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Ich hab es mir nicht ausgesucht...
Wie alles begann...
Teil 13 - Bedingungslos oder alles wieder ganz anders...
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Informationen
- Story: Ich hab es mir nicht ausgesucht...
- Autor: Julian K.
- Die Story gehört zu folgenden Genre: Coming Out
Inhaltsverzeichnis
Wortlos zogen wir uns an. Im Wohnzimmer begrüßte uns Tims Vati fröhlich, „na ihr habt es aber lange in euren Betten ausgehalten, wie war das doch gleich mit dem Laufen vor dem Frühstück?“ Er lachte laut und herzlich auf. „Och Vati, wir müssen doch sowieso am Dienstag schon wieder rennen und so viel haben wir ja nun auch nicht gefuttert.“ Ich schwieg dazu, bestimmt hatte sein Papa das mit dem Laufen ernst gemeint, aber so richtige Lust dazu hatten wir nicht. Der kurze Disput wurde durch Tims Mutti beendet, die „ihre drei Männer“ zum Frühstück in den Wintergarten bat. Neugierig folgte ich Tim und seinem Vati, einen Wintergarten hatten wir an unserem Haus nicht. Hinter der großen Glasfassade lachte die vormittägliche Wintersonne auf den herrlich gedeckten Frühstückstisch. Strahlend wendete sich Tim an seine Mutti, „oh Mutti, das sieht alles so lecker aus und ist ein superschönes Sonntagsfrühstück, danke.“ Er huschte zu seiner Mutti herüber, umarmte sie kurz und gab ihr einen Guten Morgen Kuss. Verlegen stand ich am Tisch und wünschte den Eltern auch einen „Guten Morgen“. Um den für uns alle neuen und ungewohnten Moment zu überspielen, wendete sich Herr Wegner an mich, „habt ihr ein besonderes Ritual an so einem schönen Sonntagmorgen, also gibt es etwas, etwas bei euch sonntags Tradition ist?“ Ich schüttelte den Kopf, dann aber fiel mir ein, „na ja, eigentlich doch. Bei uns wird immer eine schöne große Kerze auf dem Sonntagstisch angezündet und Papa bringt oft, wenn er die Brötchen holt, einen schönen Blumenstrauß für Mama mit, der dann auf dem Frühstückstisch einen besonderen Platz bekommt.“ Leise ergänzte ich, „na ja, manchmal hole ich auch die Brötchen…“ Ich schwieg. Frau Wegner lachte laut auf, „siehste, der Mann liebt seine Frau wirklich, der denkt an Blumen…“ Jetzt stotterte Tims Vati, „na aber Heidi, ich hab dir doch letztens...“ Sie unterbrach ihn, „dein Letztens war im vergangenen Jahr.“ Wieder lachte sie, gab ihrem Mann einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Peinlich berührt stand ich daneben, dass sie sich streiten, hatte ich nicht gewollt. Etwas grillig hakte Tim jetzt ein, „seid ihr nun fertig mit Schmusen, wir Jungs haben Hunger!“ Sein Vati bekräftigte, „genau!“ Tims Mutti nun, „na dann nehmt bitte Platz und guten Appetit.“ Ich saß natürlich neben Tim und seinem Vati. Frau Wegner verschwand noch einmal im Wohnzimmer und kam gleich darauf mit einer wunderschönen Kerze in den Wintergarten zurück. Sie setzte sich so, dass sie jederzeit nochmal in die Küche sausen konnte, falls ihre Männer noch mehr Appetit hatten. Sie reichte mir die Streichhölzer und bat mich, die Kerze zu entzünden. Überrascht und mit zitternden Händen erfüllte ich ihren Wunsch. Tims Kommentar, „so, damit gehörst du nun aber endlich zu unserer Familie.“ Seine Eltern schmunzelten „na, wenn das mal keinen Ärger mit Susanne und Lars gibt.“ „Und wenn Julian dann gar nicht mehr nach Hause kommt… und ganz bei uns einzieht, brauchen wir noch ein Jungszimmer.“ Tim runzelte die Stirn, „wieso das denn?“ Tims Vati lachte. „Na, erstens braucht ihr jeden einen eigenen Arbeitsplatz und dann, wer weiß, vielleicht vertragt ihr euch ja auch nicht immer… Manchmal zoffen sich auch Brüder… und wollen sich aus dem Weg gehen. Was meinst du Heidi, müssen wir anbauen?“ Tim blickte ihn fast wütend an, er zischte „Vatiii…“ Unsicher schaute ich in die Runde. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hatte vorhin doch schon das Zögern von Tim bemerkt, vielleicht hatte Tims Vati ja Recht…? Tims Mutti beendete die Diskussion, „jetzt ist es aber genug, lasst uns ein anderes Mal darüber reden. Das Rührei wird kalt und die kleinen Pfannkuchen sind auch nur lecker, wenn sie noch schön heiß sind. Also lasst es euch schmecken.“ Wir griffen herzhaft zu und schon bald war nicht mehr viel auf den schön angerichteten Frühstücksplatten zu sehen. Nachdem wir beim Abräumen des Geschirrs geholfen hatten, bat Tims Vati uns nochmals in den Wintergarten an den großen Tisch. Tims Mutti werkelte in der Küche herum, während er uns danach fragte, was wir für den restlichen Tag, also bis zum Kaffee, noch geplant hatten. Dann, so war es ja mit meinen Eltern verabredet, musste ich wieder nach Hause. Überrascht schauten wir uns an, darüber hatten wir uns noch gar keine Gedanken gemacht. Das sagte Tim auch frei heraus, „Vati“, er blickte mich um Zustimmung bittend an, „darüber haben wir noch gar nicht nachgedacht, wir wollten zusammen noch etwas machen, aber was…?“ Er ließ es offen, ich nickte zustimmend. „Ja, also, Herr Wegner, hm, wir wissen es noch nicht wirklich.“ Kurz zuckte Tims Vati bei meiner Anrede zusammen, sagte aber nichts. „Ich hab nämlich vorhin auf meinem Handy eine Einladung zum Kaffeetrinken bekommen, die möchten wir unbedingt annehmen, aaaber, ihr müsstet mitkommen. Bis dahin könntet ihr doch noch eine ganze Weile zusammen sein, ich denke, ihr seht euch doch sowieso die ganze Woche, macht alles gemeinsam und wie ich euch einschätze“, er lachte laut auf, „haben Kiefers demnächst am Wochenende zwei Jungs und wir sind kinderlos.“
Während der letzten Worte kam Frau Wegner in den Wintergarten, brachte für ihren Mann noch einen Espresso mit und stellte für uns kühlen Orangensaft auf den Tisch. Nicht sonderlich begeistert schauten wir uns an, „Mutti, Vati muss das sein?“ „Wir unterstützen eure Freundschaft uneingeschränkt, denken jedoch, dass ihr auch unseren Wunsch versteht. Wir haben euch gern ein gemeinsames Wochenende ermöglicht und wünschen uns“, sie sah ihren Mann lieb an, „dass ihr auch mit uns ein wenig Zeit verbringt.“ Sie sprach sehr leise und liebevoll, ohne jeden Vorwurf in der Stimme. Tim verzog trotzdem das Gesicht und blickte mich zerknirscht an, ich aber legte ihm den Arm um die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr, „komm Timmi, sie haben recht, wir hatten bisher eine schöne Zeit für uns und sind doch morgen wieder zusammen, sie sind so lieb zu uns…“ Tim hob seinen Kopf, schaute nacheinander seine Eltern an, zögerte kurz, wieder als ob er überlegen würde. Schnell legte er mir beide Hände in den Nacken und zog mich zu sich heran. Stirn an Stirn verharrten wir kurz, dann nickte er. Überrascht davon, dass Tim mich vor seinen Eltern so vertraulich berührte, erklärte ich hastig, „das ist unser geheimes Zeichen, das machen wir aber nur…“, ich musste schlucken und sprach nicht weiter. Tims Mutti kam um den Tisch herum, küsste ihren Sohn kurz auf den Kopf und strich mir mit der freien Hand über die Schulter. „Alles gut Jungs…“ Tims Vati saß wortlos am Tisch, seine Augen strahlten. „Eigentlich nur, wenn wir alleine sind.“ Fragend schaute ich Tim an. Der nickte nun zustimmend.
„So Jungs, wenn ihr einverstanden seid und nicht verhungert, dann lassen wir das Mittagessen heute weg, bei unserem Vesper gibt es sicher genug zu essen. Zumal ihr ja das Lauftraining heute verweigert.“ Er lachte wieder laut auf, „ihr Schlingel… Und jetzt ab mit euch, bis halb drei gehört die Welt noch euch allein.“ Wir sprangen auf und wendeten uns der Treppe zu, Tim sauste voran, ich hatte noch kurz den Ruf von Tims Vati gehört, „Julian“, ich drehte mich nochmal um, Herr Wegner stand an der untersten Treppenstufe, ohne weiteres zog meinen Kopf zu sich heran und legte flüchtig seine Stirn an meine, „Danke, Juli, danke, dass du für Tim da bist“. Ganz schnell drehte er sich weg und schloss die Wohnzimmertür hinter sich.
Verlegen und überrascht stand ich auf der Treppe, „kommst du endlich“, maulte Tim von oben. In Gedanken stieg ich langsam die Treppe hinauf zum Jungszimmer. „Was war denn noch?“ „Ach nix.“ Tim schaute kurz ungläubig, hakte aber nicht weiter nach. Wir beschlossen, ein wenig am Computer und den Handys zu daddeln und dann noch mal eine Runde um den See zu drehen. Ich nahm mir heimlich vor zu testen, ob Tim den Weg zum Versteck allein finden würde. Ziemlich schnell wurde uns zu langweilig am MacBook und jedem allein an seinem Handy, das war auch nicht das richtige. Eine ganze Weile schon hatte ich mein Handy zur Seite gelegt und beobachtete schweigend Tim bei dessen Surfen am PC. Schließlich bemerkte Tim, dass ich ihn schon die ganze Zeit betrachtete. Fragend drehte er sich zu mir hin, „wollen wir los?“ Ich nickte, „los komm, draußen ist so schöne Luft, lass uns unsere Seerunde drehen.“ Polternd stürmten wir die Treppe hinunter, gaben kurz Tims Eltern Bescheid und schon rannten wir in Richtung See. Abrupt blieb ich stehen, Tim stoppte ebenfalls und drehte sich fragend um, „was ist?“ „Timmi, kannst du allein den Weg zu unserem Geheimversteck finden, auch wenn ich dich nicht führe?“ Er überlegte einen Moment, „ich glaub, wenn wir am Parkplatz beginnen, dann ja.“ „Okay, wenn nicht, dann hab ich wieder was gut bei dir, abgemacht?“ Tim stutzte, „hä, wie, was, na gut, aber wenn ja, dann ich bei dir, hab ja sowieso noch…“ Wir lachten, „okay, und du weißt auch was?“, ergänzte Tim etwas spöttisch grinsend. „Ich weiß nämlich, was ich mir von dir wünsche.“ Ich schmunzelte nur zurück. Beide wussten wir, was der andere meinte, Tim stimmte grinsend zu.
