zur Desktop-Ansicht wechseln. zur mobilen Ansicht wechseln.

A longer Way

Lesemodus deaktivieren (?)

Informationen

Vorwort:

"A longer Way" ist eine Art zweiter Band zu „Along the Way“. Lest also erst die Story, um aus dem hier schlau zu werden.

 

Licht fällt zum Fenster herein und taucht das Bett in ein helles Orange. Am Fußende schauen zwei Paar Füße heraus. Die Geräusche sind eindeutig. Die Decke wird ein Stück zurückgeschlagen. Man erkennt einen männlichen Rücken, die rechte Schulter ziert das Bild einer Sonne. Die Zimmertüre steht offen. Plötzlich taucht ein gut gekleideter, großer Mann auf.

„Was zur … ?! Was ist denn hier los?!“

Das Paar fährt auseinander, lange blonde Haare kommen zum Vorschein. Ein weibliches Gesicht, stark geschminkt. Sie lächelt auf eine verstörende Art und Weise und meint ironisch:

„Willkommen zu Hause, Liebling.“

„Schnitt! Gut, das nehmen wir. Feierabend für heute.“

Ich klettere aus dem Bett und zieh mir mein Shirt wieder an. Meine Drehpartnerin, die übrigens nach Aschenbecher schmeckt, zündet sich erst mal eine Zigarette an.

„Warum hast du es so eilig, aus dem Bett zu kommen, Süßer?“

„Ich hab noch was vor. Dritter Hochzeitstag.“

„Zu schade. Naja, wir werden morgen ja noch eine Bettszene zusammen haben.“

„Ja, ich freu mich schon unwahrscheinlich drauf. Vor allem, weil ich zusammengeschlagen werde“, antworte ich sarkastisch.

Ich bin wieder komplett bekleidet und verabschiede mich aus der Szene. Meine Lieblingskollegin fängt mich grinsend ab.

„Na, willst du schon los? Wir haben doch noch Autorenbesprechung.“

„Tja, ihr werdet heute wohl ohne mich auskommen müssen. Ihr schuldet mir eh was, dafür, dass ich dem Aschenbecher so nah kommen musste.“

„Bist du undankbar! Das wird das Sprungbrett für deine Schauspielkarriere“, lacht sie.

„Sicher, dafür werde ich mit demnächst fünf Kindern auch noch jede Menge Zeit haben.“

„Na gut, man muss Prioritäten setzen, nicht wahr? Dann sehen wir uns also morgen. Grüß Dylan und habt einen schönen Hochzeitstag.“

Es dämmert schon, aber im Haus brennt kein Licht und kein Auto steht in der Auffahrt. Seltsam. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich dafür lobe, dass der Rasen so schön gleichmäßig gemäht ist, und schüttle über mich selbst den Kopf. Was ist nur aus mir geworden? Ich gehe also rein, schmeiße den Schlüssel in die Schüssel neben der Tür und wundere mich über den seltsamen Geruch.

Ich taste nach dem Lichtschalter. Funktioniert nicht. Das ist echt ziemlich gruslig, wie in einem schlechten Horrorfilm. Also, wenn das hier ein Film wäre, dann müsste ich jetzt nach meiner Familie rufen und mich dann mit dem Rücken an der Wand entlangtasten zum Sicherungskasten. Na gut, probiere ich das mal.

„Dylan? Gwen? Josh? Kate? Jemand zu Hause? Hund? Katze? … Hallo?“

Nichts.

Dann also auf zum Sicherungskasten. Ich sehe kaum etwas, also taste ich mich tatsächlich an der Wand entlang. Im Geist gehe ich die Horrorfilm-Überlebensregeln durch. Tja, das mit der Jungfräulichkeit fällt wohl flach. Aber immerhin bin ich Teil eines Pärchens, das sollte mir Sicherheit geben, vorerst. Und niemals die Treppe hoch rennen, sondern lieber wieder nach draußen. Also, wenn das mit dem Sicherungskasten nicht hinhaut, dann ab nach draußen und darauf warten, dass mein großer starker Ehemann nach … Was war das?! Da ist gerade etwas umgefallen, in der Küche, ich bin ganz sicher!

