zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Trost 2

Kapitel 132-136

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

132

Es klingelte an der Tür und Kai zuckte zusammen. Er öffnete zaghaft, aber es waren nur, mehr oder weniger bekleidet, Thilo, Bianca und Matze. Letzterer schlich sich misstrauisch blinzelnd in den Flur, konnte keine bösen Schwulen entdecken und hielt Lukas nicht dafür, auch wenn er ihn angespannt umging. Daher machte er sich ein wenig locker und gönnte Kai ein freundliches Nicken. Er war gerade auf Höhe von Lukas angekommen, als Maren auf die Uhr sah und krakelte "Janni! Mach doch mal das Fernsehen an! Ich will auf keinen Fall das Singen vor dem Pokalspiel verpassen!"

Matzes Kopf fuhr hoch, er erblickte Maren und man sah ihm sofort und sehr deutlich an, dass er sich umgehend in diese Frau verknallte. Sein Gesicht wurde von einem zufriedenen kleinen Lächeln verzogen. Maren blinzelte ihn an und erwiderte das Lächeln kurz, bevor sie sich Jan zuwandte und ihm in das Schlafzimmer folgte.

Kai und Lukas starrten zwischen den beiden hin und her und grinsten sich wissend an. Kai versorgte Matze mit einem beliebigen Bier und freute sich. Für diesen sonst eher komplizierten Fall war also gesorgt, der würde blind und taub für die Umwelt der Maren an den Lippen kleben. Erst einmal nur sprichwörtlich, später sicherlich auch wortwörtlich, denn im Aufreißen auf Partys kam Matze dicht nach Jan. Und daher verzieh Kai Maren großzügig, dass sie beknackt war und kam mit ihren Sprüchen zu Jans Aussehen auch besser zurecht, weil sie auch Matze einen solchen Spruch gönnte, als er sie anbaggern ging.

Bianca sah scharf aus, wie Lolli ihr sofort mitteilte. Hohe Absätze, knappe Shorts, noch knapperes Oberteil. Die Naht an der Stirn war unter ihren Haaren verschwunden, aber am Bein hatte sie einen neuen blauen Fleck, vermutlich vom Training, vielleicht aber auch von zu wildem Treiben. Thilo sah etwas müde aus, aber nicht unzufrieden. Ganz offensichtlich hatten die beiden den Sex des Abends schon durch. Kai grinste, dann waren sie ja fast wie Jan und er mit guter Planung an die Geschichte mit der Party rangegangen.

Es klingelte wieder und in der Tür stand Tutor Mark mit einem etwas bangen Gesichtsausdruck. Der war gerechtfertigt. So richtig eingeladen hatten weder Kai noch Jan den lahmen Typen, Kai konnte sich nicht daran erinnern. Doch dann kam ihm Renate entgegen, die sich an diesem Abend mal wieder in ihren schwarzen Rock und die Sandalen mit Absatz gewagt hatte, und er lächelte sie schüchtern an. Renate verpflichtete Mark gnadenlos dazu, ihr in der Küche mit den Salaten und beim Aufbauen eines vernünftigen Büffets zu helfen und zog mit ihrer Beute von dannen. Der Abend lief für die Heten schon mal gut an.

Und für Kai lief der Abend im nächsten Augenblick total gut. Die Sendungen auf zwei Fernsehern beschäftigten neunzig Prozent ihrer gemischten Feier nahezu perfekt. Kai schob Renate und Mark aus der Küche raus auf die Dachterrasse, um in Ruhe hinter dem Tresen Cocktails zu machen wie schon bei Thilo. Aus Jans Zimmer wurde ein Tor begröhlt, im Wohnzimmer jubelte die Gruppe den ersten Sängern zu, die Stimmung war sonnig und friedlich, absolut perfekt. Auf der Dachterrasse ging es ruhiger zu. Dort hingen Holger, Tutor Mark und Lukas mit Renate ab und spielten Karten und passten auf den Grill auf. Aber sie hatten nicht viel zu tun. Die Cocktails gingen schneller weg als die Würstchen.

Noppi war ebenfalls aus der Gruppe der Unentschlossenen und kam zu Kai, um mit ihm über Lukas und ihre Pläne zu reden. Es war merkwürdig, wie zurückhaltend Noppi gerade bei den Dingen wurde, die Lukas sorglos vorbereitete. Der gemeinsame Urlaub sollte um eine Woche im September erweitert werden, zu der Zeit, in der auch Jan mit Kai und die Meiersche nach Spanien wollten. Noppi lehnte sich gegen den Kühlschrank und meinte seufzend in seinem Cocktail stochernd "Ich fahre natürlich mit, wenn er das dann noch will, aber ich spar mir mal besser Geld für Lastminute auf."

Kai stellte die nächsten zwei Caipis auf den Tresen, wo sie von Bianca gegen leere Gläser mit Limettenresten ausgetauscht wurden. "Warum bist du so pessimistisch? Lukas steht doch voll auf dich und ihr seid euch einig, oder?"

Etwas unglücklich nickte Noppi dazu nur, dann lehnte er sich dichter. "Es ist so. Er ist total..." Noppi brach ab und suchte nach Worten, endlich endete er hilflos "… geil."

Nachdenklich wusch Kai die Gläser aus und warf neue Limetten und Zucker hinein. "Das ist er, keine Frage."

"Ich kenn ihn schon länger aus der Ferne. Erst jetzt hatte ich mich wegen dir getraut, ihn anzusprechen."

"Echt? Ach ja, nachdem du mich mit Leon auf der Arbeit gesehen hast, nicht?"

Thilo kam in die Küche geschlappt, holte den Curryketchup aus dem Kühlschrank und balancierte drei Bierflaschen dazu. Mit schmalem Blick suchte er im Kühlschrank die vollen Regale ab und befand die Getränkelage als ausreichend. Schweigend verließ er sie wieder.

Noppi blickte ihm nach. "Der ist ja echt süß. Was für geile... Augen."

"Hm. Stockhetero. Jans bester Freund." Kai matschte mit dem Stößel in den Gläsern herum, bevor er zum Kühlschrank ging, um das Crushed Ice heraus zu holen. "Er ist jetzt mit Jans Ex zusammen. Die haben wohl den gleichen Frauengeschmack."

Noppi lachte und brachte den Beutel mit dem Eis zurück. Er lehnte sich an den Kühlschrank, während er leise berichtete. "Letztes Jahr, als ich nach der Schule hier in der Stadt mit dem Job in der Praxis angefangen hab, da bin ich in den ersten Wochen oft in das Stroboskop. Dort waren viele tolle, süße Jungs, keine Frage. Ich hab geflirtet, es genossen, dass ich endlich das Gefühl hatte, irgendwo richtig zu sein. Ich hab auch rasch Freunde gefunden. Kumpel vielleicht eher, wir haben uns meist nur zum Ausgehen getroffen. Die Stimmung dort gefällt mir. Frei und lustig. Es war schön, aber irgendwie war kein Junge oder Mann dabei, der mich auf Dauer hätte umhauen können. Tja und dann kommt meine Schwester zu Besuch und will sich das Subzero ansehen, weil die Goth-Abend hatten."

"Nix für mich, zu teuer und ich steh nicht so auf düster und depri."

Noppi grinste in sein Glas. "In den Laden hatte ich mich nie so richtig rein getraut. Allein wegen der Mitgliedschaft, die verlangt wird. Für solche Aktionen ist meine Schwester echt gut. Die ist ein kleiner Möchtegernvampir und für einen vernünftigen Gothic-Abend tut sie so ziemlich alles. Sie hat mir die Mitgliedschaft als Geburtstagsgeschenk gekauft, damit war der Eintritt auszuhalten. Wir also rein in unsere schwarzen Sachen und ab in den Laden. Ich war total abgeturnt. Lauter blöde Kids, die meisten vermutlich Heteros, alle total emo und die Musik war nicht mein Ding. Es gab einen Drink, der Blutsbrüder hieß und rot gefärbt war. Total affig.

Aber als wir gerade an der Bar lehnen und meine Schwester alles geil findet und ich alles scheiße finde, lehnt sich ein Mann neben mich an den Tresen vor und begrüßt den Barkeeper mit Handschlag. Die zwei lachen sich eine Runde über die kleinen Gruftis kaputt und darüber, dass er den Tag verwechselt hat, weil er sonst nie gekommen wäre. Dann lachen sie noch über die rote Tuckenplempe miteinander, und ich war froh, dass ich den Mist nicht bestellt hatte. Dann bestellt der Typ 'Wie immer' und kriegt ein Bier. Ich konnte kaum atmen, so geil fand ich ihn. Sofort. Er hat sich weggedreht und ist einen Schritt fort gegangen. Ich dachte gerade, dass ich mich nach ihm umdrehen kann, ohne dass er das merkt, aber er hat mich angesehen und erwischt, als ich mich umgedreht hab. Peinlich irgendwie und zugleich war es gut. Er ist gleich zu mir zurück und hat gesagt "Du bist hier falsch her geraten, das sehe ich sofort. Was willst du trinken?' Ich hab fast Schluckauf bekommen in dem Moment. Konnte nur nicken."

Kai grinste. Wie Lukas wirkte, wenn er einen wollte, das war ihm schon bekannt. Zielstrebig, voll auf seine Beute fixiert und zugleich gab er einem das Gefühl, der einzige zu sein, den er sah. Voll gelogen diese Show, aber es haute natürlich echt hin. "Und was war dann?"

Noppi stöhnte auf. "Ich wollte gerade was bestellen, als meine dämliche Schwester zu uns kommt und krakelt 'Noppi, mir ist voll schlecht, wir müssen sofort los!' Die hatte wohl irgendwas nicht vertragen oder so. Ich hätte sie umbringen können." Er seufzte. "Als ich sie nach Hause gebracht hatte und wieder zurück war, da war er natürlich schon fort. Ich hab mich in den nächsten Wochen dauernd ins Subzero geschleppt, hatte mir schon eine Menge Flirts eingebracht, aber an Lukas ist kein Herankommen gewesen. Er ist, wenn er dort ist, nie allein. Ich hab mich nicht getraut, ihn anzusprechen. Er hat mich nicht noch einmal angesprochen... an normalen Abenden steche ich wohl nicht genug heraus. Und dann kam der Abend, an dem ich euch zusammen gesehen hab. Im Stroboskop. Ich war vielleicht neidisch, aber er hat ja nur dich angesehen und mit dir rumgetanzt. War echt süß, ihr zwei habt ausgesehen, als seid ihr seit Jahren ein Paar."

"Ich kenn ihn noch nicht so lange, Noppi, aber wir haben schon einiges zusammen durchgemacht." Kai erinnerte sich an Lukas' Impotenzhysterie und grinste schief. Einiges, das war echt wahr.

"Weiß ich jetzt ja auch. Als wir uns im Stroboskop neulich wieder getroffen hatten, da hab ich ihn sofort angebaggert. Auf blöde Tour. Ich hab gefragt, ob du heute auch noch kommst und von dem Zufall erzählt, dass wir den gleichen Vornamen haben." Noppi grinste schief. "Das hat echt hingehauen. Wenn es zu dir kommt, ist er gleich hellhörig. Und dann bin ich mit ihm ins Subzero, und er war wirklich mit mir zusammen dort. Hat mich nicht mehr aus den Augen gelassen. Ich hab mit meinem letzten Rest Charakterstärke gesagt, dass ich es nicht und niemals im Subzero treiben werde, das kann er vergessen. Dazu sagte er, dass er mich auf keinen Fall im Subzero ficken würde, dazu sei ich viel zu süß. Damit hat er mich auch gleich mit zu sich abgeschleppt. War das eine anstrengende Nacht." Noppi seufzte glücklich und blickte zu Lukas rüber. "Er steht voll auf dich, Kai. Ich bin mir total sicher, dass er jeden Mann für dich sitzen lassen würde. Sofort."

Kai stellte noch zwei weitere Cocktails auf den Tresen und wusch neue Gläser ab. "Das stimmt nicht. Wir sind Freunde, nur Freunde. Das ist sicher, Noppi." Deutlich erinnerte Kai sich daran, wie es ihnen beiden nach der Silvesterfeier aufgefallen war. Es war ein zugleich kühles und auch schönes Gefühl gewesen, diese Erkenntnis, dass sie einander nicht liebten, nicht einmal vernünftig begehrten, stattdessen Freunde waren.

Kritisch starrte Noppi Kai an. "Das könnte ich nicht, Freunde sein mit ihm. Ginge echt nicht. Wenn ich mit ihm zusammen bin, will ich ihn auch. Ich glaub immer noch nicht richtig, dass er tatsächlich mit mir zusammen sein will. Das ist... wie ein Traum für mich."

"Warum das denn? Du bist doch echt nicht übel. Ganz im Gegenteil." Und das war untertrieben, Noppi war lieb, nicht so langweilig oder oberflächlich wie viele oder gar missgünstig und er sah superklasse aus. Kai fand Noppi zu glatt, zu gestylt, zu durchtrainiert. Man sah diesem Mann an, dass er sich täglich mit seinem Körper befasste und damit, diesen in seine aktuelle appetitliche Form zu bringen. Es war sicherlich harte Arbeit. Anders als bei Jan, der nebenbei so geil aussah und dem es egal war, war Noppi sicherlich hochgradig eitel.

Und Noppi war Realist, was seinen Charakter und die notwendige Arbeit für seinen Körper anging. "Was? Ich bin total unsicher, schwierig, ich dreh schnell durch, wenn was schief geht, das ist schwer abzuschalten. Ich trainiere dauernd, weil ich Angst hab, dass ich eines Tages zu moppelig werden könnte und ich bin leider schnell zickig. Erst neulich hier, das war so peinlich."

"Das war nicht peinlich, Noppi, das war goldrichtig. Lukas steht auf Zicken. Er braucht das. Gibt ihm irgendwie das Gefühl, dass er mehr wert ist, wenn wer sich über ihn peinlich benimmt oder so. Vielleicht steht er auch auf den Versöhnungssex. Du solltest mal seinen Exfreund Felix kennen lernen."

"Wieso?"

"Die Mutter aller Zicken. Total anstrengend."

Noppi lachte leise und hob dann genau in dem Moment den Kopf, als Lukas von der Dachterrasse rein kam. Sie sahen sich in die Augen und Kai fragte sich, wieso Noppi daran zweifeln konnte, dass Lukas wirklich auf ihn stand. Die Blicke waren doch wirklich mehr als genug Beweis, und Lukas ließ ihnen natürlich Taten folgen. Er trat zu ihnen, küsste Kai nebenbei auf die Wange und umarmte dann Noppi, um ihn an den Kühlschrank gepresst eine ganze Weile zu knutschen.

Ein Fußballfreund von Jan kam in die Küche, um sich Bier zu holen und stockte in der Bewegung zum Kühlschrank, als er das für ihn unüberwindbare Hindernis der zwei dort knutschenden Männer erblickte. Er warf Kai einen flehenden Blick zu, aber der zuckte nur hilflos mit den Schultern und widmete sich Lena, die einen Cocktail haben wollte. Hastig verließ der Typ sie wieder, um sich bei Jan darüber zu beschweren, dass die Schwulen sie boykottieren würden.

Die Knutscherei wurde leider zu einem verliebten Rumschnabeln, das Kai nervte und fortgeführt wurde, bis Holger ein Bier wollte und die zwei mit der für ihn typischen Gelassenheit von der Kühlschranktür fort schob, um Lukas dann zu informieren "Du wolltest nur auf Klo, mach hin oder wir suchen uns einen neuen dritten Mann."

