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Christmas Hustle

Teil 2 - Heiligabend, der Abend

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Inhaltsverzeichnis

19:20 Uhr, Heiligabend.

Irgendwie war das Gefühl weg, kaum, dass er es lokalisiert hatte. Kaum, dass Bobby begriffen hatte, dass er dieses Mal die Berührungen so empfand, wie sie gemeint waren, war sie wieder da, die Wand zwischen ihm und seinen Empfindungen. So lag er also in den Armen des Fremden und fühlte, wie dessen Hände seinen Körper eroberten, wie dessen Lippen ihn berührten und schließlich eine von Daniels Händen ihren Weg in Richtung seines Hinterteils nahm.

Wenn sie ihn ficken wollten, war es am schlimmsten, schoss ihm durch den Kopf. Bobby hatte lange gebraucht, um das Gefühl des Ekels und der Taubheit abschütteln zu lernen, das ihn jedes Mal aufs Neue befiel, wenn wieder einer seiner Freier in ihm gewesen war. Es kam nur selten vor, dass sich ein Typ von ihm ficken lassen wollte. Aus irgendwelchen Gründen - er war sich relativ sicher, dass es an seiner schmächtigen Statur lag - sprachen ihn nur Typen an, die ihn nehmen wollten. Und wer war Bobby, sich dagegen zu wehren?

Auch bei Daniel war ihm im Grund genommen von vornherein klar gewesen, dass dieser Typ nicht passiv sein würde. Seine Hände bewegten sich gerade mit eindeutig fordernden Bewegungen über Bobbys Arschbacken und der spürte, wie sich ein Finger seinem Eingang entgegen wand. Mechanisch drückte er seinen Arsch in Richtung Daniel. Die Taubheit war wieder da.

19:35 Uhr, Heiligabend

Er war in ihm.

Bobby hatte nicht mitbekommen, wie Daniel die dafür notwendigen Vorbereitungen getroffen hatte, er spürte nur, wie dieser sich in ihm bewegte. Gehorsam konzentrierte er sich darauf, sich zu entspannen und so gelang es ihm wieder einmal, nichts zu empfinden. Er spürte nur, dass jemand in ihm war, die Augen geschlossen, die Gedanken weit weg. Die Bewegungen, die Nähe, das Keuchen, mit dem sich Daniel seinem Höhepunkt entgegenarbeitete, das alles entging ihm, erreichte ihn nicht.

Er war wieder in Wyoming, saß auf dem Rücken seines Pferdes Dexter und ritt, getragen von dem typischen, allgegenwärtigen Wind unter dem strahlend blauen Himmel und mit der Weite vor Augen, einem nicht näher definierten Ziel entgegen…

Erst als Daniel seine Lippen auf Bobbys presste und sich dabei mit schweren, harten Stößen in ihm entlud, während dessen Zunge sich den Weg in seine Mundhöhle bahnte, kam er wieder in der Realität an.

19:40 Uhr, Heiligabend

Der Kuss schien ewig zu dauern. Schnaufend drehte sich Daniel irgendwann schließlich von ihm hinunter, zog mit einer fließenden Bewegung das Kondom ab und warf es achtlos neben das Bett.

“Und?”, fragte Daniel und fixierte den Stricher, der immer noch auf der Seite lag und sich erst in Richtung des Fragestellers umdrehen musste. Bobby war nicht einmal hart geworden dabei.

“Und was?”, fragte Bob nach einer Weile ungläubig zurück. Wollte der jetzt ein Kompliment?

“Na, bleibst du noch?”, ergänzte Daniel und sah ihn lächelnd an.

“Kostet”, sagte der Junge und setzte sich auf. Er hatte geschwitzt. Sein Körper hatte so funktioniert, wie man es erwarten würde. Er sehnte sich nach Ruhe, einer Dusche und vor allem danach, nicht mehr angefasst zu werden.

Sein Freier wirkte nicht überrascht. “Sagen wir einfach fünfzig pro Stunde?”

Jetzt war es an Bobby, überrascht zu sein. Soviel Geld. Das war ein Segen. Fünfzig Dollar für Schlafen. Und das pro Stunde. Aber, Moment:

“Was hast du vor?”

Denn wenn er auf dem Strich mühsam eines hatte lernen müssen, dann, dass bei Freiern derartige Großzügigkeit immer einen Haken hatte.

