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Wintersonnenwende

Kapitel 1

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Informationen

Inhaltsverzeichnis

Prolog

„Das ist jetzt nicht euer ernst, oder?“ Man kann an dem langsam puterrot werdenden Kopf sehen, wie meinen Vater die Wut allmählich übermannt. Gleich würde es erst richtig losgehen!

„Marc hat es bestimmt nicht so gemeint …“, versuchte mich meine Mutter so gut wie es ging zu verteidigen. Dabei wusste ich genau, dass sie, sobald mein Vater richtig ausrasten würde, und das würde er, wieder den Schwanz einziehen würde. „Es ist bestimmt nur eine Phase, Georg. Das geht wieder vorbei. Garantiert.“

„Es ist keine Phase!“ Ich kann nicht mehr! Es muss einfach raus. „Ich bin schwul, kapiert es endlich. Euer Sohn ist eine verdammte Schwuchtel!“

„Nein! Nein! Nein!“ Nun war es soweit, die Explosion meines alten Herrn stand unmittelbar bevor. „Du bist nicht schwul! Verstehst du! Niemals!“ Er nahm völlig von Sinnen meine Schultern und schüttelte mich wie ein Irrer. „Du bist nicht schwul.“

„Doch ich bin schwul!“ Heiße Tränen rannen vom vielen Weinen über die Wangen. Klatsch! Und schon hatte mir mein Vater eine gepfeffert.

„Jetzt reicht`s, Georg!!! Lass sofort meinen Enkel los! Was ist denn in dich bzw. in euch gefahren?“ Die Stimme meiner Großmutter hallte durch den Flur unseres Hauses. „Du hast ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Was zum Teufel ist hier los?“

Meine Mutter verschwand schweigend im Wohnzimmer. Mein Vater kam genauso schnell runter wie rauf und lies mich los, denn meine Großmutter war die Mutter meines Vaters und sie war eine ziemlich resolute Person, selbst mein Vater hatte vor ihr Respekt, auch wenn er sonst vor keinem Menschen Respekt hatte.

„Oma ich bin schwul …“ So, jetzt war es raus. Ich rannte völlig fertig die Treppe hinauf. Dabei wäre ich um ein Haar wieder rückwärts heruntergefallen.

Ich schlug mit aller Kraft meine Zimmertüre zu. Danach schmiss ich mich auf mein Bett und weinte bitterlich. Ein Coming-Out ganz so, wie ich es mir in meinen schlimmsten Träumen vorgestellt hatte. Mein Vater war auf 360, meine Mutter schwieg wie immer und meine Großmutter, die bisher als einzigste immer zu mir gestanden hatte, hatte bis gerade eben auch keine Ahnung. Wie gesagt. Ein ‘Alp’traum-Coming-Out …

Kapitel 1 – The Beginning (Song by Black Eyed Peas)

Ein halbes Jahr später …

Winter. Kurz vor Weihnachten. Ich war vor drei Monaten 17 geworden. Das „Thema“ wurde wie erwartet von meinen  Eltern totgeschwiegen. Mein Vater hatte den Gedanken an seinen schwulen Sohn in seinem Kopf weit nach hinten  geschoben …, aber ich wusste genau, dass, wenn es mal soweit sein sollte und ich einen Mann oder Jungen  kennenlernen sollte, welcher sich wirklich für mich interessieren würde, dann, ja dann würde das Theater wieder losgehen. Und um ehrlich zu sein, darauf hatte ich in naher Zukunft keinen allzu großen Bock.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als Man(n) denkt. So war es dann auch kurz nach den Weihnachtstagen, als ich zur Taschengeldaufbesserung (die ich eigentlich nicht wirklich nötig hatte) einen Snowboard-Schnupperkurs für die örtliche Skischule gab.

Shit! Wer hatte diesen Trottel nur für den Snowboard-Schnupperkurs angemeldet? Der stellte sich ja noch dämlicher an als alle anderen. Immer und immer wieder musste ich mich um diesen Kerl kümmern, das ging mir langsam so was gegen den Strich. Aber immer höflich, freundlich und lächeln … für diese Touris. Obwohl meine Tiroler Gelassenheit schon lange dahin war.

