zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Wenn Wünsche wahr werden

Weihnachtschallenge 2015

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Sebastian

Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen: Ich höre auf den Namen Sebastian. Na ja, eigentlich für Freunde eher Basti. Aber immer, wenn Julian schlechte Laune hatte, nannte er mich bei vollem Namen. Gut, dass ich ihm nie gesagt hatte, dass ich mit zweitem Namen Justin heiße. Meine Eltern sollte ich deshalb nachträglich verklagen, wegen Kinderquälerei oder so. Kind bin ich ja nun nicht mehr, auch wenn ich mich mit meinen fast 18 Jahren manchmal noch wie eines benehme.

Was wollt ihr noch von mir wissen? Dass ich 185 cm groß bin und braune lockige Haare habe? Nein? Dann vergesst den letzten Satz einfach wieder und weiter geht’s. Wieso schwul? Ach so, dass ist ja eine Geschichte auf Nickstories. Ok, es stimmt, ich bin schwul. Aber bisher habe ich es nur mir selbst eingestanden.

Julian

Jetzt halt mal die Klappe. Also, mein Name ist Julian. Gute Freunde dürfen mich ungestraft Juli nennen. Nur Basti nennt mich, wenn er mich ärgern will Julia. Wahrscheinlich denkt er, dass ich ihn dann Romeo nenne. Aber darauf kann er lange warten. Ich bin gegenüber Basti eher klein, also 180 cm kommen schon zusammen und die Haarfarbe ist hellblond und glatt. Wenn wir gemeinsam auf Bildern posieren, können wir glatt als Salz und Pfefferstreuer durchgehen.

Wie wir uns kennen lernten?

Damals beim Singen in der Schule. Es war seine Leidenschaft. So etwa in der 6. oder 7. Klasse, Basti ging in die Parallelklasse. Schon früh war er mir aufgefallen. Während alle seine Klassenkameraden in den Pausen irgendwie in Gruppen zusammen standen, war er meistens so eine Art Außenseiter. Er wurde weder gemobbt, noch schien er in seiner Rolle unglücklich zu sein. Auf mich machte er eher den Eindruck, dass er mit seinen Gedanken irgendwo ganz weit weg war. In seinem Blick sah ich immer ein leichtes Lächeln, wenn er Gedankenverloren in sein Pausenbrot biss. Wenn ich ihn so dastehen sah, musste ich ihn beobachten. Ich wusste nicht, warum er mich so faszinierte, aber ich konnte meinen Blick nicht von ihm lassen. Lange konnte ich mir nicht erklären, was ich an ihm so anziehend fand. Waren es seine rehbraunen Augen? Seine zierliche Gestalt? Seine Grübchen, wenn er still vor sich hin lächelte? So im Nachhinein würde ich vielleicht sagen, dass es seine kleine Stupsnase war, die unkontrolliert wie bei einem Hasen beim Atmen zuckte.

Eine Frisur hatte er nicht. Ok, er hatte schon Haare und zwar das schönste Braun. Aber er hatte sie nicht wirklich unter Kontrolle. Hm, wie soll ich das jetzt mal beschreiben? Manchmal strich er sich durchs Haar und versuchte, die zu allen Seiten wie Antennen abstehenden Locken zu bändigen. Einmal beobachtete ich ihn, wie er sich in die Hand spuckte, um damit dann, sozusagen als Haargelersatz, seine Mähne zu bändigen. Während sich andere bei dieser Szene bestimmt geekelt hätten, bekam ich dabei eine Gänsehaut. Am liebsten hätte ich ihm direkt gesagt, dass er sich besser morgens die Haare waschen solle, als sich mit den nassen Haaren abends ins Bett zu legen. Also, ich vermutete das einfach mal so, sprach ihn natürlich nicht an.

Einerseits war ich dafür viel zu feige, andererseits fand ich seine Frisur niedlich. Niedlich? Oh Mann, was rede ich da bloß? Stehe ich etwa auf Jungs? Oder doch nur auf Basti? Hilfe, was war nur mit mir los? Bei Sebastian passte einfach alles harmonisch zusammen. Ich fand einfach keinen Reim darauf, warum er mich so in den Bann zog. Während andere Jungs in meiner Klasse von den Vorzügen von Mädchen sprachen, schwärmte ich von Basti. Natürlich nur still für mich alleine.

Wie ich seinen Namen heraus fand? Hihi, das war so:

Bei uns in der Schule wurde noch ein 'gesundes' Getränk in der Pause angeboten.Unsere örtliche Molkerei wollte uns die Vorzüge der Milchbar näher bringen. So konnte man sich in eine Liste eintragen, ob man gegen ein geringes Entgelt einen halben Liter Milch oder Kakao wollte und das zusätzlich in den Variationen warm oder kalt.Mein Favorit war wie bei den meisten anderen Kakao, im Sommer kalt und im Winter warm. Man konnte alle zwei Monate wechseln und das in die vom Hausmeister ausgelegten Listen eintragen. So kam es, als wieder die besagten Getränkelisten auslagen, Basti auf diese zusteuerte, während ich ihn mal wieder fasziniert beobachte, um sich in die Unterlagen einzutragen. Ich folgte ihm, um mich ebenfalls einzutragen, ohne dabei Verdacht bei den anderen zu schöpfen. Er nahm sich den bereitliegenden Stift und trug sich ein. Mir lief es kalt den Rücken herunter. Er war Linkshänder, wie süß. Noch so ein Merkmal, in das ich mich verliebte. Ich versuchte direkt an genau diese Liste zu gelangen, hatte aber noch einige Mitschüler vor mir. Nach einigen Rangeleien hatte ich es endlich geschafft und ich konnte meinen Namen unter seinen in Schönschrift geschriebenen setzen. 'Sebastian Krüger' stand dort. Nachdem ich meinen Namen darunter geschrieben hatte, wunderte ich mich dann doch, dass sich von den vielen Schülern vor mir keiner in diese Auslagen eingetragen hatte. Ich war stolz auf mich und dennoch schaute ich mir die Liste jetzt genauer an. Oben auf dem Zettel stand in großen Lettern: >Warme Milch<. Spontan überkam mich ein Ekel. Aber bevor ich den Irrtum korrigieren konnte, wurde ich schon von anderen Schülern zur Seite gedrängt. 2 Monate warme Milch war der Preis für die Tatsache, dass mein Objekt der Begierde jetzt einen Namen hatte.

Huch, jetzt bin ich ein wenig vom Thema abgekommen. Also, wie lernten wir uns kennen?

Wie schon erwähnt, hatte es mit Singen zu tun. Es gab einen Schulchor, der von Schülern aus allen Klassen zusammen gestellt wurde. Jeder, der Lust und Talent hatte, war aufgerufen, sich einer Jury, ähnlich der der heutigen furchtbaren Castingshows, zwecks Vorsingens zu stellen.

Sebastian stand vor der Tafel im Eingang des Schulgebäudes und studierte den Aushang. In der einen Hand hielt er sein Pausenbrot und in der anderen seine warme Milch. Abwechselnd abbeißend und die Milch trinkend, las er den Aushang. Dabei nickte er immer wieder leicht mit dem Kopf. Ich beobachtete ihn aus einiger Entfernung und fragte mich, wie ich wohl mit ihm in Kontakt treten könnte. Ihn einfach anzusprechen traute ich mich natürlich nicht. Dann pflückte er sich einen der Zettel von der Wand, sein Brot dabei mit dem Mund haltend, und steckte diesen in die Beuteltasche seines Kapuzenpullis. Er drehte sich um, um die Treppe zu seinem Klassenzimmer hinauf zu gehen und lief dabei direkt an mir vorbei.

Kurz trafen sich unsere Blicke. Es waren nur Bruchteile von Sekunden, aber es reichte, um in mir einen wohligen Schauer auszulösen. Dieser liebe Blick, den er mir kurz zuwarf, als wollte er sagen: >Ich habe dich längst bemerkt<. Ich traute mich nicht, ihm nachzuschauen und ging stattdessen zur Tafel um mir den Aushang anzuschauen, der ihn so in den Bann gezogen hatte:

> Vorsingen am Mittwochabend 19:00 Uhr in der Schulaula.<

Sebastian

Mann, Mann, Mann, die Jungs in meiner Klasse hatten nichts als Weiber und Autos mit viel PS im Kopf. Manchmal glaubte ich, sie haben ihren IQ gegen Pferdestärke eingetauscht. Und so aufgemotzt wollten sie dann die Mädels aufreißen. Für ein richtiges Rendezvous wären die meisten aber zu grobschlächtig. Einen handgeschriebenen Liebesbrief zu schreiben, das ist noch großes Kino, aber total uncool bei den meisten. Sie sprachen nur davon, am Wochenende eine 'klar zu machen'. Wenn es nur darum geht, zu ficken, dann sollten sie sich lieber den Playboy kaufen und sich damit einen runterholen. Da muss man sich lediglich die Hände danach waschen. Besser als das Geheule, wenn man das Mädchen danach wegschickt, eine Krankheit einfängt oder im schlimmsten Fall seine Wochenenderoberung geschwängert zu haben. Den Playboy bräuchte man lediglich abzuwischen, dank der Hochglanzseiten.

Ich will die große Liebe, kein blödes Rein-Raus-Spiel und Tschüß. Ich hatte da meine genaue Vorstellung darüber, wie es ablaufen sollte. Erst flüchtige Blicke, die dann immer intensiver werden, heimlich Gedichte in die Schultasche stecken. Blumen über Flip-Flop (oder wie dieser Laden hieß) anonym verschicken. Vielleicht bin ich auch hoffnungslos romantisch veranlagt und werde deshalb für immer alleine bleiben. Aber wie sagt man so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt! Ich will mein 'Erstes Mal' aber in bester Erinnerung behalten.

Da gab es nun ein weiteres Problem: In meinen Träumen kamen immer wieder Jungs vor, die ich küssen wollte oder sie mich. Ab und zu wachte ich schweißgebadet auf. Nein, der Traum war nicht schockierend. Im Gegenteil, es war schön, sehr schön sogar. Meistens hatte ich dann eine Erektion oder die Pyjamahose war feucht. Lange lag ich nach solchen Träumen wach und grübelte. Aber jedes mal kam ich zu dem Entschluss: Sebastian, du bist schwul!

Das für mich zu akzeptieren hat eine lange Zeit gedauert. Bis ich es meinen Eltern erzählen konnte, noch mal soviel.

Ich hatte damals große Angst, wie sie wohl reagieren könnten. Aber es war völlig positiv. Ich bin so stolz auf meine Eltern, so wie sie stolz auf mich sind. Ich weiß auch, dass es anders ausgehen kann. Im Internet gibt es eine Seite mit vielen Geschichten zum Thema Comming out. Ich hatte sie in kürzester Zeit verschlungen. Nach Happy-End Geschichten war ich voll Tatendrang, sofort mit meinen Eltern zu reden und nach den Unschönen bekam ich meine Zweifel. Auch meine Mutter las viele dieser Geschichten und konnte dann besser verstehen, was die ganze Zeit so in mir vorging. Das hatte sie mir später mal erzählt.

Da meine Eltern im Kirchenchor sangen, bin ich früh mit der Musik in Berührung gekommen. So mit sechs Jahren bekam ich Klavierunterricht. Das war nicht so cool. Ewig die Tonleitern hoch und runter spielen, das nervte schon gewaltig. Ich war stolz, schon 'Alle meine Entchen' spielen zu können. Ich weiß, dass kann jeder. Irgendwo musste man ja mal anfangen. Danach kam dann 'Bruder Jakob'. Schwieriger wurde da schon 'Für Elise' von Beethoven. Anfangs musste ich dabei immer lachen. Meine Klavierlehrerin musste mich oft ermahnen. Wie sollte ich ihr nur erklären, das ich ein Stück für ein blaues Erdferkel spielte?

So mit 10 Jahren wollte ich dann berühmt werden. Ein erfolgreicher Komponist, der nur Abends in der Konzerthalle zwei Stunden auf seinem Piano herumhämmerte und den Rest des Tages frei hatte. Ein paar Notenblätter hatte ich auch vollgekritzelt. Für Mama und Papa hatte ich mal ein Konzert gegeben, das war ungefähr so wie die Schlussszene aus Loriots „Pappa ante portas“. Ich bemerkte, wie Mama Papa ihren Ellenbogen hin und wieder in die Rippen stieß, weil er sich das Lachen nicht verkneifen konnte.

