zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

Summer in Paradise 3

Teil 6

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Inhaltsverzeichnis

Max

Auf der Fahrt nach Seelendorf laufen meine Kindheitserinnerungen wie ein innerer Film ab. Meine Mutter ist tot. Ich bin jetzt Vollwaise. Ich weiß, dass es für sie so besser ist. Aber ich hatte bis zuletzt Hoffnung, dass es irgendwie wieder gut wird.

In ihrem Zimmer ist ein Arzt, der gerade den Totenschein ausfüllt, und die Mitarbeiterin vom Pflegedienst, die sie gefunden hat. Meine Mutter liegt da und sieht aus, als würde sie friedlich schlafen. Ich nehme ihre Hand, spüre, dass sie wirklich tot ist. Mir kommen die Tränen. Der Arzt erklärt, dass er von Herzversagen ausgeht. Sie sei friedlich im Schlaf gestorben. Die Tür geht auf. Severin und Carlos kommen herein. Severin nimmt mich in den Arm. Carlos schaut zwischen mir und seiner Kollegin hin und her. Legt ihr den Arm um die Schulter, fragt sie, ob alles in Ordnung ist, ob sie etwas braucht. Er sei eingeteilt, ihren weiteren Dienst zu übernehmen. Ich weine, während Severin neben mir steht, mit seinem Arm um meiner Schulter. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass Carlos an seiner Stelle wäre. Die Pflegedienst-Mitarbeiterin muss mit dem Arzt noch Formalien klären. Ich weine so leise wie möglich vor mich hin. Plötzlich kommt er doch zu mir. Er nimmt mich fest in den Arm. Ich darf mich jetzt gehen lassen.

“Ich bin da”, flüstert er, während ich schluchze. “Ist gut. Lass es raus.”

“Danke”, flüstere ich.

Er hält mich noch ein bisschen fester und krault meinen Nacken.

“Für sie ist es besser so”, flüstert er.

“Ich weiß, aber ich werde sie so vermissen. Ich bin jetzt ganz allein, ich hab keine Familie mehr.”

“Du hast mich. Ich gehe nicht weg, versprochen. Ich liebe dich.”

“Ich liebe dich so sehr”, flüstere ich.

Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. Dann lässt er mich los und dreht sich nach seiner Kollegin um. Sofort gestikuliert sie ihm zu, ob er verrückt geworden ist. Er zuckt die Schultern:

“Es ist, wie es ist.”

Sie redet auf Italienisch auf ihn ein. Mein Schul-Italienisch ist arg eingerostet. Sie sagt irgendwas darüber, dass er auch anders an Geld kommen kann, wenn es ihm darum geht. Und dass sie das seinem Vater sagen muss. Er wirft seine Hände in die Luft und sagt auf Deutsch:

“Mach, was du willst, ich kann dich nicht aufhalten. Aber damit bringst du meinen Vater ins Grab.”

Sie bekreuzigt sich und schimpft weiter, während er nur die Schultern zuckt. Der Arzt räuspert sich:

“Nun, ich bin hier fertig. Bald wird ein Bestattungsunternehmen kommen, um Ihre Mutter abzuholen. Wir geben Ihnen jetzt noch einige Minuten alleine mit ihr, wenn Sie möchten?”

“Ja, danke”, sage ich und höre, dass Severin die Kollegin beim Rausgehen zu einem Gespräch in sein Büro bittet.

Ich kann nur hoffen, dass er sie überzeugen kann, dicht zu halten … Ich stehe alleine bei meiner toten Mutter. Ob ich laut sprechen soll? Oder nur in Gedanken mit ihr reden?

“Mama, … ich … ich will danke sagen, dass du so viel für mich getan hast. Dass du mich bei der Schule immer unterstützt und motiviert hast. Dass du so viel Geld für mich ausgegeben hast, dass du … dass du mich am Ende akzeptiert hast, wie ich bin. Ich liebe dich. Und ich werde dich sehr vermissen. Und ich verstehe jetzt Dinge, die ich als Jugendlicher nicht verstanden habe. Dass du es immer gut gemeint hast. Dass du auch nur ein Mensch bist, genau so unperfekt wie wir alle. Dass du mich auf deine Art sehr geliebt hast. Ich hoffe, dass du jetzt bei Papa bist. Ich hoffe, ihr zwei seid stolz auf mich. Und ich hoffe, du kannst mir von da oben ab und zu ein paar gute Ratschläge schicken, wie ich jetzt weitermachen soll. Mit Carlos, mit meiner Karriere, mit allem. … Mach dir keine Sorgen, ich glaube, mir wird es ganz gut gehen. Ich bin nicht mehr alleine. Vorerst. Und wer weiß, vielleicht bleibt Carlos ja tatsächlich. Ich hab mir vorgenommen, mich nicht mehr Hals über Kopf in eine Beziehung zu stürzen. Aber die letzten Monate mit ihm waren … vielversprechend. Wir passen gut zusammen, glaube ich. Er mag seine Unabhängigkeit, er sagt deutlich, was er will und was nicht und er erträgt mich ganz gut. So wie du Papa gut ertragen hast. Vielleicht funktioniert unsere Beziehung ja genauso gut wie eure. Grüß Papa. Wir sehen uns, irgendwann …”

Ich verlasse das Zimmer und stelle fest, dass Carlos auf dem Flur auf mich wartet. Er breitet die Arme für mich aus. Ich lasse mich lange von ihm umarmen. Dann frage ich:

“Wie geht es dir? Konntest du noch mal mit deiner Kollegin reden?”