Dank Holger kamen dann auch die anderen Männer wieder an das Bier ran und Kai wurde eine Weile lang in der Küche derart bedrängt, dass er sich für eine halbe Stunde zu Lolli, Jiffi und Lena vor den Fernseher setzte, um etwas zu essen. Lena sah sehr sexy aus, selbst für ihre Verhältnisse. Sie trug zwei kleine Nichtse statt Oberteil und Rock und Turnschuhimitate mit derart hohen Absätzen, dass Kai sich fragte, wie sie überhaupt laufen konnte. Henrike hingegen hatte sich eher zurückhaltend mit einer weiten Jeans und einem T-Shirt fast so angezogen, als wollte sie nur auf dem Sofa abhängen. Außerdem hatte sie ihre Haare schwarz gefärbt und das stand ihr nicht so dolle. Es war irritierend. Lena und Henrike schienen sich irgendwie verkracht zu haben, sie redeten kaum miteinander. Henrike knuddelte mehr mit Carl herum, und Lena machte die Jungs an, die zwischen Fußballübertragung und nun frei gewordenem Kühlschrank an ihnen vorbei kamen.

Um der Stimmung zu entgehen, schob Kai sich auf die andere Seite neben Carl auf die Sofalehne, aber der war auch nicht gut drauf. Ein wenig deprimiert stellte die Meiersche fest, dass es viel zu viele charakterschwache Männer in der Welt gab und diese ein Sonar für ihn zu haben schienen. Alle wollten nur sein Mitleid und seine Gutmütigkeit und er wollte doch so gern auch mal wieder einen richtigen Freund. Vielleicht gar einen mit nur kleinen Macken. Ganz offensichtlich setzte Hanno ihm noch immer sehr zu. Kai fragte lieber nicht nach und setzte sich hastig in Richtung der Küche ab.

Recht bald war dann das Pokalspiel aus und die Fußballgruppe kam diskutierend zu ihnen zurück. Matze hatte sich noch nicht zufriedenstellend an Maren heran gewagt, das war aus Kais Sicht nervig und blöd. Irgendwie hatte es kurzfristig so ausgesehen, als könnte er Maren und Matze miteinander verkuppeln und so zwei Nervensägen auf einmal loswerden. Maren war jedoch viel mehr an einer Unterhaltung mit Jan interessiert.

Hastig schob Kai den Fußballfreunden noch kaltes Bier auf den Tresen rüber und füllte den Kühlschrank auf, Lolli und Lena stimmten den deutschen Beitrag beim Grand-Prix mit an und Carl und Henrike schunkelten mit den Freundinnen der Fußballer auf der Couch. Jan wurde von Holger auf der Dachterrasse für den Grill verlangt und Maren folgte ihm. Matze folgte Maren und tauchte in Richtung der Kartenspieler ab, wo er Lukas auslöste. Die Freundinnen der Fußballer lockten ihre Männer mit vor den Grand-Prix-Fernseher, gemurmelte Unterhaltungen über Manndeckung, Löcher in der Abwehr und Schiedsrichterfehler mischten sich mit Lollis Stimme, der das Kostüm des Beitrags aus irgendwo bewertete und der Meierschen, der Renate die Zutaten in seinem Spargelsalat diktierte.

Die Party verteilte sich friedlich um, der kleine Moment der Spannung war vorbei. Zufrieden spülte Kai einige Gläser ab und beobachtete das Ganze von seiner sicheren Warte aus. Dank ihm, der immer mehr Cocktails nachschob und dank Jan und seinen Fußballfreunden, die zu viel Bier gekauft hatten, waren alle nett voll, als der Grand-Prix endlich vorbei war. Lena kümmerte sich sofort um Musik und eröffnete die Tanzfläche, indem sie sich Noppi griff und mit ihm eine Runde im Kreis herum hopste.

Das animierte Lolli und Jiffi, sowie die Meiersche. Die Sofaecke wurde zur Seite geräumt, so dass reichlich Platz entstand. Henrike folgte Lena, Matze folgte Maren und in Sekunden war im Wohnzimmer und auf der Dachterrasse die Hölle los. Kai genoss seine sichere Position hinter der Theke gerade so richtig, als Renate neben ihm erschien. Sie stellte eine leere Salatschüssel in die Spüle und lehnte sich dichter an ihn heran, um ihm ins Ohr zu sagen "Wenn du auf der Hochzeit in zwei Wochen tanzen willst mit mir, Kai, dann sollten wir mal üben. Wollen wir?"

Kai bewegte sich ausweichend von ihrem Busen fort und starrte erschrocken von ihr zu seinem Glas und zurück auf die Tanzfläche, dann schüttelte er den Kopf. "Auf keinen Fall! Ich tanze nicht!"

"Komm schon. Ein Walzer vielleicht? Soll ich der Lena sagen, sie soll uns einen spielen?"

"Nein! Ich hasse Paartanzen!"

Renate lachte fröhlich und unbesorgt. Unternehmungslustig knuffte sie Kai in die Seite und rief dann im Weggehen. "Ich komme ja sowieso zum Lernen vorbei, dann üben wir wenigstens den Walzer ein. Du willst dich doch nicht vor der Braut und deiner Mutter blamieren und mich dann dazu, oder?"

Kai atmete im Folgenden im Bad eingesperrt für ein Weilchen die Panik vor der Hochzeit mit Renate weg. Er musste diesen Schutzbunker aufgeben, weil jemand pinkeln wollte und es außerdem an der Tür klingelte. Er öffnete vorsichtig, weil er die arge Befürchtung hatte, dass es sich um Henri handeln könnte, aber es waren ein paar Mädchen vom Sport, die nach dem Grand-Prix nun zu ihnen kamen.

Unter anderem kam diese energische Melanie in den Flur und umarmte Kai auch gleich. Er winkte sie in die Wohnung weiter durch und lehnte sich an die Wohnungstür. Partys, Lärm, Leute, die etwas von ihm wollten, das stresste ihn. Der Nachmittag mit Jans Freunden und den steten lauernden Blicken war schon schrecklich gewesen, jetzt halb zwei am Morgen merkte er allmählich, dass seine Energie sich nicht mehr lange halten würde.

Doch als Gastgeber so früh schon nur noch in einer Ecke abzuhängen, ging auch nicht, also stählte Kai sich kurz, dann folgte er Melanie in das Wohnzimmer zurück. Dort redete Renate gerade mit Lena und sie zeigte auf Kai. Es musste um Musik gehen, denn Lena lachte und trat zu ihrem Laptop, um mit schnellen Fingern Renates Wunsch zu erfüllen.

Unruhig suchte Kai mit Blicken nach Rettung, das Klo war besetzt. Im nächsten Moment erstarb die Musik und ein Walzer erklang. Lena sprang auf den Esstisch und klatschte in die Hände. "Auf geht es, Jungs, zeigt mal, was ihr drauf habt. Das ist ein Walzer!"

Matze und Jan schauten Lena unter den Rock. Die anderen Jungs verschränkten die Arme und grollten düster rum, die Tanzfläche leerte sich bis auf Lolli und Carl, die sich sofort zu einem Paar zusammen gefunden hatten. Lena blickte sich um und grinste fies, dann rief sie "Ach, ich seh schon. Dann sag ich es besser so, ihr Lieben: Damenwahl!" Die Mädchen kreischten, die Jungs erwogen sofort, sich auf Klo zu verstecken, aber der Alkohol half beiden Seiten, es fanden sich gleich einige Paare. Lena kletterte wieder vom Tisch herunter und grinste ihren Bruder an. "Darf ich bitten?"

Noppi konnte tanzen, wie ätzend! Er forderte trotz der Damenwahl Bianca auf, bevor diese sich auf Jan stürzen konnte, weil Thilo sich weigerte und tanzte mühelos mit ihr im Kreis herum. Als die beiden Paare sich trafen, klatschte Lukas ab und zog Noppi mit einem Ruck an sich heran, um mit ihm eine Runde zu drehen, während Lena sich mit einem Augenzwinkern Bianca krallte. Bianca schien die Aufmerksamkeit zu gefallen. Thilo blinzelte ihr nervös zu.

Lukas und Noppi rangelten sich lachend zurecht und drehten noch eine Runde, um mehr Platz zu bekommen. Lukas zog seinen Freund mit Schwung in einer engen Kurve an sich. Seine Hand lag nicht auf der vorgeschriebenen Höhe, sondern war zu dem Nacken seines Freundes hochgewandert, wo er ihn leicht streichelte. Sie blickten sich in die Augen. Im nächsten Moment wurde der Beweis erbracht, dass Walzer erotisch war, wenn man es richtig anstellte.

Renate fand das auch, als sie aus dem Nichts neben Kai erschien. Anerkennend nickte sie und erklärte mit Lehrerinnenstimme: "Früher galt der Walzer als unzüchtig, weil er der erste Tanz war, bei dem die Damen umfasst wurden und sich der Fuß des Herren zwischen die Füße der Dame bewegte. Für mich ist der Walzer noch immer einer der elegantesten Tänze. Darf ich bitten, Kai?"

Kais Finger wurden unnachgiebig umfasst und Renate zog ihn auf die Dachterrasse, wo etwas mehr Platz war. Nervös gestand er seiner energischen Hochzeitspartnerin: "Ich kann wirklich nicht tanzen, mag das auch nicht." Es war nicht ganz gelogen. Er konnte die Schritte noch, aber sein Körper hatte keinerlei Erinnerung mehr an das Drumherum. Außerdem fand Kai es unmöglich, dass Lukas so gut Paartanzen konnte. Verräter und Betrüger und überhaupt, was sollte das? Lukas ließ von Noppi ab und lehnte sich neben Holger an den Küchentresen, als wäre nichts gewesen, um sich sein Bier wieder zu nehmen.

Renate startete den Tanz und war unbesorgt, korrigierte Kais Armhaltung und gab ihm mit sehr eindeutigen Zeichen die Schritte vor. Es war nicht leicht, sie vertüdelten sich tatsächlich einige Male, aber kurioser Weise konnte Kai mit Renate tanzen. Sie zu berühren war nicht so dermaßen grausam wie in seinen Erinnerungen an seine Tanzstunden damals. Es half, dass Renate sich wie eine Lehrerin verhielt. Er litt nur wenig darunter. Alkohol half ihm natürlich auch eine gute Strecke auf diesem Weg. Aus dem Augenwinkel konnte Kai Jan entspannt beim Grill lehnen und mies grinsen sehen. Natürlich hatte sein Freund sich wieder nett aus der Affäre gezogen.

Was ihn viel mehr verwirrte war aber der Umstand, dass Noppi total gut tanzen konnte. Der sah mit einem Kennerblick, dass Renate den Walzer zwischen ihr und Kai bestimmte und erlöste Kai, indem er abklatschte. Und Lena spielte Tango als nächstes. Lolli kreischte "Damenwahl!" und stürzte sich auf Lukas, der sich nach einer Runde und einem Bussi auf die Wange lachend von Lolli befreite. Carl schwenkte Jiffi im Kreis, bevor er wieder auf der Couch niedersank, aber die meisten anderen starrten Renate und Noppi an. Denn die tanzten wirklich, wirklich schön zusammen.

Die Größe stimmte, die Haltung der beiden zueinander war zugleich gespannt und entspannt, die Art, in der sie sich ohne große Zeichen zu verstehen schienen und auch die Art, in der sie nebenbei eine Drehung einbauten, wirkte mühelos. Und Renates Gesicht nahm einen richtig leidenschaftlichen Ausdruck an..., gar nicht mehr so dröge lehrerinnenmäßig. Kai taumelte von der Walzergeschichte ermattet in die Küche hinter den Tresen zurück und stärkte sich mit einem großen Schluck von seinem Cocktail.

Lukas' Hand schob sich über den Hosenbund entlang unter sein T-Shirt und machte Kai nervös. "Na, Engel? Tanzen ist nicht so deine Stärke? Sollen wir mal eine Runde drehen?"

"Auf keinen Fall, du Arsch! Ich hasse Paartanzen!" Zu seiner Erleichterung wurde die Musik von Lena wieder geändert und die Pärchen zerfielen in hopsende Einzelelemente.

Renate trat zu Kai und strahlte ihn mit glühenden Wangen an. "Das wird ja was geben, Kai. Ich komme morgen auf jeden Fall vorbei und dann üben wir."

"Morgen geht nicht, wir haben Übernachtungsbesuch."

Renate nickte, sah sich um und entdeckte Tutor Mark, der sich ein wenig blass im Gesicht an seinem Colaglas festhielt. "Dann machen wir es an einem anderen Tag. Ich bringe die Musik mit." Energisch ging sie zu Tutor Mark hin, um mit ihm über das Tanzen zu quatschen.

133

Die Stimmung war noch immer sehr gut bei allen, trotz der Paartanzaktion, die einige Fußballfreunde von Jan doch etwas mitgenommen hatte. Die Fußballer schienen weiterhin alle einfach davon auszugehen, dass Jan mit einem Schwulen wohnte, nur wohnte. Lolli, Carl und Jiffi wurden grinsend beobachtet und auch um die Aufmerksamkeit durch die Mädchen beneidet, die fröhlich mit ihnen tranken, sich mit ihnen zu den Themen Klamotten, der beste Salat und die schlechteste Musik stritten und im Fall von der Meierschen rumkuschelten. Lukas und Noppi wurden eher mit Respekt umgangen und Kai wurde zum Glück ignoriert, wenn er nicht gerade ein Bier oder einen Cocktail rausgeben sollte.

Maren hatte mittlerweile, vielleicht nach Holgers Spruch, auch endlich mit den dummen Fragen und den lauernden Blicken aufgehört. Sie hatte sich statt dessen auf Jan gestürzt, um ihn betrunken anzuflirten, was Matze ein wenig anzustacheln schien. Erleichtert, dass das Tanzen vorbei war, half Kai Renate dabei, etwas abzuspülen und einige der leeren Flaschen schon einmal in die dazugehörigen Kästen zu sortieren, während Tutor Mark ihr beim Abtrocknen half und sie, hilflos langweilig, von irgendwelchen Extrakursen im nächsten Semester vollquatschte.

Kai hatte gerade seinen toten Punkt überwunden, war endlich ausreichend angetrunken, um bei Renates Grinsen in Richtung Holger nicht mehr zusammen zu zucken und fühlte sich mit der Feier ziemlich siegreich, als Renate sich verabschiedete. Sie hatte sich die letzte Zeit auf der Feier mit Noppi unterhalten, was sehr mysteriös war, weil die zwei sich gar nicht kannten, aber Renate hatte diese Unterhaltung auf ihre Lehrerart geführt. Mit strengem Blick und sehr nüchterner Ausstrahlung. Vermutlich ging es um irgendwelche arschlangweiligen Sachen im Bezug auf das Tanzen.

Kai war so höflich, sie zur Tür zu bringen. Sie umarmte ihn sogar, was er gutmütig geschehen ließ und sie nahm Tutor Mark mit, der sie in einem Anfall von Galanterie oder als Ausrede für die eigene Flucht nach Hause bringen wollte. Aber als Kai den beiden die Tür öffnete und ihnen dann im Flur kurz nachblickte, tauchte Henri auf.

Die blonde Sexplage hopste mit zerrissener Jeans und Batikhemd bekleidet die Treppenstufen rauf und winkte hektisch, ekstatisch grinsend. "Huhu, Kai-Engelchen!" Gleich zur Begrüßung wurde Kai eine Runde recht derb geknuddelt. Hastig zog er die Wohnungstür ins Schloss, womit er Henri und leider auch sich selber aussperrte. "Was ist denn? Ich hör die Feier, ich kann Lolli hören. Lass uns reingehen!" Henri hoppste einmal auf der Stelle rum. "Ich will meine Show abziehen und dann schlafen gehen. Hatte einen recht anstrengenden Tag!" Henri wuschelte sich durch seine Haare und grinste. "Und eine sehr anstrengende Nacht."

"Bitte, zieh dich nicht aus, okay?" Kai lehnte sich gegen die Wohnungstür und blickte Henri flehend an.

Henris Brauen hoben sich etwas und er legte den Kopf schief. "Warum nicht? Sind nicht genug Frauen da, die das gut finden könnten?"

"Ich will das nicht. Ich will eine normale Feier. Es war schon so stressig die Woche und der Abend war... anstrengend."

Henri trat auf ihn zu, seine Augen weiteten sich ein wenig, dann lächelte er "Engel, hör auf, dir Sorgen zu machen." Henri trat noch einen Schritt dichter. "Hör auf, immer alles kontrollieren zu wollen. Sch... du bist ja ganz angespannt. Schließ mal deine Augen für den Moment."

