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Auster, Nikigraus und Nuss

Kapitel 8-12

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Inhaltsverzeichnis

8 Himmlische weiße Hölle!

Ihr nächstes Ziel war die Notdienstapotheke, wo Bjarne das Schmerzmittel von einem total netten älteren Herrn in Strickjacke ausgehändigt bekam. Der Apotheker machte noch Scherze über den Schnee und schenkte Bjarne Taschentücher mit kleinen Weihnachtsmännern drauf, dann durfte Bjarne sich erneut vom Schnee freischütteln und weiterfahren. Im Ort kamen sie gut voran, weil eine Schneeräumung ein Weilchen direkt vor ihnen herfuhr. Die bog am Krankenhaus leider auf die Auffahrt ab. Seufzend stellte Bjarne auf Autoradio um und legte den Gang wieder einen zurück.

"Mehr als zweiter Gang ist grad nicht mehr drin."

Niklas ruckelte ein wenig rum, dann sagte er mit belegter Stimme. "Ich sag das nur ungern, aber ich muss mal."

"Mann, hättest du das nicht eben merken können?!"

Niklas hob den Gipsarm. "Da hatte ich was anderes zu tun! Fahr halt voran!"

"Schneller geht es nicht! Sollen wir noch mal wieder zurück?" Bjarne wollte nicht. Vom Krankenhaus hatte er echt erst mal genug gesehen.

Niklas schüttelte auch den Kopf. "Fahr mich nach Haus."

"Na danke. Ja, mein Meister, aber immer doch, mein Meister!"

"Hey! Ich hab Paul für dich die Fresse poliert! Das wird mich kosten!"

Bjarne sah überrascht zu ihm rüber. "Für mich?"

Niklas bekam schon wieder rote Ohren. "Ja. Wen sonst?"

"Florian zum Beispiel?"

Niklas schnaubte nach einer kurzen Weile. "Auch gerade! Florian ist doch selber total anti. Warum er sich mit dir abgegeben hat, ist mir langsam echt ein Rätsel!"

"Mir ehrlich gesagt auch." Und es war deprimierend, dass Niklas ihm das auch noch so sagen musste. Bjarne wusste doch selber, dass er nicht supergeil ausschaute. Er wusste, dass er langweilig war. Eine Schnarchtucke, genau wie Niklas ihn immer nannte. Er brauchte auch an Weihnachten keinen, der ihm das permanent erzählte. Deprimiert schwieg er eine Weile. Er lenkte die Familienkutsche durch das kleine Loch in der zugedampften Scheibe spähend die Straße runter. In der Kurve schlitterte das Heck weg und Bjarne ging hastig vom Gas. "Scheiße!"

Nach einer kurzen Zeit der Stille waren die Fenster endlich frei und sie erreichten immerhin schon das Ortsschild. Die Straßenverhältnisse wurden noch schlimmer. Links und rechts waren freie Felder. Der Schnee kam von der Seite und baute auch mal mitten auf der Fahrbahn Schneewehen auf. Konzentriert in die Schneewirbel starrend lenkte Bjarne den Wagen im Schneckentempo weiter.

Nach dem nächsten Ort ruckelte Niklas noch unruhiger. "Ich muss echt. Kannst du hier irgendwo anhalten?"

"Oh Gott!" Bjarne starrte in die weiße Hölle. "Wenn wir nicht festsitzen wollen, dann muss ich fahren. Ich... Oh. Du hast Glück!" Sie kamen gerade an eine Bushaltestelle. Das Bushäuschen hielt den Schnee so leidlich ab und die Bucht war noch befahrbar. Bjarne hielt und ließ den Motor laufen, stellte den Warnblinker an. "Aber mach schnell."

Hastig sprang Niklas in die Kälte raus und ging neben das Bushäuschen. Dann kam er wieder und klopfte bei Bjarne an die Scheibe. "Ich krieg die Hose nicht auf."

Bjarne blinzelte doof, dann stieg er aus und folgte Niklas. Der Schnee wehte ihm um die Ohren, er zog den Kopf ein, dann schob er Niklas' Jacke zur Seite und betete, dass niemand vorbei kam. Die Hose war vorn im Schritt geknöpft, mit klammer werdenden Fingern fummelte Bjarne die Knöpfe auf und trat hastig zurück. Nicht schnell genug. Niklas' bestes Stück kam offensichtlich auch nach der familiären genetischen Veranlagung. Bjarne starrte kurz, klappte im Geiste einen Zollstock aus und starrte noch mal, dann drehte er sich hastig fort.

Verdammt sah der geil aus... Bjarne hatte Notstand, das musste es sein. Aber das war nicht alles. Der kleine Nikigraus sah nicht nur schöner aus als in Bjarnes Träumen, sondern auch so leicht steif, oder? War der Kerl von seiner Hosenfummelei etwa angetan gewesen? Oha, das war ja peinlich hoch zehn! Wenn der an Saskia ran wollte und ihr mit Schokolade nachrannte, dann war ihm so etwas sicherlich unangenehm, oder? Bjarne wollte definitiv keinen Ärger mit dem gefährlichen Nikigraus haben. Nicht, dass der ihn noch verkloppte, weil er irgendwas versucht hatte.

Und Niklas wollte auch keine Hilfe mehr haben. Ohne die Knöpfe zu schließen kramte er an seiner Hose und presste hervor "Lass uns bloß weiterfahren!"

"Und die Hose?"

"Geht so." Niklas saß noch vor Bjarne im Auto und zerrte seine Jacke vor seinem Schritt zusammen, als ob Bjarne ihn bei Schneesturm anmachen wollte. So ein Idiot! Darüber wütend fuhr Bjarne eisig schweigend bis sie fast im Neubaugebiet waren. Überall waren in den leeren Gärten die Weihnachtsbeleuchtungen umgefallen oder von Schnee verdeckt. Es war daher recht duster in der Gegend. Beim gelben Schwedenhaus brannten noch alle Lichter.

Als Bjarne vollkommen erledigt neben dem Haus parkte, ging gleich die Tür auf und die Auster blickte heraus. "Scheiße! Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Warum habt ihr nicht angerufen? Wo haste denn dein Handy? Ist alles okay, Nicki?" Als Antwort winkte Niklas mit seinem weihnachtlich roten Gipsarm. Florian hob eine Hand an die Stirn und schüttelte den Kopf. "Oh, Mann! Ausgerechnet jetzt!"

Todmüde ließ Bjarne Niklas zuerst aussteigen. Unter dem Vorwand, dass er noch den Eiskratzer wegpacken musste, verlor er ein wenig Zeit, während Niklas von dem Chaos in der Klinik und der Fahrt im Schneesturm berichtete. Als Bjarne ausstieg, sah er sich der Auster gegenüber.

Florian blickte ihn seufzend an. "Du schläfst heute besser bei uns."

Bjarne wollte nicht. Wollte weg von der Auster und dem verdammten Nikigraus. "Meine Katze! Wenn die nichts zu fressen bekommt, dann..."

"Sei nicht bescheuert! Die hat Trockenfutter. Morgen fahren wir dich rum. Geh schon rein. Du pennst bei Niklas."

"Was? Braucht der nicht seine Ruhe?" Aufgebracht schüttelte Bjarne den Schnee von seiner Jacke und stieg aus seinen Stiefeln.

"Vor dir?" Florian ging durch die Küche fort.

Ermattet folgte Bjarne ihm und fuhr sich gähnend durch die Haare. "Ja. Ich meine, nachdem ich ihm eben schon die Hose zum Pinkeln aufmachen musste und nicht mal mehr zumachen durfte, so genervt war er, hat er sicherlich nicht auch noch Bock auf mich in seinem Zimmer."

"Was?" Florian starrte ihn an, dann blinzelte er und schüttelte den Kopf. "Da ist das Bad." Weg war er.

Bjarne blickte sich in der Küche um und trank ein Glas Wasser. Nach der Zeit im Krankenhaus und im Wagen fühlte er sich ausgedörrt. Leichte Kopfschmerzen zeigten ihm, dass die Fahrerei bei dem Wetter super anstrengend gewesen war.

Eine SMS schreckte ihn auf. Sie war von Saskia. 'Weiß von wem die Schoki war! Dachte, der will an dich ran. War ich blöd!'

'Niklas. Scheiße!' Seufzend fuhr Bjarne sich mit den Fingern durch die Haare. Der Gedanke, dass morgen diese energische, süße Saskia hier angetobt kommen würde, um sich in Niklas' Arme zu werfen, war irgendwie total schmerzhaft mit einem Mal. Bjarne ließ sich auf dem Sofa neben einem Tannenbaum mit schwedischen Holztierchen und großen Glaskugeln nieder. Eine dezent versteckte Lichterkette brannte noch. Er nahm sich eine Wolldecke, legte sich hin, deckte sich bis unter das Kinn zu und blickte in den Schneesturm raus.

Mit einem Mal sah er die rauen Finger von Niklas wieder in Nuss' Fell kraulen. Er fühlte den Stich in der Brust wieder, den er an dem Tag gefühlt hatte. Es war Einsamkeit und Eifersucht und irgendwie noch etwas anderes. Es fühlte sich an wie Hunger und Fieber zugleich. Bjarne kannte das Gefühl noch nicht. Es war neu und überraschend heftig, fast schon unangenehm. Während er mit müde zufallenden Augen auf den Weihnachtsbaum blinzelte, wurde ihm klar, dass er sich verliebt hatte. Es musste Liebe sein. Zum allerersten Mal in seinem Leben und er hatte es irgendwie verpasst.

 

Bjarne wurde von einem Streit geweckt. Der Streit zwischen Auster und Nikigraus fand in der Küche nebenan statt. Sie meckerten sich an. Es ging um Ehrlichkeit und Offenheit und es ging um Schokolade. Das war an sich an Weihnachten nicht verwunderlich. Genervt schloss Bjarne die Augen noch einmal schnell, dann gähnte er und lauschte auf die Stimmen. Scheiße! Jetzt, wo er darauf achtete, fiel ihm auf, dass er Niklas' Stimme mochte. Sie machte ihm ein warmes Gefühl im Bauch.

Der Streit drehte sich um Saskia und Niklas sagte in dem Augenblick, in dem Bjarne auf seine schöne raue Stimme achtete, dass er das gemacht hatte. Er hatte die Schokolade bei Saskia abgeladen! Wütend schimpfte er, dass sein Bruder nun allmählich damit klar kommen müsste. Florian schimpfte dagegen, wie peinlich das alles sei. Jäh erwachte Bjarne und setzte sich auf. Scheiße! Nicht nur Liebe kannte sein Körper seit gestern Nacht. Er kannte auch Liebeskummer schon. Und die beiden schienen siamesische Zwillinge zu sein.

Das Gefühl kühlte Bjarne aus und machte zugleich, dass er sich einsam fühlte und allein sein wollte. Die Jungs wanderten aus der Küche zu ihren Zimmern rüber, um ihre Handys zu holen. Noch immer ging es um Saskia. Hastig sprang Bjarne auf, brachte den Schwindel von zu niedrigem Blutdruck hinter sich und sprintete zu seinen Sachen in den Wirtschaftsraum. Er hechtete in seine Jacke und Stiefel und entkam in die weiße Hölle.