“Darüber machst du dir heute bitte keine Gedanken. Nimm dir frei, fahr nach Hause. Ich gebe den Bestattern deine Nummer. Heute musst du nichts mehr entscheiden. Und vieles hat deine Mutter ohnehin schon geregelt. Sie hat mir die Unterlagen gegeben. Ich hab sie bei Severin im Büro deponiert, vor einigen Wochen.”

“Wirklich? Danke.”

“Hab ich sehr gerne für deine Mutter gemacht. Das hat sie sehr entlastet, zu wissen, dass sie es dir so leicht wie möglich macht. Sie war wirklich eine tolle Frau, ich mochte sie sehr …”

“Danke. Sie mochte dich auch sehr.”

“Ich bin froh, dass sie letzte Woche doch von uns erfahren hat. Alles andere würde ich jetzt bereuen.”

“Ich bin auch froh. Ich hab ihr in den letzten Tagen viel davon erzählt, wie wir zusammengekommen sind und wie es mir geht, wenn ich mit dir zusammen bin.”

“Ich auch”, lächelt er.

“Kann ich dich küssen?”, frage ich und schaue mich zu allen Seiten um.

“Heute darfst du mich küssen, wann auch immer es dir hilft.”

Ich umarme ihn und küsse ihn und umarme ihn noch einmal.

“Was machst du bloß mit mir, Carlos? Ich wollte es doch wirklich langsam angehen lassen …”

“Ich auch, aber … vielleicht sollten wir den Widerstand ja aufgeben, und einfach machen, was sich gut anfühlt?”

“Klingt verlockend. Aber ich möchte nicht, dass du irgendwas bereuen musst.”

“Max, ich bereue wirklich nichts, was ich in den letzten Wochen mit dir gemacht habe. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass ich bald, nach einer gewissen Zeit der Trauer, … dass ich mir dann vorstellen könnte, richtig mit dir zu schlafen.”

Ich spüre meine Wangen rot werden und kann nicht mehr aufhören zu grinsen:

“Wirklich?”

Er nickt:

“Ich muss ständig dran denken, wie es sich wohl anfühlt, in dir zu sein”, flüstert er.

“Ich kann es kaum erwarten, dich in mir zu haben”, flüstere ich zurück und küsse ihn.

Kurz darauf kommt Severin den Flur entlang.

“Wie war das Gespräch mit Agatha?”, fragt Carlos sofort.

“Mal sehen. Ich hab es auf die sanfte, erklärende Tour versucht und als das nicht so recht gezogen hat, habe ich ihr klargemacht, dass sie und ihre Firma hier nicht mehr willkommen sind, wenn ich den Eindruck bekomme, dass sie homophob unterwegs sind. Wir haben hier inzwischen fünf Pflegezimmer, das ist für die mobilen Firmen durchaus attraktiv, weil sie keine Fahrzeiten haben und mehr Patienten annehmen und abrechnen können. Ich hoffe, das zieht.”

“Vielen Dank für den Versuch, jedenfalls”, sagt Carlos wenig optimistisch.

“Mal sehen, hm? Vielleicht hat es ja funktioniert”, hoffe ich und lege meinen Arm um ihn.

“Schön, dass ihr euch gefunden habt”, findet Severin. “Ich wünsche euch alles Gute. Und wenn ich noch was helfen kann, auch wegen der Bestattung, gebt einfach Bescheid.”

“Danke, Severin. Ich melde mich wegen der Kündigung des Mietvertrages in den nächsten Tagen.”

“Ja, lass dir aber noch ein bisschen Zeit mit der Bürokratie. Nimm dir ein paar Tage zum Trauern. Das ist wirklich wichtig.”

“Ja, werde ich machen.”

“Wie geht es Christian?”, fragt Carlos.

“Reha, seit ein paar Tagen”, erklärt Severin.

“Was ist passiert?”, frage ich ahnungslos.

“Bandscheibenvorfall. Er wurde vor zwei Wochen notoperiert. Seitdem war er im Krankenhaus. Jetzt geht es an die Remobilisierung, Haltungsübungen, Muskelaufbau …”

“Das ist gut, dass er so schnell einen Platz bekommen hat”, findet Carlos.

“Ja, wir mussten ganz schön viel rumtelefonieren, aber es hat geklappt.”

“Sag ihm gute Besserung. Ich muss weiterarbeiten. Aber Max, du fährst jetzt zu mir nach Hause und ruhst dich aus. Hier ist der Schlüssel. Und ich komme in der Mittagspause und koche uns was.”

