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Trost 2

Kapitel 77-80

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 77

Am Montagmorgen wachte Kai an Jan gekuschelt auf. Das Bett hinter ihnen dehnte sich viel zu weit aus und die zweite Decke hatten sie auch nicht gebraucht. Jan dachte ebenso, nachdem er den weiten Weg zu seinem Nachttisch hinter sich gebracht hatte, um sein Handy auszuschalten. "Scheiße, Kai. Das Bett ist viel zu groß." Er krabbelte grinsend zurück, um Kai in den Hintern zu beißen. "Willste in die erste Vorlesung?" Seine Stimme hatte noch die Bettheiserkeit an sich und eine kräftige warme Hand schob sich vorn in Kais von einer Morgenlatte schon beengte Shorts. "Hm... oder langts zur zweiten?"

Kai drehte sich zu ihm um, streckte sich genießerisch und küsste ihn auf den Hals. Im Endeffekt kamen sie verkatert und müde zur dritten Vorlesung.

Kai traf dort auf Tini inmitten ihrer Clique der üblichen Leute und begann sofort damit, sich zu schämen. Sie waren geoutet. Offiziell. Jan und er durften sich in der Theorie nun also ansehen so lang sie wollten. Sie durften sich eigentlich sogar küssen, die Hand halten. Sie durften... aber sie machten es nicht. Sie kamen zugleich in den Hauptflur unter dem großen Hörsaal und flochten ihren Weg durch die Studentengrüppchen hindurch zu ihren Bekannten und Freunden, aber sahen sich nicht extra an, hielten nicht Händchen und küssten sich schon gerade nicht. Perfekt. Kai wäre vor Unbehagen ansonsten gestorben.

In stiller Übereinkunft driftete Jan zu seinen Kumpeln, die steif und gehemmt mit dem Reden aufhörten, als er dazu trat. Kai holte sich einen Kakao und überließ sich Tinis energischer Art. Ihr war die Erinnerung an den Verrätersex nicht peinlich. Natürlich nicht. Sie sprach ihn sogar sofort drauf an. "Wir sind jetzt ja nüchtern, Kai. Also versprich mir heute mal was, das du nicht gleich wieder nichtig machst, okay?"

"Hm?" Kai überlegte gerade, ob er den Tetrapack noch auf der Heizung deponieren sollte. Kiebig starrte er sie an. "Was soll ich jetzt schon wieder machen?"

"Versprich mir bitte, dass du Holger nichts aber auch gar nichts von dem Sex erzählst, okay?"

"Bist du verrückt?" Hastig sah er sich um, ob wer in der Nähe war. "Ich will das vergessen so schnell ich kann! Hör lieber selber davon auf!" Er ekelte sich ein wenig und warf den Kakao mit Schwung in den nächsten Müll. "Scheiße!"

Jan kam zu ihnen und nahm das Thema auf. "Scheiße, verdammte... scheiße. Blöde Arschlöcher."

Tini zog eine Braue hoch und blinzelte ein wenig. Ungefragt murrte Jan. "Matze und Piet sind leider nicht in der Lage, mit mir zur Party der Maschinenbauer zu fahren. Das sei doch nichts mehr für mich. Hab keinen Bock mehr auf die Ärsche und die Uni, ich fahr nach Hause."

"Sie wollen nicht mit dir feiern, weil du jetzt bi bist?" Tini wippte ein wenig auf ihren Zehen und sah zu den Jungs rüber, die hastig fortblickten und in ihren Rucksäcken kramten. "Pah, sind die retro."

Kai senkte den Kopf. "Tut mir leid. Ich bin im Hörsaal." Er ging fort, die Arme um sich geschlungen und biss sich auf die Lippe. Jan folgte ihm nicht, sondern ging mit schnellen Schritten aus dem Gebäude in Richtung der Parkplätze.

Nach der Doppelvorlesung sahen sie Jan dann doch in der Mensa auftauchen. Das Gesicht noch immer stur und ein wenig düster, aber nicht mehr so depri wie am Morgen. Kai nickte ihm leicht zu und Tini starrte ihn einen Augenblick lang an, dann fragte sie unsicher "Jan? Warste nicht superwütend weggefahren?"

Jan grinste ein wenig. "Hab wen getroffen, der mir gesagt hat, dass es heute Lamm als Extraessen gibt. Kai, willst du auch?"

Kai taperte wortlos mit Jan zusammen zur Essenausgabe und dort trafen sie auf Holger, der schon ein leeres Tablett in der Hand hielt. Er streckte sein breites Kreuz und lachte zu einem Scherz von ausgerechnet Jans Fußballfreund Matze, der sich vorhin abgewandt hatte. Holger stand mit dem Rücken zu ihnen und sah an Matzes Gesicht, das sich kühl verschloss, dass wer hinter ihm stand. Er drehte sich zu Jan um, während Matze sich mit kleinen Schritten rückwärts entfernen wollte. Jans Schultern versteiften sich merklich.

Holgers Blick ging zu Matze zurück, dann zu Jan wieder hin, dann lachte er in der üblich dröhnenden Art "Jan, mein Mann. Das wird dich kosten, Alter. Ich hab vielleicht einen Muskelkater! Scheiß Schlepperei und dann kein Fahrstuhl!" Er legte einen Arm um Jans Schultern und klopfte ihm einmal auf den Hinterkopf. "Und, nichts gegen dich, Kai, aber die Tunten hatten ein Chaos veranstaltet. Heiliger! Ein Umzug aus der Hölle." Er lachte nochmal und erzählte, während er sich zu Matze zurückdrehte. "Aber was für 'ne geile Wohnung! Matze... warste schon mal da? Lädst du uns auf einen Kaffee ein oder ein Bierchen, Jan? Ist es begehbar?"

Jan zögerte, ebenso wie Matze, dann nickte er und sagte leicht ätzend "Noch nicht so ganz. Wie wär es mit Donnerstag vor der Maschbauernparty?"

Kai ließ die Tuntenspitze geübt an sich abperlen und versteckte seinen Gesichtsausdruck, indem er schon voran ging. Die Stimmung war ihm zu hitzig und die Party war definitiv nicht sein Ding, da gab es keine Frage. Aber er war noch einmal mehr von Holger begeistert, der so einfach nebenbei die anderen auf ihre Idiotie hingewiesen hatte.

Als Kai mit einer Ladung Lamm an der kleinen Gruppe vorbei ging, war Tini zu ihnen getreten und Holgers große Hände hatten Jans Schulter zugunsten von ihrem Hintern verlassen. Piet war gerade aus der Bibliothek gekommen, ebenso wie zwei andere Typen und Bianca. Sie waren dabei, mit ihren Handys zu fummeln, redeten über ihre Ferien und die Praktika. Kai nickte nur knapp und ging an ihren Stammtisch vor.

Wenig drauf ließ sich Holger neben ihm nieder und Kai stellte kommentarlos seinen Nachtisch auf Holgers Tablett dazu. Holger grinste ihn fröhlich an und meinte dann im Essen matschend "Das wird schon wieder. Na klar sind die jetzt komplett geschockt. Ich weiß noch, wie ich es das erste Mal gerafft hatte. Liegt schon schwer im Magen. Bei dir nicht so. Du bist so gutaussehend, immer nett angezogen und schlau, war ja klar, dass es bei dir nur fair ist, wenn du schwul bist. Jan ist aber nicht der Typ, den man sich mit dir im Bett vorstellen kann."

Tini ließ sich geschmeidig gegenüber nieder und lachte. "Doch, ich schon." Sie linste von Kai zu Holger, der den Blick erwiderte und über den Tisch hinweg nach ihrer Hand langte. "Ist doch unglaublich heiß. Ausgerechnet die zwei. Wenn ich mir das so vorstelle, dann..."

Holger hob seine freie Hand. "Hey, hey... nichts für mich!"

"Danke, too much information, Tini. Ich verlier meinen Appetit!" giftete Kai sie knapp an, dann drehte er sich zu Holger um. "Was meinst du mit 'als ich es das erste Mal gerafft hatte'?"

Holger schaufelte ein Weilchen lang sein Essen in sich rein, dann sagte er leise. "Ist schon etwas her. Nach dem Skifahren war mir mit einem Mal klar geworden, dass Jan und dich nicht nur die legendäre Klausursymbiose verbindet. Dass er auf dich steht... wie so viele. Aber eben er, der eigentlich kein Stückchen den Vibe abgegeben hatte vorher. War, weil ich zum Lernen viel zu ihm ins Zimmer bin, weil er mit dem gebrochenen Fuß nicht so recht konnte. Er hat nix gesagt, aber der Liebeskummer war eindeutig nicht Biancas Schuld und dann die Bilder bei ihm, an der Pinnwand. Alle von dir. War ein give away."

Jan kam nicht zu ihnen an den Tisch, sondern aß bei Piet und Matze und seinem Kumpel Thilo. Kai sah ihn den Nachmittag durch die getrennten Kurse nicht mehr und fuhr im Anschluss mit dem Bus direkt zum LPP, ohne dass sie sich noch einmal gesprochen hatten. Kai war es lieber so. Anstrengende Gespräche und Sex konnten sie wirklich in ihrer Wohnung haben.

Im LPP löste er Henrike ab, die ihre Rastalocken in eine rotgefärbte Kurzhaarfrisur umgewandelt hatte. Henrike grinste ihn breit an, spielte mit ihrem Zungenpiercing und warnte ihn leise vor: "Maya kommt auch gleich... bestimmt zu spät. Viel Spaß mit der, die ist langsamer als 'ne Schnecke. Echt, reine Deko, die Tante."

Er war tatsächlich gemeinsam mit einem hochgewachsenen dunkelhaarigen Mädchen an der Bar eingeteilt. Sie war eine Musikstudentin und arbeitete entsprechend Henrikes Vorhersage nervend unkonzentriert und langsam. Nicht selten vergaß sie sogar Teile einer Bestellung. Kai fing ihre Fehler den Abend über auf und ärgerte sich darüber, dass sie dies nicht einmal kommentierte, wenn er ein Dankeschön erwartet hatte.

LPP machte montags bis donnerstags gegen elf Uhr zu, ab neun gab es schon kein Essen mehr. Der nächste Bus fuhr zwanzig nach, der nächste Bus vom Bahnhof viertel vor, perfektes timing, wenn man sich ran hielt und die Spülmaschine immer gleich leer machte. Leider konnte die dumme Schnake das nicht begreifen, was ihn fast noch den Bus vom Bahnhof gekostet hätte.

Kai war müde und ausgelaugt, als er gegen zwölf durch die Wohnungstür wankte. Er hörte erst nur leise Musik, Jans Geschmack war es nicht, also hatte er noch Besuch. Rasch ging er zunächst ins Bad und putzte seine Zähne. Um Zeit zu gewinnen, warf er sogar noch ein paar Klamotten in den Wäschesammler, die er am Abend zuvor einfach hatte liegen lassen. Dann lauschte er auf die Stimmen, mindestens Bianca und noch wer. Ausgerechnet Bianca!

Kai linste ins Wohnzimmer hinüber. Piet, ein Typ, dessen Namen Kai nicht zusammenbekam und Thilo hingen im Wohnzimmer über einigen Skripten. Bianca fragte auf der Couch liegend Jan ab, der vor ihr auf dem Hocker saß. Die anderen lagen auf dem Fußboden rum, in einem Haufen von Kopien, ein Laptop flimmerte vor ihnen.

"Oh. Ihr seid noch fleißig?" Kai ging zum Kühlschrank und nahm sich Eiswürfel für ein Glas Wasser.

Piet nickte und gähnte. "Freitag ist schon wieder die erste Klausur in unserer Gruppe."

"Oh je. Ich bin in der besseren Gruppe, erst nächste Woche dran."

Piet grinste ihn an. "Tu nicht so, Kai. Du hast eh schon genug Gesamtpunkte. Ich wünschte, ich wär so schlau wie du." Bianca lachte humorlos auf, aber sagte nichts. Kai konnte sich erinnern, dass gerade dieser Kumpel von Jan nicht so gut dastand, immer am Boden der Punktetabelle lavierte. Kai trat kurz zu ihnen und warf einen Blick auf die Skripte. Besorgt überlegte er, ob Jan das ohne ihn schaffen würde.

Jan blickte kurz abschätzend auf, eine Frage im Blick, aber Kai schüttelte den Kopf und sagte laut. "Ich bin erledigt. Diese blöde Maya kann nicht arbeiten. Ich geh schon schlafen."

Die anderen brummelten etwas undefiniertes und starrten ihm auf dem Weg in sein Zimmer hinterher. Kai zögerte kurz, dann krabbelte er in sein noch unbenutztes Bett und streckte sich aus. Die schwere Tür dämpfte die Stimmen und die Musik ab und Kai war müde genug, um eingeschlafen zu sein, bevor Jans Besuch sich abgesetzt hatte.

Jan weckte ihn irgendwann aus dem Tiefschlaf. "Willst du heute allein schlafen?" Kühle Lippen berührten seinen Nacken. Kai erschauderte und drehte das Gesicht. "Hm. Nö. Ich wollte nur nicht..."

"Du musst auf Deppen wie Matze keine Rücksicht nehmen, Baby. Die anderen hatten sicher keine Angst davor, uns beim Knutschen zu sehen."

"Doch, es ist nicht einfach für sie. Immerhin, sie kennen dich nur... anders." Megahetero hätte er fast gesagt. "Und ich, an Biancas Stelle, würde mich nicht so toll fühlen."