Vor der Tür steckte er sofort bis über die Knie im Schnee. Es schneite noch immer leise auf die Welt nieder. Die Autos in der Umgebung waren bereits verschwunden. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte Bjarne sich durch den Schnee bis zur Straße vor, wo der schon plattgefahren war.

Seine Schlittschuhe waren noch im Wagen, die würde er schon irgendwann zurück bekommen. Es war noch dunkel überall, aber schon so früh am Morgen stapfte er an lachenden Kindern auf Schlitten und fluchenden unrasierten Männern mit Schneeschippe vorbei bis nach Hause. Auch hier war alles formlos weiß und versteckt. Nachdenklich blickte er zu seiner Dachwohnung hoch. Die Lichterkette vor dem Fenster war dank Zeitschaltuhr schon angesprungen. Nuss blickte strafend auf ihn hinunter.

Er sah ihr in die blauen Augen und verbeugte sich dann zur Entschuldigung für sein zu spätes Heimkehren. Doch er wollte noch nicht rein, der Schnee, die Kälte, die dämmrige Dunkelheit umher passten gerade sehr gut. Sein Leben fühlte sich seit dem gestrigen Abend mit einem Mal komisch an, versteckt und nicht mehr klar. Ein neues Gefühl war zu den anderen gekommen und es brachte Unruhe in seine Gedanken. Es fühlte sich zugleich schön an und schrecklich. Wie Schnee. Weich und kalt. Glitzernd und anstrengend. Komplett nervig und unglaublich faszinierend.

Da er schon eingeschneit und nass war, schnappte er sich selber erst einmal die Schneeschaufel und schuf auf ihrem Weg Ordnung. Geschafft trottete er schließlich in seine Wohnung und fütterte Nuss mit dem von ihr über alles geliebten Thunfisch, um Schönwetter bei ihr zu machen.

Es dauerte über eine Stunde, bis sie ihm verziehen hatte. Er brachte die Zeit mit einer heißen Dusche und Rasur hinter sich. Er konnte sich nicht für Klamotten entscheiden, weswegen er sich seinen Trainingsanzug nahm. Dann setzte er sich mit einem Kaffeebecher und einem Frühstückstoast auf sein Sofa. Kurz überlegte er, ob er ein Feuer in seinem Ofen anzünden sollte, aber seine Energie war aufgebraucht. Stattdessen zündete er nur seine Adventskerze an, nahm sich seine Bettdecke und dachte an Niklas.

War das schrecklich! Jetzt war er verliebt, genau was er immer hatte haben wollen! Jetzt hatte er seinen Weihnachtswunsch bekommen und jetzt wollte er, dass es wieder aufhörte. Es war nicht die süße Auster, die sein Herz zum Stolpern brachte und ihm Bauchweh machte. Es war der Nikigraus. Ausgerechnet. Ein gefährlicher Kerl! Er war kräftig und derb und sah gemein aus. Er schlug sich, hatte eine wilde Exfreundin und noch wildere Freunde. Er machte lauter coolen gefährlichen Sport. Er blamierte einen auf dem Weihnachtsmarkt und schien ständig zu draufgängerisch zu sein.

Seufzend schloss Bjarne die Augen. Aber das war nur der erste Eindruck, auf zweiten Blick war Niklas doch ganz anders. Er kümmerte sich um seinen Bruder, machte so ziemlich alles für ihn, sogar im peinlichen Nikolauskostüm auf einen Weihnachtsmarkt gehen. Er war umsichtig, wenn er mit einem weg ging. Niklas war auf dem Weihnachtsmarkt in der Stadt als einzigem aufgefallen, dass Bjarne weggegangen war. Er hatte Bjarne das niedliche Ökocafé gezeigt und sogar mit ihm auf die Auster und Saskia gewartet. Er konnte sehr zärtlich sein, er hatte einen ziemlich geilen Humor, einen noch geileren Körper und er war ein Katzenfreund. Bjarne knüllte seine Decke zusammen. Niklas hatte eine raue Stimme, die noch immer kribbelnd über Bjarnes Wirbelsäule kitzelte, wenn er sich nur daran erinnerte. Er hatte herrliche Augen, besonders wenn der Blick daraus besorgt auf Bjarne ruhte, wie beim Eislaufen am Nachmittag zuvor. Und er hatte einen wunderschönen... Bjarne verbot sich sofort, auch nur daran zu denken. Saskia konnte man echt gratulieren. Sie würde all das hoffentlich zu würdigen wissen.

9 Engelsstimme

Mit bleiernen Gliedern zog Bjarne sich am frühen Nachmittag seine nette schwarze Hose und sogar ein Hemd an, um so verkleidet auf seine Eltern zu warten. Die würden ihn bald abholen kommen. Erst eine Runde zur Kirche, dann zum Hof, wo sie zusammen feiern würden. Bjarne war überhaupt nicht danach. Er befürchtete, dass er deprimiert sein würde. Seine Mutter würde es sehen und ihn danach fragen und was sollte er ihr sagen? Wenn er sagte, dass er Liebeskummer hatte, dann würde sie sich verschließen, wie seine große Schwester. Es war unfair. Wenn er den Kummer wegen einer Tusse hätte, dann würde sie ihn trösten und aufbauen. Nur, weil es ein Junge war, der ihn so fühlen ließ, nur deswegen war der Kummer in den Augen seiner Familie nichts wert.

Aus dem verschneiten Morgen wurde ein Nachmittag mit auffrischendem Wind. Schneesturm wurde im Radio angekündigt. Bjarnes Eltern riefen kurz nach drei Uhr an und sagten ihm, dass der familiäre Ausflug zur Kirche, damit das Treffen dort und das anschließende gemeinsame Fest wegen der Schneemassen ausfallen müsse. Es war gar kein vernünftiges Durchkommen auf den kleinen Straßen mehr. Sie schlugen ihm vor, dass er einfach mit seiner großen Schwester und ihrer Familie feiern solle. Die wohnten immerhin im Ort.

Hastig rief Bjarne daraufhin seine große Schwester an und sagte ihr ab. Er schob das Wetter vor und berichtete kurz, dass er den Morgen schon draußen verbracht hatte und keinen Wunsch auf Wiederholung des Erlebnisses mit Schneesturm hatte.

Seine Schwester war verständnisvoll, auch wenn seine Nichte und die beiden Neffen im Hintergrund rumjaulten, dass sie Bjarne dabei haben wollten. Allerdings war der Mann seiner Schwester auch kein Fan von Bjarne. Das fing bei dem Piercing an und hörte bei den Klamotten lange nicht auf. Der Typ wusste nicht einmal, dass Bjarne nicht auf Mädchen stand und fand ihn schon scheiße. Erschaudernd versuchte Bjarne sich erst gar nicht vorzustellen, was passieren mochte, wenn er mal mit einem Freund bei seiner Schwester vorbeikommen wollte. Wobei dieses Ereignis ja wieder in weite, weite Ferne gerückt war.

Seine Schwester schimpfte eine Weile auf das Wetter, aber sagte dann auch, dass es in Ordnung sei, wenn er das Risiko mit dem Weg bis zu ihnen nicht auf sich nehmen wollte. Bjarne erzählte ihr, dass er am Vorabend einen Freund zum Krankenhaus hatte fahren müssen. Die Erzählung war unschuldig gewesen, hatte mit dem Schlittschuhlaufen angefangen und war bei dem blöde gebrochenen Handwurzelknochen geendet. Aber sie hatte es ihm angehört. Sicherlich auch, weil er bei seinem Besuch zuvor von Liebeskummer gesprochen hatte.

Misstrauisch fragte sie nach, was für ein Freund das denn sei. Na klar. Die alte Angst, dass er irgendwann doch Ernst machte und tatsächlich einen lebenden Beweis für sein Interesse an Jungs anschleppen würde. Bjarne konnte ihr nicht sonderlich viel zu Niklas erzählen, noch weniger zur Auster. Also log er, dass es wer aus der Freiwilligen Feuerwehr war, den er durch den Weihnachtsmarkt näher kennen gelernt hatte.

Als nächstes schreckte ihn Saskia aus seiner Lethargie. Sie rief auf seinem Handy an. "Bjarne! Du musst heute einfach in die Kirche kommen! Du musst!" Aufgeregt erzählte sie, dass wegen des Wetters so viele Leute abgesagt hätten beim Krippenspiel. "Ich soll heute ganz spontan die Maria spielen, stell dir das mal vor! Niklas hat der Pastor auch eingespannt. Wir wollten hier doch nur beim Aufbauen helfen. Ich kann den Text noch gar nicht! Bitte komm auch her. Um halb fünf geht es los."

Blöde im Hirn versuchte Bjarne sich Worte zurecht zu legen, um Saskia zu sagen, dass es nichts gegen sie sei, er aber gerade nicht die Lust verspürte, sich Schmerzen zuzufügen. Der Anblick von ihr mit seinem Niklas war aber schon allein bei der Vorstellung unglaublich schmerzhaft. Er schaffte es nicht, ihr auch nur irgendetwas zu erzählen.

Hastig legte er auf und suchte in seinem Schrank nach dem Vorrat an Schokolade. Er brauchte jetzt etwas, das ihn glücklich machte. Nuss, die sich zu ihm gesellte und durchkraulen ließ, war nicht geeignet, ihn von seinem Liebeskummer abzulenken. Im Gegenteil brachte das Gefühl ihres weichen Fells und ihr lautes Schnurren immer wieder das Bild von Niklas wieder in Bjarnes Kopf. Wie der kräftige Typ dort gesessen hatte und sachte und lieb gewesen war.

Der vor seinem Fenster herab trudelnde Schnee machte die Sache nicht besser. Schnee erinnerte ihn an die Autofahrt am Abend zuvor. Wieso hatte er es nicht geschafft, die Wartezeit im Krankenhaus für die Erkenntnis zu nutzen, in wen er verknallt war? Jetzt stand ihm die Aussprache mit ausgerechnet Niklas noch bevor. Kein beruhigender Gedanke.

Dann erinnerte er sich wieder an Saskias Stimme. Sie hatte ihm berichtet, dass Niklas in der Kirche sein würde. 'Da kann er mich nicht umbringen, wenn ich es ihm sage.' Außerdem war er sicherlich gut drauf, wenn er und sie sich jetzt schon einig waren. Er blickte sich im Badezimmerspiegel in die braunen Augen. 'Also, Bjarne, auf geht’s! Du hast deinen ganzen Urlaub nächste Woche bis Silvester noch Zeit zum Rumhocken und Depressionen schieben.'

Er verpackte sich erneut in seine Jacke, Schal und Handschuhe und stapfte zu Fuß bis zur Kirche. Dort musste er den Schnee erst einmal von seiner bereits etwas nassen Jacke schlagen, bevor er hinein gehen konnte.

Die Kirche war voll besetzt und es war tatsächlich eine gute Idee gewesen, hin zu gehen. Die gute Stimmung, die festliche Beleuchtung mit den Kerzen überall und das fröhliche Schwatzen der Leute zum Thema Schneechaos taten gut. Die gewohnte Atmosphäre brachte Bjarne Erinnerungen an die Weihnachtsfeiern, als er noch glücklich und aufgeregt war zum Fest. Und es gab Bjarne das gute Gefühl, dass er mit seinen Eltern und Geschwistern was zu bereden haben würde, wenn sie ihn alle anriefen.