Los gings… Den Weg zum Parkplatz gingen wir nebeneinander. Seltsamerweise schwiegen wir auf dem Weg dorthin. Tim schien in Gedanken, ob sich in seinem Kopf nochmal die Ereignisse der letzten Nacht abspielten, die schönen Berührungen und die beglückenden körperlichen Momente mit mir oder seine eigenen…? Ich konnte es nur erahnen. An der Bank angekommen, blieb ich stehen und schaute Tim erwartungsvoll an. Der setzte seinen Weg unbeirrt fort und führte mich entgegen der üblichen Laufrichtung auf dem bekannten Weg am Seeufer entlang. Wir genossen die Stille des Sees an diesem Sonntagnachmittag, schnell kam Tim an die Stelle, wo ich gestürzt war und er dann die Kette unter dem abgebrochenen Ast entdeckt hatte. Kurz stocke er und überlegte, fragend schaute er mich an. Ich sagte nichts, sondern grinste nur gemein. Tim schüttelte den Kopf und ging suchend weiter, mit sich selbst redend meinte er, „irgendwo hier muss doch der Pfad beginnen…“ Aber er war sich nicht sicher, wollte aber auch die Wette noch nicht verloren geben. Langsam, den Blick suchend ins Gebüsch gerichtet, ging er weiter den Weg entlang. Nach etwa 100 Metern, die ich ihm einfach und ohne Kommentar hinterherlief, blieb er stehen und hob verzweifelt die Schultern. „Hier irgendwo muss doch der Scheißpfad zu sehen sein… Mist.“ Ich blickte ihn fragend an, „gibst du auf?“ Tim schüttelte den Kopf, „möchtest wohl gern, dass ich dir gleich nochmal…“, er verstummte. Ich zuckte nur kurz mit den Achseln, „okay, 10 Minuten geb ich dir noch, dann müssen wir zu dir nach Hause zurück.“ Erschrocken schaute Tim auf seine Uhr, es stimmte, die Zeit war so schnell verstrichen. Bestimmt würden wir es gerade noch so zurückschaffen, wenn wir die Verabredung mit seinen Eltern einhalten wollten. Wütend auf sich selbst und sein voreiliges Versprechen stapfte er rasch den Weg, den wir gekommen waren, zurück. Seine Augen durchforschten immer wieder suchend den Wegrand nach einem Anzeichen für den gesuchten Eingang zum Versteck. Umsonst. Wieder am Parkplatz angekommen, drehte er sich zerknirscht zu mir um, ich war ihm stumm gefolgt und er knurrte mich an. „Okay, du hast gewonnen und was willst du nun von mir?“ Ich war erschrocken über den ungehaltenen Ausdruck in Tims Augen, „Das weißt du doch gen…, was ist los mit dir, warum bist du so sauer?“ „Ach, lass mich, los komm, wir müssen zurück und mit zu dem blöden Besuch“, knurrte er.
Enttäuscht über Tims Laune trottete ich hinter ihm her zum Haus der Wegners. Dort warteten bereits Tims Eltern auf uns. Schnell flitzte ich nochmal in Tims Zimmer hinauf, um meinen Rucksack zu holen, Tim knurrte, „muss noch mal kurz aufs Klo.“ Ohne weitere Worte verschwand er in die Gästetoilette im Erdgeschoss. Ich war als erster wieder im Hausflur, aufmerksam sah Tims Vati mich an, ich zuckte aber nur mit den Schultern, da kam auch Tim wieder dazu. Fragend blickte er in die Runde. „Was ist?“
„Na dann lasst uns mal aufbrechen“, Tims Mutti löste die komische Situation auf. Tim eilte als erster durch die Tür und ging zielstrebig auf den Volvo zu, aber seinen Vati hielt ihn zurück. „Hey, Timmi, wir brauchen kein Auto, wir sind in 10 Minuten zu Fuß da.“ „Hä?“ Überrascht drehte sich Tim um, „wieso, wo gehen wir denn eigentlich hin?“ Seine Mutti lachte, „haben wir euch nicht gesagt, dass wir heute bei Kiefers zum Kaffee eingeladen sind?“ Überrascht schauten wir uns an, „Och nee“ maulte Tim zurück, muss das sein?“ Jetzt war ich echt etwas sauer, „was ist los mit dir, hast du keinen Bock, ich freu mich darüber… da kann ich dir mein Zimmer und so…“ Aber Tim hatte sich schon wortlos umgedreht und stapfte ohne Antwort los in Richtung Bushaltestelle, wo es ja auch zu uns nach Hause ging. Tims Eltern blickten mich erschrocken an, leise fragte Herr Wegner „Julian, was war los zwischen euch beiden? Warum ist Tim so drauf?“ „Ich weiß es nicht, ehrlich Herr Wegner, bis zum Vormittag war alles in Ordnung. Wir haben uns eigentlich auch nicht gestritten, er hat eine kleine Wette zwischen uns verloren, er hat…“ Ich verstummte und drehte mich von Tims Vati weg. Was war auf einmal los mit Tim, warum hatte ich es immer so schwer mit meinen Freunden, erst Markus, jetzt Tim…? Schweigend machten wir uns auf den Weg zu unserem Haus. Tim war dort schon angekommen, er wartete am Gartentor auf uns. Papa hatte uns schon kommen sehen und erwartete uns in der offenen Haustür. Freudig eilte ich ihm entgegen und umarmte ihn, er schaute mich überrascht an. Schnell löste ich mich von ihm und schob mich an Papa vorbei ins Haus. Papa begrüßte nun Tim mit einem Händedruck, den dieser aber nur flüchtig und zögerlich beantwortete. Fragend schaute mein Papa die Eltern von Tim an, aber Tims Vati zuckte auch nur mit den Schultern und meinte leise, „lass uns erstmal reingehen.“ Mama kam ihnen im Flur entgegen und begrüße freudig die Gäste. „Ich freue mich, dass uns die Überraschung gelungen…“, sie stutzte, nun bemerkte auch sie die seltsame Stimmung, bemühte sich aber um eine gut gelaunte Ausstrahlung. „Na lasst uns erstmal einen guten Kaffee trinken, ich hab wieder den Lieblingskuchen der Jungs gebacken und das leckere Eis gibt’s danach.“ Ich verzog mich erstmal in mein Zimmer, „Danke Mama für die Überraschung, ich bin gleich wieder unten.“
Wartend stand ich da und schaute Tim auffordernd an, der mir nur zögerlich die Treppe hinauf ins Kinderzimmer folgte. Nachdem Tim hinter sich die Tür geschlossen hatte, schaute er sich aufmerksam im Zimmer um. Er sah mein Zimmer zum ersten Mal im Tageslicht, in der Nacht, als er zu mir geschlichen war, hatte er im Halbdunkel nur einen vagen Eindruck davon bekommen. Sein Blick schweifte über die Poster an der Wand, den Schreibtisch mit dem MacBook und mein breites Bett hin zum Bücherregal. Schmunzelnd registrierte er den kleinen braunen Teddy, der ihn von dort her angrinste. Ich hatte mich inzwischen auf mein Bett gesetzt und beobachtete Tim.
Der nahm den kleinen Teddy vom Regal und drehte sich zu mir um, „benutzt du den oft?“, fragte er grinsend. Ich zuckte mit den Schultern, „ja schon, manchmal, warum fragst du?“ „Wann zuletzt?“ Überrascht schaute ich ihn an und wurde rot, „hä, ähm, weiß nicht, sag ich nicht, wieso?“ „Nur so und woran hast du dabei gedacht?“ „Ey, du Sack, das weißt du doch ganz genau…“, ich musste schlucken und fühlte augenblicklich, dass sich mein Glied in meiner engen Jeans zu strecken begann. Unsicher wanderte mein Blick auf meinen Schritt. Tims Augen folgte diesem Blick, jetzt lachte er laut auf, „und wollen wir ihn gleich noch mal draußen anhängen?“ Ich erschrak, „bist du irre? Nee, wir müssen gleich wieder runter zum Kaffeetrinken, außerdem nicht, bevor du mir nicht sagst, warum du heute Nachmittag so komisch drauf bist. Los komm“, schnell erhob ich mich und wandte mich der Tür zu, Tim hielt mich an der Schulter zurück, griff mir mit starker Hand in den Nacken und drückte mir einen herzhaften Kuss auf die Lippen, „ich weiß es selbst nicht so genau, lass uns gehen.“ Laut polternd tobten wir die Treppenstufen hinab zum Wohnzimmer. Der Teddy blieb auf dem Kopfkissen zurück.
Überrascht davon, dass zwischen uns scheinbar wieder alles in Ordnung war, bat Mama alle an den großen Wohnzimmertisch, auch Papa und Tims Eltern schienen den Wandel in unserem Verhalten zu bemerken und setzten sich gut gelaunt dazu. Es wurde ein gemütlicher Nachmittag, bei dem wir uns wie eine große Familie fühlten.
Es dunkelte an diesem Winternachmittag ziemlich zeitig, draußen zogen sich ein paar kräftige Wolken wie zu einem Wintergewitter zusammen. In diesem Moment vibrierte das Telefon von Tims Vati in einem bestimmten Rhythmus, er verzog wissend sein Gesicht und meinte, „entschuldigt bitte, das ist dienstlich.“ Er erhob sich, im Hinausgehen nahm er das Gespräch an. „Das Wetter war aber auch zu erwarten“, sagte Tims Mutti in die plötzlich entstandene Stille hinein, „nach dem warmen Nachmittag…, am besten ist, wir machen uns dann auf den Heimweg.“ Tim seufzte, „nie im Leben werde ich Polizist, nie…“. Etwas traurig schaute ich zu meinen Eltern, „muss Tim auch schon…?“ Papa schaute mich liebevoll an, „Juli, es ist doch besser, wenn jeder bei dem Wetter zu Hause ist. Ich glaube, ihr hattet ein großartiges Freundschaftswochenende?“ Ich nickte bestätigend. „Und morgen seht ihr euch doch gleich wieder im Bus, okay, ihr beiden?“, fuhr Papa fort. Sein Blick wanderte von Tim zu mir und wieder zurück. Leicht zögernd nickten wir beide zustimmend. Mama hakte ein, „na und dann haben wir, also Papa und ich, schon mal überlegt, dass wir für das kommende Wochenende wieder das Gästezimmer von Oma und Opa für zwei prima Jungs reservieren wollen.“
Tim reagierte sofort, sprang auf und schaute seine Mutti fragend, bittend an. „Aaaaaber“, sprach Mama nun weiter, „aber nur unter zwei Bedingungen, erstens, Paul und Heidi leihen uns ihren Sohn für das Wochenende und zweitens“, sie unterbrach sich und schaute nun uns beide forschend an, „zweite Bedingung, die Woche flutscht reibungslos in der Schule, beim Training und allen anderen Aufgaben…“ Fragend schauten alle Erwachsenen uns an, wir strahlten uns freudig an und ohne Zögern stimmten wir zu.