Er, an Biancas Stelle, würde sich gar nicht mehr privat mit Jan unterhalten, wenn dieser gerade mit dem neuen Freund zusammengezogen war. Bianca war eben... anders. "Wieso war die denn hier?"

Jan seufzte und rieb sein Gesicht mit den Händen, wie um die Müdigkeit zu vertreiben. Er schob sich zu Kai ins Bett. "Sie hat mir den Spiegel vorgehalten. Wir sind doch donnerstags gleichzeitig beim Unisport. Sie macht beim freestyle climbing mit und ich spiele beim Unisport erst eine Stunde Hallenfußball und dann noch ein wenig beim Basketball mit."

"Okay und wo ist der Spiegel?" Ungemütlich erinnerte Kai sich daran, dass er seit Wochen nicht mehr zu seinem Volleyball gegangen war.

"Tja. Nach dem Sport sind wir mit ein paar anderen am quatschen gewesen und Matze ist mir mit ein paar echt miesen Sprüchen auf die Nerven gegangen. Wir haben uns also gepflegt gefetzt und Bianca hat mir auf der Fahrt hierher dann gesagt, dass sie Matze verstehen kann."

"Was?!"

"Und sie hatte recht!"

"Wie? Was?" Verwirrt hob Kai den Kopf und blickte Jan ins Gesicht. Natürlich, das sture Kinn. Es würde gleich anstrengend werden.

"Sich zu outen, gleich als was, ist keine Einbahnstraße. Hat sie mir wörtlich so gesagt. Man steht nicht allein auf dem Berg und schreit in die Welt hinaus 'Ja! Ich liebe einen Mann! Welt, komm klar!" Er hatte einen Arm ausgebreitet und ließ ihn auf Kai zurücksinken, um ihn weiter zu streicheln.

Kai wurde rot und drückte Jan einen kleinen Kuss auf den Mund für die fast schon romantische Liebeserklärung. Jan legte den Kopf schief und zupfte an Kais ein wenig zu lang gewordenen Haaren. "Man steht eben nicht allein auf dem Berg da oben, wo man keine Antwort bekommt."

Kai legte das Gesicht auf den Unterarm und blickte Jan in die Augen, genoss die Wärme in seinem Blick. "Du hast recht. Man muss sich nicht nur outen, auch das Echo vertragen."

Jan nickte leicht und streckte sich. "Früher hab ich mich immer gewundert, warum du so kühl bist. Immer die Arme verschränkt, immer das Gesicht verschlossen, ausdruckslos. Jetzt weiß ich es. Ich schäme mich fast, aber dich in der Uni so kühl zu sehen, obwohl wir gerade drei Sorten Sex hatten, das hilft mir. Meine Freunde sehen mich genau wie immer, sehen uns genau wie immer und das macht es erträglich."

"Siehst du. Alles halb so schlimm."

"Nein! Es ist verlogen und feige! Wir sollten so nicht sein. Die Welt sollte so nicht sein!"

"Es ist angenehm und rücksichtsvoll. Und ich denke nicht an die Welt dabei, ich denke an mich. Du hast nicht nur dich geoutet, Jan. Mich mit. Vergiss das bitte nicht. Und ganz ehrlich, ich spüre täglich, dass es keine Einbahnstraße war. So leid es mir tut, ich muss Bianca recht geben."

Misstrauisch starrte Jan ihn an und Kai seufzte gepeinigt. "Der Physiologietutor hat mich angegraben. Ich hatte Glück, Tini hat ihn für mich abserviert."

Jan musste derart lachen, dass er sich fast vom Bett gerollt hätte. "Hätte nicht gedacht, dass ich der Tusse mal Dank schulde. Armer Kai. Wenn es dich entspannt, verspreche ich, dass wir so wie jetzt weiter machen. Ich versuche auch, Matze nicht in die Fresse zu hauen, wenn er nochmal über Bücken oder Gucken in der Dusche spricht, die dumme Sau!" Jans geballte Faust bei dem Versprechen wie auch der aggressive Ton war kein so gutes Zeichen, aber Kai streckte sich zufrieden aus.

Statt die Gedanken fortzuführen, fragte Jan gleich, typisch für ihn, nach dem Hauptproblem der nächsten Tage. "Wie machen wir das mit der Einweihungsparty? Alle zusammen hierher einladen?"

Kai stöhnte auf und rollte sich ein wenig von ihm weg. "Oh Gott. Keine Ahnung. Erst mal sind wir noch nicht fertig hier. Lass uns wann anders drüber reden, wenn wir die Kisten von Hannah alle weg haben." Insbesondere Küchenutensilien und überflüssiges Geschirr stapelten sich noch in ihrem Keller.

Komischerweise akzeptierte Jan und sprach es die nächsten Tage nicht mehr an. Die Uni, Jans Sport, Kais Job und die vielen kleinen Problemchen dazwischen. Einkaufen und wer mit den Kondomen dran war. Tini und was die sich einbildete, Kai immer zu küssen. Das LPP und was der Typ mit der engen Jeans neulich von Kai wollte. Jan und ob er bitte mal aufhören könne, Kai über Dritte im LPP auszuspionieren.

Matze und warum er Jan nicht zur Maschbauernparty dabei haben wollte. Bianca und ob das was zu bedeuten hatte, dass sie zu Biochemie ja wohl praktisch nackt erschienen war. Kai und dass er aufhören solle, hinter jeder Frau, die einen Rock oberhalb des Knies trug, eine Gefahr für Jan zu sehen. Der Trainer und ob ihm das von Jan wer gesteckt hatte, weil Jan ein Trainingsspiel über auf der Bank gesessen hatte. Die Prüfung und ob Jan die bestehen konnte, ohne zu schummeln. Es war ein Wirbel aus Fragen, die nicht leicht zu beantworten waren. Sie kamen nicht einmal dazu, Sex zu haben, so müde und ausgelaugt waren sie jeden Abend.

Am Donnerstagabend hatte Kai wieder Dienst an der Theke. Ein Abend mit mehr Publikum. Keine so stille Geschichte mit Kaffee und kleinen Snacks. Die meisten kamen für die Cocktails. Größere Gruppen. Studenten auf dem Weg zur nächsten Party und einige Schüler, die im Kino den neusten Film gesehen hatten und zur Happy Hour noch ein wenig darüber sprechen wollten. Leute von der Theaterschule die Straße rauf.

Die anderen Abende war das Publikum homogener, leichter im Griff zu behalten. Einige begannen gar zwischen den Tischen zur etwas lauter gestellten Musik zu tanzen. Aber das Trinkgeld war gut, wenn auch Kai genervt war, wenn ihn Mädchen kichernd anstarrten und sich nicht entscheiden konnten oder schlimmer, am Tresen warten wollten, bis er den Cocktail fertig hatte, statt sich der Bedienung zu überlassen. Er war noch nicht gut genug beim Mischen, um sich mit dem Publikum wohlzufühlen.

Kais Cocktailschule wurde kräftig in praktische Erfahrung umgesetzt. Zu seinem Glück war er mit Henrike und Bastian eingeteilt. Henrike war immer seine erste Wahl als Kollegin an der Theke und Bastian war gelernter Barista und Kellner, was die Kaffeemaschine aus Kais Aufgabenbereich nahm. Henrike mit ihrer dauerhaften Fröhlichkeit und Bastian mit seiner Kraft und irgendwie stoischen Ruhe halfen ihm, den Abend gut auszuhalten.

Jan schaute nicht vorbei. Er hatte Matze und Piet und Thilo auf seine unnachahmlich sture Weise gemeinsam mit Holger in die Mangel genommen, bis diese sich hatten breitschlagen lassen. Nach und nach war die Anspannung in den Cliquen gewichen. Jan und Kai wurden zwar noch hier und dort von albernen Mädchen oder pseudogeekelten Idioten belauert, aber es kamen keine dummen Sprüche. Zudem hatten es nicht alle mitbekommen. Kai war erleichtert, dass sein nahezu kompletter Kurs in Medizingeschichte ihn wie zuvor behandelte.

Jan und er boten in der Uni aber auch genau den gleichen Anblick wie immer. Sie saßen im Hörsaal zusammen, waren aber sonst kaum gemeinsam zu sehen. Sie küssten sich nie vor anderen, sie berührten sich wie zuvor nicht einmal, außer heimlich im dunklen Hörsaal, so wie immer.

Einen Großteil der Entspannung verdankten sie vermutlich auch Holger und Tini, die als neustes Vorführpärchen mit ihnen zu Kursen und in die Mensa gingen. Bianca ätzte in Biochemie zwar noch immer gern ein wenig rum, aber sie baggerte Jan nicht mehr an, was Kai sehr angenehm fand. Tini wurde als Busenfreundin von Kai nunmehr von einigen Kommilitonen nach ihm ausgefragt, aber zeigte erstaunlich viel Diskretion. Kai behandelte sie trotz all der Küsschen und Umarmungen, mit denen sie ihn überfiel, kühl und abweisend. Wie immer eigentlich, sie ignorierte dies ebenfalls wie immer und erzählte ihm alles... außer über Sex mit Holger.

Tini und Holger waren zwar zusammen, sie umarmten einander, küssten sich an der Bahnhaltestelle zum Abschied und tauchten Hand in Hand in der Mensa auf, aber so indiskret Tini sonst gern mal war, es gab kein Wort zu ihrem Privatleben jenseits der Uni. Tini behauptete zwar gelegentlich, dass Holger toll küssen könne, aber über Intimdetails und dergleichen machte sie auch in diesem Hinblick keine Andeutungen. Allerdings fragte Kai auch nicht nach.

Anstelle von Tini sah er am Donnerstag erst einmal Bianca wieder. Sie kam mit einer Freundin wohl nach dem Kino ins LPP gewandert. Enge Hose, bauchfreier Pulli und aggressive Art, Bauchnabelpiercing, komplett wie immer. Leider war sie ein Gast und er musste zu ihr gehen, als sie sich auf den Hocker drapierte. "Na, Kai?"

Noch immer nicht wenig grätzig auf sie blickte er nur knapp zu ihr auf. "Caipi?" Sie nickte, ihre Freundin bestellte den Cocktail im Angebot. Da Kai viel zu tun hatte und den Tussis die kalte Schulter zeigen wollte, erfuhr er nur von zufällig aufgeschnappten Wortbrocken, welchen Film sie gesehen hatten.

Es war kurz vor elf und die letzte Runde wurde ausgerufen, als Carl durch die Tür kam. Eigentlich hatten sie vereinbart, dass Kai ihn in der WG anrufen würde, wenn er losfuhr, damit sie sich dann vor dem Haus treffen konnten. Carl trug ein schickes dunkelbraunes Oberhemd, das genug Raum für seinen Bauch ließ und sein neuer Haarschnitt ließ das runde Gesicht ein wenig jünger und glatter wirken.

Die Hände megaschwul in die Taille gestützt blickte Carl ihn entzückt an. "Kaichen, du süßes Ding! Endlich hab ich dich gefunden!" Kai wurde rot und knurrte ihn nur an.

Carl wedelte dramatisch mit den Händen. "Ich war grad schon in der WG, aber Lolli und Benni hatten heiße Verabredungen und haben mich geschasst." Er plumpste auf einen der Hocker und begann eine unkomplizierte Unterhaltung mit Bastian und später auch Bianca während Kai ihm die bestellte Cola brachte. Das Aufräumen ging gut voran und schon kurz nach halb zwölf gingen sie durch den Hinterausgang aus dem Laden raus. Carl und Kai brachten den Weg zu Carls Auto durch kalten Nieselregen schweigend hinter sich.

Der kleine Citroen war für einen Wochenendbesuch ziemlich vollgestopft. Misstrauisch starrte Kai nach dem Anschnallen noch einmal auf die Taschen und Kisten zurück. "Was ist das für Zeug?"

Carl seufzte, setzte zurück und bog in den noch immer recht dichten Verkehr ein. "Hanno allein in meiner Wohnung, Schatz. Ich bin warmherzig, nicht wahnsinnig. Ich hab natürlich meine Wertsachen und die Stereoanlage sowie den Computer mitgenommen."

"Oh." Kai erinnerte sich an Hannos Hundeblick und fühlte sich nicht sonderlich wohl. Was war das nur für eine Beziehung? Wenn er daran dachte, dass er Jan einmal so misstrauen könnte... die Vorstellung konnte er gar nicht zu Ende führen.

Carl nestelte an seinem rosa Wackeldackel, dann am Radio, drehte leiser und wieder etwas lauter. An der nächsten roten Ampel seufzte er leise. "Es tut so weh. Jedes Mal. Mein scheiß Helferkomplex. Immer bin ich die nette Mutti, die diese Jungs aufbaut. Und kaum sind sie obenauf? Was machen sie? Verlassen mich für totale Verlierer oder schlimmer, Drogen. Ich hasse diese verdammten Drogen! Aber ich fall immer wieder auf diese Junkies rein!"

Ecstasy war Kai schon hier und dort auf einem Rave oder in der Schwulenbar, in der Lukas sich gern umtrieb, angeboten worden. Aber er hatte schlankweg Angst vor dem Verlust der Kontrolle und den Konsequenzen. "Hab noch nie was genommen, aber Lolli..."

