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Silvesternacht

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Die Raketen fliegen, erleuchten den düsteren Nachthimmel. Der Wind pfeift mir um die Ohren, während ich frierend vor Kälte und Sehnsucht auf der Dachterrasse meines Appartements stehe. Alleine sehe ich zum Himmel hinauf, vermisse das Leuchten der Sterne. Eine dichte, schwarze Wolkenwand verdeckt alles. Frohes neues Jahr!

Kleine, weiße Wölkchen bilden sich vor meinem Gesicht; ein Teil meiner Seele. Doch niemand ist da, um sie aufzufangen. Wer sollte das auch sein? Ich bin einsam. Schon immer. Ich sollte es gewohnt sein und doch schreit mein Herz jedes Jahr mehr nach der einen Person, nach Zärtlichkeit, Geborgenheit, Wärme. Ich bin 24 Jahre alt. Seit vier Jahren wohne ich alleine. Seit vier Jahren feiere ich Silvester alleine. Seit vier Jahren stehe ich zur Jahreswende auf diesem Dach, friere und hoffe.

Und... seit vier Jahren gehöre ich nicht mehr dazu. Meine Familie verstieß mich, als sie von meiner Abnormität erfuhren. Schwule gehören nicht in ihre Welt.

Seitdem bin ich der merkwürdige Mann junge Mann aus Appartement 11a, der am 31. Dezember pünktlich um Mitternacht auf seinem Dach steht und alles um sich herum still und leise betrachtet.

Das laute Geschrei der Raketen und das ohrenbetäubende Knallen der vielen Böller nehme ich schon nicht wahr. Nur das leise Klingeln bemerke ich. Es ist mir unbekannt. Woher das wohl kommt? Ich drehe mich um. Es kommt aus meiner Wohnung, von meiner Haustür. Jemand klingelt an meiner Tür. Ein Klingelstreich?

Langsam gehe ich hinein und öffne zögernd die Tür. Vor mir steht der junge Mann, der vor einer Woche in der Wohnung unter mir eingezogen ist. Er lächelt mich freundlich an, während ich gespannt darauf warte, dass er mir den Grund seines Besuches nennt.

„Hallo, ich bin Nick.“

„Jeremy“, entgegne ich knapp.

„Ja, ich weiß, ich hab schon viel von dir gehört. Darf ich reinkommen?“

„Ich denke du hast schon von mir gehört.“ Verwirrt sehe ich ihn an. Nie hatte irgendjemand mit mir sprechen wollen.

Nick lacht und sieht mich fragend an. „Also?“

„Ja, sicher. Komm rein.“

„Schön ist es hier“, sagt er, als wir oben auf der Terrasse stehen. „Ich kann verstehen, dass du gerne hier oben bist.“

Er sieht sich um, betrachtet das Leben unter uns auf den Straßen und die letzten, bunten Raketen, die zum Himmel aufsteigen und dort verglühen. Auch sein Atem ist als dünner, weißer Nebel in der kalten Nachtluft erkennbar.

„Feierst du wirklich immer alleine?“

„Ja, warum?“

„Niemand sollte an so einem Tag alleine sein. Hast du was dagegen, wenn ich ein bisschen bleibe? Sonst wären wir beide allein.“

„Äh, nein... wenn du meinst... danke.“

„Wofür?“

„Dass du gekommen bist.“

Wir setzen uns nebeneinander auf die alte Holzbank und schon ist es nicht mehr ganz so kalt. Ich bin mir nicht sicher, was sein plötzliches Auftauchen zu bedeuten hat, aber ich genieße es in vollen Zügen. Er erzählt viel von sich und von meinem Ruf bei den übrigen Hausbewohnern. Er sagt, er habe das Gefühl, dass niemand mich wirklich kennt, dass alle einen Bogen um mich machen. Das wollte er ändern, nur hat das niemanden interessiert.

„Und jetzt sitze ich hier“, schloss er seinen Bericht.

Ein schönes Gefühl nicht immer alleine sein zu müssen. Nick lacht oft und es ist ein so schönes und ehrliches Lachen, dass mir ganz warm ums Herz wird.

Nachdem wir etwa zwei Stunden beieinander gesessen haben, dreht er sich zu mir und gibt mir vorsichtig einen flüchtigen Kuss auf den Mund.

„Frohes neues Jahr!“

Anm. der Autorin:

Diese Geschichte ist natürlich für alle, die sie lesen wollen, aber ganz besonders für diejenigen, die sich an Silvester oft einsam fühlen. Ich will sagen: gebt die Hoffnung nicht auf! Wer weiß, wer demnächst bei Euch an der Tür klingelt. ;-) Ich wünsche allen ein glückliches Jahr 2007!!!

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