Als erstes erblickte Bjarne die Tschunik mit ihrem Mann und ihren bereits erwachsenen Kindern. In einer Bank weiter vorn bei dem Kinderchor saß der Meier mit seiner großbusigen Grundschullehrerin. Sie machte den aufgeregten Kindern Mut und sah recht zufrieden aus. Der Meier war regelrecht glücklich, so kannte Bjarne ihn aus dem Amt auf jeden Fall nicht.

Nach kurzer Unterhaltung rangelte Bjarne sich weiter zu einem Stehplatz bei den Säulen hinten durch. Dort fiel sein Blick auf Theo und der stand doch tatsächlich neben Frank vom Videoverleih! Theos hellblonder Schopf hob die schwarzen, nicht mehr so dichten Haare von Frank deutlich hervor, als die zwei sich gemeinsam über ein Programmheft beugten.

Bjarne boxte sich zu ihm durch und rückte ihm auf die Pelle. "Fröhliche Weihnachten, Theo. Du? Hier?"

Theo lächelte und nickte leicht. "Frank geht jedes Jahr Weihnachten und da dachten wir, dass man so eine Tradition nicht unterbrechen sollte. Da vorn sitzt meine Mutter, die war auch total dafür."

Bjarne blickte einmal die Reihen entlang, aber Theos Mutter saß zum Glück sehr weit vorn. Die war immer sehr ängstigend mit ihrer energischen Art. Doch dann blinzelte er und sah Theo grinsend an. "Da dachten 'wir'?"

Theos Wangen färbten sich einen Hauch, dann lehnte er sich dichter. "Wir hatten uns in letzter Zeit echt oft getroffen und... du weißt schon... geredet. Irgendwie hatte Frank am Freitag keine Lust mehr, nur zu reden und hat vorgeschlagen, dass wir mal mehr machen."

"Na endlich!" Zufrieden grinste Bjarne die beiden an. Frank unterhielt sich gerade mit einem Mann neben ihm, der das Programmheft einmal ausleihen wollte.

Theo hingegen tat verwirrt. "Wie?"

"Na, du bist doch schon seit Monaten quasi mit Frank verheiratet. Jedes Wochenende, das du daheim verbringst, bist du doch zu ihm hin und gib es mal zu. Euer Gequatsche über die Po...Filme war sicherlich um einiges zeitaufwändiger als die Dinger anzusehen."

"Na, jedenfalls macht es mehr Spaß mit Frank Sachen zu machen, als sich von irgendwelchen Heten einen Korb geben zu lassen. Die ganze Jagerei nach dem nächsten Date wurde auch so langsam anstrengend." Theo nickte nach vorn zum Altar. "Außerdem ist der neue Pastor das total heiße Gerät. Schon neulich im Amt fand ich den so niedlich. Aber jetzt erst recht, oder? Der sieht vielleicht toll aus in seinen schwarzen Sachen. Schau!"

Bjarne blickte nach vorn und wurde nervös. Nicht wegen des jungen Pastors, den beachtete er gar nicht. Nein. Niklas stand auch da vorn und trug einen roten Pullover, der scharf aussah an ihm und hielt einen Text in der linken Hand. "Der Nikigraus!"

Flüsternd unterrichtete Bjarne Theo und zwangsläufig Frank darüber, was er mit dem Nikigraus seit dem Vortag so alles erlebt hatte. Der Pastor unterbrach ihn mit einer kurzen Rede über das Wetter, das einige Mitspieler beim Krippenspiel und den Erzähler verhindert habe. Er bedankte sich bei den Aushilfsmitspielern. Saskia hopste als Maria bereits im Hintergrund herum.

Dann begann eine Aufführung von Kindern aus dem Chor. Niklas hatte als Erzähler viel Text. Seine raue, warme Stimme erfüllte die Kirche und füllte Bjarnes Bauch aus. Er schloss die Augen und lehnte sich gegen eine der Säulen. Es war offiziell. Er hatte sich komplett verknallt. So ein verdammter Mist! Und das an Weihnachten.

Das Krippenspiel nahm seinen Lauf. Überraschungen gab es nicht und die Schauspieler hatten zum Glück alle Textbücher, um ihre Passagen abzulesen. Der Chor sang zwei Lieder, der junge Pastor sprach über das Schenken. Alles ging an Bjarne vorbei. Er war in Gedanken weit weg. Er war bei den ersten Momenten, in denen er Niklas gesehen hatte. Da war die Welt noch in Ordnung. Die Auster war süß, der Nikigraus hat nur gestört, Bjarne hatte von Liebe noch keine Ahnung.

Ihr erstes Treffen hatte unter einem total unguten Stern gestanden. Klar. Er, Bjarne, war einfach so ins Neubaugebiet geradelt, hatte bestimmt total bescheuert ausgesehen mit nassen Haaren und bunten Klamotten, vielleicht gar mit der roten Schleife vom Aids-Tag am Pulli, und dann hatte er die kostbare Auster angebaggert. Gott! Niklas musste ihn schon seit der ersten Sekunde für den totalen Oberidioten halten. Er hatte ja auch immer so böse geguckt.

Da war ja noch etwas. Niklas war im Froschprinz gewesen. Er wusste, was das für ein Laden war, wie es dort abging. Das war nicht zweiter Hand erschienen. Vielleicht war er mit diesem endsüßen Alexander befreundet. Der war hochwahrscheinlich schwul. Der Blick, den Alexander Niklas hinterher geworfen hatte, der war nicht sauer gewesen, sondern enttäuscht. Als hätten die zwei dort ein Date gehabt. Als hätte Niklas ihn für Bjarne sitzen lassen. Vermutlich hatte Niklas schon vorher versucht, diesen Alexander unter die Haube zu bringen, von sich abzulenken. Vielleicht war Niklas einfach mal mitgekommen, hatte seinen Freund dabei unterstützt, sich im Froschprinz wen zu angeln.

Niklas war wirklich der Typ, der so etwas ganz cool machen würde. Er war auch nicht schwulenfeindlich, ganz und gar nicht und das lag doch sicherlich nicht an Bjarne, den er kaum kannte und den er als 'Schnarchtucke' bezeichnete. Vielleicht hatte Niklas im Froschprinz gar Bjarne mit Theo zusammen erlebt. Oder vielleicht mit der Clique.

Theos Freunde waren irgendwie so etwas wie Bjarnes Familienersatz geworden. Männer und Frauen, die ihn niedlich fanden, ihn als eine Art Ziehsohn betrachteten. Die waren alle schon ein wenig älter, vielfach in festen Beziehungen. Kein Wunder, dass Niklas so sauer war, als Bjarne die Auster dann angebaggert hatte. Mit Theo und seinen Freunden zusammen kam man einfach nicht gut rüber. Nicht gut genug wie es sich für so einen Traumtypen wie Florian gehörte.

Das Krippenspiel kam zum Ende. Nach einem weiteren Lied wurden alle an die heimatlichen Gabentische entlassen. Bjarne starrte Niklas hinterher, der zu seinem Bruder ging, um mit dem gemeinsam die Kirche zu verlassen.

Bjarne brauchte noch einen Augenblick, um sich zu fangen. Er umarmte Theo und sah ihm und Frank hinterher. Mit einem Mal musste er grinsen. Ja, vielleicht hatte sein Wunsch an den Weihnachtsmann nicht ihm so richtig was gebracht, aber Theo, bei dem hatte es reingehauen. Das konnte was werden mit Frank. Die zwei hatten dasselbe Hobby und sie sahen gut aus zusammen. Okay. Theo sah gut aus und Frank betonte das durch sein Nichtgutaussehen, was vermutlich keine schlechte Sache war.

Der Nikigraus wanderte mit der Auster in sein Sichtfeld und Bjarne nahm die Verfolgung auf, um sich mit ihm auszusprechen. Er wollte ihm rasch sagen, dass er sich in ihn verguckt hatte, aber die Sache diskret belassen würde und ihn und seinen kostbaren Bruder ab nun in Frieden lassen wollte.

Leider geriet Bjarne vorn beim Ausgang in den Chor, der von der Empore kam. Kinder umarmten ihre Eltern, Großeltern machten diese peinlichen Weihnachtssprüche. Die meisten Leute kramten mit dicken Jacken und sprachen über die Qualität ihrer Stiefel und die Preise für Winterreifen.

Bjarne verkeilte sich ein wenig hilflos zwischen einigen Kollegen und Nachbarn und konnte draußen vor der Kirche gerade noch so dem großen, eingedreckten Familienauto hinterher blicken, das sachte schaukelnd zwischen Leuten mit Schlitten und auf der Straße rutschenden Kindern davon fuhr. "Mist!"

Saskia sprach ihn von hinten an. "Hey! Bjarne?! Du bist ja doch dagewesen. Bist du etwa allein hier?"

Er seufzte und rieb sich die Augen. "Wegen des Wetters wird das heute nichts mit meinen Eltern. Sie haben mir vorhin abgesagt, weil sie eingeschneit sind auf dem Hof. Ist auch okay, mir war nicht nach Familie."

"Ich bin mit dem Auto von meinen Eltern da. Ich kann dich rasch nach Hause bringen, wenn du willst."

Bjarne zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf. "Ich wollte jetzt gleich zum Neubaugebiet." Er blickte unschlüssig zu den Wagen, dann sah er Saskia ins Gesicht. "Ich muss noch einmal mit Niklas reden. Und mit Florian auch, denke ich."

Sie blickte ihn erst an, dann senkte sie den Kopf und verwandt die Hände. "Gott, das muss ich auch. Wegen der Schokolade und so. Ich hab mich vorhin nicht getraut, was zu sagen." Optimistisch blickte sie ihn dann an. "Hilfst du mir? Dann schaffe ich es, ja?"

Bjarne starrte sie an. Er sollte Saskia auch noch helfen? Dabei helfen, Niklas zu bekommen? Das tat ihm irgendwie weh. Zugleich war der Gedanke, mit ihr hinzufahren und in einem Abwasch alles zu beichten und gleich die neue Freundin präsentieren zu können irgendwie nicht so verkehrt. Mit Unwohlsein im Magen schleppte Bjarne sich hinter ihr her zu einem total eingeschneiten Auto.

Saskia schloss den Wagen auf und fegte mit einem Arm den Schnee von der Wagentür. "Ich war schon am Nachmittag hier, aber dass der Wagen so derb eingeschneit ist, hätte ich jetzt nicht gedacht. Wir zwei kämpfen uns jetzt durch den Schnee und den Sturm! Das ist total romantisch. Das haut hin, oder Bjarne?"

Brummelig klopfte er sich den Schnee von der guten Hose, die bereits feucht war. "Hoffen wir's."

"Klar! Optimismus! Wir machen jetzt Attacke!"

Es tat so weh, Saskias gute Laune ertragen zu müssen. Bjarne schloss die Augen. Er konnte die Vorstellung, wie Niklas' Arme sich um sie legten, nicht fort schieben. Genervt wischte Bjarne am Auto rum. Vielleicht war es doch keine gute Idee, sich an Weihnachten mit dem Nikigraus auszusprechen? Doch Saskia ließ ihm keine große Wahl mehr, sondern kletterte rasch in ihren halbwegs entweißten Wagen und winkte ihm. "Komm schon, Bjarne. So langt es für die kurze Strecke!" Sie laberte die ganze Zeit fröhlich von romantischen Weihnachten im Schnee und verpasste Bjarne die megamäßig schlechteste Laune des Jahrhunderts. Für so gemein hatte er sie vorher nicht gehalten.