„Ah!!!“ Das hörte sich nicht gut an. Einmal kurz zu einem anderen Schüler umgedreht und schon liegt dieser deutsche Trottel im Schnee.

„Alles Ok?“ Eigentlich konnte ich mir das, nachdem ich die Blutspur im Gletschereis entdeckt hatte, schon selber beantworten.

„Nicht wirklich“, gab der Typ zurück. Jetzt, bei diesem elenden Anblick, tat er mir schon irgendwie Leid.

„Kannst du dich umdrehen?“ Er nickte und ruderte dann mit beiden Armen im Schnee, bis er sich gewendet hatte.

„Ach du Scheiße!“, entfuhr es mir. Vom Kinn bis zum Adamsapfel hatte er sich alles ordentlich aufgeschürft. Es blutete tierisch.

„So schlimm?“, erkundigte sich der Fremde mit einem irgendwie schelmischen Lächeln.

„Nee, nee, geht schon.“ Ich log, dass sich die Balken bogen. „Warte hier.“

„Ich hatte nicht vor, wegzugehen.“ Der sarkastische Unterton des Typen entlockte nun mir auch ein kleines Lächeln.

Wenig später kehrte ich mit meinem Chef und einem Erste-Hilfe-Koffer zum Übungsgelände zurück. Der Fremde hatte bereits sein Snowboard angeschnallt und saß ziemlich verwirrt im Schnee etwas abseits der Piste.

„Hallo, ich bin Ernst, der Leiter der Skischule. Geht es Ihnen gut?“

„Mir ist irgendwie schwindelig“, gab der Typ zurück. Als Ernst den Touri zu verarzten begann, konnte ich ihn das erste Mal so richtig betrachten. Er schien etwas älter als ich. So circa vier-fünf Jahre, schätze ich. Hatte blond  gefärbte Haare und trug eine modische Brille und hatte, sofern ich das unter dem stylischen Skianzug erkannte, eine recht ansehnliche Figur und auch dieses Lächeln von eben war irgendwie in meinem Gedächtnis eingebrannt worden.

Ernst beendete seine Erste-Hilfe und meinte dann fachmännisch:

„Sieht alles gut aus. Aber um sicher zu gehen, soll sich der Dok Sie lieber noch mal anschauen. Marc wird Sie gleich  hinbringen. Moment noch. Ernst nahm sein Walke-Talkie und sprach ein paar kurze Worte mit

René unserem Pisten-Dok, danach nahm er mich zur Seite.

„Marc bitte bring' Andreas zu René in die Station. Es sieht zwar so ganz gut aus, dass es nur bei den Abschürfungen bleibt, aber René und ich sind der Ansicht, dass es doch besser ist, ihn mal gründlich zu untersuchen.“ Ich nickte zustimmend. „Und mach dir keine Sorgen um deine Leute“, fuhr Ernst fort. „Um die kümmere ich mich, Ok?“

„Ok. Wenn du meinst.“

„Ja, ich meine.“ Ernst kannte mich leider viel zu gut, um nicht zu wissen, dass ich mich, trotz dass es ein Unfall war, für alles und jeden verantwortlich fühlte.

Na ja, da war wohl Widerspruch zwecklos. Ich ging zurück zu dem fremden Typen, der jetzt endlich einen Namen hatte: Andreas!

„Kannst du alleine laufen? Oder soll ich dir helfen? Es ist nicht weit.

„Geht schon.“ Andreas lächelte verlegen und wir machten uns auf den Weg zur Station. René, der Pisten-Dok, erwartete uns auch und nahm Andreas auch direkt ran.

„Danke, Marc. Ich werde mich jetzt um ihn kümmern. Du kannst wieder zurück zu deinen Leuten gehen, wenn du willst.“ Ich nickte schweigend und wollte gerade gehen …

„Sehen wir uns nochmal?“ Meinte er das ernst? Nach allem was passiert war.