Na ja, meine Komponistenkarriere war damit leider schon wieder beendet.

In unserer Gemeinde hatte ich von klein auf zuerst im Kinderchor und später bei den Großen gesungen. Am Schönsten waren die Konzerte zu Ostern oder Weihnachten. Das Singen an den Adventssonntagen im Altersheim war zudem sehr schön, weil man dort in lauter glückliche Gesichter der Bewohner blickte. Als dann zum Schluss alle zusammen einige Lieder sangen, sah man bei dem einen oder anderen Tränen der Rührung. Das war mir persönlich viel mehr wert, als wenn wir in der Kirche sangen und unser Pastor mit versteinerter Mine nur kurz nickte, um dann eine seiner langen Predigten zu halten.

In der Schule gab es auch einen Chor. Ich überlegt lange, mich dort mal vorzustellen. Mama und Papa rieten mir dazu, weil ich damit eine weitere gute Note auf dem Zeugnis erhalten könnte. Und sollte ich später mal beruflich was mit Musik studieren, könnte das auch gut helfen. Es reizte mich schon sehr, da dieser Chor auch modernere Stücke spielte und nicht so viel spirituelles wie im Kirchenchor.

Da stand ich also mit meinem Pausenbrot und meiner geliebten warmen Milch an der Anschlagtafel im Eingangsbereich unserer Schule, wo ein Zettel hing, vom Schulchorleiter. Es wurden neue Mitglieder gesucht für die diesjährigen Schulabgänger, die den Chor verließen. Ich nahm einen der Zettel mit dem Termin des Vorsingens. Da die Pause gerade zu Ende war, ging ich direkt zur Treppe, um in die obere Etage zu meinem Klassenzimmer zu gelangen. Dort stand ein Junge, der mir schon ein paar mal aufgefallen war. Er wartete wohl auf jemanden. Als ich ihn erblickte, schaute er schnell woanders hin. Hatte er mich beobachtet? Mir lief es dabei heiß den Rücken herunter. Vom aussehen her, könnte er könnte mir schon gefallen. Langsam ging ich dann die Treppen hinauf, traute mich aber nicht mich nochmals umzuschauen.

Julian

Ob ich auch zum Vorsingen gehen sollte? Im Kindergarten soll ich damals, laut meinen Eltern, jeden Morgen für die anderen Kinder ‚Alle meine Entchen‘ vorgesungen haben, um sie von dem traurig sein abzulenken, denn einige Kinder weinten immer, wenn sie von ihren Eltern abgegeben wurden. Auch hatte ich immer tanzend Herman van Veens „Warum bin ich so fröhlich“ von der Ente Alfred Jodocus Kwak zum Besten gegeben.

Dieses Kapitel hätte ich längst erfolgreich verdrängt, wenn nur meine Mutter es auf diversen Familienfesten nicht immer wieder aufgetischt hätte.

Ich war halt jung und brauchte kein Geld. Oder wie dieser Spruch so ging.

Ich schnappte mir jedenfalls einen dieser Zettel mit dem Vorsingtermin und machte mich ebenfalls auf den Weg zurück in meine Klasse.

Was sollte ich bloß vorsingen und wie komme ich mit Sebastian ins Gespräch? Ich sollte mir nicht so viele Gedanken machen, das macht mich nur verrückt.

Heute war der Tag des Vorsingens. Ich hatte mich gut vorbereitet. Bestimmt werde ich kein Solist, aber das war auch nicht meine Absicht. Mir reichte es, einer von vielen zu sein, der Spaß am Singen hatte. Und tief im Innersten meiner Träume wollte ich jemanden kennen lernen, der so fühlte wie ich.

Ich überlegte sogar, den Herman van Veen Song vorzutragen, entschied mich dann doch dagegen, weil es mir ein wenig peinlich vorkam. Stattdessen entschied ich mich für ein Lied von Mike Batt: „Walls of the world“. Durch meinen Vater, der viele Platten von diesem genialen Komponisten und Sänger besaß, bin ich mit seinen Songs aufgewachsen. Meine Eltern machten mir Mut, als ich ihnen von meinem Vorhaben, im Schulchor mitzumachen, erzählte. Papa war sichtlich stolz, dass ich ein Titel seines Lieblingssängers zum Vorsingen ausgewählt hatte.

Ich machte mich an diesem sonnigen Samstag auf den Weg zur Schule, da dort das Casting stattfand. Freiwillig am Wochenende zur Schule zu gehen, hatte schon was bizarres.

In der Aula hatten sich schon einige Schüler eingefunden. Ich erkannte den Chorleiter und den Pianisten in einem Gespräch vertieft. Ich ging zu ihnen hinüber um mich anzumelden.

„Hallo, mein Name ist Julian Schmidt, ich würde gern im Chor mitsingen.“

„Hallo Julian, ich bin der Chorleiter, Herr Schubert, und das ist Herr Warns, unser Pianist. In 20 Minuten startet das Vorsingen und du bist heute die Nummer vier. Du kannst dich solange dort hinsetzen und den anderen zuhören. Ich rufe dich dann auf. Klär noch eben mit Herrn Warns, was du vorsingen möchtest.“

„Danke, alles klar.“

Ich gab Herrn Warns meine Unterlagen, die er nickend überflog.

„Einen schönen Song hast du dir ausgesucht. Kennst du Bright Eyes von Art Garfunkel? Der ist auch von ihm.“

„Ja, natürlich, mein Vater ist ein großer Fan von ihm.“

Ich blickte mich um und setzte mich in die hintere Reihe. Von Sebastian war noch nichts zu sehen. Hat er es sich doch anders überlegt? Das wäre echt blöd.

Nachdem Herr Schmidt ein paar Einleitungsworte gesprochen hatte, holte er ein junges Mädchen auf die Bühne. Sie machte auf mich einen schrillen Eindruck mit ihren lila Haaren. Die schwarze zerrissene Jeans und der Nietengürtel rundete das Erscheinungsbild ab.

Als sie dann anfing zu singen, überzog mich eine wohlige Gänsehaut. Sie sang ‘There must be an Angel‘ von den Eurythmics. Ich war hin und weg. Mir kamen Gedanken, mich aus dem Staub zu machen. Die anderen waren so gut, dass mir Zweifel kamen, nicht gut genug zu sein. Bei diesen Gedanken verpasste ich fast meinen Auftritt. Mit zitternden Beinen machte ich mich auf den Weg zur Bühne. Mir wurde heiß, als ich die Stufen zur Empore betrat. Oben angekommen war es zu spät wieder umzukehren. Herr Warns saß am Klavier und lächelte mir aufmunternd zu. Er musste bemerkt haben, dass ich Lampenfieber hatte und das nicht zu knapp.

Ich stellte mich neben das Klavier und schaute zum Pianisten, der mir zurief:

„Ich spiele die Einleitung und auf mein Zeichen setzt du dann ein. Wird schon schief gehen.“

Er nickte mir dabei aufmunternd zu. Ja, ‘schief gehen‘, das befürchtete ich auch mit meinen Puddingbeinen. Die Aula war zu einem Viertel besetzt. Gott sei Dank konnte ich in dem halbdunklen Raum keine bekannten Gesichter erkennen.

Das Klavier setzte ein. ‚Ein schönes Intro‘, dachte ich mir und drehte mich zu Herrn Warns um. Der gab mir das Zeichen und dann lief ein mir unbekanntes Programm ab. Ich fing an zu singen und tauchte in den Song ein. Ich hatte nie zuvor mit Herrn Warns gespielt, dennoch hatte ich das Gefühl, dass ich schon immer mit ihm als Begleiter zusammen arbeitete. Am Ende des Liedes stand ich mitten auf der Bühne und war von meinen eigenen Gefühlen übermannt. Erst als Herr Warns seine Hand auf meine Schulter legte und mir zuflüsterte:

„Sehr schön gesungen, Julian. Leute wie dich brauchen wir“, kam ich wieder zu mir.

Ich blickte ihn an, nickte leicht und verließ dann die Bühne.

„Der nächste ist dann Sebastin Krüger.“

Erschrocken blickte ich auf. Er war doch gekommen. Grinsend kam er auf mich zu und hob anerkennend den Daumen, als er an mir vorbei auf die Bühne ging. Ich setzte mich auf den nächstbesten freien Platz, um ihm zu lauschen. Zu meinem Erstaunen setzte er sich selbst ans Klavier und stellte den Sitz ein. Er konzentrierte sich auf seine Noten, die er auf die dafür vorgesehene Ablage legte. Dann fing er an zu spielen.

Sebastian

Ich brauchte gar nicht lange zu überlegen. Ich wollte in den Chor. Beim Studium der Stundenpläne bemerkte ich, dass sich der Chor dreimal die Woche traf, einmal sogar parallel zu meinem Mathe-Kurs. Wenn das kein gutes Zeichen war. Ich musste bei dem Gedanken unwillkürlich grinsen. Allerdings was sollte ich vortragen? Da ich mir vorgenommen hatte, mich in nächster Zeit zu outen, sollte der Song schon ein wenig damit zu tun haben.

In Sozialkunde hatten wir das Thema: Randgruppen. Warum gab es sie und wer machte sie zu welchen. Arbeitslose, Hartz-IV Empfänger, Behinderte, Ausländer und auch Homosexuelle. Letzteres brachte ich in die Runde bei einer angeregten Diskussion ein. Ich erntete zum Teil erstaunte Blicke einiger meiner Klassenkameraden. Zustimmung und auch ein paar ablehnende Stimmen kamen von den anderen.

„Genau das macht eine Randgruppe aus. Abwertende Bemerkungen, dass sie aussätzig seien. Warum kann nicht jeder nach seiner Façon glücklich werden? Sie tun doch niemanden etwas.

Langsam wurde ich wütend. Dieses engstirnige Gedankengut einiger Mitschüler. Jetzt griff die Lehrerin ein:

„ Hallo, jetzt regt euch erst einmal wieder ab. Wenn wir hier diskutieren, bitte ich euch den anderen ausreden zu lassen und immer schon fair zu bleiben.

Es wurde noch eine hitzige Diskussion. Ob ich mich hier outen sollte? Ich war mir nicht mehr so sicher. Bei einem Mitschüler sah ich den puren Hass in den Augen. Mir lief es dabei kalt den Rücken herunter. Ich könnte mir vorstellen, dass sich viele hinter ihn stellen würden, nur um mögliche Repressalien so zu umgehen. Ganz nach dem Motto: Lieber mit den Wölfen heulen, als von ihnen gefressen zu werden.

Eigentlich ging ich ja gerne zur Schule, aber in Situationen wie diesen verging mir dann schon mal die Lust am Lernen. Gut, dass es jetzt die Möglichkeit gab, im Chor zu singen. Ich freute mich schon auf das Vorsingen am Samstag.

Schönstes Sonnenwetter begleitete mich zur Schule. In Gedanken ging ich noch mal meinen Vortrag durch. Da ich ja schon in einem Chor sang, war ich nicht sonderlich aufgeregt, was meinen Auftritt anging. Vielmehr war ich gespannt, was die anderen so von sich gaben. Eventuell konnte ich hier ein paar neue Freunde kennen lernen.

In der Schulaula angekommen, war obwohl hier schon einiges los war, eine gewisse Ruhe. Viele waren auf ihren Auftritt konzentriert und in ihre Unterlagen vertieft. Ich meldete mich kurz beim Chorleiter an und klärte mit dem Pianisten, dass ich mich selbst auf dem Klavier begleiten wollte. Er fand es sehr schön, dass ich selbst spielte. So unterhielten wir uns über die verschiedenen Klaviere und welche jeder am besten fand. Erst der Chorleiter Herr Schubert beendete unser Gespräch, da er jetzt anfangen wollte. Ich setzte mich mittig in die Aula und bemerkte ganz hinten den Jungen, der mir schon einige Male aufgefallen war. Singt er hier heute auch vor?

Alle die hier heute Vorsangen, konnten sich sehen lassen. Das erste Mädchen sang einen Titel von den Eurythmics. An den zweiten Vorsänger konnte ich mich nicht mehr erinnern.