"Ich mein nicht das bisserl Hasch, E meinetwegen, Partyzeugs. Auch das find ich scheiße, versteh es nicht falsch. Lolli oder Lukas oder was weiß ich noch wer nehmen das durchaus mal für den speziellen Kick, kenn ich. Ich mein die harten Sachen, mit denen sich diese Queens vorspielen, dass sie einen harten Schwanz nach dem nächsten wegstecken können, ohne müde auszusehen, ohne alt zu wirken. Crystal, das verdammte Scheißzeugs! Die ganze Nacht ficken wie die Karnickel und am nächsten Tag wie ein junger Gott auf dem Job? Zum Kotzen! Hab Hanno damit im Bad erwischt."

Kai schwieg schockiert und sagte statt einer Antwort endlich nur dezent den Weg an. Er kramte in ihrer Straße angekommen nach der Fernbedienung für das Garagentor. "Park in der Tiefgarage. Da das ganze Haus Jan gehört, kannst du dein Auto auf dem gesperrten Platz vorn abstellen. Hat er mir heute früh noch gesagt."

"Wie praktisch. Nimmst du meine rote Sporttasche, Maus? Dann muss ich nicht zweimal laufen. Ja... überhaupt sagst du da was. Wo ist denn dein Gatte überhaupt, meine Süße?" Emsig deckte Carl, kaum eingeparkt, schon die Kisten mit seinen Habseligkeiten mit einem schwarzen Laken zu. Kai sah dies mit Dankbarkeit, weil er schon Angst hatte, dass der Kram das Wochenende bei ihnen in der Wohnung zubringen sollte.

"Maschbauernparty mit den Fußballerfreunden. Ich hoffe, dass es nicht schief geht. Sie wissen ja seit Kurzem, dass wir zusammen sind."

"Lolli hat mir davon erzählt. Aber so richtig waren wir durch Hanno noch nicht zum Reden gekommen. Er hat dich vor allen anderen geküsst, hm? Naja, die Klamotten spielten im Rezitat eine größere Rolle als was sonst so los war. Jan hat also Sachen von Boss und Armani?"

Kai lachte. "Ja. Aber das trägt er nur, wenn seine Eltern das unbedingt wollen. Überhaupt, heute ist glaub ich der unschickste Abend, den er nur haben kann. Da sind die Klamotten echt egal." Insgeheim war Kai sich sicher, dass er extrem misstrauisch werden würde, wenn Jan freiwillig mit seinen Vorführklamotten ausgehen wollte.

"Ha, und du? Keinen Bock auf karierte Hemden, zu weite Jeans, warmes Bier und billige Witze? Ich bin schon mal mit einem Ingenieursstudenten im Bett gewesen... nun ja. Ich sach mal... du verpasst wohl nix."

"Ich bin froh. Die ganzen Weibergeschichten, die bei so was umgehen, find ich eher ekelig." Und insgeheim fragte sich Kai, wie Jan sich nun wohl verhalten würde. So wie immer? Blöde Sprüche und Frauen hinterherschauen?

Statt einer Antwort blinzelte Carl und sagte "Ach du heiliger Bimbam! The one and only Felix, was macht die Schlampe denn hier?"

Kai folgte seinem Blick. Felix trug schwarze Lederklamotten und einen Helm unter dem Arm. Er sah klasse aus, edel. Kai wandte sich hastig wieder dem Kofferraum zu, um eine der beiden Taschen herauszuzerren. "Leon, mein Chef auf dem Job im LPP, ist unser Nachbar. Felix lebt jetzt auch hier."

"Oh mein Gott." Carl verschloss die Kofferraumklappe, während Felix auf sie zu kam und Kai und ihn kurz grüßte. Carl und Felix kannten einander und sie konnten einander nicht ab. Das war sofort zu sehen. Der Ton zwischen ihnen war giftig süß. "Carla, du hier? Bei Kai?"

"Tja, wie du siehst besuche ich meine Freunde gelegentlich, auch wenn ich weggezogen bin. Und selbst? Noch mit Leon am vögeln?"

Felix blickte sie forschend kurz an, dann hob er die Schultern. "Wir haben seit drei Jahren eine gutgehende Beziehung. Nur vögeln... nicht mein Ding. Ich bin ja nicht wie du. Viel Spaß noch... ihr zwei."

Der Blick, mit dem er Kai noch bedachte, zeigte diesem, dass er ebenso in der Gnade gefallen war. Kai fragte sich verwirrt, was er verbrochen haben mochte. Er hatte wirklich und wahrhaftig nie mit Leon geflirtet, fern davon hatte er seinen Chef im LPP gar nicht zu Gesicht bekommen.

Felix verschwand vor ihnen in Richtung des Hauseingangs und Carl kicherte im nächsten Moment auf. "Woah, Zicke! Ich sage dir. Felix ist mir immer schon eine Nummer zu kalt gewesen und zu... selbstgefällig. Er hat sich vielleicht aufgeblasen, als wir ihm wegen Lukas eingeheizt hatten. Aber ganz ehrlich ist er ja nicht. Ich weiß, dass er gern mal rumbumst, von wegen Beziehung seit drei Jahren. Naja. Wollen wir, Liebes? Welcher Stock?"

Kapitel 78

Kai war noch nie ein guter Gastgeber gewesen und war froh, dass Carl sich als müde bezeichnete und gleich nachdem er einen Einkauf in den Kühlschrank befördert hatte, auch schon schlafen gehen wollte. Kai selber verzog sich mit einem Buch ins Schlafzimmer, steckte die zwei Windlichter von Hannah an, die Jan auf seinem Schreibtisch duldete, und löschte sein Licht. Im Endeffekt starrte Kai die Decke an und hielt sich mit Grübeln und Gedanken wach. Er wollte auf Jan warten, machte sich Sorgen. Er gab es zu. Zu diesem Zweck hatte er sogar die Zimmertür offen gelassen. Er lauschte auf die ihm noch fremden Geräusche aus der Wohnung, bis das Türschloss seinen Freund schließlich ankündigte.

Jan kam zu ihm ins Zimmer geschlichen und bemerkte erst, nachdem er sich ausgezogen hatte, dass Kai ihn anstarrte. "Baby, ist was? Hab ich dich geweckt?" Rasch setzte er sich zu Kai auf die Bettkante und hob sein Kinn für einen Kuss an. "Hm, Kerzenlicht steht dir. Ich putz mir rasch die Zähne. Hab bestimmt ein Bier zu viel gesoffen gerade. Grauenhafter Abend."

"Wirklich? Warum?" Angespannt wartete Kai mit Blick in Jans schattenhaftes Gesicht.

Jan lachte leise, durchschaute ihn. "Nur langweilig grauenhaft. Keine hübschen Frauen, lauter Kerle, die es nicht raus haben, warmes Bier. Nix schlimmes, Kai. Nur... Matze wollte doch nichts mit mir machen. Peinlich, der Typ."

"Bianca war mit einer Freundin im LPP vorhin. Sie haben sich an die Theke gesetzt und mich die ganze Zeit angestarrt. Hätten die nicht mit euch feiern gehen können?"

Jan grinste. "Du hast sie aber nicht versucht zu vergiften, oder? Thilo ist auf Bianca scharf, mit etwas Glück hat die bald einen neuen Stecher und ich bin sie los." Er lachte erneut und ging nackt wie er war ins Bad davon.

Kai starrte ihm auf den Hintern und legte nach kurzer Überlegung die Kondome und die Geltube aus der ersten Schublade auf den Nachttisch raus. Dann zog er sich sein Hemd über den Kopf. Da Jan die Tür offen ließ, konnte Kai den Flur runter sehen. Unter dem Türschlitz von seinem Zimmer drang ein Lichtschein, Carl hatte also doch noch nicht schlafen können. Kai vergaß dies jedoch, als Jan der Zimmertür einen kleinen Schups gab, bevor er sich nackt und etwas ausgekühlt zu ihm legte.

Kai hob die Decke an und Jan schmiegte sich seufzend gegen seinen Körper. Er knabberte an seinem Hals zum Ohr hin und murmelte leise "Hm, du hast mir gefehlt. Wie müde bist du so? Haste Bock?" Seine Finger fanden schon den Weg unter Kais Shorts und zwischen seine Beine.

Kai seufzte leise, er erhaschte einen Kuss. "Was meinst du, warum ich noch auf war?" Sie mussten beide leise lachen.

Gleich berührten sie sich gegenseitig, küssten sich und flüsterten miteinander. Jans Finger wussten genau, wie sie Kai umfassen und streicheln mussten, um ihn in kürzester Zeit dicht davor zu bringen. Schon bald schob Kai sich über Jan und drängelte sich zwischen seine Beine. Jan grinste an seinem Mund und presste ihn mit einer Hand enger an sich, die Finger der anderen Hand tasteten auf dem Nachttisch nach den Kondomen. "Oh, alles schon da. Gute Planung, Baby."

Kai grinste und wollte einen Spruch machen. Gleich darauf stöhnte er stattdessen auf, als Jans Finger ihn schnell und erschreckend geübt zum Höhepunkt streichelten. In der Hose mal wieder, Ferkelei! Und es war derart hastig geschehen, dass Kai auch so wusste, was Jan vorhatte. Kai wollte ihm jedoch erst einmal in nichts nachstehen und ließ Jan ebenso nicht entkommen, bis sich der kräftige Körper unter ihm anspannte und Jans Griff um seinen Unterarm schmerzhaft fest wurde. Kais Vorfreude auf die zweite Runde wurde gleich drauf von dem ekeligen Gefühl in seiner Shorts ein wenig getrübt. Grätzig rollte Kai sich von seinem Freund weg, bevor dieser ihn erneut küssen und noch mehr einsauen konnte. "Manno, Jan."

"Kann ich was dazu, wenn du so schnell kommst?" Ein etwas zu atemloses Lachen lag in Jans Stimme, er hatte selbst noch nicht genug und war ungeduldig. Kai warf die Shorts neben das Bett und atmete mit geschlossenen Augen ein wenig durch, kühlte sich ab und ließ sich über die Schultern streicheln. Jan wartete geduldig, bis Kai sich wieder umdrehte. Sie schmusten ein wenig und Kai fing Jans Hand mit dem Kondom zwischen ihren Fingern, um ihn erst einmal ein Weilchen küssen zu können, bevor er überfallen wurde.

Es wunderte Kai schon nicht mehr, dass sie beide schnell wieder bereit waren, weiter zu machen. Bei Jan wunderte Kai im Bett gar nichts mehr. Die Funken, das Kribbeln in der Haut, das Verlangen nach mehr war zwischen ihnen wie am ersten Tag und wurde beim Sex nur immer mehr und mehr, bis es kaum noch auszuhalten war. Eine Sucht nahezu. Kai verwickelte Jan in eine Knutscherei und versuchte ihn auf seine Brust hinunter zu lenken. Vielleicht gab es eine kleine Chance auf Oralsex zum Wochenende. Das wollte Kai auf keinen Fall unversucht lassen.

Doch Jan war zu geil für Raffinessen und hatte, wie so oft, einen bestimmten Plan für den Sex des abends. Er verwickelte Kai in einen tiefen Zungenkuss, während seine Finger bereits mit dem Kondom und Kais Schoß beschäftigt waren. Es erstaunte Kai noch immer, wie sicher und problemlos Jan zugleich mit der Zunge Kais Backenzähne untersuchen und ein Kondom auf seinen Schwanz rollen konnte.

Die Gleitmitteltube wurde jedoch Kai in die Finger geschoben und er tastete sich gehorsam vor. Das Gefühl der harten Muskeln unter seinen Händen und der Erektion, die schamlos an seiner Hüfte entlang gerieben wurde, machte ihn ohnehin schon scharf. Jan gab ihm mit leisen Worten wie immer Anweisungen. Recht bald schob Kai ihn jedoch von sich und überließ ihm die Positionswahl, während er noch mehr von dem Gel auf sich verteilte. Er hatte Glück, Jan ließ sich auf den Rücken sinken und schob sich eines der Kopfkissen unter den Po. Von vorn mochte Kai persönlich lieber, auch wenn er nicht selten dabei gebissen oder hart gegriffen wurde. Es gab ihm noch immer die Sicherheit, dass er sehen konnte, wie Jan sich fühlte.

Eigentlich war diese Sicherheit unnötig. Jan liebte es nach eigenen Angaben, wenn Kai mit ihm schlief und er sagte es sehr deutlich, wenn er etwas nicht mochte. Noch immer stand Jan drauf, unten zu liegen, oder seit einiger Zeit wirklich. Es war Kai meistens eher unangenehm anders herum, wenn auch gelegentlich, mit viel Alkohol, durchaus nicht ohne einen kurzlebigen Reiz. Seit sie reichlich Gleitgel verwendeten, waren sie selbst und die Bettsachen zwar immer eingesaut, wenn sie es getan hatten, aber der Sex war um Klassen besser geworden, als die ersten Male. In peinlichen Unterhaltungen, recht ähnlich denen zwischen seiner Mutter und ihm früher, hatten Jan und er sich mit dem Thema Verkehr und wie es am besten geht befasst.

Die Gespräche waren peinsam und anstrengend gewesen, aber es hatte sich wirklich gelohnt. Der Sex war mit Rücksicht auf gewisse Dinge stetig besser geworden. Auch in dieser Nacht konnte Kai problemlos eindringen und sich rasch schneller bewegen. Er umfasste Jan mit noch etwas feuchten Fingern und streichelte ihn gemütlich aber ohne Umwege zum Höhepunkt hin. Weil Jan seine Beine selbst anstellte und aus dem Weg hielt, kamen sie sich nicht in die Quere und Kai konnte sich auch voll auf ihn konzentrieren.