Daniel lachte wieder dieses merkwürdige Lachen. “Nichts. Essen, schlafen, ficken, reden?”

“Reden?” Bobby war noch nie dazu eingeladen worden, mit einem seiner Freier zu reden. Und jetzt, wo er es wurde, war ihm nicht klar, was das alles bringen sollte…immerhin hatte er mit dem Typen nichts zu bereden. Der war locker doppelt so alt und definitiv aus einer anderen Welt.

“Ja. Reden. Mit dem Mund und so.” Daniels Stimme schwankte irgendwo zwischen Ironie und Spott, zugleich umspielte schon wieder dieses Lächeln seine Lippen, von dem Bobby schon vor Stunden gedacht hatte, es würde ihn beizeiten an den Rand des Wahnsinns bringen.

Jetzt war es eher geeignet, ihn endgültig zu verunsichern. Bobby drehte sich auf den Rücken und fixierte Daniel.

“Wie lange?”

“Bis wir fertig sind”, erwiderte Daniel.

“Das ist doch Mindfuck”, grummelte Bobby.

“Da hinten ist die Tür.” Daniel sah ihm direkt in die Augen und lächelte. “Du kannst jederzeit gehen.”

19:58 Uhr, Heiligabend.

Bobby war daraufhin tatsächlich aufgestanden, hatte seine Klamotten vom Boden aufgelesen und sich angezogen. Als er schon an der Tür des Schlafzimmers stand, hatte er sich noch einmal umgedreht, um zu schauen, wie Daniel auf seine Entscheidung reagieren würde. Und zu seiner eigenen Überraschung war das Lächeln von dessen Gesicht verschwunden und hatte einem Ausdruck unbändiger Enttäuschung Platz gemacht, der Bobby nun merkwürdiger Weise dazu gebracht hatte, seine eigentlich instinktiv schon feststehende Entscheidung nochmals zu überdenken.

50 Mäuse. Wenn er die ganze Nacht blieb, dann waren das….mindestens 400 Dollar. Verdammte Scheiße, das war viel Geld, viel mehr, als er heute oder in den nächsten Tagen machen würde, egal mit wem oder wo er arbeiten gehen konnte.

“Okay”, sagte er schließlich und registrierte mit Genugtuung, dass Daniel ihn mit voller Aufmerksamkeit ansah. “Okay, ich bleibe.”

Daniel nickte und ein Schatten von Glück huschte über sein Gesicht.

“Hast du Hunger?”

Und ob er das hatte.

20:12 Uhr, Heiligabend.

Daniel hatte sich daraufhin ebenfalls angezogen, war sich ordnend durch die Haare gefahren und dann wortlos der Haustür entgegen gestrebt.

“Wo fahren wir hin?”, hatte Bobby gefragt, als sie vor dem Auto standen.

“Na, was essen - oder hast du gedacht, ich koche?”, schmunzelte Daniel und ließ sich auf dem Fahrersitz nieder.

“Nein”, Bobby musste grinsen, “aber….”

“Keine Sorge, ich zahle, falls das dein Problem sein sollte. Und jetzt steig ein, ich sterbe vor Hunger.”

Sie fuhren fast eine halbe Stunde auf zwei Freeways Richtung Küste, bevor Daniel schließlich die Autobahn Richtung Long Beach verließ und nach weiteren etwa zehn Minuten weihnachtlich-amerikanischer Vorortidylle vor einem chinesischen Restaurant anhielt. Schweigend. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt - und vor allem Bobby wand die Frage hin und her, was er mit diesem Typen, der locker sein Vater hätte sein können, eigentlich reden sollte. Dass es nicht viel war, was sich als Gesprächsthema anbot, das konnte man an der Autofahrt eindrucksvoll besichtigen, fand er.

21:20 Uhr, Heiligabend.

Der Laden war, gemessen an dem Tag, an dem sie ihn aufsuchten, ziemlich voll. Nachdem sie einen Platz zugewiesen bekommen hatten - mit Blick auf den schmalen Strand und das vom Licht des Mondes beschienene Meer - und die Karten studiert hatten, lächelte Daniel wieder sein Lächeln und sah Bobby forschend an.

“Also?”

“Also was?”, schnappte der zurück.

“Hast du dir ein paar Gedanken gemacht, worüber man so reden könnte?”