10 Lieber guter Weihnachtsmann, so fängt das schon mal ganz gut an

Vor dem Schwedenhaus parkte sie etwas ungeschickt am Graben, so dass Bjarne auf seiner Seite nach zwei Schritten hüfttief im Schnee versank. Er ruderte wild mit den Armen und fiel der Länge nach hinein. Saskia lachte auf der anderen Seite. "Scheiße! Bjarne, wo bist du hin? Oh, Gott! Das tut mir so leid!"

Ihm auch. Es tat ihm mittlerweile leid, dass er lebte, dass er schwul war, dass er Niklas jemals gesehen hatte, ihn angesehen, seine Stimme gehört. Es tat ihm leid, dass Weihnachten war, dass Schnee lag und...

Niklas' Stimme unterbrach ihn in seinen Gedankengängen. "Bjarne! Was machst du denn da für Scheiß?!"

"Saskia ist schuld", ächzte Bjarne und versuchte sich aus dem Schnee zu erheben. Er versank noch mehr.

Saskia lief zum Haus hin und erzählte etwas, das Bjarne nicht verstehen konnte. Niklas' Blick wanderte zu Bjarne, dann zu ihr zurück. Saskia hopste aufgeregt im Schnee umher, dann umarmte sie ihn einmal fest. Aufgekratzt rief sie "Du musst ihm helfen, Nicki!" Er lachte und drückte sie eine Runde.

Bjarne wandte sich ab. Ihm wurde kalt. Eiskalt. Er schloss die Augen und ließ sich in den Schnee zurück plumpsen. Hastig blinzelte er Tränen fort, die sich doch tatsächlich hinter den Lidern sammeln wollten.

"Hey." Niklas' Stimme ließ sich warm und kribbelig in seinem Bauch nieder. "Alles okay?"

Bjarne rappelte sich ein wenig auf. Nichts war okay. Er hatte keinen Bock, mit der Auster und einem schmusenden Pärchen unter einer Tanne zu hocken. Weihnachten hatte er sich gänzlich anders vorgestellt. Allerdings hatte er Schnee in seiner Hose, in seinen Stiefeln und im Kragen und das gab ihm Kraft. Er rappelte sich auf und krabbelte immer wieder einsinkend um das Auto herum aus dem Graben. Prüfend blickte er an sich herunter. Die Schuhe hatte er zum Glück nicht verloren, aber er war von oben bis unten voll Schnee. "Ich geh wieder nach Hause und störe nicht weiter. Ich bin nur hergekommen, um dir zu sagen, dass..." Er stockte, weil zwei raue Finger seine Wange berührten, um etwas Schnee weg zu wischen.

"Ja?" Niklas blickte ihm forschend ins Gesicht. "Was ist los? Hast du dir was getan?"

"Ich wollte nur sagen, viel... Glück. Mit Saskia." Bjarne ließ den Kopf hängen.

"Sag Florian das selber."

"Hä?!" Bjarne wurde von diesen Fingern, die bei seinem Kinn angekommen waren und dann Schnee von seiner Schulter und aus seinem Kragen sammelten, allmählich nervös. Niklas stand auch echt zu dicht vor ihm. "Aber... aber was war denn... mit der Schokolade?" Unsicher blickte Bjarne sich nach Saskia um, aber die war vor dem Haus nicht mehr zu sehen.

Niklas blickte ihn schweigend an und strich Schnee von seinen Ärmeln runter.

"Hast du nicht... gesagt, dass du das ge... macht... hast?" faselte Bjarne unsicher weiter.

Die Finger hoben sein Kinn an und er verlor den Faden. Ein Daumen strich über sein Piercing am Kinn bis gegen seine Unterlippe. Niklas blickte ihm ins Gesicht, etwas irritiert, forschend, wie am Vortag, als Bjarne in die Keilerei geraten war. "Du hast alles falsch verstanden", meinte er endlich leise.

Bjarne starrte Niklas in die Augen und spürte das Blut in seinen Ohren rauschen, sein Herz klopfte. Er ließ den Blick bis auf Niklas' Mund hinab wandern, der zu einem kleinen Lächeln verzogen war und zurück in seine Augen. Er spürte, wie er zu zittern begann. Ob vor Aufregung oder Kälte wusste er nicht mehr so genau.

Leider spürte Niklas das auch und zuckte zusammen. Er legte den Arm um Bjarnes Schulter. "Komm, wärmen wir dich erst einmal vernünftig auf", murmelte er leise und führte ihn zum Haus ab.

Dort angekommen musste Bjarne erst einmal vor der Tür die Stiefel ausziehen und seine Jacke vom Schnee befreien. "Willst du mir sagen, dass die Schokolade nicht von dir war?" Bjarne kam nicht mehr ganz mit.

Niklas lächelte. "Doch. War sie."

Wieder blickten sie sich an. Niklas hängte die Jacke auf und schloss die Tür ab und damit den eisigen Wind aus. Fröstelnd rieb Bjarne sich die vor Kälte taub gewordenen Finger. Nervös war er gerade dabei, seine Stiefel gerade zu rücken, als Niklas erneut dicht zu ihm trat.

Florian funkte dazwischen, als er durch die Tür blickte. Und mit ihm drängelte sich Saskia in den Wirtschaftsraum. "Bjarne! Ich hab mich getraut! Danke, dass du mir geholfen hast! Und mir ist jetzt endlich alles klar geworden. Wir waren so blöde, wir zwei!" Sie klatschte einmal in die Hände. "Flo hat mir alles erzählt!" verkündete sie enthusiastisch.

"Alles? Das kann ja nicht viel gewesen sein, bei seinem Wortschatz." Kritisch starrte Bjarne sie und die Auster an. Florian lehnte etwas peinlich berührt in der Tür. Er war noch immer traumhaft hübsch, mit seiner glatten wunderschönen Haut und seinen exotischen Augen. Sicherlich hatte er auch noch immer die herrliche Privatausstattung in der Hose. Aber Bjarnes Herz schlug ganz gemütlich weiter, ihm wurde nicht komisch, weder Fieber noch Bauchweh stellten sich ein. Er bemerkte jetzt erst so richtig, weswegen er Florian so ungerührt hatte nachlaufen können. Er fand ihn hübsch, mehr aber auch nicht. Seufzend fragte er Saskia "Er hat alles erzählt? Was alles?"

Saskia legte den Kopf schief und drehte eine Locke um ihren Zeigefinger. "Na, alles eben. Warum er mit uns zum Froschprinz ist, dich nach Hause gefahren sogar, warum er dich zum Weihnachtsmarkt eingeladen hat und sogar zu dir in die Wohnung ist. Warum er mit in die Stadt gefahren ist." Sie lächelte.

Genervt verschränkte Bjarne die Arme. "So? Ich raffe das nicht. Was war jetzt los? Warum biste in den Froschprinz, Florian? Du bist ja wohl sehr wahrscheinlich nicht schwul, oder?"

Florian seufzte und starrte ihn genervt an. "Du bist blöd. Wegen Niklas."

"Hä?!" Bjarne stellte gerade fest, dass seine Socken durchweicht waren und hopste auf einem Bein, um die auszuziehen.

Florian verschränkte die Arme und verschloss sein Gesicht. Scheiß Auster! Suchend blickte Bjarne Saskia und Niklas an. Er hatte ein rotes Gesicht und sie hob ein wenig verwirrt die Schultern. Endlich löste Florian sich vom Türrahmen und trat dichter zu Bjarne. Er sah ihn strafend an. "Niklas hatte dich im Froschprinz gesehen."

"Aha?"

"Und sich nicht getraut, dich anzusprechen." Es klang wie für Blöde, als sei Bjarne schuld an irgendetwas.

Flehend murmelte Niklas in diesem Moment "Flo. Bitte, ich..."

"Es langt mir! Wenn du nix sagst, dann mach ich das jetzt! Wegen deiner scheiß Schüchternheit und seiner scheiß aufdringlichen Art hab ich einen echt stressigen Dezember gehabt! Der halbe Verein denkt jetzt, dass ich schwul bin! Ach was. Die halbe Stadt denkt das!"

Bjarne öffnete den Mund, um etwas Konstruktives beizutragen, dann schloss er ihn wieder.

Saskia lachte auf. "Du hast doch aber nicht Bjarne angebaggert, um ihn in Richtung Niklas zu schubsen, oder?"

Florian verschränkte die Arme wieder. "Baggern war nicht nötig. Der war von Sekunde Null total an mir dran."

Jetzt blickte Niklas Bjarne ebenfalls etwas genervt an. "Ja! Warum war das eigentlich? Bist du immer so?"

"Nein!" Mit rotem Gesicht wandte Bjarne sich ab und gestand "Das war, weil ich mir zu Weihnachten einen Freund gewünscht hab. Ich wünsche mir das gerade so richtig doll und klack geht die Tür auf und Florian kommt durch. Und am selben Abend sag ich so im Scherz 'Weihnachtsmann, das heute Morgen war nix. Bitte nächstes Mal keinen Hetero, noch einmal das Ganze.' Ich dreh mich um und zack, steht Florian schon wieder da. Im Froschprinz. Das war Schicksal!"

Saskia prustete los, aber Florian verschränkte die Arme und starrte ihn spaßfrei an. "Und jetzt?"

Bjarne wusste, was Florian meinte und sah sich zu Niklas um. Er grinste "Es ist mir so nach und nach aufgefallen. Ich steh doch nicht auf Austern. Das Piercing ist außerdem geil. Das nehm ich nicht raus. Ich muss wen zum Knutschen finden, der darauf abfährt, ist einfach so."

Niklas fragte ihn mit leiser Stimme. "Warum bist du heute Morgen so bescheuert weggerannt?!" Es klang fast intim, als ob sie allein waren.

Bjarne wuschelte sich durch seine nassen Haare, um Zeit zu gewinnen. Florian reichte ihm vom Wäscheständer ein Handtuch. Unsicher streifte Bjarne die Jungs mit einem Blick. "Ich... bin nach Hause, um nachzudenken. Ich musste mir die Worte erst zurecht legen." Er sah unsicher zu Niklas zurück. "Hatte etwas Angst."

Niklas' Hand ballte sich zur Faust, dann flüsterte er leise "Tut mir leid."

Saskia schüttelte den Kopf. "Du bist der absolut mutigste Mensch, den ich kenne, Bjarne."

"Nein. Das war nicht mutig. Das war nötig." Bjarne hatte die zweite nasse Socke aus und stellte sich erschaudernd auf das Handtuch. Seine nasse Jeans brachte sich unangenehm in Erinnerung. Bjarne rieb sich mit den Händen über die Oberschenkel.

Niklas sah das sofort und unterbrach die Unterhaltung. Er lehnte sich an Bjarne vorbei und sagte zu seinem Bruder "Wir geben ihm Klamotten von dir, die könnten ihm passen." Dann wandte er sich an Saskia. "Nichts gegen dich, aber geh weg, mach mit Florian rum oder so. Ich kann dich hier grad nicht brauchen."

Sie grinste. "Sor-ry! Ihr Lieben, ich muss sowieso nach Hause, sonst haben meine Eltern eine Herzattacke!"