Kai konnte Jans Höhepunkt nicht nur spüren, sondern ihn auch noch dabei ansehen. Die geschlossenen Augen, der leicht verschwitze, herrlich angespannte Körper und die leisen Worte und Geräusche, die Jan dabei machte. Es war wundervoll. Zudem konnte Kai sich hinterher, gleich nach einer kleinen Putzaktion so richtig über seinen Freund hermachen. Seine Brust entlang küssen, seinen noch offenen Mund einnehmen, seinen Geschmack und das Gefühl des rasenden Puls' unter seinen Fingern genießen. Zugleich konnte er sich ohne schlechtes Gewissen auch rücksichtsloser in ihm bewegen. Wie immer, wenn Jan unten lag, war es Kai wichtig, zuerst ihn befriedigt zu sehen. Es war meistens erstaunlich leicht, dies zu erreichen.

Jan, von den Höhen des Orgasmus noch nicht vollständig zurückgekehrt, begann eine leidenschaftliche Knutscherei, die zwar den optimalen Winkel versaute, aber es auch um einiges schöner machte. Gut an diesem Abend war, dass Kai tüchtig durchhalten konnte, weil er vom Arbeiten müde war, etwas Alkohol vom Feierabenddrink intus und schon einen Orgasmus hinter sich hatte.

Er wollte das Zusammensein nach all dem Stress die Woche über aber auch genießen, auskosten, jetzt nicht irgendwie hastig selber fertig werden. Er bewegte sich nur leicht aus der Hüfte, während Jan seinen Mund mit der Zunge einnahm. Und noch besser war an diesem Abend, dass Jan schon wieder hart wurde, bevor Kai auch nur annähernd davor war zu kommen.

Konzentriert hielt Kai sich zurück und dachte an einen Heteroporno mit hässlichen Männern und dickbusigen Weibern mit langen Nägeln, um länger durchhalten zu können für seinen Freund. Gar nicht an Sex zu denken, klappte angesichts seiner Lage nicht sonderlich gut. Jan aber anzusehen, seinen verschwitzen harten Körper, den lustverhangenen Blick und den dunklen Schatten der Schamhaare, seinen schönen Schwanz. Ihn, erregt, wegen Kai. Ihn so zu sehen wäre nun ganz verkehrt, um die Ruhe zu bewahren. Der Anblick würde ihn sofort zum Kommen bringen. Viel zu früh. Er beendete lieber die Knutscherei und presste Jan mit beiden Händen fest in die Kissen zurück. Er schaffte es, den Winkel zu verbessern und Jan noch intensiver zu reizen bei jedem Stoß.

Jan warf seinen Kopf zurück, biss sich auf die Lippen und griff ziellos nach Kai, bis er ihn erwischte und erneut dichter zu sich holen konnte. Stöhnend krallte Jan sich in seine Hüfte, zerrte ihn wieder zu sich herunter, küsste ihn wild und biss ihm in die Schulter, den Hals hinauf und ins Ohrläppchen. "Mehr... Baby, schneller!"

Kai schloss die Augen und versuchte, der Forderung zu entsprechen. Schauer jagten seinen Körper entlang, er war zu dicht dran für weitere Zurückhaltung. Jan, das nahm er am Rande wahr, löste Kais hart streichelnde Finger auf seinem Schoß ab und machte es sich selbst. Er kam gleich darauf. "Oh. Oh Gott, Kai..." Jan ließ sich nach hinten fallen und hielt ihn mit einer Hand fest, während Kai sich nur noch für sich selbst zum Höhepunkt bewegte. Gleich drauf war Kai erlöst und genoss die rasenden, fast schon schmerzlichen Gefühle. Noch erschaudernd ließ er den Kopf auf Jans Brust sinken.

Während Kai keuchend versuchte, zu sich selbst zu finden, vernahm er ein leises "Bleib noch in mir. Das ist schön" Jan stöhnte noch einmal sich streckend auf und knabberte an Kais Halsseite, seine Finger strichen locker neckend über Kais Rippen und die Wirbelsäule. Ein Bein umschlang seinen Hintern. "Hm, warsgut."

Kai grinste ihn an und entzog sich trotz seiner warmen Gefühle recht rasch. Er mochte Sauereien im Bett nicht und ein verlorenes Kondom war definitiv eine Riesensauerei. Jan streckte sich erneut nach allen Regeln der Kunst und blinzelte ihn lasziv lächelnd an. Eine zufriedene Katze war gar nichts dagegen. Kai küsste ihn auf die verschwitzte Stirn, dann reichte er ihm ein Taschentuch, mit Blicken suchte er schon nach seinen Schlafsachen.

Er stand auf, und noch während er überlegte, ob er sich für den kurzen Weg zum Bad was anziehen sollte, drehte er sich zur Zimmertür. Die stand halb offen, und nicht nur die. Carl stand in der Tür zu Kais Zimmer und gaffte vollkommen weggetreten rüber. Das Licht war überall aus in der Wohnung. Die Außenrollläden runter, es gab außer in ihrem Zimmer keine Lichtquellen. So waren Jan und Kai, in den Schein der Kerzen eingehüllt, sicherlich ausgezeichnet zu sehen.

Kai knallte die Tür zu und warf sich dagegen. Sein Gesicht wurde heiß. "Scheiße!"

Jan blickte ihn müde und zufrieden an, dann rollte er sich aus dem Bett, um Kai noch einmal über den Hals und die Schulter zu küssen. "Hm? Wasnlos?"

"Carl. Hat. Uns. Zugesehen!"

Jan blinzelte, dann lachte er und riss die Tür wieder auf. Carl stand noch immer, wo er gewesen war, eine Hand am Herzen. "Ach, der ist ja hier. Habichvergessen. Meier, du Spanner!" Er blickte zu Kai zurück und feixte noch immer. "Willst du duschen? Da komm ich mit."

Kai verschränkte die Arme. Offenbar war Jan zu betrunken oder zu befriedigt, um sich schämen zu können. Es blieb wieder alles an ihm hängen. Mit heißen Wangen und Ohren und pochendem Herzen musste Kai tief durchatmen, um sich abzuregen. Noch im gleichen Augenblick schwor er sich, Carl nie wieder ins Gesicht zu sehen und ihn schon gerade nie wieder hier übernachten zu lassen.

Carl quiekte leise, aber sagte nichts, sondern verzog sich in Warpgeschwindigkeit ins Zimmer zurück.

Kai kniff die Augen zusammen, während Jan die Kerzen auspustete und ihr Fenster öffnete. Nackt und wortlos tappten sie durch den dunklen Flur ins Badezimmer hinüber. Jan schaltete nur ein kleines Notlicht an, sodass Kai seine knallroten Ohren und die Knutschflecken nicht auch noch im Spiegel sehen musste. War sicherlich besser so.

Als sie nach kurzer Dusche noch immer herrlich nackt beieinander im Bett lagen und sich müde und zufrieden küssten, fragte Kai leise "Macht dir das nichts aus?"

"Was? Dass Carl uns eben bespannert hat? Geht so. Ich kann mir schöneres vorstellen. Aber ich muss sagen, ich bin echt froh, dass wir es erst nach dem Sex gesehen haben. Wenn du mittendrin aufgehört hättest, ich glaub, ich wär verrückt geworden. Shit, bin ich heftig gekommen."

"Nee. Ich meinte eher, weil er jetzt weiß, wie wir im Bett ticken." Unangenehm berührt friemelte Kai an der Nachttischlampe herum und ließ die Kondome in der Schublade verschwinden.

"Dass du oben liegst, wissen doch seit Lukas alle, oder?" Jan schien das nicht zu interessieren.

Kai hob die Schultern. "Ich glaube nicht. Lukas ist nicht so 'ne Tratsche."

"Echt? Ich hätte gedacht, allein um mir einen einzuschenken, erzählt er das rum."

"Er hat es nur seiner Schwester gesagt. Na gut, die hat es wiederum Tini gesagt, die mich daraufhin angefallen hat."

"Ach ja... die Sache." Jans Stimme schnarrte leicht, aber er raffte Kai enger an sich. "Vergiss sie, vergiss den Meier."

"Hm, okay. Das war es irgendwie wert. War wirklich gut."

Jan lachte. "Eigenlob, Kai?"

"Wieso?"

"Na weil du es mir so geil besorgt hast eben." Kai ruckelte ein wenig pikiert herum und Jan lachte. "Verdammich kannst du einen rannehmen. Ich bin vollkommen hinüber."

"Geht es? Hab ich dir wehgetan?" Besorgt blickte Kai Jan kurz ins Gesicht.

"Nein, aber sagen wir mal so. Morgen besser nur Blümchensex, okay?"

Kai lachte, dann grummelte er. "Morgen erst mal Carls Grinsen ertragen."

"Eher seinen Neid. Der arme Mann. Gerade eben zieht sein Exfreund aus der Wohnung und dann muss er uns beim Sex zusehen? Fair ist das nicht gerade gewesen."

"War ja keine Absicht... nun wirklich nicht. Allein der Gedanke hätte mich..."

"Ja. Stimmt. Wah. Gute Nacht jedenfalls. Ich bin hundemüde, reden wir morgen weiter." Ein Kuss noch, dann raffte Jan Kai an sich und pennte Sekunden später wirklich ein.

Am Morgen schlief Kai noch, als Jan grummelig und verkatert zu seiner Klausur in die Uni fahren musste. Kai hatte am Nachmittag erst einen Kurs und konnte oder vielmehr musste dementsprechend mit Carl frühstücken. Als er aufstand, roch es schon nach amerikanischen Pfannkuchen und Kaffee. Carl grinste ihn über das ganze Gesicht an. "Frühstück, Kai? Nach gestern Nacht musst du doch sicherlich wieder zu Kräften kommen, oder?"

Kai schloss kurz die Augen, dann seufzte er und hangelte sich auf einen der Barhocker am Küchentresen. "Dass ich dich hier hab pennen lassen, werde ich echt bereuen. Lolli war ja schon indiskret, aber du gibst der Sache echt einen neuen Namen, du Spanner!"

Carl schaufelte Kai zwei Pfannkuchen auf einen Teller und goss Sirup drüber. "Wenn ich ein Spanner bin, mein Liebes, bist du die Mutter der Exhibitionisten und außerdem... ich wusste gar nicht, dass du kleine Maus so ein hammerharter Top bist. Dazu dann noch Jans geiler Körper... ganz ehrlich, Kaichen. Du verlangst zu viel von mir, wenn du denkst, ich geh in den Flur, seh euch vögeln - du bildschön und erstaunlich ausgestattet und er der Wahnsinnskörper auf zwei Beinen - und ich geh dann einfach brav wieder? Solche Dinge muss man feierlich auskosten." Er faltete kurz die Hände und wirkte als würde er 'Amen' sagen.

"Schweig oder schlaf in der Garage bei deinem Kram, klar? Jan hat die Tür nicht mit Absicht offen gelassen. Er hat ganz wirklich und ehrlich einfach vergessen, dass du hier pennst."

Carl wendete den nächsten Pfannkuchen mit einem geschickten Manöver. "Und ihr habt nicht einfach so eine Show abgezogen? Für eure liebe Tante Carla?"

Kai kaute aus, dann hob er angewidert die Schultern. "Show? Bist du verrückt? Wenn ich das gemerkt hätte, wärs sofort aus gewesen. Wäh! Außerdem, so doll war das doch nun wirklich auch wieder nicht."

Carl schnappte nach Luft und ließ sich gegen den Herd sinken, eine Hand auf dem Herzen. "Kai! Bist du verrückt? Ganz ehrlich. Willst du mir etwa sagen, dass ihr zwei immer solchen Sex habt?"

Kai blinzelte verwirrt. Im Grunde waren sie eigentlich immer ziemlich wild dabei, wenn sie erst mal dazu kamen. "Nein. Jan kommt nicht immer so oft dabei, aber..."

"Oft wie in mehrfach?! Oh. Mein. Gott." Carl wedelte mit den Händen. "Ich hasse dich. Ich hasse euch. Dank der letzten Nacht bin ich nun dauergeil, und zwar so richtig und rate mal was?" Er stieß seinen Zeigefinger gegen Kais Brust. "Ich. Hab. Keinen. Freund! Das ist nicht auszuhalten!"

Kai verdrehte die Augen und grinste dann ein wenig mies. "Du wolltest hier pennen. Thema durch, klar? Was machst du heute?"

Carl erholte sich von seiner Verzweiflung und zählte artig auf. "Euch bekochen. Shoppen mit Lollita, Lena und vermutlich Benni. Später am Nachmittag wollte ich zu Lukas fahren, weil der sich eine neue Sonnenbrille geordert hat bei mir. Vielleicht kann ich ihn auch zur WG locken. Kann ich einen Schlüssel haben? Dann wär ich unabhängiger."

Kai blinzelte kurz, dann nickte er. "Aber du hältst deine Klappe wegen gestern Nacht, verstanden? Ich hab keinen Bock auf..."

"Keine Sorge. Ich hab keine Lust das 'mental image' heraufzubeschwören und dann mit Dauererektion in der Urologischen zu landen. Wie soll ich denen erklären, dass ihr zwei Süßen Schuld seid und nicht etwa eine Überdosis Viagra."

