zeit zu Zeit

Sehe ich Dein Bild vor mir

Von Zeit zu Zeit

Erinnern sich meine Lippen an Deine Küsse

Von Zeit zu Zeit

Spüre ich Deinen Atem auf meiner Haut

Von Zeit zu Zeit

Spüre ich Deine Hand in meinem Haar

Von Zeit zu Zeit

Sag ich mir Du denkst an mich

...doch das ist nicht so

es ist alles nur ein Traum

du bist so weit fort

fort von mir,

keine küsse,

kein Atem,

keine Hand,

kein Gedanke

und das Bild verschwimmt

…und trotzdem

ICH LIEBE DICH

Ich widme dieses Gedicht dem Jungen, der seit dem ersten Adventssonntag jeden Tag mit seinen Freunden zu unserem Glühweinstand kommt… Allerdings werde ich dein Gesicht nicht so schnell vergessen, weil ich heimlich und unerlaubt ein Bild mit der Digicam meiner Schwester gemacht habe… Auch wenn ich es nicht glaube, aber ich hoffe, dich nach Weihnachten wieder zu sehen… Und mir deine blauen Augen einmal aus der Nähe ansehen zu können, ohne dass wir gestört werden, weil jemand lautstark nach Glühwein verlangt…

Äääääääääääähm? Was war das gerade? Verwirrt klicke ich auf das Autoren-Profil. Der Kerl ist wirklich aus Salzburg. Sein richtiger Name ist Mario. Ich lasse mich etwas in meinem Stuhl hinunter sinken und starre derweil auf den Monitor. Kann es wirklich sein? Ist er der Kerl, der im Glühweinstand arbeitet? Immerhin habe ich den Zettel ja von dort. Aber vielleicht meint er ja gar nicht mich, sondern einen Anderen. Aber dann hätte ich bestimmt nicht die Tasse mit diesem Zettel bekommen, oder? Und ich habe ja wirklich blaue Augen. Ich schaue auf die Uhr an meinem Handgelenk. So weit ich weiß, sperrt der Markt um vier zu und um sieben trudeln die Leute bei uns ein. Wenn ich mich beeile, könnte ich es tatsächlich schaffen und mich nebenbei auch noch zum größten Trottel von Salzburg machen. Ich kaue so lange an meiner Unterlippe herum, dass es mir bereits weh tut. Mit einem energiegeladenen Schwung stehe ich auf und verhindere gerade noch so, dass mein Stuhl umfällt.

Umständlich schlüpfe ich aus meinen Sachen und reiße die Verpackung des Hemdes auf … und steche mich auch prompt. Ich hasse diese verdammten Stecknadeln, die immer zu Unmengen in diesen Hemden stecken. Vor allem hasse ich die Stecknadel, die sich gerade an meinem Finger vergangen hat. Ich stecke mir den geschundenen Finger in den Mund, während ich das Hemd mit der anderen Hand aus seinem Gefängnis befreie. Danach dauert es nicht einmal mehr fünf Minuten, ehe ich fertig angezogen bin und zur Tür sprinte. Ich reiße meine Jacke von der Garderobe, schnappe mir meinen Schlüssel und hebe die Tür beinahe aus den Angeln. „Bin rechtzeitig wieder da“, rufe ich schnell hinter mich. Mums entsetztes ‚Alexander‘ überhöre ich gekonnt und nehme immer zwei Stufen auf einmal. Wenn ich mich schon zum Deppen mache, dann aber ordentlich.

Ich glaube, so schnell war ich noch nie in der Innenstadt. Abgehetzt und mit rasselndem Atem spurte ich durch die Getreidegasse, nehme gekonnt die eisige Kurve zum alten Markt und laufe beinahe gegen die Arkaden, die den Residenzplatz vom Domplatz abtrennen. Schlitternd bleibe ich kurz danach stehen und muss entsetzt feststellen, dass ich trotz meiner Eile zu langsam war. Ich schaue auf meine Uhr und kick mit dem Fuß wütend einen Plastikbecher von mir weg. Eine Viertelstunde. Eine verdammte Viertelstunde bin ich nur zu spät dran, aber die Stände sind trotzdem alle bereits geschlossen. Genervt fahre ich mir durch die Haare, aber vielleicht ist es auch besser so. Dieser Mario hat bestimmt nicht mich gemeint, sondern einen Anderen mit blauen Augen. Immerhin habe ich den Schwarzhaarigen in der Glühweinbude ja nicht so offensichtlich angestarrt.

„Scheiße“, entfährt es mir und ich stopfe angefressen meine Hände in die Jackentasche. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe in den Himmel hoch. Sanft legen sich ein paar Schneeflocken auf meine Wangen und zerfließen dort sofort zu Wasser. Kurz schließe ich meine Lider, weil mir eine der Flocken genau ins Auge gefallen ist. Ich höre ein knirschendes Geräusch hinter mir. Da geht wohl jemand gerade nach Hause und durch den frisch gefallenen Schnee kann ich seine Schritte hören. Komischerweise nähern sie sich ausgerechnet mir, aber ich will mich jetzt nicht umdrehen, sondern mich viel lieber in meinem Selbstmitleid suhlen. Ich kichere leise, als sich meine Nase zu bewegen beginnt und ich mir vorkomme wie ein Hase. Leicht schnuppere ich ehe ich mir wirklich sicher bin, dass da der Geruch nach Glühwein vor meiner Nase ist.

Vorsichtig öffne ich ein Auge, allerdings ohne die Position meines Kopfes zu ändern. Wie kann man nur so schwarze Haare haben? Durch die Schneeflocken fallen sie noch viel mehr auf als sonst. Ich kann es kaum fassen, dass er noch da ist, was aber noch immer nicht heißt, dass wirklich ich, mit dem Gedicht gemeint war. Im Moment ist mir vollkommen egal, dass meine Mutter zu Hause auf mich wartete. Für mich zählte nur dieser atemberaubende Kerl neben mir.

„Ich dachte schon, du würdest gar nicht kommen“, erklärt mir ‚Mario‘ mit dieser Gänsehaut fördernden Stimme.

Mein Herz hüpft mir fast aus dem Hals, während ich meinen Kopf langsam wieder in eine normale Lage bringe. Zu mehr bin ich dann aber auch nicht mehr im Stande, weil ich meine Klappe nicht aufbringe aus lauter Angst, dass zu viel Blödsinn raus kommen könnte. Aber ihn scheint das nicht zu stören, weil er mich trotzdem anlächelt. Vorsichtig lege ich meine Hände um die dargebotene Tasse und wärme mich daran, während ich ihn weiterhin nur anstarre. Ich könnte ihn stundenlang anstarren, dafür brauche ich keine Stimme und keine Gesten. Allerdings weiß ich nach diesem Gedicht ohnehin nicht, was ich sagen soll, wo er doch tatsächlich mich damit gemeint hatte. Er lächelt mich an und das ist der Moment, in dem für mich die Welt einfach stehen bleiben könnte. Von mir aus könnte ab jetzt jeden Tag Weihnachten sein, solange er mich so anlächelt.

„Mein Weihnachtsengel“, flüstert er und das ist auch das, was mir von diesem Abend am genauesten in Erinnerung bleiben wird…

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