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Trost

Kapitel 39-41

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 39

Um vier in der Früh wollten Kai und Pascal schließlich gehen. Kai wollte eigentlich nur einmal schnell seine Hände vorher waschen, als er hörte, dass jemand gegen die Tür klopfte und laut rief. "Hilfe! Hört mich denn keiner?!"

Erschrocken rüttelte Kai an der Tür und bekam sie mit einiger Mühe aufgezerrt, gleich drauf kreischte es hässlich und die Tür kippte ihm entgegen. Augenscheinlich waren die Scharniere nicht mehr in Ordnung gewesen.

Bis er die Tür von sich geschafft hatte, bekam er reichlich Schmiere an die Finger und einige Schrammen ab. Wütend trat er dagegen und sah dann erst, wer dort eingesperrt worden war.

"Tini!" Sie bibberte, denn auf dem Klo war es kalt und sie hatte nur das Top getragen. Geistesgegenwärtig gab Kai ihr seine Jacke, die sie schwankend annahm, bevor sie aus der Zelle stolperte, ihm in die Arme.

"Oh, ich... bin schon sei...heit..t..t. Stun...stun...den da da eingesperrt!" Sie schmiegte sich enger an ihn an, und Kai konnte sich entsetzt nicht mehr erwehren, sondern stützte sie ein wenig ab. "Die Tür muss geklemmt haben, dass niemand mehr hierher wollte, ist schon verwunderlich."

"Zuerst wollte ich ja nicht raus."

"Was? Aber es ist schweinekalt!"

Tini schnüffelte und Kai bekam eine leise Furcht vor dem, was nun folgen mochte.

"Ich... wollte mit dir reden, Kai, aber ich trau mich nicht." Sie schnüffelte ein wenig mehr und putze sich mit einem Papiertuch über die Nase, wischte sich ein wenig über die Augen.

Pascal kam zu ihnen und sagte hinter sich zeigend. "Wir sollten jetzt gehen, weil dieser Peter abschließen will. Oh.... geht es Tini nicht gut?"

Tini jammerte sich an Kai krallend "Nehmt mich mit. Lasst mich nicht bei Peter, der ist schrecklich und er betatscht mich schon den ganzen Abend!"

Pascal hob die Brauen und die Schultern zugleich, Kai nutzte seine Chance und schob ihm Tini in den Arm. "Wir bringen sie nach Hause. Sie wohnt gleich um die Ecke. Ich hol ihren Pullover." Er ging schnell in den Partyraum zurück, innerlich über sein Schicksal fluchend. Noch vor dem Pullover fand er Lukas, der leicht angetrunken sein Geld zählte.

"Kai. Kann ich bei dir pennen? Ich hab nicht genug Kies für eine Taxe und hab doch was zu viel getrunken."

"Eh... ja, Lolli ist nicht da." 'Was bin ich denn hier, Bringdienst und Hotel? Scheiße! Wo ist der verdammte Pulli! Jetzt müssen wir die dumme Tussi wegbringen und dann muss ich noch Bettzeug raussuchen und ich bin betrunken und...'

Lukas unterbrach ihn. "Ach, das andere Rotkäppchen schläft mit dir im Bett, hm?"

"Hilf mir lieber mal den Pulli von dem verdammten dritten Rotkäppchen zu finden!"

Dieser Peter sah in der Tat unsympathisch aus, als er mit seiner durchgesessenen Jeans und dem verschwitzten Hemd daherkam, um Kai und Lukas rauszuwerfen. Die Stimmung näherte sich den Außentemperaturen an, als dieser Peter mitbekam, dass die Klotür demoliert worden war. Irgendwie wollte Kai nun wirklich nicht mehr, dass der Kerl Tini betatschte.

Er fand ihren Pullover an der Kasse und klemmte ihn sich unter den Arm. Mit der freien Hand winkte er Pascal zu und dieser schob ihm gehässig grinsend Tini entgegen, die sich sofort an ihn klammerte.

Zu Viert machten sie sich auf den Weg, um zu Tinis Wohnung zu gehen. Kai hatte Tini am Arm hängen und weder Lukas noch Passi halfen ihm dabei, sie weiterzuschleifen, während sie betrunken auf ihn einredete, dass sie doch nochmal mit ihm reden wollte, ohne zu sagen worüber.

Als sie an Tinis Haus ankamen, sagte diese merkwürdig unbekümmert "Mein Schlüssel ist in der Jacke, hat jemand meine Jacke?"

"Was?! Du hast deine Jacke nicht erwähnt! Scheiße! Müssen wir nun auch nochmal zurück?!"

Tini sah zu Boden, und Lukas erinnerte gelassen daran, dass Peter, der Unsympath, schon abgeschlossen hatte und gewiss nicht nochmal zurückkommen würde.

Er schob die schon wieder schnüffelnde Tini in Pascals fürsorgliche Arme und schnappte sich selber Kai, während er vorschlug: "Tini pennt auch bei euch. Da Lolli nicht da ist, ist ja auch sein Sofa noch frei."

Kai holte Luft, um etwas zu erwidern, aber Lukas zog ihn enger an sich "Bleib cool, Rotkäppchen. Es ist Silvester und wir sind alle nett voll. Alles wird gut."

Kai seufzte gereizt, aber ließ sich von Lukas in Richtung seiner Wohnung bugsieren, während er aus dem Augenwinkel sah, dass Pascal Tini mit einem Taschentuch aushalf und ihr unter den Augen entlangwischte, sie behutsam tröstete.

Endlich kamen sie durchgefroren und müde, außerdem noch immer betrunken in der Wohnung an, und Pascal schaffte es als erster aufs Bad. Resigniert beobachtete Kai, wie Lukas sich in sein Bett warf, während er ein Kissen und eine Decke für Tini zusammensuchte, die in der Essecke hockte und von ihrem Schlüssel lamentierte.

Kai ging als erstes zu seinem Handy, das er auf dem Nachttisch hatte liegen lassen. Es waren keine neuen Nachrichten eingegangen. Er hatte Jan noch einen guten Rutsch gewünscht, weil dieser sich telefonisch nicht mehr gemeldet hatte, bevor Kai losgehen musste. 'Aber mir haben einige erzählt, dass es Stau gibt an Silvester und man die Nachrichten, die gegen Zwölf abgeschickt wurden, erst am Morgen bekommt.' Rasch tippte Kai ein 'Frohes Neues!' und nach einigem Zögern noch ein 'HDL' und schickte es Jan, bevor er das Handy ausschaltete.

Pascal schwankte aus dem Bad und Tini raste hinein, während Pascal und Lukas verwirrt in Kais Zimmer stehen blieben und die Schlafsituation diskutierten. Lukas hatte sich bereits die Hose ausgezogen, sah schweinegeil aus in der engen Unterwäsche und dem roten Hemd, wie Kai fand. Er warf Kai zudem mal wieder verflucht falsche Blicke zu.

"Lukas, du schläfst definitiv bei Tini!"

"Das kann ich nicht machen, wir sind zusammen im Fitnessstudio und überhaupt, sie ist deine Bekannte, Kai. Du musst mit ihr das Zimmer teilen. Dann sollte sie hier und Pascal und ich drüben bei Lolli schlafen."

Das wollte Kai erst recht nicht. 'So weit kommt es noch, dass ich ihm Passi überlasse.' Zumal der Abend sehr angenehm mit leichten Zärtlichkeiten angefangen hatte, und Pascal verteufelt süß aussah, wenn er angetrunken auf ihn schielte, mit seinem sinnlichen Mund, der Kai schon die gesamte Feier über lockte.

Tini beendete die Diskussion, weil sie aus dem Bad kam und unsicher zu ihnen trat. Sie streifte ihre Stiefel schwankend von den Beinen und wurde gleich einen halben Kopf kleiner, musste noch mehr zu Lukas aufblicken. "Wo... soll ich denn, darf ich denn...?"

Kai seufzte und ging an ihr vorbei. "Mein Mitbewohner ist in London und kommt erst morgen Abend wieder, du kannst auf seiner Schlafcouch übernachten."

Sie folgte ihm und half ihm unsicher, das Kissen zu beziehen. Lollis Zimmer war zwar genauso kreischbunt und megaschwul wie sonst auch, aber sie schien es zu ignorieren. "Kai?"

"Hm?" Kai gähnte und merkte, dass er noch immer betrunken war, weil das Sofa beim Ausklappen zu schwanken begann, als er sich darüber beugte.

"Ich... bin betrunken und mache nur Ärger, aber..." Ihre Finger griffen in das Kissen und sie seufzte, während sie sich auf die Liegefläche setzte.

"Ja?" Kai nahm die Decke auf und beobachtete, wie sie mit gesenktem Kopf an ihrem Pulli zupfte.

"Vielleicht gerade deswegen... sonst hab ich ja nie was gesagt, aber... heute..." Sie sah sich unsicher in Lollis Zimmer um, vermied ihn mit Blicken. Ihre Art machte Kai wuschig.

Er bezog die Decke ungeduldig und hektisch, aber sie hielt ihn am Handgelenk fest, bevor er gehen konnte. "Bitte, Kai. Eine Chance muss auch ich einmal verdient haben."

Kai wurde rot. Verdammt, er begann tatsächlich, Tini zu bewundern und wusste nicht genau, wann es angefangen hatte. Langsam setzte er sich neben sie und sah sie an. Sie hatte zu kurze Haare, die sich ein wenig feucht, weil sie ihr Gesicht gewaschen hatte, in ihre Stirn lockten, ihre Augen wirkten noch dunkler als sonst und ihr Kinn irgendwie spitz.

"Was mache ich denn so verdammt falsch?"

Kai öffnete den Mund "Eh,..." 'Du bist eine Frau?' Vermutlich war es wirklich das einzige. Genauer betrachtet hätte er sie sonst vermutlich gern. Sie war ehrlich, offen, sie war unkompliziert. Sie mochte dieselben Sachen essen wie er, was er aus der Mensa wusste, sie hatte einen guten Musikgeschmack, ihre Klamotten waren witzig, und alles war doch verkehrt, weil sie eine Frau war. Ihre Stimme war zu hoch, ihr Körper wirkte bedrohlich auf ihn und sie hatte eine Art sich zu bewegen, die ihn gereizt sein ließ. Wenigstens roch sie nicht mehr so süß wie im ersten Semester.

Tini sah ihn eindringlich an, dann ließ sie den Kopf wieder sinken und zog ein Bein an, schlang die Arme darum. "Ich... weiß, dass es keinen Zweck zu haben scheint, aber was genau hab ich noch nicht versucht, Kai?"

Er holte Luft, aber sie wandte sich ab und kroch an die Wand zurück, während sie leise begann aufzuzählen "Ich hab versucht, dich auf Partys in eine Unterhaltung zu ziehen, mit dir zu trinken, mit dir zu tanzen, mit dir zu reden, dich platt anzugraben auch schon mal, sogar das! Dich in Frieden zu lassen, was mit dir zu unternehmen, dir in der Uni zu helfen, mir in der Uni von dir helfen zu lassen, dich einzuladen. Ich hab meine Frisur geändert, meine Klamotten, ich hab ein anderes Parfum gekauft, weil mir wer gesagt hat, dass du meins nicht mochtest. Hab ich etwas ausgelassen? Wenn ja, was?"

Kai hatte Magenschmerzen. 'Nichts. Du hast nicht das Geringste falsch gemacht. Es ist nur...' Er hob den Kopf und drehte sich zu ihr um. "Tini, ich bin schwul." Er schaffte es, daraus einen kleinen Vorwurf an sie zu machen, als hielte er sie für besonders blöde und es tat ihm leid, dass er es nicht anders sagen konnte.