Kapitel 79

Jan hatte seine Klausur bestanden. Irgendwie, trotz Party bis in die Nacht, einer Überdosis Bier und Sex hatte er zudem reichlich Energie, als er mit von der Kälte draußen leicht geröteten Wangen zu ihnen in die Küche kam. Kai war an seinem Schreibtisch verschwunden, um für die nächsten Kurse zu lernen. Carl hatte eine Kiste mit Küchenkram von Hannah ausgeräumt, lautstark die Küche umsortiert, das Mittagessen vorbereitet, mit Lolli telefoniert und Lukas zu einem Treffen in der WG überredet.

Es gab ein raffiniertes thailändisches Gericht mit derart vielen Zutaten, dass Kai schwindelig wurde. Jan nahm das Essen als Entschuldigung für die Indiskretion und das blöde Grinsen von Carl hin und schaufelte es ohne weiteren Kommentar zur letzten Nacht in sich hinein. Kaum damit fertig schnappte er schon sein Handy und die Sporttasche und knutschte Kai in der Küche vor Carl in ein halbes Koma. "Warte nicht auf mich, Kai. Ich bin mit einigen Leuten zum Lernen und später ins Strohfeuer verabredet."

Kai nickte nur leicht und murmelte "Hab morgen früh Dienst und werde glaube ich nicht lange machen heute. Samstag schaun wir mal, ja? Viel Spaß."

Jan blickte zu Carl zurück, der am Abwaschen war und grinste "Ich wecke dich dann, wenn ich wieder da bin, Baby."

Kai lachte auf, aber schob ihn, ohne in dieselbe Kerbe zu schlagen, zur Tür hinaus. Ihnen beiden war klar, dass Jan Kai sicherlich nicht wecken würde, wenn dieser am nächsten Morgen zur Arbeit musste. Carl konnte ja gern denken, was er wollte.

Carl hatte ihr Gespräch zwar verfolgt, aber aus anderem Grund. "Kaichen! Bist du dann vielleicht morgen Abend frei? Willst du mit Lolli und mir ins Stroboskop? Es ist Schwesternnacht und ich geb dir den Eintritt aus."

Misstrauisch blickte Kai zu Carl hinüber. "Warum?"

Carl seufzte. "Weil du süß bist und ich nett?"

"Okay. Lass mich die Frage umformulieren: warum?"

"Ich will nicht mit Lolli und Jiffi allein in den Laden. Die zwei hängen mich eh ab und lassen mich dort allein sitzen."

"Ah." Das machte Sinn. Eigentlich mochte Kai laute Discos nicht und das Stroboskop war immer sehr anstrengend.

Er hob die Schultern. "Ich bin morgen von halb neun bis gegen fünf im LPP. Kann ich einfach sehen, wie müde ich dann bin und spontan entscheiden?"

Zudem wusste er noch nicht, was Jan vorhaben mochte. Vermutlich war es etwas mit Leuten, die Kai nicht mochte, mit Frauen, Bianca wohlmöglich, oder mit Jungs, die auf Weiberjagd gingen. Da störte Kai aus zwei Gründen. Einmal war er bei solchen Partys kühl und angewidert und ruinierte die Stimmung. Zum anderen sah er gut genug aus, um die Mädchen abzulenken. Das hatte ihm Holger mal erzählt. 'Nicht böse sein, Kai. Du hast eh keinen Bock, mit uns zu kommen. Dann tu es auch nicht und lass uns Normalsterblichen eine Chance.' Damals hieß das natürlich, dass er Holger eine Chance mit Tini lassen sollte.

Mit einem Mal fragte Kai sich, ob die zwei es nun schon getan hatten. Rückblickend war es schon auffällig, dass Tini ihm erst einen Bericht über den weiteren Verlauf androhte, um dann so gar nicht Wort zu halten, wo sie ihm doch sonst sogar erzählte, wenn sie ihre Tage hatte. Er überlegte gerade, ob er Tini beim Nachmittagskurs sehen würde, als sein Handy bimmelte und ihm genau die Tussi anzeigte, an die er sich, genau wie Jan es prophezeit hatte, offenbar so langsam gewöhnte.

"Wer an den Teufel denkt, der wünscht ihn herbei." Grummelig meldete er sich und wurde von der Neuigkeit überrascht, dass der Kurs ausfallen würde. "Du hast dir die Vorlesung gespart, daher dachte ich, ich sag dir das weiter. Nur falls Jan es vergessen hat."

Kai blinzelte und seufzte. "Hat er vergessen. Danke."

"Hm. Was machst du am Wochenende?"

"Hab Besuch, Carl ist hier."

"Oh, wie geil!" Kai blickte von seinem Handy zu Carl hinüber, dann ging er mit raschen Schritten in die Küche. "Meiersche, für dich."

Carl wischte sich hastig und mit verwirrtem Blick die Hände sauber, dann nahm er Kai das Handy ab, beim Blick auf das Display erhellte ein strahlendes Lächeln sein Gesicht. "Tini-maus! Meine Allerliebste! Wie geht es dir, Süße? Nein, leider nicht so toll. Hanno hat..."

Kai verdrehte die Augen und flüchtete an seinen Schreibtisch zurück, während Carls Stimme in verschiedenen entzückten Höhenlagen eben durch die Tür zu ihm drang. Als Carl ihm das Handy zurückreichte, informierte er Kai auch gleich darüber, dass Tini sich natürlich eingeklinkt hatte in den Samstag der Menschen mit Stil und Geschmack.

"So, ich bin jetzt unterwegs. Lolli hat mir gerade eine Nachricht geschrieben, dass er wach und ausgehbereit ist. Gehab dich wohl, bis heute Nacht irgendwann. Ich hoffe, dass Lukas was nettes mit Sex vor hat, einen Clubabend oder so und mich mitkommen lässt. Nach der letzten Nacht brauch ich dringend etwas Ablenkung."

Carl schlang seinen Schal um und schnappte sich zwei Flaschen Prosecco. "Und bitte, lasst die Tür ruhig offen stehen. Wenn ihr das so gewohnt seid, Kaichen, mich stört es auch nicht."

Kai zeigte Carl statt einer Antwort den Mittelfinger und drehte sich nicht einmal zu ihm um, bis die Tür ins Schloss fiel.

Kai konnte die Ruhe tatsächlich genießen. Er beendete sein Lernpensum, schrieb Leon von Jans Computer eine Mail wegen der Dienstpläne und räumte die verbliebenen Kisten aus und in den Vitrinenschrank von Hannah ein. Die Wohnung zeigte sich nun im frühen März so richtig von der Schokoladenseite. Trotz der dunklen Möbel von Hannah war alles mit einem Mal hell und freundlich. Die hohen Fenster ließen die blasse Sonne ein und Kais Laune und Zuversicht stiegen deutlich.

Er machte sich einen Kaffee und verzog sich damit auf den Balkon in die Sonne. Mit Jans dickem Pullover war es ganz gut auszuhalten und er konnte die Spaziergänger auf dem gegenüberliegenden Weg am Stadtwald beobachten. Aber nicht nur er war draußen. Nebenan waren die Stimmen von Felix, dunkel, weittragend, und Leon, mühsam beherrscht, zu vernehmen. Kai konnte die Worte nicht ausmachen, aber sie stritten, eindeutig.

Wenig drauf sah er Leons Geländewagen die Straße hinauf verschwinden. Er blinzelte und genoss die Erinnerung an die letzte Nacht zwischen Jan und ihm noch einmal mehr. Sie waren sich einig, sie waren so verliebt, wie es nur möglich war und der Sex war großartig. Was konnte man sich mehr wünschen?

Wolken zogen auf und verdeckten die Sonne, sodass Kai zu frösteln begann und gerade wieder in die Wohnung zurückgehen wollte, als er Lukas bemerkte. Verwirrt schaffte Kai es nicht mehr schnell genug, ihn zu rufen und ging neugierig, ob Lukas und Carl sich vielleicht falsch in dieser Wohnung verabredet hatten, durch die Diele nach vorn.

Doch Lukas klingelte nicht an ihrer Tür, und als Kai durch den Spion blickte, sah er, dass Felix gegenüber auf ihn wartete. Die beiden sahen gut aus zusammen. Felix edel und zickig, Lukas wie immer, Sex in konzentrierter Form, aber auch nicht wenig genervt. Sie begrüßten sich mit einem stummen Nicken.

Kai blinzelte und rieb sich die Augen, dann lehnte er sich an den Flurschrank zurück. 'Leon ist fort und schon ist Lukas hier? Carl meinte doch auch, dass Felix nicht gerade treu ist, oder?' Es berührte ihn irgendwie schon unangenehm, dass er offenbar dabei zugesehen hatte, wie sein Chef vom Liebhaber betrogen wurde. Ausgerechnet mit dessen Exfreund. Das musste wehtun. 'Ob Felix das will? Ihm wehtun?'

Das Telefon klingelte. Es war Pascal, der Kai über einige Längen von seinen persönlichen und nicht sonderlich spannenden Problemen berichten wollte. Es drehte sich um Bürointrigen. Kai hingegen wollte irgendwie einflechten, dass Carl ihn und Jan bespannert hatte, aber leider war Pascal nicht in der Lage, auf seine Andeutungen zu achten. "Ich bin auf dem Weg in deine WG. Lolli hat noch Werkzeug von mir. Sind die da?"

"Ich glaube eher, dass sie noch shoppen sind. Versuch mal sein Handy." Kai nannte Pascal die Nummer und schrieb seinen Freund als Gesellschaft für den Abend ab. Wenn der erst einmal in die Falle zwischen Lolli, Carl und Prosecco gefallen war, kam er da nicht wieder heraus.

Ein Blick in den Fernsehteil der Zeitung zeigte ihm, dass es nichts gab, was die Mühe wert war und vom Aufräumen und Lernen hatte Kai eindeutig genug, also warf er sich mit seinem Buch ins Bett und stellte sich für eine Stunde tot, bis er tatsächlich eingeschlafen war.

Vermutlich war es die Resterschöpfung gewesen, aber Kai wurde erst am anderen Morgen von seinem Wecker wach. Jan lag neben ihm wie ein erlegtes Stück Wild und roch noch nach Party und Rauch. Kai weckte ihn gar nicht erst, sondern machte sich für das LPP zurecht. Bevor er los musste, linste er kurz zu Carl herein, doch der verbreitete einen ebenso totgeschossenen Eindruck. Also kochte Kai ihnen eine Kanne Kaffee auf Vorrat und schob ab zur Arbeit.

Das LPP machte um neun Uhr auf und bis dahin mussten die Kaffeemaschinen auf Vordermann sein und die Einkäufe eingeräumt, die Tische mit den Blumen versorgt und sauber. Kai war die erste halbe Stunde noch allein mit dem Koch eingeteilt. Leon war nicht da, sondern hatte Bastian den Schlüssel für die Kasse überlassen, und der kam erst zur Öffnung. Am Anfang war der Raum noch kühl, sodass Kai erst einmal im Pulli die Tische fertigmachte und die Kaffeemaschinen startete.

Als Bastian zur Tür herein kam, war Kai gerade damit befasst, mit Glitzerstift den Tagescocktail auf den Spiegel mit ihren Ankündigungen zu schreiben. Bastian und er ergaben im Spiegel ein gutes Bild der Gegensätzlichkeiten. Bastian war sehr kräftig gebaut, ein dunkler Typ, hatte ein breites Kreuz und trug seine braunen Haare zu lang, an diesem Morgen gar zum Zopf zusammengefasst.

Als sie gemeinsam in die T-Shirts, an diesem Tag dunkelgrün, wechselten, sah Kai die Tattoos, die den Rücken seines Kollegen überzogen. Keltische Symbole über der Hüfte, ein Engel mit blutigen Tränen darüber. Bastian erwischte Kai beim Starren und grinste. "Bin mal in einer Rockerbande gewesen. War eine böse Zeit. Bin froh, dass mich der Schock über einen Todesfall damals da rausgeholt hat. Und ich bin froh, dass Leon mir diese Chance gibt." Er streckte sich und rollte die T-Shirtärmel auf die Schultern hoch. Auf den Oberarmen hatte er auch breite Tattoos. "Und das, obwohl ich kein Stück schwul oder lesbisch oder sonst wie cool bin."

Kai grinste ein wenig. "Nicht lesbisch? Dabei bist du doch ganz schön butch." Das Wort zu wählen wagte er auch nur, weil Henrike schon Witze in dieser Richtung gemacht hatte.

Bastian lachte auf und schüttelte den Kopf. "Da wär mein Hasi nicht so glücklich mit, glaube ich."

Hasi, das war Bastians ein und alles. Er hatte ein Bild von ihr im Schlüsselanhänger, aber vermutlich auch sonst permanent vor Augen. Hasi war im wirklichen Leben eine blondierte Frau namens Michelle mit Hang zu schrillen Klamotten und nach Kais privater Meinung eine ziemliche Wuchtbrumme. Aber in diesem Fall zählte seine Meinung wirklich nicht. Kai blickte Bastian nachdenklich an und fragte dann aus einer Eingebung heraus "War das eigentlich teuer?"