"Henri! Ich kann deine..."

"Sch..."

"...esoterische Scheiße gerade nicht brauchen!"

"Mach mit, Kai. Erstens geht es dir dann besser und zweitens mir. Du beruhigst mich immer so schön."

Gereizt verschränkte Kai seine Arme. "Du mich aber nicht. Lass es sein!"

"Mach mit, dann lass ich da drinnen gleich die Unterwäsche an."

Mit schmalen Augen blickte Kai an Henris Jeans entlang. "Du trägst keine."

Henri grinste entschuldigend. "Dann mach so mit." Er trat auf Kai zu und umfing seine linke Hand, um sie auf Kopfhöhe gegen die Wohnungstür zu pressen. Ihre Finger glitten passend übereinander als Henri sie miteinander verschränkte. Andächtig blickte er Kai in die Augen, dann lehnte er sich gegen ihn, mit einer nebensächlichen Bewegung schob er ein Knie zwischen Kais Beine und lehnte sich dichter. Seine Körperwärme durchdrang Kais Jeans sofort, aber nicht auf scharfe, unangenehme Art wie eine Anmache, sondern weich, wie bei einer Wolldecke. Das Gefühl war nicht nervig oder gar geil sondern sicher.

Henri sagte kichernd dicht an Kais Ohr. "Na siehst du, Engelchen. Alles wird einfacher, wenn du deinen Spezialisten mal machen lässt. Du bist ja jetzt schon viel relaxter, und ich hab noch nicht einmal angefangen." Sie sahen sich kurz an, dann wandte Kai den Blick ab, um aus dem Flurfenster zu starren. Er hasste es, wenn Henri ihm alles immer so ansehen konnte.

Henris Stimme wurde weich und leise. "Augen schließen, einmal tief durchatmen. Siehst du? Schon besser. Stell dir eine Welle vor. Du bist mitten drin, wie beim Wellenreiten, sie treibt dich voran. Du kannst nichts bestimmen, das Tempo nicht, die Richtung nicht und auch nicht wo sie bricht."

Kai schloss seufzend die Augen, als Henris Zeigefinger sich nacheinander sachte auf seine Augenlider legte. "Du bist auf der Welle und gibst dich ihr hin. Du kannst nicht bestimmen, wohin sie dich trägt. Du genießt nur das Gefühl, dort oben zu sein. Genießt den Rausch, ihre Kraft zu spüren." Henris Finger verließen seine Augenlider, strichen zu seiner Schläfe hin und von dort zu seiner Nackenmuskulatur. Die Finger der anderen Hand ließ Henri nicht los. Flüsternd wiederholte er die Worte erneut. "Eine große Welle, sie ist voller Kraft, aber du bist oben auf. Stell dir diese Welle vor, sie treibt dich voran. Du kannst nichts bestimmen, das Tempo nicht, die Richtung nicht und auch nicht, wo sie bricht. Du lässt dich tragen, gibst dich ihr hin."

Kai hörte die Worte, aber lauschte ihnen nicht mehr, sondern sah wirklich eine Welle vor sich. Vielleicht eine aus einem Film, das Wasser war grünblau und klar. Ein Bild, das er nicht unangenehm fand. Sich obenauf zu sehen, fiel ihm jedoch schwer. Der Gedanke, dass er machtlos auf so einer unberechenbaren Welle reiten sollte, kam ihm absurd vor.

Endlich senkte Henri seine Hände und lächelte. "Siehst du. Alles wieder gut."

Kai klappte die Augen auf, als Henri sich an ihm vorbei lehnte. "Wie machst du das?"

Henri legte den Kopf schief, dann lachte er. "Ich tue nichts, du machst alles. Es ist leicht, Kai." Er drückte auf den Klingelknopf und Kai trat einen Schritt zur Seite.

Es war so. Er war mit einem Mal ruhig. Seine Hysterie zuvor und diese Anspannung bei jedem Blick, den Jan und er ausgetauscht hatten, erschienen ihm mit einem Mal peinlich. Es ging ihm gut mit dem Gedanken an die Feier, an Bianca, an diese dumme Maren und Renate und Holger. Es ging ihm gut mit den Gedanken an Jan und wie er von seinen Freunden gesehen werden wollte. Er selber wusste wieder, dass es doch eigentlich egal sein musste. Jan und er waren zusammen, er musste jetzt nur noch den Mut aufbringen, es auch zeigen zu wollen.

Henri grinste frech. "Ich kann meinen Job. Bei dir freu ich mich immer auf den Effekt. Du bist so herrlich kühl. Ich fühl mich auch schon ganz cool."

Die Tür wurde von einem Mädchen geöffnet und Henri strahlte sie an. "Huhu, da bin ich endlich! Wow, bist du aber scharf angezogen! Hier bin ich richtig!" Das brachte ihm ein verwirrtes Blinzeln und Kichern ein. Henri ließ sich nicht beirren und hechtete sich auf sie, schlang ihr seine Arme um und knutschte sie einmal tüchtig ab, bevor er zum Wohnzimmer weiter durch ging.

Kai folgte Henri langsamer und vernahm zu seinem Entsetzen, dass Lena aus dem Wohnzimmer rief "Na endlich! Leute, Henri ist da! Na los, zeig uns was du drauf hast und zieh dich aus!" Ein kollektives Kreischen folgte diesen Worten, am lautesten von Lolli und Carl.

Kai zögerte, dann bog er in sein Schlafzimmer ein. Es lag dunkel und leer da, alle waren im Wohnzimmer, in Jans Zimmer oder auf der Dachterrasse verteilt. Henri lenkte die Leute ausreichend ab. Aufatmend schloss er die Zimmertür und trat an das Fenster, um es zu öffnen. Die frische Luft tat gut, er atmete einige Male tief ein.

Die Welle, Henri hatte Recht. Sein Leben war zu einer solchen Welle geworden in den letzten Wochen. Er hob den Kopf und hörte Henri die leisen Worte wieder sagen. '… du kannst nichts bestimmen. Das Tempo nicht, die Richtung nicht und auch nicht wo sie bricht.' Genau so war sein Leben gerade. Es ging ihm zu schnell. Es ging ihm zu wild und zu kraftvoll in eine Richtung, die er nicht kannte. Würde er es überstehen?

Kai stützte sich auf seinem Schreibtisch ab und blickte auf seine Lernpläne und die Bücher. Fremdbestimmt, so hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Das Studium, wie er es finanzierte, wie er an das Lernen heran ging, wie er an sein Schwul sein heran gegangen war. Es war alles aus seiner Kraft geschehen und nach seinem Plan, in seinem Tempo.

Seit Jan Teil seines Lebens war, ging dieser Plan auch voll auf. Die verdammten Wellen hatten ihn nicht interessiert. Das Tempo war seins, die Richtung hatte er sicher im Blick gehabt, und er hatte sich wohl gefühlt. Jetzt war das vorbei. Andere hatten sich eingemischt. Lolli und Lukas hatten ihm das Tempo mit dem Sex kaputt gemacht, dann kam Jan und hatte sich in seinen Plan vom Leben eingemischt. Zu seinem Vorteil, ja, aber es hatte Kraft gekostet, sich an Jans Energie und auch an sein Tempo anzupassen. Und jetzt kamen auch noch Tini und Holger und zerrten ihn in wieder eine neue Richtung. Aus leichtem Wellengang war ein Tsunami entstanden.

Kai schloss die Augen und sah das Ultraschallbild wieder. Hastig klappte er die Lider wieder hoch und starrte aus dem Fenster. Der Lärm wurde kurz lauter, jemand kam zu ihm in das Zimmer. Kai wollte sich umdrehen, aber brachte die Energie irgendwie nicht mehr zusammen. Jemand schloss die Tür wieder, das Gekreische der Mädchen wurde deutlich leiser und Kai dachte, dass vielleicht nur jemand auf der Suche nach dem Klo bei ihm hineingeraten war.

Das war nicht so. Kräftige Hände legten sich auf Kais Schultern, dicht beim Hals, die Finger glitten nach vorn und Körperwärme durchdrang sein T-Shirt am Rücken. Kai lächelte und hob den Kopf leicht, wollte sich umdrehen, aber wurde von im nächsten Moment von hinten fest umarmt. "Hey. Alles okay?" Jans Lippen berührten sein Ohr. Kai lehnte den Kopf zur Seite und schloss erschaudernd die Augen. "Hm. Jetzt schon."

Jan lachte leise, dann trat er zurück. "Die Party läuft total gut."

Kai drehte sich um und setzte sich auf seinen Schreibtisch. "Erstaunlich, nicht? Fußball und Grand-Prix an einem Tag in einer Wohnung zusammen. La Diva Lolita und der FC ziehen an einem Strang."

"Du sagst es. Du hast dir unnötig Sorgen gemacht, Kai. Wie immer." Unschlüssig blickte Jan ihn an und schien zu zögern. Dieses Zögern, wo sie sich doch sonst jederzeit schon längst mit einer Knutscherei befasst hätten, bereitete Kai ein kühles Gefühl im Magen. Jan sah das und senkte den Kopf, aber kam nicht näher, als befürchtete er, dass seine Fußballfreunde sie eben doch überraschen könnten.

Im Raum nebenan kreischten einige Mädchen kollektiv auf und Kai lachte, um die Kühle zu überspielen. "Jetzt dürfte er nackt sein."

Jan lachte auch leise, dann trat er doch dichter und drückte Kai einmal fest an sich. Er sagte nichts, aber schien sich stumm zu entschuldigen. "Bis nachher im Bett, Baby."

Kai blinzelte seinen Freund an. "Wir schlafen zusammen? Ist das echt okay, Jan?"

"Na klar ist das okay. Maren wäre sonst auch enttäuscht. Etwas Show müssen wir ihr doch bieten, oder?" Sie grinsten sich an. Im Licht durch das geöffnete Fenster zwinkerte Jan ihm einmal zu.

Kai lachte und stählte sich für den Anblick im Wohnzimmer, wo die Musik und das Lachen und Kreischen der Mädchen und von Lolli sich zu einem wilden Konzert mischten. Jan öffnete die Tür und der Lärm haute Kai fast um, so laut war die Musik. Jan ließ die Tür offen, ein unausgesprochener Befehl an Kai, sich auch wieder als Gastgeber zu beteiligen.

Gleich darauf kam Holger zu Kai in das Zimmer. "Ein Glück, hier bist du. Du hast die Show verpasst."

"Macht nix, ich hab Henri schon nackt gesehen." Kai wollte sich eigentlich in den Wohnraum zurück bemühen, aber Holger reicht ihm sein Handy. "Ist für dich. Beruhig sie mal ein wenig, ja?" Damit drehte er sich um und ging wieder.

Am Telefon war natürlich Tini. Kai rieb sich den Nasenrücken und setzte sich auf sein Bett, bevor er sich knapp meldete.

Eigentlich hatte er irgendeine total beknackte Mitteilung von ihr erwartete, aber sie heulte sofort los, als sie seine Stimme hörte. Verwundert fragte Kai "Ist alles okay?"

"Nein! Nichts ist okay, Kai! Nichts!" Schnüffelnd schwieg sie daraufhin erneut und holte einige Male tief Luft.

Alarmiert stützte Kai sich hoch. Sein Herz machte einige nicht planmäßige, schnelle Hüpfer, die sich echt unangenehm anfühlten. "Ach du Scheiße! Ist was mit dem Ding?!"

Das brachte Tini zum Glück zum Lachen und sie putzte sich geräuschvoll die Nase. "Nein, Kai, Ding geht es gut. Danke... danke, dass du so süß erschrocken bist."

Kai ballte eine Hand zur Faust. "Du blöde Kuh! Kannst du nicht einfach sagen, was los ist?!"

"Ich... meine Eltern drehen durch. Es tut mir so leid, aber ich musste ihnen sagen, dass es von dir ist."

"Weiß ich schon."

"Nein! Ich meine, sie wissen wirklich, dass es von dir ist. Von meinem schwulen Freund. Jetzt sind sie erst recht stinksauer, wollen tausend HIV-Tests machen, werfen mir vor, dass ich das alles gemacht hab, um sie zu ärgern. Sie haben mich schon stundenlang angemeckert und mir angedroht, dass ich kein Geld mehr bekomm von ihnen und so. So auf die Tour, dass ich jetzt wohl asozial werden möchte. Holger ist natürlich hauptsächlich daran schuld, hat mich runtergezogen oder so. Es ist grauenhaft. Ich zähle die Minuten, bis sie endlich weg sind! Ich bin schon von meinem Bruder weg und wohne bei Freunden von ihm, um sie nicht mehr sehen zu müssen! Ich wollte dich nur warnen, weil es sein kann, dass sie zu dir kommen, um dich auch noch anzumeckern."

"Ach, Scheiße!" So etwas konnte er nicht brauchen, überhaupt nicht. Die Show von Bardos Eltern mit Bruder und Polizei hatte ihn auch nicht sonderlich froh gemacht, aber Tinis Eltern waren sicherlich noch eine Nummer schlimmer. "Musste das sein?"

Auf diese Attacke begann Tini leider wieder zu heulen und Kai verdrehte die Augen. Gedanken an die Welle durchkreuzten sein Hirn und reizten ihn noch mehr. Wütend schimpfte er "Jetzt ist aber mal gut! Die kriegen sich schon wieder ein, Tini. Nu hör auf für, teures Geld per Handy zu heulen und mach, was auch immer du dort zu deiner Zeit machen solltest!"

"Nein, nein, ich wollte dich noch um was bitten. Kannst du bitte, bitte Renate sagen, dass sie schon mal einen Zettel aufhängen soll? Ich werde aus der WG ausziehen, mach ich besser schon vor der Prüfung. Ich hab es beschlossen, ich ziehe mit Holger zusammen. Jetzt erst recht."

Kai rieb sich den Nasenrücken noch einmal und seufzte. "Renate ist schon weg. Mail ihr das und lass mich jetzt die Feier in Ruhe überstehen. Henri war grad da."

"Ja. Hab ich wohl doch was verpasst. Er hat sich ausgezogen?"

"Natürlich."

Sie lachte ein wenig verheult. "Na gut, ich mail ihr das, aber bitte rede auch noch mal mit ihr. Vielleicht könntest du ihr bei der Gelegenheit auch sagen, dass Holger nicht der Vater ist."

"Das machst du schön selber! So. Ich geh jetzt die Party weiter überwachen. Lass mich gefälligst in Ruhe!"

Sie seufzte. "Bitte..."

"Nein! Tschüss!" Hastig legte er auf. Es war verdammt ärgerlich, aber sein Herz hopste immer noch etwas aus dem Rhythmus, und das war nicht, weil Tinis beknackten Eltern bald bei ihm auflaufen würden. Vermutlich mit Jetlag und scheiße drauf. Es war, weil er sich diese kleine Sekunde Sorgen um das Ding gemacht hatte. Irgendwie hatte es ihm bei der Therapie geholfen, und er hatte das Ding vor einem bescheuerten Titel wie Knöpfelchen, Pünktchen oder Mäusilein bewahrt. Sie waren Kumpel irgendwie, hatten in Tinis Eltern auch schon einen gemeinsamen Feind. Ohne einander zu kennen, hatten sie schon so viel durchgemacht zusammen, es war hochgradig verwirrend.

134

Als Kai in das Wohnzimmer kam, war dort die Atmosphäre deutlich heißer geworden. Henri hatte seine Jeans wieder an, aber noch kein T-Shirt. Lena spielte Lieder, zu denen man sich sexy bewegen konnte, die Tanzfläche glich einem Proberaum fürs Vorspiel, überall knutschten Pärchen und übten Nahtanzen, Henri voller Begeisterung mitten drin. Lena knutschte mit einem Typen, den Kai grob in die Gruppe der Fußballer einsortieren würde. Als Kai in der Tür zum Wohnzimmer stockte, um sich einen gefahrlosen Weg von der Tür zu Holger auf der Dachterrasse zu berechnen, kam Henrike ihm entgegen.