Sie öffnete den Mund, dann nickte sie leicht und sah sich aus Verlegenheit im Zimmer um. "Also ist es auch dein Zeug in der Küche? Nicht nur dein Mitbewohner? Ich... Bianca hat das ja auch vermutet, sie fand gleich, dass du schwul ausschaust, aber ich... wollte..." Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. "... wollte es einfach nicht wahrhaben! Scheiße."

"Bianca?!" Kai konnte es nicht fassen. Die dumme Kuh wusste Bescheid? Woher?

"Sie hat es vermutet, weil du dich immer so nett anziehst und auf ein paar Lieder stehst, die sie nach dem Klischee auf das Ufer gepackt hat", beantwortete Tini die zwischen ihnen stehende Frage.

Kais Mund wurde trocken. "Aber du hast das nicht geglaubt." Eine Feststellung, eigentlich wollte er nun wirklich gehen, aber Tini fing zu heulen an.

"Ich weiß! Ich bin so bescheuert! Du hast dich doch kaputtgelacht über mich, nicht wahr? Du... bist ja auch immer scheiße zu mir gewesen, das hätte mir doch reichen sollen, aber dann... ich weiß nicht." Sie schnüffelte und nahm das Taschentuch an, das Kai ihr hastig reichte.

Nachdenklich rutschte er zu ihr auf das ausgeklappte Sofa und lehnte sich an die Wand an. "Es tut mir leid."

"Du kannst doch nichts dafür! Schwul zu sein ist doch..."

"Nein, ich meinte nicht das, das tut mir nicht leid. Ich meinte, dass ich so scheiße zu dir war. Ich hätte schon viel früher mit dir reden sollen." 'Ha! Jan wäre so stolz auf mich! Reden. Ich wollte reden!' Sein Gewissen schoss gereizt zurück, dass Tini seinetwegen heulte.

Tini hob den Kopf und sah ihn an. "Danke. Ich bin peinlich, ich weiß das, aber..."

"Du bist mutig, Tini!" Mit einem Mal fiel ihm auf, dass er gar nicht so richtig wusste, wovon sich Tini ableitete. Bettina? Martina? Gab es noch eine Möglichkeit? "Wirklich. Ich hätte was sagen müssen und ich war zu feige dazu." Kai wurde klar, dass diese ganze Unterhaltung nur auf Alkohol basierte und ihnen beiden sehr leid tun und davon ab tödlich peinlich sein würde am nächsten Morgen. Er setzte sich trotzdem dichter neben sie. "Außerdem ist es blöd von mir gewesen. Alles ist doch einfacher, wenn du es weißt."

"Schwul. Ist das absolut sicher?" Forschend betrachtete sie sein Gesicht, als ob dort zu lesen war, ob er log.

"Sehr sicher."

"Absolut tot-tödlich sicher?" Sie kicherte nun und die Tränen waren vergessen. Er grinste zurück.

"Tot-tödlich und absolut, Tini. Ich habe einen Freund und bin sehr zufrieden."

Tini seufzte überlaut auf. "Welcher der beiden von heute Abend ist es denn? Doch nicht etwa Lukas?"

Kai hob die Schultern. "Weder noch. Mit Lukas hab ich zwar mal, aber das..."

"Nein! Echt? Krass! Ich hätte nie gedacht, dass er... aber andererseits hätte ich das von dir auch nicht gedacht, nicht denken wollen einfach. Und der andere?"

Kai wollte nicht noch mehr Personen reinziehen. "Pascal ist wirklich ein Schulfreund von mir, mehr nicht."

"Kenn ich deinen Freund etwa?" Neugierig starrte Tini ihn an, wippte aufgeregt mit den Füßen. Es war, als hätte sich ihre Zuneigung schlagartig in Neugierde umgewandelt.

"Wieso?" Kai dachte an Jan und wurde rot. 'Klar kennt und hasst ihr euch.'

Sie seufzte und hob die Schultern. "Damit ich weiß, auf wen ich eifersüchtig sein kann. Hast du es schon mal mit 'ner Frau versucht?" Sie sah ihn nicht mehr so direkt an, aber sagte dauernd so schockierende und ungeheuerliche Dinge!

Kai verzweifelte gelinde, aber antwortete der Wahrheit halber "Nein, nicht ein einziges Mal. Ich mag Frauen nicht besonders. Die allermeisten machen mich... nervös." 'Du zum Beispiel. Jetzt und hier vor allem.'

"Du hast es nie versucht? Ich meine, wolltest nie wissen, wie ein Busen sich anfühlt? Küssen müsste ja dasselbe sein, nicht?"

"Ist es nicht, bestimmt nicht. Ein Mann... schmeckt doch auch ganz anders, ich meine, wäre es für dich das gleiche, wenn du eine Frau küsst?"

Tini nickte leicht. "Joa, hab ich schon mal. War lustig, aber mich hat ganz ernsthaft der zweite Busen zwischen uns gestört, ich mag das nicht so, bin also doch eher für Männer."

"Na also, ich eben auch."

"Aber da fehlt doch dann ein Paar Brüste und dafür gibt es unten herum einmal zu viel." Sie prustete los und Kai lachte ein wenig mit, auch wenn es ihm nicht wirklich komisch vorkam, eher rätselhaft, wie er aus dieser Falle entkommen konnte.

"Nein, finde ich nicht. Ehrlich. Ich kann die Frage nicht anders beantworten, es ist nun einmal so. Ich verliebe mich sehr sehr sicher nicht in eine Frau, nie."

Sie sah ihn mit schrägem Kopf von der Seite her an. "Würdest du mich trotzdem küssen? Nur so?"

"Was?!" Wann war das denn passiert? Hatte sie nicht zugehört eben? 'Wild gewordene Tussi! Hilfe!'

"Nur einmal. Ich bin betrunken und du auch, und ich erinnere mich trotzdem morgen daran. Wenn ich dir jetzt versprechen würde, dass ich es nie wieder verlange?" Sie hielt einen Zeigefinger zwischen ihre Gesichter und schielte darauf. "Nur einmal."

Kai stellte fest, dass er zögerte, und es tatsächlich in Erwägung zog, auch wenn er sich bockig gab und abwendete. "Ich mag nicht, ehrlich. Es hat nichts mit dir zu tun, nicht direkt jedenfalls. Ich mag Frauen nicht, ihre Körper... ihre Art, es ist so was wie Chemie, die nicht stimmt."

Tini seufzte, aber sah ihm weiterhin in die Augen. "Einmal und ich bin für immer still."

"Das ist Erpressung."

"Nein, ein gutes Geschäft."

"Gut. Entweder ich küsse dich jetzt, oder ich sage dir, wer auf dich steht. Ich kenn da nämlich wen." Kai fand sich schlau mit dem Deal. Alle Frauen waren neugierig.

Sie machte zunächst große Augen, dann sagte sie süß "Abgemacht, Kai."

Er wollte gerade Luft holen, um zu sagen, was er wusste, als sie fortfuhr "Dann kannst du mich jetzt bitte küssen?"

Kai blinzelte nervös. "Auf Kommando kann ich das nicht."

"Du hast den Deal vorgeschlagen, Kai."

"Ja, aber ich dachte auch, dass du neugieriger bist. Und nicht so versessen auf das Küssen. Das ist so präpubertär."

"Willste zickig sein, oder dein Wort halten, Kai?" Sie lehnte sich an die Wand zurück und schloss die Augen. "Ich halte still."

'Verdammt noch mal. Immer ich! Scheiße!' Verärgert schaute Kai sich zu den anderen um, aber die waren nicht zu sehen, hingen sicherlich betrunken in seinem Zimmer rum. Vorsichtig näherte er sich Tinis Gesicht, starrte an ihr vorbei und wollte es eigentlich schon schnell hinter sich bringen, aber zuckte im letzten Moment zurück. "Ich... kann das nicht auf Kommando. Das ist so doof, Tini."

Sie grinste und fragte "Soll ich dann? Einmal und du bist mich los."

"Bin ich dich nicht eh los? Nach heute Nacht?"

Sie wurde rot und schüttelte den Kopf. "Nein, dafür bist du anscheinend noch nicht ekelig genug zu mir gewesen, Kai. Du bist zu niedlich, man kann sich den Anblick schlecht abgewöhnen."

Kai wurde auch rot. "Ich? Niedlich?" 'Was ist das hier heute eigentlich, verdammt? Alle sagen mir Dinge, die ich nicht hören will. Lukas nennt mich sexy, sie findet mich niedlich. Scheiße.'

Tini nickte und rückte ein wenig dichter zu ihm auf. "Deine Augen, dein Gesicht. Ich mag es, wie ernsthaft du lernst, wie wenig du dich in den Vordergrund drängst, obwohl alle dich immer angaffen, weil du so hübsch bist. Das halbe Semester steht auf dich und du schaffst es mit deiner ekeligen Art, alle zu vertreiben, das finde ich konsequent."

"Hör schon auf! Das stimmt doch gar nicht!" Kai war rot geworden, er hasste es, wenn er so angesehen wurde, wie sie ihn ansah. Wie etwas, das nicht wirklich war, wie er sich nicht fühlte, wie er nicht sein konnte mit all seinen Fehlern. 'Engel. Lukas tut das auch.'

Tini sah ihn nun wirklich amüsiert an. "Erinnerst du dich an die Exkursion zu den Körperwelten im letzten Frühjahr? Es waren sechzig Leute aus dem Semester dabei."

"Ja, war schrecklich, grausige Ausstellung, und ich fand die Diskussion hinterher langweilig."

"Renate hatte ihren Fotoapparat mit und dabei fleißig Bilder für die Unizeitung geknipst und natürlich auch für uns."

"Und?"

Tini seufzte auf. "Ich sage nur: Bild. Nummer. Siebzehn."

Kai blinzelte verständnislos. "Was war damit?"

"Da war ein besonders doofes Exponat drauf, nur unscharf zudem abgebildet, weil Renate nicht auf den Autofokus geachtet hatte. Der hatte nämlich dich drin. Sonst ist niemand auf dem Foto. Nur du und das unscharfe Exponat."

Genervt erinnerte Kai sich. Er hatte sich einmal von der Gruppe abgesetzt und sofort hatte Renate ihn geknipst, zudem grinste er auf dem Bild auch noch, weil er einen Tippfehler in dem Erklärungstext entdeckt hatte. "Und? Hast du dir das Bild bestellt, oder was?" Er hatte es sich selber natürlich auch bestellt. Jan hatte es sogar neben seinem Bett an der Pinnwand, vermutlich lauerte Jan darauf, dass jemand ihn endlich ansprach.

Tini seufzte und nickte leicht. "Klar hab ich das. Aber darum geht es nicht. Bild Nummer siebzehn zeigt dich und ein unscharfes Exponat, ein hässliches dazu, mehr nicht, und es wurde neunundvierzig Male bestellt. Krass oder?"

Kai riss die Augen auf und rechnete um, was das heißen mochte. Er kam zu keinem Schluss, aber Tini buchstabierte es ihm ohnehin noch einmal in aller Grausamkeit auf. "Das halbe Semester fährt auf dich ab. Punkt."

"Ich will das nicht!" Kai verschränkte seine Arme und wendete sich frustriert von ihr ab. Was für ein anstrengendes Gespräch, wie unbequem.

"Ich weiß, das macht dich umso attraktiver, Kai. Wie hat dein Freund dich eigentlich rumgekriegt?"

Kai lachte nervös auf und war sich sicher, dass er sich im Hörsaal, in den Kursen und Seminaren nun verdammt beobachtet vorkommen würde nach dieser Nacht mit Tinis Weisheiten. "Ich hab ihn haben wollen", gestand er dann. Vor allem um sie zu demotivieren.

"Wow, es gibt wen, den du willst? Wow."