Bastian bewegte den Kopf und die Schultern, wie um sich vor einem Kampf zu lockern. Der Mann strahlte eine leise, sehr gut unterdrückte Aggressivität ab, gleich, was er tat. "Das Tätowieren? Die Worte und Tribals nicht so, aber der Engel war teuer. Hat mir Tanja gemacht, von Easy Ink hinterm Kaufland. Die hat einen schönen Stil. Mein Hasi hat sich ein Bild von einigen Feen und Elfen und so von ihr um die Brust stechen lassen, das ist fast wie ein Foto geworden. Aber Tanja, die ist teuer."

Er schob Kai zur Theke vor, als die ersten Leute auf der Suche nach überteuertem Kaffee und Bagels zu ihnen in den Laden traten. "Willst du dir auch was stechen lassen?" Bastian warf den CD-Wechsler an. Die Musik legte Leon fest, auch die Lautstärke. Mit Klebepunkten war die erlaubte Lautstärke für morgens und abends markiert. Sanfte Soulmusik erfüllte den Laden, eine schöne Frauenstimme.

Kai hob die Schultern und verpasste zwei Gästen ihre Abholnummern für das Frühstück. Er gab seine Bestellungen durch das Fenster an den Koch durch. Das System war herrlich. Kai und Bastian mussten sich nur um den Kaffee oder Tee kümmern, das Essen wurde an einer kleinen Theke nebenan abgeholt, die Nummern sahen die Gäste auf einem Leuchtband. Aber morgens musste Kai die Tische abräumen, erst für die späteren Schichten mit mehr Betrieb gab es Mädchen, die dabei halfen. Bastian kümmerte sich schon um die Zapfanlagen und die schweren Fässer für Cola und andere Softdrinks.

Die dezente Musik vermischt mit dem Gemurmel und Lachen der Gäste, dem Zischen und dem herrlichen Duft aus den Kaffeemaschinen zeigte ihre beruhigende Wirkung auf Kai. Bastian machte ihm einen Latte Macchiato mit extra viel Milch und sie lehnten sich nebeneinander gegen die Spülmaschine.

"Ich hab kein Motiv, aber irgendwie finde ich den Gedanken schön." Er dachte an Lukas' Teufelchen und die Eidechse auf Lenas Ohr. Ihm fehlte auch eine Idee, wo er so was hinhaben wollte.

Bastian nippte von seinem Espresso. "Du hast gar nicht gefragt, ob es wehtut. Das machen sonst immer alle."

"Natürlich tut das weh. Darum geht es doch nicht, oder?"

"Würde ich nicht so sagen. Für einige ist der Schmerz nicht unwichtig dabei. Das kann einen Rausch erzeugen. Piercings ja auch. Es heißt immer, wenn man einmal angefangen hat, dann hört man nicht mehr auf."

Kai verschränkte die Arme. "Ich muss sagen, ich steh nicht so auf Schmerzen, lasse mir beim Zahnarzt auch immer eine Spritze geben."

Bastian lachte auf. "Das dachte ich mir."

"Kann ja nicht jeder so butch sein wie du."

Sie lachten noch, als Kai Pascal aus einem beginnenden Regenschauer zu ihnen herein kommen sah und sein genervtes Seufzen nicht verhindern konnte.

"Stalker von dir?"

"Nö, Schulfreund. Ist unglücklich verliebt. Das nervt irgendwie."

"Aber nur, wenn man selber glücklich ist. Das bist du, oder? Hasi meinte schon, du strahlst seit Tagen immer so."

Kai spürte, wie er rot wurde, aber Bastian hatte sich dem Koch zugewandt und entschuldigte sich mit Blick auf die ruhigen Tische in seine Zigarettenpause.

Pascal bestellte einen Saft und ließ sich in Kais Ecke der Bar nieder, um ihn seufzend zu beobachten. "Lukas war gestern Abend dabei", eröffnete er dann auch erwartungsgemäß das Gespräch.

"Dabei? Wobei?" Kai unterdrückte sein Seufzen, aber blickte nicht von den Obstkisten auf, die er aus dem Kühlfach genommen hatte. Nebenan übernahm Bastian aus der Pause zurückgekehrt die Theke und den Verkauf von einigen Latte Macchiato to go. Er hatte also Zeit und musste sich Pascals Erzählung stellen.

"Hat Carl dir noch nichts erzählt?"

Kai begann Limetten für die Caipirinhas des Abends zu vierteln und schüttelte den Kopf. "Er und Jan haben beide noch gepennt, als ich los musste. Wo wart ihr denn?"

"Wir, das waren Carl, Lolli, Benni, Lena und ich, waren erst gemeinsam ein wenig in der Stadt und dann im Express. Lolli und Lena wollten irgendwie beide Dekostoff kaufen. Lolli macht eure Möbel schön? Sind die so fürchterlich?"

"Das ist noch kein Ausdruck. Von Hannah geerbt. Jans verstorbene Großmutter."

"Ah. Jedenfalls sind wir dann wieder in die WG und Geoffrey ist vorbei gekommen. Du, das scheint trotz der Entfernung was ernsteres zu sein mit den beiden."

"Echt? Jiffi und Lolli... oh Mann. Gut, dass ich da raus bin." Kai machte eine Pause und packte die Limettenschnitze fort, um sich den Erdbeeren für Daiquiris zuzuwenden. "Du warst noch gar nicht bei uns, bist du nicht neugierig?"

Pascal nickte leicht und lächelte entschuldigend. "Ich bin ein ziemlich schlechter Freund gerade, nicht? Wie wäre es, wenn ich bei euch übernachte, wenn wir nächstes Wochenende bei Lena feiern? Die wohnt nicht weit vom Park, da könnten wir vielleicht sogar laufen."

Kai blinzelte und stöhnte auf. "Ach du Scheiße, das hab ich total vergessen. Ich arbeite am nächsten Samstag spät hier. Das geht bis wenigstens zwei in der Nacht. Mist! Ich versuch mal zu tauschen. Vielleicht kann Maya ja... die ist eh geldgeil und darf nicht so viele Abendschichten, weil sie so lahmarschig ist. Was war nun mit Lukas?"

Pascal nippte noch einmal von seinem Saft. "Er und Carl hatten es irgendwie beide nötig. Die waren rattig, dass es nicht mehr feierlich war, und sind zusammen weg."

"Ach ja?" Kai grinste, obwohl er ein wenig rot wurde dabei. "Carl hatte sich das vorgenommen. Bei Lukas ist das Normalzustand. Und?"

"Nix und. Wenn der so geil ist, warum dann nicht auf mich?! Ich war da. Ich hab mich praktisch auf ihn geworfen, verdammt noch mal! Was soll das? Ich dachte, dass er vielleicht doch was von mir will und dann, von einem Moment auf den nächsten ist der Ofen aus!"

"Der hatte es doch im Rücken, vielleicht..."

"Nee. Ich glaube, dass Felix damit was zu tun hat. Seit Lukas weiß, dass sein Ex in der Stadt ist, kann man ihn vergessen."

Kai verschwieg, dass er Lukas und Felix zusammen gesehen hatte, aber grübelte darüber nach. Wenn einer mehr wusste, würde es Carl sein und der war Kai am Abend sicherlich ausgeliefert, wenn Kai mit ihm ins Stroboskop ging. Schwesternnacht war immer ziemlich ausgelassen. Dragqueens und aufgebrezelte, halbnackte Tänzer heizten die Atmosphäre an.

Erst nahm er Pascal das Versprechen ab, auch zur Schwesternnacht zu erscheinen. Pascal wollte ihn im Endeffekt sogar abholen kommen. "Ich kann euch fahren und die Wohnung ansehen, wenn ihr wollt. Ich hab gestern genug getrunken, reicht für das Wochenende."

Als ihm die Arbeit ein wenig Luft ließ, tippte Kai deswegen eine Nachricht an Carl, dass er mitkommen wollte. Und das, bevor er Jan nach seinen Plänen hatte fragen können. Er hatte aber Glück. Jan holte ihn am Abend aus dem LPP ab, so dass sie diese Unterhaltung nicht vor Carl führen mussten.

Kapitel 80

Jan tauchte kurz vor Schichtwechsel in saudreckigen Sportsachen auf und machte ein für den morgendlichen totgeschossenen Eindruck nun sehr frisches Gesicht.

"Hey du." Jan blickte von Bastian zu Maya, die gerade zu ihrer Schicht kam und wieder zu Kai zurück. Kai hielt seine Schultern steif, möglichst abweisend, aber lächelte kurz. "Ich kann gleich mitkommen, muss nur noch das Hemd tauschen. Wartest du hier?"

Jan legte den Kopf schief, dann ließ er Kai laufen und lehnte sich gegen die Theke. Als Kai jedoch in Richtung der Schließfächer im hinteren Teil ging, hörte er noch Bastians Stimme sagen "Ah, du bist Kais Freund, nicht wahr?"

Jans Antwort wurde von der dicken Tür verschluckt, aber die beiden redeten noch, als Kai mit seiner dicken Winterjacke wieder nach vorn kam. Es ging um Fußball, was Kai wenig wunderte. Bastian war ausgerechnet Fan von Jans Fußballverein. War wohl eine lokale Sache aus Jugendzeiten. Auf jeden Fall kam raus, dass Jan tatsächlich ein guter Spieler sein musste. Kai nahm sich vor, doch mal zu einem Spiel hinzugehen. Die beiden Männer unterhielten sich, bis Hasi anrückte, um ihren Basti abzuführen.

Kai nutzte die Zeit, um Maya seinen Samstagabend zu verkaufen. Maya, ganz der Geldhai, den er in ihr vermutet hatte, schnappte sofort zu und versprach, Leon selber über den Tausch zu informieren.

Jan hatte mit dem Abholen natürlich Schönwetter machen wollen bei Kai. Er zischte mit seinem Golf noch schnell über eine gelbe Ampel und schob an seiner neuen Brille, dann fuhr er durch ein gewagtes Manöver rechts an einem Bus vorbei. Fast entschuldigend sagte er "Ich bin schon wieder verabredet. Mein Team will heute Abend zusammen in den Irish Pub am Stadion gehen, weil grad kein Spiel ansteht. Hast du was vor?"

Es war ihnen beiden klar, dass Kai nicht mit Jan kommen würde. Kai erlöste Jan sofort. "Ich geh dann wohl mit Carl und den anderen ins Stroboskop."

Jan lachte auf. "Oh, oh. Schwesternnacht? Mit Carl? Bist du sicher?"

Kai musste auch grinsen. "Nein, natürlich nicht. Aber ich geh mit, um Pascal zu begleiten. Der ist dermaßen unglücklich wegen Lukas, dass es schon nicht mehr lustig ist. Der muss unbedingt an den Mann gebracht werden, so nervt er mich nur."

"Samariteranfall?"

"Ich will nur meinen Freund zurück. Heute wollte ich ihm von Carl und uns erzählen... naja, war doch irgendwie lustig im Nachhinein, und er? Hat nicht mal zugehört."

Jan grinste. "Deine Andeutungen versteht aber auch kein Mensch, Kai. Wenn du Alkohol intus hast, dann wirst du uns sicherlich gekonnt bloßstellen, keine Sorge."

"Was? Nein!"

"Doch. Du willst also ein schwules Wochenende? Klingt anstrengend und nach Kater morgen früh."

"Keine Angst. Tini wird auch dabei sein heute Abend. Da werde ich nicht so viel trinken. Allein aus Selbstschutz! Damit wird es schon mal ein sehr ausgewogenes Chaos geben. Keine Orgien wie sonst mit Lolli und Carl. Und... Lukas wird gar nicht da sein. Jedenfalls glaube ich das nicht." Und wie er sich da irrte, sah er schon sehr wenig später.

Carl hatte mit dem Bekochen noch nicht aufgehört. Es gab ein kompliziertes vegetarisches Gericht und Blaubeerkuchen als Dessert. Dazu dann leckeren weißen Wein, dem Carl gar nicht und Jan nur zögerlich zusprachen, sodass Kai doch mehr trank als geplant.

Das Essen war im Endeffekt auch der Grund, weswegen Jan Kai abgeholt hatte. "Carl war schon fast fertig mit Kochen und ich dachte mir, dass ich dich rasch hole, damit wir zusammen essen können."

Natürlich wollte er Carl nicht allein in die Falle gehen und Carls Grinsen, während er zwischen Kai und Jan beim Essen hin und her blickte, war kaum breiter möglich. Sie saßen am Tresen und Kai stellte für sich fest, dass Jan auch noch Hannahs Esstisch hätte nehmen sollen, wo er schon dabei war. Jedenfalls würden sie einen Esstisch brauchen, wenn sie in Zukunft noch mehr Besuch bekamen.

Die breitgrinsenden Blicke der Meierschen machten Jan angriffslustig. "So, Carl. Haste dich denn wieder abgeregt?"

Die Spitze perlte an Carls sonnig reminiszentem Lächeln ab. "Ja, danke der Nachfrage. Das geht schon wieder. Lukas war ein Engel und hat mich in die Vulkan-Sauna mitgenommen. Eine heiße Angelegenheit, besonders am Wochenende. War gut was los dort und ratet mal was..." Er faltete die Hände vor dem Bauch und grinste noch mehr. "Oder ratet mal wen... ich dort in der Sauna schönes gesehen habe? Beim Vögeln?"

"Nein. Felix?" Kai blinzelte das Essen an, dann warf er einen Seitenblick auf Jan. Der machte ein Pokerface und aß friedlich vor sich hin.