„Hallo? Ist wer zu Hause?“

Ich komme nicht umhin zu bemerken, dass meine Stimme alles andere als sicher klingt.

„BUH!“

Ich mache ein äußerst peinliches Quiekgeräusch, gleichzeitig geht das Licht an.

Hinter mir steht mein Sohn und freut sich wie ein Schnitzel. Der meint wohl, nur weil er seit dem letzten Wachstumsschub einen halben Zentimeter größer ist als ich, kann er sich alles erlauben! Der ist fällig! Jetzt macht nämlich er die Quiekgeräusche! Und das hört sich noch viel peinlicher an, da er den Stimmbruch noch nicht ganz überstanden hat. Ich piekse seine Rippen bis er um Vergebung wimmert. Die gewähre ich ihm unter Vorbehalt. Ich will wissen, was hier so riecht.

„Was denkst du wohl? Wir haben gekocht!“

„Kate und du?!“

„Und Gwen! Alles Gute zum Hochzeitstag, Dad.“

Und schon dreht sich wieder ein Schlüssel im Haustürschloss und Dylan kommt herein.

„Hey, was steht ihr denn hier so komisch rum? Wo sind die Mädels?“

„In der Küche, wo sie hingehören“, grinst Josh.

„Das hab ich gehört!“, dröhnt es aus dem Nebenzimmer.

„Au Backe, ich geh mich mal entschuldigen.“

„Du suchst doch nur einen Vorwand für euer ewiges Geknutsche.“

„Durchschaut.“

Josh zieh grinsend ab und ich begrüße erst mal meinen Ehemann, der in Schlips und Kragen und mit frisch rasierter Glatze vor mir steht.

„Na, war das Treffen erfolgreich?“

„Ich hab ein gutes Gefühl.“

Dylan sucht derzeit Sponsoren für die zweite Erweiterung des Jugendzentrums.

„Noch was, Jordan …“

„Ja?“

„Aber sei nicht sauer …“

„Was ist los?“

„Joy hat mich vor ein paar Stunden angerufen. Ihr Ultraschalltermin wurde vorverlegt. Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber dein Handy war aus …“

„Oh nein! Verdammt! Warst du dort?“

Seine Augen funkeln vor Freude, als er davon erzählt, wie gut man alles erkennen konnte, vier Hände, vier Füße, zwei Köpfe …

„Und ich denke, ich weiß das Geschlecht …“

„Was?! Ich dachte, du wolltest warten?!“

„Ja, schon … aber Dr. Diegos ist da was raus gerutscht … Willst du’s wissen?“

„Ich … keine Ahnung! Wenn du es weißt, dann will ich es auch wissen.“

„Sie hat so was gesagt wie, dass es ja offensichtlich zweieiige Zwillinge sein müssen …“

„Also ein Junge und ein Mädchen?“

Er nickt und ich freu mich wie ein Schneekönig. In zwei Monaten werden wir zusammen einen Sohn und eine Tochter haben!

„Essen ist fertig!“

In der Küche haben die Kinder einen kleinen Tisch aufgebaut und schön gedeckt, mit allem was dazugehört. Die Mädels stehen eifrig am Herd, rühren und werkeln. Gwen hat sogar ein kleines Messer in der Hand. So was macht mich immer noch nervös, aber schließlich ist sie schon sechs. Im September wird sie in die Schule kommen.

„Setzt euch“, bietet Josh eifrig an und stellt zwei Teller mit gemischtem Salat vor uns ab.

„Dankeschön, so eine Überraschung. Was ist der Anlass?“, fragt Dylan grinsend.