Tims Vati kam wieder ins Wohnzimmer, sein Gesicht zeigte eine ernste Falte. „Also ihr Lieben ich muss dann, eine ernste Angelegenheit. Es tut mir sehr leid, aber…“ Alle schwiegen wir erschrocken. Tims Vati verabschiedete sich schnell, „ich habe mich sehr über unser Zusammensein und unsere neue Freundschaft gefreut, gern gehe ich gerade jetzt nicht, aber es muss sein. Heidi ich muss los, der Dienstwagen ist schon auf dem Weg hierher, er holt mich ab. Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.“ Rasch trat er auf seine Frau zu, gab ihr einen lieben Kuss, strich Tim über den Kopf. Der umarmte seinen Vati kurz lieb. Herr Wegner wendete sich an meine Eltern, „Susanne, Lars, vielen Dank, ich denke, wir lassen unsere Treffen zur Regelmäßigkeit werden, ich bin sehr gerne mit euch zusammen.“ Mir drückte er lange und fest die Hand, „mach‘s gut mein Großer, wir sehen uns bald…“, mit der anderen Hand fuhr er mir durch die Haare. Eigenartigerweise ließ ich es geschehen, obwohl das sonst eigentlich niemand durfte. Noch einmal winkte Tims Vati und verließ dann das Haus. Vor unserem Haus blitzten die Blaulichter eines Streifenwagens auf, der mit knirschenden Reifen stoppte. In die Stille hinein wiederholte Tim seinen Fluch nochmals, „niemals werde ich Polizist, so ein Scheißberuf…“ Entschuldigend sah Tims Mutti sich in der Runde um, „es ist immer so, wenn’s schön ist…“ Sie sprach nicht weiter. Papa löste die Stille auf, indem er meinte „ja, na ja aber wir sehen uns bestimmt bald wieder. Vielleicht klärt sich ja alles bald.“ Tim stöhnte resignierend auf, „jaja… Mutti komm, wir gehen dann mal, es sieht aus, als ob es wirklich gleich losgewittert.“
Rasch packten sie ihre Sachen zusammen als die ersten Blitze bereits den dunklen Himmel durchzuckten. Mama meinte, „Lars, los fahr sie schnell rüber, ehe sie zu Hause sind, sind sie doch total durchnässt.“ Papa nahm schnell die Autoschlüssel vom Haken, warf sich eine Jacke über und ging rasch durch den Keller in die Garage. Im nächsten Moment stand der Van direkt vor der Haustür. Eilig verabschiedeten sich Tim und seine Mutti von Mama und von mir. Tim verharrte wieder einen Moment unschlüssig vor mir, eher er mir kurz entschlossen die Hand zum Abklatschen hinhielt. Konsterniert von dieser simplen Geste schlug ich ein, ich hatte doch etwas mehr erwartet, unsicher sah ich meinem Freund ins Gesicht. Wieder wich Tim meinem Blick aus und sagte nur, „tschau, bis morgen früh am Bus“, drehte sich weg und folgte seiner Mutti, die schon im Auto saß. Enttäuscht sah ich ihm nach.
Ich stand noch gedankenverloren im Haus, als das Auto schon nicht mehr zu sehen war. Mama strich mir sanft über die Schulter, „Juli, alles in Ordnung?“ „Ich weiß nicht“, ich seufzte, „manchmal ist er so komisch. Ich geh schon mal wieder hoch, mein Schulzeug fertig machen. Ruft ihr mich zum Abendbrot?“ „Ja na klar“, ich fühlte in meinem Rücken, dass Mama mir hinterher sah, als ich langsam die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg. Ohne wirklich zu wissen warum, stopfte ich missmutig meine Sportsachen in die bereitliegende Tasche, meine Tights hielt ich kurz sinnierend in der Hand, damit hatte alles angefangen. Wütend warf ich die kurzen Hosen in die Tasche. Missmutig zerrte ich am Reißverschluss und schloss die Tasche. Suchend sah ich mich im Zimmer um, der kleine Teddy lag achtlos auf dem Kopfkissen, Tim hatte ihn vorhin dort einfach fallen gelassen. Mit Wucht feuerte ich den kleinen Plüschfreund in die hinterste Zimmerecke. Die Schultasche hatte ich bereits am Samstag gepackt, um mich abzulenken nahm ich noch einmal die englischen Vokabeln in Angriff, sicher würde Mr. Fox sie morgen prüfen, er hatte so etwas in den Stunden vor dem Wochenende angedeutet.
Wie immer, wenn ich mich konzentrierte, begann ich mit einer Hand nach der kleinen Kette um meinen Hals zu tasten. Die kleinen Herzen daran wanderten zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her, ich schaffte es in diesem Moment nicht mehr, mich zu konzentrieren. Mir kam die vergangene Nacht in den Sinn. Tim hatte mir im Schlaf heimlich die Kette umgehängt und mir auch erzählt, dass er mich, als ich nackt vor ihm lag und schlief, lange betrachtet, sogar den kleinen Leberfleck in der Leistenbeuge entdeckt hatte und sich dann selber… Wie gern hätte ich mehr mit Tim gemeinsam erkundet… Warum hatte er mich nicht geweckt? Ich musste schlucken. Ich bemerkte, dass ich feuchte Augen bekam, schnell wischte ich mir über das Gesicht, so ein Scheiß, er hat mir doch dann am Morgen auch einen runtergeholt, warum ist er dann so komisch geworden? Ärgerlich über mich selbst schob ich die Vokabeln weg und legte den Kopf auf den Tisch. Ich wollte nicht heulen, konnte es aber nicht ganz unterdrücken. Von unten hörte ich Papa rufen, „Juli, Abendbrot ist fertig, kommst du bitte?“ Schnell ging ich ins Bad, das kalte Wasser in meinem Gesicht tat gut. Nach einem kurzen Blick in den Spiegel sah ich, dass ich immer noch etwas verheult aussah. Ich schlich die Treppe hinunter und öffnete zögernd die Küchentür.
Mama und Papa saßen bereits am Abendbrottisch und schauten mir aufmerksam entgegen. Bestimmt erkannten sie die Traurigkeit in meinem Blick, aber warteten einfach ab. Sie wussten, dass sie mich zu nichts drängen brauchten. Wenn ich ihnen etwas sagen wollte, würde ich ihnen früher oder später vertrauensvoll von meinen Sorgen erzählen. Ohne großen Hunger nahm ich Platz und stützte die Ellenbogen auf. Mama wünschte guten Appetit und goss mir einen frischen Orangensaft ins Glas. Schweigend, in Gedanken versunken nahm ich von den leckeren kleinen Klopsen und schob mir einen wie automatisch in den Mund. Nachdenklich begann ich zu kauen. „Mama, Papa, kann ich euch mal was fragen?“ Meine Eltern stutzten, „gerne Juli, was möchtest du wissen?“ Papa hatte ganz leise zurückgefragt. Angestrengt überlegte ich, blickte von Mama zu Papa, holte tief Luft. „Wenn man einen Menschen sehr mag, also zum Beispiel“, ich stockte, „also zum Beispiel seinen Freund…“ Meine Eltern warteten ab. „Ja…?“ „Na, wie merkt man, dass derjenige, das auch so, na, dass der andere auch so, na, na so fühlt?“ Mama und Papa schwiegen zunächst. Papa holte tief Luft und fragte sehr leise, „hast du denn Sorge, dass das bei euch, also bei Tim und dir, anders ist? Glaubst du, dass er...?“ Papa kam gar nicht dazu, die Frage fertig zu stellen. Aufgeregt sprang ich auf, „Nein, nein, ich mein ja nur, ach ich weiß es auch nicht...“ Ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen. Mama strich mir leicht über den Arm und meinte, „wollen wir uns nachher noch auf die Couch im Wohnzimmer setzen und ein wenig plaudern, es ist ja noch nicht ganz so spät. Du hast doch bestimmt schon alles für die Schule fertig, oder?“ Bestätigend nickte ich, räumte mit Mama zusammen das Geschirr weg. Ich hatte kaum etwas gegessen, aber ich hatte auch keinen Appetit gehabt. Papa war inzwischen im Wohnzimmer dabei, den Kamin noch einmal anzuheizen. Er stellte drei Weingläser bereit, für mich würde es natürlich keinen Alkohol geben. Ich wollte, bevor ich mich zu Mama und Papa ins Wohnzimmer setzte, noch schnell fertig machen für die Nacht. Ich legte in meinem Zimmer schnell alle Sachen ab und sprang unter die Dusche, kurz wanderten meine Gedanken zum Morgen zurück, als ich mit Tim gemeinsam unter der Dusche gestanden hatte, aber ebenso schnell drehte ich die Wassertemperatur auf kalt. Ich wollte die Gedanken an Tim in diesem Moment loswerden. Unter dem Bademantel hatte ich nur meine Schlafhose angezogen, in meinem Zimmer schaute ich nochmal umher, holte den kleinen Teddy aus der Ecke und strich ihm zärtlich über das Fell, pustete ein paar Staubfussel weg und lächelte in mich hinein. Liebevoll legte ich ihn auf mein Kopfkissen zurück.