"Stimmt genau. Lukas ist ziemlich wütend gewesen, hat ihn angemacht vor allen anderen, hat ihn dann fast an den Haaren raus gezerrt. Wow. So hätte er mal damals mit dem kleinen Wichser umgehen müssen. Schon komisch." Carl seufzte. "Leider sind die zwei dann zusammen wech und ich musste das Taxi berappen. Naja. Das war es wert. Ich bin jetzt... sagen wir mal... sehr ausgeglichen." Er machte sein freundliches Tantengesicht. "Noch Nachschlag, Jan, mein Schatz?"

Kritisch blickte Jan über den Tresen hinweg. "Hast du keine Angst, dir in so 'nem Laden was zu holen, Carl?"

"Hm? Irgendsoeine Schwulenseuche, Janileinchen?" Der Ton war böse und entging Jan natürlich nicht. Kai wurde rot.

Jan war in Diskussionen vertieft aber gar nichts peinlich. "So meinte ich das nicht. Piet ist hetero, aber treibt sich auch dauernd rum. Hat sich bei seinen 'Abenteuern' auch schon mal was weggeholt. Das finde ich wirklich... Ist dir das nicht ekelig?"

Carl verzog den Mund. Man konnte sehen, dass er 'spaßfrei' dachte. "Auch wieder wahr. Wenn er sich was mit einer Tussi geholt hat, ist es echt ekelig. Erspar uns bitte die Vorstellung. Ich hatte mal eine GO, ist schon ewig her, vorm Kartoffelkrieg war das. War nicht so lustig. Ehrlich gesagt megapeinlich, aber einmal erkannt auch schnell behoben. Dann nach einem Frankreichurlaub hatte ich mal diese doofen Läuse, wie heißen die nochmal?"

Kai hob die Hand. "Danke. Ich esse noch, wenn es okay ist." Er sah zu Jan rüber. "Ich hab kein Interesse an so was, mach dir keine Sorgen." Und gleich drauf legte sich eine Hand auf sein Knie und Jan lächelte ihn leicht an. "Mach ich auch nicht."

"So wie ihr übereinander herfallt, braucht ihr euch keinerlei Sorgen zu machen, ihr süßen Wildkaninchen." Carl stieß mit der Kuchengabel in die Luft. "Ah, Filzläuse! Das war es!" Er plinkerte Kai an, der sich unwillkürlich zu kratzen begann. "Dagegen helfen auch Kondome nicht. Das sind so Viecher, die sich..." er rührte mit dem Finger über seinem Schoß im Kreis "… in die Schamhaare krallen und von dort krabbeln sie beim..."

Jan warf seine Gabel auf den Teller und holte Luft. Kai machte sich bereit, Carl zu erwürgen oder zu erstechen.

Pascal rettete Carl in diesem Augenblick das Leben. Kai hatte seine Gabel in Angriffsposition, als die Türklingel ihn zusammenzucken ließ. "Ach, Passi wollte uns abholen kommen." Er lief in den Flur durch und drückte den Türsummer. "Dritter Stock!", rief er nur knapp, dann schlappte er zu den anderen in die Küche zurück. "Ist noch früh, oder? Vielleicht mag er ja noch was essen, bevor wir losfahren?"

Carl blinzelte Kai an. "Oh. Pascal kommt heute auch mit?" Es klang merkwürdig dünn und Kai blickte ihn kiebig an. "Hast du ein Problem mit ihm?"

Carl sprang auf und holte einen weiteren Teller aus dem Oberschrank, in den Kais Mutter doch beim Umzug Mehl und Zucker einsortiert hatte. Offenbar hatte Carl nicht nur gekocht in der Küche, sondern alles umsortiert. "Nein. Nein! Ihr seid nur beide so oberniedlich. Für wen entscheide ich mich denn, wenn ich mit einem megasüßen Flirt angeben will, hm? Dich oder Pascal?"

"Oh, störe ich?" Pascal passte haargenau in die Umschreibung megasüß. Er trug eine Kombination aus hellblau und hellbeige in sehr eng am sehr trainierten Körper anliegend. Er hatte seine Haare etwas mehr ins Gesicht gestylt. So erreichte sein Pony fast die Augen. Unsicher, noch in Jacke, stand er in der Tür und blickte zwischen ihnen hin und her. Kai umarmte ihn kurz und ließ sich auf die Wange küssen. Carl drückte Pascal fröhlich grinsend einen Teller in die Hand. "Iss was, Passi. Du kannst es brauchen, wie du ausschaust."

Sich gegen Carl zu wehren, war aussichtslos. Pascal lächelte unsicher zu Jan rüber und ließ sich vollstopfen. Carl war zudem indiskret ohne Grenzen und beschrieb Pascal und ihnen haargenau, was er mit Lukas und später ohne ihn in der Sauna unternommen hatte. Zu seinen Ehren beinhalteten seine Unternehmungen keinerlei Verkehr mit Fremden. Er gab vielmehr zu, dass er sich ohne Lukas nicht so richtig wohlgefühlt hatte und nach einer Dusche, die zugegeben schneller hätte ablaufen können, gefahren war. Alles andere hätte Kai aber auch endgültig den Appetit verdorben.

"Er war sauer auf Felix? Warum?" Pascal lehnte ein zweites Stück Kuchen ab, aber ließ sich Kaffee nachschenken.

"Tja. No lo sé, mi corazón." Carl räumte die Spülmaschine ein und begann ein wenig hektisch die Töpfe abzuwaschen. Pascal und Kai sahen ihm tatenlos zu und lästerten ein wenig über die Lolli-Jiffi-Kombination.

Jan hatte sich geduscht und rasiert und dann ein Weilchen im Internet gesurft, vermutlich nach Sportergebnissen. Er kam für einen Abend in der Disco umgezogen zu ihnen zurück und lehnte sich von hinten an Kai an, der noch auf einem der Barhocker saß. "So. Ich bin dann weg. Wir sehen uns erst morgen irgendwann, vermute ich mal, oder?"

"Hm." Kai lehnte sich an Jans warmen Körper zurück, sein Kuschelgen sprang an und verlangte einen Abend zu zweit, den es vielleicht irgendwann auch tatsächlich mal geben würde. Er blickte Carl in die trügerischen Unschuldsaugen. "Morgen wird ein ruhiger Tag, denke ich mal. Keine Arbeit, kein Stress und unser 'lieber Besuch' hat sicherlich was vor."

Carl blickte sie süß lächelnd an. "Aber immer doch. Ich werde mich gern für ein paar Stunden in ein Museum absetzen, damit ihr zwei übereinander herfallen könnt."

Pascal blinzelte zwischen ihnen hin und her, aber senkte den Blick leicht errötend, als Jan Kais Kinn für einen Abschiedskuss zu sich herumlenkte. Kai drehte sich lieber richtig um und zog ihn zwischen seine Beine. Es war verrückt. Er hörte Pascal noch zu Carl sagen, dass er am anderen Nachmittag zu einer Vernissage gehen würde, ob Carl nicht auch Lust hätte, dann berührte Jans Zungenspitze seine Unterlippe und alles verschwamm. Carl und Pascal verschwanden wie in einen Nebel, als er in die Goldfunken in Jans Augen blickte. Die rauen Finger neckten unter dem Pulloverkragen seinen Hals entlang und sein Körper überzog sich mit Gänsehaut.

Das Kuschelgen bekam vom Sexgen einen kleinen Tritt und verging in Depressionen, als Kai sich an seinen Freund heran presste und seine Hände auf den Hintern hinunter schob, noch bevor sie sich richtig zu küssen begannen.

Jan griff ihm in die Haare und schloss die Augen, bevor er Kais Mund mit einem hitzigen Zungenkuss einnahm. Er schmeckte nach Zahnpasta mit Pfefferminz und Kai seufzte leise auf, während er erschauderte. Doch gleich darauf ließ Jan ihn los und murmelte "Mal sehen, vielleicht wecke ich dich doch später..." Er grinste und nippte Kais Lippen noch einmal schnell. "Oder du mich. Bis nachher, Baby." Er trat zurück, hob grüßend die Hand und war gleich darauf aus der Wohnungstür verschwunden.

Carl atmete geräuschvoll aus. "Das ist Folter! Kai du unmöglicher Sadist! Reicht ja noch nicht, dass Jan superscharf ist, der Traum meiner feuchten Nächte, nein. Nein! Er muss es auch noch mit dir zusammen sein. Oh Mann!"

Pascal kicherte laut auf und nahm sich ein Geschirrhandtuch, um Carl zu helfen. "Er hat Recht, Kai, ihr seid obszön."

"Du nicht auch noch!"

Carl lachte laut auf. "Und ob ihr schön seid!"

Kai verschränkte die Arme, aber konnte sein Grinsen nicht unterdrücken. "Blöde Tucken. Lasst mich in Ruhe glücklich sein."

Er ging erst einmal rasch ins Bad und grinste sich im Spiegel an, dann machte er sich frisch, putze sich die Zähne mit Jans Zahnpasta und brauchte noch über eine Stunde vor dem Kleiderschrank, auch und vor allen Dingen, weil Pascal ihm ins Schlafzimmer folgte und von Lukas vollquatschen musste.

Carl hatte erst einen Kontrollanruf bei Freunden getätigt, um Hanno aus der Ferne überwachen zu lassen und trieb sie endlich an, weil Tini ihnen vom Treffpunkt eine Nachricht geschrieben hatte, dass sie den Tisch nicht mehr lange würde halten können.

Und leider, als hätte Kai nicht schon genug von dem Thema gehabt, kam Lukas ihnen gleich im Express, ihrer Kneipe zum Warmwerden, entgegen. Und ihm auszuweichen, war im Express vollkommen vergebens. Der Laden war schmal, zu einer Seite komplett von einer Glasfront begrenzt, an der Sehen und Gesehen werden die Devise des Tages war. Den Flirt klarmachen oder, besser noch, dem Ex den neuen Flirt präsentieren. Der perfekte Ort für Exhibitionisten und Dramaqueens.

An der anderen Seite zog sich vorn eine verchromte Bar lang. Die Barkeeper waren alle saumäßig unfreundlich und hektisch. Das gehörte zum guten Ton in diesem Laden dazu. Hinten durch fanden sich ein paar zu kleine Bartischchen mit hohen Hockern. Dazwischen war es einfach nur voll. Das Express war immer vor und nach der Discozeit, also bis gegen zwölf-ein Uhr und dann in der Früh ab vier wieder brechend voll. Dazwischen verschwanden die Partygänger in die jeweiligen Discotheken und es kehrte dort relative Ruhe ein.

An der Bar herrschte Gedränge, die Happy Hour mit 'zwei für einen Preis' für Cosmo, Mischungen und Bier hatte die Sinne und Wünsche der Leute besetzt. Kai, der sich anbot, allen etwas mitzubringen, geriet im Trubel fast sofort Lukas ins Gehege, der sich mit Cocktails und Bierflaschen zu seinem Tisch weiter hinten wieder durchboxen wollte. "Oh. Hi." Unsicher blickte Kai Lukas einmal ins Gesicht, dann schielte er nach hinten an ihren Tisch. Pascal hatte Lukas noch nicht gesehen, er umarmte gerade Tini und küsste sie auf die Wange. Gereizt schob Kai jemanden neben sich mit dem Ellenbogen weg. Es war einfach zu voll. "Geht es dir gut?"

Lukas reagierte nicht wie gewünscht, nicht einmal wie erwartet. Er ließ ein Raubtierlächeln sehen, dann drückte er Kai seine Getränke in die Hand. "Nimm, Engelchen, ich hol' mir neue. Wer ist in deiner Gruppe dabei?"

"Carl, Tini und Passi bislang. Lolli und vermutlich Jiffi wollten erst im Stroboskop dazu stoßen..."

"Jiffi? Schon wieder? Wird das ein Thema mit den beiden?" Lukas' Finger spielten mit einer Zigarette, während er Kai sein Tablett aufdrängte.

Kai nahm, sich in Lukas' Gebot fügend, die Bierflaschen und die zwei Gläser Cosmopolitan an und hob die Schultern die Frage betreffend. Dann war er hilflos, als Lukas ihn anfiel, küsste und seinen Hintern derb einmal kniff. "Lukas, du miese Ratte!"

"Mein naives Rotkäppchen. Pascal ist bei euch? Dann verzichte ich lieber. Man sieht sich nachher im Darkroom."

"In your dreams. Danke für die Drinks." Während Kai möglichst hoheitsvoll davonstakste, überlegte er, warum Lukas noch immer nichts von Pascal wollte. 'Ich frag ihn später im Stroboskop einfach noch mal.' Das Sexualgen erwachte schläfrig wieder und erkundigte sich nach den Chancen auf ein Gespräch im Darkroom. Kai blickte entsprechend verärgert, als er mit dem Bier und den Cocktails an ihre Tischhälfte trat.

Sie teilten sich auf. Er nahm ein Bier, Tini und Carl die Cosmopolitan und für Pascal blieb die Cola, die Tini sich zuvor schon ergattert hatte. "Und? Wo steckt Holger?"

Tini schlug die Beine übereinander und prostete Carl zu. "Vermutlich dort, wo Jan auch steckt. Er hatte jedenfalls schon was vor heute Abend."