Sie wandte sich an Niklas und umarmte ihn. "Fröhliche Weihnachten, Niki. Hier, als Geschenk hab ich dir einen Goldschreiber besorgt. Dann können dir alle den Gips hübsch anmalen."

Er grinste sie an. "Fang du doch morgen an, wenn du sicherlich wieder hier bist."

Sie umarmten sich und Saskia sah kurz zu der Auster rüber. "Florian, bringst du mich noch zur Tür? Meine Stiefel stehen vorn am Haupteingang."

Sie drückte Bjarne einmal fest und flüsterte "Erzähl mir morgen alles, klar?!" Dann lief sie hin und wieder auf Socken über die Fliesen rutschend durch die Küche davon. Florian folgte ihr schweigend.

Bjarne blickte den beiden hinterher, im nächsten Moment machte Niklas' Stimme ihm mit einem rau geflüsterten Befehl Gänsehaut am ganzen Körper. "Zieh dich endlich aus."

Bjarne sah sich zu ihm um und grinste ihn an "Wie bitte?"

Niklas grinste hilflos zurück. "Deine Sachen sind total nass. So wirst du noch krank." Er ging zur Tür. "Ich hole dir trockene Klamotten."

Er hatte Recht. Die Sachen waren unangenehm nass und Bjarnes Haut fühlte sich schon ausgekühlt an. Mühsam pellte er die Jeans und sein Hemd von sich. Dann stellte er fest, dass er ganze Arbeit geleistet hatte. Er war durchweicht. Bis auf die Unterwäsche durch. Angeekelt zerrte er sie von sich. Fröstelnd trocknete er sich dann die Beine mit dem Handtuch ab.

Als Niklas zu ihm zurück kam und ihn so nackt erblickte, stockte er und wurde rot. Unglücklich schlang Bjarne sich das Handtuch um und entriss ihm den Trainingsanzug. "Alles durch, was soll ich machen? Bitte, starr nicht so. Ich weiß, dass ich nicht so... gut... ge... baut... bin."

Niklas war auf ihn zu getreten und starrte ihn an. Er machte ein Geräusch, das vielleicht ein Mittelding zwischen Aufstöhnen und Knurren sein konnte. Dann kostete er Bjarne seinen letzten vernünftigen Gedanken, indem er ihn fest umarmte und an sich drückte. Warme Finger strichen Bjarne über die ausgekühlte Schulter und umfingen seinen Oberarm. Er erschauderte, als er Niklas' anderen Arm samt Gips im Kreuz spürte. Unsicher blickte er in sein Gesicht hinauf. "Tut mir leid, dass alles so doof angefangen hat."

Niklas legte den Kopf ein wenig schief, seine Finger folgten den Muskeln in Bjarnes Nacken, der Daumen strich an seinem Kinn entlang und dann den Hals hinunter. "Nein. Nein, ich war schuld."

Bjarne senkte den Kopf und lehnte den Scheitel gegen Niklas' Brust. "Eigentlich wollte ich herkommen, um alles zu klären."

Niklas griff ihm ein wenig in die Haare und hob sein Gesicht. "Später... nicht jetzt. Jetzt hältst du einfach mal die Klappe, okay?" Und bevor Bjarne darauf etwas erwidern konnte, küsste Niklas ihn auf den Mund. Ihre Lippen berührten sich einmal tastend, dann fester, im nächsten Moment öffnete Bjarne seinen Mund und hob die Hände an Niklas' Gesicht, um ihn dichter zu sich herab ziehen zu können. Niklas' Arm schob sich weiter um ihn herum. Ihre Zungenspitzen berührten sich sachte und Bjarne schloss die Augen. Er lehnte seinen Kopf zur Seite, in Niklas' Hand hinein. Unabhängig von seinem ausgekühlten Körper, schmolz er komplett dahin, als warme Lippen sein Gesicht erkundeten.

Nach einer Weile trafen ihre Lippen wieder aufeinander und dieses Mal schob Bjarne seine Finger in Niklas' Haare. Es war schöner als in seinen Träumen. Der kräftige warme Körper, der Geschmack des anderen und das Gefühl gehalten zu werden, ließen Bjarne keine anderen Gedanken mehr als 'Ja' und 'Oh Gott, mehr!' Einmal sagte er es vielleicht sogar, das wusste er später nicht mehr so genau. Wie lange sie sich küssten, wusste er nicht, aber sein Zittern und ein ziemlich peinliches Zähneklappern beendete die Sache.

Niklas half ihm lachend und sich entschuldigend beim Anziehen, was es nicht einfacher machte. Dann umfing er Bjarnes Hand und zog ihn mit sich zum Flur. Als sie am Vordereingang vorbei schlichen, saß dort die Auster, auf seinem Schoß Saskia. Die beiden tuschelten und knutschten rum. Kichernd machte Bjarne ein Handyfoto davon und schickte es an Saskia. Sie waren gerade oben im Flur bei Niklas' Zimmer angekommen, als er von unten ihr Lachen hörte.

11 In der Heiligen Nacht wird wild rumgemacht

Im Zimmer stellten sie fest, dass Niklas' Jeans ebenfalls nass war von der Rettungsaktion. Niklas machte auf seinem Schreibtisch ein Leselicht an und trat zu seinem Kleiderschrank. Bjarne blickte sich einmal im Zimmer um. Schrank, Kommode, Schreibtisch und einige Poster und Fotos von Skateboardern und Surfern. Nichts Besonderes zu sehen, außer vielleicht einem recht großzügigen Bett. Er fragte sich, wie sie nun weitermachen sollten, dann grinste er leicht und entschied sich für frech. "Soll ich dir noch mal mit der Hose helfen?"

Niklas stockte, dann sah er sich zu Bjarne um. "Du hast das gesehen", stellte er leise fest.

"Hmhm... ein Glück." Bjarne schob die Zimmertür zu. "Das war den ganzen scheiß Abend im Krankenhaus wenigstens wert." Er biss sich auf die Unterlippe und fügte von Niklas' Blick verunsichert an "Bitte, halt mich jetzt nicht für oberflächlich."

Niklas trat auf ihn zu. "Das klingt nach einem Aber."

Bjarne schloss die Augen. "Nein, tut es nicht. Nichts aber."

"So?"

"Na gut. Ich steh total auf deinen... weißt schon." Niklas hob die Brauen und Bjarne wedelte mit den Händen. "Aber... aber ich war vorher schon in dich verknallt! Bevor ich ihn gesehen hab, meine ich."

Mit breitem Grinsen sah Niklas ihn an. "Wirklich? Seit wann?"

"Du zuerst." Bjarne verschränkte betont energisch die Arme.

Niklas lächelte. "Zum ersten Mal war ich mit Alexander im Froschprinz. Er hatte mich beim Rollerbladen kennen gelernt und wollte mir beweisen, dass ich schwul bin. Da hab ich dich gesehen mit deinen Freunden. Irgendwie musste ich immer wieder zu euch rüber sehen. Allerdings waren deine Freunde so oberflächlich. Alex und ich saßen am Nachbartisch, du erinnerst dich sicherlich nicht mehr an uns."

"Nein. Ehrlich gesagt nicht." Schuldbewusst lehnte Bjarne sich an die Zimmertür.

"Ihr habt in einer Runde zusammen gesessen und den Geburtstag von einer Freundin gefeiert. Es ging ziemlich lustig zu. Nach einer Weile kamen lauter dumme Sprüche, wer mit wem schon was gemacht hatte. Es wurde ziemlich mies gelästert und über Sex geredet, als ob es was sei, das man abhaken musste, oder sogar etwas, das man konsumiert, das fand ich total unangenehm."

"Auweia! Deswegen hast du mich gleich scheiße gefunden? Du warst doch am Anfang so aggressiv gegen mich."

"Nein, das hatte andere Gründe. Damals war ich nicht sauer. Du warst wie deren Maskottchen. Nach einer Weile ging es darum, dass du es tüchtig treiben sollst, bevor du zu alt wirst. Ich war ehrlich gesagt erstaunt, dass du schon älter bist als ich. Irgendwie fand ich diese Einstellung einer Beziehung gegenüber gerade total bescheuert und oberflächlich, als du denen genau das gesagt hast. Du bist richtig aufgesprungen und hast so etwas gesagt wie 'Ihr seid bescheuert und oberflächlich! Ich will einen richtigen Freund! Einen mit allem, was dazu gehört und nicht nur so eine Fickgeschichte!' Das war toll." Niklas grinste. "Allerdings hast du dich dann mit Sekt abfüllen lassen und bist tierisch abgestürzt. Sagen wir es mal so, Karaoke spielte eine große Rolle an dem Abend."

"Oh mein Gott! Das war aber nicht mein bester Tag." Peinlich berührt blickte Bjarne ihn an. Von einem Karaokeabend fehlten Bjarne die meisten relevanten Erinnerungen, allerdings kam Karaoke oft im Froschprinz dran und nicht selten stürzte Bjarne an solchen Tagen gemein ab.

"Du warst klasse. Hast eine geile Stimme, auch besoffen noch. Ich hab den Abend über irgendwie dauernd versucht, an dich ran zu kommen. Ist nicht so richtig gelungen, du warst in der Gruppe so drin, nie allein." Niklas schockierte ihn im nächsten Augenblick, indem er seine Erzählung fortsetzte. "Ich bin in der Nacht erst einmal mit Alex ins Bett."

"Wie bitte?!"

Niklas lachte auf. Es klang zugleich belustigt und bedauernd, dann fuhr er sich mit der Hand über die Augen. "Ich war total verwirrt und wollte wissen, ob ich wirklich und wahrhaftig Spaß daran haben kann, mit einem anderen Jungen ins Bett zu gehen. Du warst kein guter Kandidat dafür. Ich wollte dir nicht weh tun. Es war eine verrückte Zeit. Ich meine, Paul ist einer meiner besten Freunde... gewesen vermutlich und du hast ja seine Sprüche gehört."

"Aha. Und dann?"

"Alex war leider ab da ziemlich hysterisch an mir dran. Er hat mir hinterher irgendwann gestanden, dass das wegen meiner..."

"Schwanzlänge?"

"Hm. Deswegen war. Ich weiß ja auch, dass ich gut versorgt bin, aber so etwas zum Aufhänger für eine Beziehung zu machen. Oberoberflächlich! Als wir in der Stadt waren, hat er mich auf dem Weihnachtsmarkt angefallen und in die Kneipe verschleppt, um noch einmal zu reden. Ich war echt froh, dass du mir einen passenden Grund geboten hast, aus diesem nervigen Anbaggertreffen mit Alex raus zu kommen. Hab ihm an dem Abend eine SMS geschickt, dass ich mit dir zusammen bin und zugleich gehofft, dass er dich nicht fragt, ob das stimmt."

"Wow. Hat dich echt genervt, was?" Unsicher blickte er Niklas ins Gesicht. "Aber, wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich auch eben total darauf stehe."

"Ist mir aufgefallen, aber du bist nicht deswegen hinter mir her. Für dich ist das so etwas wie... wie..."

"Ein Bonus." Bjarne nickte ernsthaft.

"Und was findest du wichtiger?" Niklas' Blick machte Bjarne zwar nervös, aber da er beschlossen hatte ehrlich zu sein, gab er sich einen Ruck und zählte auf "Deine Augen sind der Oberhammer, wie du dich um deinen Bruder kümmerst, finde ich schön. Außerdem macht deine Stimme mir Gänsehaut." Unsicher wandte er sich ab und schwieg.