“Okay …”

“Ich liebe dich. Bis später.”

Er küsst mich fast schon so selbstverständlich wie in seiner Wohnung, ohne sich zu allen Seiten umzusehen.

David

Für uns ist Christians Unfall ein ziemlicher Schock. Nicht nur, weil er riesiges Glück im Unglück hatte, und leicht auch hätte tot sein können. Sondern auch, weil er für lange Zeit komplett ausfallen wird. Gut, dass Jordan da ist. Denn ich muss gemeinsam mit Sebastian von Tiefenbach jetzt alle Planungstermine übernehmen. Zum Glück kennt Sebastian die Baubranche gut und schafft es, Christian gut zu vertreten oder von seinen Mitarbeitern vertreten zu lassen. Ohne ihn wären wir ziemlich aufgeschmissen, allesamt. Auch den Termin im Bauamt der Gemeinde müssen wir ohne Christian machen, auch wenn er als Gemeinderat da sehr nützlich gewesen wäre. Aber wir kommen gut durch, weil Basti alles fachlich perfekt vorbereitet hat. Er ist wahnsinnig professionell im Job. In der Freizeit schaltet er komplett um, hängt mit Punks ab, trinkt und schläft scheinbar mit jedem, der nicht schnell genug auf dem Baum sitzt. Sein Freund Leon steht ihm da wohl in nichts nach. Na gut, jedem das Seine. Wir essen gemeinsam zu Mittag im alten Kaiserwirt. Severin nimmt mich bei Seite:

“Ich wollte dir Bescheid geben, Isa Weller ist heute Nacht gestorben.”

“Oh nein, wie das?”

“Herzversagen meint der Arzt. Im Schlaf. Eigentlich ein schöner Tod …”

“Wie geht es Max? Wo ist er?”

“Er war vorhin hier, ist jetzt aber los, um sich ein bisschen hinzulegen.”

“Ich ruf ihn gleich mal an.

Max nimmt schon nach dem zweiten Klingeln ab.

“Hey David.”

“Hey, ich hab's gerade gehört. Tut mir sehr Leid. Wie geht’s dir?”

“Ich häng so rum. Hab nichts zu tun.”

“Soll ich zu dir kommen? Ich hab Zeit.”

“Danke, aber mein Freund kommt gleich …”

“Du bist wieder mit jemandem zusammen?”, frage ich überrascht und spüre kurz sowas wie Eifersucht in mir aufkommen.

“Ja, seit einer Weile. Aber er ist nicht out, deshalb hängen wir es nicht an die große Glocke …”

“Verstehe. Wie kommst du damit klar?”

“Ich bin froh, dass wir es meiner Mum letzte Woche gesagt haben. Und ansonsten bin ich jetzt erstmal geduldig und schaue, was sich entwickelt.”

“Ich freu mich für dich … oder versuche es zumindest.”

“Ich weiß, wie du dich fühlst, mir ging es genauso mit Jordan und dir.”

“Wenn du irgendwas brauchst, wenn ich dir irgendwas abnehmen kann …”

“Dann melde ich mich. Danke, David. Wirklich.”

Auf die Beisetzung ein paar Tage später kommen mehr als 100 Menschen. Viele Geschäftspartner von Herrn Weller aus der Immobilienbranche sind da. Mehrere Mitarbeiter vom Pflegedienst, viele Menschen aus dem Paradies. Und Thorsten und Claudi stehen neben Max. Das ist gut. Ich bin froh, dass die beiden für ihn da sind. Mir fällt auf, dass ich Max’ leibliche Mutter und seine Schwester nirgends sehe. Auch die Verwandtschaft von Herrn Weller ist wohl nicht da. Das finde ich schon ziemlich krass. Scheinbar hat Max jetzt wirklich keine Familie mehr, auf die er zählen kann. Ob Max’ Neuer auch hier ist, sich aber bloß nicht zu erkennen geben kann?

Severin und ich lernen auf der Kremess ein paar spannende Leute kennen, zum Beispiel einen Bauingenieur mit großer eigenen Firma, der hört, dass unserem Projekt Verzögerungen drohen und der seine Hilfe anbietet. Er könnte sich vorstellen, als Investor mit an Bord zu gehen und ein paar der geplanten Ferienwohnungen zu bauen und zu verkaufen. Beim Gaststättenbau könnte er als Subunternehmer auch ein paar Verträge übernehmen. Ich gebe ihm Sebastians Karte. Seitdem sein Büro mit irgendeinem Staatspreis ausgezeichnet wurde, reißen sich die Firmen drum, mit ihm zusammenzuarbeiten. Die beiden klären das alles miteinander und keine Woche später ist alles unter Dach und Fach und wir sind wieder im Zeitplan.