"Jan ist mit seinen Fußballern im Irish Pub." Grätzig starrte Kai in den vorderen Teil der Bar hinüber, wo er das Spiegelbild von Lukas ausmachen konnte. Musste der Mann so unverschämt gut aussehen? Neben Lukas sah er in der Gruppe einiger anderer Freunde ausgerechnet Felix. Kai hustete und musste sein Bier hastig absetzen. "Scheiße!" Er fing sich, aber es war schon zu spät, Pascal war seinem Blick gefolgt. "Oh." Und der Abend ging bergab.

Die Stimmung am Tisch blieb gezwungen, obwohl Pascal, von Kai dazu gezwungen, endlich zu Lukas ging und auch kurz mit ihm redete. Leider kam Pascal sehr geknickt nach offenbar nicht so befriedigendem Gespräch zu ihnen zurück. Carl und Tini versuchten einiges, um die Stimmung danach wieder zu heben, aber Kai ärgerte sich über Pascal und machte nicht mit und der war das wandelnde Leiden Christi.

Lukas kam etwas später sogar noch kurz an ihren Tisch, bevor ihre Gruppe sich ins Stroboskop absetzte. Lukas und Felix wollten offenkundig schon früher dorthin, vielleicht waren sie auch bereits verabredet. Um nicht uncool zu sein, hatten Kai und Carl bis gegen ein Uhr warten wollen, bevor sie zum Stroboskop gingen, aber das Warten wurde lang.

Obgleich Tini nach einem Cocktail ablehnend sagte, dass sich das nicht mit dem Antibiotikum vertragen würde, das sie noch immer einnehmen musste, war sie schrecklich aufgekratzt und wuselig. Sie fummelte zudem ständig an Kai herum oder schmuste sich gegen ihn, sodass er sich gereizt sogar auf die andere Tischseite setzte, um dem zu entgehen. Die Stimmung war schließlich so dermaßen hinüber, dass Carl schon um halb zwölf zum Aufbruch drängte.

Kai war derart froh, im Stroboskop in die künstliche regenbogenfarbene Glitzerwelt eintauchen zu können, dass er sich sogar von Lolli umarmen und knutschen ließ, obwohl der sich mit roten Lacksachen extrem peinlich angefummelt hatte. Über einer engen Hose mit pseudo-Latexlook trug Lolli eine knallrote Lackshorts. Dazu zeigte er seinen schlanken Oberkörper durch das Netzteil, das eher schon nicht angezogen wirkte, so durchsichtig war es.

Lolli war allein da, was seinen Enthusiasmus für Kai und auch Lukas erklärte. An dessen Gruppe hatte Lolli sich bisher rangehängt. Er begann die Unterhaltung an der Bar daher sofort mit einer sehr ausgiebigen Runde 'Lästern über Felix' mit Carl. Die zwei ließen fast kein gutes Haar mehr an dem Mann, der darüber offensichtlich uninformiert und zugleich auch daran uninteressiert neben Lukas auf der anderen Seite der Bar lehnte. Lukas und Felix steckten die Köpfe zusammen, redeten ernsthaft, zeigten sich aber auch gegenseitig den einen oder anderen hübschen Mann. Auf eine intime Art schienen sie sich miteinander wohlzufühlen.

Kai machte beim Lästern nicht mit und fand noch immer, dass die zwei wirklich gut aussahen zusammen. Der eine blond mit langen Haaren, der andere dunkel, kurz geschnitten. Lukas und Felix. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie Lukas diesen Mann, vermutlich genau hier, kennengelernt hatte. Wie die zwei Köpfe verdreht hatten, wie sie miteinander umgegangen waren. Und da wurde Kai klar, dass er froh war, nicht in so einer Beziehung zu sein. Felix war nie treu gewesen, hieß es. Lukas ebenso wenig. Eine Beziehung und Sex mussten sich nicht gegenseitig ausschließen, vor allem Sex mit anderen, nur zum Abreagieren, weil man Abwechslung wollte, weil man Bestätigung jenseits einer Beziehung brauchte, oder einfach nur, weil es so schön war.

Etwas wütend auf sich selber wurde Kai klar, dass er vermutlich genau so eine Person für Lukas gewesen war. Ein schöner Mann, den er hatte haben wollen, der ihm das Ego bestätigte. Es war aber nicht mit einer Beziehung im Hinterkopf geschehen, wie Kai sie wollte. Wie Kai sie mit Jan hatte. Bei diesem Gedanken wieder glücklich gestimmt blickte er noch ein letztes Mal zu Lukas und Felix zurück und ging dann weiter durch in die anderen Räume, um tanzen zu gehen.

Stroboskop, der Name war Programm in diesem Laden. In vier recht kleine Räume aufgeteilt konnte man in zuckende Lichter getaucht feiern und sich austoben, Jungs kennenlernen, abschleppen oder abgeschleppt werden. In einer etwas ruhigeren Bar konnte man mit dem Flirt sitzen, die Freunde und Freundinnen auf eine Runde Lästern treffen, oder ein überteuertes Getränk nippen.

In zwei weiteren Räumen wurde zu unterschiedlicher Musik getanzt. Oder man konnte sich in den vierten Raum, einen Darkroom trauen, den sie züchtig liebevoll das Wohnzimmer nannten hier, obwohl ein Kondomautomat an jedem der zwei Ein- und Ausgänge hing. Kai ging nicht hinein. Allein aus hygienischen Gründen. Im Dunkeln konnte man doch wirklich nicht mehr gut erkennen, worein man da trat oder was, oder vor allen Dingen auch wen man da anfasste.

Allerdings war die Schwesternnacht dafür zum Glück auch weniger geeignet. Zu viele Frauen, Lesben, die missbilligend mit der Zunge schnalzten, wenn man hineinpilgern wollte, oder noch schlimmer Junggesellinnenabschiede, die kichernd jederzeit neben einem auftauchen konnten. Das jedenfalls teilte Lolli Kai mit. Lolli musste es wissen. Das Stroboskop war sein privater Spielplatz. Wenigstens einen Abend in der Woche war er hier zu finden. Meist eher am Freitag, wenn nur Männer hinein durften. Mit seiner schrillen Art passte er aber auch vortrefflich in die Welt des oberflächlichen Sehen-und-Gesehen-Werdens, in die überdrehte Atmosphäre zwischen Beats, Alkohol und verschwitzten, aufgestylten und nicht selten halbnackten Körpern.

Früher, als Lolli zu Zeiten von Kais Zivildienst noch hin und wieder versucht hatte, ihn zum Mitkommen zu überreden, hatte er immer gesagt, dass für ihn dieser Laden mit den Leuten, der Show, die hier privat vor vielen abgezogen wurde und mit den Dramen, die um sie her abliefen, eine Inspiration sei. Ganz für sich war Kai sich sicher, dass Lolli per se schon überinspiriert war und das Stroboskop nur so genoss, weil er hier unter seinesgleichen feiern konnte. Schwul, schrill und unbesorgt.

Genau das war aber nicht Kais Art. Eher das Gegenteil, kühl, zurückhaltend und stets auf sich lauschend. Er mochte das LPP. Vor allen Dingen, weil er hinter der Theke in Sicherheit war. Die Leute konnten mit ihm über die Bestellungen in Kontakt treten, aber ansonsten konnten sie ihn alle mal. Er musste weder zu versoffenen Anmachen, noch aufdringlichem Antanzen, noch aggressivem Anbaggern lächeln, und er musste sich nicht ständig in acht nehmen, dass er jemandem in die Fänge geriet.

Kai war schon sehr bald nach einer Runde auf der Tanzfläche von den stetig ausgelösten Fluchtreflexen entnervt und zudem war er dermaßen damit beschäftigt, Tini, Carl und Pascal zu entkommen, dass er sich nicht lockermachen konnte. Lukas war noch immer mit seinen Freunden an der großen Bar neben der Tanzfläche versammelt. Felix stand dicht neben ihm, sah in den engen schwarzen Klamotten nicht übel aus, wenn auch noch immer zickig hoch zehn.

Passi reagierte auf Felix' Anwesenheit und auf Lukas' Desinteresse an ihm mit eingezogenen Schultern und einer Schnute, die er sich vielleicht patentieren lassen sollte. Felix blickte Pascal und Kai von oben herab an und wandte sich ab, noch während Lukas sie mit dem Auftrag, ihn nicht zu nerven, sondern niedlich miteinander zu kuscheln, von sich schob.

Pascal rannte frustriert zu den Toiletten davon und Kai flüchtete sich, nach einem kiebigen Blick auf Lukas, in die Bar um sich in dem ruhigeren Raum ein wenig zu verstecken und was zu trinken. Das Stroboskop war mal wieder viel zu warm und er hasste Schwitzen.

Kai war Lukas vollkommen ausgeliefert, der ihn nur wenig später dort stellte. An seinem zweiten Bier nippend konnte er sich nicht mehr sehr lange zurückhalten, bis er giftig fragte "Was ist das denn mit Felix für eine Nummer? Und sag bloß nicht, dass nix ist. Ich hab dich bei deinem Besuch am Freitag gesehen."

Lukas zog ihn zu sich auf eine Holzsitzbank in eine Ecke. Durch die getönte Glasscheibe konnte man die Tanzenden auf der von Spiegeln umgebenen Tanzfläche beobachten und dem DJ auf die Finger sehen. Durch die kleinen Leuchten ringsum in der Bar saß man leider selber auch wie auf dem Präsentierteller. Unglücklich duckte Kai sich in Lukas' Schatten und ließ sich dichter raffen. "Hm, Engelchen, wo steckt denn dein Wauwau?"

"Wir haben es nicht nötig, dauernd gemeinsam aufzutauchen. Was ist los?"

"Felix geht es nicht gut, ist was persönliches. Darüber kann ich ohne sein Einverständnis nicht sprechen, okay? Reicht es, dass ich ihn nicht ficke?"

"Warum nicht?" Misstrauisch blickte Kai ihm ins Gesicht und Lukas lachte auf. Er legte eine Hand dicht an Kais Schritt auf seinen Oberschenkel. "Aus demselben Grund, aus dem ich dich nicht ficke. Sein Freund bringt mich um, wenn ich es auch nur wage."

"Idiot. 'Ich' bringe dich um, wenn du es wagen solltest. Nimm deine Finger da weg! Und warum willst du dann nicht mit Pascal?"

Lukas hatte sein Bier zum Trinken angesetzt, aber ließ die Flasche wieder sinken. "Was? Seit wann bist du vom Sozialamt für sexuell frustrierte?"

Kai senkte den Kopf und schmollte ein wenig peinlich berührt. "Er tut mir leid, das ist alles."

Lukas seufzte. "Ich kann ihn gern durchnehmen, aber das wird seine Stimmung nicht heben, nur sein Selbstwertgefühl noch mehr vernichten. Das verstärkt sich gegenseitig. Sein Wunsch nach Sex als Basis für eine Beziehung und dann der Rückschluss, dass er zu nix als zum Abreagieren taugt. Bei so einem Spiel mach ich nicht mit."

Es machte Sinn und Kai musste Lukas' Argument durchaus einsehen. Pascal hatte sich offenbar verrannt in die Idee, dass Lukas und er zusammengehörten, er aber für nichts weiter als Sex taugte. Aber andererseits, hatte Lukas nicht einmal anders gedacht? "Warst du nicht mal scharf auf ihn? Vor nicht so langer Zeit? Was ist denn daraus geworden?" Kai entdeckte Tini, die wiederum ihn entdeckte und auf sie zusteuerte. "Fuck, Tini hat mich gefunden!"

Lukas grinste kurz, dann wurde er ernst. "Auch wenn es keiner zu wissen scheint. Pascal und ich haben in den letzten Wochen fast täglich miteinander geredet, telefoniert, uns im Fitnessstudio gesehen. Gott, ich bin sogar auf der Arbeit trainieren gegangen, so sehr hat mich das genervt. Er ist immer um mich, lässt mich quasi nie aus den Augen. Er ist eifersüchtig, bevor wir auch nur etwas haben anfangen können. Er ist... zu viel. De trop, würde Lolli sagen. Und ich hab ihn kennengelernt und musste feststellen, dass mein erster Eindruck stimmte. Eine Sahneschnitte, ja, aber eine, die mir zu langweilig ist. Zu wenig Zickenterror. Das brauch ich nun einmal. Er hat zu wenig... zu wenig Leben, zu viel Planung und viel zu viel Geklammer. Ich steh drauf, wenn man mir eine lange Leine lässt. Das ist wirklich nicht seine Art und das macht mir... Gänsehaut. Da kann der Sex noch so geil sein."

Er stand auf. "Ich überlass dich mal deiner Fangemeinde." Doch dann beugte er sich noch einmal zu Kai und sprach direkt an sein Ohr. "Übrigens. Respekt. Ich hätte nicht gedacht, dass du es mit Tini treiben würdest, wo du Frauen sonst eher als so eine Art Verkehrshindernis betrachtest. Hat es ihr geholfen?"

Gepeinigt schloss Kai die Augen. "Woher... Shit, Lena."

Lukas lächelte gütig und knutschte Kai auf den Hals. "Ich weiß alles, Rotkäppchen. Jetzt bleib mal schön auf dem Weg und geh nicht in den dunklen, dunklen Nebenraum, sonst werd ich doch noch zum bösen Wolf heute. Ich bin nämlich wegen der einen oder anderen Komplikation spitz ohne Ende."

Kai musste lachen und konnte Tini optimistischer entgegen blicken, die sich anklagend auf dem von Lukas freigemachten Platz niederließ.

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