„Wenn du willst.“

Er nickte vielversprechend.

„Ok, ok, genug Romeo und Julia für den Moment,“ unterbrach René unsere Konversation und blinzelte mir verständnisvoll zu. „Wenn alles gut geht, siehst du ihn ja heute Mittag wieder.“ Das war`s. Für den Moment.

Leider sah ich Andreas an diesem Tag nicht mehr. Ich versuchte mich mit Skifahren und Abends mit Mithilfe im Hotel meiner Großmutter abzulenken, doch dieser Typ, dieser Andreas, ging mir irgendwie nicht mehr aus dem Kopf. Meine  Großmutter hatte mich auch schon angesprochen, da ich beim Abendservice wohl nur körperlich als geistig anwesend war.

„Hallo Marc, wo bist du denn heute Abend mit deinen Gedanken?“ Ich antwortete mit Schweigen. Erst einmal musste ich für mich selbst begreifen, was diese Begegnung in mir und mit mir angestellt hatte. In dieser Nacht schlief ich äußerst unruhig …


Am nächsten Morgen weckte mich die Sonne. Wie gerne würde ich mal mit einem Mann in meinem Bett aufwachen, schoss es mir durch den Kopf, aber diesen Gedanken, den musste ich wohl des Familienfriedenswillen erst einmal hinten anstellen. Aber das Gefühl nach Nähe usw. wuchs von Tag zu Tag.

Ich stand auf, zog mich an und machte mich auf den Weg zum Frühstücksaal. Ach ja … das hatte ich vergessen  zu erwähnen, seit die besagte Sache in jener Nacht Thema gewesen war, war ich zu meiner Großmutter in ihre  Wohnung im Hotel gezogen. Hier musste ich mich zwar auch mit der Anwesenheit meines Vaters herumschlagen, jedoch da meine Großmutter auch immer in der Nähe war und zudem noch Gäste, konnte er nicht so agieren wie er mit Sicherheit gewollt hätte. Und so fühlte ich mich hier ziemlich sicher.

„Hey Großer“, mit einem herzlichen Lächeln kam meine Großmutter auf mich zu, während ich in dem schon fast leeren Frühstücksaal ein ausgiebiges Frühstück genoss. „Und wie war gestern dein Tag? War Ernst zufrieden mit dir?“ Die hatte schon längst wieder Lunte gerochen. Kauend sah ich sie schweigend an. Mein

Blick sagte mehr als tausend Worte.

„Nicht reden?“ Ich nickte verneinend. Sie strich mir liebevoll durchs Haar. Jessica, eine der Bedienungen brachte ihr einen Kaffee und Oma bedankte sich freundlich. Kein Wunder, im Hotel war sie ja auch der „gute Engel“.

„Und was hast du vor bei dem schönen Wetter. Snowboarden?“

„Vielleicht. Ich weiß es noch nicht so genau.“ Boahhh … das war die dickste Lüge, die ich ihr jemals aufgetischt hatte. Gott sei Dank nahm sie es eher als Notlüge auf.

„Muss liebe schön sein …“ zwitscherte meine Oma, nahm ihre Tasse und verschwand in der Hotel-Küche.

„Du kannst nicht gehen“, fauchte mein Vater, der gerade wie eine Dampflok an mir vorbeirauschte. „Ich brauche dich für den Mittagsservice, verstanden!“

„Georg!“ Meine Großmutter sah meinen Vater wütend an. „Wir brauchen ihn nicht. Ich habe genug Personal eingeteilt. Na los Marc, geh` schon.“ Damit war das Thema erledigt. Ich raffte meine Sachen zusammen und beeilte mich, so schnell wie möglich das Weite zu suchen.

Knapp eine Stunde später hatte ich den Gletscher erreicht. Dank einer meiner Skilehrerkollegen, bei dem ich mich auch artig bedankte.

Ja … es hatte schon Vorteile, wenn man hin und wieder in der Skischule aushalf. Keine langen Wartezeiten an der  Seilbahn. Ich war schon an der durch den Sonderzugang bei der Bahn, als ich Andreas erkannte, der geduldig mit den anderen Touris in der Schlange wartete.