Kai hatte sie eigentlich nur durchlassen wollen, aber Henrike sah so dermaßen danach aus, als wollte sie gleich austicken, dass er sie anstarrte und fragte "Ist was?" Im nächsten Augenblick hatte er einen heulenden Zwerg am Hals hängen.

Kai hob den Blick in den Raum, dann seufzte er und umarmte Henrike einmal kurz, bevor er sie von sich schob und am Handgelenk in den Flur zerrte. Sie ließen sich vor dem Dielenschrank nieder, wo die Jacken und Taschen der Leute gelagert wurden. Der Schrank war voll, so dass eine der Türen offen stand. Kai reichte Henrike ein Taschentuch aus einer seiner Jacken. Sie putzte sich geräuschvoll die Nase und tupfte an ihrem Nasenring herum. Endlich raffte sie sich auf, weil ein betrunkenes Mädchen an ihnen vorbei zum Klo wankte. "Ich... geh mal besser. Mit Liebeskummer hier abhängen und allen die Party versauen, will ich auch nicht."

Kai gab Henrike ihre Jacke nach einigem Suchen und versuchte vergeblich, die Schranktür zu schließen. "Willst du nicht mal mit Lena reden, Henrike?"

Sie holte einen kleinen Taschenspiegel aus ihrer Jackentasche und wischte sich an den Augen entlang. "Nein... ich hab keine Kraft mehr, immer und immer zu reden. Ich geh besser, Kai. Tut mir leid. Wir sehen uns Montag, okay?"

Kai brachte sie nicht zur Tür, sondern stemmte sich noch einmal gegen die Schranktür, um sie endlich zu schließen. Er wusste nicht, was er ihr sagen konnte, um ihr zu helfen, sie aufzubauen. Aber Henrike wollte auch nichts hören in diesem Augenblick, sie sah sich nicht mehr nach ihm um und zog die Tür selber hinter sich ins Schloss.

Kai hatte den Weg durch den Flur gerade wieder so halbwegs geschafft, als Lena drinnen die Musik änderte. Aus sexy Anbaggerkram wurde Schmusezeug. Das machte Kai die totale Hoffnung, dass die Feier sich dem Ende entgegen neigte. Als er in das Wohnzimmer trat, hatte Matze sich endlich Maren gekrallt und befummelte sie beim Tanzen mit Kennermiene prüfend.

Jan tanzte natürlich nicht. Er lehnte im Durchgang zur Küche und unterhielt sich mit Holger. Rasch trat Kai auf den zu und reichte ihm sein Handy zurück.

Holger sah ihn besorgt an. "Haste sie beruhigt?"

"Nein. Angemeckert! Jetzt verrät die mich an ihre Eltern! Das ist eine voll miese Nummer. Jan, wenn die hier vor der Tür stehen, dann spring ich aus dem Fenster!" Gereizt schnappte sich Kai ein beliebiges Glas und trank davon. Etwas abgestandener Cosmo, vermutlich von Lolli oder Carl.

Jan grinste. "Du hast es in letzter Zeit echt mit den Eltern von Leuten."

Kai starrte seinen Mund an, wollte ihn küssen und traute sich nicht. Ärgerlich verschränkte er die Arme und teilte Holger mit. "Sie will mit dir zusammen ziehen. Ich, wohlgemerkt ich, soll Renate sagen, dass die schon mal einen Zettel wegen des WG-Zimmers aufhängen darf. Na danke. Bei der Gelegenheit darf ich der dann auch stecken, wer der Erzeuger ist."

"Tini ist der totale Feigling, wenn es zu Renate kommt." Holger grinste sich durch sein Bier und streckte sich gemütlich. Lena spielte noch einen Schmusesong, einige fingen mit dem Zungenküssen so richtig an. "Die Feier geht wohl jetzt zum gemütlichen Teil über."

Kai seufzte und rieb sich die Augen. "Ich hab auch genug jetzt. Ich fang mal mit Aufräumen an."

Tatsächlich verabschiedeten sich einige Gäste, als Kai unruhig begann, die leeren Gläser und Chipsschalen wegzunehmen. Lolli und Jiffi, Carl, Lukas und Noppi bestellten sich zusammen ein Taxi und warteten draußen auf der Dachterrasse rauchend auf die Ankunft. Henri hopste wuselig um die Mädchen herum und schleppte sogar eine von Jans Sportbekannten ab wie es aussah. Seine Argumente hatte er wohl ausreichend dargestellt. Die Mädchen und auch Lolli und Carl waren zumindest von seiner Show ganz begeistert gewesen.

Offenkundig hatte Henri als Plattform den Esstisch verwendet. Kichernd zeigten sich die Leute noch ihre Handyfotos von der Aktion und fanden die Feier grandios und geil. Selbst die Fußballer, die sich nun so nach und nach verabschiedeten, waren der Meinung, dass Jan und die Tucken total wüssten wie man abfeiert. Miese Sprüche gab es keine.

Einzig ärgerlich war, dass Jan doch mit dieser bescheuerten Melanie zu flirten anfangen musste. Die war sowieso schon immer an ihm dran in der Turnhalle. Auch jetzt, als Jan sich auf die Sonnenliege setzte, kam sie gleich an und drängelte sich noch dazu. Jan machte sogar Platz für sie, während er sich mit der üblichen Hitzigkeit mit zwei seiner Teamkollegen aus dem Verein über irgendwelche Fußballsachen unterhielt. Die Sprüche waren derb und es wurde reichlich gelacht. Romantisch war die Stimmung also nicht, aber als Kai sich einmal fort gedreht hatte und dann wieder zu Jan und Melanie blickte, saßen sie fast aufeinander auf der Liege, Melanie hatte ihre Hände fröstelnd gerieben und schob sich dichter an Jan, der sie umgehend mit einem Arm an sich zog. Sie kicherte rum und redete vom Aufwärmen.

Mies drauf starrte Kai ihren Hinterkopf an, während Jan lachend feststellte, dass man so eine heiße Frau besser nicht noch weiter aufwärmen sollte, was ihm offensichtlich einige Pluspunkte bei Melanie und seinen Freunden einbrachte. Kai fühlte schon wieder diesen kühlen Schauer. Und das Schlimmste daran war, dass sie das vorher doch besprochen hatten. Jan knuddelte und knutschte eben gern mal Tussen ab. Auf einer Party bedeutete ihm das nichts, das wusste Kai doch. Kais Job war es doch jetzt, sich so locker zu machen, wie Jan das war, wenn Lukas ihn abknutschte und knuddelte. Er verschränkte die Arme und wandte sich dann hastig fort, um weiter aufzuräumen, bevor noch irgendwer ihn als eifersüchtige Mutti ertappte.

Natürlich schaffte er es in der nächsten Zeit nicht, Jan aus den Augen zu lassen. Wieder und wieder musste er in die Nähe der Dachterrasse gehen, um in Erfahrung zu bringen, was da so los war. Doch die Lage änderte sich nicht. Melanie hatte sich gemütlich an Jan heran gekuschelt und ließ sich von ihm aufwärmen. Sie redeten über den Trainerlehrgang, den Melanie im Herbst auch machen wollte. Mehr war aber auch wieder nicht los, so dass Kai sich endlich mit Macht entspannte und es dank der Aufräumarbeiten dann schaffte, nicht mehr eifersüchtig zu sein, sondern sich auf das Bett und die Ruhe zu freuen.

Kai war verwirrt, aber ihre Feier war total friedlich verlaufen, für ihn, für Jan und sogar für ihre Gäste. Als sie auf eine Gruppe Freunde und ihre Übernachtungsgäste reduziert im Wohnzimmer abhingen, während Lena gerade ihren Laptop zusammen packte, um selbst nach Haus zu gehen, zog Kai die Bilanz. Sie hatten ungefähr zehn Gäste zuviel da gehabt, definitiv wäre er ohne diese Melanie oder einen nackten Henri ausgekommen. Es hatten sich vier Paare gefunden, allesamt Heteros. Eines waren Lena und der Torwart aus Jans Fußballverein, was Jan zu blöden Witzen zum Thema Abwehrfehler gebracht hatte. Ein Pärchen war gerade in Kais Zimmer mit Fummeln befasst, ein anderes knutschte an der Spülmaschine und blockierte die Aufräumarbeiten.

Es hatten sich zwei Paare verkracht. Eines davon ein Fußballer, dessen Freundin seine Witze über Lolli und Jiffi scheiße fand, womit ein hitziger Streit entbrannt war, der dann dazu führte, dass die zwei streitend von dannen gezogen waren. Ein anderes schienen Lena und Henrike zu sein, soweit die ein Paar gewesen waren. Die Schwulen hatten den Grand-Prix begangen und Jiffi und Lolli hatten nur einmal gekifft, was ein guter Schnitt war. Der deutsche Beitrag war blöd gewesen und entsprechend nicht doll angekommen. Die Fußballer hatten ein spannendes Spiel gesehen. Das deutsche Team hatte in der Abwehr nicht gut gestanden und war im Sturm unsicher gewesen, folglich hatten sie knapp verloren.

Nach einer weiteren Stunde waren alle müde, viele bereits fort und Kai hatte, mit erratischer Hilfe von einigen Gästen, aufgeräumt. Er hatte im Schutz der Musik sogar die Spülmaschine schon einmal durchlaufen lassen. Als er dabei war, die gespülten Gläser in den Schrank zurück zu stellen und für ihr Frühstück schon mal Sachen auf den Tresen bereit zu legen, kam das Flaschendrehen wieder auf.

Matze war schuld gewesen. Er hatte eine leere Proseccoflasche gefunden, als er mit Maren auf dem Sofa knutschen wollte und drehte diese auf dem Fußboden eine Runde, anstelle sie bloß wegzulegen. Sie zeigte auf Thilo und Bianca rief aufgekratzt "Wahrheit oder Pflicht, Thilo!" und ließ sich auf dem Boden nieder. Thilo war bis zur Gutmütigkeit betrunken und wehrlos in Bianca verknallt, er wählte Pflicht, anstatt die Sache zu boykottieren. Er musste einen Handstand machen. Das machte er sehr gut, außerdem legte es seinen Bauch und Oberkörper frei, weil ihm das T-Shirt wegrutschte. Das fand Kai interessant und stand da nicht allein da. Außerdem machte Thilo den Handstand auf ihrem Couchtisch, was die anderen in der Wohnung anlockte.

Im Nu hatten sie einen Kreis gebildet, die Flasche drehte sich und riss den einen oder anderen ins Verderben. Alle lachten über die Zungenbrecher, die schon bei der letzten Feier für gute Laune gesorgt hatten. Die Pflichten waren eindeutig von Henris Einfluss verstärkt worden. Irgendwie schienen alle noch immer der Meinung, dass man sich dringend ausziehen oder anderweitig die Blöße geben musste.

Kai räumte im Hintergrund weiter auf, wurde gegen Ende des Spiels jedoch von Jan in ihren Kreis gezerrt und kam auch noch gleich dran mit einer Wahrheit. Da Maren gedreht hatte, musste er die Frage, mit welchem Schauspieler er gern mal Sex hätte, über sich ergehen lassen. Das war eine verdammt schwierige Frage, er fand Schauspieler uninteressant. Nur das Aussehen hatte für ihn keinen sexuell erregenden Effekt. Wenn nicht noch Gefühl, Geruch, Geschmack hinzu kamen und passten, dann wollte er auch nicht mit jemandem ins Bett. Hastig sagte er nach einer zu langen Stille den Namen von Lukas' Liebingspornodarsteller und drehte die Flasche, bevor jemand ihn danach fragen konnte. Die einzigen, denen dieser Name etwas sagte, waren zum Glück schon fort und er kam davon.

Es erwischte gleich nach ihm Jan, der Wahrheit nahm. Kai hatte sich keine gute Frage zurecht gelegt, hatte auf Pflicht gehofft und blinzelte seinen Freund verwirrt an. Jan feixte zurück. Hastig ließ Kai Jan aufzählen, welche Prüfungen er im Studium hatte zweimal machen müssen. Die Liste war echt nicht ohne. Und die Rache kam sofort. Die Flasche pendelte geschickt, von Jan angestupst, zu Kai zurück und er nahm genervt Pflicht, starrte Jan böse an und wusste, dass sein Freund ihn nicht leicht davon kommen lassen würde.

Jan war jedoch kreativ. Er verlangte grinsend "Zeig uns allen noch mal diesen geilen BH-Ausziehtrick, Kai. Verschlossene Augen, hinter dem Rücken, mit nur einer Hand. Such dir ein Mädchen aus." großzügig wies er im Kreis herum.

Matze und Thilo starrten Jan und Kai an und Holger lachte laut und voller Zufriedenheit. "Coole Sache, Jan. Auf los geht’s los, Kai. Welche willste?"

Kai wusste das auch so. "Bianca, wenn das okay ist." Bianca und er wussten beide, wie sie zueinander standen und Bianca wusste zudem, worum es ging bei der Sache.

Sie erinnerte sich und lachte laut los. Energisch stand sie auf. "Aber für dich doch immer. Bitte sehr." Sie hielt ihre Arme aus und Thilo starrte besorgt, die anderen kicherten.

Kai musste es in der Mitte vorführen. Peinlich berührt von der Aufmerksamkeit trat er zu ihr und schloss die Augen. Er schob seine Hand auf dem Rücken unter ihrem Oberteil entlang, während er sich mit der anderen die Augen zuhielt. Aber es war kein Thema. Ein BH mit nur einem Riegel und der war ruckizucki offen, da waren die Rüstungen im Altenheim eine ganz andere Herausforderung gewesen. Da Bianca ein ärmelloses Top anhatte, zog er ihr die Träger komplett über die Arme herunter, strich unter dem Top nach vorn rum und zog alles samt seiner Hand in die Freiheit. Schwarze Spitzen, fühlte sich teuer an und sah scharf aus, wenn man auf solche Sachen stand. Kai schüttelte sich ein wenig und die Runde lachte ihn aus. Er bekam einen Applaus und warf Thilo den BH zu, der ihn mit knallroten Ohren auffing.

Aber Bianca grinste ihn zufrieden an. "Geil. Das ist so was von Verschwendung, was du alles kannst, Kai!"

Mit dieser Aktion endete dann die Feier zum Glück endgültig. Die letzten Gäste verabschiedeten sich und die Übernachtungsgäste rollten ihre Isomatten aus und diskutierten die Aufteilung der Betten. Jan brachte ein paar Freunde zur Tür und Kai öffnete noch einmal die Türen zur Dachterrasse, um durchzulüften, bevor sie für die Nacht die Außenrollläden runterfahren wollten.

Müde tappte er in die Küche und stellte die letzten Teller und Kaffeebecher in die Spülmaschine. Jan kippte derweilen den Grill aus, brachte Müll nach unten und die letzten versprengten Bierflaschen und Gläser zur Küche.

Sie wollten eigentlich zusammen in Kais Bett schlafen, aber dort lagen dann, nachdem Jan die Dachterrasse und Kai die Küche aufgeräumt hatte, schon Maren und Matze wild am Knutschen. Gutmütig und praktisch orientiert warf Jan den beiden ein Kondom zu und rief "Ihr habt eine Stunde, dann kommen wir!", was zu einem Lachanfall bei den beiden führte. Grinsend schloss er die Tür und sah Kai an.

In Jans Bett sollten die beiden anderen Mädchen mit ihren Freunden schlafen. Auf den Isomatten im Wohnzimmer rollten sich zwei weitere Schulfreunde von Jan zusammen. "Und jetzt?" Missmutig und noch immer mit diesem kühlen Gefühl in sich starrte Kai zwischen ihren Schlafzimmern hin und her.

Jan lächelte, streckte sich, dann hielt er seine Hand aus und flüsterte "Komm, wir haben uns den ganzen Abend kaum ansehen können. Lassen wir Matze und Maren noch ein wenig Zeit."