Auf Fragen nach Christians Gesundheitszustand reagiert Severin irgendwie verhalten. Ich kann mir das nicht erklären. Jordan erzählt aber, dass Christian wohl ein Alkoholproblem hat und dass der Entzug vielleicht ein ebenso großes Problem sein könnte wie die Remobilisierung nach dem Bandscheibenvorfall. Als ich einen Kommentar dazu mache, dass ich von der Suchtproblematik gern gewusst hätte, bevor ich mich geschäftlich von Christian abhängig gemacht habe, hält Jordan mir einen Vortrag darüber, dass eine Sucht kein charakterliches Versagen ist, sondern eine Krankheit. Und er endet damit, dass ich mir gut überlegen soll, ob ich mich wirklich privat von ihm abhängig machen will. Denn er wird für den Rest seines Lebens ein Süchtiger bleiben. Uff. Ich habe da echt einen Nerv bei ihm getroffen. Meine Beschwichtigungs- und Erklärungsversuche laufen ins Nichts. Er ist den ganzen Tag wütend auf mich, bevor er am Abend bereit dazu ist, meine Entschuldigung anzunehmen.

Insgesamt wird es jetzt noch mal stressig vor der Sommerpause. Viele Termine, viele Dinge zu entscheiden, bevor im September dann der Bagger rollen kann. Und bald steht auch der Umzug von Carol, Klaus und den Mädchen an. Nikki und Oliver werden mit Gwen und Cooper dann im September kommen.

Jordan langweilt sich ein bisschen. Er nimmt die Zwillinge oft mit zu Nina oder ins Freibad. Und er sucht sich eine Therapeutin in der Nähe und eine Suchtgruppe. Aber so richtig was zu tun hat er noch nicht in Bayern. Ich hingegen weiß gar nicht mehr, was ich zuerst machen soll.

Max

Dadurch, dass ich nicht mehr jeden Morgen nach Seelendorf fahre, starte ich früher in der Arbeit und kann meistens zu einer normalen Uhrzeit mit Carlos Abendessen und den Tag mit ihm ausklingen lassen. Es tut gut, so viel Freizeit zu haben, und jemanden, mit dem ich sie gern verbringe. Eines Abends klingelt mein Handy, als wir gerade mit dem Essen fertig sind. Es ist Sonia.

“Max, mein Kind. Ich hab gehört, dass deine Mutter gestorben ist. Warum sagst du mir nichts? Ich hätte doch für dich da sein können!”

“Danke, aber ich dachte, du bist im Ausland?”

“Ich wäre doch gekommen. Ich bin übrigens gerade im Lande. Lust, spontan ans Lagerfeuer dazuzukommen? Deine Schwester ist auch da!”

“Wirklich? Und die halbe Verwandtschaft vermutlich auch, oder?”

“Ein paar Leute. Eine schöne Runde. Komm vorbei!”

“Ich muss das kurz abklären. Ich meld mich.”

“Okay, ich würde mich wirklich freuen. Morgen geht es mit dem Wohnwagen weiter in die Niederlande.”

“Wow, du kommst rum! Ich ruf dich gleich zurück.”

Carlos schaut mich gespannt an.

“Das war Sonia, meine leibliche Mutter. Sie fragt, ob ich spontan vorbeikommen will. Ihr Garten ist nicht weit von hier. Ein paar Leute aus der Familie treffen sich dort am Lagerfeuer.”

“Verstehe. Fahr ruhig. Wir können ja morgen Abend wieder bei mir rumhängen.”

“Komm doch mit, Carlos.”

“Als dein … Freund?”

“Ja, dort kennst du doch eh niemanden …”

“Ich weiß nicht, Max …”

“Dort hätte niemand ein Problem damit, wirklich.”

“Okay, aber falls es irgendwie komisch wird …”

“Dann fahren wir sofort nach Hause. Versprochen.”

Ich parke den BMW ziemlich genau an der gleichen Stelle, wo wir beim ersten Besuch mit David hier vor sechs Jahren geparkt haben. Damals habe ich Sonia und Maya kennengelernt. Und er Jordan. Natürlich sind die paar Verwandten, die Sonia angekündigt hat, gut 30 Leute. Ein halbes Dutzend Kinder sausen herum. Einer von ihnen ist mein Neffe Orlando, der mich sofort begrüßt und mich fragt, wen ich da mitgebracht habe.

“Das ist mein Freund Carlos.”

“Spielst du mit Fußball?”

“Sicher!”, freut sich Carlos und joggt davon.

“Oh-kay … dann ehm, geh ich mal Sonia suchen”, rufe ich ihm hinterher.

“Jipp!”, winkt er.

Maya finde ich am Lagerfeuer.

“Hey Bruderherz!”, freut sie sich und umarmt mich.

“Hey. Wo sind die Zwillinge?”

“Schlafen im Wohnwagen. Ich hab von deiner Mutter gehört. Tut mir so Leid.”

“Danke. Für sie ist es besser, aber ich hätte es mir anders gewünscht.”

“Tut mir Leid, dass ich nicht da war. Aber ab jetzt sind wir wieder öfter hier. Orlando soll in Deutschland eingeschult werden, haben wir entschieden.”