Bobby war verwirrt. Woher wusste der das? Gott sei Dank blockierte seine Irritation zumindest in diesem Fall nicht seine Geistesgegenwart, so dass er “Du könntest mir zum Beispiel ein Gericht empfehlen. Ich hab nämlich keine Ahnung, was das alles sein soll”, antwortete um Zeit zu gewinnen. Mit chinesischen Gerichten hatte er so seine Erfahrung: Am North Orange Drive lag ein chinesischer Schnellimbiss. Und irgendwo musste das Essen ja herkommen.

Daniel empfahl ihm Ente mit Reis und mäßig süß-scharfer Sauce; eine Wahl, die Bobby gefiel.

“Ich hätte gern 'n Bier”, sagte Bobby kurze Zeit später zu der Kellnerin, die an den Tisch getreten war, um die Bestellungen aufzunehmen.

“Stimmt, du bist ja schon einundzwanzig”, erwiderte Daniel und sagte dann mit bestimmtem Tonfall: “Der Herr trinkt eine Cola.”

Die Kellnerin sah Bobby mit einer Mischung aus Amüsement und Gleichgültigkeit an. “Hör lieber auf deinen Vater.” Dann nickte sie Daniel einmal zu und verschwand im hinteren Teil des Lokals, noch bevor Bobby irgendetwas hätte richtig stellen können.

22:00 Uhr, Heiligabend.

Bobby musste lange zurückdenken, wollte er sich daran erinnern, wann er sich jemals so satt gefühlt hatte. Das Essen hatte gut geschmeckt, es war reichlich gewesen, so reichlich sogar, dass er den Nachtisch, den Daniel ohne sein Einverständnis geordert hatte, nur zur Hälfte hatte essen können.

Nachdem sie beide das Essen beendet hatten, entstand eine Pause, in der sie sich entweder gegenseitig musterten oder vorgaben, den Himmel über dem Meer, das draußen gegen den Strand brandete, zu betrachten.

“Warum tust du das?”, fragte Bobby nach einer Weile.

“Was?”, erwiderte Daniel, riss seinen Blick vom Himmel los und betrachtete stattdessen sein Gegenüber.

“Na, mich zum Essen ausführen und so.”

“Wieso nicht?”

“Naja, ich meine…du hast mich ja nicht deswegen mitgenommen, oder?”, fragte der Stricher.

“Wenn ich ehrlich bin: doch.”

Bobby musste ein entsetzlich dämliches Gesicht gemacht haben, so dass Daniel zu lachen anfing.

“Das war keine Beleidigung”, versuchte er Bobby zu beruhigen, “aber weißt du, Sex ist irgendwie immer das Gleiche. Es ist toll, aber eben nicht alles.”

“Und deswegen kaufst du dir einen Stricher?”, giftete sein Gegenüber, der sich aus irgendeinem Grund dafür angegriffen fühlte, dass ein Typ nicht nur seinen Körper wollte. Als ihm bewusst geworden war, dass er nicht nur viel zu laut geworden war, sondern auch noch ziemlichen Unsinn erzählte, warf er Daniel einen entschuldigenden Blick zu. “Sorry.”

“Kein Problem”, sagte Daniel, “weißt du, ich habe nicht viel mit meinen Mitmenschen zu tun. Meine Eltern sind tot, Geschwister habe ich keine und die Liebe und ich, wir mögen uns nicht besonders. Außerdem bin ich viel unterwegs. Das hier ist mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.”

“Soll ich mir jetzt 'ne rote Schleife umbinden?”, fragte Bobby, unsicher, wie er das alles finden sollte.

Daniel lachte laut: “Das sähe sicher sexy aus. Können wir ja später nochmal drauf zurückkommen.”

“Und wie geht das jetzt weiter?”, erwiderte Bobby, um ihn von der Idee abzubringen.

“Naja, wie wär's, wenn du mir erstmal was von dir erzählst?” Daniel lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück, hob die Hand und winkte die Bedienung herbei.

“Eine Cola und ein Bier bitte.”

“Nee, zwei Bier”, korrigierte Bobby und nickte der Kellnerin zu, die nicht protestierte, vermutlich, weil Daniel zu perplex war, um seinerseits zu protestieren. Und wenn der Vater seinem Sohn erlaubt, ein Bier zu trinken, dann wird das wohl stimmen.

Überhaupt hatte der junge Stricher beschlossen, das Spiel mitzuspielen. Mal schauen, wohin es führte. Irgendwie war es ja auch spannend. Mindfuck. Mal was anderes.