"Jan... ich bin echt müde." Nölig warf Kai den Lappen, mit dem er den Tresen abgewischt hatte, in das Waschbecken und verschränkte die Arme. Jans Hände umfingen seine Taille im nächsten Moment und er wurde gegen seinen warmen Körper gezogen. Wieder fiel Kai auf, wie richtig es sich anfühlte, mit Jan zusammen zu sein, seine Haut zu spüren, seinen Atem. Unsicher warfen sie einen Blick rüber zu Jans Kumpeln, die auf dem Fußboden in ihren Schlafsäcken bereits schliefen, einer schnarchte sogar leise vor sich hin. Jan umfing seine Hand und zog ihn daran auf die Dachterrasse raus, ging aber gleich wieder in die Küche rein, um dort das Licht auszuschalten.

Graues Morgenlicht erhellte den Himmel bereits. In der Ferne war die Sirene von einem Notarztwagen zu hören und verstummte wieder. Kai ließ sich fröstelnd auf die Liege fallen und wurde davon überrascht, dass Jan ihm eine Wolldecke um die Schultern legte. Im nächsten Moment drückte Jan ihm einen warmen Becher mit Milchkaffee in die Hand und ließ sich hinter Kai nieder. Er rückte sich Kai zwischen seine Beine zurecht und zog die Wolldecke um sie beide herum. Leise gähnend stützte Jan sein Kinn auf Kais Schulter ab.

Mit einem Mal durch und durch glücklich und irgendwie sofort wieder zuversichtlich gestimmt, drehte Kai sich seitlich zurecht und kuschelte sich enger an seinen Freund. Die Stimmung war friedlich, warm. Das kühle Gefühl vom Abend verblasste gegen die Sicherheit, mit der Kai mit einem Mal wieder wusste, dass er Jan liebte. Kai schloss die Augen und nippte von dem Kaffee. Mit der freien Hand streichelte er Jans Finger, die seine Taille umfasst hielten. Er dachte über die Feier nach und erzählte mit leiser Stimme von seiner Unterhaltung mit Noppi und dann sogar von Henris Minitherapie mit der Welle. Endlich fiel ihm Henrike ein und er fragte Jan, ob sie ihr irgendwie helfen sollten.

Jan nahm ihm den Kaffeebecher weg und umfing seine Hand. "Keine Ahnung. Sie will offensichtlich nicht, dass Lena ihre Gefühle wirklich sieht. Ich glaube jedenfalls nicht, dass Lena sich sonst so unbesorgt und fröhlich verhalten hätte, so rücksichtslos."

"Hat es denn jetzt auf der Party mit deinen Fußballfreunden geklappt wie du wolltest?"

"Jein würde ich sagen. Die meisten denken, dass wir nur zusammen wohnen."

"Ist doch okay. Immerhin wissen sie, dass ich schwul bin. Maren hat es allen erzählt. Und sie wissen, dass es dich nicht stört."

"Mir wäre es lieber, sie wüssten, dass 'ich' schwul bin und sie 'das' nicht stört. Aber ich bin nicht so naiv, der Utopie aufzusitzen, dass das so einfach geht."

Kai drehte sich weiter herum und schmiegte sich an seinen Freund heran. Sie waren einander nicht direkt fern gewesen den Tag über, aber dieses kühle Gefühl war entstanden, als Jan mit seinen Freunden aus dem Team und aus der Schule wieder genau der alte Sprüchemeister und Macho gewesen war. Jan war von dieser beknackten Maren und dann auch von dieser Melanie angebaggert worden, vor Kais Augen. Irgendwie hatte Kai dadurch wieder gesehen, dass ihre Beziehung noch lange nicht bei der Selbstverständlichkeit angekommen war, die er eigentlich immer fühlte, wenn sie allein oder mit seinen Freunden zusammen waren.

Nachdenklich hob Kai den Blick und bemerkte, dass Jan ihn angesehen hatte, sie sahen einander in die Augen. Braun mit goldenen Funken darin, sprühend und ein wenig spöttisch, noch immer die schönsten Augen auf der Welt. Jan sah ihm mal wieder alles an. Ablenkend fragte Kai: "Du denkst, dass wir nicht ehrlich genug waren?"

Jan hob die Schultern: "Nein, das waren wir nicht, aber du hättest dich nicht wohl gefühlt, mich vor den anderen zu knutschen und dann ist das auch nicht das, was ich will..." Er lächelt: "Und gerade jetzt könnte es nicht besser sein, oder?" Bezeichnend drückte Jan ihn einmal enger an sich heran und gab Kai gar keine Möglichkeit mehr zu einer Antwort, sondern küsste ihn.

Jans Finger streichelten Kai über den Hals in die Haare und machte ihm eine altbekannte, schrecklich-schöne Gänsehaut. Ihre Lippen berührten sich nur verspielt und sachte, für wilde Sachen waren sie beide zu müde und geschafft. Aber es machte Spaß, so miteinander zu spielen, einfach den Geschmack und das Zusammensein zu genießen. Kai lehnte den Kopf weiter zurück und hob eine Hand an Jans Gesicht, um ihn über die schon wieder ein wenig rauen Wangen zu streicheln.

Lächelnd küsste Kai sich an Jans Mundwinkel entlang und zog ihn dann für einen richtigen Zungenkuss dichter. Er hatte ihm gefehlt, ohne dass er es hätte ändern wollen. Jan hatte Recht, so eine Show wie Lukas mit Noppi abgezogen hatte, das war nichts für ihn. Das wollte er nicht, kühles Gefühl hin oder her. Aber es war jetzt herrlich, wieder zusammen sein zu können. So zusammen zu sein, wie es richtig war. In seinem Hinterkopf bekam er gerade den dezenten Hinweis, dass sie genau so peinlich am Schnabeln waren wie Lukas mit seinem Noppi immer, als Jan den Kopf mit einem kleinen Ruck hob.

Kai folgte seinem Blick und entdeckte Maren, die nur mit T-Shirt und einer knappen Unterhose bekleidet in der Terrassentür lehnte. Maren grinste müde und zugleich zufrieden zu ihnen rüber. Bevor sie noch einen dummen Spruch machen konnte, sprang Jan auf. "Na endlich seid ihr fertig. Können wir jetzt auch schlafen?"

Ein wenig schuldbewusst sagte Maren an Jan gerichtet: "Jetzt haben wir euch das Bett blockiert. Tut mir leid."

Jan sah zu Kai runter, der die Wolldecke gefaltet und seine Tasse aufgenommen hatte, um Marens Blicken zu entgehen. "Wir haben es sonst immer für uns, das ist okay." Mit einem kleinen Lächeln hielt Jan seine Hand aus und nach kurzem Zögern umfing Kai seine Finger und ließ sich hochziehen. Gemeinsam schlichen sie um die schlafenden Freunde von Jan herum in sein Zimmer und krabbelten nach raschem Zähneputzen zu dritt in das Bett. Matze hatte sich zum Glück bereits in seine Wohnung verabschiedet, nachdem er Maren ausreichend rumgekriegt hatte.

135

Kai wurde von einem penetranten Klingeln an der Wohnungstür wach und quälte seine Augen auf. Sein Wecker zeigte ihm gerade einmal acht Uhr, sie hatten nur ein paar Stunden geschlafen. Im Halbdunkel des Zimmers konnte er Jans Augen erkennen, die sich unwillig öffneten. Nebenbei streichelte Jan seinen Hals entlang, dann gähnte er und streckte sich. Es klingelte noch einmal. Maren grummelte neben ihnen rum und zog sich die Decke über den Kopf. Jan, der vorn an gelegen hatte, rollte sich murrend von der Matratze und ging mit bloßem Oberkörper und Shorts den Flur hoch, um nachzusehen, was denn los sein mochte.

Kai streckte sich einmal durch und stand auf. Er wollte eigentlich nur schnell mal auf Klo und dann wieder ins Bett krabbeln, aber die schrille Stimme der Mieterin rechtsunten weckte ihn ein wenig auf. "Herr Bawenhop!" Kai grinste und blinzelte vorsichtig um die Ecke.

Jan lehnte vollkommen verkatert in der Wohnungstür, mit einer verdammt tief sitzenden Shorts und sonst appetitlicher Haut bekleidet, seine Haare waren zerrauft und er müsste sich auch mal rasieren. Ihm gegenüber stand, majestätisch und durchaus von dem Anblick irritiert, die Oma mit einem Brief in der Hand. Sie laberte Jan voll, der mit leicht schief gelegtem Kopf zuhörte, aber nicht sonderlich beeindruck erschien.

Kai huschte rasch ins Badezimmer und versteckte sich dann wieder in seinem Bett. Ein misstrauischer Blick zeigte ihm, dass Maren bereits wieder ins Koma gesunken war. Neugierig sah Kai seinem verkaterten Freund entgegen, der sich nach einem Badezimmerausflug zu ihm unter die Decken rangelte. Jans Hand schob sich ohne Umschweife unter Kais Shorts über die Hüfte, um ihn mit dem Daumen an der Leiste entlang zu necken.

"Jan. Was war denn?" Mit einem Winden versuchte Kai zugleich Jans Fingern zu entkommen und ihm näher zu kommen.

Jan kicherte leise und zog Kai resolut dichter. "Henri hat es gestern Nacht wohl mit seiner Beute im Flur getan. Die Oma hat das mitbekommen und ist nun endgültig der Meinung, dass dieses Haus dem Untergang geweiht ist. Sie hat gekündigt."

"Henri?"

"Hm. Und kaum war der wohl durch mit seiner Lotte und die Oma wollte hochkommen, um sich wegen des Lärms mal zu beschweren... und das obwohl ich denen zwei Flaschen Wein vorab zur Entschuldigung gebracht hab... als ihr Lolli und Jiffi begegnen und dann wohl auch Lukas und Noppi. Da war es für sie endgültig aus."

"Ah. Oh. Das ist jetzt ja echt blöd." Eigentlich war es geil. Der Oma und ihrem missmutigen Gatten beim Ausziehen zuzusehen stellte einen Wunschtraum dar. Jan war komischer Weise seiner Meinung.

"Das ist ziemlich günstig, die Oma ging mir auf den Geist mit ihrem Gezanke, und die hat immer den Gärtner gegen mich aufgehetzt. Die haben wohl gestern Nacht beschlossen, dass sie in eine Wohnung mit Pflegedienst ziehen wollen oder so. Witziger Weise gibt sie die Schuld an Henri und den anderen Unzuchttreibenden gar nicht mir, Kai. Sie geht fest davon aus, dass alles mal wieder auf Leons Mist gewachsen ist."

Kai blinzelte blöde, dann musste er lachen. "Dabei ist Leon gar nicht da."

Sie hatten nur geflüstert, aber Maren knurrte leise und wühlte sich ein wenig von ihnen fort unter die Decken. Jan blickte kurz zu ihr rüber, dann schob er seine Finger mit mehr Nachdruck unter Kais Shorts und küsste ihn auf den Hals. "Hm. Das ist noch voll früh, lass uns doch etwas kuscheln."

Kai schmuste sich seufzend dichter und genoss das leichte Streicheln über seinen Bauch. Mit einem zufriedenen Gähnen schob er sich an Jan heran und schloss die Augen. Im nächsten Moment hatten sie sich passend aneinander heran gerangelt und Kai döste erneut ein, das Gesicht auf Jans Brust abgelegt.

Als Kai das nächste Mal wach wurde, spürte er Jans Finger durch seine Haare kraulen, leise Stimmen waren von jenseits der Zimmertür zu hören. Die Party saß Kai kaum noch in den Knochen, eigentlich fühlte er sich richtig gut, also war die Zeit deutlich fortgeschritten, aber zugleich lag Jan noch neben ihm und streichelte ihn, anstatt irgendwo in der Wohnung herum zu toben oder gar zum Sport zu verschwinden. Es roch nach Kaffee und aus dem Wohnzimmer drang Lachen zu ihnen, Jans Freunde waren bereits wach, die Mädchen waren aus dem Badezimmer zu hören.

Jans Stimme drang leise in Kais Gedanken hinein. "Blätter mal um, kommt hier nicht irgendwo das Bild von Thilo, wie er... genau! Hier ist es!" Jan lachte und Kai gähnte und hob den Kopf.

Maren lachte auch, dann raschelte es und sie sagte "Och, jetzt haben wir Kai geweckt. Schade, das war so niedlich."

Mit rotem Kopf sah Kai, dass er auf Jan geschlafen hatte, während Jan und Maren nebeneinander gelegen und ein altes Fotoalbum durchgesehen hatten. Von einer Klassenfahrt wie es aussah. Offensichtlich hatte Maren es mitgebracht, die Bilder und Erinnerungen waren sorgfältig eingeklebt und verziert.

Unsicher schob Kai sich von Jan fort und murmelte eine Entschuldigung, doch Jan zog ihn noch einmal dichter. "Alles ist gut, Kai. Ich wollte dich nicht wecken. Du hast gestern Nacht so heldenhaft aufgeräumt, du hast dir den Schlaf echt verdient. Wollen wir frühstücken? Maren hat schon Brötchen geholt, die anderen decken gerade den Tisch." Sie sahen sich an und Kai nickte bloß, schob sich von Jan weg.

Er murmelte etwas von Badezimmer und verpieselte sich hastig in die sicheren Räumlichkeiten. Im Spiegel blickte er sich selber in die Augen und auf die roten Wangen und ärgerte sich. Eben hätte er Jan doch einen Kuss geben können, er hätte ihn anlächeln können oder wenigstens etwas Nettes sagen. Aber er tat so, als müsste er sterben, nur weil Maren sie zusammen gesehen hatte! Am Abend zuvor ja auch. Er war sauer, wenn Jan Melanie in den Arm nahm, aber ging nicht mal hin, um sich dazu zu setzen. So allmählich konnte er doch wirklich mal lockerer werden! Sauer auf sich selber und den echt lahmarschigen Vorträgen seiner Vernunft ausgesetzt, dass Abstand gut war und so weiter, putzte er sich die Zähne, dann kämpfte er seine Haare nieder und zog sich seine Jeans vom Vortag an.

Vorsichtig um die Ecke äugend taperte Kai dann zu Jans Zimmer, wo im Wandschrank unten links vermutlich das dunkelblaue T-Shirt lag, das er an diesem Tag gern anziehen wollte. Im Schlafzimmer war niemand, doch kaum war er angezogen, als Jan ihn schon rief und fragte, ob er Nudelsalat frühstücken wollte.

Kai ging seufzend zu ihren Gästen zurück. Es waren die zwei Pärchen aus Jans Schulzeit, drei Kumpel sowie Maren, Matze und komischer Weise auch Renate dort. Um genug Platz zu schaffen, trug Jan gerade einen von Hannahs Gartensesseln rein und stellte ihn für sich an das Kopfende. Kai blieb die Möglichkeit sich zu den beiden Pärchen und den Kumpeln zu quetschen oder zu Maren, Matze und Renate neben einen dritten Freund von Jan zu setzen, beides fand er unattraktiv.

Jan ließ sich grinsend in dem Sessel nieder und nahm sich einen Becher Tee. Marens auffordernder Blick, Matzes nervöses Grinsen und Renates lehrerhaftes Lächeln gaben dann irgendwie den Ausschlag. Kai fühlte sich von diesen Blicken gepiesackt und geärgert, wie auch von seiner eigenen dummen abweisenden Art. Es machte, dass er stur und doof wurde und nicht einfach zur Bank trat und sich dort neben Renate nieder ließ, sondern einmal herum ging, um sich bei Jan auf den Schoß zu setzen.

Jan blinzelte ihn einmal an, dann lächelte er und sah Kai von der Seite forschend in das Gesicht. Das Gespräch am Tisch stockte kurz, aber Kai tat als sähe und hörte er nichts. Seine Zivilcourage reckte die mickrige Gestalt und streckte der Vernunft die Zunge heraus. Und gleich darauf umarmte Jan ihn fest, rückte ihn zurecht und lachte. "Ich hab dir schon deinen Kaffee gemischt, dann bist du gleich richtig auf Sendung."

Renate erhob sich und reichte Kai den Brötchenkorb rüber. "Ich bin noch einmal vorbei gekommen, weil ich meine Schalen hier gelassen habe", erklärte sie von Kais Sitzarrangement dermaßen unbeeindruckt, dass Kais Zivilcourage sich beleidigt wieder verzog. Maren passte ihre Reaktion hastig an die von Renate an. Sie schob Kai den Becher Milchkaffee rüber und tauschte mit ihm Brötchenkorb gegen Nutellaglas.