“Wir?”

“Francesco und ich.”

“Seid ihr wieder zusammen?”

“Ja, er ist grad mit Mama Getränke am Bach holen.”

“Cool.”

“Ja, es ist besser für die Zwillinge, wenn ihr Vater bei uns wohnt. Wir haben uns also zusammengerauft… Ah, da kommen sie.”

Sonia lässt den Bierträger, den sie schleppt, stehen und kommt auf mich zu, um mich fest zu umarmen.

“Ich freu mich so, dich zu sehen, Max. Gut siehst du aus! Wie geht es dir?”

“Eigentlich ganz okay. Und dir?”

“Ach, die Männer, du weißt ja, wie sie sind, unsere Zigeuner. Nichts für ungut, Francesco!”

“Ist Gianni mal wieder weg?”, frage ich.

“Er und unser Geld, jawoll.”

“Scheiße.”

“Dieser Mann ist eine Schande für die ganze Familie”, schimpft Francesco, der ein weitläufiger Cousin von Sonias Exfreund ist.

“Moment, ist das Carlos Marino?”, fragt Francesco ungläubig und deutet rüber zu den Kindern, wo mein Freund mit fünf Bällen jongliert und die Kids Beifall klatschen.

Kurz bin ich irritiert von dem Anblick. Gibt es eigentlich irgendwas, dass dieser Mann nicht kann? Dann muss ich schnell schalten:

“Ja, das ist Carlos. Wir sind befreundet. Ich war mit ihm unterwegs, als Sonia angerufen hat. Deshalb hab ich ihn spontan mitgebracht. Du kennst ihn?”

“Natürlich, die Marinos sind legendär. Ich kenne seine Brüder ziemlich gut.”

“Hübscher Kerl”, findet meine Schwester. “Seid ihr zusammen?”

Francesco verschluckt sich an seinem Bier und wartet gespannt auf meine Antwort.

“Nein”, sage ich schnell. “Wir sind nur Freunde. Er ist nicht schwul.”

“Natürlich nicht, sonst hätte sein Vater ihn längst totgeprügelt.”

“Francesco!”, machen Sonia und Maya gleichzeitig.

“Hey, ich sag nur, wie es ist. Nichts für ungut, Max. Ihr Deutschen könnt das nicht verstehen. Bei uns muss ein Mann ein Mann sein.”

“Willst du damit sagen, dass Max kein Mann ist, weil er schwul ist?!”, fragt Sonia angriffslustig.

“Lass gut sein”, sage ich säuerlich. “Die Diskussion führt zu nichts.”

Ich gehe rüber zu Carlos, schaue ihm dabei zu, wie er die Bälle unter seinem Bein durch in die Höhe wirft, bis er mich bemerkt und einen nach dem anderen auffängt.

“So, Schluss! Geht spielen”, sagt er zu den Kindern.

“Das war grandios”, lächle ich.

“Soll ich es dir beibringen?”

“Gern, aber vorher … ehm, da drüben ist der Freund meiner Schwester, Francesco. Er sagt, er kennt dich.”

“Oh nein, das ist ein Freund meiner Brüder. Und jetzt?”

“Ich hab ihm gesagt, dass wir befreundet sind und grad zusammen unterwegs waren, als Sonia angerufen hat.”

“Danke. … Dann geh ich mal rüber und sage hallo …”

“Er hat gesagt, deine Familie ist legendär. Was hab ich da verpasst?”

Er seufzt:

“Es hilft wohl nichts. Du erfährst es ja sowieso. Ich stamme aus einer Artistenfamilie. Hochseil-Akte und Trapez, hauptsächlich. Aber auch Bodenakrobatik und was sonst so in einem Zirkus anfällt.”

“Wow, das … das erklärt so einiges …”

“Ja?”

“Ja, zum Beispiel, dass du so mega-trainiert bist. Und dass du auf dem SUP so gutes Gleichgewicht hast, und das Jonglieren.”

“Ich kann noch ganz andere Dinge”, erklärt er und grinst unmissverständlich. Wow. Einfach nur wow.

Er unterhält sich eine Weile auf Italienisch mit Francesco. Währenddessen setze ich mich mit Sonia und Maya an den Bach.

“Du kannst mir nicht erzählen, dass du mit dem heißen Kerl nur befreundet bist, Max”, grinst Maya.

Ich weiß, dass ich keine Chance habe. Die zwei sind Meisterinnen im Nachbohren und Verhören. Also gebe ich mich sofort geschlagen:

“Wir sind zusammen, aber er ist nicht out. Und wenn man Francesco so zuhört, dann weiß man auch, warum.”

“Meine Lippen sind versiegelt”, verspricht meine Schwester.

Sonia meint: “Du hast also auch meinen Männergeschmack geerbt. Viel Glück damit …”

“Carlos ist anders. Er ist sehr zuverlässig …”

“Ja, das haben wir alle mal gedacht von unseren Zigeunern”, grinst Maya. “Sonst hätte ich mich nicht schwängern lassen.”