„Hey Gustel, könntest du mir einen Gefallen tun?“ Gustel alias Gustav war der Leiter der Gondelbahn und ein guter Kumpel, auch wenn er schon fast doppelt so alt war wie ich.

„Klar, was gibt`s?“, meinte er in seinem typisch ruhigen Tiroler Stil. Ich flüsterte ihm zu und nur kurze Zeit später stand der völlig verdatterte Andreas neben mir an der Bahn.

„Morgen.“

„Morgen.“ Er schaute mich fragend an. „Was ist da gerade …“

„Konnektion“, erwiderte ich mit einem breiten Grinser.

„Bitte  einsteigen,  die Herrn.“  Gustel  zwinkerte  mir  aufmunternd  zu.  Er  schloss  direkt  hinter  uns  die Gondeltüre, so dass wir alleine waren. Verblüfft schaute mich Andreas an. Das Schweigen kam mir wie eine Ewigkeit vor.

„Und was tust du so?“ Irgendwie musste ich ja mal dieses Schweigen beenden. „Ich meine … ich meine …, wenn du nicht gerade auf den Bergen bist und dich verarzten lässt.“ Ich machte mich echt zum Kasper, hätte ich doch selber  besser die Klappe gehalten. Da kam ja nur gequirlte Scheiße aus meinem Mund. Doch Andreas schien mir das wohl nicht übel zu nehmen. Ein verschmitztes Lächeln huschte über sein Gesicht.

„Ich hab` gerade meine Lehre beendet, lebe noch bei meinen Eltern und bin 22.“ Das kam wie aus der Pistole geschossen. So viel Offenheit hatte ich nicht erwartet, schließlich kannten wir uns erst ein paar Stunden.

„Musst du heute arbeiten?“

„Nein. Ich habe frei. Warum?“

„Lust mich zu begleiten. Ich meine auf der Piste.“

„Klar. Wenn du denkst, dass du Flachland-Tiroler mit mir mithalten kannst, dann bitte.“

„Eingebildeter Wixer.“ Shit! Auch wenn es wohl nicht böse gemeint war. Es ging doch schon ansatzweise unter die Gürtellinie.

„Sorry, echt, war nicht so gemeint, echt.“ Mich plagte das schlechte Gewissen.

„Hey mach dir keinen Kopf deshalb. So eine dünne Haut hab ich wirklich nicht. Aber sag mal, warum hast du mich eigentlich mitgenommen. Wir kennen uns doch erst ein paar Stunden und ich hatte nicht den Eindruck, dass du mich wirklich leiden kannst.“

Touché! Er hatte voll ins Schwarze getroffen. Auf diese Frage hatte ich nicht wirklich eine Antwort.

„Mmhhh … ja.“ Meine Sprachlosigkeit brachte Andreas zum Lachen.

Den Rest der Fahrt schwiegen wir größtenteils. Ich zermarterte mir den Kopf, wie ich nicht wieder ins nächste Fettnäpfchen trat, während Andreas einfach nur aus dem Fenster starrte. Was tat ich hier eigentlich? Ok. Ich muss  zugeben, irgendwie faszinierte mich dieser Mann schon. Seine ganze Art, sein Lachen usw. hatte einen seltsamen  Einfluss auf mich und doch warnte mich eine innere Stimme immer und immer wieder: denk an deinen Vater, er wird es nie akzeptieren. Und dieser Kerl ist garantiert nicht schwul. In was hatte ich mich da nur hineingeritten …

„Erde an Marc, schläfst du, wir sind da. Alles aussteigen!“ Da war es wieder, dieses Lächeln. Ich musste mich echt zusammenreißen.

„Ist ja gut“, antwortete ich leicht gereizt. Vielleicht eine Spur zu gereizt.