Kai zerpflückte sein Croissant, kuschelte mit Jan rum und genoss es, dass weder Jan noch Renate oder Maren in irgendeiner Form etwas dazu sagten, dass er den ganzen Abend zuvor seinen Freund nicht mal angesehen hatte und es nun irgendwie ein wenig übertreiben musste. Jans Schulfreunde Mücke und Bolle waren vielleicht zu verkatert für eine umfangreichere Reaktion. Sie und die anderen Exfreundinnen von Jan mampften über das Fußballergebnis und Henris Darbietung redend ihre Brötchen. Die drei anderen Jungs murmelten sich durch Kater und Kaffee. Das Thema am Tisch war natürlich die Feier in ihren Ausprägungen. Wer mit wem oder mit wem nicht und was so alles los gewesen war. Die Kündigung der Oma am Morgen wurde auch besprochen. Das Thema 'Jan, du hast da einen Jungen auf deinem Schoß sitzen' wurde nicht mal angeschnitten.

Jan selber schien es regelrecht zu genießen, dass er seinen Freund umkuscheln konnte. Er hatte seinen rechten Arm um Kai gelegt und streichelte recht bald über seinen Arm und die Finger entlang. Im Verlauf der Unterhaltung nannte er Kai sogar 'Mein Baby' und das war dann der Höhepunkt der Outingrunde. Seine Schulfreunde gafften zwar hin und wieder ein wenig gestresst zu Jan rüber, aber kriegten sich ein, als die Unterhaltung zu den mannigfaltigen Verlockungen des Tages driftete. Matze schwieg mit Pokerface, Maren und seine Chancen bei ihr fest im Blick.

Im Anschluss an das Frühstück wurde der Sonntag erträglich. Renate schnappte ihre Schalen und versprach ihnen, erst am Dienstag wieder zu kommen, um die Lerngruppe zu beginnen. Die Schulfreunde von Jan wollten gemeinsam mit zum Badesee, wo ein Beachvolleyballtunier stattfinden würde und Matze schloss sich an, um an Maren noch besser heran zu kommen.

Kai schleppte sich noch immer müde in sein Zimmer, um das Bett zu machen. Er war stolz auf sich, dass er dieses Frühstück auf Jans Schoß ausgehalten hatte, aber es hatte ihn auch ein wenig erschöpft. Normal war er nicht so für diese Art Vorstellung zu haben. Seine Vernunft war zum Glück dank Tini noch immer in der Rehabilitation und konnte ihn nicht wirklich kasteien.

Maren folgte ihm, um ihre Sachen zu packen. Sie grinste ihn ein wenig frech an und meinte dann "Ich hätte irgendwie meine Wohnung und zwei Körbchengrößen darauf verwettet, dass Jan und Thilo mir beim Osterfeuer einen Bären aufgebunden haben mit der Schwulgeschichte. Der Mädchenverheizer Jan und schwul, also bitte." Sie ließ sich auf dem Bett nieder und faltete ihre Klamotten, um sie in einer großen Strandtasche zu versenken. "Dann hab ich gestern dich gesehen und dachte bei mir, dass du so verdammt hübsch bist, dass ich Jan verstehen kann, wenn er so einer Versuchung nachgibt. Nur, um es mal gemacht zu haben. Er ist so ein Typ, wollte früher schon alles mal probieren. Im Leben nichts verpassen." Sie lächelte. "Aber das war es nicht, oder? So war es gar nicht. Du hast ihm nachgegeben, nicht wahr?"

Kai hob die Schultern, dann gab er zu "Beides stimmt wohl."

"Und Matze? Hat der wirklich das totale Problem damit?" Sie lachte, als Kai sie verwirrt ansah. "Ich mein ja nur, weil Jan mir das gestern Nacht erzählt hat. Ich hab ihn natürlich nach seinem Kumpel ausgefragt, bevor ich mit dem ins Bett bin."

Kai hustete etwas und erwiderte unbestimmt. "Er tut sich schwer."

"Wird schon. Die anderen haben sich ja schon voll eingekriegt. Ich glaube unserem schönen Thilo war es bei dieser Bianca dann sehr recht, dass Jan nicht mehr an ihr dran war, nicht?"

Schöner Thilo kam als Titel hin. Kai konnte sich lebhaft vorstellen, dass Thilo so etwas wie der Schulschönste gewesen sein mochte. Er konnte sich auch vorstellen, wie es früher dann also gelaufen war. Thilos schönes Gesicht und athletischer Körper hatte die Mädchen angelockt und aufmerksam gemacht und Jan hatte sie dann gnadenlos abgegriffen mit seiner frech-charmanten Art. Armer Thilo irgendwie.

Maren sah ihm seine Gedanken an, denn sie sagte "Thilo ist selber schuld. Er ist einfach zu maulfaul. Wenn der mal was sagen würde, anstelle düster zu brüten, dann hätte er doch mehr Exfreundinnen als Jan! Stattdessen starrt er einen an wie eine pissige Katze, wenn man ihn angraben will und das war es dann. Klar wendet man sich dann Jan zu, der einen sofort in den Arm nimmt und einem gleich erst einmal sagt, dass man einen klasse Busen hat."

Kai grinste sie an. "Mir sagt er das nie. Komisch."

Maren prustete los und sie beide lachten sich scheckig bis Jan ins Zimmer kam, um misstrauisch nachzusehen, was sie zusammen ausheckten.

Zwar war die Feier total gut gelaufen, und Kai hatte die Ansammlung Fußballer, Exfreundinnen und Vorurteile lebend überstanden, aber er war nicht unfroh, als die Übernachtungsgruppe sich zum Badesee absetzte, während er die Wohnung zu Ende aufräumte und die geschenkten Blumenkübel auf der Dachterrasse verteilte.

Jan rief ihn vom See aus einmal an, um sich für den Abend abzumelden. Im Endeffekt aß Kai allein und in himmlischer Ruhe ein paar Reste vom Grillzeug und ging früh schlafen. Er nahm nur undeutlich wahr, dass Jan sich irgendwann spät in der Nacht zu ihm legte. Als Kai am Montag zur Frühschicht ins LPP ausrücken musste, pennte Jan noch vollkommen hinüber. Die alten Zeiten waren offenkundig voll wieder zum Leben erwacht.

Auf der Arbeit war es ruhig. Leon war im Urlaub. Bastian und Henrike waren Kais Kollegen. Es lief rund zwischen ihnen. Das gute Wetter lockte jedoch gegen Mittag viele Anzugträger an, so dass sie für zwei Stunden viel zu tun bekamen und sich eine regelrechte Schlange vor dem Verkaufstresen neben den Espressomaschinen bildete. Entsprechend müde war Kai zum Ende seiner Schicht und beschloss, sich noch einen Salat und ein Toast von ihrem Koch auf den Weg mitgeben zu lassen.

Er hockte sich auf die Kühltruhe, trank ein Wasser und genoss, dass er nicht mehr den Blicken ausgesetzt war wie hinter dem Tresen. Henrike kam um die Ecke, noch in ihrem blauen LPP-Shirt und grinste Kai schief an. "Willste auch noch so ein geiles Toast?"

"Hm. Jan ist sicher schon zum Training, und ich hab keinen Bock, noch mal Nudelsalat zu essen."

Henrike hopste neben ihn auf die Truhe und baumelte mit den Beinen. Es war klar, dass sie mit ihm reden wollte, aber Kai ging davon aus, dass sie es tun würde, ob er sie aufforderte oder nicht und schwieg sie müde an. Sie sahen beide dem persischen Koch zu, der singend an den Bestellungen arbeitete und sie zunächst zu Gunsten der Gäste warten ließ.

Unruhig hibbelte Henrike herum, kickte mit den Beinen und war generell kaum auszuhalten. Endlich sah Kai sie von der Seite an und stieß ihr den Ellenbogen in die Rippen. "Jetzt leg schon los!"

Er musste nichts weiter fragen, eigentlich war sowieso klar, was los war und Henrike sagte es auch gleich. "Lena ist extra so gemein zu mir gewesen." Kai schwieg und so führte Henrike aus, dass Lena und sie zwar Freundinnen waren, aber es zu jeder Zeit klar war, was aus dieser Freundschaft werden sollte. Lena hatte Henrike darum gebeten, es langsam angehen zu dürfen, weil sie von ihrem letzten Kerl noch enttäuscht war. Das war Henrike natürlich recht, sie hatte sich nach langen Nächten mit Quatschen und Kuscheln sehr romantisch ausgemalt, dass sie auf diese Art eine festere Beziehung aufbauen konnten. Sie war nach kürzester Zeit auch ohne Sex vollkommen in Lena verknallt. Nur war Lena, seit Tini sich mit der Schwangerschaft geoutet hatte, komisch geworden. "Sie will mit einem Mal selber Kinder und hält mir dann immer vor, dass es für Lesben ja wohl nicht geht, sie sich deswegen jetzt einen Mann suchen wird."

Kai schloss genervt die Augen. "Geht für Schwule ja auch."

Henrike hob den Kopf und blinzelte. "Was?"

Sie putzte sich erneut geräuschvoll die Nase und das gab Kai die Zeit, einige Flüche zu denken. Er war irgendwie davon ausgegangen, dass Lena und Henrike keine Geheimnisse voreinander hatten. "Na, Tini ist schwanger."

"Ja. Und? Sie ist hetero, wird jetzt schön mit Holgi zusammen ziehen und dann läuft deren Leben so weiter."

"Es ist nicht von ihm."

"Was?"

"Also ganz offensichtlich haste mit Lena nicht so viel über das Thema gesprochen."

"Nee. Babys kriegen, das ist doch total scheiße! Da hab ich keinen Bock drüber zu reden. Meine Halbschwester Klara ist der totale Untergrund mit ihren Bälgern. Die nervt mich mit ihren Erzählungen, was die gerade wieder verbockt haben. Immer und immer muss ich Verständnis haben, wenn die wieder mal Mist gebaut haben, wenn sie keine Zeit für unsere Ma hat und so. Außerdem sind wir doch nun wirklich zu jung für den Mist. Nur weil Tini nicht weiß, wie man verhütet, muss Lena da doch nicht mitmachen!"

"Du bist vielleicht bescheuert! Kein Wunder, dass Lena dich absägt. Also echt jetzt!"

"Was?"

"Die will auch Kinder. Da kann sie so eine Lesbe mit Machomacke, die nicht einmal darüber reden mag, nicht brauchen. Na klar verpasst sie dir dann auch voll den Dämpfer!"

"Kai! Du kannst doch nicht im Ernst behaupten, dass..."

Kai schloss die Augen und überlegte, dann sah er Henrike kurz an. "Ich sag dir jetzt was, das weißt du nicht von mir, okay?"

"Was soll der...?"

"Okay?!"

"Okay, ist ja gut."

"Lena war schon ein paar Mal schwanger, hat immer abgetrieben. Kinder passten ihr eben vorher auch nicht in den Kram. Lukas hat mir das erzählt. Beim letzten Mal hat der Arzt ihr gesagt, dass sie vermutlich keine Kinder mehr wird haben können."

Henrike hörte auf mit den Beinen zu baumeln und starrte Kai an. "Ach du Scheiße. Das... wusste ich nicht."

Kai hüpfte von der Kühltruhe runter. "Jetzt weißt du es. Ich geh denn mal nach Hause."

Mit Dank nahm er sein Toast und die Schale Couscoussalat vom Koch entgegen und ließ Henrike auf der Kühltruhe sitzen und nachdenken.

Er konnte Jan erst wieder am Dienstag beim Frühstück sprechen. Dies tat er dann nicht wie am Montagabend noch geplant in Form einer Strafrede, weil Jan nicht lernte, sondern in Form einer Überredungsrede die alten Sachen von Hannah betreffend. Etwas bockig stellte Jan sich quer, wollte das Gespräch zunächst verschieben. Hannahs Sachen waren noch immer ein sensibles Thema. Kai brauchte sein vollständiges Aufgebot an Argumenten, um ihn zu einer Durchsicht der Sachen zu bringen.

"Lolli verkauft seine Sachen, ich muss wegen der Bettgeschichte helfen und dachte, dass es ja vielleicht hinhauen könnte, wenn wir dort zum Beispiel das überflüssige Bettzeug oder das Teeservice aus den Kartons im Keller hinstellen." Nervös blinzelte Kai zu Jan hinüber. Aber er hatte Glück, Jan war zwar bockig, aber insgesamt friedlich, so dass er sich von dem dunkelgrünen Teeservice mit Goldrand trennen wollte, das sie noch nie ausgepackt hatten. "Hm. Aber nur, wenn du einen vernünftigen Preis bekommst, Kai. Ich sehe im Internet mal nach, was man so dafür verlangen kann."

Jan versprach Kai, dass sie das am Mittwoch gemeinsam in Angriff nehmen konnten. Der Dienstag war mit Sport für Jan am Morgen, Lernen mit Renate und Holger am Nachmittag und Sport für Jan und auch Kai am Abend bereits ausreichend ausgefüllt.

Es stellte sich heraus, dass an diesem Dienstag für Kai auch Sport am Nachmittag anstand. Tanzsport. Renate kam mit einer Musikzusammenstellung in den Händen und ihren Tanzschuhen im Rucksack zu ihnen und grinste energiegeladen. Sie trug einen längeren Rock, was Jan mit einem leichten Bedauern im Blick bemerkte, und sie verfügte, dass Kai und sie noch etwas tanzen würden, wenn sie genug gelernt hatten. Ihr Gesichtsausdruck führte sofort dazu, dass Holger und Jan sich einen dringenden Waldlauf direkt im Anschluss an das Lernen vorgenommen hatten und nach drei Stunden gemeinsamen Durchsprechens biochemischer Formeln eiskalt verschwanden und Kai mit der freudig lächelnden Renate allein ließen.

Sie warf die CD in die Anlage. "Nun mach nicht so ein Gesicht, Kai. Ich gehe immerhin mit dir auf eine Hochzeit deiner Verwandten. Zu Leuten, die ich im Leben noch nie gesehen habe und das als deine Begleitung."

"Es war deine Idee."

"Alle, die wissen, dass du schwul bist, werden mich fragen, wie ich dazu komme. Alle, die es nicht wissen, werden mich fragen, wie lange wir schon zusammen sind und so. Das wird anstrengend. Da musst du jetzt für etwas gute Laune bei mir sorgen." Sie ließ sich auf dem Hocker nieder und schob ihre Sandalen von den Füßen, um sich die Tanzschuhe anzuziehen. "Es ist eine Dorfhochzeit, auf der sicherlich nicht an vegetarische Gäste gedacht wird. Ich mag diese Spielchen auf Hochzeiten nicht und werde mich sehr sicher nicht betrinken. Also wird das einzige, das mir an diesem Abend Spaß macht, das Tanzen sein. Und wir zwei passen von der Größe wirklich gut zusammen, wenn du dich nur etwas locker machst und die Schritte ein wenig lernst, wird das ein netter Abend." Sie blickte ihn aus ihren schmalen, blaugrauen Augen an. "Für dich bestimmt, keine Bange. Aber auch für mich."

Seufzend nickte Kai und rieb sich den Nasenrücken, dann schob er das Sofa zur Seite, damit sie mehr Platz hatten. Renate freute sich über seine Reaktion und lächelte wieder so niedlich mit diesen süßen Grübchen. An einem Jungen hätte Kai das entzückend gefunden, an ihr war die Wirkung noch immer ausreichend, um ihn in milde Stimmung zu versetzen. Er erwiderte das Lächeln und bemühte sich in der nächsten halben Stunde, tatsächlich mitzumachen.