Ich zucke nur die Schultern, weil ich ihren Typen nicht beleidigen will, auch wenn ich finde, man riecht bei ihm schon drei Meilen gegen den Wind, woran man ist.

“Wie läuft es mit den Kids?”, frage ich, um das Thema zu wechseln.

Maya erzählt vom Leben zu fünft in der kleinen Wohnung. Sonia erzählt von Giannis Verfehlungen und ich vom Job.

“Gehst du dann jetzt wieder ins Ausland?”, fragt Maya.

“Keine Ahnung. Eigentlich könnte ich. Aber Carlos ist hier …”

“Ist es was Ernstes mit euch?”, fragt Sonia.

“Ja, ich denke schon.”

“Dann solltest du das Thema ansprechen. Du bist nicht gemacht dafür, zu lange an einem Ort zu wohnen. Das hast du von mir.”

Wie auf Kommando, kommt Carlos um die Ecke.

“Hier bist du.”

“Hey, ja, sorry. Die Damen haben mich ein bisschen in Beschlag genommen. Ich dachte, du bist eh am Ratschen …”

“Ja, alles gut.”

Er setzt sich zu uns auf die Stufen.

“Also, mein Typ wärst du schon auch”, grinst Sonia.

“Sorry, die zwei haben mir keine Sekunde abgenommen, dass wir nur Freunde sind”, entschuldige ich mich.

Carlos schnauft:

“Es spricht sich definitiv zu schnell rum, Max. Meine Familie …”

“Wir halten dicht”, verspricht Maya sofort. “Auch vor Francesco.”

“Ja”, nickt Sonia “wir wissen, dass du sonst ernsthafte Probleme bekommst.”

“Okay.”

“Kannst du uns allen Jonglieren beibringen?”, frage ich.

“Ich kann es versuchen. Mal sehen, ob ihr es schafft, euren Kopf auszuschalten und nur noch mit dem Körper zu denken.”

“Na das wird bei Max nix werden”, grinst meine Schwester.

Und leider hat sie Recht. Sonia ist recht passabel, Maya sogar richtig talentiert, aber bei mir ist Hopfen und Malz verloren. Carlos versucht es wirklich, aber ich finde einfach nicht das richtige Timing. Ich lass es bald gut sein und schaue lieber den anderen zu, wie sie eine kleine Vorstellung für die Kids auf die Beine stellen. Carlos läuft auf den Händen, Sonia schlägt Räder und Maya jongliert. Die Kids sind begeistert.

Carlos verschwindet noch eine Weile mit Sonia an den Bach. Sie ist gern in der Schwiegermutter-Rolle, das hat sie bei David damals schon ausgekostet. Sie fragt Carlos wahrscheinlich Löcher in den Bauch, über seine Absichten mit mir. Ich unterhalte mich mit ein paar entfernten Cousins, die ich noch nicht kannte und vermeide es, mit Francesco ins Gespräch zu kommen. Wir werden sicher im Leben keine Freunde mehr.

Auf der Heimfahrt im Auto erzählt mir Carlos, was er über Francesco und Gianni und die ganze Sippschaft weiß. Außerdem erzählt er, dass er sich im Garten sehr wohl gefühlt hat.

“So bin ich aufgewachsen. Immer viel Verwandtschaft da, Kinder zum Spielen, Lagerfeuer, Wohnwägen … und Sonia ist genau der Typ Frau, der da gut dazu passt. Nicht sesshaft, freigeistig, risikofreudig …”

“Sonia und ich haben nicht so viel gemeinsam, was?”

“Ich sehe schon viel von ihr in dir. Aber auch viel von Isa. Du bist halt eine Mischung aus deinen Genen und deiner Erziehung, wie wir alle.”

“Wegen der Sesshaftigkeit … Ich hatte eigentlich nicht geplant, noch lange in München zu leben. Ich würde eigentlich gern noch etwas von der Welt sehen. Und in der Forschung muss man ohnehin dahin ziehen, wo die Projekte sind …Wie schaut es da bei dir aus?”

“Hm, ich … ich genieße es eigentlich gerade, endlich mal länger als ein paar Wochen an einem Ort zu sein. Ich fühle mich hier ziemlich heimisch …”

“Okay, das wird also spannend …”

“Wir finden eine Lösung. Vielleicht müssen wir auch nicht immer in der gleichen Stadt leben. So eine Fernbeziehung kann für eine bestimmte Zeit vielleicht auch mal reizvoll sein.”

“Ich liebe dich dafür, dass du das sagst, Carlos. Wirklich, das gibt mir so viel Freiheit.”

“Das ist jetzt aber auch kein Freibrief dafür, morgen die Stadt zu verlassen.”

“Nein, da würde ich dich viel zu sehr vermissen.”

Seine Hand, die auf meinem Oberschenkel liegt, rutscht nach oben:

“Wie sehr würdest du mich vermissen?”

“Mmmmh, sehr.”