„Oh, was ist los, warum bist du plötzlich so zickig. Hat dir Mama nicht die Windeln gewechselt?“ Touché! Zum zweiten Mal. Also auf den Mund gefallen war er also auch nicht. Shit! Obwohl er nicht schwul war, war ich drauf und dran, mich in diesen Typen zu vergucken.

„Andreas  bleib`  stehen  bitte.“  Ich  hielt, berührte  ihn  kurz  am  rechten  Schulterblatt.  Ein  Stromschlag durchfuhr meinen Körper. Er war bereits beleidigt aus der Gondelhalle gestürmt. „Mein Tonfall gerade war alles andere als angebracht.“

„Passt schon. Und nun lass` uns einfach Spaß haben, Ok?“ Ich nickte schweigend.


Bis zum Mittag hatten wir den halben Gletscher abgefahren. Andreas konnte echt gut Skifahren, fast so gut wie ein  Einheimischer. Gerade wollte er sich wieder bei der Bahn anstellen, als ich ihn ausbremste. Ich brauchte eine Pause.

„Warte mal, ist vielleicht mal ´ne Pause drin? Ich will was trinken und muss dringend pissen.“

„Ok.“

„Gehen wir einfach rüber in die Hütte.“ Er nickte zustimmend. Wir schnallten also unsere Wintersportgeräte ab und  machten uns zu Fuß über die Piste zur Dresdner Hütte. „Warte hier, muss nur schnell pissen. Bin gleich wieder da.“ Er nickte schweigend. Als ich keine drei Minuten später auf die Terrasse zurückkam, hatte er schon zwei Bier bestellt.

„Hier, hoffe du magst es.“

„Ja, danke.“ Ich nahm einen dicken Schluck Bier.

„Und hast du eine Freundin?“ Wüüürrrrrggg … fast hätte ich das Bier quer über den Tisch gespuckt.

„Nein, nicht wirklich“, gab ich wahrheitsgemäß zu. Andreas sah mich seltsam an, sagte aber kein Wort. Stattdessen schaute er auf die gut gefüllte Sonnenterrasse. Ich könnte schwören, er beobachtete auch einen Typen, der mit gut proportioniertem, nacktem Oberkörper in einem der Liegestühle lag.

„Und du, hast du eine Freundin?“, konterte ich.

„Nee.“ Er schaute mich direkt an. „Es ist kompliziert im Moment.“

„Erzähl mal was Neues.“ Andreas hob das Glas und wir stießen erneut an.

„Du kannst übrigens Andy zu mir sagen, wenn du willst:“ Ich nickte zustimmend. Wieder starrten wir schweigend den Typen mit nacktem Oberkörper an.

„Geiler Typ“, rutschte es mir raus. Lauter als gewollt.

„Stimmt“, erwiderte Andy cool. Mir wäre bei dieser Aussage fast das Herz stehen geblieben. Ich konnte nicht fassen, was ich da gerade gehört hatte. Wir verbrachten den restlichen Tag auf der Terrasse der Hütte, nach Skifahren war keinem mehr zumute. Nachdem der geile Typ verschwand, wollte ich es nun genau wissen. Ich zog meine Skilehrer-Jacke  und  mein  Multifunktionsshirt  aus  und  legte  mich  und  meine  schmale Hühnerbrust neben Andy in einen Liegestuhl. Mal sehen, was passiert, schoss es mir durch den Kopf.

Erst einmal keine Reaktion, dachte ich zumindest. Ich konnte durch seine Sonnenbrille nicht erkennen, dass sich seine dunklen Augen ein genaues Bild meines Bizeps machten.

„Und was tust du heute Abend?“, erkundigte er sich, während er sich in seinem Liegestuhl räkelte. Nun wurde es peinlich für mich. Denn eins hatte ich noch nicht erwähnt. Mein Alter.

„Zu Hause bleiben“, antwortete ich und spürte, wie mir dabei die Schamröte ins Gesicht stieg. Das hatte nun doch Andys Aufmerksamkeit erregt und  er nahm seine Sonnenbrille ab.

„Wie alt bist du eigentlich?“ Die Frage aller unbeantworteten Fragen.