Ihr Blick wirkte zunächst wie Verarsche, aber Kai musste dann bemerken, dass sie es ernst meinte, nur zu betrunken war für eine bessere Art, um sich auszudrücken. "Tini, ich bin müde und ich hab keinen Bock hier mit dir über mich zu labern. Also, nimm das Kissen und leg dich hin und schlaf."

Kai wollte schon abrücken, aber ihre Hand an seiner Schulter hielt ihn auf. Sie lächelte leicht, schaffte es erneut, mädchenhaft schüchtern zu sein. Noch immer war sie rot im Gesicht. "Danke, dass du endlich einmal mit mir geredet hast, Kai." Sie beugte sich dichter und küsste ihn auf die Wange. "Ich hoffe, dass du es nie bereuen musst. Ich werde das nicht ausquatschen, hab keine Angst."

Kai spürte mit einem Mal, wie eine ungewollte Sympathie ihn ergriff. Sie mochte ihn, noch immer. Sie akzeptierte ihn, fand seine zickige Art sogar bewundernswert, wo er sich selber nur als zu feige und abweisend betrachtete.

"Nein, ich danke dir. Es war... gut zu sehen, dass es wen gibt, der... hm, normal reagiert." Er entschloss sich in dem Moment und umarmte sie.

Tini seufzte und schlang die Arme ebenso um seine Schultern und drückte ihn kurz an sich, strich ihm leicht über den Rücken. Nur zögerlich ließ sie ihn los, sah ihm in die Augen und musste lachen. "Entschuldige, du fühlst dich nett an, tut mir leid."

Kai sah ihr ebenfalls in die Augen. Sie waren dunkler als die von Jan und ihm fehlte der Tanz der goldenen Fleckchen darin, aber der Blick war offen und unerschrocken, ehrlich in sein Gesicht gerichtet. Obwohl diese Situation doch mehr als peinlich sein musste, konnte er sich nicht beschämt fühlen. Nur eingelullt vom Alkohol und irgendwie warm von innen her, weil er feststellte, dass er sie mochte, wirklich gern hatte.

Er lächelte leicht und traute sich endlich doch, sein Wort zu halten. Ganz leicht küsste er sie auf den Mund, der sich unter seinen Lippen zu einem erstaunten Ausruf öffnete. Tini schloss die Augen und sank wieder gegen ihn, was er wiederum nicht gut fand, aber um nicht unfair zu sein, und weil sie zu küssen nicht so schlecht war, wie ursprünglich angenommen, hob er sein Kinn ein wenig und vertiefte den Kuss sogar einen Augenblick lang, bevor er sich von ihr abwandte. "Gute Nacht."

Tini ließ sich zur Seite fallen. "Wie soll ich denn jetzt bitte einschlafen?" fragte sie betont verträumt und umarmte kichernd das Kissen.

Kai lachte leise, ein wenig peinlich berührt von ihrer direkten Art. Er flüchtete wortlos und schloss rasch die Tür hinter sich. Einen Augenblick lang lehnte er sich im Badezimmer an die Wand und schüttelte über diese verrückte Frau und die ganze Situation in seiner Wohnung den Kopf, dann putzte er sich langsam die Zähne und tappte schließlich schrecklich müde in sein Schlafzimmer.

Vor seiner Tür blieb er verunsichert stehen, erst dort fielen ihm Lukas und Pascal ein, die er sich selber überlassen hatte. Für wenigstens eine halben Stunde! 'Was ist, wenn die beiden... ich meine... Lukas ist ja ein Draufgänger und Passi... schien ihn... gut aussehend zu finden, aber Lukas hat versprochen, dass er nichts macht, aber kann ich nun einfach in das Zimmer gehen? Was ist, wenn die da drin... oh Scheiße! Es ist mein verdammtes Zimmer und ich bin müde, so!' Resolut ging er durch die Tür und stockte vor dem Bett.

Da lagen sie, sein Bett einnehmend, total brav nebeneinander und schlummerten, hoben die Augenlider nur ein wenig träge an, als er seinen Schlafanzug unter dem noch freien Kissen hervor zerrte. "Na toll! Wo bitte soll ich nun schlafen?"

Lukas streckte seinen Arm ein wenig aus, aber ließ ihn dann quer über Pascals Schulter fallen, der dumpf knurrte, während Lukas gähnend vorschlug "Hier ist noch Platz, Engelchen. Komm her zu mir. Ich bin eh viel zu müde, um dir Ärger zu machen."

Kai zögerte eine Weile, aber die Kühle und seine schweren Glieder, die kriechende Müdigkeit, die seine Augen befiel, entschieden für ihn. Er schob Lukas ein wenig zur Seite und kroch zwischen ihn und Pascal, zu Lukas unter eine Decke, weil Pascal sich fieser Weise in seine Decke eingewickelt hatte. Während seine Augen ihm zufielen, dachte Kai nur noch in trägen Kreisen wieder und wieder 'Oh Scheiße, morgen früh, das gibt einen Ärger... das wird so schrecklich, oh oh...'

Kapitel 40

Kai erwachte weil er schwitzte. Es hatte sich viel zu sehr aufgeheizt unter seiner Decke, zudem drückte ihn die Blase. Knurrig wand er sich aus Lukas' Arm, der ihn zu eng an seinen Körper und damit die Quelle der Hitze gepresst hatte, und schlurfte zum Bad.

Im Vorbeigehen sah er auf die Katzenuhr in der Küche und stellte fest, dass es nicht so spät war, wie er sich gefühlt hatte. Es war erst halb acht, eigentlich sollte er noch eine ganze Weile im Bett liegen bleiben. Entschlossen, dies auch zu tun, kletterte Kai in sein Bett zurück, aber Lukas hatte sich abgewendet, mitsamt seiner Decke und Kai blieb unentschlossen liegen.

"Hey... bist du schon wach?" Pascal raschelte ein wenig herum und drehte sich frei.

Kai wandte den Blick zu ihm. "Leider, musste mal. Ist noch viel zu früh zum Aufstehen."

Pascal linste auf seine Armbanduhr und warf sich ins Bett zurück. "Oh... das war eine lustige Party gestern." Er hob den Kopf und sah Kai an, bemerkte erst in dem Moment, wie Kai versuchte, ein wenig Decke von Lukas zu bekommen. "Hey, komm zu mir mit runter."

Pascal rückte ein wenig und Kai schob seine eisigen Füße dankbar in die Wärme. "Danke, du bist ein Samariter, Passi. Dem Klotz von einem Lukas dort drüben ist es mal wieder egal, wenn ich den Kältetod sterbe."

"Wollen wir Frühstück machen, Kai?" Pascal setzte sich ein wenig auf und schob Kai einen Teil von dem Kissen zu.

Kai kuschelte sich ein und schüttelte den Kopf. "Ich kann mich nicht bewegen, wenn du was essen willst, dann musst du aufstehen, Passi."

Pascal rutschte wieder tiefer unter die Decke und damit auch dichter an Kai heran. "Nein, keine Lust, keine Energie. Ich bleib lieber bei dir im Warmen."

Kai driftete vor sich hin und kuschelte sich dichter an. Sein Freund und er hatten sich am Abend zuvor nicht gerade zurückhaltend miteinander benommen und er wäre sehr gern weiter so frei mit ihm umgegangen, aber wagte es im nüchternen Zustand nicht.

Pascal war jedoch weniger sorgenvoll. Er schob einen Arm unter Kais Kopf hindurch und schmiegte sich enger an seinen Körper an, eine Hand strich Kai über die Taille. "Hm... ich bin froh, dass du mich eingeladen hast. Es war wirklich der erste nette Abend, den ich seit Jahren gehabt habe, Kai."

Die verschlafene, leise Stimme an seinem Ohr brachte Kai ebenso zum Erschaudern, wie der Körper, der sich nun an seinen presste. Unweigerlich hätte er eigentlich darauf reagieren müssen, aber es passierte nichts. 'Passi ist nur ein Freund für mich und ich... hm, zurzeit bin ich so eine Art Kopfkissen und Teddy zum Kuscheln für ihn, wie es scheint. Wir denken beide nicht an Sex, sondern an... Freundschaft, wir sind Freunde, genau.'

Allerdings begann Pascal ihm in dem Moment leicht über die Brust und Seite zu streicheln. Nur nebenbei, nicht wirklich gezielt, aber Kai verwarf den unschuldigen Freundschaftsgedanken sogleich wieder und beschloss, dass es engere, viel engere Freundschaft sein musste.

'Aber kein Vergleich zu dem, was ich fühle, wenn Jan mich berührt. Ich vermisse ihn, verdammt. Wieso ist er nur weggefahren? Wieso fühl ich mich gerade jetzt so allein?' Unbewusst hatte Kai Pascals Streicheln erwidert, dachte zwar an Jan, aber wollte seinem Freund auch gut tun, wollte die Wärme zwischen ihnen nicht erlöschen lassen.

Er hob den Kopf ein wenig und sah Pascal in die hellen Augen. Der Pony fiel ihm wieder in die Stirn, und obwohl er nun deutlich älter war, als damals, konnte Kai genau denselben Blick wieder in ihm ausmachen. Die Erwartung, ein wenig fragend und vielleicht auch aufgeregt, weil Pascal wusste, dass es nun an Kai war, etwas weiter zu gehen. Damals war es das erste Mal gewesen, dass sie einen anderen berührt hatten und beide waren aufgeregt gewesen.

Jetzt war es eher so, dass sie beide aufgeregt waren, weil es sich um eine Erneuerung dieser alten Situation handelte. 'Wenn wir jetzt alles richtig machen, können wir alles vergessen, was mein Vater falsch gemacht hat, nicht? Wir können es nicht ungeschehen machen, aber wir können das Falsche auslöschen, weil es keine Rolle mehr spielt. Ich kann Pascal noch einmal zeigen, dass ich ihn sehr gern habe und er mir, dass er es wagt, mich zuzulassen. Norbert spielt keine Rolle mehr!'

Kai schloss die Augen und küsste Pascal vorsichtig auf den Mund. Er konnte mit einem Mal wieder den Regen aus der Nacht hören, konnte das Frotteebettzeug spüren, das er damals immer auf den Decken hatte und der Geruch seines Zimmers vermischt mit dem Geruch von Pascals Haut berauschte ihn erneut, als ob er wieder der Junge war, der sich zum ersten Mal verliebte.

Diesen Augenblick zwischen ihnen hatte Norbert damals zerstört. Aber an diesem Morgen konnte keiner ihnen mehr die Zufriedenheit und Wärme nehmen. Es erschien Kai, als sei er in der Zeit noch einmal zurückgereist, um alles, was sein Vater Pascal und ihm angetan hatte, auszulöschen.

Ihre Lippen berührten sich tastend, dann dippte Kai seine Zungenspitze gegen Pascals Mund und dieser festigte den Griff um seine Schultern und seufzte leise. Langsam begannen sie sich zu küssen und zogen den Körper des anderen dichter, bis sie Arm in Arm lagen und Kai Pascal über den Rücken streicheln konnte.

Kai genoss es, ihn zu schmecken, seine Art, ihn zu küssen, war so vorsichtig, weich und dennoch geschickt, dass Kai sich wirklich herrlich zu fühlen begann. Jan war immer sehr harsch in seiner Art, ihr Spiel war stets wilder, knapper und von einem stetigen Hin und Her bestimmt, während Pascal es schaffte, zugleich zu geben und zu nehmen, seine Zunge über Kais Lippen streichen zu lassen, dabei jedoch nicht fordernd, sondern fragend und lockend zu wirken.

Nach einer Weile brach Pascal es jedoch ab, unvermutet für Kai, sodass er seine Augen verwirrt öffnete. Sein Freund war zusammengezuckt und nun bemerkte Kai erst, weswegen. Die Kette mit der Schneckenblume war aus dem Ausschnitt seines Schlafanzuges gerutscht und Pascal auf den Hals gefallen.

