zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Wintersonnenwende

Kapitel 2

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

 

Ein wärmender Sonnenstrahl weckte mich am frühen Morgen. Ich musste Lächeln, was für eine Nacht. Ok, Andy konnte leider nicht bleiben, aber das wäre erstens auch für mich zu viel des Guten gewesen und Oma hätte wohl auch einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie mich mit ´nem halbnackten Typen im Bett erwischt hätte, den ich erst knapp zwei Tage kannte. Vor allem weil ich ihr noch vorgepredigt hatte, dass ich mich sobald wohl nicht verlieben würde.

„Hey, du Schlafmütze.“ Typisch meine Oma. Ihr Organ konnte man einfach nicht überhören. „Es ist schon halb zehn. Falls du noch Kaffee willst, musst du dich beeilen, sonst ist er weg.“

„Shit! Die Frau wusste genau, wie sie mich immer wieder kriegen konnte. Der Kaffee, den sie mit ´ner altmodischen Kaffeemaschine, so richtig mit Filter und allem drum und dran, kochte, schmeckte mir um einiges besser, als die Plörre unten im Hotel aus der neumodischen Maschine.“

„Ja, ich komm` sofort.“ Also raus aus dem Bett, schnelle Morgentoilette, ein T-Shirt übergestreift und ab in unsere Wohnküche.

„Das riecht ja köstlich.“ Oma lächelte vergnügt. Sie steckte schon in einer echten Tiroler Tracht. Ach ja,

Samstag Anreisetag.

„Na hoffentlich finden die Neuen auch den Weg zu uns.“ Jep. .. ich wusste es, meine Oma konnte Gedanken lesen. „Es schneit und schneit und schneit.“

„Echt?“ Erst jetzt ließ ich meinen Blick nach draußen schweifen. Der Himmel war mit dicken grauen Wolken verhangen und es schneite dicke, weiße, flauschige Flocken.

„Und was tust du heute?“ Sie schaute fragend aus dem Fenster. „Mit Snowboarden, das wird ja wohl heute nichts. Oder hast du etwa ein Date mit Andreas?“ Shit! Der Frau konnte man echt kein A für ein U vormachen, und warum lief ich eigentlich so puterrot an.

„Ich … ich mein …“ Tja, was sollte ich sagen.

„Psssstttt …,“ Oma hielt mir ihren Finger auf den Mund. „Sag` nichts, ich habe schon verstanden, aber ich hab ´nen Tipp für dich. Innsbruck ist bei dem Wetter eine echte Alternative.“

Sie hatte Recht. Für diesen Vorschlag gab es mehrere gute Gründe. Zum Ersten würde ich da Dad nicht begegnen, denn der hatte samstags immer den ganzen Tag Dienst und zum Zweiten kannte Andy die Stadt ja noch nicht.

„Und was …“ Bevor ich zu Ende sprechen konnte, lagen schon hundertzwanzig Euro auf dem Tisch vor mir.

„Danke.“

„Nicht dafür.“ Sie wuschelte mir kurz durch die Haare, bevor sie fröhlich abrauschte.

Ich zog mich schnell an und verschwand dann durch den Personal-Eingang des Hotels. Aus dem einfachen Grund:  mein Dad würde zum Verrecken nie diesen Eingang nehmen. Eigentlich eine ganz simple Möglichkeit, Konfrontationen mit ihm aus dem Weg zu gehen.


Zur Pension von Andy waren es nur eigentlich zehn Minuten Fußweg. Aber bei dem Schneefall brauchte ich fast zwanzig. Ich hoffte nur, dass er so gescheit war wie ich und bei diesem Wetter nicht auf den Gletscher fuhr. Leicht nervös betätigte ich die Klingel der Pension Alpenrose.

„Ja, hallo,“ begrüßte mich Frau König fröhlich. „Du bist doch der Pfurtscheller Bub.“ Ich nickte eifrig und legte dabei mein umwerfendes Schwiegermutter-Lächeln auf. „Wie kann ich dir helfen?“

„Hallo Frau König. Ich will nicht stören, aber sie haben einen Gast, mit dem ich mich angefreundet habe. Einen jungen Mann aus Deutschland, der alleine reist und ich wollte gerne wissen, ob er da wäre.“

„Gewiss weiß ich, wen du meinst. Komm` rein. Er sitzt noch beim Frühstücken und ich glaube, er weiß bei dem Wetter nicht wirklich was anzufangen.

Das ändere ich gleich, dachte ich mir, während mich Frau König ins Haus ließ.

„Guten Morgen“, begrüßte ich alle anwesenden Gäste im Frühstücksraum.