Josh wirft ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, aber ich weiß, dass er es nicht wirklich vergessen hat, denn heute Morgen hat er mir schon auf eine sehr spezielle Weise gratuliert. Zudem hat er morgen einen Termin bei JD, dem Tätowierer seines Vertrauens. Mein Mann hat sich nämlich in den Kopf gesetzt, eine Strichliste auf seiner Brust zu führen, ein Strich für jedes Ehejahr. Irgendwie ist die Idee ja auch nett, so über seinem Herzen ein Symbol für die gemeinsam verbrachte Zeit …

Wir bekommen Gemüseeintopf mit Reis serviert, im Hintergrund läuft leise spanische Gitarrenmusik.

„Also, Nachspeise steht im Kühlschrank, wir verziehen uns dann mal. Gute Nacht“, zwinkert Josh.

Kate gibt noch jedem ein Küsschen auf die Wange und nimmt Gwen an die Hand, die eigentlich noch gar nicht so recht Lust hat, hochzugehen. Sie lässt sich aber davon überzeugen, dass oben ihre Portion der Nachspeise wartet.

Dann sind wir alleine, naja bis auf Stan, der unter dem Tisch schläft, wie wir inzwischen festgestellt haben. Er wird langsam alt, der Tierarzt schätzt ihn auf acht oder neun. Letztes Jahr mussten ihm schon Gallensteine entfernt werden. Großes Drama, Gwen hat Tag und Nacht an seinem Korb gewacht.

„Dafür sind Kinder also gut“, grinst Dylan.

„Naja, erst mal sehen, ob es genießbar ist.“

„Ist irgendwas mit deinen Haaren anders?“

„Ach stimmt ja. Ich wurde schick gemacht. Ich musste heute nämlich vor die Kamera.“

„Häh? Wie das?“

„Der Schauspieler hatte einen Autounfall. Er kommt eh nur in zwei Folgen vor, also musste schnell Ersatz her. Naja und du weiß ja, wie meine männlichen Kollegen so aussehen …“

„Was musstest du spielen?“

„Den Lover vom Aschenbecher.“

„Wah!“

„Allerdings. Natürlich werden wir erwischt und morgen verprügelt mich dann ihr Ehemann.“

„Dafür verdienst du ne Gehaltserhöhung!“

„Ich werd es Doris ausrichten.“

Doris ist eine meiner Dozentinnen auf dem College. „Kreatives Schreiben“. Am Ende des zweiten Semesters hat sie mir einen Job in ihrem Team angeboten. Seit zwei Jahren bin ich dabei und es macht immer noch irre viel Spaß, sich die absurdesten Geschichten auszudenken und dann dabei zuzusehen, wie zweit- oder drittklassige Schauspieler die Tag für Tag umsetzen. Nebenbei schreibe ich natürlich auch noch Songs, an denen verdient man wenigstens. Von dem Job bei Doris alleine könnte kein Mensch leben. Das College hab ich inzwischen fast durch und das mit nicht mal schlechten Noten. Noch zwei Kurse und das war’s. Ich bin am überlegen, ob ich noch weiter studieren will, Sozialpsychologie vielleicht, oder doch irgendwas in Richtung Literatur. Aber vorerst liegt das mal auf Eis, denn wir sind ja schwanger.

„Also, wie geht es Joy?“

Unsere Eizellenspenderin und Leihmutter. Ihr Vater ist Hawaiianer, ihre Mutter Japanerin. Zusammen mit Dylans Großwuchsgenen gibt das sicher eine interessante Mischung.