Als drittes kam ein schlankes Mädchen, ich glaube sie ist der Klasse unter mir. So wie da stand, hatte ich das Gefühl, dass sie wohl eine leise und zerbrechliche Stimme hätte. Aber als sie dann loslegte, war ich baff. Sie sang von Caro Emerald ‚A night like this‘. Dieser Rhythmus wo man einfach mit muss, ich erwischte mich dabei, wie ich spontan anfing zu wippen. Ich war nicht der einzige, der von dieser Stimme fasziniert war. Am Schluss gab es spontanen Beifall.

Dann kam er. Hätte nicht damit gerechnet, dass er hier auftauchen würde. Julian Schmidt war also sein Name. Ich war gespannt wie seine Stimme klingen und was er hier heute vortragen würde. Er stieg auf die Bühne und unterhielt sich kurz mit dem Pianisten, um sich dann konzentrierend auf seinen Vortrag vorzubereiten. Wie er so da stand, ich weiß nicht, aber ich fand ihn faszinierend. Beim Einsetzen des Pianos huschte ihm ein leichtes nervöses Lächeln über sein Gesicht, als wolle er damit sagen: ‘jetzt gibt’s kein Zurück mehr‘.

Nach dem kurzen Intro fing er dann mit geschlossenen Augen an zu singen. Gänsehaut pur. Ich musste unwillkürlich grinsen. War er der Grund meiner schlaflosen Nächte? Ich sog jeden Ton, der aus seinem Mund kam, in mir auf. Er hatte das gewisse Etwas. Den Song kannte ich nicht, aber er war sehr schön. Den wollte ich immer wieder von ihm hören. Er sollte ihn nur für mich singen, wieder und wieder. Am Schluss stand er wieder mit geschlossenen Augen da und wirkte völlig weggetreten. Erst als der musikalische Begleiter ihm die Hand auf die Schulter legte, ihm zunickte und etwas zuflüsterte schaute er ihn an und verließ sichtlich erleichtert die Bühne.

Der nächste war ich, der jetzt sein Können beweisen musste. Der Chorleiter kündigte mich an und ich machte mich auf den Weg nach vorne. Julian blickte auf, als er meinen Namen hörte. Kannte er mich? Ich musste ihn anlächeln, als er mich so anschaute. Das hatte was von einem Eichhörnchen im Nebelscheinwerferlicht eines Autos. Ich hob beim Vorbeigehen den Daumen, um ihm damit zu signalisieren, dass ich seinen Vortrag toll fand. Er nickte nur leicht überrascht. Na ja, ich musste mich jetzt erst einmal auf meine Darbietung konzentrieren. Der Pianist erhob sich von seinem Stuhl. Nicht aus Ehrfurcht, sondern, weil ich mich selbst auf dem Klavier begleiten wollte. Ich legte meine Noten zurecht, obwohl ich dieses Lied schon so oft gespielt und gesungen hatte, dass ich sie eigentlich nicht mehr brauchte. Aber es war so ein Ritual von mir und zudem hatte ich immer Angst, mitten im Lied den Text zu vergessen. Ich dehnte meine Finger, atmete noch einmal tief durch und dann setzte ich ein.

Julian

Das Lied kam mir irgendwie bekannt vor. Erst als Sebastian anfing zu singen, wusste ich, dass es Billy Joels Klassiker „She’s always a woman“ war. Er sang es sehr gefühlvoll, ich war elektrisiert und sog jeden Ton in mir auf. Es fing an zu kribbeln. Ich träumte, mit ihm bei mir zu Hause zu singen und was man sonst noch so alles zu zweit machen konnte. Kochen, Fernsehen, spazieren gehen. Ich bekam heiße Wangen, als ich mir vorstellte, alle möglichen Turnübungen im Bett mit ihm anzustellen. Ach Mann, warum werden Wünsche nicht immer wahr?

Nanu, was singt er da? Hatte ich mich verhört? Das klang wie:

He is frequently kind

And he's suddenly cruel

But he can do as he pleases

He's nobody's fool

And he can't be convicted

he's earned his degree

And the most he will do

Is throw shadows at you

But he's always a boyfriend to me

(Originaltext: Billy Joel Published by

Lyrics © Universal Music Publishing Group)

Das klang, als hätte er die letzten Zeilen für einen Jungen gesungen. Hatten die anderen das nicht bemerkt? Oder war ich nur einer Täuschung erlegen und mein Verstand gaukelte mir etwas vor, was gar nicht stimmte? Sebastian bekam für seine Darbietung zu Recht viel Applaus. Auch ich selbst spendete ordentlich Beifall. Zufrieden kam er wieder von der Bühne und setzte sich ins Publikum.

„ So, das war’s für heute. Ich möchte mich bei allen für ihre Teilnahme bedanken und kann sagen, dass alle in den Chor aufgenommen wurden. Ich freue mich schon auf die Zusammenarbeit mit euch. Die erste Probe ist bereits am kommenden Dienstag. Ich wünsche euch noch ein schönes Wochenende. Danke und Tschüß.

Im allgemeinen Jubel endete das Vorsingen. Ich freute mich natürlich, jetzt im Chor singen zu dürfen. Beim Gehen blickte ich mich noch einmal um und sah, dass Sebastian in meine Richtung schaute. Ich nickte ihm kurz lächelnd zu, als ich mich plötzlich erschrak. Vorsichtig legte sich eine Hand auf meine Schulter.

„ Du hast deinen Song sehr schön interpretiert. Das hat mir sehr gut gefallen.

„ Danke, dein Beitrag war auch sehr schön. ‚A night like this‘ ist wirklich ein gutes Lied. Ich mag deine Stimme sehr.

„ Danke, hast du heute noch was vor oder wollen wir noch was trinken gehen?

„ Gerne, in der Nähe ist ein nettes Eiscafé.

Wir verließen die Schule und gingen zur besagten Eisdiele.

Sebastian

Ich hatte mich getraut, zum ersten Mal öffentlich einzugestehen, dass ich einen Freund will. Ich hatte es mir natürlich vorher gründlich überlegt und hatte es davon abhängig gemacht, wie die Stimmung vor Ort ist. Es war ein gutes Gefühl, das Lied ein wenig umzutexten. Natürlich war ich ein wenig aufgeregt. Ach was, ich war total aufgeregt. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte mich eingenässt. Vor allem, als ich Julian erblickte, hatte ich den Entschluss gefasst, es zu tun. Hatte ich was zu verlieren? Außer ein paar blöden Kommentaren wohl nicht. Ich wollte seine Reaktion testen und ob es sich lohnt, mich mit ihm anzufreunden. Ich hatte bei den letzten Zeilen ein wenig genuschelt, so dass man es als ein akustisches verhören hätte abtun können. Insgesamt war dieser Samstag ein Erfolg. Ich war im Chor, wie übrigens alle anderen Teilnehmer auch. Was mich persönlich am meisten gefreut hatte, war die Tatsache, dass Julian sich ebenfalls erfolgreich dem Vorsingen gestellt hatte. Er hatte ein wirklich schönes Lied gewählt. Ich kannte es nicht. Mann, das wäre doch ein guter Vorwand, ihn einfach mal anzusprechen. Nach dem Ende der Veranstaltung versuchte ich im allgemeinen Durcheinander, Julian ausfindig zu machen. Er stand weiter hinten und schien auch jemanden zu suchen. Als sich unsere Blicke trafen, lächelten wir uns kurz zu und im nächsten Moment wurde er dann von einem Mädchen angesprochen. Sie unterhielten sich. Es war wohl seine Freundin, auf jeden Fall verließen sie gemeinsam die Aula.

Das war’s dann, er war wohl heterosexuell. Tja, das gab mir einen ordentlichen Dämpfer. Hatte ich mir in den letzten Tagen in meiner Fantasie ein Leben mit ihm in allen schönen Varianten ausgedacht, so ist dieses Kartenhaus innerhalb von Sekunden in sich zusammengebrochen.

Am Montag wollte ich erst nicht zur Schule gehen. Hatte mir überlegt, mich krank zu melden oder einfach zu schwänzen. Aber ich entschied mich für den Weg durch die Mitte. So schlimm würde es schon nicht sein, außerdem kannten wir uns ja eh nicht, nur das ich ihn heimlich hübsch fand. Das war er natürlich immer noch, aber halt keine Option mehr für mich. Andere Mütter haben auch hübsche Söhne.

Julian

Hatte ich es mir doch gedacht. Dörthe, so hieß das hübsche Mädchen, wollte sich an mich ranmachen. Was zunächst als normales Gespräch in der Eisdiele begann, entpuppte sich dann als pure Anmache. Ich lächelte ihr immer mal wieder zu, aber ich hatte dabei immer das Bild von Sebastian im Kopf und den Gedanken, dass er anstelle von Dörthe hier sitzen würde. Liebevoll würde er meine Hand streicheln. Es fühlte sich schön an.

„ Was machst du da?

Erschrocken blickte ich in Dörthes blinzelnde Augen.

„ Ich dachte, dir gefällt es, wenn ich dir die Hand streichle. Du hast so schön dabei gelächelt.

Ich war wohl zu schroff zu ihr gewesen.

„ Magst du mich denn nicht?

„ Dörthe, ich mag dich, mehr aber nicht. Du musst dir jemanden suchen, der deine Liebe erwidern kann. Ich bin es jedenfalls nicht. Tut mir leid.

Ich rief den Kellner und bezahlte die Rechnung. Und beim Herausgehen fragte mich Dörthe dann direkt:

„ Sag mal Julian, bist du verliebt? Ich habe das Gefühl, dass ich bei dir nie eine Chance haben werde. Liege ich richtig, wenn ich glaube, dass du schwul bist?

„ Was redest du da? Ich bin doch nicht…

Mir blieb das letzte Wort im Halse stecken. Ein großer Klos im Hals ließ meine Stimme versiegen. Mir wurde kalt und heiß. Mitten auf dem Gehweg blieb ich stehen. Mein Herz pochte wie wild. Ich werde es ihr sagen. Ich wollte nicht lügen und mich verstecken.

„ Du hast Recht, ich bin schwul.

Ich traute mich nicht, Dörthe dabei anzuschauen. Ich stand da wie ein Delinquent, der auf seinen Henker wartete. Dörthe kam auf mich zu und nahm mich in den Arm. Mir fiel eine ganze Steinlawine vom Herzen. Ich hatte sie trotz einiger Zweifel richtig eingeschätzt. Es tat gut, sich mal öffnen zu können und nicht alles in sich herein zu fressen.

„ Hab ich mir doch gedacht. Deine Reaktion, als ich dir die Hand streichelte. Du warst irgendwie weit weg und ich interpretierte das als ein Wohlwollen meinerseits. An wen hast du dabei gedacht?

„ Äh, an niemanden bestimmtes. War nur ein wenig am Träumen.

Hier konnte ich ihr nun wirklich nicht die Wahrheit sagen. Wenn sie es dann falsch aufgefasst hätte und womöglich Sebastian drauf angesprochen hätte.

„ Du wirst schon deinen Prinzen finden. Apropos Prinz, hattest du beim Vorsingen den Beitrag von diesem Sebastian gehört?

Sie hatte es also auch vernommen. War dann doch keine Halluzination. Ach, Sebastian, welch eine schöne Stimme, diese Grazie, dieses zauberhafte Klavierspiel. Er war einfach zu perfekt. Hatte ich überhaupt eine Chance? Wer war ich schon. Ich seufzte einmal tief.

„ Julian? Wo bist du schon wieder? Du hast es also auch gehört, stimmt’s?

Ich musste unwillkürlich grinsen.

„ Ja, natürlich. Aber schau ihn an. Er ist nahezu perfekt. Spielt überirdisch gut Klavier. Ich hingegen kann gar nichts.

„ Red‘ nicht so ein Quatsch. Er kocht auch nur mit Wasser, wenn er überhaupt kochen kann. Aber hübsch ist er ja und wenn ich auch hier richtig liege, dann ist er wie du, schwul.

„ Und wenn schon, deswegen muss er mich aber nicht unbedingt mögen. Wenn ich nicht sein Typ bin, dann…

„ Und umgekehrt? Wie sieht‘s mit dir aus?

„ Irgendwie fasziniert er mich schon. Ja, er hat so ein Gewisses…ich kann es nicht erklären. Bei ihm stimmt irgendwie alles. Ich könnte mir ein Leben mit ihm sehr gut vorstellen.

„ Julian, du bist verliebt.