“Na dann”, Daniel lächelte schon wieder dieses Lächeln, “dann erzähl doch mal was von dir. Deine Geschichte.”

22:45 Uhr, Heiligabend.

Das Bier war schon nach kurzer Zeit gekommen und Bobby trank zuerst einen großen Schluck, bevor er zu sprechen begann. “Du willst meine Geschichte hören?”

“Ich würde nicht fragen, wenn es nicht so wäre.” War da eine Spur von Ungeduld in seiner Stimme? Bobby wusste es nicht genau, hatte jedoch keine Eile weiterzusprechen. Auch wenn Daniel immer noch sein Kunde war und ihn fürstlich entlohnen würde, musste er ja nicht alles erzählen. Aber vorher trank er noch einen weiteren großen Schluck.

“Also gut. Ich bin Andrew Brian Matthew, genannt Bobby - und für den Fall, dass du es nicht weißt, noch keine einundzwanzig.” Forschend sah er Daniel an, der ihm aufmunternd zunickte und sich in seinem Stuhl zurücklehnte.

“Ich bin etwa seit einem Jahr hier in Los Angeles und wenn ich gerade keinen besseren Job finde, dann bin ich eben draußen am Drive unterwegs. Von irgendetwas muss man ja leben. Aber eigentlich arbeite ich als Kellner oder im Burger King. Die haben mich halt rausgeworfen, da musste ich hierher.” Das war zwar gelogen, denn eigentlich hatte Bobby es nie geschafft, einen ernsthaften Job an Land zu ziehen, weil er einfach zu jung und zu unerfahren war, aber das musste Daniel ja nicht wissen.

“Und was hat dich nach Los Angeles gebracht? Willst du Schauspieler werden?”, hakte Daniel nach.

“Das ist eine lange Geschichte”, versuchte Bobby die Frage abzulenken.

“Du weißt, ich brenne darauf, sie zu hören.”

Bobby nickte, verstehend, dass er nicht darum herum kommen würde, ihm auch diesen Teil seines Lebens zu erzählen, wenn er das Geld haben wollte, das auf dem Spiel stand. “Dafür brauch ich aber mehr Bier - und das krieg ich hier kaum.”

“Ich kenne eine Bar, nicht weit von hier. Da sollten wir genügend bekommen”, sagte Daniel und winkte der Kellnerin.

23:15 Uhr, Heiligabend.

Daniel hatte die Rechnung bezahlt und war mit ihm zu einer Bar gefahren, die wirklich nur wenige Blocks von dem Chinesen entfernt gewesen war. “Moodys Motel” hieß sie und sah aus wie einer dieser Läden, in denen man sich stundenlang aufhalten kann, ohne dass irgendwer lästige Fragen stellt, in dem es jede Art von Alkohol gibt und man sich vermutlich, wenn man es drauf anlegt, von Koks bis hin zu Nutten alles organisieren kann, wenn man nur weiss, wen von den Gästen man darauf ansprechen muss.

Als sie den Laden betraten, wurden sie von der Wärme verbrauchter Kneipenluft und dem Geruch von Bier und Frittenfett umfangen. An Weihnachten waren nur wenige Menschen hier, so dass der Laden maximal halb voll war - und die Beiden sich einen Platz am Fenster suchen konnten, von dem aus sie den Parkplatz überblicken konnten und der weit genug abgelegen von der Theke und dem Billardtisch im hinteren Teil war, damit ihnen niemand zuhören oder sie stören konnte.

Daniel kannte den Barkeeper anscheinend, denn ohne, dass er irgendetwas gesagt hätte, stellte dieser zwei Heineken vor sie auf den Tisch und verzog sich wieder.

“Stammgast, hmm?”, neckte Bobby.

“Kann man so sagen. Ist genau meine Art von Kneipe”, erwiderte Daniel und lehnte sich in der mit grünem Kunstleder bezogenen Sitzbank zurück.

“Merkwürdig”, antwortete Bobby nachdenklich, “dieser Laden passt perfekt zu dir - und irgendwie gar nicht.”

“Das musst du mir nachher mal genauer erklären”, sagte Daniel heiter. “Aber erstmal bist du dran.”

Bobby nickt ergeben, holte tief Luft, trank einen tiefen Zug aus seiner Flasche und begann, zu erzählen.nogic

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