„Guten Morgen.“ kam etwas Mager zurück. Andy schaute verdutzt, als er mich – nachdem ich meine Mütze abgenommen hatte – erkannte.

„Magst a Kaffee?“, erkundigte sich Frau König höflich.

„Nein, danke sehr.“ Sie nickte verständnisvoll und verschwand. Ich zog meine Jacke aus und setzte mich Andy gegenüber.

„Was machst denn du hier?“, fragte er erstaunt.

„Dir den Tag retten, wenn du nichts dagegen hast“, erklärte ich ihm. Anscheinend hatte er nichts dagegen. Ich erklärte ihm meinen Plan und keine halbe Stunde später standen wir an der Bushaltestelle und warteten auf den Postbus.

„Unten in der Stadt könnt es wahrscheinlich regnen.“ Mein Gott, jetzt waren wir wieder da, wo wir gestern schon mal waren. Keiner von uns brachte einen gescheiten, geschweige denn einen zusammenhängenden Satz raus.

„Aha.“ Super Antwort! Der Bus kam, wir stiegen ein. Ich wechselte ein paar kurze Worte mit dem Busfahrer und setzte mich dann neben Andy. Wir waren die einzigen Gäste in Richtung Stadt.

„Hast du schlecht geschlafen? Oder ist dir das Wetter aufs Gemüt geschlagen?“, erkundigte ich mich bei

Andy, der irgendwie geistesabwesend aus dem Fenster starrte.

„Nee, es ist nicht das Wetter und ich hab` auch nicht schlecht geschlafen. Es ist nur diese Situation.“ Er sah mir direkt in die Augen. „Ich bin erst seit vier Wochen geoutet.“ Mir verschlug es fast die Sprache. „Wollte hier von allem weg. Ich meine von meinem Coming-Out und dann kamst du.“ Er lächelte so lieb. „Und all meine Vorsätze waren im positiven Sinne über den Haufen.“

Ich lächelte: „Glaub` mir, ich weiß, wie du dich fühlst, nur …“ mein Blick versteinerte sich.

„Was?“, erkundigte sich Andy fürsorglich und nahm meine Hand. Er wusste genau, dass was los war. Ich hatte mir geschworen, keine Geheimnisse, also erzählte ich ihm alles, von meinem Coming-Out, den Reaktionen meiner Eltern und meinen Ängsten, was wäre, wenn. Er sagte nichts, warf auch keine blöden Kommentare ein. Er hörte einfach nur geduldig zu.

„Puuhhh …,“ erwiderte er, als ich letztlich meine Erzählung endete. „Dann geht’s bei dir höher her, wenn dein Dad das mit uns rausbekommt.“

„Jep.“ Ich nickte deutlich erkennbar. Wir schwiegen und betrachteten die verschneiten Stadthäuser.

„Aussteigen Jungs. Endstation.“ Der Busfahrer lächelte gutgelaunt. „Einen schönen Tag wünsche ich euch.“

„Wir dir auch.“ Und Schwupps standen wir auf dem „roten Platz“ von Innsbruck.

„Und jetzt?“, erkundigte sich Andy. „Ich kenne` mich hier nicht aus.“

„Ich schon“, grinste ich wie ein Honigkuchenpferd. „Also los.“

Es wurde ein super Nachmittag und eigentlich hatte ich noch vor, Andy auf einen Absacker mit ins Hotel zu nehmen. Als wir jedoch die Lobby betraten, sah ich schon an Patricks Gesichtsausdruck, dass wieder Stress in der Luft lag.

„Können wir das mit dem Bier verschieben, bitte. Es gibt wieder Stunk.“ Andy nickte verständnisvoll und verschwand. „Nicht böse sein“, rief ich ihm noch nach.

Kaum war er weg, erschien auch mein mal wieder wutentbrannter Vater auf der Bildfläche. Mama dackelte mal wieder treu doof hinterher und Großmutter folgte den beiden wutschnaubend auf dem Fuß. Shit! Wer war nun hier auf meiner Seite? Oder war es überhaupt wer?

„Wo kommst du jetzt her?!“ Mein Vater durchbohrte mich förmlich mit seinen Blicken.

„Aus Innsbruck. Ich war unterwegs“, erwiderte ich kleinlaut.

„Ach nein, aus Innsbruck.“ Der Zynismus meines Vaters konnte mir so auf den Sack gehen. „Wir haben hier alle Hände voll zu tun und der Herr Sohnemann treibt sich mit irgend so ´nem Typen in Innsbruck rum.“ Shit! Irgendwer musste uns gesehen haben und es meinem Alten gesteckt haben. Ich war am Arsch.