Auf der Couch kuschelte ich mich wie ein kleiner Junge ganz eng an Mama an und schaute verträumt in die Flamme der Kerze auf dem Tischchen. Papa hatte inzwischen die Gläser gefüllt und hob sein Glas, um mit Mama und mir noch einmal auf das schöne Wochenende anzustoßen, dass wir gemeinsam mit unseren neuen Freunden verbracht hatten. Das Wintergewitter hatte sich zwischenzeitlich gelegt, nur noch der Sturm tobte fauchend um das Haus. Papa lauschte kurz und fragte dann in die Stille hinein, „ob denn Paul schon wieder zurück ist, Tim war ja echt sauer, dass sein Vati auch am Sonntagnachmittag so plötzlich zum Dienst musste und sogar mit Blaulicht abgeholt wurde.“ Ich schaute ihm aufmerksam ins Gesicht, „Ja, Tim ist immer ganz unglücklich, wenn er manchmal spät nach Hause kommt und sein Vati ist nicht da. Er hat mir auch erzählt, oft muss er auch mitten in der Nacht weg und fehlt dann am Morgen beim Frühstück, da ist Tim immer ziemlich traurig und schlecht gelaunt.“ „Du kennst ihn schon sehr gut nach der kurzen Zeit, du magst ihn sehr, hm…?“ Mama schaute mich liebevoll an. Ich schluckte, antwortete nicht gleich, nickte nur. Aufmerksam sah ich Mama nun in die Augen. „Ja sehr sogar, aber genau das ist das, was mich unsicher macht. Ich hab es ihm heute Nacht gesagt und wir waren auch, na ja haben eben, ach naja. Also wir haben uns gut, sehr gut verstanden.“ Ich sah Papa bittend ins Gesicht, als ob er doch verstehen müsste, was ich meinte. Papa nickte. „Ihr wart also lieb zueinander, sagen wir es so?“, fragte er, ich nickte erleichtert. Papa zögerte kurz bevor er dann nachfragte „oder war etwas Doofes dabei?“ „Nein, Papa, nein, wir - wir haben nichts gemacht, was der andere nicht wollte, glaubt ihr mir?“ Unsicher sah ich Mama an. Mama bestätigte, „Juli, Großer aber ja doch, du darfst dir immer sicher sein, wir lieben dich und vertrauen dir. Das weißt du bestimmt auch.“ Wieder nickte ich, „ja, aber das ist es gar nicht. Heute war er dann irgendwie anders, so als ob ihm das alles peinlich wäre, was wir gemacht, also na ja. Als ob er, ich weiß nicht, wo er mit seinen Gedanken war. Auch ist er mir immer wieder mit seinem Blick ausgewichen. Dann war ja auch anfangs am Nachmittag so eine komische Stimmung, das habt ihr ja auch bemerkt. Na und, dann verabschiedet er sich mit einem Handschlag von mir, als ob ihm unsere Abschiedsgeste vor euch peinlich wäre. Ich weiß nichts mehr…“
Meine Eltern schwiegen nachdenklich, sie kannten mich zu gut, um mich mit einer schnellen lapidaren Antwort abzuspeisen. Ich denke, ich war ihnen zu wichtig. Sie selbst überlegten eine ganze Weile. Zusammengekauert und abwartend, wie ein kleines Häufchen Unglück, saß ich ganz eng an Mama gekuschelt. Ich hatte die Füße mit auf die Couch gezogen und schaute meine Eltern erwartungsvoll an. Nach längerer Zeit des Schweigens, in der sich meine Eltern mehrfach mit den Augen verständigten, begann Papa sanft und leise. „Juli, Großer, magst du uns über deine Vorstellungen oder besser Wünsche an euer Zusammensein, also euer erstes langes Übernachtungstreffen erzählen? Also, zum Beispiel, was hattet ihr euch gemeinsam vorgenommen, was hast du von Tim und er von dir erwartet, eventuell habt ihr euch darüber ausgetauscht?“ Ich sah die Eltern überrascht an, setzte mich auf und überlegte. Mama wiederholte, „Juli, bitte nur, wenn du uns davon erzählen möchtest…“ Ich schaute Mama erstaunt ins Gesicht, „ja Mami, ich weiß, dass ich euch vertrauen kann, euch alles erzählen darf… Ich muss nur selber mal überlegen, eigentlich hatten wir nicht darüber gesprochen, was wir miteinander unternehmen wollen, es hat sich alles so ergeben. Besondere Wünsche hatte ich für unser Treffen eigentlich nicht, ja wir wollten zusammen sein, aber wenn ihr denkt, dass ich geplant hatte mit ihm, na ja, also na ja… nee. Das eigentlich nicht. Also zusammen sein ja, vielleicht hab‘ ich mir auch mehr gewünscht, aber darüber hatten wir nicht gesprochen. Es kam alles von allein so…“ Ich dachte wieder nach. „Als ihr dann am Abend nach Hause gegangen seid, haben wir noch etwas mit Tims Eltern zusammengesessen und sind dann später in sein Zimmer. Na, da haben wir dann ein wenig im Bett gequatscht, er wollte viel von mir wissen, wo wir herkommen, was meine Hobbys außer Sport sind und so. Ich hab‘ ihm viel erzählt über mich, über euch und auch über Oma und Opa. Auch von Markus und Basti hab‘ ich ihm erzählt. Wo wir gerne Urlaub machen… Na ja, was er so wissen wollte…“, ich verstummte. „Dann hat er mir erzählt, wie er sich hier als Neuer fühlt, über seine Familie und so was eben. Ja und über seine alte Schule auch…“ Mein Blick richtete sich nun konzentriert auf das lodernde Feuer im Kamin. Ich riss meinen Blick von dort los und schaute Papa direkt an. „Dann hat er mir was erzählt, ihr dürft bitte nie…“ Ich stockte. In meinem Inneren machte es irgendwie klick. War ich ein Verräter, durften meine Eltern Tims Geheimnis erfahren? „Also, er hat mir berichtet, dass in seiner alten Schule, na also, dass dort ein Mädchen ihm zu nahegekommen war, ihm in die… also ihn begrapscht hat. Das hatte ihn geschockt, er wollte das aber nicht und ist weggegangen. Sie hat ihn dann vor anderen Mädchen lächerlich gemacht hatte. Sie haben ihn als schwul, als Memme und als Schlappschwanz gehänselt, der keinen... der…“, ich musste schlucken „der keinen...“ Ich brach ab, dann sprudelte es aus mir heraus, „dabei hat er einen so tollen…“, und schlug mir die Hand vor den Mund. Erstarrt blickte ich meine Eltern an. Mama nahm mich lieb in den Arm. Jetzt flüsterte ich nur noch, „bitte, er darf niemals erfahren, dass ich euch das erzählt hab und auch seine Eltern nicht, ich hab‘ es ihm versprochen. Er hat es nur mir anvertraut. Oh, ich bin ein Arsch, wenn er das erfährt…“
Aufschluchzend heulte ich los. Mama zog mich noch enger zu sich heran und strich mir sanft über den Rücken. „Es ist gut, dass du darüber gesprochen hast, ich glaube, es hat Tim gutgetan, mit dir darüber zu reden, es loszuwerden. Und, dass sein und auch dein Geheimnis bei uns sicher verwahrt ist, darauf kannst du dich wirklich verlassen. Beruhige dich bitte…“ Papa setzte sich dazu und betätigte das Versprechen von Mama. Ich wischte mir die Tränen aus den Augen, schaute meine Eltern an und meinte, „danke, Irgendwann sind wir dann eingeschlafen. Heute gegen Morgen war alles voll okay…“ Lange schwieg ich, meine Gedanken schweiften zurück zu unseren gemeinsamen Momenten in Harmonie.
Ich fand wieder in die Gegenwart zurück, „trotzdem weiß ich nicht, warum er dann so komisch wurde.“ Hastig zerrte ich die kleine goldene Kette unter dem Bademantel hervor. „Hier schaut mal, meine Kette, Tim hatte sie auf dem Seeweg gefunden und sie mir...“, unsicher schaute ich meine Eltern an, ich glaube, ich wurde knallrot im Gesicht. Ich flüsterte, „er hat sie mir heute Nacht, als ich geschlafen habe, heimlich wieder umgelegt. Ich hab‘ es erst gemerkt, als ich ihn küss…“ Beschämt blickte ich zu Boden. Taktvoll schwiegen meine Eltern eine Weile. „Das ist aber ein sehr liebevolles Zeichen von Tim, bestimmt werdet ihr in den nächsten Tagen nochmal darüber sprechen, da bin ich sicher.“ Ich nickte. „Bis zum Wochenende wird sich bestimmt vieles klären, wenn ich das richtig verstanden habe, freut sich Tim ja schon sehr darauf, bei uns, ich mein mit dir das Wochenende zu verbringen, hab‘ ich recht?“ Wieder nickte ich nur bestätigend. „Mami, Paps – ich geh dann mal schlafen, lieben Dank, dass ihr mir zugehört habt, ich wünsche euch eine gute Nacht.“ Beide bekamen einen lieben Gute Nacht Kuss. Wie um mich noch mal abzulenken, fragte Mama, „Juli, Schulsachen, alles fertig, ähm, auch die Sportsachen komplett?“ Ich grinste verstehend, „jaaa, Mami, gute Nacht.“ Leise schloss ich die Wohnzimmertür hinter mir.
Fragend sah Julians Papa seine Frau an, „Ähm, hab ich was verpasst?“ Seine Frau winkte ab, „er musste letztens Lehrgeld bezahlen, ich glaube er vergisst nie wieder seine Unterziehhose zum Sport mitzunehmen…“ Sein Papa grinste verstehend, „oha, das war ihm bestimmt peinlich.“ „Das kannst du aber wissen, beim Turnen und Tim hatte es bemerkt und…“ „Huiii“ Papa zog die Luft laut durch die Zähne ein, „wie manchmal eine Freundschaft beginnt…“ „Spinner, los komm, es ist spät geworden.“ „Ja mein Schatz…“
Einigermaßen zuversichtlich geworden, dass sich alles wieder regeln würde, machte ich mich bettfertig, als ich ein rhythmisches Summen wahrnahm. Und noch einmal, ich hatte dieses Tonmuster schon mal gehört, ich überlegte, nein ich kam nicht drauf. Dann wieder dieses Signal, suchend sah ich mich um, mein Handy hatte ich vor dem Gespräch mit den Eltern doch ausgeschaltet. Ich lauschte wieder, das Summen kam vom Regal, ich stand auf und erstarrte, das Handy von Tim! Der hatte es wohl in der Hektik des Abschieds hier liegengelassen. Jetzt fiel mir auch ein, woher ich das Tonsignal kannte, ja es war Tims Toneinstellung gewesen. Hatte Tim sein Handy noch nicht vermisst, er wird es ja kaum absichtlich hiergelassen haben? Um heute nochmal bei Tim zu Hause anzurufen, war es schon zu spät.
Eben hatte ich das Gerät in die Hand genommen und wollte es gerade in meine Schultasche stecken, als es wieder zu summen begann. Neugierig geworden schaute ich auf das aufleuchtende Display, drei angekündigte Nachrichten, zwei verpasste Anrufe. Eine SMS von Chantal, zwei von einer Annabell. Ein Anruf war auch von Chantal, der andere von Annabell. Ich ließ mich auf mein Bett fallen und starrte ins Dunkel des Zimmers. Was hatte Tim mit Chantal zu tun? Woher hatte sie seine Nummer. Logisch, er muss sie ihr gegeben haben und ihre hatte er ja auch eingespeichert... Ein Stich fuhr mir in die Magengegend. Was…? Ich schüttelte den Kopf, was geht es mich an? Und wer war diese Annabell, ich kannte keine Annabell in unserer Schule. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich versuchen sollte, das Handy zu entsperren, nein, nein, nein! Das würde Tim morgen sehen und außerdem, wir waren doch Freunde…? Unsicherheit ergriff mich, ich bemerkte, dass ich eifersüchtig wurde. Waren wir wirklich Freunde oder hatte Tim nur mit mir gespielt? Hatte er es mir vielleicht nur vorgemacht, um mich zu etwas rumzukriegen, um mich später vielleicht zu verspotten…? Das wollte ich nicht glauben! Warum sonst hatte Tim so viel zugelassen, bis hin, dass ich ihm…?
Ich wollte das Gerät ausschalten, überlegte es mir aber dann anders. Ich wollte Tims Gesicht sehen, wenn ich ihm morgen das Handy mit leuchtendem Display geben würde! Ich steckte es außen in meine Schultasche. Lange wälzte ich mich im Bett umher, irgendwann muss ich aber doch eingeschlafen sein. Im Traum sah ich Tim mit Chantal knutschen, der wehrte sich nicht. Im Gegenteil, seine Zunge fuhr gierig zwischen die Lippen des Mädchens, er streichelte ihre Brüste und sie fuhr ihm mit der Hand unter das Shirt… Schweißgebadet erwachte ich, schaute auf die Uhr, es war halb zwei. Eine Weile döste ich noch im Halbschlaf…
Als mein Handywecker mich gnadenlos in die Realität zurückrief, meinte ich kaum geschlafen zu haben. Ich quälte mich in die Dusche, aus dem Spiegel schaute mich ein total übermüdeter und unausgeschlafener Teenager an, der mir entfernt ähnlich sah. Ich schüttelte den Kopf, „oh Mann, seh‘ ich Scheiße aus.“ Beim Frühstück redete ich kaum ein Wort, Papa war heute schon sehr früh in die Firma gefahren und auch Mama drängelte, „Juli, ich muss dann gleich los, machst du bitte den Geschirrspüler an und vergiss bitte nicht abzuschließen, wann kommst du heute?“ „Och Mama, ja ich schließ ab und ich komm so wie immer montags, ach Mensch ja…“ Ich fühlte sich mal wieder genervt, von mir, von allen… Mama erwiderte nichts darauf, zum einen merkte sie bestimmt, dass ich gerade nicht gut drauf bin zum anderen hatte sie es wohl eilig. Sie gab mir ein schnelles Abschiedsküsschen und wünschte mir einen guten Tag.