"Was ist das? Es ist hübsch." Pascals Finger strichen nicht nur über den Anhänger der Kette, sondern auch über seinen Hals.

Kai wurde rot. "Das war einmal ein Schneckenhaus." Er rückte langsam von Pascal ab und spürte die Hitze in seinem Gesicht aufsteigen. "Jan hat es mir geschenkt."

Pascal ließ die Kette los, als hätte er sich verbrannt. "Oh."

Eine dunkle, etwas heisere Stimme direkt hinter Kai ließ sie beide zusammenfahren. "Wie? Ist die Morgenvorstellung schon zu Ende? Dann will ich mal Kaffee kochen gehen." Lukas kletterte über Kai und Pascal hinweg, die nun beide mit rotem Kopf da lagen und tätschelte Kais Hintern nebenbei.

Kai ließ sich in das Kissen zurückfallen und stöhnte auf. "Arsch!", rief er ihm in den Flur hinterher.

Lukas kehrte recht bald von seiner Inspektion der Küche zurück. "Danke, mein Engel, ich habe auch sehr gut geschlafen. Brötchen? Soll ich zur Tanke fahren?"

Kai grummelte schlecht gelaunt und kroch an die Bettkante "Ich hab Brötchen im Gefrier, die können wir aufbacken."

Lukas Hand hielt ihn auf, als er sich endgültig erheben wollte. "Bleib im Bett. Du auch, Passi. Ich verwöhn euch heute. Wir werden den ganzen Morgen im Bett sitzen und nett ein Video anschauen und essen. Das ist ein Befehl."

Pascal krabbelte an ihm vorbei und flüchtete ins Badezimmer und Lukas verschwand erneut in der Küche. Kai seufzte und fuhr sich durch die Haare. 'Guten Morgen, das neue Jahr fängt ja just genau so an, wie das alte aufgehört hat.'

"Das ist nicht fair gewesen", flüsterte er, als Lukas schließlich mit einer Isokanne und einigen Bechern wiederkam.

Lukas ließ sich neben ihm nieder und sah ihm ins Gesicht. "Was daran? Dass ich euch zugesehen habe, oder dass ich euch nicht abgehalten habe? Willst du mir jetzt deine Untreue in die Schuhe schieben, Kai?"

Vehement schüttelte Kai seinen Kopf. "Das ist es nicht! Mit Pascal ist es... nicht Untreue, es bedeutet etwas anderes."

"Willst du damit sagen, dass du ihn als Kuschelteddy benutzt, solange dein Macker weg ist?" Skeptisch sah Lukas Pascal im Flur entgegen, der mit noch immer roten Ohren zu ihnen zurückkam. Er sprang auf und verkündete "Ihr dürft entscheiden, welchen Film ihr sehen wollt, ich schau gerade mal nach den Videos in Lollis Zimmer!"

Kai grummelte weiter rum, schämte sich, wollte sich bei Pascal entschuldigen, wusste nicht wofür eigentlich und zu guter Letzt gab er es einfach auf und stürmte unter die Dusche.

Als Kai geduscht, aber noch immer knatschig und nach kurzer Überlegung wieder mit Schlafzeug bekleidet zu seinem Bett zurückkehrte, saßen Pascal und Lukas einträchtig nebeneinander und starrten auf den Fernseher, wo Musikvideos dudelten. Sie kauten auf Brötchen rum, die Lukas wohl geschmiert hatte.

Lukas bemerkte, dass Tini wie totgeschossen auf dem Schlafsofa läge und sich nicht gerührt hätte, aber anscheinend noch atmete. Er zeigte die Sammlung der Videos vor, die Lolli stets durch Franks Filmtik aufgestockt bekam.

Kai seufzte und nahm sich ein Brötchen und Kaffee, um sich zwischen den beiden fallen zu lassen. Im Folgenden einigten sie sich darauf, Jumanji anzusehen. Langsam, während der Film lief und sie zu Ende aßen, entspannte Kai sich. Er konnte wirklich lachen und sich über die Witze freuen, die Tricks gut finden und genoss zugleich, dass er nicht allein war und sich nach Jan sehnen musste.

Auf den Film folgten Musikvideos, die sie laufen ließen, um eine freundliche Stimmung im Hintergrund zu schaffen, um schweigen zu können. Kai hatte zwei Kerzen angebrannt und Weihnachtsgebäck von seiner Mutter vor seine Gäste hingestellt. Er genoss die friedliche Stimmung, die der weiche Schimmer der Kerzen und der warme Geruch verbreiteten.

Er lag auf dem Bauch, spürte die Wärme der beiden anderen Körper neben sich und lauschte der trägen Diskussion, die Lukas und Pascal um die Vorzüge der verschiedenen Fitnessstudios begonnen hatten. Pascal hatte sich anscheinend umgesehen und wollte sich nun per Probetraining für eines entscheiden.

Lukas' eine Hand ruhte auf Kais Schulter und sein Daumen streichelte ihm gerade eben so durch den Haaransatz, der andere Arm lag über ihm, wie in einer Umarmung. Es fühlte sich freundlich und nicht bedrohlich an, sodass Kai zufrieden die Augen schloss und die beiden anderen zu Gunsten seiner eigenen Gedanken ignorierte. 'Neues Jahr. Was nehme ich mir denn mal vor? Man muss ja Vorsätze haben und durchziehen, oder? Naja, wenigstens brechen können muss man einen Vorsatz.' Er grinste leicht. 'Mit dem Rauchen anzufangen? Sollte ich das vielleicht vornehmen? Das mache ich sowieso nicht.'

Er warf einen Seitenblick auf Lukas, der sich gerade ein wenig anders hinsetzte und grinste. 'Und er sollte sich vielleicht vornehmen, dass er mit dem Rauchen aufhört.' Lukas' Hand wanderte im Kragen unter Kais Schlafanzugoberteil und Kai fügte dem Gedanken lakonisch an 'Oder er nimmt sich vor, dass er aufhört, mich permanent anzubaggern. Naja, vielleicht nicht gerade heute, außerdem ist das schön wie er mich streichelt. Vielleicht kann ich ja auch ein Kuschelteddy für ihn sein, wie ich es für Passi bin... hoffentlich bin.'

Ein Türenklappen unterbrach den trägen Halbschlaf, Lukas und Pascal hoben den Kopf und sahen Kai fragend an. "Ist Lolli schon zurück?"

Kai gähnte und drehte sich zur Tür um. "Weiß nicht, eigentlich kommt sein Bus erst heute Nachmittag an. Vielleicht sollte ich besser mal..." Kai kam nicht einmal dazu, sich aufzusetzen, denn im nächsten Moment gellte ein überraschter Ruf, gefolgt von einem heiseren Aufschrei durch die Wohnung, dann erschien, in einer grausam grellen Kombination aus schreigrün und rosa gekleidet, die Meiersche in Kais Tür und holte Luft, nur um lachend zusammenzubrechen.

Kai, Lukas und Pascal rappelten sich vom Bett auf. Kai und Pascal rot im Gesicht, Lukas sich selbstsicher streckend und seinen Körper präsentierend. Es dauerte einige Momente, dann bekam Carl wieder Luft. Er rührte auf eine sehr an Lolli erinnernde Art mit den dicken Fingern in der Luft und fragte "Ihr Süßen, bin ich in ein paralleles Universum geraten, oder habt ihr besonders guten Stoff genommen zu Silvester? Hier im Bett des Mannes, der doch so gut wie mit 'ner Hete verheiratet ist, findet eine Orgie statt und nebenan, im schwulsten Zimmer der Galaxis, liegt eine betrunkene Tussi im Minirock."

Kai war zu perplex, um zu reagieren, aber Lukas rettete die Lage. Er hechtete aus dem Bett, noch immer nur im roten Hemd und enger Shorts. Mit einem Raubtiersprung schnappte er sich die Meiersche und knutschte ihn auf die Wange, während er ihn an den Türrahmen drückte. "Na? Was treibt dich denn hierher, mein Bärchen?"

Carl war ein wenig rot geworden, aber fing sich erstaunlich fix, tätschelte Lukas' Hintern reaktionsschnell, bevor dieser sich entzog und ließ sich zu Kai und Pascal auf dem Bett nieder. Er ignorierte die Frage und umarmte stattdessen Pascal. "Was haben wir denn hier. Kai, willst du uns dein Sahneschnittchen nicht mal vorstellen? Ich bin die Meiersche, oder Carl, oder Carla, was du willst, Süßer."

"Freut mich, ich... sollte mich... umziehen gehen." Hektisch sprang Pascal auf und kramte in seinen Klamotten.

Kai unterbrach die Komödie, indem er ebenfalls aufstand und grummelig vorstellte "Carl Meier, Pascal Feinweber. Pascal ist ein Schulfreund von mir und Carl... du..."

"Ich störe, ich weiß, ich weiß." Carl wedelte schwul mit den Händen umher und starrte sehr offensichtlich neugierig hinter Pascal her, der sich, ein wenig verunsichert, mit seinen Klamotten zum Bad aufgemacht hatte.

Lukas zog sich seine Hose über, kramte nach Zigaretten und fragte mit einem Mal besorgt "Warum bist du hier? Ist was mit Lolli?"

Kai seufzte und rieb sich die Augen. 'Natürlich. Lolli mit Frank, zu Silvester unterwegs. Das kann nur Unwetter geben.' Aber er bewunderte auch, dass Lukas so umsichtig und besorgt war. Ehrlich um Lolli besorgt. Allein wie weich und leise er sprach, wie unruhig er der Meierschen ins Gesicht sah, das gefiel Kai in dem Augenblick sehr.

"Ja. Streit mit Frank. Er hat mich heute Nacht angerufen. All in tears." Mit den Fingern verdeutlichte Carl eine aufgelöste Prinzessin. "Ich bin der Ritter, der das Schätzchen in der Not errettet. Wenn ich geahnt hätte, dass hier wahre Orgien ablaufen, wäre ich natürlich schon in der Nacht gefahren." Munter sprang er auf und fragte Lukas anstarrend "Wer hilft mir mit meinem Gepäck?"

Lukas sah weg und grinste "Du bist der Ritter, hilf dir selber."

"Bist du gemein! Lukas, immer muss ich..."

Kai verdrehte die Augen, denn wenn Carl wollte, dann konnte er solange nerven, bis er bekam, was er wollte.

Pascal rettete sie davor, indem er anbot "Ich wollte meine Sachen zum Auto bringen, dann kann ich dir auf dem Rückweg helfen." Er nahm seine Sporttasche und den ungebrauchten Schlafsack auf.

Carl schmatze ihn lautstark auf die Wange und zerrte ihn im Arm mit sich "Mein Ritter! Sag mal, du hast doch nicht zufällig ein weißes Auto, hm?"

Die Tür fiel ins Schloss und Kai blinzelte einige Male, dann zerrte er Jeans, T-Shirt und Pulli aus dem Schrank, ohne auf die Farben zu achten, um wie Pascal zuvor zum Bad zu entkommen. Natürlich war Lukas mit ihm in dem engen Raum, noch bevor er sich zur Tür umgedreht hatte. "Was?!"

"Was läuft mit dem Rotkäppchen da draußen für ne Nummer?"

Kai zog sich aus und hechtete, sich unter Lukas' Blicken nicht wohl fühlend, in die Shorts. "Eifersucht steht dir nicht, aber ich kann dir vergewissern, wir sind nur Freunde."

Lukas' Hand hielt seine auf, als er nach der Hose griff. Geschmeidig ließ er sich auf dem Wannenrand nieder und umfasste Kais Hände, um sein Gesicht forschend zu betrachten. "Und jetzt glaubst du, dass er genauso denkt?"

"Ja, allerdings glaube ich das, Lukas. Lass mich los, ich ..."