Ich werde hart und er scheint zufrieden zu sein mit dieser Reaktion.

“Ich würde dich auch sehr vermissen”, flüstert er in mein Ohr und legt sich meine Hand in den Schritt.

“Soll ich irgendwo anhalten?”, frage ich.

“Da vorne, bieg in den Waldweg ein.”

Ich fahre ein Stück weg von der geteerten Straße in ein komplett dunkles und abgelegenes Waldstück und stelle den Motor ab.

“Zieh deine Hose aus”, haucht mir Carlos zu.

Ich beeile mich damit und lehne mich in meinem Sitz zurück. Ich denke, Carlos holt mir gleich einen runter, aber stattdessen beugt er sich tief über mich und nimmt mich in den Mund, zum ersten Mal. Über mir sehe ich die Sterne durch das Panorama-Dachfenster. Es dauert nicht lange:

“Ich … mh, ich komme.”

“Mmmmmh”, macht Carlos gierig und bringt mich über diese wunderbare Schwelle, so dass ich mich nur noch unkontrolliert winden kann.

Als ich wieder in der Realität ankomme, ist seine Hose bereits verschwunden und sein Sitz komplett nach hinten gelehnt.

“Willst du, dass ich dir einen blase?”, frage ich.

“Ich will, dass du dich auf mich setzt.”

“Du willst hier das erste Mal mit mir schlafen?”

“Ich kann keine Sekunde länger warten… also, wenn du das auch willst?”

“Was ist mit Gummis?”

“Brauchen wir die? Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen und Frauen sind auch schon eine Weile her.”

“Ich lasse mich regelmäßig testen”

“Ich will dich nicht drängen, wenn du dich damit unwohl fühlst. Ich hab mich noch nie testen lassen. Deine Entscheidung.”

“Ich will jetzt mit dir schlafen.”

“Dann komm her.”

Ich setze mich über ihn.

“Gib mir deine Finger”, flüstere ich.

“So?”

“Ja, einfach rein, ganz langsam.”

“Mh, bist du eng.”

“Noch einen Finger.”

“Wenn es weh tut, sagst du es sofort, ja?”

Ich stöhne auf:

“Es tut nicht weh. Im Gegenteil. Mh, noch einen.”

“Woah, das ist so eng. Ich liebe es.”

“Du kannst jetzt. Nimm etwas Spucke.”

Er ist so rührend behutsam und ganz langsam. Ich spüre, wie er all seine Selbstbeherrschung aufbringen muss, um sich zurückzuhalten. Langsam fange ich an, mich auf und ab zu bewegen. Er zittert unter mir. Ich bewege mich etwas schneller.

“Alles gut, Carlos, du kannst dich jetzt entspannen.”

“Ich komme in drei Sekunden, wenn ich mich nicht zurückhalte.”

“Dann komm. Halt dich nicht zurück.”

Es dauert tatsächlich kaum eine Minute, bis ich ihn kommen spüre.

“Bleib, mach einfach weiter”, flüstert er.

Und das mache ich gerne. Er hält mich ganz fest in seinen Armen und flüstert:

“Ich liebe das. Und ich liebe dich. Und ich bin schwul und das ist okay.”

Er weint, während er mich festhält und ich mich langsam weiterbewege.

“Soll ich aufhören?”

“Nein, mach weiter. Halt mich einfach fest, dabei.”

Nach ein paar Minuten stößt er fordernder in mich. Ich bewege mich wieder schneller, komme nah an die Schwelle, spüre, dass er noch mal kommt und komme auch.

Ich krame Taschentücher aus dem Handschuhfach und wische uns einigermaßen sauber. Dann fische ich meine Unterhose aus dem Fußraum und setze mich wieder auf den Fahrersitz. Carlos bleibt nackt auf dem Beifahrersitz und bewegt sich nicht, aber er lächelt:

“Danke …”

“Geht es dir gut?”, frage ich etwas besorgt.

“Das war … eine Offenbarung. Ich hab davor nicht gewusst, wie schwul ich bin. Aber das war einfach nur … wow.”

Ich grinse:

“Ja, kein schlechtes erstes Mal. Ich bring uns jetzt nach Hause, hm? Und dort kuscheln wir uns auf das Sofa.”

“Zu mehr bin ich vermutlich heute eh nicht mehr zu gebrauchen. Ich bin völlig platt - aber glücklich.”

Ich schaue ihm die halbe Nacht beim Schlafen zu, kann es nicht fassen, dass ich noch mal so verliebt sein darf. Kann es nicht fassen, wie wunderbar er ist und wie perfekt unser Leben zusammen werden könnte.

Wir sehen uns ab jetzt ausnahmslos jeden Abend, egal wie spät ich aus der Arbeit komme. Ich verbringe jede Nacht bei ihm. Wir kochen, schlafen miteinander, kuscheln, schauen Filme, schlafen nochmal miteinander und bekommen viel zu wenig Schlaf, trotzdem bin ich voller Energie und einfach glücklich.