„Ehrlich.“ Er nickte vehement „Vor ein paar Monaten 17 geworden.“ Ich malte mir die schlimmsten Dinge aus, dass er  gleich aufspringen würde und davonlaufen würde, doch nix geschah. Er lächelte nur verschmitzt, setzte die Sonnenbrille wieder auf und lehnte sich wieder genüsslich zurück in seinen Liegestuhl.

„Wenn es nur das ist.“ Der Typ war echt unfassbar.

„Und was hast du heute Abend vor?“ Ich versuchte so schnell wie möglich das Thema wieder auf ein anderes

Thema zu lenken.

„Nicht wirklich viel, warum?“ Ich überlegte kurz. Mein Vater hatte heute Abend keinen Dienst. Meine Mutter würde auch nicht im Hotel sein und Oma hatte bestimmt nichts dagegen, wenn ich Besuch bekommen würde und vor allem würde sie dann endlich aufhören zu sticheln, warum ich mich so verrückt verhalte in letzter Zeit.

„Kannst ja mal ein Sprung bei mir vorbeischauen.“ Mein Herz klopfte bis zum Hals. „Ich meine nur, was trinken, reden usw.“ Warten!

„Ist das dein Ernst?“ Wieder musterte mich Andy durch die Sonnenbrille. Ich nickte ebenso vehement. „Ok, warum eigentlich nicht.“ Ich hielt ihm eine Visitenkarte mit meinen Daten unter die Nase. „Noch so grün hinter den Ohren, aber schon eine kleine Diva.“

„Ich steh` halt drauf.“ Ich konnte einfach nicht widerstehen. Doch nun hatte ich die Richtung ohne ihn gemacht. So schnell konnte ich gar nicht schauen, wie der mich aus dem Liegestuhl bugsierte und wir lachend und wie zwei Kinder wild raufend im Schnee landeten. Irgendwann bekam ich doch die Oberhand und saß auf seiner Brust. Leider hatte ich ein kleines Problem im unteren Bereich der Leiste.

„Und gibst du dich geschlagen?“ Mein Gott, wir waren beide so fertig.

„Ja.“ Andy keuchte wie ein alter Mann. Und dann passierte es … ein langer Blick, Andy stützte sich mit den Armen im Schnee ab, unsere Münder trafen sich. Wieder durchfloss mich dieser Stromschlag. Im Moment war mir einfach alles scheißegal. Was galt, war das Hier und Jetzt.

Erst die Durchsage, dass die Bahn in zehn Minuten die letzte Talfahrt hatte, holte uns aus unserem tiefen, innigen Kuss. Also doch! Der Typ war schwul. Wir erhoben uns also, gingen zurück zu unseren Liegestühlen. Ich zog mich an und wir machten uns auf den Weg ins Tal.

„Bis später.“

„Ja, bis später.“ Die ganze Rückfahrt im Bus hatten wir geschwiegen. Entweder wollte oder es konnte keiner über das eben Geschehene sprechen. Ich hoffte nur, dass er auch wirklich am Abend kommen würde. Beten und Hoffen!

Zu Hause duschte ich erst einmal und holte mir dabei einen runter. Eins war klar: ich war drauf und dran, mich zu verlieben und was das bedeutete, wollte ich mir besser nicht ausmalen.


„Hey Marc, dein Date ist gerade angekommen.“

„Er ist nicht mein Date. Er ist nur ein Freund.“ Natürlich musste Patrick wieder mit der Brechstange voran. „Schick ihn bitte in die Bar.“

„Wenn du meinst.“ Ein bisschen bedröppelt, dass ich seinen Witz wohl nicht so lustig fand, trottete er wieder zurück zur Rezeption. Keine zwei Minuten später betrat ein völlig überraschter Andy die Hotel-Bar.

„Hey, da bist du ja. Ich hatte schon Angst, dass du nicht kommst.“ Wieder schlug mir das Herz bis zum Hals.

„Bier?“ Er nickte überfordert von den Eindrücken.