Dörthe sagte das so einfach. Ich wünschte, es wäre wirklich so einfach. Mir wurde langsam klar, dass ich es versuchen musste. Ich musste versuchen, am Montag mit ihm ins Gespräch zu kommen. Wenn ich es nicht versuchte, würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen.

„ Sprich ihn an, am besten gleich am Montag in der Pause. Dienstag ist Chorprobe, da wäre auch noch eine Möglichkeit.

Sebastian

Ich stand ein wenig in Gedanken in der ersten Pause auf dem Schulhof, als mich jemand unvermittelt von hinten ansprach. Ich zuckte leicht zusammen und drehte mich in die Richtung der Stimme um. Vor mir stand Julian und strahlte mich an.

„ Hallo Sebastian, schön dich zu sehen. Du hast am Samstag einen echt schönen Auftritt abgeliefert. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schön Klavier spielen kannst.

„ Hallo Julian, danke, dein Song war aber auch sehr gut. Kennt man den Komponisten? Hatte das Lied vorher noch nie gehört.

„ Mike Batt, er hat viele schöne Sachen geschrieben. Du kennst doch bestimmt ‚Bright Eyes‘ von Art Garfunkel? Das ist zum Beispiel von ihm oder einige Kompositionen von Katie Melua.

„ Muss ich mir mal im Internet anhören. Du hast es mit viel Gefühl gesungen. Es hat mir sehr gut gefallen.

„ Ich kann dir ja mal einige Stücke von ihm zusammenstellen. Mein Vater hat viel von ihm. Sag mal, bei deinem Auftritt, hast du da den Text deines Liedes ein wenig verändert? Hatte zumindest so geklungen.“

Mir lief es kalt den Rücken herunter. Oh je, was kommt denn jetzt. Julian druckste jetzt ein wenig herum. Er sammelte wohl gerade seine Worte. Hoffentlich keine Hasstiraden. Aber dann hätte er sich doch nicht mit mir unterhalten, um jetzt über mein Schwulsein herzuziehen oder? Jetzt wird er auch noch rot. Ach wie niedlich. Niedlich? Scheiße!

„ Naja…“, stotterte ich ein wenig, „... ich, ja ich habe ihn ein wenig verändert. Mir war halt danach. Ich war so euphorisch. Ach was soll’s: Ich bin halt schwul.

Was war denn das? Julian fing an zu schmunzeln? Oh nein, gleich geht das Spießrutenlaufen los. Er grinst immer noch verlegen. Wieso verlegen?

„ Das hatte ich mir fast gedacht. Willkommen im Club.

Was? Wie jetzt. Was heißt das denn jetzt. Langsam klingelte es bei mir, also nicht das Handy, sondern, was er damit wohl sagen wollte.

„ Du auch? Du, du bist auch schwul?

„ Jep, kann nichts dafür.

Oh, wie süß, er wurde rot und schaute mich verlegen an. Ich konnte nicht anders, erst gluckste ich nur, aber dann brach es aus mir heraus. Es war einfach zu schön, wie er mit seiner Verlegenheit kokettierte. Jetzt lachten wir beide. Ob man das vertiefen konnte? Also, ich wäre sofort dabei.

„ Hast du mal Lust…mit mir ins Kino zu gehen?

Mit der bewussten Pause im Satz wollte ich ihn ein wenig auf den Arm nehmen.

„ Ja, das auch…also das mit dem Kino.“

Er hatte meine Anzüglichkeiten verstanden und mit den gleichen Waffen zurück geschlagen. Ich war hin und weg. Wir blickten uns eine Ewigkeit in die Augen. Ok, es waren nur wenige Sekunden, aber es reichte, um die Schmetterlinge in meinem Bauch Walzer tanzen zu lassen. Es hatte mich voll getroffen. Ich war schon jetzt Wachs in seinen Händen und das, obwohl er mich noch nie berührt hatte.

Nach der Schule trafen wir uns vor dem Kino. Lange überlegte ich, was man sich so anschauen konnte. Ein Actionfilm war mir für den ersten gemeinsamen Kinobesuch unpassend. Ein Liebesfilm hatten sie diese Woche nicht im Programm. Oh je, da gab es nur diesen Animationsfilm mit den gelben Figuren, die aussahen wie die innere Plastikkugel der Ü-Eier. Ich war mir nicht sicher, ob er auch so ein Blödsinn gucken würde.

„ Hallo Sebastian“, kam eine mir schon vertraute Stimme entgegen, während ich noch das Kinoprogramm studierte. Ich drehte mich um und sah in das schönste Lächeln, das ich je gesehen hatte.

„ Hallo Julian, wie geht’s?

„ Kann nicht klagen. Wollen wir gleich rein? Was gibt’s denn überhaupt?

Julian sah im Schaufenster das große Minions Plakat. Er zeigte auf das Poster.

„ Den will ich sehen. Was ist mit dir?

„ Ok, ich glaube, das ist das einzige, was man sich zurzeit anschauen kann.

Julian wartete meinen Satz nicht zu Ende ab, sondern zog mich in das Kino. Wir saßen in der letzten Reihe und warteten auf den Film. Immer wieder schaute ich verlegen zu ihm herüber, wenn er etwas erzählte. Immer mit diesem Blitzen in den Augen. Er schien richtig aufgekratzt zu sein. Ob er heimlich Drogen nimmt? Ich musste unwillkürlich grinsen.

„ Warum lachst du? Der Film hat doch noch gar nicht angefangen. Ich geh noch schnell mal für kleine Königstiger. Lauf mir ja nicht weg.

Sagte es, zwinkerte mir kurz zu und verschwand. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart wie auf Wolke 7. Ja, ich war verliebt. Für mich stand es fest, wenn er mich fragen würde, war meine Antwort: Ja. Ich träumte davon, morgens neben ihm aufzuwachen und ihn beim Frühstück mit Schokocroissants zu füttern, um anschließend seinen Schokomund sauber zu küssen. Ich muss wohl ein ziemlich entrücktes Gesicht gemacht haben.

„ Hey, wo bist du bloß mit deinen Gedanken? Da du auf mein Rufen nicht reagiert hast, habe ich einfach eine XXL Tüte Popcorn mitgebracht.

Julian versteckte sich halb hinter der Tüte und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Einfach zu süß, wie er mich verzauberte. Als das Licht ausging, war er zappelig wie ein kleines Kind und griff noch mal schnell in die Tüte.

Es passierte, was passieren musste: Während des Films griffen wir beide gleichzeitig in die Popcorntüte. Wir hielten beide inne, als sich unsere Hände berührten. Langsam drehten wir uns zueinander und schauten uns in die Augen. Das wenige Licht genügte, um zu sehen, was in ihm vorging. Wir fingen an, mit unseren Fingern zu spielen, den Film und das Lachen der anderen nahmen wir nicht mehr wahr. Langsam kamen wir uns näher und ich konnte den aufgeregten Atem von Julian spüren. Hier geschah gerade etwas ganz besonderes: Beim ersten Lippenkontakt hörte ich die Engel singen. Ich spürte Julians Hand in meinem Nacken. Er zog mich stärker zu sich hin. Nach einigen Sekunden war dieser Moment wieder vorbei, aber so wie Julian mich jetzt anschaute, wusste ich, wir sind ein Paar. Wir schwiegen uns nur an und ich streichelte ihn mit dem Daumen über seine Wange und nickte ihn mit einem Blinzeln zu. Ja, ich dich auch.

Nach dem Film standen wir wieder auf der Straße. Es war schon dunkel geworden. Julian tanzte wie ein kleines Kind um mich herum und blieb dann unvermittelt direkt vor mir stehen. Sein Atem ging ihm wie nach einem 1000 Meter Lauf. Mit ernster Miene sagte er dann:

„ Basti, ich liebe dich. Ich will mit dir zusammen sein.

Ich sah wieder dieses Glänzen in seinen Augen. Sehnsüchtig wartete er meine Antwort. Hatte ich richtig gehört? Er liebt mich? Langsam begriff ich seine Liebeserklärung und schneller als ich antworten konnte, stiegen mir die Tränen in die Augen. Ich war so überwältigt. Viele Male hatte ich mir vorgestellt, wie ich auf so einen Antrag reagieren wollte, aber jetzt fehlten mir einfach die Worte. Ich bekam nur ein nicken und japsendes ‚ja‘ heraus. Dann konnte ich nicht anders und fiel ihm um den Hals. Meine Freudentränen hatte ich nicht mehr unter Kontrolle. Als ich mich wieder von ihm löste, bemerkte ich, dass auch er Tränen des Glücks in den Augen hatte. Zärtlich nahm ich sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn leidenschaftlich. Mir waren die anderen Passanten um uns herum egal. Ich hätte schreien können vor Glück, auch wenn man mich dann weggefangen hätte. Mein Traum wurde wahr und ich hätte die ganze Welt umarmen können.

Julian

Hoffentlich kommt Sebastian auch zum Kino und kneift nicht noch. Ich hatte bei allen Dingen die ich machte, immer ein Quäntchen Zweifel. Selten konnte ich befreit auf eine wichtige Sache zugehen. Auch bei Klassenarbeiten hatte ich immer das Gefühl, dass was schief gehen konnte. Um die nächste Ecke liegt das Kino und hoffentlich ist er wirklich da.

Ja, da stand er und schaute sich das Programm an. Wenn er mein Freund wäre, würde ich ihn zur Begrüßung küssen und in den Arm nehmen. Ach, das wäre so schön.

„ Hallo Sebastian“, rief ich ihm schon von weitem entgegen. Er drehte sich um und strahlte mich an. Das will ich jeden Tag haben, daran könnte ich mich schnell gewöhnen und mir würde dabei nie langweilig werden.

„ Hallo Julian. Wie geht’s?

„ Kann nicht klagen. Wollen wir gleich rein? Was gibt’s denn überhaupt?

Ich sah die kanariengelben Ü-Eier im Schaufenster und mir war klar, jetzt brauche ich was Lustiges und Sebastian.

„ Den will ich sehen. Was ist mit dir?

„ Ok, ist glaube ich das einzige, was man sich zurzeit anschauen kann.

Ich hörte ihm gar nicht mehr richtig zu, sondern zog ihn einfach ins Kino und kaufte uns zwei Tickets für die Minions. Wir setzten uns in die letzte Reihe. Ich freute mich auf den Film und natürlich auch, dass ich ihn mit Sebastian sehen durfte. Ich war ziemlich aufgeregt. War das hier so was wie ein erstes Date? Ich weiß nicht so recht. Da saß der hübscheste Junge neben mir und ich mache mir Gedanken darüber, ob es ein Date war. Nun, das war doch jetzt völlig egal. Ich schaute immer mal wieder zu Sebastian, um sicher zu sein, ob er wirklich mit mir hier im Kino saß. Er grinste vor sich hin. Führte ich mich jetzt so albern auf, dass Sebastian anfing, in sich hinein zu lachen?

„ Warum lachst du? Der Film hat doch noch gar nicht angefangen. Ich geh noch schnell mal für kleine Königstiger. Lauf mir ja nicht weg.

Ich musste tatsächlich noch mal aufs Klo. Das passierte mir immer, wenn ich aufgeregt war. War auch gut so, denn jetzt konnte ich beim Pinkeln ein wenig meine Gedanken sammeln, bevor der Film losging und ich neunzig Minuten neben Sebastian saß und mir seinen Duft reinzog. Er hatte nämlich einen verführerischen Geruch an sich. Ich hatte noch ein wenig Zeit und wollte eine Tüte Popcorn kaufen, wusste aber nicht, ob Sebastian auch welches wollte. Ich lief schnell in den Kinosaal und rief nach Sebastian. Er reagierte aber nicht. Er schaute verträumt vor sich auf den Boden und schien sich über etwas zu freuen. Da ich mich nicht traute, noch lauter zu rufen, entschied ich mich mutig für die Jumbotüte Popcorn. Ruckzuck war ich wieder am Platz.

„ Hey, wo bist du bloß mit deinen Gedanken? Da du auf mein Rufen nicht reagiertest, habe ich einfach eine XXL Tüte Popcorn mitgebracht.

Ich hielt ihm dabei die Tüte vors Gesicht und schielte leicht an dieser vorbei in seine Augen. Keine Minute später wurde das Licht gelöscht und der Film ging los. Schnell griff ich noch mal in die Popcorntüte.