Eben diese raue Stimme unterbrach ihn dabei, die Poster an den Wänden anzustarren. "Und ich kann nicht mal sagen, was genau an dir so besonders ist für mich, aber du bist es."

"Echt?" Bjarne drehte sich um und sah Niklas in die wunderschönen Augen.

"Hm. Kann man sagen. Ich hab irgendwie an dich denken müssen. Ich fand dich einfach nur..."

"Ja?" Bjarne sah ihn liebreizend an. "Toll?"

"Irritierend."

"Oh."

"Ich bin noch einmal allein in den Froschprinz. Du warst wieder mit deinen Freunden dort, und es ist noch einmal genau das Gleiche passiert. Ich hab dich gesehen, du warst so... meine Mutter würde drollig sagen, ich hab mich nicht getraut, dich anzusprechen, und alles wurde kompliziert mit einem Mal. Jedenfalls war das alles im September."

"Was?! So lange geht das schon?"

"Ich war mir immer noch nicht so sicher, nach Alex. Ich bin nie wieder in den Froschprinz, aus Angst vor dem, was passiert ist. Alexander ist mir auf den Sack gegangen mit seiner Art und ich hatte Angst, dass du auch so bist. Vor allem, als du dann so peinlich hinter Florian hergerannt bist. Das totale Deja Vu von Alexander. So was find ich scheiße."

"Ach, deswegen warst du so doof zu mir? Extra doof, um mich wieder weg zu bekommen? Alex war also dein erstes Mal mit einem Jungen? Hast du denn noch mehr 'Probesex' gehabt?" Bjarne konnte seiner Stimme anhören, dass er die Tour nicht so geil fand.

Schuldbewusst blickte Niklas ihn an. "Nein. Nur mit Alex. Davor hatte ich natürlich noch die Sache mit Maja. Wir passen als Freunde total gut und waren auch fast ein Jahr zusammen. Natürlich hatten wir Sex. Das war gar nicht übel mit ihr. Aber auch nicht so geil, dass ich mich überschlagen hätte und das dauernd machen wollte. Ich dachte nach einer Weile, dass sie eben nicht die richtige für mich ist."

"Warum hast du mir Maja denn eigentlich vorgestellt? Ich dachte echt, dass du mir zeigen willst, wie hetero du bist mit der tollen Exfreundin."

"Ich hab 'dich' Maja gezeigt, wollte ihre Meinung haben. Sie findet dich niedlich, hat mir Mut gemacht."

Jetzt raffte Bjarne ihre Blicke. "Ach herrjeh! Hättest du nicht wirklich wirklich früher mal was sagen können? Mann, ich sollte dich auch Auster nennen."

Niklas suchte in seinem Schrank und seufzte nur leise.

"Und mit Alexander? War das besser als mit Maja? Den Sex meine ich."

"Hm. Sex ging so. Auch nicht das, was ich davon immer so gehört hatte." Niklas zog eine Trainingshose aus seinem Schrank. "Fast dachte ich schon, dass ich doch nicht schwul bin. Aber dann seh ich dich wieder, und musste es einsehen. Ich war verknallt. Ein total schlimmes Gefühl." Er drehte sich um und betrachtete Bjarnes Gesicht.

"Schlimmes Gefühl. Das kommt mir echt bekannt vor." Unbewusst legte Bjarne die Hände über seinen Bauch.

Sachte berührte Niklas seinen Handrücken. "Ich hab dann in den Herbstferien mit Florian darüber geredet. Ich hab ihm gesagt, dass ich mich in einen Jungen verknallt hab und deswegen denke, dass ich schwul sein könnte. Flo war erst total anti. Jungs mag er nicht. Die Vorstellung, dass ich mit einem zusammen sein möchte, hat ihn echt abgeturnt. Aber er hat sich belesen und hat mich beraten. Total geduldig. Als ich dich wegen meines Berufspraktikums in der Grundschule zufällig im Amt wiedergesehen habe, da hab ich ihm erzählt, dass du er bist. Ich musste mit ihm für das Tierheim sammeln gehen und sogar seinen Job auf dem Weihnachtsmarkt übernehmen. Im Austausch wollte er mir beistehen. Er ist gleich zu dir rein, um dich mal anzuschauen. Er meinte hinterher, dass er mich nicht verstehen kann, aber mir helfen wird. Und das hat er, auf seine Art."

"Das hat er wirklich. Auf Austernart." Sie lachten beide. Bjarne senkte den Kopf und gab nach einem Moment leise zu "Ich hab mich in dich verliebt, als Nuss dich gekratzt hat. In dem Augenblick ist es mir mit einem Mal klar geworden, leider noch nicht richtig. In dem Moment dachte ich noch, dass mir jemand fehlt. Ich wollte das nicht mit dir. Genau wie du. Ich hatte ein wenig Angst vor dir. Aber als du so plötzlich vor mir gestanden hast, mich erschreckt hast, hatte ich keine Angst mehr. Ich hab in dem Moment daran gedacht, wie es wäre, wenn du nicht Nuss sondern mich... streichelst."

Niklas legte den Kopf ein wenig schief, dann lächelte er und zog seine Unterlippe zwischen die Zähne. Etwas aufgeregt blickte er Bjarne in die Augen. "Das hab ich vor, wenn... ich darf. Hilfst du mir noch mal mit der Hose?"

Bjarne musste lachen, aber trat noch dichter zu seinem Nikigraus. Er hakte seine Finger vorn in den Hosenbund. "Wenn du mich so nett bittest, will ich nicht so sein." Er öffnete die ersten zwei Knöpfe und schob die Finger eine Etage tiefer hinein. Er ertastete sofort, dass Niklas schon erregt war, ein heißes Prickeln durchrann seinen Körper und er sah auf.

Niklas' Blick aus schmalen Augen brannte sich fast in ihn ein, aber Bjarne fühlte sich mutig und glücklich, außerdem geil. Er wandte den Blick nicht von Niklas' Gesicht ab, während er noch zwei Knöpfe öffnete. "Brauchst du vielleicht auch mit etwas anderem Hilfe? Ein wenig vielleicht? Immerhin bist du Rechtshänder und hast diesen doofen Gips." Er öffnete grinsend und in aller Ruhe den letzten Knopf. Mit der einen Hand schob er die Hose zur Seite, mit den Fingern der anderen streichelte er Niklas durch den Stoff der Shorts. Genießerisch schmuste Bjarne sich an dem kräftigen Körper entlang und versuchte seine Finger unter den Pullover zu bekommen.

Das wollte Niklas nicht, er hielt Bjarnes Finger auf und schüttelte den Kopf. Verwundert, gleich ein wenig unsicherer, hörte Bjarne kurz auf, ihn zu streicheln. "Was ist los?" Panisch dachte er, dass es vielleicht doch zu früh war.

Niklas lehnte sich gegen seine Schranktür und seufzte leise auf. "Ich... will dich nicht erschrecken. Bitte. Bitte, erschrick nicht."

Das Flüstern machte Bjarne ein wenig Angst. Nervös blinzelnd trat er wieder dichter und schob seine freie Hand flach unter den roten Pullover, um ihn über den Bauch nach oben zu raffen und Niklas schließlich über den Kopf zu ziehen. Er legte einen absolut geilen Oberkörper frei, angespannte Muskeln, tolle glatte Haut, aber auch noch mehr Narben. Sie zogen sich spinnwebartig über Niklas' Brust und Bauch, verloren sich am Hosenbund. An der einen Hüfte waren noch mehr zu tasten.

Bjarne folgte den schlimmsten von ihnen mit Blicken, dann sachte tastend mit den Fingerspitzen. Endlich lehnte er sein Gesicht dichter an Niklas' Brust und lauschte dem Herzschlag, genoss seinen Geruch, seine Wärme, das Gefühl der Haut an seiner Wange, der rauen Finger, die ihn sachte, fast fragend im Nacken streichelten.

Er lächelte. "Wolltest du dich verstecken?" Niklas hatte den Kopf an die Tür zurückgelegt, sah ihn nicht an. Bjarne strich mit flachen Händen über Niklas' Brust. "Das wäre nicht fair. Du bist mein Weihnachtsgeschenk. Wenn ich dich jetzt nicht auspacken darf, bin ich traurig." Rasch streckte er sich und küsste seinen Freund auf den Hals. Nach kurzem Zögern wurde die Umarmung um seine Schultern wieder fester und gleich darauf kam Niklas ihm entgegen, presste seine Lippen gegen Bjarnes und öffnete den Mund. Seine Finger gruben sich in Bjarnes Haare, zwangen ihn, sich noch dichter gegen Niklas' Körper zu schmiegen. Seufzend kam er dieser Aufforderung nach und genoss die Nähe. Er schloss die Augen und warf Niklas' Pullover fort, um seine Arme um die kräftigen Schultern zu schließen, während er sich von seinem Freund einnehmen ließ.

Und dieses Mal brachen sie die Knutscherei nicht mehr ab, sondern begannen zugleich auch damit, einander zu streicheln. Etwas ungeschickt wurde Bjarne seine Trainingshose von den Hüften gezerrt, raue Finger fuhren über seine Hüfte hinunter, während seine Zunge sachte in Niklas' Mund gelockt wurde, nur damit dieser ihn neckend beißen konnte. Schwer atmend hielt Bjarne kurz inne, konnte es für einen Sekundenbruchteil nicht fassen. Hastig flüsterte er "Danke... danke! Endlich mal ein Weihnachtsgeschenk, das ich wirklich will!"

Hitzig sah Niklas ihm in die Augen und schob ihn in Richtung seines Bettes. Er hatte nur die linke Hand zur Verfügung, aber war um einiges kräftiger als Bjarne und zielstrebiger. Bjarne zerrte wild an seinem eigenen Pullover und der Trainingshose, gleich darauf taumelte er rückwärts auf das Bett und brachte seinen Freund mit sich zu Fall. Niklas begrub ihn fast unter sich, aber fing sich gleich darauf wieder mit seinem gesunden Arm ab. Sie küssten sich wieder und während Bjarne verzweifelt versuchte, seine Finger in Niklas' Unterhose zu bekommen, rollte dieser ein wenig herum und schob seine linke Hand zielsicher über Bjarnes Hintern und von dort zwischen seine Beine.

Bjarne erschlaffte hilflos und lehnte das Gesicht gegen Niklas' Brust. Er genoss eine kurze Weile, wie richtig es sich anfühlte, mit genau diesem Jungen im Bett zu liegen und seinen Herzschlag an der Wange zu spüren. Dann regte er sich erneut und zerrte an Niklas' Shorts. Endlich schaffte er es, den störenden Stoff weg zu bekommen. Niklas fühlte sich wunderbar an und Bjarne linste vorsichtig auf seinen Schoß, während er ihn mit den Fingern fest umschloss, gleich darauf wurde er mit einem weiteren Zungenkuss abgelenkt.