"Er hat dich die ganze Zeit angestarrt während ich dich gestreichelt habe. Er hat sich nur nicht getraut mitzumachen, aber eifersüchtig war nicht ich, mein Engel."

Kai blinzelte und erschlaffte, gab seinen Widerstand für den Moment auf. Nachdenklich sah er auf Lukas' kräftige Finger, die seine Handgelenke umfassten. Mit der freien Hand strich Lukas ihm gleich drauf über die Wange. "Wenn du nicht willst, dass er verletzt wird, dann solltest du aufpassen, was du mit ihm tust."

"Ich tue gar nichts mit ihm. Sich mal zu küssen ist doch nicht..."

"So? Wieso ist es denn so ein Aufstand, wenn ich es tue, dich mal Küssen?"

"Du bist..." Kai stockte und senkte resigniert den Kopf 'Gefährlicher, gleich immer so sehr Sex, dass man nichts Unschuldiges denken kann, viel zu... viel...' An dem Ausdruck um Lukas' Mund konnte er sehen, dass dieser seine Gedanken erriet.

"Ich nehm deinen Blick als Kompliment." Lukas stand langsam auf und zog Kai gegen sich, bis er ihn mit dem freien Arm umfassen konnte. "Hm... Du hast mir gefehlt. Darf ich mir zum Neuen Jahr etwas wünschen?"

Das heisere Flüstern ließ Kai erschaudern, aber konnte sich nicht abwenden, sondern legte seine Hände flach auf Lukas' Brust, als dieser ihn losließ. Zögerlich nickte er "Wenn ich dann auch einen Wunsch frei habe?"

Mit einem Lächeln nickte Lukas und legte den Kopf schief. "Hm... ich wünsche mir, dass du... mich küsst."

"Das ist unfair."

"Ja. Habe ich behauptet, dass es ein fairer Wunsch sein würde, Engelchen?"

"Na gut, aber ich werde nicht..." Kai wollte eigentlich noch ausführen, dass es keinerlei Spielchen geben würde, einfach ein Kuss, und zwar ein Abschiedskuss, aber Lukas' Arm zog ihn bereits dichter und gleich darauf pressten sich entschlossene Lippen an seinen Mund, eine Zunge drang zwischen seine Zähne und verwickelte seine Zunge in ein von Anfang an viel zu wildes Spiel.

'Ich wollte noch sagen... ohne Zunge und ohne... Fummelei! Verdammter Scheiß!' Kais Gedanken verwischten, als Lukas' Hand sich auf seinem Hintern niederließ, um von dort über die Oberschenkel zu streicheln, dazwischen hinunter, hinauf, wieder bis zum Rücken, in sehr sicheren und selbstbewussten Bahnen, als gehörte Kai ihm bereits.

Im Nu hatte es Kai nicht wenig erregt, was ihm peinlich war und ihn ärgerte. Er versuchte sich von Lukas zu befreien, der zwar ein wenig nachgab, aber nur um sich auf den Wannenrand zu setzen und ihn mit einem fragenden Blick an seinen Händen zu ziehen. Schwer atmend sah Kai ihm ins Gesicht, zögerte, seine Vorsätze waren doch da gewesen, irgendwo. 'Ich vermisse kein Geknutschte und Gefummel, sondern Jan, verdammt noch mal! Aber... es ist... so... schwierig...'

Mit einem kleinen Ruck zog Lukas ihn wieder dichter an sich und seitlich auf seinen Schoß. "Ich weiß, Rotkäppchen, das genau soll ich nicht machen, aber... da ist so ein böser Wolf in mir, den du immer wieder aufweckst."

Zielsicher legte er seine Hand in Kais Schoß und berührte ihn nicht gerade sanft. Kai stöhnte leise auf und ließ den Kopf auf Lukas' Schulter sinken, berührte seinen Hals unsicher mit den Lippen und schloss die Augen, während er zuließ, das Lukas Finger die Shorts herabzogen und ihn direkt und schnell zu streicheln begannen.

"Warum...?"

Lukas drehte den Kopf und küsste ihn, hörte mit den Bewegungen jedoch nicht auf. "Ich seh dich so gern kommen, Engel. Dann bist du wunderschön."

"Das ist unfair, unfair... ich hasse dich..." Kais Finger verkrampften sich um Lukas' Arm, aber nur, um den Bewegungen zu folgen, nicht um ihn aufzuhalten.

"Hm... und ich liebe dich. Vor allen Dingen so." Lukas erstickte jeden weiteren Protest von Kai mit einem langen Kuss und seinen sehr erfolgreichen Bemühungen, Kai schnell zum Höhepunkt zu bringen. Mit einem unterdrückten Aufstöhnen kam Kai und sackte auf Lukas' Schoß zusammen. Genau in dem Moment rappelte der Schlüssel im Schloss und die Meiersche rief "Sind wieder dahaa! Ich mach uns einen Kaffee, ihr Lieben!"

Lukas lachte leise und streichelte Kai ein letztes Mal, bevor er flüsterte "Na, perfektes Timing."

Kai ließ sich wie betäubt abputzen und küssen und drücken und konnte die ganze Zeit nur denken 'Scheiße, Jan bringt mich um, oder ihn, oder uns beide. Oh, so eine verdammte Scheiße! Mistmistmistmist... ich bin eine Schlampe.'

"Ich bin schuld, Engel. Hör auf so ein Gesicht zu ziehen."

"Bist du nicht! Verdammt noch mal, wieso bin ich so eine..."

"Bin ich doch. Ich weiß, wie man dich rumkriegt. Obwohl ich weiß, dass du es hinterher immer bereust, wenn ich Erfolg hab, tue ich es trotzdem." Lukas' Lippen strichen noch einmal an seiner Schläfe entlang. "Tut mir leid."

Unsicher stand Kai von ihm auf und zog sich seine Jeans an, bevor er sich den Oberkörper mit kaltem Wasser abwusch. Anschließend starrte er über dem Waschbecken in den Spiegel. Sein blasses, müdes und wirklich wütendes Gesicht sah ihm und Lukas hinter ihm entgegen. Langsam strichen dunkle Händen über seine Schultern, Lukas beobachtete seine Finger im Spiegel, sah Kai nicht ins Gesicht. Unwillig machte Kai sich frei und trat dichter an das Waschbecken.

Wütend über sich und seine Situation und darüber, dass ihm nichts wirklich Gemeines einfiel in dem Moment, trocknete er sich zu heftig sein Gesicht ab, das hinterher noch röter war als zuvor.

"Ich habe einen Wunsch frei. Und gemessen an der Tatsache, dass du mich schon wieder reingelegt hast, Lukas, wird es ein ordentlicher Wunsch sein. Klar?!"

Lukas umarmte ihn von hinten und ließ seine Hände besitzergreifend über Kais Oberkörper streichen, um ihm mit einem kleinen, hinterhältigen Lächeln zu antworten "Alles was du willst, mein Gebieter."

Genau diesen Augenblick wählte Tini, um ins Bad zu stolpern. Kai und Lukas fuhren auseinander, aber sie hatte sicherlich nicht nur die Szene gesehen, sondern auch die Worte gehört.

'Scheiße! Tini! Die Tussi hatte ich schon verdrängt! Wieso immer ich?!' Ein Teil seines Gehirns erinnerte Kai sehr erleichtert, dass Tini auch hätte hereinplatzen können, während Lukas ihn weitaus deutlicher berührt hatte. 'Das ist so toll! Der überfällt mich, mit miesen Tricks auch noch, und nicht nur, dass ich eine Tussi in der Wohnung hab, nein, nein, sie kommt auch noch reingelatscht, wenn ich mich betatschen lasse! Scheiße!'

Tini murmelte nach einem kleinen 'Huch' eine Entschuldigung und stolperte verwirrt und noch sehr verkatert wieder aus dem Bad hinaus.

Mit einem Tötungsblick auf Lukas zog Kai sich zu Ende an und ging steif und mit mürrischem Gesichtsausdruck in die Küche, um Carl und Pascal mit den Nudeln zu helfen, die diese beschlossen hatten zu kochen.

Tini blockierte das Bad eine längere Zeit und kam müde, irgendwie grau und sehr verkatert aussehend, aber immerhin geduscht wieder heraus. Ihr Blick glitt unruhig über die Jungs, die sie, kollektiv ihre Kaffeebecher haltend, anstarrten.

Carl errettete sie alle, indem er aufsprang, sehr mütterlich seine umfangreichen Arme um Tinis schmalen Körper schloss, um sie zu einem Kaffeebecher und Nudelteller zu ihnen an den Tisch zu setzen. "So, meine Kleine. Jetzt iss erst mal was und dann erzählste deiner lieben Freundin Carla, was die bösen Jungs gestern Nacht mit dir angestellt haben. Oder der böse Junge, denn Kai und Pascal sehen mir eher wie Lämmchen aus. Hm, der Pulli ist stark, wo bekommt man so was denn her? Also ehrlich, kuschelig warm, aber nicht ohne Sex-Appeal... was für eine Verschwendung in diesem Hause, aber naja... ja, iss erstmal, das ist die richtige Einstellung, Schätzchen."

Tinis Augen wurden immer größer, je länger die Meiersche sie betatschte und umknuddelte. Aber keiner der anderen schien in der Lage, sie zu erretten, und Kai war wütend, weil die Meiersche ihn nun schon als Lämmchen bezeichnete. 'Ja, besser als ein böser Wolf, toll diese zoologischen Vergleiche!'

Nach einigen Momenten der Stille, während Carl frischen Kaffee aufsetzte, und die restlichen Anwesenden keine Lust hatten zu sprechen, klopfte Lukas mit der flachen Hand auf den Tisch und verkündete "Ich muss los. Mein Wagen steht ja um die Ecke. Wir sehen uns dann ja sicherlich im Fitnessstudio, oder Tini?"

Tini blinzelte ihn an, nickte stumm und versenkte sich in dem Kaffee. Pascal erhob sich auch und seufzte "Ich sollte auch nach Hause, ich muss heute Abend bei den Eltern sein, Fondue. Ich weiß gar nicht, ob ich es schaffe, was zu essen."

Kai brachte die beiden zur Tür, während im Hintergrund die Meiersche begann, Tini auszufragen. Pascal drückte ihn kurz und sah ihm in die Augen "Machs gut, Kai. Ich ruf dich an, ja? Wenn ich wieder da bin."

"Mach das auf jeden Fall, ich hab in den nächsten Tagen frei." Mutig küsste Kai ihn auf die Wange und wurde von einem kleinen Lächeln belohnt, das nur Pascal so süß hinbekommen würde.

Während Pascal sich umdrehte, küsste Lukas Kai erst auf die Wangen, dann drückte er ihn und flüsterte "Immer schön auf den Wegen bleiben, wenn du in den Wald gehst, mein Rotkäppchen. Lass mich wissen, was du dir wünschst."

"Ich werde darüber nachdenken. So leicht lasse ich dich nicht davonkommen." Betont zickig entzog Kai sich ihm und wandte sich ab. Zum Glück beließ Lukas es dabei, sein schwerer Schritt entfernte sich über die Treppen, während er Pascal fragte, ob der ihn vielleicht die zwei Straßen rumfahren konnte.

Kapitel 41

Müde kehrte Kai zum Esstisch zurück. 'Mission Nummer eins, Nervensägen und Baggerfahrer loswerden, erfolgreich beendet. Nun zu Mission Nummer zwei, Tussi loswerden, und zwar schnell.'

Sein Gewissen schaltete sich in dem Moment dazwischen und erinnerte daran, dass es auch eine Mission sein würde, dem verreisten Freund zu erzählen, dass man da einen kleinen Fehltritt begangen hatte... schon wieder... wieder mit demselben Fehltrittsammelpunkt, den der Freund ohnehin schon nicht abkonnte. 'Mission Nummer drei wird eine Selbstmordaktion werden. Ich denke, dass ich die unangenehmen Dinge einen Schritt nach dem anderen tun sollte. Erst Tussi, dann Selbstmord.'