Ein wirklich lustiger Film. Das viele Lachen machte hungrig und ich griff immer wieder in die Popcorntüte, die ich zwischen uns gestellt hatte. Dabei passierte es, dass ich, mich auf den Film konzentrierend, in die Tüte greifen wollte und dabei Sebastians Hand erwischte, die dort schon verweilte. Ich zuckte zusammen, weil ich in der Tüte eigentlich keine Hand vermutete. Wir schauten uns an und ließen den Film Film sein. Seine Hand streichelte meine. Mich durchzuckten viele Blitze bei seinen Berührungen. Langsam bewegten wir unsere Köpfe aufeinander zu. Zögernd berührten sich unsere Lippen. Ich schloss meine Augen und genoss den Augenblick. Noch bevor Sebastian von mir ablassen konnte, griff ich mit meiner anderen noch freien Hand in seinen Nacken und zog ihn fester an mich heran. Küsst man normaler weise nicht mit Zunge? Vielleicht nicht beim ersten Mal. Eventuell ist er ja Vegetarier. Ich konnte ihn nur anlächeln bei diesem blöden Gedanken. Seine Hand legte sich auf meine Wange und streichelte sie. Ich war in diesem Moment einfach nur glücklich. In Gedanken sprach ich die berühmten drei Worte: Ich liebe dich.

Nach dem Film war ich so euphorisch, dass ich einfach ein wenig rumhopsen musste. Sebastian schaute mich ein wenig beängstigend an. Es musste raus. Ich musste es ihm einfach sagen. Jetzt war der richtige, der perfekte Zeitpunkt, es zu sagen. Ich blieb jetzt direkt vor Sebastian stehen und zählte innerlich bis drei.

„ Basti, ich liebe dich. Ich will mit dir zusammen sein.

So, jetzt war es raus. Wie würde er reagieren? Seine Augen fingen an zu strahlen und eine Träne kullerte über seine Wange. Dann nahm er mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Das sollte wohl ‚Ja‘ heißen. Ich fühlte mich, mit einem Freund an meiner Seite, endlich perfekt. Wie lange hatte ich diesen Moment herbei gesehnt. Jetzt war er da. Mir liefen ebenfalls die Tränen vor Glück, als ich Sebastian im Arm hielt. Wir lösten uns wieder voneinander. Jetzt nahm Sebastian meinen Kopf in seine Hände und küsste mich dann leidenschaftlich auf den Mund.

„ Ich liebe dich auch und will mit dir zusammen leben.

Einige Passanten lächelten uns an, andere drehten angewidert den Kopf weg. Mir war das in diesem Moment so was von egal. Ich sah nur Sebastian und unser neues gemeinsames Glück.

Sebastian

Schon bald trennten sich unsere Wege wieder. Nein, wir haben uns nicht getrennt, aber es war spät geworden. Nach dem Kino waren wir noch in das nahe gelegene Burger Restaurant gegangen und hatten uns ein wenig unsere Lebensläufe um die Ohren gehauen. Morgen war wieder Schule und ich muss sagen, dass ich mich noch nie so auf die Schule gefreut hatte, wie an diesem Abend. Es lag natürlich nur an Julian. Ich wollte ihn unbedingt jeden Tag sehen und spüren. Jetzt erst konnte ich die Gefühle der vielen Liebesfilme, die Mama und Papa sich so gerne am Sonntag im Fernsehen anschauten, verstehen. Man musste selbst erst einmal so richtig verknallt gewesen sein, um dieses Feeling zu verstehen, das in jedem von uns schlummert. Wer weiß, was da sonst noch so in mir schlummert? Auch fing ich an, bewusster zu leben. Ich achtete darauf, nicht zu jeder Gelegenheit zum Süßigkeitenschrank zu gehen, um ihn zu plündern. Ich wollte für Julian hübsch bleiben. Dass er mich immer begehrenswert findet. Nicht, dass ich es eines Tages nur noch fürchterlich keuchend die Treppe zu unserem Apartment hinauf schaffte, weil ich mittlerweile zu dick geworden war. Julian wird dann natürlich auch mitmachen müssen. Ja, ich träumte schon von einer gemeinsamen Wohnung hoch über den Dächern der Stadt und einer großen bepflanzten Terrasse mit einem Blick auf die Alpen und auf die Nordsee. Ich weiß, dass es so was nie geben wird, aber ich werde ja wohl mal ein wenig träumen dürfen. Logischerweise darf eine Katze nicht fehlen oder auch zwei. Wir werden uns dann streiten, wie sie heißen sollen. Und der Versöhnungssex danach wird gigantisch. Oh weia, das mit dem Sex habe ich ja noch gar nicht bedacht. Ich wusste zwar, dass es geht, aber nicht wie. Ich hatte ja noch nie und wusste auch kaum was darüber. Ob Julian schon mal Sex hatte? Sollte ich ihn mal fragen? Das ist doch voll peinlich. Nicht, dass er mich auslacht, wenn ich ihn frage. Ach was, wenn es so weit sein wird, ergibt sich schon eine Gelegenheit. Ich sollte es einfach ganz cool auf mich zukommen lassen.

Julian

Montag früh kam ein über alle vier Backen strahlender Basti auf mich zu. Bei unserer Verabschiedung hatte ich einfach bestimmt, dass er ab sofort Basti heißt. Mein Basti. Er blieb direkt vor mir stehen.

„ Guten Morgen, Juli. Hast du gut geschlafen? Ich habe dich schon so vermisst.

„ Moin Basti, ja natürlich. Ich habe von dir geträumt. Und habe dich auch vermisst.

Ich musste bei unserer Konversation unwillkürlich lachen. Es erinnerte mich irgendwie an die blöden Pilcher-Filme, die Mama und Papa am Sonntagabend immer guckten und die in mir einen Zuckerschock auslösten. Ich ging dann meistens auf mein Zimmer, um etwas für die Schule zu tun oder hörte laute Musik über Kopfhörer. Das war dann mein Wochenendausklang.

„ Wie sollen wir uns hier in der Schule verhalten? Mir ist nicht wohl dabei als Schwuler im Mittelpunkt des Spottes zu stehen. Außerdem will ich in Ruhe hier in zwei Jahren mein Abi machen.

„ Darüber hatte ich mir echt noch keine Gedanken gemacht. Du hast wohl Recht. Hier in der Schule sollten wir Körperkontakt vermeiden. Und wenn es doch rauskommt .... wer weiß? Dann werden wir auch diese Situation gemeinsam meistern oder?

„ Ja, mit dir zusammen immer. Da habe ich keine Angst. Nur ein wenig.

„ Ich werde dich beschützen.

Der Schultag verlief normal, wie jeden Tag. In den Pausen aber tranken wir unsere Milch gemeinsam.

„ Hey, das ist ja toll, du magst warme Milch? Ich kenne sonst niemanden, der das trinkt.

„ Ich auch nicht“, antwortete ich rotwerdend mit verdrehten Augen.

„ Nicht einmal ich“, setzte ich dann nach und beobachtete Basti, der leicht verwirrt dastand.

„ Aber warum trinkst du dann nicht wie die meisten anderen Kakao?

Jetzt war der Tag der Wahrheit gekommen. Ich musste schon vor meiner Beichte grinsen, was Basti noch verwirrter blicken ließ.

„ Du bist daran schuld.

„ Wieso? Versteh ich nicht.

Ich erzählte ihm die ganze Geschichte, wie ich ihn heimlich beobachtete und seinen Namen herausfinden wollte.

„ Echt jetzt? Nur um meinen Namen zu erfahren, musst du jetzt zwei Monate warme Milch trinken? Oh wie süß. Das ist ja total romantisch. Ich sollte das mal der Schnulzentante schreiben, damit sie es in einen ihrer fürchterlichen Filme einbauen kann.

„ Nicht so laut, du Depp. Wenn das die anderen hören.

Ich musste wohl rot angelaufen sein. Zumindest blickte ich mich hektisch um, ob auch niemand unser Gespräch belauschte. Basti konnte sein Grinsen nicht mehr loswerden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es besser gewesen wäre, dieses Kapitel für mich zu behalten. Denn immer wenn ich in den nächsten zwei Monaten mit meiner warmen Milch dastand, schaute er mich grinsend an, dass ich daraufhin eine Gänsehaut bekam und ich mich noch mehr in ihn verliebte.

Am Dienstag war dann die erste Chorprobe. Wir Neuen bekamen erst einmal jeder einen dicken Ordner mit dem ganzen Repertoire. Der Chorleiter Herr Schubert meinte aber, dass wir das nicht auswendig lernen sollten, aber uns die Texte alle einmal durchlesen. Darüber war ich sehr erleichtert. Als wenn das nicht schon genug wäre, verteilte er jetzt auch noch an alle eine rote Mappe mit der Aufschrift >Weihnachtslieder<.

Der Spruch „Ja, ist denn schon Weihnachten?“ ließ nicht lange auf sich warten. Ich blätterte ein wenig in dem roten Heft herum und entdeckte sehr zu meinem Leidwesen einige Texte auf Latein. Toll, dachte ich mir, jetzt verfolgt mich diese tote Sprache auch noch in die Musik. Gesungen wurde auch noch, aber zuerst ordnete Herr Schubert die neuen Chormitglieder nach Stimmen ihrem Standort zu. Ihm war es wichtig, dass, wenn der Chor Aufstellung nahm, alle genau an ihrem von ihm bestimmten Platz standen. Immer die gleichen Nebenmänner. Das führte dazu, dass Basti und ich nicht nebeneinander heimlich Händchenhaltend stehen konnten. Zwei blöde Sangesbarden trennten mich von meinem Liebsten. Der ließ es sich aber nicht nehmen, zwischendurch Blickkontakt aufzunehmen. Ich zwinkerte dann meisten mit einem Lächeln zurück. Vielleicht wollte er auch nur wissen, dass ich in der Zwischenzeit keinen Blödsinn machte.

Sebastian:

Mit Juli zusammen im Chor zu singen war einfach großartig. Ich freute mich immer auf diese Stunden. Unser Chorleiter verteilte in der ersten Chorprobe schon die Mappe mit den Weihnachtsliedern. Oh je, bald ist es wieder so weit. Ich als ein Weihnachtsverweigerer singe jetzt Weihnachtslieder. Ich hasste es immer, wenn zum Ende der Sommerferien schon Lebkuchen in den Geschäften auslagen. Das war an Perversion kaum noch zu überbieten. Und Anfang November war das auch das Fernsehen davon infiziert, zumindest die Werbung. Grauenhaft. Wenn dann auch noch aus meiner Sicht die Straßenbeleuchtung viel zu früh auf Konsumterror schaltete, verging mir immer schon die Lust, shoppen zu gehen. Diese Dudelmusik und als Engel verkleidete Verkäuferinnen gaben mir den Rest. Ich verweigerte mich dem Ganzen. Ganz nach dem Motto: >Lasst uns froh und munter sein - und bist du nicht willig, so gebrauche ich Gewalt.<

Aber andererseits war es dann doch schön, wenn man nach diesem vielen hektischen Trubel wieder runter kam und zusammen mit der Familie einen gemeinsamen Abend verbrachte. In der heutigen Zeit war das ja nicht mehr selbstverständlich. Viele Eltern mussten, um die Familien zu ernähren, auch am Wochenende arbeiten, wenn sie nicht sowieso schon im Schichtdienst malochten.

Und jetzt stand ich hier und sollte Weihnachtslieder zum Besten geben. Manchmal ist das Leben schon kurios. Aber das Singen macht mir große Freude. Unser Chorleiter hatte auch ein gutes Händchen, uns die Stücke beizubringen. Wir hatten alle viel Spaß beim Singen und auch die Atmosphäre drumherum war sehr positiv. Es wurde neben der Singerei auch viel anderes unternommen, wie zum Beispiel waren wir auf meinen Wusch hin auf einem Konzert von ‚Scala and the Kolacny Brothers‘, einem Mädchenchor aus Belgien. Sie waren einfach phantastisch. Ich musste danach Juli alle meine Scala CD’s ausleihen. Auch sind wir im Sommer alle gemeinsam Zelten gewesen. Und jedes Chormitglied bekam eine kleine Aufmerksamkeit zum Geburtstag von Herrn Schubert. Er war die gute Seele unseres Chores und wir zahlten es ihm mit Enthusiasmus beim Singen zurück.