Es war erstaunlich. Als Renate ihm erst einmal beigebogen hatte, nicht mehr auf die Füße, sondern ihr ins Gesicht zu sehen, wurde die Sache einfacher. Irgendwie war es auch nicht schlimm, mit ihr zu tanzen. Renate wusste, dass er schwul war, sie mochte ihn nicht mehr als notwendig, zwischen ihnen herrschte eher so etwas wie der Respekt vor den Leistungen des anderen in der Uni. Ihre Lehrerart kam beim Tanzen nicht durch, stattdessen zeigte sie sehr offen, dass es ihr Spaß machte.

Als sie die Schuhe wieder in ihrem Rucksack verstaute, fragte er deswegen "Tanzt du eigentlich oft?"

"Natürlich. Meine Großeltern haben eine Tanzschule, ganz klassisch schon seit einer echt langen Zeit. Schon mein Opa hat dort Unterricht gegeben. Die läuft noch immer total gut, weil mein Stiefvater dauernd neue Sachen dort rein nimmt. Einen Diskoabend für die Kids im Dorf, der geht echt gut. Die Hochzeitskurse natürlich sowieso. Es gibt außerdem nicht nur die Paartanzkurse und solche Sachen sondern auch moderne Kurse für Teenager, Videoclip-Dancing oder auch Bauchtanzen. Das kommt gut an. Für mich ist das nichts, aber ich helfe aus bei den klassischen Kursen am Abend und tanze mit ihm vor, wenn meine Mutter keine Zeit hat."

Und damit war dieses Mysterium geklärt und ein weiteres folgte sogleich. Renate gab zu, dass sie Noppi verführen wollte, auch mal bei ihnen in der Tanzschule als Partner für Anfängerkurse zur Verfügung zu stehen. "Es gibt immer einen schrecklichen Männermangel dort und was wäre schöner als ein süßer schwuler Junge, der gern tanzt und keine Berührungsängste hat." Dies begleitete sie mit einem strengen Blick, der Kai etwas nervte.

Zu seinem Glück wollte Renate los und er musste sich seine Sportsachen anziehen, damit er rechtzeitig zu seinem Training in der Unihalle kam. Und augenscheinlich kam er genau zur richtigen Zeit an. Melanie war bereits damit befasst, Jan wieder voll zu quatschen. Kaum war er jedoch in der Halle zu einem der Geräte geschlurft, als Jan auch schon neben ihm auftauchte, um ihn pseudobesorgt und zugleich grinsend nach Renate zu fragen und ob er es überlebt hätte.

Sie kabbelten sich lachend um die Frage, ob Kai nun ein toller Tänzer werden würde und der Abend mit Sport und Melanie ging gut vorbei, die gute Stimmung hielt sich bei Kai auch noch bis zum nächsten Vormittag. Dann erlosch sie gegen einen Streit über Hannahs Sachen in ihrem Keller. Wie immer, wenn er zickig wurde, sagte er Sachen, die er sofort bereute, die Jan jedoch dazu brachten, ihn noch mehr zu reizen. Zankend schleppten sie deswegen die aussortierten drei Kartons in die Wohnung, um dort noch Bettwäsche und ein Bowlenset dazu zu packen. Der Weg wurde ihnen von der Alten von rechtsunten abgeschnitten.

"Herr Bawenhop!"

Kai grinste mies und ließ Jan stehen. Der seufzte und setzte seinen Karton ab, um sich der Oma zu stellen. Aus dem Augenwinkel sah Kai noch, dass Jan in die Wohnung abgeführt wurde und fragte sich, was nun schon wieder war in Omahausen.

Es stellte sich nach einigem Hin und Her heraus, dass Omahausen schon bald leer stehen würde. Die alten Leute hatten ja in einer Kurzschlussreaktion die Wohnung gekündigt, um sich ein ziemlicheres Zuhause zu suchen. Davon abgesehen wollten sie wohl ein Zuhause mit mehr Service.

Als Jan nach einer guten halben Stunde zu Kai in die Wohnung kam und den Karton mit Hannahs Teeservice abstellte, informierte er ihn sogleich darüber, dass die Wohnung bereits ab August für einen Nachmieter frei sein würde. Jan wuschelte sich durch die staubigen und verschwitzten Haare. "Das passt mir total gut, dann jage ich da gleich einen Maler rein, und lass den Fußboden austauschen. In der Wohnung ist noch der alte Teppich von Anno Tuck drin. Die Alten wollten mich da nicht ran lassen, als ich das Haus im Februar übernommen hab."

Kai sortierte die Bettwäsche nach 'geht nicht', 'geht gar nicht', 'bitte lieber Jan, lass uns das verkaufen' in drei Stapel und blickte nicht auf. Die Wohnungen und ihr Erhalt waren Jans Thema, der machte schließlich sein Geld mit der Sache. Erleichtert dachte er nur, dass ihn die Oma nicht mehr morgens am Briefkasten ansprechen würde, um über Leon oder die Sekretärin vom Anwalt zu lästern. Es stellte sich leider heraus, dass er mehr mit der verdammten Wohnung zu tun bekommen würde als gedacht.

136

Jan und Kai brachten einen eher knappen, lustlosen Streit um eine Kollektion Vasen, Kristallschalen, eine Lampe und die Bettwäsche von Hannah hinter sich, dann stimmte Jan zu, dass Kai von der Bettwäsche zumindest die Hälfte, vor allem den Kram mit den roten Blumen, auf dem Flohmarkt anbieten und bei Nichtgefallen auf dem Rückweg beim Roten Kreuz spenden sollte.

Das Telefon unterbrach sie in dieser Angelegenheit, als Kai gerade die letzten Reste der Wäsche in einen Karton dazu stopfte. Es war Lolli, der sich noch einmal versichern wollte, dass Kai am Samstag auch gegen halb sechs am Morgen bereit stehen würde. Mit mattem Erschaudern stimmte Kai zu. Lolli war begeistert. "Wir machen einen schwulen Stand auf, Maus! Das wird so geil. Frank will ein paar alte Platten verkaufen, Lukas stellt nicht nur den Wagen, sondern kommt etwas später vielleicht auch dazu und will uns helfen und Tanja natürlich, die hat so viel Zeug im Tattooladen, das sie einfach auch dort mal aufbauen will. Hach, ich freu mich direkt!"

Praktisch orientiert erinnerte Jan daran, dass sie besser eine Kasse mit Wechselgeld bereit halten sollten und ein Buch, in dem sie eintragen sollten, welche Sachen verkauft wurden. Das hatte Lolli, offenkundig Flohmarkt erfahren, jedoch alles schon geregelt. Kai bot an, sein Kellnerportemonnaie für das Wechselgeld herzugeben, aber Lolli hatte schon eine Geldkassette, die er sich von Frank geborgt hatte. "Der hat mir aus der Bank auch Kleingeld zum Wechseln mitgebracht. Ich bin total gut organisiert, mein Schatz! Die Malertische hat Lukas schon in den Bulli verladen und den bringt er mir Freitagabend mit Noppi zusammen rum. Wir sehen uns Samstag!"

Das war gelogen. Sie sahen sich Donnerstag. Kai hatte den Spätdienst im LPP und erfreute sich an einem ganz normalen Abend ohne laute Musik oder wilde Partygäste. Die Tische waren gut belegt, die Kellnerinnen waren nicht so sein Ding, alles Zicken. Aber da passte er voll mit ins Team, denn er war nach andauernd noch nicht geklärtem Streit mit Jan über dieses oder jenes alte Zeug von Hannah noch immer komplett genervt und arbeitete zugleich an einer Möglichkeit, sich wieder mit Jan zu vertragen.

Eigentlich stritten sie nie für mehr als fünf Minuten. Es war sonst immer eine Art Knall, auf den sofortige friedliche Ruhe folgte. In der Regel entschuldigte Jan sich in Worten, oft in Kosenamen und Kai in Taten, meist indem er Jan etwas zu essen machte und gelegentlich gar an den Fernseher brachte.

Doch am Donnerstag hatten sie das Versöhnen nicht richtig geschafft, die Streiterei herrschte irgendwie auch schon seit dem Dienstag und Mittwoch zwischen ihnen und Kai war folglich unrund und sauer und sehnte sich nach einer Chance, seinen Freund zu sehen, zu spüren und sich mit ihm auszusöhnen.

Der Abend wurde dann dank Lolli erst recht anstrengend. Der kam mit einigen Freunden herein gerauscht und diskutierte mit Kai, ob er nicht statt des Cocktails im Angebot einen Cosmo für den gleichen Preis haben konnte, weil er so formidabel sei, der Abend so mild, die Gruppe so wild, die Gläser so durchsichtig und die Getränke so bitter nötig, um seinen Abschiedsschmerz von all seinem Kram zu überstehen.

Als Kai es ablehnte, Lolli etwas auszugeben, ließ dieser sich an der Bar nieder und unterhielt sich mit seinen Freunden abartig peinlich über Männer. Als noch die wild gepiercte Tanja anrückte, um Kai kritisch kundzutun, dass er sich in diesem Job prostituierte, gleich ob er tatsächlich Sex hatte oder nicht, gab Kai Lolli den Aufpreis für die Cocktails aus, um seine Ruhe zu haben.

Tatsächlich zog die Gruppe an einen Loungetisch zu den Aquarien nach hinten weiter, aber Kai wurde von Lollis langen Armen umfangen und über den Tresen gezerrt, damit dieser ihn peinlich abknutschen konnte. Daraufhin war Kais Laune noch schlechter und er zog sich für fünf Minuten auf das Klo zurück, um seine Haare zu richten und Jan eine Nachricht mit der Bitte um Abholservice nach dem Job zu schreiben. Grüblerisch starrte Kai die knappen Worte an und überlegte, wie er dem ganzen noch seine Reue wegen der Streiterei aufsetzen konnte. Endlich tippte er dazu "Tut mir leid, HDL" und schickte alles hastig ab.

Den restlichen Abend musste er nicht mehr sonderlich viel leiden. Lollis Gruppe zog weiter zum Eckchen mit Endstation Stroboskop und es wurde allmählich ruhiger, ging auf den Feierabend zu.

Kai blickte zum hundertsten Mal auf die Uhr hinter dem Tresen, die noch immer gerade zehn Uhr zeigte, als mit einem Schwung Mädchen und Jungs vom Kino auch Bardo mit einigen anderen vom Chor zu ihm herein kam. Sie nickten einander nur kurz zu. Kai hatte für eine Weile auch gut zu tun, die ganzen Cocktails und Mischungen für die neuen Gäste herzustellen. Bardo ließ sich mit seiner Gruppe an einem Tisch auf der Galerie nieder und eine Kellnerin erfragte gnädig ihre Wünsche. Dort oben ging es fröhlich zu, offenbar hatten sie eine Vorstellung in der Oper begleitet. Stefan war nicht in der Gruppe vertreten, also hatte der sich noch immer nicht eingekriegt. Erst gegen halb elf lichtete sich der Laden wieder, zu der Zeit gingen auch die meisten aus Bardos Gruppe und er kam zu Kai an die Theke.

Kais Laune hob sich sowieso gerade, weil Jan ihm eine Antwort auf die Nachricht geschickt hatte und ihn abholen kommen wollte. Kai nickte Bardo zu und lehnte sich über den Tresen. "Na, Bambi?"

"Na?" Bardo grinste blöde.

"Ist was?"

"Du hast mich gleich angesprochen... und so..."

Kai verdrehte die Augen, langte über den Tresen und kniff ihn einmal in die Wange. "Und du solltest zu Hause sein und so, oder?"

"Letzte Woche Schule vor den Ferien, ist alles halb so schlimm. Meine Noten sind schon im Keller, ich fang nach den Ferien wieder an mit dem Lernen." Unbesorgt warf Bardo sich auf einen Hocker.

"Ich meinte damit eher den Umstand, dass du vermutlich von deinen Eltern Zuhause erwartet wirst."

"Die sind nicht da. Sie sind mit Nantwin und Ortrud zu einer Ballettakademie gefahren, wo Winni vortanzen wird. Vielleicht bekommt er dort ein Stipendium. Ist ein Internat. Sie kommen erst Sonntag wieder. Halvar ist über das Wochenende bei seinem Kumpel. Ich hab die Wohnung für mich." Mit breitem Grinsen freute Bardo sich über diese Freiheit.

"Und? Machst du was draus?" Kai war zickig und fühlte sich mies. Es war nur fair, Bardos gute Laune zu zerschießen, aber das war bei dem mal wieder nicht möglich.

"Klar doch. Ich bin hier und kann mit dir reden, anstelle im Bett zu liegen..."

Misstrauisch starrte Kai Bardo an, dann grinste er gemein. "Im Bett zu liegen, so so."

Bardo wurde rot. "Na ja und allein zu sein", rettete er sich hilflos in sicheres Terrain.

Kai ließ ihn nicht von der Angel. Er machte eine Bestellung für eine Kellnerin fertig, dann hatte er wieder Zeit und kehrte zu Bardo zurück. "Allein im Bett zu liegen, so so, Bardo."

Bardo grinste trotz der roten Ohren mutig und schoss zurück "Na, mit dir würde ich da ja wohl kaum liegen."

Erstaunlich, soviel Mut hätte Kai dem Bambi nicht zugetraut. Interessiert und noch nicht gewillt, ihn davon kommen zu lassen, fragte er nach "Und wenn? Was würdest du machen, Bardo? Es mit mir tun?"

"Was?!" Der entsetzte Blick war zu komisch.

Kai grinste. "Ja. Ist es nicht das, was du willst?"

"Nein! Natürlich nicht!"

"Alle anderen gehen fest davon aus, dass du es mit mir tun willst. Sogar die geile Anna und Leon sind davon überzeugt."

"Ich will es nicht mit dir tun!" Bardo zögerte. "Nicht wirklich."

"So?"

Bardo blickte Kai in die Augen."Ich träum mir das lieber. Ist schöner." Und damit hatte er dann Kai überboten, der sich einen Schritt in Richtung Kaffeemaschinen zurück zog, um sich hinter deren Schutz zu erholen.

Nach einem Schluck Wasser kehrte Kai zurück und sah dem Bambi in das optimistische und zum Glück auch etwas rote Gesicht. Dann mutmaßte er: "Schöner nicht, aber sicherer."

Mit einem Nicken stimmte Bardo zu, aber dachte bei Sicherheit in eine andere Richtung als Kai. "Ich würde doch jeden enttäuschen, mit dem ich jetzt was tun sollte. Und dich ausgerechnet will ich auf keinen Fall enttäuschen."

"Das ist Blödsinn, Bardo. Das kann man nicht lernen, wenn man es nicht einfach tut. Außerdem kann man den anderen nicht enttäuschen. Vor allen Dingen nicht, wenn man es nicht nur so als Fick tut, um es hinter sich zu bringen."

"Können wir das Thema wechseln? Ist was los? Du bist so..."

Das war ja klar. Bardos Sonar hatte mal wieder ausgeschlagen. Matt trank Kai von seinem Wasser, dann lehnte er sich an den Tresen. "Hatte Krach mit Jan", gab er endlich zerknirscht zu und berichtete knapp von ihrem Flohmarktkampf um Hannahs Sachen. Dies hatte eine ungeahnte Folge.

Bardos Augen glänzten und er verkündete: "Ich helfe euch am Samstag, ja? Auf dem Alten Markt? Dann komm ich gegen acht Uhr hin, okay?"

"Sei mein Gast. Ein Schwuler mehr oder weniger auf dieser Aktion fällt auch nicht weiter ins Gewicht."

Bardo freute sich wie ein junger Hund und das machte Kai irgendwie auch bessere Laune. Und dann kam Jan zu ihm ins LPP, recht kurz vor Schluss und lehnte sich neben Bardo über den Tresen.

Kai blickte seinen Freund in den dreckigen Fußballsachen an und lächelte. "Du hast noch gar nicht geduscht? Wie war das Spiel?"

"Saugut. Eine totale Schlacht, aber wir haben die lang gemacht, obwohl das der Angstgegner war. Geiler Saisonabschluss! Hast du ein Bier für mich, Baby?" Jan lachte, dann stieß er Bardo in die Rippen. "Bist du nicht seit ungefähr drei Stunden schon im Bett, Bambi?" Bardo nickte unbekümmert und grinste hilflos froh über seine Freiheit. Jan deutete das richtig und erwiderte das Grinsen. "Ah. Sturmfreie Bude, was?"