„Er ist nur ein Freund“, versuchte ich meinen Vater zu beruhigen und erklärte ihm die Situation der letzten Tage, und tatsächlich fuhr mein Vater wieder runter. „Und außerdem ist er nächste Woche wieder weg.“ Ich sah am Nicken meiner Großmutter, dass dies im Moment die echt beste Lösung gewesen war. Auch wenn es echt weh tat, ihn verleugnen zu müssen.

„Ok. Morgen hast du eh Dienst am Mittag, verstanden?“ Ich nickte stumm und mein Vater zog ab.

„Gut gemacht.“ Oma nahm mich tröstend in den Arm.

„Es tut weh, Oma.“

„Ich weiß, Großer.“ Sie streichelte mir zärtlich durchs Haar. Sie wusste genau, was ich meinte, auch ganz ohne Worte.

In jener Nacht dachte ich wirklich das erste Mal daran, was passieren würde, wenn Andy wieder abreisen und ich als ein völlig anderer in die Schule gehen musste. Nein! Das durfte nicht sein. Daran wollte ich nicht denken. Das lag vor mir und ich wollte das hier und jetzt genießen. Scheißdrauf … Ich musste auch mal an mich denken.

Am nächsten Tag hatte ich Rezeptionsdienst. Denn sonntags hatten meine Eltern grundsätzlich Zeit für sich. Ich hatte beschlossen, nur kurz in der Pension anzurufen, um Andy ausrichten zu lassen, dass ich heute den ganzen Tag arbeiten müsste und ich hoffte, dass er das so akzeptieren würde. Leider tat er das nicht.

„Was soll das heißen, ich bin nur ein Freund. Ich bin ja bald eh wieder weg. Sag` mal, war das alles für dich nur ein Spiel oder was?“ „Patrick der Idiot! Der konnte es ihm nur gesteckt haben. Dieses Arschloch!“, schoss es mir durch den Kopf.

„Nein war es nicht.“ Völlig überrumpelt sah ich ihn an. Ich hätte heulen können. „Nun lass mich doch erklären.“ Scheiße, warum konnte in diesem scheiß Tal nicht mal jeder seine vorlaute Klappe halten.

„Was ist denn hier los?“, erkundigte sich meine Oma erschrocken. „Man konnte das Geschreie bis in die Küche hören.“

„Irgend so ´nen Arsch hat ihm gesteckt, was ich gestern zu Paps gesagt habe.“ Ich konnte einfach nicht anders. Ich musste heulen.

„Schon gut. Komm her.“ Sie nahm mich liebevoll am Arm und schob mich vorsichtig ins Back-Office. „Setz` dich. Ich denke, wir sollte mal reden.“ O ha, diese Aussage von meiner Großmutter, das konnte ja nur eine Standpauke werden. Aber weit gefehlt. Wir sprachen über uns. Uns, unsere Familie über die Schule und über Andy. Sie hörte mir zu, was ich zu sagen hatte und gab mir anschließend ein paar sehr gute Ratschläge, die ich auch beherzigen wollte. Dazu gehörte auch der, dass ich Andy ein paar Tage Zeit geben sollte, dass er sich auch mal was abreagieren und zur Ruhe kommen konnte.

„Du darfst eins nicht vergessen, Adrian. Er ist zwar schon älter als du, aber ihn hat es genauso kalt erwischt wie dich. Und wenn das stimmt, was du mir wegen seinem Outing erzählt hast, dann hat es ihn noch umso mehr kalt erwischt.“ Wie wahr, wie wahr. „Und jetzt ab mit dir. Feierabend.“

„Danke Oma. Jawohl Chefin.“ Wir konnten uns beide ein Lachen nicht verkneifen. Liebevoll nahm ich meine Oma mich in den Arm „Es wird alles gut.“

„Ich hoffe es inständig.“ Ich zog mich in mein Zimmer zurück.


Leider ergab es sich dann erst am letzten Urlaubstag mit Andy zu sprechen. Eine Grippewelle hatte vorher über die Hälfte des Hotelpersonals lahmgelegt (für das ich natürlich einspringen musste) Deshalb wurde für mich langsam die Zeit knapp. In gut zwei Stunden würde sein Zug gehen. Shit …, schoss es mir durch den Kopf … Shit …Shit …Shit …, Ich stürmte in die Hotel-Küche. Mein Riecher war gut, Großmutter war wirklich da.

„Großmutter, ich brauch` deine Hilfe, bitte, schnell.“ So verwirrt hatte ich sie noch nie gesehen. Wenn es nicht so eilig gewesen wäre, wäre ihr Blick Comedy reif gewiesen.

„Sagst du mal, wo du hin willst?“

„Erklär` ich dir im Auto, bitte.“ Ich wollte nicht, aber die Zeit drängte.