Ich weiß nicht mehr genau wann es war, aber eines Abends, als ich zu Bett ging, fand ich in meiner Jackentasche einen Briefumschlag. Auf dem war in schönster Handschrift zu lesen:

>Für meinen Sebastian<

Der Umschlag zauberte blitzschnell ein Lächeln in mein Gesicht. Gänsehaut überzog meinen Körper und ich glaubte in Gedanken zu sehen, wie Basti gespannt darauf wartete, dass ich diesen Umschlag öffnete. Aber im nächsten Moment bekam ich es mit der Angst zu tun. Warum sollte Basti mir schreiben. Wir konnten uns doch bisher alles erzählen. Und warum schrieb er ‚Sebastian‘, wenn er sonst immer nur ‚Basti‘ zu mir sagte? Ich fing an zu zittern und überlegte den Brief zur Seite zu legen. Aber es juckte mich schon, ihn sofort öffnen zu müssen. Einmal tief durchatmend, öffnete ich den Umschlag energisch und nahm den Brief heraus:

Wünschen – Schenken

Ich wünsche mir Deine Berührungen,

Ich schenke Dir meine.

Ich wünsche mir Deinen Atem,

Ich schenke Dir meinen.

Ich wünsche mir Dein Herz,

Ich schenke Dir meines.

Ich wünsche mir Deine Liebe,

Ich schenke Dir meine.

Dein Dich immer liebender

Juli

Ich fing sofort an zu heulen. In schönster Schrift hat er mir dieses Gedicht geschrieben. Und die vielen Herzchen drumherum. Ich war hin und weg. Ich musste ihm wohl mal erzählt haben, dass das für mich zum Verliebtsein dazu gehören würde. Sogar sein Lieblingsparfum konnte ich riechen. Und ich zweifelte an seiner Liebe. War ich zu glücklich mit ihm, dass ich irgendwann aus diesem wunderschönen Traum erwachen würde und, dass nicht mehr als eine Wolke von allem blieb, die dann ihren Weg weiter über den Himmel zieht und für immer verschwindet?

Ich rief ihn sofort an, um mich zu bedanken. Meine anfänglichen Zweifel behielt ich aber für mich. Er sagte mir, dass ihm nicht wohl dabei war, mir ein Gedicht zu schreiben. Erst wollte er was aus dem Internet suchen, schrieb dann aber das, was ihm gerade durch den Kopf ging.

Irgendwie musste ich mich für sein Liebesgeständnis bedanken. Ich hatte da auch schon eine Idee. Ich bereitete alles für diese Stunden vor. Hoffentlich würde ich bei ihm mit meinem Vorhaben richtig liegen. Ich war wahrscheinlich genauso aufgeregt, wie er bei seinem Gedicht für mich. Nur das Wetter lag nicht in meiner Hand.

Julian

Ich war sehr erleichtert, als Basti mich anrief, um sich für mein Gedicht zu bedanken. Dass er dabei heulte wie ein kleines Kind vor Glück, trieb auch mir die Tränen in die Augen. Ich weiß nicht, wie oft er sich bedankte, aber ich wusste, dass sich die Arbeit gelohnt hatte, selbst was zu schreiben, anstatt irgendwas aus dem Internet zu suchen. Der Papierkorb war voll mit den verworfenen Versuchen. Immer wieder war was nicht richtig. Erst als Mama plötzlich in der Zimmertür stand, bemerkte ich, dass ich wohl laut am Fluchen war. Lachend den Kopf schüttelnd verließ sie wieder das Zimmer mit dem Satz:

„ Ach ja, verliebt sein ist doch was Schönes. Ihr habt noch das ganze Leben vor euch.“

Als ich ihr von Basti erzählte, meinte sie, dass sie auch mal jemanden kannte mit dem Namen Krüger. Ihr erster Schulfreund hieß Stefan. Es ist schon komisch, dass die Eltern auch mal verliebt waren und Sex hatten. Aber das wollte ich mir jetzt nicht bildlich vorstellen. Ich erzählte Basti von den Erzählungen meiner Mutter.

„ Bist du sicher? Papa heißt auch Stefan. Das wäre ja was, wenn sie zusammen zur Schule gegangen wären. Ich werde ihn mal fragen.

Die Welt ist doch so klein. Es war wirklich wahr. Bastis Papa und meine Mama waren Schulfreunde. Sie hatten sich später aus den Augen verloren. Bastis Papa war für ein paar Jahre im Ausland. Mama hatte nie Lust auf Klassentreffen. Sie meinte immer:

>Wer wissen will, wie alt er geworden ist, der sollte auf Klassentreffen gehen.<

Basti und ich vermittelten ein Wiedersehen der alten Freunde, natürlich mit den jeweiligen Ehepartnern. Wir wollten ja eh unsere Eltern zusammen bringen. Unter diesen Umständen war es sogar noch lustiger. Wir ließen die vier aber alleine. Sie hatten sich schließlich viel zu erzählen.

„ Stell dir mal vor, deine Mama und dein Papa hätten geheiratet, dann wären wir jetzt Geschwister.

Sebastian strahlte bei dieser Vorstellung. Leider musste ich ihm diesen Zahn wieder ziehen.

„ Das glaube ich nicht. Uns würde es nicht geben. Du bist nur da, weil deine Eltern zusammengefunden haben. Und außerdem würde ich nicht meinen Bruder als Freund haben wollen. Was sollen denn die Nachbarn sagen?

Beim letzten Satz musste ich dann doch lachen. Ich nahm Basti in den Arm, drückte ihn fest an mich und sagte dann:

„ Das Schicksal hat es so gewollt und es ist auch gut so. Ich bin glücklich, so wie es ist.

„ Du hast Recht. Und wenn das Schicksal es gut mit uns meint, dann werden es noch ganz viele gemeinsame Jahre. Aber darauf haben wir beide keinen Einfluss. Ich werde aber mein Bestes geben, damit das so kommt.

Sebastian

Zwei Jahre waren inzwischen vergangen und unser Versteckspiel in der Schule war bereits nach ein paar Monaten keines mehr. Ich weiß nicht, wie es passierte, aber hinter vorgehaltener Hand wurde über uns getuschelt. Wir hatten uns anscheinend nicht sonderlich geschickt angestellt. Ich bekam nur mit, dass Klassenkameraden tuschelten:

„ Kein Wunder, dass er sich so für Randgruppen einsetzt, wenn er selbst ´ne Schwuppe ist.

„ Nenn ihn nicht so, er ist doch echt in Ordnung. Und außerdem, was geht es uns an, wen Sebastian liebt. Der Julian ist doch echt ein Schnuckel.

„ Du als Mädchen kennst dich mit Jungs halt aus. Ich hingegen stehe mehr auf Mädels.

Ich fing an zu schwitzen und wollte sofort zu Julian. Er war aber noch im Unterricht. Schnellstens lief ich auf den Schulhof, um mich an der frischen Winterluft ab zu kühlen. Erwischt, man hatte uns erwischt und wir waren das Schulgespräch. Sofort deutete ich die Blicke der anderen neu. Ich fühlte mich an den Pranger gestellt. Ich war eine Schwuchtel und alle lachten mich aus. Heulend sank ich in den Winterschnee. Erst als sich zwei Hände vorsichtig auf meine Schultern legten, kam ich wieder zu mir. Julian kniete hinter mir.

„ Hey Basti, was ist denn mit dir los? Deine Klassenkameraden kamen ganz aufgeregt zu mir.

„ Sie ... sie haben rausbekommen, das wir ein Paar sind“, heulte ich ihm vor.

„ Sssss, ganz ruhig, sie machen sich gerade Sorgen um dich. Wenn sie ein Problem mit dir hätten, hätten sie mich doch nicht informiert.

Erst langsam begriff ich, was Juli mir da sagte. Ich blickte vorbei an Julian zu meinen Klassenkameraden und sah ihre erschrockenen Gesichter.

„ Tut mir leid, aber ich dachte.....

Julian legte mir seinen Finger auf den Mund, um mich zum Schweigen zu bringen. Manchmal ist Schweigen besser. Julian half mir auf und gemeinsam gingen wir zurück zum Schulgebäude. Es war alles gar nicht so schlimm. Langsam gewöhnte ich mich daran, der Paradiesvogel der Klasse zu sein. Auch wenn ich mich eigentlich ganz normal benahm, wie immer.

Richtig stolz war ich, als Basti in seiner Klasse zum Klassensprecher gewählt wurde. Ein Schwuler ist Klassensprecher. Wow, das hätte es noch vor ein paar Jahren nicht gegeben. Ich selbst war nicht der Typ, der sich so vehement für andere einsetzte. Genau dafür liebte ich ihn.

Irgendwas hatte Basti geplant. Er wollte aber nicht rausrücken, worum es sich dabei handelte. Er meinte nur, dass ich mir für nächsten Montag früh nichts vornehmen sollte. Ich lachte ihn nur an und meinte, dass ich am Montag nur ein Date mit der Schule hätte. Er sagte nur was von wegen: vor der Schule. Ich verstand nicht, was er wollte, aber auf mein Nachfragen sagte er nichts weiter.

„ Ich hole dich um 2:30 Uhr ab. Zieh dir bitte was Warmes an. Das Wetter spielt auch mit.

„ Willst du mich entführen? Hui, wie romantisch. Dafür liebe ich dich.

Unsere Eltern waren eingeweiht. Nur ich hatte absolut keinen blassen Schimmer. Ich stellte meinen Wecker auf 2:00 Uhr in der Früh. Am Abend war ich daher etwas früher ins Bett gegangen.

Pünktlich klingelte mein Wecker und kurz darauf mein Handy. Juli wollte sicher gehen, dass ich auch nicht verschlafe. Ich duschte schnell und zog mir dicke Klamotten an. Ich schloss daraus, dass Juli wohl draußen etwas plante. Pünktlich stand ich vor der Tür. Es war noch dunkel und kalt. Ein kleiner Vorgeschmack auf den kommenden Winter. Juli stand schon mit Rucksack am Gartentor und winkte mir strahlend zu.

„ Was hast du denn mit mir vor?

„ Warts ab und sei nicht so ungeduldig. Ich hoffe, du hast dich warm angezogen. Ich musste deinen Eltern versprechen, dass du dich nicht erkältest.

„ Ich bin doch kein kleiner Junge mehr.

„ Sicher?

„ Hey, werden sie mal nicht frech, Herr Schmidt.“

Nach einer kurzen Kabbelei, die mit einer intensiven Knutscherei zum Schluss endete, zogen wir dann los. Es ging direkt in den Wald. Zu meinem Glück schien heute der Mond hell vom sternenklaren Himmel. Julian auf dieses Phänomen angesprochen, meinte nur:

„ Es wird noch schöner, warts nur ab, wir sind gleich da.

Auf der großen Wiese hielt er kurz inne und schaute sich um.

„ Ja, genau hier.

Sagte es und legte seinen Rucksack ab. Nun breitete Julian die Isomatte aus und setzte sich darauf. Mit der Hand neben sich klopfend, deutete er mir, mich neben ihn zu setzen. Wir schauten über die Wiese hinab auf unsere Stadt, die noch schlafend da lag.

„ Nun sag schon, auf wen warten wir? Was hast du mit mir vor?

„ Siehst du den Mond? Fällt dir nichts auf?

„ Der war doch vorhin, als wir loszogen, noch ganz“, stellte ich jetzt verwundert fest. War ich einer Täuschung erlegen?

„ Wir haben heute früh eine sehr seltene totale Mondfinsternis. Die wollte ich mit dir genießen.

Sagte das und kramte in seinem Rucksack, um eine Thermoskanne hervor zu holen. Ich war baff, soviel Romantik hatte ich Julian nicht zugetraut. Langsam verschwand der Mond immer mehr im Erdschatten. Mittlerweile waren wir nicht mehr alleine. So zirka 20 weitere Pärchen hatten heute früh die gleiche Idee. Julian holte jetzt eine kuschelige Decke aus seinem Rucksack. Er hatte sich gut auf diesen Morgen vorbereitet. Ich setzte mich jetzt vor ihn zwischen die Beine und lehnte mich an ihn. Dann legte er die Decke um uns und legte sein Kinn auf meine Schulter und schmiegte sich dicht an meine Wange.