Als ich Anfang August nach der Arbeit zu Carlos komme, schaut er ungewohnt ernst und traurig drein.

“Was ist passiert?”

“Mein Bruder Benito ist schwer gestürzt. Beim Training.”

“Am Hochseil?”

“Trapez.”

“Wie geht es ihm?”

“Er wird überleben. Aber ob er jemals wieder fliegen kann, ist nicht klar. Und dass er für die nächsten Monate ausfällt, steht fest.”

“Mist.”

“Max, mein anderer Bruder hat schon länger mit der Schulter zu kämpfen und fällt auch aus. Meine Familie ist komplett aufgeschmissen. Sie werden ihre Verträge nicht erfüllen können. Außer …”

Er redet nicht weiter.

“Außer was?”, frage ich.

“Außer ich springe ein.”

“Ehm, okay … was genau bedeutet das?”

“Dass ich zurück muss.”

“Zu deiner Familie?”

“Ja.”

“Wann?”

“So bald wie möglich.”

“Und wohin?”

“Sie sind noch im Osten unterwegs. Das Trainingsquartier ist dann in der Nähe von Nürnberg. Die Herbst-Tour startet in Heidelberg und dann Hessen. Die Wintertour geht dann durch Süddeutschland.

“Wintertour, du meinst, du würdest nicht nur ein paar Wochen wegbleiben?”

“Nein, ich bin von jetzt bis April weg.”

“Aber wir … wir könnten uns trotzdem sehen, oder?”

“Max … ich glaub, du begreifst nicht, was los ist. Ich muss wieder zum Zirkus zurück, wo ich null Privatsphäre habe, jeden Tag acht Stunden trainiere und mindestens zwölf Auftritte pro Woche habe. Pausen gibt es während der Saison nicht. Heimliche Anrufe im Wohnwagen auch nicht.”

“Dann kannst du das nicht machen, Carlos”, sage ich panisch.

“Ich hab überhaupt keine Wahl. Die Job-Kündigung habe ich schon eingereicht. Und die Wohnung muss ich zum Monatsende kündigen.”

“Carlos, du kannst doch nicht einfach von einem Tag auf den anderen alle Zelte abbrechen und für neun Monate verschwinden!”

“Wenn meine Familie nicht auftritt, hat sie kein Geld, kein Dach über dem Kopf, keinen guten Ruf mehr. Wir würden nie wieder engagiert werden, wenn wir jetzt die Verträge nicht mehr erfüllen. Für meine Eltern und meine Geschwister hieße das, zurück nach Bulgarien oder in eine italienische Wohnwagensiedlung. Für meine Schwester Sarah heißt das, keine deutsche medizinische Versorgung mehr und meinen Vater würde es wahrscheinlich ins Grab bringen. Ich wünschte, ich könnte bei dir bleiben, Max. Es war alles zu perfekt um wahr zu sein. Aber jetzt muss ich tun, was nötig ist, um meine Familie zu beschützen. Es tut mir wirklich unendlich Leid.”

“Es muss doch irgendeine andere Möglichkeit geben …”

“Nein, ich hab seit Stunden darüber nachgedacht. Aber nur ich kann jetzt helfen. Es gibt niemand sonst, der so kurzfristig in die laufende Saison einsteigen kann. Niemanden, der die Herbst- und Wintersaison in einem der größten Zirkusse Deutschlands wuppen könnte.”

“Das ist ein Albtraum, oder?”, frage ich.

Er nimmt mich in den Arm.

“Ich kann dich nicht verlieren, Carlos. Sonst sterbe ich.”

“Ich kann nicht von dir erwarten, dass du bis nächstes Jahr auf mich wartest. Aber ich werde auf dich warten. Ich will, dass wir nächstes Jahr wieder genau hier weitermachen, wo wir aufgehört haben.”

“Ich warte auf dich. Notfalls auch 100 Jahre. Hauptsache, du kommst wieder zu mir zurück.”

“Das werde ich, versprochen.”

Die nächsten drei Tage nehme ich mir frei und verbringe jede Sekunde mit Carlos, bis ich ihn mit drei großen Koffern in den Zug setzen muss. Sein Fahrrad und sein Stand Up Board hat er bei mir zwischengelagert und sonst so ziemlich alles verkauft. Seine Wohnung hat er möbliert untervermietet an eine Flugbegleiterin, so dass immerhin die Möbel bleiben konnten.

“Schreib mir, wenn du angekommen bist. Und schreib mir, wenn du im Bett liegst. Und schreib mir, wenn du aufwachst. Und schreib mir, wenn du irgendwie doch mal ein paar Stunden weg kannst. Ich setze mich sofort ins Auto und bin in kürzester Zeit in Nürnberg.”

“Ich schreib dir. Und ich liebe dich. Und es tut mir so Leid, dass ich gehen muss. Ich werde dich so unendlich vermissen.”

Ich küsse ihn am Kleindinger Bahnsteig. Dann steigt er ein und ist fort. Und ich bin wieder alleine.

Lesemodus deaktivieren (?)