„Ok. Ok.“ Sie ließ ihr Auto an und wendete und fuhr an.

„Was ist denn los mit dir, dass du mich wie von der Tarantel gestochen aus dem Hotel scheuchst?“ Nach einem kurzen Blick konnte sie sich die Frage selber beantworten. „Scheiße!“, rutschte es ihr raus. „Andy ist auf dem Heimweg und ihr habt nicht miteinander gesprochen, stimmt`s?“ Ich nickte schweigend. Oma trat auf Gas. Der BMW beschleunigte sofort. Kurz vor der Autobahnauffahrt Schönberg erblickten wir den Postbus.

„Was hast du vor?“ Das Glitzern in den Augen meiner Großmutter wurde mir unheimlich. Doch bevor ich noch irgendwas denken oder sagen konnte, hatte sie den Postbus schon überholt und geschnitten, so dass sie vor ihm war und stieg voll auf die Bremse. Der Buschauffeur tat dasselbe. Er trat voll auf die Bremse.

„Was soll das, Hilde. Bist du lebensmüde.“ Ja, meine Oma kannte wirklich jeder im Tal, selbst die Buschauffeure.

„Nein. Hallo Peter.“ Sie reichte dem älteren Buschauffeur die Hand. „Aber du hast einen Passagier an Board, der nicht so einfach verschwinden kann.“

„Aha verstehe.“ Erwiderte der Buschauffeur und betrachtete Andy im Rückspiegel, der so mit seinem Mp3-Player oder Handy beschäftigt war, dass er vom hollywoodreifen Auftritt meiner Großmutter nichts mitbekommen hatte.

„Hey, junger Mann, ich glaub sie sind gemeint.“ Keine Reaktion. Erst als eine junge Frau auf Hilde und den Chauffeur hinwies, wurde er aufmerksam. Um ehrlich zu sein, ich stand vor dem Bus und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Mir war diese Aktion so was von peinlich.

„Ich?“ Andy schaute völlig verdattert und verunsichert drein. Hilde nickte und winkte ihn aus dem Bus.

„Nun ja, einmal die Klamotten wieder raus“, fluchte Peter. Und so war es dann auch keine drei Minuten später, standen wir drei, meine Oma, Andy, samt seinen Klamotten und ich an der Bushaltestelle vor der Tankstelle.

„So, ihr solltet miteinander reden, denke ich. Ich gehe einen Kaffee trinken. Wenn ihr fertig seid, ich bin in der Tankstelle.“ Andy und ich nickten schweigend. Weiteres Schweigen folgte. Wie sollte ich erklären, was ich wollte, ohne ihn verletzen zu wollen. Echt schwierig. Aber na ja …

„Wolltest du dich echt so verpissen?“ Ups, falsche Wortwahl.

„Und wen interessiert’s?“, gab Andy patzig zurück.

„Mich!“, erwiderte ich fordernd. „Mich interessiert das zum Beispiel.“

„Warum?“ Der Typ konnte einen echt zum Kochen bringen. Jetzt gab es nur Angriff ist die beste Verteidigung. Ich nahm vorsichtig seine Hände und näherte mich ihm.

„Deswegen.“ Zaghaft und abwartend küsste ich ihn. Als er meinen Kuss erwiderte, wusste ich es … das hier wurde mehr als nur ein Urlaubsflirt. Wir gingen zu meiner Oma ins Tankstellen-Bistro. Meine Großmutter, ein junger Mann und die Angestellte klatschten Beifall. Einige Touris schauten völlig verwirrt drein. Mir war das egal. Ich übernahm das Ruder. Ich nahm Andy an die Hand.

„You`ll never be alone“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

„I`m coming Home“, flüsterte er liebevoll zurück. Meine Großmutter bestellte Sekt und wir stießen auf uns an.

„Das wird kein Leichtes für euch beide, das ist euch klar, oder?“, erklärte uns meine Großmutter, nach dem ersten Euphorie-Schub. Wir nickten.

„Ja, wissen wir“, erwiderte ich tapfer, aber. „Aber wir kämpfen.“ Andy nickte zustimmend, bevor er mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn gab.

„Wir kämpfen.“ Damit war das besprochen.

Keine Stunde später verabschiedete ich den Mann, zu dem ich nun mit Gewissheit sagen konnte, dass ich mein Herz an ihn verloren hatte, und entließ ihn zurück in seine eigene Welt. Als der Zug anfuhr, musste ich an seine Worte denken: I`m coming Home. Aber bis dahin würde es wohl noch eine Zeit dauern. P.S. Ich liebe dich.

Lesemodus deaktivieren (?)