Kai stellte das Bier auf den Tresen, aber hielt es fest, als Jans Finger sich darum schlossen. Sie blickten sich in die Augen.

Jans Finger glitten an dem Flaschenhals entlang und berührten Kais Fingerrücken sachte, fragend.

Kai erwiderte seinen Blick und lächelte erleichtert. Er lehnte sich weiter rüber zu seinem Freund. "Okay?" fragte er leise.

Jan nickte einmal, bevor er ihn auf die Wange küsste, dicht beim Ohr. "Alles okay", flüsterte er zurück.

Neben Jan ruckelte Bardo herum, aber Kai beachtete ihn nicht, sondern nickte einmal. Er hob den Kopf und zog sich wieder zurück, während er Jan das Bier frei gab. "Bardo hilft am Samstag auf dem Flohmarkt mit."

"Das ist nett. Ich passe. Ich hab absolut keinen Bock in der Hitze da rum zu stehen. Matze und ich sind am Abend unterwegs, Kai. Party zum Saisonende in Matzes altem Verein, ich komme Sonntag wieder." Er betrachtete Kais Gesicht, dann fragte er: "In Ordnung?"

"Hm. Na klar. Ich werde nach dem Flohmarkt vermutlich meinen Sonnenbrand eincremen und lernen." Eine Bestellung lenkte Kai noch einmal ab, aber der Moment zum Schließen rückte rasch dichter.

Bardo wurde resolut von Kai auf seinen Weg geschickt, damit er am anderen Morgen in der Schule noch etwas taugte. Er wuschelte Bardo zum Abschied über die Haare. "Bis Samstag dann!"

Jan hing weiter am Tresen ab und fachsimpelte mit Bastian, der gerade von seiner letzten Zigarettenpause wieder herein kam. Kai betrachtete die beiden bei ihren hitzigen Diskussionen um die letzten Spiele. Jan ereiferte sich sorglos über die Aufstiegschancen seines Vereins, aber achtete zugleich auch auf Kai. Immer wieder trafen sich ihre Blicke und Kai war jedes Mal total froh, dass sie nicht mehr stritten. Irgendwie war es auch unglaublich dämlich gewesen, sich wegen Bettwäsche oder um alte Gläser zu zoffen. In dem Moment war es wie ein unausweichlicher Kampf erschienen, jetzt nach einem Abend mit mieser Laune, war Kai sich einmal wieder bewusst, dass er für Jan noch ganz andere Sachen ertragen würde, als rote Bettwäsche mit Mohnblumen.

Zufrieden räumte Kai auf, aber überließ Bastian das Abschließen. Nach einem T-Shirtwechsel ging er den Weg zur Seekuh Arm in Arm mit Jan, obwohl der verdreckt und verschwitzt war und ihn natürlich fahren ließ, weil er mehr als das eine Bier geschafft hatte. Im Wagen fragte Jan dann doch gleich noch einmal: "Baby, ist wirklich alles wieder okay?"

"Hm." Kai stellte den Sitz etwas nach. Dann holte er Luft und gab zu: "War dämlich von mir, so wegen der Sachen zu schimpfen. Es ist dein Kram. Es ist ja auch dein Keller, Jan. Tut mir leid."

"Nein. Ich fand es dämlich von mir, Kai. Und es ist unsere Wohnung und unser Keller. Bitte hör auf, mich als deinen Vermieter zu sehen."

"Das bist du aber."

"Hm. Vielleicht könntest du ja einen Teil der Miete abarbeiten?" Jans Finger wanderten verlangend über Kais Oberschenkel. "Ich hab da grad so ein Bedürfnis, dich... mal zu... hm..." Die Finger wanderten unter Kais T-Shirt.

Kai grinste Jan an, dann umfing er die frechen Finger und bestimmte "Zuhause, nach einer Dusche. Dann bin ich bereit, was abzuarbeiten."

"Gleich wie?"

Kai ließ den Motor an und kämpfte sich aus der engen Lücke. Er wusste, was Jan meinte und zögerte nur kurz, dann nickte er: "Okay, gleich wie."

Jan seufzte und küsste seinen Hals: "Dann mal besser nicht."

"Nicht?"

"Dann sollte ich besser nicht mit dir schlafen, wenn du da jetzt schon keinen Bock drauf hast. Du tust immer so, als würdest du leiden."

Kai versuchte sich auf den Verkehr zu konzentrieren, zugleich schlug eine Alarmglocke in seinem Kopf an. Er wollte nicht wieder mit Jan streiten. Um Sex auf keinen Fall! Furchtsam musste er aber zugleich eingestehen, dass Jan Recht hatte. Er tat nicht nur so, er empfand es so. Es machte ihm ein mulmiges Gefühl, auch nur daran zu denken. Endlich scherzte er leichthin: "Ich bin eben nicht betrunken genug, Jan", um das Thema für das Auto abzuhaken.

Ging natürlich schief. Jan schmuste sich an ihn heran, hinderte ihn am Schalten und lenkte ihn ab, fast baute Kai deswegen einen Unfall und musste seinen Freund von sich schieben. "Bitte. Lass uns Zuhause darüber reden, Jan. Ich will ja auch, aber..."

"Ja. 'Aber' eben. Ich weiß, Kai."

Sie fuhren in die Garage ein und Kai stellte den Wagen ab, bevor er antwortete. In seinem Kopf führten die Vernunft und die Libido ein heftiges Streitgespräch. "Ich will wirklich, Jan." Kai zog den Wagenschlüssel ab und reichte ihn seinem Freund rüber. Es war nicht gelogen. Er wollte Jan, wollte ihn spüren, wollte außerdem, dass ihm einmal das passierte, das Jan immer zu passieren schien. Der absolut übergeile Sex. Jedenfalls benahm Jan sich dabei immer, als ob es das war. Das machte Kai neidisch, denn er amüsierte sich prächtig und er war auch befriedigt, aber nicht so absolut vollkommen hin und weg und in anderen Sphären wie sein Freund das zu sein schien.

Die kräftigen Finger mit den etwas angekauten Nägeln umfingen seine Hand unnachgiebig. Jans Blick richtete sich fast sehnsuchtsvoll auf sein Gesicht, dann flüsterte er leise "Lass es mich doch noch mal versuchen, Baby."

Nach einem tiefen Atemzug schüttelte Kai den Kopf. "Das wird kein Versuch, Jan! Ich will dich, wirklich... tu das nicht als Versuch ab." Er hatte es nur geflüstert.

Jan lehnte sich dichter und betrachtete seinen Gesichtsausdruck. Das grelle Licht in der Garage ließ sein Gesicht ernster, älter wirken. Dann nickte er und lächelte. "Auf jeden Fall freu ich mich darauf. Es ist nie nur ein Versuch mit dir, Kai. Es ist mir immer ernst."

Kai nickte nur und stieg hastig aus. Er hatte das Glück, dass Jan noch duschen musste. Das gab ihm genug Zeit, um sich vorzubereiten. Allerdings kam ihm noch etwas anderes dazwischen, um ihn abzulenken. Der Anrufbeantworter blinkte, Kai drückte nebenbei auf den Knopf und schenkte sich einen großzügig gemischten Gin und Tonic ein, auch wenn sein Inneres ihn auslachte, weil er mal wieder Alkohol brauchte, um sich der Geschichte zu stellen.

Er hatte gerade einen Schluck genippt, als die Galerie unbeantwortete Anrufe durch war, die nur ihren Spruch ausgelöst hatten. Als letztes sprach Pascal auf und Kai setzte das Glas ab und trat zum Telefon. "Hey, Kai. Wir müssen uns noch einmal unterhalten, glaube ich. Rufst du mich bitte zurück, ja? Ich bin morgen ab halb vier etwa Zuhause."

Nachdenklich spielte Kai sich die Nachricht noch einmal vor. Was wollte Pascal denn nun schon wieder von ihm? Noch einmal in diesem Reigen aus schlechtem Gewissen und schlechter Laune gefangen zu sein, stand auf Kais Prioritätenliste so weit unten, er hatte die Nummern noch nicht vergeben. Im Grunde hatte Kai gehofft, dass er Pascal die nächste Zeit gar nicht und dann vielleicht per Zufall einmal sehen würde. Genervt wollte er den Spruch gerade löschen, als Jans Arm seine Taille umschlang und er ihm den Drink weg nahm.

"Holla, willst du im Koma liegen, wenn ich es mit dir tue? Das fördert mein Ego nicht gerade, Kai."

Mit ein wenig schlechtem Gewissen blickte Kai seinen Freund an, aber Jan lachte ihn aus und nahm ihm in einer flüssigen Bewegung zugleich das Telefon weg und legte es neben das Glas auf den Tresen.

Kai starrte ihm auf den Hintern und vergaß Pascal zu Gunsten einer tüchtigen Geilheit. Grinsend entdeckte er dann, dass Jan sich aus dem Bad alles mitgebracht hatte, was er brauchte. Offenbar wollte Jan es dort tun, wo er Kai erwischte. So gejagt zu werden war wiederum komplett scharf. Kai begann sich darauf zu freuen, was passierte, wenn er Jan vielleicht ein kleines Weilchen entkam vorher. Hastig wich er ins Bad aus, wo er sich eine kleine Weile einschloss. Dort spürte Jan ihn auf, zwang ihn zur Aufgabe seiner Bastion und verwickelte ihn in eine Knutscherei, die Kai abbrach, um es nicht im Bad tun zu müssen.

Er wieselte ins Wohnzimmer davon, trank noch etwas von seinem Drink und entkam Jan in die Küche. Als er endlich unter dem Vorwand, den Tisch noch abräumen zu wollen, dorthin trat, erwischte Jan ihn endlich und zeigte auch gleich seine Ungeduld.

Jan drehte sich zu ihm zurück und hatte die Finger schon im nächsten Augenblick an Kais Hose, zerrte die Knöpfe auf und schob ihn nebenbei gegen den Esstisch zurück. Mit einem zufriedenen Grinsen streichelte er einmal die Erektion entlang, dann blickte er Kai an. "Das hingegen unterstützt mein Ego wieder sehr", murmelte er leise und drängelte sich zwischen Kais Beine, um ihn am T-Shirt Kragen zu packen und stürmisch zu küssen. Erst seinen Mund, wobei er Kai mit der Zunge neckend die Oberlippe entlang strich und sie mit den Zähnen fasste, gleich darauf küsste er vom Mundwinkel über Kais Hals zur Brust hinunter. Ungeduldig wurde Kais T-Shirt über seinen Kopf gezerrt und landete irgendwo in Richtung Küchentresen.

Jan zerrte an der Hose als nächstes und nur wenig später schob er Kai nackt auf den Esstisch hoch und drängelte sich mit den Hüften zwischen seine Beine, um die Knutscherei für eine kleine Weile wieder aufzunehmen. Kai genoss die Nähe, das Begehren und er genoss es, dass er sich in diesem Moment absolut sicher und wohl fühlte. Perfekt. Wenn er so mit Jan zusammen sein konnte, war es perfekt. Seine Haut zu berühren, machte ihn glücklich, machte ihn süchtig, seinen offenen Gesichtsausdruck zu genießen war Luxus.

Mit einem leisen Lächeln betrachtete Kai ihre Körper. So verschieden, seine Schultern waren so viel schmaler, der Bauch viel weniger trainiert, deutlich weniger definiert als Jans. Seine Haut war viel heller. Trotzdem oder gerade deswegen ergänzten sie sich perfekt. Kai war sich dessen ja bereits im ersten Augenblick sicher gewesen, obwohl Jan ihn von Mädchen und Fußball, von Autos und Saufgelagen voll gelabert hatte. Es war eine chemische Reaktion zwischen ihnen und eine Gewissheit zugleich, dass sie zusammen gehörten.

Jan dachte in die gleichen Bahnen. "Das passt so gut", murmelte er versonnen. Er schob seine Hand flach über Kais Hintern und unter seinen Oberschenkel, um das Bein um sich zu ziehen. Lächelnd ließ er seine Finger auf der Rückseite von Kais Bein entlang spielen, bis er am Hintern ankam. "Rück mal dichter, so komm ich nicht richtig an dich ran, Baby."

Kai atmete einmal tief durch, dann lächelte er und öffnete seine Beine weiter. Er küsste Jan noch einmal tief, dann stimmte er ihm leise zu "Das passt sehr gut." Mit einem kleinen Seufzen ließ er sich nach hinten sinken. Etwas angespannt, weil er damit schutzlos war, streckte er sich auf dem Tisch aus.

Jans Hände strichen ihm gleich darauf flach über Brust und Bauch. "Oh Gott. Wenn ich dich so vor mir sehe, kann ich mir nicht mehr vorstellen, wie ich das vorher nur hab aushalten können."

Kai stellte sein eines Bein auf der Tischplatte ab und blickte ihm ins Gesicht. "Aushalten?"

"Hm, ohne dich zu berühren. So zu berühren." Jan lehnte sich über ihn und schob sich mit dem Becken gegen ihn, begann dem ganzen allmählich einen Rhythmus zu geben, der Kai unweigerlich vom klaren Denken fort brachte. "Ich frag mich noch immer, wie ich im letzten Jahr hab zweifeln können. Daran, dass es richtig ist mit dir, dass es passend ist und einfach nur geil."

Einfach nur geil war gut beobachtet, das begann Kai allmählich zu werden. Er schloss die Augen und versuchte aus seiner Lage heraus noch nach Jan zu greifen. Dafür hätte er sich aufsetzen müssen, das ließ Jan nicht zu. Mit einer Hand flach auf der Brust hielt er Kai fest, mit den Fingern der anderen Hand neckten er ihn, lenkten ihn ab, brachten ihn dazu, den Berührungen zu folgen, obgleich er eigentlich selber gern etwas gemacht hätte. Jan ließ ihn nicht, hielt ihn einfach fest und begann ihn zu massieren, zu streicheln und sich gegen ihn zu bewegen.

Kai war derart in den ganzen Reizen gefangen, dass er das Gel gar nicht bemerkt hatte, mit dem Jan ihn irgendwann offenkundig versorgt hatte. Überhaupt hatte Kai eigentlich gar nicht mehr gedacht, nur seinen Höhepunkt herbei gesehnt, bis Jan begann, nebenbei irgendwie, in ihn einzudringen.

Kai verwunderte es, aber er spürte es kaum mehr als einen zusätzlichen Reiz. Seine Sinne waren auf andere Teile seines Körpers gelenkt, seine Gedanken wirbelten um die Frage, wie er Jan dichter kommen konnte und ob der Tisch noch unbequemer werden würde, wenn sie sich bewegten. Doch dann hielt Jan inne und Kai spürte ihn doch, spürte den Reiz, den Druck und auch wie er sich dem verschloss. Er wollte es noch verhindern, wollte weiter genießen, er wollte sich über die Nähe freuen, wollte geiler werden als zuvor davon, aber sein Körper fragte ihn nicht. Er spannte sich an, bis seine Beine von der Anstrengung, ruhig zu bleiben, zu zittern begannen. Und das, obwohl Jan sich nicht bewegte, sondern sich über seine Brust beugte, wo er kleine Küsse verteilte und leider auch Bisse und Knutschflecke.

Jan sah es ihm an, aber hielt ihn fest und bewegte sich letztendlich doch. Nicht wild, aber tief und gleichmäßig. Er hatte die Augen halb geschlossen, aber der Blick war konzentriert auf Kais Gesicht gerichtet. Kai hielt dem Blick nicht stand, wandte das Gesicht zur Seite. Mit geschlossenen Augen versuchte er sich passend zu bewegen, sich weich zu machen, offen, frei. Es gelang nicht. Und so war der Sex mit Jan zwar nicht schlecht und auch befriedigend, aber mal wieder nur durch das Zusammensein. Puren geilen Sex, allein durch den Umstand, dass er Jan in sich spüren konnte, so wie es Jan in der Lage immer ging, schaffte Kai einfach nicht. Frustriert starrte er seinen Freund an, nachdem sie gekommen waren.

Lesemodus deaktivieren (?)