Die Haustür fiel ins Schloss, ich war allein. Gekonnt räumte ich das Geschirr in den Automaten, ging zum Zähneputzen hoch in mein Bad, noch einmal warf ich einen Blick in den Spiegel, na ja, langsam wurde es. Ich rubbelte nochmals etwas Gel in die Haare und holte meine Schultasche aus dem Zimmer, als es an der Haustür Sturm klingelte. Überrascht davon sprang ich die Treppe hinunter und öffnete. Tim stand vor mir, irgendwie machte er einen hektischen und unruhigen Eindruck. „Morgen Juli, du, hab‘ ich mein Handy gestern bei euch vergessen?“ „Hallo Timmi, ja, ich hab es gefunden, oben im Regal lag es. Warte kurz ich komm gleich mit, muss nur noch die Schuhe…“ Weiter kam ich nicht. „Los gib her“, blaffte Tim mich ungeduldig an. Ich drehte mich wie in Zeitlupe zu Tim hin, „ ja doch, gleich, Mann bist du Scheiße drauf.“ Tim reagierte gar nicht, er riss mir quasi das Handy aus den Fingern. Ich hatte mit einem kurzen Klick den Bildschirm aktiviert, so dass ich gleichzeitig mit Tim noch einen Blick darauf werfen konnte. Es waren zwei weitere verpasste Anrufe dazu gekommen, ich konnte allerdings nicht erkennen, von wem. Tim starrte mit erschrockenem Gesicht auf das Display. „Hast du, hast…“, er schaute mich fragend an, „hast du…?“ Ich schüttelte den Kopf, „was? Nein, aber wenn mich dein doofes Teil mitten in der Nacht weckt und das Display aufleuchtet, dann seh‘ ich schon, welche Damen dich scheinbar sehr stark beschäftigen.“ Zack, das hatte gesessen, „ich will’s auch gar nicht wissen.“
Tims Gesicht zuckte, er schluckte, „Juli, ich will, ich kann dir…“ „Lass mich in Ruhe, ich muss zum Bus, du kannst ja noch ein bisschen üben.“ Rasch zog ich die Haustür hinter mir zu. Ich ließ Tim einfach stehen und ging mit straffem Schritt in Richtung Haltestelle, es wurde wirklich etwas knapp mit der Zeit. Der Bus bog schon in die Haltestelle ein, als ich gerade dort ankam, hinter mir hörte ich die eiligen Schritte von Tims Lauf, der heftig atmend nach mir in den Bus stieg. Der Busfahrer grüßte uns mit erhobener Hand. Ich bemerkte seinen erstaunten Blick. Er schüttelte den Kopf, schloss die Türen und fuhr los. Ich durchquerte den ganzen Bus nach hinten und ließ mich so wie sonst immer, auf der hinteren Querbank fallen. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Tim, er blieb wie angewurzelt stehen, drehte sich um und setzte sich auf den Platz hinter dem Busfahrer. Der registrierte mit einem Blick in den Rückspiegel die dicke Luft, die zwischen uns aufgezogen war. Im Nachbardorf stiegen wie gewohnt Lukas und Franz zu, Therese war heute nicht da. Lukas und Franz registrierten erstaunt, dass ich heute wieder hinten bei ihnen saß, sie frotzelten natürlich sofort herum. „Hey, Juli, was ‘n los bei euch beiden, dicke Luft oder Eifersucht, wegen Resi …?“ Sie lachten laut und dümmlich. Selbst Tim vorne musste das Gelächter, hören. Er drehte sich aber nicht um. Hastig stopfte er sich seine AirPods in die Ohren und tauchte hinter der Sitzlehne ab. Ich schaute unsicher nach vorn zu Tim, was sollte werden, sollte ich noch nach vorn gehen…? Ich konnte gar nicht mitlachen über die Sprüche von Lukas und Franz. Aber meine Zweifel waren einmal da und so schnell konnte ich sie auch nicht wegschieben. Ich blieb sitzen.
An der Schule angelangt verschwanden Lukas und Franz als erste wortlos aus dem Bus. Ich erhob mich langsam und wollte gerade in Richtung Ausgang losgehen, als Tim sich mir in den Weg stellte, „Juli lass uns reden, ich muss dir was sagen.“ „Lass mich in Ruhe, ich hab gerade nach unserem Wochenende gedacht, wir sind ehrlich richtige Freunde, können uns vertrauen. Aber scheinbar hast du ja doch noch einige heiße Eisen im Feuer, lass mich durch.“ Energisch schob ich den Größeren zur Seite und verließ den Bus. „Juli…“ Es wurde ein seltsamer Schultag, zwar saßen wir in den meisten Stunden außer in Kunst, nebeneinander, aber ich schwieg eisern, wenn Tim mich ansprach und hatte auch keinen Blick für ihn übrig. Mehrfach versuchte Tim, zu einer Erklärung anzusetzen, aber ich wollte sie jedoch nicht hören, ich ging Tim aus dem Weg. Insgeheim beobachtete ich Tim jedoch ziemlich genau.
In der großen Pause bemerkte ich, dass Chantal Tim abpasste, kurz sprach sie ihn an. Tim blickte suchend über den Schulhof, ich hatte mich rechtzeitig hinter eine Hecke verzogen, von wo aus ich Tim beobachten konnte, ohne selbst entdeckt zu werden. Kurzzeitig lenkte mich ein Fußball ab, den ein paar jüngere Schüler in meine Richtung gekickt hatten. Als ich wieder aufblickte, waren Chantal und Tim verschwunden. Suchend schlenderte ich nun über den Schulhof in der Hoffnung, die beiden irgendwo zu sehen, nichts. Wie vom Erdboden verschluckt. Als sich die Pause dem Ende näherte, stieg ich die Treppen zum Klassenzimmer rauf, im Raum angelangt, sah ich, dass der Platz neben meinem noch leer war. Nicht mal Tims Schulrucksack war dort, ich zuckte mit den Schultern, dann eben nicht.
Der Raum füllte sich, es blieben noch drei Minuten bis zum Stundengong, Chantal kam gerade durch die Tür, ein eiskalter Blick traf mich quer durch den Raum. Die Lehrerin betrat den Raum mit dem Stundengong, direkt vor ihr zwängte sich Tim durch die Tür. ich erschrak, wie sah der denn aus? Die Haare total zerwühlt, das T-Shirt hing zu einer Seite schief aus seiner Hose, seine schicke Jeansjacke schleifte halb auf dem Boden. Tims Schulrucksack landete mit kühnem Schwung auf dem Boden neben dem Stuhl, wie total geschafft ließ er sich auf seinen Stuhl plumpsen. Fragend schaute ich ihn von der Seite an, Tim blickte stur gerade aus, er atmete immer noch schwer und kam nur langsam zur Ruhe. Als er meinen Blick nicht mehr aushielt, wendete er sich zu mir, „was willst du denn jetzt auf einmal von mir?“, zischte er halblaut. Ich erschrak. Tim hatte unter dem linken Auge ein richtiges dickes Veilchen, seine Oberlippe war stark geschwollen. Ich konnte ihn nichts mehr fragen, die Stunde hatte begonnen. Aber ich schaffte es nicht mich zu konzentrieren, immer wieder wanderte mein Blick zu Tim. Was war passiert? Die Stunde wollte und wollte nicht enden. Zum Glück hatte die Lehrerin heute andere Schüler auf dem Kieker. Mit dem Stundenende war Tim aus dem Raum verschwunden, vergeblich versuchte ich, ihn zu finden.
Grübelnd begab ich mich in den Speiseraum, wo bereits die Klassenkameraden wie gewohnt am großen Tisch saßen und sich beim Essen angeregt unterhielten. Auch Therese war inzwischen da, sie hatte heute einen Arzttermin gehabt und war vormittags entschuldigt gewesen. Mit meinem Teller trat ich an den Tisch heran, Resi blickte mir lächelnd entgegen und erschrak im nächsten Moment, ich sah wohl schrecklich aus. Sie rutschte zur Seite und zog mich auf den Nebenplatz. Sie flüsterte, „was ist passiert?“ Ich zuckte mit den Schultern, „nicht jetzt, nicht hier.“ Ich stocherte in meinem Essen herum und schob schließlich den Teller weg. Ich stützte die Ellenbogen auf den Tisch und nahm den Kopf zwischen die Hände. Jetzt fiel es Therese auf, dass ich allein zum Essen gekommen war, „wo ist Tim?“, fragte sie wieder leise. Traurig schaute ich sie an, „ich weiß es nicht.“ „Ist es wegen Tim?“ Ich nickte, „ich glaub ich war unfair zu ihm, ich muss ihn finden.“ Entschlossen erhob ich mich, „kannst du bitte meinen Teller mit wegräumen?“ „Soll ich mitkommen?“ Kurz überlegte ich, dann schüttelte ich den Kopf, „nee, ich denke das geht nur mich und ihn was an, sei bitte nicht böse.“ Rasch verließ ich den Speisesaal und begann durch das Schulhaus zu streifen, viel Zeit blieb mir nicht, der Sportunterricht begann in einer halben Stunde. Aber wo ich auch suchte, in der Aula, in der Garderobe oder in der Bibliothek, Tim blieb verschwunden.
Enttäuscht beschloss ich, vor dem Sport nochmal schnell aufs Klo zu gehen. Im Waschraum vor den Toiletten schaute ich in den Spiegel, ein sorgenvoller Julian schaute mir von dort entgegen. Hinter mir wurde die Verbindungstür zum Toilettentrakt aufgestoßen, erschrocken fuhr ich herum. Ein blonder Junge aus der sechsten oder siebenten Klasse kam mit halb heruntergelassenen Hosen schniefend und heulend in den Waschraum gestürzt. Seine Boxershorts hingen ihm kurz über den Knien. Er sah erschrocken zu mir auf, zog hastig die Unterhose samt den Jeans ganz hoch und versuchte mit fahrigen Fingern, die Knöpfe zu schließen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu, „Hey, was ist los, kann ich…?“ Der Junge starrte mich angstvoll an, heulend schrie er, „hau ab, lass mich in Ruhe.“ Er flüchtete panisch aus dem Raum. Entgeistert sah ich ihm nach. Kurz darauf öffnete sich wieder die Tür zu den Kloboxen, heraus trat mit einem genüsslichen Grinsen ein Schüler der oberen Jahrgangsstufe, ich kannte ihn nur flüchtig vom Sehen. Er blieb vor dem Spiegel stehen, ordnete seine Haare. Ich starrte ihn im Spiegel an. „Was ist Kleiner, hast du ein Problem?“, fragte der Große mich barsch. Ich schüttelte den Kopf, um gleich darauf zu fragen, „was hast du mit dem…?“ „Halt die Fresse, kümmer dich um deinen Scheiß, verstanden?“ Ich wich ein Stück zurück. Der Ältere verließ den Raum, nicht ohne mir nochmal den Stinkefinger zu zeigen. Nachdem ich einen kleinen Moment gewartet hatte, verließ ich mit zitternden Knien den Waschraum, dass ich selbst noch mal pinkeln wollte, hatte ich total vergessen.