Tini hing noch immer recht geschafft am Esstisch und nickte zu Carls begeisterter Brillenberatung für ihren Gesichtstyp nur wenig enthusiastisch. Kai beobachtete die beiden einen Moment lang, dann beschloss er, den Rauswurf zu verschieben und ging, um Lollis Zimmer in den alten Zustand zu bringen.

Tini hatte dies schon begonnen, indem sie das Klappsofa zusammengebaut und das Bettzeug auf einen ordentlichen Stapel gelegt hatte. Mit müden Bewegungen legte er die Decke und die Bezüge einzeln noch einmal zusammen und dachte über Lukas nach.

'Was geht nur in ihm vor? Er kann doch keinen Spaß haben, wenn nur ich komme, oder? Irgendwann würde ich an seiner Stelle ja den totalen Frust kriegen.' Er ließ sich auf dem Sofa nieder, das Bettzeug auf den Knien. 'Ob er mir so zeigt, dass er gutmachen will, was am Anfang zwischen uns schiefgelaufen ist?' Er grinste und streckte die Schultern einmal, die beengt verbrachte Nacht steckte ihm doch in den Knochen. 'Jedenfalls ist er, was sein Wort angeht, fair. Ich hab den Wunsch frei, und das wird keine leichte Sache für ihn werden.'

Tini kam in das Zimmer gestolpert und stockte kurz, als sie ihn sah, dann ging sie langsam auf ihre Stiefel zu und kramte in einem von ihnen herum. "Mein Handy hab ich hier gestern... ah, da ist es ja. Ich ruf Peter eben mal an, ob der meine Jacke gefunden hat."

Kai nickte nur und ging an ihr vorbei in sein Zimmer, um sein Handy ebenfalls einzuschalten. Noch immer hatte er keine Nachrichten oder Anrufe. Nichts von Jan. Es schuf ein merkwürdiges Gefühl in Kai. Eine Mischung aus Sorge und Kälte im Bauch. 'Er ist Skilaufen. Ob ihm etwas passiert ist? Tausend Dinge könnten gewesen sein. Stürze, er könnte verletzt sein.' Er begann schon zu überlegen, wen er noch aus der Gruppe anrufen könnte, aber wusste doch auch so, dass er von Jan abgesehen in ihrem Semester nur Holger besser kannte, und der war zwar Skilaufen, aber mit Bundeswehrfreunden.

Missmutig und besorgt ging er zu Carl zurück und ließ sich von ihm anstarren. Er wollte gerade aufgeben und Lollis Freund alles von dem Abend und der Nacht mit Lukas erzählen, als Tini zu ihnen zurückkam und verkündete. "Peter räumt gerade auf drüben und hat meine Jacke. Er bringt sie hier gleich mal vorbei, okay?"

"Ist gut." 'Dann kann er die Tussi auch gleich einladen und mitnehmen.' Im gleichen Atemzug dachte er jedoch 'Das war dieser schlecht gelaunte Sozialmacker, der Tini immer begrapscht hat, oder?' Merkwürdigerweise wollte Kai nicht, dass dieser Typ ihr Ärger machte.

Tinis Handy piepte einige Male und sie lachte auf. "SMS, diese hier um zwölf Uhr vier verschickt, diese um halb eins, ist das schräg, wann die erst ankommen!" Sie drückte rasend schnell auf den Knöpfen ihres Telefons herum, schaffte es zugleich sogar noch Kaffee zu trinken, dann las sie vor. "'Hallo Tinchen, zum Neuen Jahr die besten Wünsche, sei immer mit Gott.' Toll. Wir hätten unserer Tante kein Handy schenken sollen. Ah, mein Bruder 'Yo Sis, alles geil hier, Jester hat um elf schon gekotzt, der Gig war megamäßig.' Mein Bruder hat ´ne Punk-Band und kommt sich zurzeit selber auch megamäßig vor, obwohl der Auftritt nur auf 'ner Schülerparty war. Oh, die ist von Bianca."

Kai zuckte zusammen und hob den Kopf. 'Bianca, die hatte ich ganz vergessen.' Seine Sorge um Jan vertiefte sich weiter.

"Sie schreibt so viel... hat mehr als ihre erlaubten Zeichen gebraucht. 'Frohes Neues! Wetter bescheiden, zu warm, Regen. Pool ist super. Party macht Laune. Hoffe, dass dein Silvester auch so geil gelaufen ist wie meins. Jan und ich haben uns vertragen, superguter Urlaub! Herzchen, Küsschen...' Die ist betrunken, toll. Jan... war ja klar. Scheiße."

Tini warf das Handy auf den Tisch zurück und verkündete mit einem Mal gereizt "Ich antworte niemandem, das ist doch saublöd, wie ein Weltmeister Einheiten zu verballern, nur weil Silvester war." Erst verspätet schien sie die Blicke von Kai und Carl zu bemerken. Ersterer im tiefen Schock, letzterer dämlich grinsend. "Ist was?"

Kai schüttelte den Kopf und trat unter dem Tisch gezielt und nicht gerade vorsichtig nach Carls Fuß. Mit einem leisen Ächzen schüttelte die Meiersche ebenfalls den Kopf und erhob sich mit noch breiterem Grinsen. "Ich räume mal die Küche auf, ihr Lieben. Lolli kommt sicherlich auch gleich und macht wieder Wirbel hier." Er entschwand hastig und ließ Kai mit Tini allein.

Kai konnte keinen klaren Gedanken fassen. Seine Finger gruben sich schmerzend in seine Handflächen, während er verzweifelt versuchte, sich davon abzuhalten, Jan sofort anzurufen und zur Rede zu stellen.

'Scheißescheißescheißescheiße... Jan... wieso? Diese dusselige Kuh! Kann man ihm denn nicht einmal vertrauen?'

Eine kleine Stimme der Gerechtigkeit erinnerte ihn an Lukas, und dies verbesserte seine Laune auch nicht gerade. 'Bianca und Lukas sind kein Vergleich, verdammte Scheiße!'

"Verdammte Scheiße...", riss Tini ihn mit einem begleitenden Knallen der Kaffeetasse auf dem Tisch aus seinem düsteren Kreislauf heraus.

"Was?"

"Das mit Bianca. Jetzt geht das von vorn los. Wie ich das hasse!" Sie raufte sich durch die Haare und Kai stimmte ihr frustriert und verängstigt zu. Dann hob sie den Kopf und sah ihn unangenehm direkt an. "Aber ich fand mein Silvester auch sehr schön. Obwohl ich im Klo eingesperrt war, und obwohl ich gleich mit Peter über die Tür reden muss."

Kai errötete und senkte den Blick auf seine verkrampften Hände. "Die Tür war schon kaputt, sonst hätte sie nicht so geklemmt, Tini." In seinem Kopf gingen immer wieder dieselben Gedanken herum. 'Er hat sich nicht mehr gemeldet, er will nicht mit mir reden. Bianca schreibt, dass sie sich versöhnt haben. Jetzt geht das wieder von vorne los, sagt Tini. Hat er mit ihr...? Wäh, ich mag gar nicht dran denken!' Unbewusst schüttelte er sich.

Tini sah ihn verwundert an. "Ist was?" Aber die Türklingel unterbrach sie. Der wirklich schlecht gelaunte Peter war unten und weigerte sich rauf zu kommen, weil er in zweiter Reihe parkte. Hastig zog Tini ihre Stiefel wieder über und umarmte Carl, der sich aus der Küche auf sie stürzte. Kai brachte sie zur Tür, aber verhielt sich offensichtlich abweisend genug. Sie seufzte nur und winkte ihm schwach zu. "Bis demnächst dann."

"Hm." 'Jan... Bianca... ich werde wahnsinnig! Scheißescheiße...' Ohne auf den höflichen Zeitabstand abzuwarten, ließ er die Wohnungstür ins Schloss fallen und lehnte sich dagegen. 'Scheißtag!'

Die Meiersche unterbrach ihn und erinnerte vorsichtig "Vertragen kann von Frauen viel heißen, Maus. Das muss nicht heißen, dass die beiden was haben."

"Aber er meldet sich nicht, seit zwei Tagen schon nicht mehr." Gegen Carl konnte man nichts tun, Kai musste sogar zulassen, dass er in eine warme, weiche Umarmung gezogen wurde.

"Na, na. Was da alles sein kann, Kai. Du bist vielleicht zu..."

"Er hat mich sonst ein- oder zweimal am Tag angerufen, Carl. Und einen Tag vor Silvester, bumm... nichts mehr. Und auch auf meine Nachricht hat er nicht geantwortet und dann das Ding mit Bianca. Die lügt Tini nicht an, das sind beste Freundinnen. Tussis erzählen sich doch immer alles, ist doch so." Verzweifelt sank Kai in sich zusammen und ließ sich auf die Sitzbank bugsieren und sogar über den Rücken streicheln.

Carl fuhr ihm mit den Finger weich an den Haaren entlang und lehnte sich dichter. "Das glaub ich nicht. Jan ist doch der 'Ich muss über alles reden' Typ. Der würde so was nicht stillschweigend machen. Kaichen, du kennst den doch, das kann nicht sein, dass er..."

Das Türschloss knirschte, und Lolli stürmte in die Wohnung. "Hallo, kleine Maus! Juhu Meierchen! Ich bin wieder dahaaaa!"

Kai ließ sich frustriert auf die Sitzbank fallen. 'Das ist wohl kaum zu übersehen.'

Lolli trug seine Kuhscheckenhose, darüber einen Tigerstreifenmantel und ein Hemd, auf dem zwei ineinander verschlungene Männlichsymbole aus Strass glitzerten. Zudem hatte er eine riesenhafte Sonnebrille auf und einen zierlichen, gebräunten Mann in einer dunklen Stewarduniform im Arm.

Sogar Carl ließ den Mund einen Moment lang offen stehen, während Lolli ganz seinen Auftritt genießend in der Wohnung umherwedelte, mit großzügigen Gesten alle rundum vorstellte und das braun gebrannte Ding dann nach Namensgebung, die in Kais Ohren wie Jiffi klang, ins Bad abschob.

Endlich verschwand er in sein Zimmer und Carl zog die Augenbrauen über seinen hellblauen Augen zusammen. So richtig wütend hatte Kai ihn noch nicht gesehen, aber vermutete, dass er es doch nun eigentlich einmal werden konnte. Nach immerhin um die dreihundert umsonst verfahrenen Kilometern am Neujahrsmorgen.

Doch Carl lachte. Sein Körper vibrierte förmlich und aus irgendeinem Grund war es mit einem Mal auch eine Erleichterung, dass Carl noch immer so war wie immer. Die Meiersche, unbesorgt und über das Leben lachend. Er wischte sich über die Augen und sank kichernd neben Kai zusammen. "Das ist Lolli wie er leibt und lebt!"

"Was? Du kommst extra zum Trösten hierher und er? Er schnappt sich so einen Jiffi und alles ist wieder gut für ihn, toll." Verärgert, obwohl es ihm eigentlich egal sein konnte und obwohl er nahe am Mitlachen war, verschränkte Kai die Arme.

Carl rückte noch dichter zu ihm und drückte ihn schnell einmal an sich. "Hey, ich bin zum Trösten hergekommen, und das hab ich auch getan, Maus."

Kai wurde rot, aber konnte sich nicht vor Carls Umarmung retten.