Zum Gaffen kam Bjarne leider nicht wieder, aber das Berühren war um einiges mehr wert, gleich wie herrlich Niklas nackt aussehen mochte. Bjarne streichelte rasch mutiger, direkter. Er ließ zu, dass Niklas sich gegen ihn bewegte und heizte es sogar noch an. Auch wenn die Berührungen nach und nach nicht mehr zart zu nennen waren, genoss Bjarne jede Sekunde. Die Erregung stieg rasch in ihm an. Ein wildes Gefühl, das seine Wirbelsäule entlang fuhr, ihn anspannte. Er wollte sich aber auf jeden Fall erst um Niklas kümmern und schob ihn von sich, um ihn besser streicheln zu können. Er ließ nicht locker, genoss die Gefühle im Gesicht seines Freundes zu sehen, die steigende Erregung in seinen Bewegungen, den schnellen Atem, der seine Wange entlang strich. Bjarne streichelte Niklas bis er den Höhepunkt erreichte. Er blickte ihn dabei an, wollte alles sehen. Er wollte genießen, wie sein Weihnachtswunsch nicht nur ihm selber Glück brachte.

Aufstöhnend fiel Niklas in das Bett zurück. Zufrieden lächelte Bjarne und begann schon, sich selbst zu berühren. Seine Hände wurden im nächsten Moment von seinem eigenen Schoß verdrängt. Mit festem Griff zog Niklas ihn gegen sich und schob sich zwischen Bjarnes Beine und über ihn. Unter tiefen Küssen wurde er an den herrlichen Körper gepresst, die Bewegungen von Niklas gegen seinen Schoß waren nicht gemacht, ihn lange dagegen durchhalten zu lassen. Mit einem befreiten Aufstöhnen kam Bjarne, das Gesicht an Niklas' Schulter versteckt.

Schwer atmend starrten sie sich einen Augenblick lang in die Augen, dann gab Niklas ihn nach einem kleinen Kuss auf die Schläfe frei, um nach Taschentüchern zu fahnden. Wenig später konnten sie sich mit den Trainingshosen bekleidet aneinander schmiegen, die Pullover ließen sie auf dem Fußboden verwaisen.

Endlich wagte Bjarne es und fragte leise: "Und? Sex besser?"

Niklas' Finger folgten Bjarnes Rückgrat, auf genau diese zarte Art, die Bjarne seiner Katze noch vor kurzem so geneidet hatte. Mit einem kleinen Lächeln betrachtete Niklas ihn aus seinen exotischen Augen, dann wiegte er den Kopf. "Nach nur diesem einen Mal kann ich das noch nicht so ganz beurteilen." Er grinste und zwinkerte Bjarne einmal zu.

Bjarne blinzelte, dann begann Glück ihn warm auszufüllen. Er holte Luft, dann atmete er wieder aus, um Worte verlegen. Endlich meinte er leise "Denke ich auch." Mit geschlossenen Augen lehnte Bjarne sein Gesicht auf Niklas' Brust. Glück und Sex machten ihn träge und schmusig. Mit den Fingerspitzen folgte er einer der feinen Linien über Niklas' Rippen. "Wo sind sie her? Wirklich, meine ich."

Niklas' Stimme klang dumpf, aus der Brust heraus. "Ich bin zum Trickradfahren früher oft am alten Bahnhof in der Fabrikhalle gewesen. Dabei bin ich mit dem Fahrrad vor ungefähr zwei Jahren auf einer Kante abgerutscht und ein paar Meter tiefer in einen Container mit Glasscherben gefallen. Die haben mein T-Shirt komplett zerfetzt, meinen Oberkörper auch. Ich hab einen Helm mit Visier getragen, das hat meine Augen gerettet. Ich wäre fast verblutet. Paul hat mich rausgezogen, hat den Notarzt gerufen. Der Paul, den ich neulich wegen dir vermöbelt habe."

Bjarne hob den Kopf und starrte. Erschaudernd zeichnete er mit dem Zeigefinger eine der Narben entlang, die bis zum Hosenbund hinab reichte. "Und dann?"

"Das war eine echt harte Zeit, ich musste in ein Spezialkrankenhaus. Die Chirurgen haben es toll hinbekommen. Ich musste zwei Transplantationen haben, weil die Haut so kaputt war. Die Transplantationen sind gut geworden... das hier sind die Narben davon." Er zeigte auf eine unregelmäßige Fläche auf der einen Seite über der Hüfte. "Die Narbe im Gesicht hat sich aber entzündet, eine Scherbe war durch die Wange durch, das mussten sie offen heilen lassen. Deswegen bin ich so..."

"… interessant?"

"Hässlich."

"Hör zu. Ich hab mich in dich verliebt! Genau wie du bist. Hör auf, meinen Freund zu beleidigen, oder ich werd sauer!" Bjarne lehnte sich wieder zu ihm und küsste ihn auf den Mundwinkel. "Du siehst oberaffengeil aus."

"Ehrlich?"

"Ja. Schau doch mich dagegen an. Ich bin doch echt..."

"... süß, total frech... sexy und... mutig." Niklas lachte und wuschelte Bjarne durch seine total zerzauste Weihnachtsfrisur. "Und hör du bitte auf, 'meinen' Freund zu beleidigen, verstehen wir uns?"

Zufrieden stützte Bjarne sich auf Niklas' Brust auf. "Wir verstehen uns."

Es klopfte und Niklas rief "Ja?"

Im nächsten Moment stand Florian im Zimmer. Das war vermutlich nicht so geplant. Er blinzelte Niklas und Bjarne halbnackt aufeinander liegend an, dann drehte er sich hastig fort. "Essen." Schon war Florian wieder raus und stapfte die Treppe runter.

Bjarne zog seinen Pullover zu sich heran, aber Niklas ließ ihn nicht los. "Hey. Wäre das okay, wenn wir was essen? Ich hab echt Hunger. Allerdings... wenn du lieber weiter knutschen willst, dann..."

Niklas lachte auf und gab ihn frei. "Hast Recht. Ich würde lieber für immer mit dir knutschen, aber ich habe auch Hunger. Außerdem will ich Florian noch mal richtig Danke sagen."

Bjarne rappelte sich vom Bett hoch. "Wofür?"

Niklas senkte den Kopf. "Er war total genervt davon, dass du ihn geil gefunden hast und wollte dich zugleich nicht total wegbeißen, um meine Chancen nicht zu versauen."

"Meine Güte! Ihr seid bescheuert. Das wäre fast schief gegangen."

"Ich hab von Florian die ganze Geschichte erzählt bekommen, als du bei uns hier auf dem Sofa eingepennt warst. Er war sauer, dass er dich nicht mehr zu mir ins Zimmer verfrachtet bekommen hat gestern."

"Oh Mann! Und wieso hast du Saskia Schokolade geschenkt?" Bjarne half Niklas, seinen Pullover über zu ziehen.

"Na, Florian ist doch genauso schüchtern wie ich. Er sogar noch mehr als ich und dann trainiert er dauernd und hat kaum Zeit für eine Freundin."

"Was macht er eigentlich so wild?"

"Rudern. Die Meisterschaften sind nächsten Sommer. Das ist ihm total wichtig, ist sogar in der Schule eine Runde hängen geblieben deswegen. Saskia, die ist im gleichen Verein, da hat er sie wohl aufgerissen."

"Und du?"

"Ich wollte ihm helfen und hab Saskia Schokolade geschenkt und ihr dann so nebenbei gesteckt, dass ich von Florian auch welche... natürlich in anderer Form bekommen hab. Daher hatte ich die dann auch noch in der Tasche. Es sollte ja unauffällig aussehen."

Bjarne lachte los. "Seid ihr bescheuert und lieb, ihr zwei!"

Niklas grinste und küsste ihn rasch. "Ist ja noch mal gut gegangen, nicht?"

12 Mit Auster, Nikigraus und Nuss

Florian hatte tatsächlich Essen gemacht. Wild mit Kartoffelgratin. Als Niklas und Bjarne die Küche betraten und vorsichtig schnupperten, lud er sich einen Teller mit dem Essen voll und fing sofort an, es sich reinzuziehen. Das war ziemlich unhöflich und nicht sonderlich festlich. Strafend starrte Bjarne die Auster an. Niklas machte ein ebenfalls nicht so begeistertes Gesicht.

Die Auster blickte Niklas und Bjarne zwischen zwei Gabeln voll ein wenig irritiert an. "Was?! Ich esse schnell und bin gleich weg. Dann stör ich euch nicht weiter, okay?"

"Du störst doch gar nicht." Bjarne trat unsicher an den Herd und erhielt von Niklas zwei Teller, die er mit dem Essen füllte.

Niklas sah das anders, aber formulierte freundlich. "Du störst schon ein wenig, aber es ist Weihnachten. Lass uns doch nach dem Essen noch ein wenig zusammen unter dem Baum sitzen. Hast du nicht Lust, ein Feuer zu machen? Mit dem blöden Gips kann ich das sicherlich nicht." Etwas ungeschickt goss er Cola in zwei Gläser.

"Nicki. Ich sag es mal, wie es ist. Ich freu mich, dass Bjarne es endlich gerafft hat mit dir. Ich freu mich echt, aber euch beim Knutschen oder so zusehen zu müssen, ist nicht mein Ding. Auch an Weihnachten nicht. Vielen Dank!"

Bjarne grinste ihn fröhlich an. "Biste denn vernünftig bei Saskia gelandet?" Da Florian spontan wieder auf Auster machte, fügte er an "Falls du noch mal an ein Mädchen ran willst, darfst du mich sonst gern wieder als Feigenblattfreund in den Froschprinz mitnehmen, Florian."

Florian holte Luft, um etwas zu sagen, aber schüttelte dann den Kopf und ging stattdessen ins Wohnzimmer davon. Grinsend blickten Bjarne und Niklas ihm hinterher.

Sie aßen zu zweit in der Küche. Jeder nur mit einer Hand, Bjarne hatte seine Fingerspitzen vorsichtig gegen die von Niklas gelegt, die sich vorn am Gips zeigten. Es fühlte sich herrlich an, so zusammen zu sein, sich in die Augen sehen zu können, nichts mehr sagen zu müssen. Bald begann es aus dem Wohnzimmer nach Holz und Rauch zu riechen. Florian machte also tatsächlich ein Feuer. Nach dem Essen schickte Bjarne Niklas auch rüber. Um den Brüdern etwas Zeit zu zweit zum Reden zu geben, räumte er die Teller in die Spülmaschine und schrieb eine Jubelnachricht an Theo.

Niklas und Florian diskutierten angeregt über das Feuer und wie es besser anzuzünden war, als Bjarne zu ihnen trat. Florian hatte es auch nicht sonderlich geschickt gestapelt. Seufzend schob Bjarne sie beide zur Seite und richtete das Holz vernünftig, damit sie nicht so viel Arbeit damit haben würden. Auf die dummen Blicke der beiden Jungs hin hob er die Schultern. "Ich komm vom Bauernhof. Mit Feuer kenn ich mich aus. Auf jeden Fall besser als ihr zwei."

Niklas warf sich auf das Sofa und legte seinen Gipsarm auf ein Kissen. Florian belegte den Sessel gegenüber und starrte schweigend in das nun schön flackernde Feuer. Nach einer Weile erhob er sich und holte die Geschenke von den Großeltern und anderen Verwandten. Er reichte Niklas einige Päckchen und begann selber sehr systematisch und gelassen ein paar Bücher und einen Pullover auszuwickeln.

Bjarne setzte sich auf den Fußboden vor das Sofa und lehnte sich an die Sitzfläche an. Er blinzelte träge in die Lichter vom Weihnachtsbaum, die sich glänzend und schimmernd in dem Schmuck zwischen den Zweigen spiegelten. Seufzend schloss er die Augen.