In der Umkleide der Sporthalle ließ ich mich auf meinen gewohnten Platz fallen und atmete erstmal tief durch. Was war das heute alles? Ich kam aber nicht weiter zum Nachdenken. Die anderen Jungs tobten herein und schnell waren wir alle umgezogen. Herr Kusche ließ uns sofort alle mit der selbstständigen Erwärmung beginnen. Kurz darauf stand er neben mir und nahm mich zur Seite. „Sag mal Julian, was ist mit deinem Freund, mit Tim los? Er sah ja entsetzlich aus, habt ihr euch geprügelt?“ Ich schaute Herrn Kusche verständnislos an, „was, wieso, wo ist Tim?“ Herr Kusche antwortete nicht gleich, er drehte sich zur Klasse, ein lauter Pfiff und die Gruppen der Jungs fanden sich zum Training an den einzelnen Turngeräten zusammen. Ich wollte gerade auch zur Bodenmatte gehen, Herr Kusche hielt mich nochmal zurück. „Julian, du kommst nach der Stunde dann bitte sofort in das Sportlehrerzimmer.“ Ich nickte nur, meinen fragenden Blick beantwortete Herr Kusche nicht.
Bei meinen Übungen war ich sehr unaufmerksam, mein Übungspartner war heute Falk aus der Parallelklasse, ein nur etwas kleinerer, aber flinker und sehr angenehmer Bursche mit kurzen rotblonden Locken, die ihm leicht in die Stirn fielen. Ich wusste außer seinem Namen nur, dass er aktiv turnte. Das eine oder andere Mal war er mir schon aufgefallen, vor allem, dass Falk mich immer mal wieder von weiten gemustert hatte und auch schon manchmal in der Hofpause in meiner Nähe stehengeblieben war, als ob er mich ansprechen wollte. Ich hatte diese Begegnungen stets registriert und mich darüber gewundert. Aber mehr als ein schüchternes „hallo“ hatten wir bisher nie gewechselt. Ich hatte auch bemerkt, dass Falk in der Cafeteria immer am Nachbartisch saß, an dem seine Parallelklasse, die 8d, ihren Stammplatz hatte. Bisher hatte ich noch nicht weiter darüber nachgedacht. Mit ihm wechselte ich auch an die anderen Geräte. Während meiner Übung am Barren kam es mir auf einmal aber doch seltsam vor, dass gerade heute Falk mein Partner beim Turnen war. Herr Kusche hatte das so eingeteilt. Bei diesen Gedanken verlor ich die Konzentration, rutschte beim Aufschwung zum Oberarmstand vom Holm ab und wäre bestimmt sehr unglücklich abgestürzt, wenn Falk mich nicht im letzten Moment aufgefangen hätte. Ich bedankte mich, Falk streckte mir nur lächelnd die Hand entgegen, „kein Problem, für dich immer, Juli.“ Er sah mir direkt und ziemlich lange in die Augen. Vielleicht einen Moment zu lange. Schnell senkte Falk seinen Blick, schluckte verlegen und fragte dann hastig, es sollte wohl möglichst beiläufig klingen, „wo ist eigentlich Tim, er ist doch dein Freund, oder?“ Ich hielt noch immer Falks Hand fest, bemerkte das jetzt. Eilig lockerte ich meinen Griff und starrte nun meinerseits Falk an, in freundliche, strahlend blaue Augen. „Ja, ähm, ich weiß es nicht… ja. Warum?“
Der Pfiff des Sportlehrers riss uns aus unseren jeweiligen Gedanken. Schnell flitzte Falk zu seiner Klasse hinüber, zum Abschluss der Stunde trafen sich die Klassen immer einzeln zur Auswertung. Wie gebannt blickte ich Falk hinterher, der sah mir nochmal quer durch die Halle mit einem scheuen Lächeln ins Gesicht. Zaghaft winkte er kurz nochmal herüber. Ich musste schlucken, ein dicker Kloß saß auf einmal in meinem Hals. Ich spürte eine leicht kribbelnde Gänsehaut über meinen Rücken und die Arme sausen.
Herr Kusche hatte sich bereits umgezogen, als ich an die Tür zum Lehrerzimmer klopfte, „Komm rein, Julian!“ Herr Kusche schien mich schon erwartet zu haben, ohne lange Vorrede fragte er unumwunden, „was ist mit Tim passiert, er sah aus, als wenn er sich geprügelt hätte. Du warst das ganz bestimmt nicht, sonst wärst du nicht mehr so fit. Also, was ist passiert?“ Ich stutzte, „Tim, war er denn bei Ihnen?“ „Ja, er hat sich vor der Sportstunde bei mir entschuldigt, er sei in der Hofpause gestürzt, ich hab‘ ihm direkt ins Gesicht gesagt, dass ich ihm das nicht glaube, so wie seine Verletzungen aussahen. Er wollte mir aber nicht den wahren Grund für sein Aussehen verraten. Ich hab‘ ihn nach Hause geschickt. Vielleicht weißt du mehr?“ Ich schüttelte den Kopf, „nein, ich weiß es auch nicht, wir haben uns, na ja nicht gestritten aber, aber wir, wir sind uns heute aus dem Weg gegangen.“ Herr Kusche nickte nachdenklich. „So so…?“ Erstaunt fragend sah er mich an. Ich erwiderte überrascht den Blick, ich hatte großes Vertrauen zu ihm, aber das, was zwischen Tim und mir lag, das ging nur uns beide was an. Ich schüttelte den Kopf, „nein Herr Kusche, das geht nur Tim und mich etwas an.“ „Das ist okay, ihr wisst, wie sehr ich euch beide schätze, das hab‘ ich euch letzte Woche gesagt, aber wenn du mir etwas erzählen möchtest, hör ich dir gern zu.“ Wieder nickte ich in Gedanken versunken. „Danke Herr Kusche, ich glaube, das müssen wir alleine wieder hinkriegen.“ „Also, bitte kümmere dich um Tim, ich erwarte euch morgen zum Training, ja?“ Ich nickte, verabschiedete mich, „ich muss dann Herr Kusche, mein Bus.“ „Ja klar Julian, mach’s gut bis morgen und grüß mir Tim, wenn du ihn siehst.“ „Mach ich, tschüss.“
Auf dem Weg zur Bushaltestelle zog ich mein Handy heraus und schaute verdutzt auf das Display. Fünf verpasste Anrufe von Tim, was war da los? Sofort drückte ich Tims Nummer. Gleich nach dem ersten Rufton auf der anderen Seite nahm Tim das Gespräch an. Er klang sehr aufgeregt, ängstlich und ein wenig verzweifelt. „Juli, Mensch, ich hab‘ schon paar Mal versucht dich anzurufen. Bist du schon zu Hause, wo bist du, kannst du kommen und mir helfen? Bitte!“ „Hey, Timmi, klar, ich komme, wo bist du, was ist los, was ist passiert?“ „Erzähl ich dir, wenn du hier bist, mach schnell, mir ist kalt.“ „Ja, aber wo bist du denn?“ „Am See, in unserem… in deinem Versteck, mach schnell.“ „Warum bist du denn nicht nach Hause gegangen? Mann Timmi… Ich beeile mich, der Bus kommt gerade, zwanzig Minuten, ja?“ Ein jämmerliches Quietschen drang an mein Ohr, der Akku von Tims Handy war abgestürzt. „Scheiße“, ich fluchte halblaut vor mich hin.
Ich kletterte rasch in den Bus, heute war ein fremder Fahrer am Steuer, insgeheim fluchte ich, „Mann, kannst du nicht schneller fahren?“ Aber offensichtlich war der Fahrer neu auf der Strecke, so wie er über die Landstraße und um die Kurven schlich. Der Bus brauchte heute fast eine halbe Stunde bis ins Dorf. Angekommen sprang ich aus dem Bus und rannte sofort die Abkürzung zu unserem Grundstück, gleich hinter dem Gartentor ließ ich den Schulrucksack und die Sporttasche achtlos fallen. Ich sauste über die Wiese auf das Loch im Zaun zu. Keine fünf Minuten später hielt ich einen vor Kälte zitternden und schluchzenden Tim in den Armen. „Juli“, schluchzte der bloß, weiter kam er nicht, ganz fest hatte ich meinen größeren Freund in die Arme geschlossen. Sachte legte ich ihm einen Finger auf die Lippen, „schht, Großer, alles wird gut. Komm, wir gehen erstmal nach Hause zu mir, los komm mit.“ „Ist deine Mama zu Hause?“, fragte Tim ängstlich. „Nee, glaub nicht, warum?“ Ich nahm Tims Schulrucksack und die Sporttasche vom Waldboden auf. „Wie hast du überhaupt den Platz gefunden?“ „Ich bin über euer Grundstück durch den Zaun…“ Ich hatte mich schon über die Spuren im Schnee gewundert, die vom Haus zum Zaun geführt hatten. Wie ein kleines Kind ließ Tim sich von mir führen. Am Loch im Zaun angekommen achtete ich drauf, dass Tim, der immer noch vor Aufregung oder Kälte zitterte, sich nicht am Draht verletzte. Mit fröstelnden Händen schloss ich die Haustür auf, schob Tim in den Hausflur, ließ Tims Schulsachen und meine eigenen, die ich am Gartentor aufgelesen hatte, einfach fallen. „So los Timmi, jetzt gehen wir erstmal hoch zu mir und du ruhst dich etwas aus. Soll ich deine Mutti anrufen?“ Tim erschrak wieder, „nein Juli, bitte nicht, nein, nein… bitte…“ Ratlos sah ich meinen Freund an, „na komm erstmal mit hoch, kannst du mir erzählen, was passiert ist?“ Tim nickte schweigend. „Los zieh deine Schuhe aus.“ Oben im Zimmer sackte Tim auf dem Fußboden an mein Bett gelehnt auf den Boden. Er streckte die Beine lang aus und atmete tief ein. Ich sprang fix nochmal in den Flur hinunter und schnappte mir meinen Schulrucksack. Nachdem ich meine Schulsachen weggeräumt hatte, verschwand ich kurz im Bad, um zu pinkeln und meine Sportklamotten in den Wäschekorb zu legen. Zurück im Zimmer fand ich einen schlafenden Tim, der sich einfach, so wie er war mit seinen Klamotten auf dem Boden zusammengerollt hatte. Ich wollte Tim wenigstens die dicke Jeansjacke ausziehen, das gelang mir nur mit einiger Mühe. Der jetzt total entspannte Körper von Tim war ziemlich schwer zu bewegen. Schließlich gelang es mir aber doch. Sorgsam deckte ich eine leichte Decke über ihn und schob ihm das kleine Kissen unter den Kopf. Leicht geschafft von der Aufregung plumpste ich auf meinen Schreibtischstuhl und sah ratlos auf Tim. Was war Tim passiert, dass er so fertig war? Jetzt tat es mir direkt leid, dass ich am Vormittag so abweisend zu Tim gewesen war. Vielleicht wäre das alles dann nicht passiert? Ich fühlte mich schlecht. Aufmerksam musterte ich meinen schlafenden Freund, ich entdeckte an der rechten Halsseite einen großen blauen Fleck. Es sah aus, als ob ein Vampir ihm die Zähne an den Hals zum Saugen gesetzt hätte. Deutlich waren die Spuren der Zähne zu erkennen. Mein Handy summte, umständlich kramte ich es aus der Hosentasche und schaute überrascht auf das Display, eine mir unbekannte Nummer zeigte eine Nachricht an. „Hallo Julian, wie geht’s Tim? Wie geht es dir? Viele Grüße F“ Hä, wer konnte das sein? Wer fragt warum nach Tim und mir? Wer ist F? Ich grübelte, wer wusste von Tim und meiner Freundschaft zu ihm? Und überhaupt, woher hatte diese oder dieser F meine Nummer? Tim stöhnte leise auf, er wälzte sich auf den Rücken und öffnete die Augen. Kurz überlegte er, wo er war. Sein Blick wanderte zu mir, ich half ihm, sich aufzusetzen. „Magst du was trinken oder hast du Hunger?“ Tim nickte, „ja.“ „Magst du mit runter kommen in die Küche?“ Tim schüttelte den Kopf, „kann ich erstmal hierbleiben?