„ Alles gut bei dir. Frierst du auch nicht?

„ Mit dir im Arm ist mir nie kalt. Du machst mich sehr glücklich.

Dann verschwand der Mond komplett im Erdschatten und leuchtete rot. Ich war sehr ergriffen und sinnierte über die schönen Dinge des Lebens.

Plötzlich fing Julian an zu singen. Es war der Lovesong aus dem Film >High Society - True Love< oft hatten wir diesen Film schon gesehen. Während er den Part von Bing Crosby sang, stimmte ich dann den Part von Grace Kelly an. Zum Schluss gab es sogar Applaus von den anderen Pärchen, die sich an unserer Gesangseinlage erfreuten. Nach einer dreiviertel Stunde war der Zauber der Mondfinsternis schon wieder fast vorbei. Überglücklich nahm ich beim Aufbruch meinen Julian nochmals in den Arm und sagte ihm, wie sehr ich ihn liebte. Für diesen Moment liebte ich Julian noch mehr. Ich wollte und konnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

Unser Abitur bestanden wir mit Bravour, und das nicht nur, weil wir uns gegenseitig halfen, sondern auch weil es zwischenzeitlich eine recht gute Klassengemeinschaft wurde. Auf der Abschlussfeier hielten alle Klassensprecher eine kleine Rede.

„ Sehr geehrte Frau Direktorin Hoff, lieber Klassenlehrer Herr Schröder, liebe Klassenkameraden, auch die der Parallelklassen, liebe Eltern und Freunde, heute geht wieder ein Lebensabschnitt für uns zu Ende. Aber jeder weiß, dass jedes Ende auch einen neuen Anfang beinhaltet. Dieser Anfang wird für uns der Start ins Berufsleben sein. Einige werden ein Studium beginnen und für andere geht‘s ins die Ausbildung. Ich hoffe für uns alle, dass wir unseren Traum leben und alle ihre persönlichen Ziele erreichen werden. Ein paar von uns zieht es in die weite Welt, andere werden in der näheren Umgebung bleiben. Ich denke schon jetzt wehmütig an unsere gemeinsame Schulzeit und die aufregenden Klassenfahrten zurück. Paris, Prag und Wangerooge, an alle Orte habe ich schöne Erinnerungen, die ich stets in meinem Herzen behalten werde. Diese Erinnerungen werden mich manchmal trösten, wenn es das Leben mal nicht ganz so gut mit mir meinen wird. Auch werde ich immer an unseren Klassenlehrer Herrn Schröder denken, dem ich ohne Wenn und Aber ins Zeugnis schreiben würde: Er hat sich stets bemüht. Einen Teil unseres Erfolges ist auch ihm zu danken. Ich möchte mich auch bei allen Eltern bedanken, die uns gerade im Abiturstress immer den Rücken freigehalten haben und ebenfalls einen Teil dazu beigetragen haben, dass alle Schülerinnen und Schüler in diesem Jahr den Abschluss geschafft haben.

Zu guter Letzt möchte ich noch einen großen Dank an unseren Chorleiter Herrn Schubert und seinen musikalischen Begleiter Herrn Warns sagen. Er hat aus einem wilden Hühnerhaufen einen genialen Chor geschaffen, der auch bei Konzerten in der Umgebung für viel Furore gesorgt hat. Ich wünsche ihnen viele neue begeisterte Sängerinnen und Sänger. Ich habe mich bei ihnen immer wohl gefühlt, wie in einer großen Familie. Danke.

Zum Schluss möchte ich einer Person danken, die mein Leben bereichert hat und die mir immer neue Sichtweisen des Lebens aufgezeigt hat. Die mir stets meine aufkommende schlechte Laune beiseite geräumt hat und immer einen aufbauenden Spruch auf Lager hatte. Danke Basti, ich liebe dich.

Liebe Mitschüler, schaut euch noch einmal um, so jung wie heute kommen wir nie wieder zusammen. Aber ich wünsche mir, dass wir in einigen Jahren uns hier wieder Treffen werden und uns von den heute noch in der Zukunft liegenden Erfolgen erzählen werden.

Ich wünsche uns und der Schule alles Gute für die Zukunft. Danke euch allen.“

Juli erntete für diese Rede viel Applaus und von mir einen dicken Schmatzer bei noch mehr Applaus aller Anwesenden.

Julian

Und plötzlich war die Schule Geschichte. Viele Jahre hatte ich mir immer wieder gewünscht, dass die Schulzeit endlich vorbei ging. Und jetzt danach dachte ich ständig an diese Zeit zurück. Wie schnell war dieser Lebensabschnitt dann doch vorbei gegangen.

Andererseits freute ich mich auf die neuen Aufgaben. Basti und ich haben uns beide in der FU-Berlin bei den Politologen eingeschrieben. Mit dem guten Schulabschluss war es nicht ganz so schwer, angenommen zu werden. Das heißt für uns dann auch ‚Tapetenwechsel‘.

Meine Eltern konnten sich anfangs nur schwer damit anfreunden, dass ihr Sohn erwachsen wird und das gemeinsame Nest verlässt. Sie drohten mir auch gleich, dass sie mich, beziehungsweise uns, oft besuchen wollten. Daher beschlossen Basti und ich, uns eine Wohnung mit Gästezimmer zu suchen. Beide Elternpaare wollten uns finanziell bei der ersten gemeinsamen Wohnung unterstützen und als Gegenleistung bei Besuchen das Gästezimmer für sich in Beschlag nehmen. Wir stimmten logischerweise sofort zu.

Aber vorher wollten wir ein wenig die Welt kennen lernen. Da halfen unsere Eltern auch tatkräftig mit. Sie schenkten uns zum bestandenen Abi über Weihnachten eine einwöchige Kreuzfahrt zu den Kanaren und Marokko. Wir waren hin und weg. Wir fingen sofort an zu planen. Während ich sofort Badeklamotten wollte, war Basti mehr für die Natur begeistert. Er kaufte sich von dem Geld, dass er von seinen Großeltern zum Abi bekam, eine Digitalkamera. Natürlich machten wir erst einmal hübsche Fotos von uns. Das war ein Spaß, mal wie Bruce Darnell oder dieser Jorge Gonzales durch die Wohnung zu stolzieren.

Dann war es endlich soweit. Mit dem Flugzeug ging es nach Las Palmas. Können Eltern plötzlich anhänglich sein, besonders die Mütter. Meine hatte sogar eine Träne verdrückt. Tja, sie liebten uns einfach. Sonst hätten sie uns auch nicht diese teure Reise geschenkt. Nach der üblichen Verabschiedungszeremonie saßen wir endlich im Flieger und der Urlaub konnte beginnen.

Der Flieger brachte uns nach Gran Canaria. Mit dem Bus ging es gleich zum Schiff. Es war einfach herrlich. Als ich den Pott so vor mir liegen sah, hatte ich gleich diese blöde Traumschiff Titelmelodie im Kopf. Basti schaute mich nur an:

„ Hey, was ist denn mit dir los? Wirst du beim Anblick schon Seekrank?

„ Nee, viel schlimmer. Ich habe plötzlich diese Traumschiffmelodie aus dem Fernsehen im Kopf und habe Angst, sie in der nächsten Woche nicht wieder los zu werden.

Basti lachte nur laut los, nahm mich in den Arm und pfiff diese blöde Melodie, während er gut gelaunt zum Anleger weiter trabte. Unsere erste große Reise und ich freute mich auf die nächsten Tage mit meinem Liebsten.

Wow, unsere Eltern waren einfach genial. Wir hatten eine Außenkabine mit Ventilator und Balkon. Fehlten nur noch die Geranien und ich hätte geglaubt, zu Hause zu sein. Apropos zu Hause: Ich schnappte mir mein Smartphone uns schickte meinen Eltern die von ihnen erwartete Mail.

Dieses gleichmäßige Schaukeln ließ mich gleich in den Entspannungsmodus schalten. Nach der ausgiebigen Inspektion unserer Kabine machten Basti und ich uns auf Erkundungstour über diesen riesigen Dampfer. Einmal die ganze Länge vom Bug zum Heck ließ uns die Größe dieses Kahns erahnen. Die Titanic war wohl kleiner. Eine Durchsage ließ uns kurz aufschrecken. Wir sollten uns alle mit den Rettungswesten auf dem Oberdeck einfinden. Ja, zu jeder Kreuzfahrt gehört eine Evakuierungseinweisung. Alle standen auf dem Deck mit ihren orangefarbenen Rettungswesten und viele spielten mit den Trillerpfeifen. Als der Stewart dann strahlend erzählte, dass bei der der letzten Probe schon viele Passagieren mit den Pfeifen spielten und sie keine Zeit hatten, sie zu desinfizieren, konnte ich mich nicht mehr halten vor Lachen. Basti versuchte vergeblich, sich den Mund abzuwischen. Süß, wie er dann mit mir schmollte. Ich sagte ihm nur, dass er sich erst den Mund auswaschen müsste, bevor er wieder von mir geküsst werden würde.

Das Essen war reichhaltig und sehr gut. Die meiste Zeit verbrachten wir auf Landgang, um Land und Leute kennen zu lernen. Auch das Programm an Bord konnte sich sehen lassen. Die hatten ein großes Theater. Jeden Abend gab es etwas Tolles zu sehen. Musical, Zauberer und Akrobatik, für alle war was dabei. Einen großen Pool, sowie ein kleines Sportfeld für Handball oder Basketball und ein Fitnessstudio entdeckten wir. Aber bevor das hier jetzt zu einem Reisebericht ausartet, zurück zur Geschichte.

Am Abend vor dem 24.12. gab es ein Musikprogramm zum Mitmachen. Karaoke war angesagt und der erste Preis war an Heilig Abend ein Platz am Tisch des Kapitäns, dem sogenannten Captains Dinner. Wir schauten uns nur an und es stand fest, dass wir da mitmachen würden. Das war uns der Spaß wert. Es ging uns nicht ums Gewinnen. Jeder der sich anmeldete bekam eine Liste mit den Liedern, die vorgetragen werden konnten. Wir studierten kurz die Liste und wussten sofort, was wir vortragen würden.

Am Tag waren wir auf Landgang in Agadir. Eine wirklich wunderschöne Stadt wie aus 1001 Nacht. Auf dem Bazar machte ich viele Bilder. Diese vielen bunten Gewürze waren eine wahre Augenweide. Wir wussten gar nicht, wo wir zuerst hinschauen sollten: eine totale Reizüberflutung. Mit dem Kopf voll verschiedenster Eindrücke machten wir uns auf den Weg zurück zu unserem Schiff.

Am Abend war dann der Gesangswettbewerb. Der erste Wettbewerb bestand bereits darin, wer länger im Bad brauchte. Wir wollten perfekt gestylt teilnehmen. Da war es gut, dass es einen Friseur an Bord gab. Während sich Basti im Bad verbarrikadierte, nutzte ich die Zeit, schnell zum Frisör zu flitzen. Dort war aber viel los. Jede Menge Weibsvolk wollte sich schnell noch eine Weihnachtskreuzfahrtsdauerwelle machen lassen. Ich überlegte wieder zu gehen, als mich eine freundliche Stimme ansprach.

„ Hallo junger Mann, was kann ich für sie tun?

„ Ääh, ich wollte mir eigentlich die Haare ein wenig schneiden lassen. Aber wie ich sehe, komme ich wohl zu spät.

„ Ach was, kommen sie mal mit, dass mit ihren Haaren geht ratzifatzi.

Der junge Figaro hatte Ahnung von seiner Arbeit. Ruckzuck hatte er meine Wünsche umgesetzt und ich hätte mich in mein Spiegelbild verlieben können. Aber mein Herz gehörte ja schon Basti. Ich bedankte mich freundlich und gab noch ein ordentliches Trinkgeld für die schnelle Bedienung obendrauf.

Basti war sichtlich irritiert, als er aus dem Bad kam und ich mit neuem Haarschnitt vor ihm stand. Er wollte mir nicht glauben, dass ich mir die Haare selbst geschnitten hatte. Lachend fiel Basti über mich her, schmiss mich aufs Bett, um mich durch zu kitzeln. Dabei blieb es aber nicht. Naja, wir schafften es aber dennoch rechtzeitig zum Wettbewerb.