Lolli unterbrach sie, bevor Kai sich gefangen hatte und bedanken konnte, indem er von Mantel und Brille befreit in das Zimmer zurückkehrte und die Geschenke ausbreitete. Ein Duschvorhang mit zwei nackten Männern drauf, ein tödlich kitschiges Bild und Kai hatte den Verdacht, dass er es demnächst jeden Morgen beim Duschen ertragen würde, eine Box Toffees, etliche T-Shirts, eines silbern, sicherlich bauchfrei mit einem Paar Flügel drauf, eines schwarz und ärmellos, aber dafür am Bauch und Rücken weitgehend durchsichtig und etliche andere, die Kai genervt auf einen Haufen zusammenschob. Er bekam den Auftrag, sich zwei auszusuchen und nahm noch genervter die ersten zwei Shirts, die er greifen konnte, um sich damit in sein Zimmer zu verziehen, während dieser Jiffi nackt aus dem Bad hervorkam, um nach einem Handtuch zu fragen. Lolli reichte es ihm mit einigem an Getüdel und Geknutsche und Gefummel ins Bad hinein, während Carl gaffte und lachte.

Mit einem Knall schloss Kai die Zimmertür und lehnte sich erschöpft dagegen, rutschte daran entlang auf den Boden und vergrub sein Gesicht in die Hände. Er feuerte die Shirts auf sein Bett und versuchte sich vom Durchdrehen abzuhalten. Im Wohnraum klapperte Geschirr, und Lollis Stimme, mal lauter, mal leiser, weil er zwischen Küche und Wohnzimmer hin und herzulaufen schien, erzählte von der Fahrt und dem Streit mit Frank.

Kai blendete die Erzählungen aus und rief Jan an. Nichts. 'Teilnehmer nicht erreichbar.' "Scheiße." 'Scheiß Bianca, Mistkerl, scheiß Silvester!' Er trat gegen die Tür und warf sich dann aufs Bett, um hysterisch zu heulen.

So blieb er einige Stunden, wie es ihm schien, regungslos liegen, dann raffte er sich mühsam auf und wollte sich gerade nach einem schnellen Besuch im Bad für das Bett fertig machen, als Carl anklopfte, gleichzeitig reinkam und sich zu ihm aufs Bett setzte.

"Na, Maus?"

"Was?! Ich will eigentlich nur meine Ruhe haben und ins Bett gehen, Carl."

"Huch. Das wird jetzt aber irgendwie problematisch." Carl wies, die Finger erschrocken an den Mund gehoben, mit dem Kopf in Richtung Lollis Zimmer. "Lolli will mit seiner Neueroberung vom Flugzeug ein wenig allein sein, und ich mag nicht so weit fahren, schon gar nicht bei dem Wetter." Er besah sich seine Fingernägel und sagte dann eine Spur zu schnell "Also muss ich bei dir schlafen."

"Was?! Das kommt nicht in Frage!" Kai holte noch einmal Luft, aber sah dann leider in Carls Gesicht. Das war ein Fehler. Wenn jemand den traurigen Bettelblick Marke 'Ausgesetzt und so allein' besonders gut beherrschte, dann war es Carl. Große, hellblaue Augen trieften vor Selbstmitleid in einem tiefen Blick aus dem runden, sonst so fröhlichen Gesicht. Ein leises Schnüffeln begann, und Kai bekam eine mittlere Krise.

"Also gut. Heute Nacht! Ich hasse dich, nur damit du es weißt!"

"Es ist nur, weil Lolli..."

"Den hasse ich erst Recht! Scheiße!" Erbost ging Kai mit seinem Schlafzeug zum Bad, um sich umzuziehen. Auf halber Strecke stockte er und drehte sich zum Telefon um. 'Hm...' Noch bevor er darüber hatte nachdenken können, suchte Kai die Nummer aus der Liste an der Pinnwand und wählte.

Er fing einen verwirrten Blick von Carl auf, der in seiner Sporttasche zu wühlen begonnen hatte. Und wie verrückt seine Idee gewesen war, fiel ihm erst auf, als sich die Stimme am anderen Ende meldete. 'Scheiße! Wieso hab ich das jetzt gemacht?' Doch dann grinste er böse und streckte sich. Er wendete sich nicht von Carl ab, sondern sagte ihn anstarrend betont leise "Hi, ich bin's." Die lärmende Musik im Hintergrund auf der anderen Seite erstarb als Antwort. Er zögerte, aber fuhr dann eine Spur schneller fort "Lolli hat 'nen neuen Freund mitgebracht. Carl oder mich, was willst du haben?"

Stille, dann atmete Lukas hörbar aus und erwiderte erstaunlich gelassen "Na, welch frohes Neues. Ich hol dich in 'ner halben Stunde ab."

Kai grinste und legte auf. "Du kannst mein Bett heute Nacht haben, Carl."

Die Meiersche warf sich seufzend auf das Bett zurück und entgegnete leicht pikiert. "Und das mir! Meine Güte. Ich hätte den Tag herrlichst mit meinem Kerl im Bett verbringen können, aber was ist? Ich schlaf in dem Ehebettchen von unserer Maus, gerade frisch geschieden. Das ist deprimierend." Er stützte sich auf und fragte gleich darauf listig "Weiß Lukas, dass du ihn nur benutzt, um dich abzureagieren, weil dein Kerl sich nicht benimmt?"

"Sei still, sonst schläfst du auf der Straße oder auf der Eckbank am Tisch." Kai hatte sich eigentlich wegdrehen wollen, dann registrierte er den ersten Teil von Carls Satz verspätet und ging weiter auf ihn zu. "Du hast einen Freund?"

Carl gähnte leicht und nickte. Er wedelte mit den dicken Fingern ein wenig hin und her, dann wiegelte er ab "Ist mir so über den Weg gelaufen, ein wenig mager, aber da gleichen wir uns vielleicht ab. Willste Foto sehen?"

Neugierig verschob Kai das Tasche packen und sich wegen seines Mutes Sorgen machen auf später und setzte sich zu Carl aufs Bett. Dieser zog aus seinem Portemonnaie ein neu wirkendes Bild zwischen einem kleinen Chaos an Belegen, Merkzetteln und Geldscheinen hervor.

Auf dem Bild war ein sportlicher, drahtig aussehender Typ mit blondierten Haaren, mit Ohrring und einer bunten Tätowierung auf dem Oberarm. Er trug nur eine Shorts, es schien auf dem Bild Sommer zu sein. "Superscharf, oder? Hanno, 20 Jahre alt. Er ist Verkäufer in dem neuen Outdoorladen bei uns in der Straße."

"Wow. Herzlichen Glückwunsch."

"Danke." Carl verkramte das Bild wieder und erhob sich. "Dann will ich mal duschen gehen."

Hastig holte Kai seine Zahnbürste und sein Deo aus dem Bad und begann eine Tasche mit viel zu vielen Klamotten für die eine Nacht vollzustopfen.

Von Lolli und dem Jiffitypen war nur Gekicher und psychedelische Musik zu hören, und aus dem Bad sang die Meiersche unter der Dusche schief mit einem Lied im Radio mit, als es endlich erlösend klingelte. Kai rief in die Sprechanlage "Ich komm runter!", und nahm die Treppen im Laufschritt, sodass er keuchend auf der Straße ankam, wo Lukas in zweiter Reihe bei laufendem Motor geparkt hatte.

Lukas stand neben dem Wagen, die Arme locker verschränkt, die schwarzen Haare verwuschelt. Er trug eine Jeans voller Farbflecken mit durchgewetzten Stellen an den Knien, sowie ein verwaschenes kariertes Hemd, das offen darüber hing. Kai seufzte, offensichtlich hatte er Lukas dabei gestört, ein Bild zu malen.

Lukas kommentierte die Lage nicht, er lehnte stattdessen gelassen noch zwei Züge rauchend am Wagen und streifte Kais Gesicht mit einem kurzen Blick, dann warf er seine Zigarette fort, um ihm die Tasche abzunehmen. Schweigend hielt er ihm die Tür auf, und Kai stieg ebenfalls schweigend ein.

'Fühlt er sich von mir verarscht? Ausgenutzt? Oder schlimmer, angebaggert? Oder was denkt er jetzt? Scheiße. Warum hab ich das überhaupt gemacht? Um mich an Jan zu rächen? Ja? Carl hat Recht, das war es vermutlich. Wie verdammt kindisch. Zudem verdammt nutzlos, Jan ist nicht mal hier.' Sich blöde fühlend hockte Kai mit hängendem Kopf auf der Sitzbank und reagierte nur mit einem kleinen Zusammenzucken, als Lukas sich mit Schwung neben ihn fallen ließ. Weiterhin schweigend fuhr er an.

Erst auf der Hauptstraße, als sie in dem recht dichten Feiertagsverkehr mitrollten, fragte Lukas "Und? Lolli hat sich mit Frank vertragen, oder hat er eine Trösttunte aufgetrieben?"

Kai schluckte seine bitteren Gedanken fort. "Letzteres. So ein Jiffi, Steward bei British Airways. Mit denen ist Lolli zurückgeflogen, weil er nicht mit Frank im Bus mitfahren wollte. Last Minute hat wohl nicht so viel gekostet."

"Na, dann ist ja alles wieder in Butter. Carl pennt bei dir im Zimmer, ja?"

"Hm."

"Du verpasst was, er soll großartig massieren können... neben anderen Dingen."

"Er hat 'nen Freund, hat mir ein Bild gezeigt."

Lukas lachte. "Wieder so eine absolute Sahneschnitte, bei der man sich fragt, wo er die immer findet?"

Erstaunt hob Kai den Kopf. "Ja, wie...?"

"Wie er das macht? Ist mir ein Rätsel. Vermutlich sind diese supersüßen Jungs es leid, immer nur nach dem Äußeren gewählt zu werden und freuen sich, wenn sie mit Carl zusammen sein können, der sie wirklich anbetet." Lukas grinste leicht. "Oder sie sind sehr betrunken und lassen sich von ihm abschleifen, stellen dann aber fest, wie absolut ungeschlagen er im Bett ist. Ich hab es nie glauben können, aber es ist mir mittlerweile von unabhängigen Quellen zugetragen worden."

"Hätte ich nicht gedacht."

"Er hat leider das Pech, dass er sehr weich ist, nicht nur äußerlich, auch innerlich, und sich stets irgendwie ausnutzen lässt. Im Endeffekt wird es den Schnittchen zu langweilig, wenn sie ihren Willen immer bekommen, und sie hauen mit einem Arschloch ab, um dann irgendwann mit ihrem Liebeskummer wieder zu ihm zurückzukommen. Aber das muss man Carl zu Gute halten. Er hat keinen von ihnen jemals wieder genommen. Soviel Stolz hat er." Lukas verzog den Mund und warf einen Seitenblick auf Kai. "Mehr als ich."

Knallrot im Gesicht senkte Kai den Kopf. 'Scheiße.' "Entschuldige. Ich..."

"Halt die Klappe. Ich bin alt genug, um zu entscheiden, welche Fehler ich mache." Lukas bog ab, hielt an einer Fußgängerampel und nickte einem Nachbarn zu. "Wieder und wieder mache", fügte er dann leise an, bevor er den Wagen vor der Garage anhielt. "Steig schon mal aus, ist zu eng drinnen."

Unglücklich und sich nicht sonderlich gut fühlend stand Kai vor dem Hauseingang, zitterte in der schneidenden Kälte und wartete ein wenig ängstlich beinahe auf Lukas, der samt seiner Tasche und einem Karton mit Farbdosen recht bald auf dem Plattenweg auftauchte. Kai traute sich nichts zu sagen und verfluchte, dass er Lukas angerufen hatte. Dieser öffnete ihm die Wohnungstür, ließ ihm den Vortritt und frage dann, wie um es gezielt schlimmer zu machen "Ist das jetzt der Wunsch, den du im Ausgleich haben willst?"