„Unfassbar. Und das gehört alles deiner Familie?“ Ich nickte zustimmend. „Warum hast du denn nichts gesagt?“  Er  bereute die Worte sofort. „Sorry, ich meinte nicht, dass du auch so ein eingebildeter, reicher Schnösel bist, aber bitte, das hier … einfach nur Wow.“

„Na Jungs, alles gut?“

„Hallo Oma.“ Ich hatte sie gar nicht kommen sehen. „Das ist Andy, den ich aufm Gletscher kennengelernt habe.“

„Sehr erfreut, Hilde.“ Meine Großmutter hielt dem plötzlich verschüchtern wirkenden Andy die Hand hin.

„Mir gehört der Kasten und das hier …“ Sie wuschelte mir auffällig durchs Haar. „Ist mein herzallerliebster

Enkelsohn.“

„Und dein Einziger.“ Ergänzte ich verschmitzt lächelnd und bekam als Dank einen feuchten Schmatz.

„Stimmt. Und nun wünsche ich euch einen schönen Abend. Es hat mich gefreut, dich kennenzulernen, Andreas.“ Dann steckte sie mir noch etwas zu und verschwand mit einem zufriedenen Grinser in ihrem Büro.

Wir verbrachten einen super geilen Abend. Ich zeigte Andy das ganze Haus. Von den Privaträumen bis zum

Wellness-Bereich. Über das, was am Gletscher passiert, war kein Wort. Inzwischen hatten wir den Poolbereich erreicht.

„Magst du schwimmen?“ Es war ja keiner da und die Benutzungszeit für Gäste war ja schon lange vorbei. Alles erschien in einem dämmerigen Licht.

„Dein Ernst? Jetzt hier.“

„Warum nicht.“ Und schon begann ich mich auszuziehen. Andy schaute mir lustvoll zu. Mit einem eleganten Köpper sprang ich ins kühle Nass „Na komm` schon“, forderte ich Andy auf, der immer noch unschlüssig und wie ein kleiner überforderter Schuljunge am Rande des Pools stand. „Ich fresse dich auch nicht.“ Von seiner Coolness vom Gletscher war nichts mehr übrig  geblieben.  Ganz  vorsichtig  entledigte  er  sich  seinen Klamotten. Er schien sich vor sich selbst zu schämen, denn er wurde puterrot. Dabei sah er gar nicht so schlecht aus. Gut gebaut, was will man mehr …

„Na komm schon. Wir wollen nur ein bisschen Spaß haben.“

„Ok. Wenn du meinst.“ Er legte seine Brille ab und sprang dann in Shorts über meinen Kopf hinweg in den Pool. Er traute sich anscheinend nicht, nackt zu schwimmen. Aber was soll`s … Ich nahm, was ich kriegen konnte.

Wir tobten eine ganze Weile ausgelassen durchs Wasser, ohne uns auch nur näher zu kommen. Mir platzte der Kragen.

„Ok was geht jetzt ab hier. Vorhin warst du noch so fordernd und nun … was ist passiert!“ Andy näherte sich mir langsam.

„Es ist ziemlich viel für mich, das hier, du, einfach alles.“

„Aber du bist 22 und ich dachte …“

„Nee, nicht wirklich,“ unterbrach er mich fast schon reumütig. „Das ist alles ziemlich neu für mich. Ich meine, dass ich einem Jungen so nahe komme wie dir gerade oder heute auf dem Gletscher. Ich bin eigentlich nicht so direkt, hab dafür zu viel Scheiß in meinem Outing mitgemacht.“ Wow … mit so viel erneuter Offenheit hatte ich nun nicht gerechnet.

„Dafür bist du aufm Berg aber schon sehr rangegangen.“ Wir sahen uns lange gegenseitig in die Augen. Ich konnte nicht anders, ich musste es einfach wagen. Vorsichtig küsste ich ihn und Gott sei Dank erwiderte er den Kuss, wenn auch zunächst eher zaghaft. Es schlug ein wie ein Blitz! Ja, ich war verliebt, das erste Mal so richtig …

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