Das Feuer brannte nett, Niklas lag hinter ihm auf dem Sofa und streichelte ihn sachte und redete mit seinem Bruder über Freunde vom Ruderverein, über ihre Pläne zum Silvesterfest und die Geschenke. Die beiden Jungs telefonierten schließlich mit ihren Eltern und Großeltern. Niklas rückte den ganzen Abend nicht mehr von Bjarnes Seite.

Es war schon lustig, wie locker dieser Typ mit seiner Mutter über das Festtagsmenü auf dem Kreuzfahrtschiff quatschen konnte und dabei seinem neuen Freund durch die Haare streicheln. Er hatte das Telefon laut gestellt, damit seine Mutter ihm und Florian alles zugleich erzählen konnte. Endlich, fast am Ende des Gesprächs fragte Niklas unvermittelt "Mama, wäre das okay, wenn mein Freund Bjarne hier übernachtet?"

Die Antwort war erstaunlich und zugleich typisch für diese Familie. Die Mutter lachte kurz auf, dann verkündete sie "Ja, natürlich. Ach, ist das der Bjarne, der euch neulich besucht hat? Hab ich es mir doch gedacht. Der sah wirklich nicht aus wie ein Freund von Flo! So, wir müssen, sonst wird das echt zu teuer."

Niklas legte auf, dann blinzelte er Bjarne zufrieden an, der gerade damit befasst war, mit dem Goldmarker von Saskia einen Spruch auf seinen Gips zu schreiben. Als es fertig war, las Niklas den Spruch und stöhnte leise auf. "Bjarne! Damit kann ich mich doch echt nicht in der Schule sehen lassen!"

Bjarn hob die Augenbrauen und grinste. "Tja."

Neugierig beugte Florian sich dichter, las und lachte sich kaputt. "Mit Auster, Nikigraus und Nuss, Weihnachten einfach geil sein muss?" Er schnappte sich den Stift und schrieb präzise direkt darunter. Als Niklas das las, schloss er stöhnend die Augen und rief "Ich bin nach den Ferien so was von tot, wenn ich nicht einen neuen Gips bekomm!"

Bjarne beugte sich über den roten Gips, dort stand in goldenen Lettern "Der Nikigraus, der Nikigraus, der ist total auf Bjarne aus." Kichernd schlang Bjarne ihm die Arme um den Hals und flüsterte ihm ans Ohr "Und Bjarne liebt den Nikigraus, die Auster nimmt auch schon Reißaus." Und das passierte im nächsten Moment tatsächlich, weil sie ganz schrecklich zu knutschen anfangen mussten.

Epilog

Gleich ab dem ersten Weihnachtsfeiertag erhielt Florian seine ersehnte Ruhe vor knutschenden Jungs im Haus. Bjarne und Niklas verbrachten einige sehr nette Tage und Nächte bei Bjarne in der Wohnung.

Der Sex war weiterhin noch nicht ausreichend zu bewerten gewesen, daher mussten sie das täglich ausprobieren. Extrem schockiert und peinlich berührt erfuhr Niklas am ersten Weihnachtsfeiertag, bevor Bjarne zu seinen Eltern fahren musste, dass es am Weihnachtsabend tatsächlich für Bjarne das erste Mal gewesen war. Das führte dazu, dass er dieses erste Mal unbedingt noch einmal wiederholen wollte, um einen besseren Eindruck zu hinterlassen. Dann fiel ihm ein, dass es nicht nur ein erstes Mal gab. Da waren so viele Möglichkeiten, mit seinem neuen Freund was zum ersten Mal zu machen, dass Niklas, so seine Worte, schwindelig werden musste bei der Vorstellung allein.

Bjarne vermutete eher, dass seinem Freund schwindelig wurde, weil das Blut nur noch ein Körperteil versorgen konnte. Kein Wunder bei der Größe. Und das wunderte Bjarne zudem noch. Er durfte seinen Freund bewundern, anfummeln, ansehen, schmecken und erkunden und er durfte sogar das Handyfoto machen. Mit Schleife. Bjarne hatte seinen Weihnachtswunsch mit allem Drum und Dran und viel Sex bekommen und war dermaßen glücklich, dass nicht einmal Theos Sprüche zum Thema Nikigraus und das Grauen beim Verkehr, den sie natürlich noch nicht hatten, ihn ärgern konnten, als sie sich auf einen Klatsch über intime Details trafen.

An einem Abend fuhren sie gemeinsam mit Theo in den Froschprinz und trafen dort tatsächlich auf Alexander. Dieser obersüße Typ war nicht traurig, als er Niklas und Bjarne zusammen sah, aber wünschte ihnen einen Hauch zu süß 'ganz viel Spaß im Bett', was Bjarne geschmacklos fand, weswegen er zickig konterte 'Haben wir, danke.' Als er sich hinterher bei Niklas dafür entschuldigte, musste der lachen und ihn drücken. "Ist total okay. Ich kann euch beide verstehen, ich bin eben ein wahnsinnig toller Typ in der Körpermitte... wieso musste ich auch schwul werden? Jetzt werde ich nur noch auf meinen Schwanz reduziert!"

"Na ja, ich sag mal, von reduzieren kann man da wohl nicht wirklich sprechen", warf Theo grinsend ein.

Bjarne drehte sich hingegen energisch zu seinem Freund um. "Du bist toll, verdammt! Und zwar von Kopf bis Fuß und komplett!" Noch immer war er genervt, wenn Niklas sich schlecht machen wollte.

Nebenher kam Bjarne mit zu den wilden Sachen, die Niklas auch trotz Gipsarm mit seinen Freunden unternahm. Eishockey spielen, mit einem Schlitten über Hügel brettern, mit Schlitten hinter einem Auto über Waldwege rasen. Das Fahren musste Saskia übernehmen und neben Niklas machten noch die Auster und einige andere Freunde mit. Es war ein riesen Spaß und die Freunde von Niklas waren fast alle total locker, was Bjarne in ihrer Mitte anging. Es war allerdings noch eine eher unangenehme Unterhaltung mit Paul zu überstehen. Der kräftige Typ versprach Niklas, dass er in Zukunft versuchen würde, seine Klappe zu halten und weniger Schwulenwitze zu machen.

Als Niklas ihn ein wenig kleinlaut fragte, ob sie überhaupt noch Freunde seien konnten, grinste Paul über sein ganzes Gesicht. "Freunde? Ich hab dein Leben gerettet, Mann! Du gehörst mir! Das bleibt für immer." Und ab dem Augenblick hatte Bjarne den Paul richtig lieb, obwohl der gleich als nächstes fragte "Und kann deine Zwergtucke denn wenigstens Skateboard fahren?"

Die von Niklas und Florian und natürlich von Saskia geplante Silvesterfeier würde bald starten und das im Haus der Auster und des Nikigraus. Bjarne hatte den beiden geholfen, ausreichend Glühwein bereit zu stellen und Kartoffelsalat zu machen, er hatte Chips eingekauft und Sektkartons geschleppt.

Der Fitnesskeller wurde in einen Partykeller umgewandelt. Florian hatte die Geräte zur Seite geräumt und dafür ein paar Kissen auf den Boden geworfen, so dass so etwas wie Sitzgelegenheiten entstanden. Bjarne verteilte Knallbonbons und Luftschlangen im Raum und Niklas hockte auf dem Boden und sortierte seine Musiksammlung auf dem Laptop.

Saskia baute ihre Spielkonsole mit einem Karaokespiel auf, Florian war noch beim Training und Niklas war schlecht gelaunt, weil er mit Gips so viele Dinge nicht unternehmen konnte. Einige davon Dinge, die er mit Bjarne unternehmen wollte. "Nicht mal vernünftig mit dir rummachen kann ich, Bjarne."

Saskia wurde etwas rot und kicherte am Fernseher rum. Sie nahm ein Mikrofon und probierte einen Song aus, um die Lautstärken abzugleichen. Sie hatte eine tolle Stimme, davon abgelenkt trat Bjarne zu ihr und starrte auf die Auswahl der Lieder. Auweia, dieses Spiel war ohne Alkohol nicht zu ertragen, soviel war klar! Saskia allerdings konnte auch ohne Alkohol so einiges ertragen. Sie stimmte das zweite Lied an. Bjarne zog sich zu Niklas zurück, um sich rittlings auf seinen Schoß zu setzen. Tröstend wuschelte er ihm durch die Haare. "Ich finde, du kannst sehr vortrefflich mit mir rummachen, Nicki." Sie sahen sich grinsend in die Augen.

Niklas hob seine linke Hand und vergrub seine Finger in Bjarnes Haare, um ihn für einen Kuss heran zu ziehen. In dem Moment als Saskia die Musik wieder ausgestellt hatte, kam eine Stimme von der Tür her. "Als du gesagt hast, dass 'dein Freund' hier übernachtet, Niklas, hatte ich etwas anderes vor Augen." Niklas' Mutter stand in der Tür. Sie schob eine Hand in ihre Haare und zupfte unsicher ein wenig daran herum.

Niklas wurde rot und schob Bjarne von sich herunter, um aufzuspringen. "Mama!" Er wollte sie umarmen, aber sie verschränkte die Arme und starrte ihn aus mit einem Mal gefährlich schmalen Augen an. "Sag mal, spinnst du, Niklas?! Das ist ja wohl unglaublich! Wenn du solche Sachen machst, sagst du uns Bescheid, verdammt noch mal! Ich glaube, es geht los hier!"

"Was?" Niklas starrte seine Mutter an, die den Blick giftig erwiderte.

"Hältst du uns für bescheuert und nicht mehr würdig, an solchen Dingen Anteil zu nehmen, oder was? Wir sind noch immer deine Eltern!"

Saskia miepte leise und Bjarne spürte, wie sein Herz aussetzte. Hitze überflutete sein Gesicht.

"Mama, ich weiß das mit Bjarne doch auch erst seit Weihnachten."

Sie stutzte, blinzelte und musste trotz der Bemühungen, ein böses Gesicht zu machen, laut loslachen. "Nicki! Ich meine doch nicht deinen Freund! Den Gips! Den Gips, verdammt noch mal! Was hast du wieder angestellt?!"

Ertappt hob Niklas den mittlerweile über und über mit Gold verzierten Gipsarm an. "Ach... so. Bin beim Eishockeyspielen mit Paul aneinander geraten und hingeknallt."

"Aha. Typisch. Wie lang dieses Mal?"

"Noch elf Wochen."

"Oh, dann muss Florian mit jemand anderem trainieren, nehme ich an? Hallo, Saskia und Bjarne. Tut mir leid, dass ich so... ausgerastet bin. Dieser Sohn bringt mich um den Verstand."

Bjarne beruhigte seine Herzrhythmusstörungen von dieser Unterhaltung und trat näher, um Rita die Hand zu geben. "Mich auch." Er hatte es unbewusst gesagt, aber es war goldrichtig gewesen. Saskia prustete los und Rita stutzte erneut, dann lachte sie wieder, während sie Saskia die Hand reichte. Kopfschüttelnd ging sie aus dem Raum und rief über ihre Schulter. "Ich hab dir ein Geschenk mitgebracht, mein Großer. Kommst du mit hoch? Dein Vater hat sich wegen der lauten Musik nicht runter getraut."

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