Kai runzelte beleidigt die Stirn. "Ist es so schlimm? Wenn ja, dann will ich gleich wieder zurück, dann lasse ich dich jetzt allein und..."

Er kam nicht weiter, weil Lukas die Tasche und den Karton achtlos fallen gelassen hatte, um Kai zu packen und an die eben zuschnappende Wohnungstür zu pressen. Sie starrten sich in die Augen, dann schüttelte Lukas den Kopf. Statt ihn anzufassen oder ihn zu küssen, wie Kai zunächst vermutet hatte, sagte er den Kopf ein wenig schief gelegt "Nein. Natürlich nicht. Sonst hätte ich den Fehler nicht gemacht." Ein leichtes Streicheln über Kais zusammengezogene Brauen, wie um seine Sorgen fortzunehmen, dann wandte Lukas sich wieder ab.

"Aber du sagst Fehler. Also ist es doch keine gute Idee?"

Lukas schob einen Arm um seine Schultern und drehte sich um, zog Kai aus der Bewegung mit sich zum Wohnzimmer, ohne den Karton, die herum kullernden Spraydosen oder die Tasche zu beachten. "Natürlich ist es keine gute Idee, wenn du allein und ohne deinen kläffenden Wachhund hierher kommst. Das führt mich viel zu sehr in Versuchung zu denken, dass du das tust, weil er dir nun doch auf die Nüsse geht. Ist das etwa so?"

Lukas pellte Kai aus seiner Jacke und nahm ihm den Schal weg, warf beides auf einen Sessel, während er ihn auf das Sofa beförderte. Neugierig sah Kai sich das Wohnzimmer genauer an. Während der Party waren alle Möbel umgestellt gewesen, Klappstühle dazugekommen und die Couch verrückt worden. Nun stellte er fest, dass es sehr chic aussah. Die Möbel waren alle sehr schlicht und einschließlich der niedrigen Couch, auf der er nun hockte, ausnahmslos weiß, vermutlich um nicht vom Flugzeugbild an der Wand abzulenken.

Ein Regal, sicherlich von Ikea, lag quer unter dem Bild, war so zwar recht lang, aber kaum kniehoch. Dorthin ging Lukas nun, um hinter einer Milchglasklappe Gläser hervorzuholen. Dabei bekam Kai einen ausgezeichneten Ausblick auf den durchgescheuerten Jeansstoff über seinem Hintern. Eine schwarze Shorts schimmerte eben durch, eng, wie es aussah. Das war nicht fair.

Verlangsamt beantwortete er die Frage mit der kleinen Sammlung an Dingen, die passiert waren, während Lukas zwischen Küche und Wohnzimmer hin- und herging, um Getränke zu besorgen. Erst waren da ja die sehr unpersönlichen Anrufe, dann ihr gänzliches Wegfallen, dann das nicht mehr erreichbar sein, nicht ans Telefon gehen, die Nachricht von Bianca an Tini als eine Art Höhepunkt. "Er hat ja immer seine Zweifel gehabt. Ich bin schon ab und zu nervös geworden, wenn er so davon angefangen hat, dass er nicht weiß, was ihn zu mir hinzieht, dass er andere Männer nicht attraktiv findet, dass er Frauen weiterhin sexy findet und sich gern auch ansieht. Aber... ich..."

Lukas verschwand ein letztes Mal in der Küche und kam mit den nun gefüllten Gläsern wieder zu ihm. "Du hättest nie gedacht, dass es nur ein paar Kilometer Entfernung braucht, damit er ruckizucki ins Wasser springt, um zum anderen Ufer zurückzuschwimmen? Nur, weil eine willige Tussi in der Nähe ist? Tja, was soll ich sagen, Kai. Guten Morgen?" Lukas stellte ein Glas mit dunkler Flüssigkeit vor Kai hin.

"Was ist das denn?" Misstrauisch schnüffelte Kai am Glas und bemerkte, dass das Zeug warm war, nach Kaffee duftete und nach etwas anderem.

"Kaffee mit Kaluah. Nimmst du Milch und Zucker?"

"Ja, bitte." Unleidig rührte Kai in seinem Glas und nippte dann einige Male. Das Getränk tat ihm gut. Es wärmte, und der Alkohol störte ihn nicht, sondern wärmte nur noch weiter. Seufzend wollte er in Trübsinn und seine eigenen Gedanken versinken, als Lukas Musik anstellte. Kai hob den Kopf, weil es nicht Techno war oder Trance, sondern langsame Musik, von einem Sänger dominiert. "Was ist das?"

Lukas ließ sich neben ihm nieder und trank einen Schluck, fummelte sich eine Zigarette aus der zerknickten Schachtel, aber zündete sie nicht an, spielte nur damit. "Fish. Ich mag den zu komplizierten Gesprächen, weil seine Texte so kompliziert sind."

"Tut mir leid."

"Was? Dass du mir mit deinen selbst gemachten Problemen auf die Nerven gehst?"

Kai schüttelte den Kopf. Er warf einen unsicheren Blick auf Lukas, dann flüsterte er "Dass ich so kompliziert bin."

"Wegen der Hete. Mach dir keine Gedanken, das kann ich verstehen."

"Ich..." Kai zögerte und holte Luft, anstelle den Satz zu beenden.

Lukas trank sein Glas aus und lehnte sich neben ihn an. "Du bist trotz allem in ihn verschossen."

'Scheiße.' Kai nickte. Lukas schien das Talent zu haben, genau zu sagen, was wehtat. Weh tat, weil es stimmte.

Lukas holte Luft, aber ein Geräusch unterbrach ihn. Kais Handy machte in der Jackentasche Radau. Mit einem Hechtsprung war Kai beim Sessel und kramte das Telefon mit zitternden Fingern hervor. 'Scheiße, wenn das jetzt Jan ist... was sag ich? Was...?' Aber auf der Anzeige las er nicht 'Jan' sondern 'unbekannter Teilnehmer'. Atemlos meldete er sich, erwartete seine Eltern. Zu seinem Schrecken war es doch Jan.

"Hi. Ich bin's." Die heisere, ihm so vertraute Stimme, die ungeahnt heftiges Kribbeln der Gefühle in Kai schuf. Er hoffte, hoffte so sehr, dass Jan das Richtige sagen würde. Dass er Bianca alles erklärt hatte, dass er mit Kai zusammen sein wollte. Und Bianca hatte mit dem Vertragen doch was anderes gemeint.

"Hi. Was war los? Ist was passiert?" Nervös hockte Kai sich auf den Sessel und seine Jacke.

Jan seufzte einmal leise, dann erwiderte er beinahe abweisend. "Ja, ist es. Ich... Wir müssen reden, wenn ich wieder da bin." Kai wurde innerlich kühl, Jan klang so entfernt, und er sagte den falschen Text.

"So?"

"Bist du morgen Abend da?"

Kai wurde schlecht, sein Herz begann zu rasen und seine Hände wurden feucht. Erst nickte er nur, dann flüsterte er heiser "Worüber reden? Was ist passiert?", obwohl er es doch schon wusste.

Jan machte ein gereiztes Geräusch. "Zuviel für das Telefon. Mein Handy ist bei einem Unfall zu Bruch gegangen, ich steh in 'ner Zelle."

'Zuviel? Was soll die Scheiße?! Kann er nicht gleich sagen, was Sache ist? Arschloch! Ich will es hinter mich bringen, jetzt. Sofort... und schnell, weil ich glaube... noch eine Minute länger und ich fange zu heulen an. Scheiße!' "Wenn du mit 'zu viel' Bianca meinst, dann sei beruhigt. Das weiß ich schon." Kais Stimme zitterte leicht und er biss sich auf die Lippe.

Es war kurz still am anderen Ende. Dann atmete Jan aus. "Scheiße. Woher? Wie hast du...?"

"Tini hat ihre freudige Nachricht zu Silvester bekommen. Und? Stimmt also, na wundervoll."

"Können wir bitte darüber reden, wenn ich wieder da bin, Kai? Ich hab hier..."

Kai spürte, wie seine Augen zu brennen begannen. "Nein... ich will dich nicht sehen!"

"Kai, bitte, so geht das nicht, wir..."

"Ich will es auch nicht hören! Scheiße! Es ist mir egal, Jan." Das war es nicht, ganz und gar nicht. Der Gedanke, dass Jan ihn nicht mehr liebte, dass er zu dieser Tusse zurück wollte, ließ ihn würgen. Es fühlte sich an, als umfasste jemand seinen Magen mit einer Faust.

"Egal? Aha."

Kai schwieg stur.

"Ich hab einen Fehler gemacht, aber Kai, wenigstens die Chance, es zu erklären, werde ich doch bekommen, oder?"

"Okay, ich höre."

"Nein. Nicht am Telefon."

Die Sicherheit war in Jans Stimme zurückgekehrt. Kai schloss die Augen, bevor er heiser zischte "Jetzt oder nie."

"Kai, das geht nicht, ich steh in einer Zelle, und zwar im..."

"Darum geht es nicht. Ich kann das nicht mehr. Ich will nicht mehr, egal was es ist, egal wo oder wie. Immer diese Zweifel, dieses verfickte Reden! Lass mich damit in Ruhe, hörst du?! Ich will es sowieso nicht mehr hören!"

Stille. Dann raschelte es leise und Geld klimperte im Hintergrund. "Machst du Schluss?"

"Fick doch weiter mit deiner Tussi rum, du Arsch! Dann fragst du dich wenigstens nicht dauernd, was du verpasst!"

Jan schnaubte einmal, dann murmelte er "Du bist hysterisch, so geht das nicht." und legte auf.

Kai biss sich noch fester auf die Lippe, dann, anstelle auch aufzulegen, feuerte er das Handy quer durch den Raum, wo es sich an der Tür zu Lukas' Schlafzimmer in diverse Einzelteile zerlegte. Gleich drauf begann er zu schluchzen, auch wenn er es verhindern wollte, und sank auf dem Sessel zusammen.

Erst als eine warme Hand sich auf seine Schulter legte, wurde ihm bewusst, dass Lukas die ganze Zeit im Zimmer gewesen war; er hatte ihn ausgeblendet. Lukas kniete sich vor den Sessel, drückte ihm ein Taschentuch in die Finger und legte die Arme um seine Schultern. Mit einer Hand zog er Kais Gesicht zu sich herunter und streichelte ihm durch die Haare.

Er blieb still, sagte die ganze Zeit kein Wort, bis Kai sich beruhigt hatte. Sein Schweigen tat Kai gut, auch wenn es machte, dass er seine eigenen Gedanken überlaut in seinem Kopf vernahm. 'Idiot! Hysterisch stimmte! Du hättest ja abwarten können. Warst doch selber untreu! Wahrscheinlich war da gar nichts. Heterogefummel oder so.'

Eine andere Stimme jedoch zischte böse 'Sei froh. Immer und immer wieder taucht eine Tusse auf. Das wird sich nicht ändern. Wenn ihr Streit habt, verlässt er dich, um zu dem Normaloleben zurückzukehren, ist doch ein leichter Weg. Kann man ja auch verstehen! Du Idiot hättest es doch auch so gemacht.'

Keine der beiden Stimmen schaffte es, zu überwiegen. Aber Lukas' Streicheln schaffte es, ihn zu beruhigen. Kai rückte ein wenig weiter vor und umarmte ihn seinerseits fest, zog seinen kräftigen Körper zwischen die Beine dicht an sich heran, um sein Gesicht an die Schulter anzulehnen.

Die Musik war passend dazu langsam und ein wenig melancholisch, es schien um Schlussmachen zu gehen in den Liedern. Zittrig seufzend vergrub Kai eine Hand in Lukas' Haare, wollte sich nie wieder bewegen. Nichts anderes hören als die Musik und nichts mehr sehen, nur die warme Umarmung spüren, die alles andere auszuschließen schien.

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