Sebastian

Da komme ich nichts ahnend aus dem Bad und Juli steht mit einer neuen Frisur vor mir. Er sah richtig zum Anbeißen aus. Davon hatte ich dann auch gleich Gebrauch gemacht. Juli hatte sich aber auch nicht wirklich gewehrt, dieser Schlingel. Anschließend schickte ich ihn ins Bad, obwohl ich viel lieber noch mit ihm im Arm dagelegen hätte.

Auf der Bühne zu stehen war uns vom Schulchor ja ausreichend bekannt. Andere mutige Passagiere wirkten ein wenig nervös. Den Anfang machte eine Dame, die sich mehr schlecht als recht an >Atemlos< von dieser blonden Barbiepuppe verging, deren Namen ich leider vergessen hatte. Lachen musste ich, als ein ca. 60 jähriger sich als Tiger aufspielte und den Tom Jones Klassiker >She’s a Lady< zum Besten gab. Eine Blondine hatte sich >Simply the Best< von Tina Turner ausgesucht. Die Turner kann man doch nicht nachmachen, dachte ich mir. Ich hatte das Glück, als 12 jähriger mit meinen Eltern ein Konzert von Tina Turner erleben zu dürfen. Seither war ich ein großer Fan. Ich musste schon sagen, dass die Blondine hier ihre Sache recht gut machte. Julian sang wieder einen Song von Mike Batt >Soldiers Song<. Ich war wie damals hin und weg. In mir kamen die Gedanken und die Gefühle von damals wieder hoch. Gänsehaut pur. Ja, ich hätte mich heute Abend wieder aufs Neue in ihn verlieben können, wenn ich es nicht schon längst gewesen wäre. Ich selbst entschied mich für den Billy Joel Song, den Julian so liebte. Er wusste, dass ich ihn nur für ihn sang. Ich blickte ihn dabei immer mal wieder verliebt an. Dass er ergriffen war, bemerkte ich daran, dass er sich immer wieder mal mit der Hand über die Augen wischte.

Tja, was soll ich sagen, es war wieder sehr schön gewesen. Den Platz am Captains Dinner gewann die Tina Turner Kopie. Aber Juli und ich wurden gefragt, ob wir an Heilig Abend auf dem Kapitänsempfang ein Weihnachtslied singen würden wollten. Wir sagten zu und so kamen wir hier zu einem gemeinsamen Auftritt.

Der nächste Tag an Bord war voll mit den Weihnachtsabendvorbereitungen verplant. Natürlich gab es auch Programm. Wer wollte, konnte einen Abstecher auf Teneriffa machen. Wir wollten heute einfach mal nur an den Strand. Mit 20 Grad war es recht angenehm, wenn man sich mal vorstellte, dass in Deutschland am heutigen 24.Dezember Regen bei 2 Grad herrschte und viele Leute schon voll im Weihnachtsstress waren.

„ So sollten wir es jedes Jahr machen, wenn ich daran denke, wie Mama jetzt wie eine angestochene Ziege durch die Wohnung tigert und Papa und mich mit jede Menge Arbeit überzieht. Da ist dann schon ganz schön die Luft am Brennen.

„ Das kenn ich auch nicht anders, Basti. Mit dir könnte ich das ganze Jahr hier am Strand liegen. Was hältst du davon, mit mir ein wenig ins Meer baden zu gehen?

„ Das ist doch bestimmt zu kalt und außerdem habe ich keine Badehose dabei.

„ Es ist doch niemand hier. Dann ist das jetzt hier unser privater FKK Strand. Los komm schon.

Flugs zog ich alle meine Klamotten aus und sprintete zum Wasser. Dort bremste ich dann um erst einmal die Temperatur zu testen. Alles im grünen Bereich. Gut, dass ich heimlich zwei Handtücher eingepackt hatte, denn davon träumte ich schon die ganze Zeit. Wenn ich Juli vorher von meiner Absicht erzählt hätte, wäre er bestimmt nicht mitgekommen. Ich drehte mich um und sah einen leicht schüchternen Juli, der jetzt auch nackt zum Wasser kam. Er blickte sich aber ständig um, ob auch niemand in der Nähe war. Und wenn schon, er hatte einen Körper, den man gerne auf Kalenderblättern ablichtete. Ich liebte diesen Mann von Kopf bis Fuß. Ich streckte meine Hand aus und ergriff seine. Zusammen schritten wir ins Meer. Es war zwar kühl, aber mit meinem Liebsten war es wunderschön. Als wir bis zum Bauchnabel im Wasser standen, drehte ich mich zu Juli um und nahm ich in den Arm.

„ Frohe Weihnachten, Juli. Ich wünsche dir alles Gute.

„ Dir auch frohe Weihnachten, Basti. Ich wünsche mir noch ganz viele Jahre mit dir.

Dann küssten wir uns nur noch. Für alles Weitere war es dann doch zu nass und kühl. Aber ich wollte mir das mal für den nächsten Sommerurlaub merken. Probieren geht ja bekanntlich über studieren.

Wieder an Bord hatte die Crew das Schiff schon recht schön heraus geputzt. Weihnachtsbäume waren hübsch geschmückt an vielen Stellen drapiert. Lichterketten hingen an der Reling, einfach nur schön. Warum mochte ich bisher nur diesen ganzen Weihnachtsterror nicht? Genau wegen diesem Terror. Hier hingegen war alles so entspannt. Es machte richtig Freude ohne diesen ganzen Konsumterror. Auch Juli bekam bei dem Anblick leuchtende Augen.

Julian

Da wir noch etwas Zeit hatten, verzogen wir uns ein wenig auf unsere Kabine, um zu relaxen. Während Basti noch ein wenig auf dem Laptop Geschichten lesen wollte, auf einer tollen Website, die ich vor kurzem im Netz entdeckte, machte ich mich erst einmal auf den Weg ins Bad. Nach einer ausgiebigen Dusche und dem lästigen Rasieren ging ich im Adamskostüm zurück ins Zimmer, wo Basti noch immer in den Geschichten vertieft auf dem Bett lag.

„ Basti, wenn wir pünktlich sein wollen, müsstest du dich bald mal fertig machen.

„ Hmmm.

Er war so vertieft am Rechner, dass er mein Reden gar nicht wirklich mitbekam. Ich zog meine Abendgarderobe an und verschwand für ein paar Minuten auf unserem Balkon. Wir hatten Teneriffa verlassen und dümpelten wieder auf dem Meer. Dieses Rauschen des Meeres, wenn das Schiff durch das Wasser pflügte und die unendlich scheinende Weite der See breitete in mir immer eine innere Gelassenheit aus. Es war schon nach 18 Uhr und die Sonne gerade untergegangen, als sich die Sterne klar am Himmel abzeichneten. Ich lehnte an der Reling und versuchte einzelne Sternenbilder ausfindig zu machen. Die Zeit verging wie im Fluge (kann man das auf dem Schiff auch so sagen?). Die bisherigen Heilig Abende verbrachte ich allesamt mit Mama und Papa. Was sie wohl gerade machten? Ob sie in diesem Moment auch an mich dachten? Das wird sich in den nächsten Jahren bestimmt oft wiederholen. Leiden nicht nur die Eltern, wenn die Kinder flügge werden? Ich sollte mir nicht solche Gedanken machen und schon gar nicht heute. Einmal tief durchatmend machte ich mich zurück in die Kabine und fand Basti immer noch auf dem Bett liegend mit dem Rechner vor sich.

„Sebastian, mach den blöden Computer aus. Schlimm genug, dass ich wegen dir dieses Weihnachten niemand sehen kann, aber dass du den ganzen Abend vor dieser beschissenen Kiste sitzt, das schlägt dem Fass den Boden aus.“

„Wieso wegen mir? Nur weil meine Eltern diese Idee hatten und deine Eltern zustimmten, ist es doch nicht meine Schuld. Hättest doch ablehnen können. Was soll das jetzt?“

Im nächsten Moment tat mir mein Wutanfall schon wieder leid.

„Tut mir leid Basti, ich war nur gerade dort draußen so in Gedanken, dass ich noch nicht wirklich wieder zurück war.“

Mir kamen aufgrund meines Anfalls die Tränen. Basti sprang vom Bett auf und kam auf mich zu.

„Hey, was ist denn mit dir los? So kenn ich dich gar nicht.“

„Bisher haben wir Weihnachten immer mit unseren Eltern gefeiert. Und jetzt sind wir beide alleine hier auf dem Meer. Ich dachte, wie unsere Eltern jetzt gerade wohl feiern und ob sie uns wohl genauso vermissen.“

Basti nahm mich nur fest in den Arm und streichelte meinen Rücken. Worte waren in diesem Moment fehl am Platze.

„Ich habe eine Überraschung für dich mein Kleiner. Komm mal mit.“

Basti nahm den Rechner und stellte ihn auf den Schreibtisch. Wir setzten uns beide davor. Dann hackte Basti auf der Tastatur herum, bis sich mit einem ‚pling‘ ein Fenster öffnete.

Die Schrankwand auf dem Rechner kam mir irgendwie bekannt vor. Plötzlich schob sich von der Seite ein Gesicht ins Bild.

„Kommt schnell her, da sind unsere beiden Seefahrer!“

Die Stimme von Bastis Mutter ertönte aus dem Rechner. Ihre Stimme schien sehr verzückt zu sein und dann war die Überraschung perfekt. Unsere Eltern schienen den Heilig Abend gemeinsam zu verbringen. Jetzt kamen auch alle anderen ins Bild. Es war eine schöne Überraschung. Wir unterhielten uns noch eine Weile, da meine Eltern alles über unsere Kreuzfahrt wissen wollten.

„Wir müssen jetzt Schluss machen, der Kapitän erwartet uns. Also feiert noch schön und Silvester sind wir ja schon wieder zurück.“

Basti war da sehr bestimmend. Nach der Verabschiedung schaltete er den Kasten endlich aus.

„So, ich geh jetzt noch schnell duschen und dann können wir los.“

„Basti, komm mal kurz her.“

Ich breitete nur die Arme aus und nahm ihn in den Arm.

„Danke, Basti.“

Epilog:

Das Kapitänsdinner war für Julian und Sebastian ein schönes Erlebnis. Eingeleitet wurde es von der singenden Crew, die eine schöne Akustikversion von >Do they know it’s christmas< zum Besten gaben. Daran schloss sich die Rede des Kapitäns an. Er hatte seine Familie einfliegen lassen, um mit ihnen feiern zu können. Der Kapitän erwähnte alle Menschen, die an diesem Abend nicht bei ihren Familie sein könnten, weil sie an vielen Stellen an diesem Abend gebraucht werden. Pflegepersonal, die vielen Mitarbeiter in den Krankenhäusern, die Polizei und Feuerwehren und nicht zu vergessen das Personal hier auf diesem Schiff. Der Kapitän bekam für seine Rede viel Beifall.

Dann war der Auftritt von Julian und Sebastian dran. Beide gingen unter großem Beifall auf die Bühne, auf deren Seite ein leuchtendes Rentier aufgebaut war. Sebastian setzte sich ans Piano und Julian stellte sich daneben. Dann sangen sie von den Pogues >The fairytale of New York<. Es wurde ein lustiger Auftritt, da Julian an dem Original angelehnt eine richtig versoffene Stimme des Sängers interpretierte. Unterstützt wurden sie von der Schiffsband. Viele schunkelten im Takt mit und nicht nur die Engländer sangen zum Schluss lauthals mit. Später spielte die Schiffsband noch andere Weihnachtslieder, wie Jingle Bells. Basti erzählte Juli, dass er hörte, wie ein junges Paar meinte, Julian wäre eine Kopie von Justin Bieber. Sie mussten über diese Feststellung herzlich lachen. Für die beiden war es noch ein schöner Abend. Sie aßen von den leckeren Plätzchen und irgendwer bot Sebastian und Julian sogar noch Essstäbchen an. Der Abend wurde noch sehr schön. Erst spät, nach einigen alkoholischen Getränken, verzogen sich Basti und Juli auf ihre Kabine zurück und ließen diesen unvergesslichen Abend mit einer sehr entspannenden Runde Bettakrobatik ausklingen.

Sie nahmen sich vor, auch im nächsten Jahr wieder eine Kreuzfahrt über die Feiertage zu machen. Das war nämlich tausendmal schöner als in der kalten hektischen Heimat.

Lesemodus deaktivieren (?)