“ „Okay, ich bin gleich wieder da, ja? Ich such schnell was, okay?“ Tim nickte wieder nur. Eilig sauste ich in die Küche, nahm ein paar kalte Eierkuchen aus dem Kühlschrank, schnappte eine Flasche Orangensaft, dazu griff ich ein paar Wiener Würstchen und sprang wieder die Treppe hinauf. Tim hatte sich inzwischen auf das Bett gesetzt, verträumt hielt er meinen kleinen braunen Teddy in den Händen. Kurz seufzte er auf und schaute mich an, als ich die Leckereien auf dem Schreibtisch ablegte. Vorsichtig und ganz behutsam legte er den Teddy zurück auf das Kopfkissen, griff dann gierig nach einem Eierkuchen, in den er herzhaft hineinbiss. Mit der anderen Hand stopfte er sich ein Würstchen in den Mund. Unwillkürlich musste ich lachen, „Mann Timmi, kau doch erstmal den Mund leer.“ Mit vollem Mund, noch kauend fragte Tim „hast du mal ein Ladekabel für mich?“ „Ja klar, hier bitte, aber erzähl mir erstmal was ist überhaupt los, was ist mit dir passiert, warum bist du so fertig und überhaupt, wer hat dich so…“, ich unterbrach mich, „und, und was war mit Chantal und wer ist Annabel?“ Tim zuckte merklich zusammen, nahm einen großen Schluck aus der Saftflasche und stellte sie vorsichtig auf den Boden. „Du hast also doch in mein Handy…“ Ich unterbrach ihn jetzt etwas barsch, „Tim, wenn mich dein doofes Handy mitten in der Nacht weckt und dein Display leuchtet und dann unendlich viele Mädchennamen auftauchen, zähle ich eins und eins zusammen oder denkst du echt, ich bin blöd? Ich hätte nicht gedacht, dass du mich so verarschst in der letzten Nacht, wolltest du nur mit mir wichsen oder noch mehr? Warum hab‘ ich dich überhaupt hierhergeholt? Hast schon recht, ich bin ganz schön doof.“
Ich hatte mich richtig in Wut geredet, „am besten du gehst jetzt.“ Entsetzt und vollkommen bleich, stammelte Tim „Juli, nein, so ist das nicht, es war alles ganz anders, der Idiot bin ich.“ „Aha und ich bin zum Wichsen gut genug, oder was? Bloß gut, dass ich dir noch keinen… Am liebsten würde ich jetzt kotzen. Bitte geh!“ Ich schrie es heraus. Jetzt sprang Tim auf, wurde auch etwas lauter, „Juli, du bist ungerecht, du weißt, du spinnst doch, ich hab dich nicht verarscht und ja, ich will noch mehr mit dir aber“, er ließ sich wieder auf das Bett fallen. In Rage sprang ich auf, es brach aus mir heraus; „ich bin ungerecht, ja? Und wer bitte schön setzt denn unsere Freundschaft aufs Spiel, wer ist unehrlich und verheimlicht mir die Weiber, mit denen du rummachst, hä? Ich will nichts mehr von dir! Wenn ich dich nicht… am liebsten würde ich dir eine reinhauen. Geh, bitte geh, hau ab!!!“
Stille.
Wir saßen jeder in einer anderen Ecke des Zimmers… Tim war ganz erstarrt, leise, fast flüsternd begann er, „Annabel ist das Mädchen aus meiner alten Klasse, ich hab‘ dir von ihr erzählt, sie hat mir wieder eine hässliche Nachricht auf meine Mailbox gesprochen. Ich bin selber schuld, ich hätte ihre Nummer längst löschen oder blockieren müssen. Wenn du willst, kannst du sie dir anhören.“ Ich hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und schüttelte energisch den Kopf. „Nein danke, kein Bedarf.“ „Ja und, das mit Chantal, du weißt, als wir beide uns letzte Woche gestritten hatten, ich weiß schon gar nicht mehr warum, na da hatte ich doch mit ihr zusammen den Dialog gemacht, weißt du noch?“ „Ja, als sie dich abgeschleppt hat, hat bloß noch gefehlt, dass sie dir, ach Scheiß, leck mich doch, mach doch was du willst, mir doch egal, geh endlich!“ „Juli, hör auf. Ich geb‘ zu, kurzzeitig hat mich das angemacht, auch weil ich dich ärgern wollte. Ich weiß doch auch nicht“, er begann zu weinen, „aber dann in unserer Nacht, als du geschlafen hast und ich mir, na ich hab’s dir ja gesagt, also als ich mir, da hab ich kurz auch an sie und auch an…“, er unterbrach sich ganz schnell, „also gedacht, wie... ach aber nur ganz kurz. Du warst, du bist…“, er schluckte und sah zum Fenster. Eine gefühlte Ewigkeit später sprach er weiter. „Na und dann hatte sie mich angerufen und angeschrieben, ob wir uns heute in der Hofpause nicht mal treffen wollen, sie wollte mir mal was Schönes zeigen… Und ich Trottel bin darauf reingefallen.“ Ich fragte gar nichts mehr. Konsterniert saß ich am Fußende vom Bett und schaute Tim ungläubig an.
„Das glaub ich jetzt nicht, oder? “
Draußen begann es bereits zu dunkeln, Tim schaute weiter aus dem Fenster, er hatte Tränen in den Augen, stumm nickte er nur, leise kam dann ein „doch.“ Ich schnaufte laut auf. „Und dann hat sie dich verprügelt, das glaubst du doch selber nicht, du spinnst doch!“ Jetzt wendete sich Tim in Zeitlupe meinem Gesicht zu, „viel schlimmer“, ein Zittern wie von einem Kälteschauer durchlief seinen Körper. Stockend fing er an, zu berichten. „Sie hat mich in eine ganz abgelegene Ecke des Schulhofes gezogen, ich war da noch nie, es muss irgendwo fast am großen Park gewesen sein.“ „Da wo schon kein Zaun mehr um den Schulhof ist“, fragte ich erschrocken dazwischen. „Da dürfen wir eigentlich gar nicht hin.“ Tim zuckte mit den Schultern, „glaub, ja. Ich bin ihr wie im Traum gefolgt, ich weiß nicht, was mit mir los war, ich bin so ein Idiot.“ „Und dann?“ Tim schwieg wieder lange, „ach Juli, ich schäm mich so.“ Wieder durchlief ein Frösteln seinen Körper. „Dort hat sie mich mit dem Rücken an einen Baum geschoben und angefangen, mich abzuknutschen. Richtig so mit Zunge und… ich geb zu, das hat mir zuerst auch gefallen und hat mich, na ja, du weißt schon. Sie hat mich am Hals geküsst, dabei meinen Pullover und das Shirt hochgeschoben und mich dann an den Brustwarzen geleckt und gesaugt, das war so… so, also das hat mich so angemacht…“, jetzt stockte er lange und blickte mich unsicher bittend an… Ich saß stocksteif da und wagte fast nicht zu atmen. „Ich konnte mich nicht wehren, es war... dann ist sie mit der Zunge bis zum Bauchnabel…“, wieder stockte er, „und hat mir in die Hose… das hat mich zum Abspritzen gebracht…“ Fassungslos starrte ich auf meinen Freund. Tim heulte kurz auf „Juli, ich weiß, aber ich war wie gefangen ich wollte das nicht…“ „Und weiter?“ Tim starrte vor sich hin. „Nichts weiter, glaub ich… Ich war wie benebelt. Als ich wieder klar denken konnte, war sie verschwunden. Plötzlich stand irgendein Kerl vor mir, haut mir ein-zwei Mal die Faust ins Gesicht. Er hat mich angebrüllt, ich soll seine Schnecke in Ruhe lassen und wenn ich sie noch einmal anfasse, dann schlägt er mich richtig zusammen. Dann war er blitzartig weg. Ich saß mit nasser Hose am Baum und wusste nicht, was mir passiert war. Na und dann, na ja den Rest weißt du ja…“ Tim war völlig in sich zusammengesunken. Er hatte seine Augen fest auf mich gerichtet.
Lange Stille. „Und nun, was hast du vor?“ Tim schrak auf, „was meinst du?“ „Na, eigentlich müsstest du die anzeigen oder erstmal mit deinem Vati reden, er ist doch bei der Polizei.“ Tim stöhnte auf, als ob er große Schmerzen hatte. „Bist du irre, ich kann doch meinem Vater nicht erzählen, dass mich ein Mädchen aus meiner Klasse zum Abspritzen und mich gel… dass ich mit offener Hose an einem Baum gesessen hab. Niemals dürfen meine Eltern das erfahren, nie, hörst du.“ Er bettelte richtig, „Julian, das darfst du niemandem erzählen, versprich es mir, Juli bittee!“ Er wimmerte richtig los. „Ich schäme mich so…“ Ich setzte sich neben Tim auf das Bett, legte ihm entschuldigend meinen Arm um die Schultern und meinte leise, „das hab ich nicht geahnt, sorry.“ Schweigen. „Aber Timmi, wir haben uns doch vorgenommen ehrlich zu sein zu uns und unseren Eltern.“ „Aber doch nicht bei sowas oder willst du deinen Eltern auch erzählen, was wir beide Samstagnacht miteinander gemacht haben und dass ich dir…?“ „Warum nicht, sie denken es sich doch sowieso oder denkst du, die sind doof? Klar, wir haben darüber gesprochen, nicht im Einzelnen aber sie wissen, dass wir, na ja“, ich holte tief Luft, „mein Papa hat gefragt, ob wir lieb zueinander waren. Und das habe ich so bestätigt, was ist schlimm daran?“ Tim riss die Augen auf, „du spinnst, oder?“ „Nee, du weißt einfach nicht…
„Ach hör auf zu spinnen, das hilft mir auch nicht.“
Ich rückte ein Stück von Tim ab und musterte ihn nochmal aufmerksam. „Okay, dass du im Moment nicht gerade besonders attraktiv aussiehst, dass dich jeder danach fragen wird, woher du das Veilchen unterm Auge, die dicke Lippe und vor allem die Bissspuren am Hals hast, ist dir schon klar, oder?“ Instinktiv griff sich Tim an den Hals und tastete an der besagten Stelle herum, er jaulte regelrecht auf „ein Knutschfleck?“ „Und was für einer, Chantal hat ein tolles Gebiss…“ Tim sprang auf, riss die Tür vom Kleiderschank auf und sah mit Schrecken im Spiegel einen dicken, fetten, blau untersetzten Knutschfleck an der linken Halsseite. Entsetzt fuhr er herum, „Scheiße was soll ich jetzt machen?“ Ich saß immer noch auf dem Bett und grinste Tim etwas schadenfroh an, „tja, sowas kommt von sowas…“ Verständnislos sah Tim mich an, „hää, was meinst du?“ Ich winkte nur ab. Dann wurde ich wieder ernst, „hm, ich sehe im Moment nur eine Möglichkeit, du willst es deinen Eltern nicht sagen, da musst du dir also was anderes ausdenken. Vielleicht machst du einen dicken Schal um, weil du Halsschmerzen hast, na und dein Auge und die Lippe, vielleicht beim Sport passiert. Ach, da fällt mir ein, Herr Kusche glaubt dir übrigens kein Wort, dass du irgendwo gestürzt bist, er weiß genau, dass du geschlagen wurdest. Dem kannst du das morgen beim Training nicht erzählen.“
„Ich geh morgen nicht zum Training“, er stutzte kurz, „wieso hast du ihm überhaupt was erzählt von mir?“ „Hab ich nicht, du warst doch selber bei ihm, hast dich für Sport entschuldigt und hinterher hat er mich nach deinem Veilchen gefragt, ich konnte ihm aber nichts sagen, ich wusste es ja auch noch nicht…“ Tim schwieg, er überlegte fieberhaft, was sollte er tun? Eigentlich wusste er, dass es besser wäre, bei der Wahrheit zu bleiben, aber konnte er seinen Eltern sagen, dass er Mädchen ihn… nein, das traute er sich nicht. Zumal sein Vati dann wirklich eine Anzeige machen würde und außerdem schämte er sich… auch vor mir.
In diesem Moment fiel mir wieder die seltsame Nachricht ein, die ich vorhin auf meinem Handy erhalten hatte. Jemand, dieser F hatte mich nach Tim gefragt… „Du Timmi, sag mal, wer hat eigentlich alles davon gewusst, dass du, na dass es dir am Nachmittag nicht so gut ging?“ Tim schaute ihn fragend an, „was?“ „Na wer hat dich mit deinem Veilchen und so alles gesehen?“ „Wieso, ist das wichtig?“ „Vielleicht nicht für dich, für mich schon, los, denk nach.“ „Na wahrscheinlich Chantal und ihr Macker, dann war ich bei Kusche, hab mich für ‘n Sport entschuldigt… hm, weiß nich.“ „Denk nach, wer könnte dich noch gesehen haben?“ „Als ich bei Kusche war, kam gerade einer aus der Parallelklasse, ich glaub aus der 8d, in die Umkleide, ich habe aber nicht weiter auf den geachtet.“ „Weißt du, wer das war?“ „Nee, so ein kleiner rotblonder mit so Locken in der Stirn, drahtiger Typ, ich glaub, der ist Turner, die haben mit uns zusammen immer Sport.“ „Falk?“, schoss es jetzt aus mir heraus. „Kann sein, ich kenn die noch nicht so, wieso fragst du?“
„Ach nur so“, ich glaube ich wurde knallrot. Augenblicklich kam mir die heutige Begegnung mit Falk in der Sportstunde und das Kribbeln im Bauch in den Sinn, als Falk mich beim Turnen berührt, eher fest umarmt hatte, damit ich nicht abgestürzt war und an seinen langen tiefen Blick in meine Augen. Ob Falk das bewusste „F“ in der Nachricht war? Ich wollte es herausfinden und wenn, dann…
Tim starrte mich an, „Juli, alles klar?“ Ich zuckte zusammen, „hä, ja klar, wieso?“ „Du guckst so komisch.“ „Quatsch nicht“, schnell hatte ich mich wieder im Griff, „was willst du jetzt machen?“ „Na ich muss wohl nach Hause, aber du hältst dicht, okay? Hast du einen Schal oder sowas?“ „Ja, ich kann dir meinen Eintracht-Schal geben, den kannste erstmal haben. Kommt dein Vati heute nach Hause?“ Tim schüttelte den Kopf, „nee leider nicht oder zum Glück, der merkt immer ganz genau, wenn ich lüge. Meine Mutti versorgt mich bestimmt.“ „Und was wollen wir, ich meine was willst du mit Chantal machen?“ „Die ist in Zukunft Luft für mich, ich hoffe nur, dass ihr Macker kein Foto von dieser Scheißaktion gemacht hat, das ist meine größte Sorge.“ Ich riet ihm abzuwarten, wenn so was auftauchen würde, dann müsste man aber doch zur Polizei gehen. Tim stimmte zu. Inzwischen war es draußen dunkel geworden, Tim hatte seine Sachen wieder geordnet und zog das Ladekabel vom Handy ab. „Juli, danke für alles, ich werd dann mal losmachen.“ „Klaro, sehen wir uns morgen?“ „Weiß noch nicht! Mal sehen, wie es mir geht.“ „Ey los Timmi, ich warte morgen früh am Bus auf dich und nachmittags – Training, okay?“ An der Haustür verabschiedeten wir uns Stirn an Stirn. Ich blieb noch an der Haustür stehen du sah, wie Tim nach Hause trottete…
Tim
…schon von Weitem nahm ich das Licht in der Küche wahr, ich holte noch mal tief Luft und wickelte Julis Schal sorgfältig um meinen Hals. Ich fühlte mit meinen Fingern über meine Oberlippe, sie war immer noch leicht angeschwollen, zum Glück hatte Juli mir einen Eisbeutel aus dem Kühlschrank geholt und die Idee gehabt, mit etwas Schminke seiner Mama mein blaues Auge etwas zu verdecken. So leise wie möglich schloss ich die Haustür auf und wollte mich gleich in mein Zimmer hochschleichen, da hörte ich durch die offenstehende Küchentür Muttis Stimme, „Timmi, wo kommst du denn jetzt erst her, es ist doch schon dunkel draußen. Ist was passiert, wo warst du so lange?“ Ich trat an die Küche heran, vermied es aber, voll in das Licht der Lampe zu treten, sondern blieb im Halbdunkel des Flurs stehen. „Hallo Mutti, entschuldige bitte, ich war bei Julian, wir haben zusammen Hausaufgaben gemacht und gelernt für morgen, Spanisch weißt du“, log ich, ich musste dabei schlucken, ich war ein schlechter Lügner. Schnell fragte ich noch, „kommt Vati heute nach Hause?“ Mutti kam aus der Küche und meinte, „nein Timmi, sei nicht traurig deswegen, du weißt doch, Polizisten… warum hast du einen Schal um?“ Ich erzählte ihr die Geschichte mit meinen angeblichen Halsschmerzen. Und vorsichtshalber auch, dass ich mich heute beim Sport etwas am Gerät gestoßen hab, „ist aber nicht weiter schlimm.“ Mutti trat näher an die Tür heran und musterte mein Gesicht, „wie hast du das denn angestellt?“ „Ach ich bin doof am Barren abgerutscht und dann so leicht dagegen geknallt, nicht so schlimm.“ „Weiß dein Sportlehrer davon?“ Ich bestätigte ihr, dass Herr Kusche die Schrammen gesehen hatte, was ja nicht mal gelogen war. Irgendwie hatte ich aber doch ein schlechtes Gewissen. Ich sagte ihr auch, dass ich ziemlich müde war und auch keinen Hunger hatte, ich log sie an, ich hätte bei Julian schon gegessen. Sie war enttäuscht und ich schlich in mein Zimmer nach oben, dort ließ ich mich auf mein Bett fallen, holte tief Luft und musste erstmal nachdenken. Ich fühlte mich saumiserabel, hatte ich nicht nur meine Mutti übel beschwindelt, Julian in die ganze Sache mit hineingezogen und ihn noch dazu irgendwie hintergangen mit meinen Gedanken an diese… nein, ich nahm mir vor, so schnell werde ich mich nicht wieder mit einem Mädchen einlassen oder wieder auf ein Mädchen hereinfallen, nee, nie. Das schwor ich mir in diesem Moment. Ich gestand mir aber auch ein, dass mich die Kuss- und Streichelerfahrung mit einem Mädchen unwahrscheinlich erregt hatte und ich sogar eine sexuelle Ekstase dabei hatte. Ich mochte Juli wirklich unendlich und er vertraute mir grenzenlos, was war ich nur für ein Freund? Ich nahm mir vor, Juli nach dem Duschen gleich nochmal anzurufen, ich musste etwas loswerden, ihm etwas sagen… es ihm erklären. Rasch ordnete ich mein Schulzeug für morgen, das Trainingszeug lag schon bereit. Im Bad schaute ich wieder aufmerksam in den Spiegel, das Veilchen würde man wohl noch eine Weile sehen, meine Lippe war zum Glück nicht aufgeplatzt und sah schon wieder ganz gut aus. Ich hielt mich nicht lange mit dem Duschen auf, nur mit dem Badetuch um die Hüfte stürmte ich ins Zimmer, ließ es rasch fallen und warf mich so feucht wie ich noch war aufs Bett. Ich wollte Juli sofort sagen, dass es mir sehr leid tat, wie heute alles gelaufen war. Ich war richtig aufgeregt, wollte ich ihm doch auch sagen, dass er für mich… mit etwas zittrigen Fingern tippte ich auf den Kontakt von Julian. Ziemlich schnell hörte ich auf der anderen Seite das Besetztzeichen, hä, was, wie? Na gut, ich würde es in ein paar Minuten nochmal versuchen. Ich zog meine Schlafklamotten an und trug das Badetuch ins Bad. Beim nächsten Anrufversuch wieder das Besetztzeichen, schnell sprang die Mailbox an, „Hallo, hier ist die Mailbox von Julian, bitte versuche es doch später noch einmal, danke…“ Mist, mit wem quatscht der die ganze Zeit? Ich warf mich auf mein Bett und zog die Decke über mich. Mit meinem MacBook auf der Brust setzte ich mich im Bett auf, auf dem Startbildschirm lachte mich ein lustiger, stolzer Julian in Laufklamotten mit einem großen Pokal in den Händen an. Ich surfte ich noch etwas sinnlos im Netz umher, ich muss dann wohl eingenickt sein. Ich träumte, nein nicht von Julian, im Traum streichelte und küsste mich Therese, ich strich ihr sanft den Nacken, küsste ihre Brüste und ihre Hand wanderte gerade… Ich schreckte auf, als unten vor dem Haus ein Wagen hielt. An den Geräuschen erkannte ich, dass Vati nach Hause gekommen war. Von unten hörte ich gedämpft, wie Mutti Vati begrüßte und bruchstückhaft die Worte Timmi, Schal, Sport und Schlafen… Daraufhin hörte ich leise Schritte die Treppe herauf kommen. Hastig schaltete ich den Laptop aus, versteckte ihn und auch das Handy unter meiner Bettdecke. Ich löschte die Nachttischlampe und stellte mich schlafend, gerade noch rechtzeitig hatte ich mich zur Wand gedreht und die Bettdecke bis ins Gesicht gezogen, als ich leises Klopfen an der Tür hörte, „Timmi, schläfst du schon?“ Leise wurde die Tür geöffnet, Vati trat an mein Bett heran, kurz sah er wohl zu mir herunter, ich atmete gleichmäßig und tief. Sachte strich er mir durch die Haare, leise schloss er wieder die Tür hinter sich. Ich wartete noch, bis ich hörte, dass Vati ins Wohnzimmer verschwunden war. Als ich mein Handy unter Decke hervorholte, sah ich, dass es inzwischen schon nach dreiundzwanzig Uhr war, wie lange hatte ich denn schon gepennt? Ob Juli noch wach war, zögernd drückte ich die Wahlwiederholung, Mist verdammter, er hatte sein Telefon schon ausgeschaltet. Ich fluchte leise in mich hinein.
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