„Ach, sie nörgelt und mosert wie immer. Sie passt nirgends mehr rein, nicht mal in normale Umstandsmode. Ihr Vater hat ihr wohl schon angeboten, ihr aus Hawaii eine Muumuu zu schicken, du weißt schon, so was wie die Mutter von Gilbert Grape trägt.“

„Oh, das ist böse.“

„Tja, bald hat sie’s ja überstanden. Der Kaiserschnitt soll in der 37. Woche passieren.“

„So früh?! Das ist in fünf Wochen!“

„Das kriegen wir schon hin. Auf dem Dachboden bin ich fast so weit und sonst haben wir doch auch schon alles, was wir brauchen. Keine Sorge, Jordan.“

Er greift zwischen den beiden Teelichtern durch nach meiner Hand. Ich bin aber doch etwas besorgt. Fünf Wochen sind gar nichts!

„Hey, was denn? Bekommst du jetzt doch ein bisschen Angst?“

„Kann man sagen …“, gebe ich zu.

„Wird ja auch Zeit. Bisher hast du noch gar keine Nerven gezeigt.“

„Hm …“

Er schiebt sich vom Stuhl und kommt zu mir rüber, geht in die Hocke und nimmt wieder meine Hände.

„Wir schaffen das und wir werden es gut machen. Wir sind vorbereitet. Alles ist perfekt, ganz sicher. Wir sind bereit.“

„Mein Kopf weiß das ja, … aber es kann eben immer noch so viel schiefgehen.“

„Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist. Erst mal freuen wir uns auf die Babys, ja?“

„Okay.“

„Ich kann es kaum erwarten“, strahlt er.

„Ich freu mich darauf, zu erleben, wie es ist, mit jemandem zusammen ein Baby zu haben …“

„Das wird unsere Ehe auf so manche Probe stellen …“

„Darüber mach ich mir keine Sorgen“, grinse ich selbstbewusst.

„Na gut, dann lass uns essen, hm?“

Schon verschwindet mein Grinsen wieder und ich rieche noch mal. Dylan schaufelt sich mutig etwas Eintopf in den Mund.

„Mhpf.“

„Na?“

Er schluckt angestrengt und meint:

„Naja, Kate hat andere Talente … Wäsche machen zum Beispiel …“

„Ja stimmt, die ist immer schön weich und duftig.“

„Ob ihre Eltern vermuten, dass wir sie als Haushaltssklavin missbrauchen?“

Kates Eltern sind vor drei Monaten umgezogen. Ihr Vater wurde nach Chicago versetzt. Natürlich konnte sich unser junges Liebespaar nicht trennen. Nach langem Hin und Her erklärten sich die Eltern damit einverstanden, dass Kate bei Dylan und mir einzieht. Josh und Gwen wohnen nach wie vor offiziell bei Nikki, Oliver und ihrem kleinen Jungen, Cooper, der inzwischen auch schon wieder ein Jahr alt ist. Allerdings ist Kate ein starker Pull-Faktor, sodass meine Kinder sich eigentlich immer hier rum treiben. Kate hat mit fast siebzehn natürlich auch schon den Führerschein und fährt echt annehmbar. Jetzt sind die Kids mobil. Wieder eine Sache mehr zum Sorgen drüber machen.

„Vermutlich ist ihnen das klar. Meinst du, wir können das Zeug Stan geben?“, frage ich ungeduldig.

„Denk an die Tierarztrechnung …“

„Auch wieder wahr.“

„Also: Salat, Nachspeise und dann ab ins Bett?“, fragt er grinsend.

Noch befindet sich unser Schlafzimmer im ersten Stock, aber bald werden wir, samt zwei Babybetten, in den ausgebauten Dachboden umziehen. Dylan hat recht, wir sind wirklich vorbereitet. Er hat ja auch immer gesagt, dass er erst bereit ist für eigene Kinder, wenn alles perfekt ist. Und er hat es wirklich perfekt gemacht, dieses ganze Haus.

Am nächsten Morgen bin ich schon etwas optimistischer, bis ich am Set ankomme. Der Aschenbecher hat schlechte Laune. Es geht gleich mal mit der Fortsetzung unserer Bettszene los. Es ist wegen der Klimaanlage schweinekalt und ich schäle mich widerwillig aus den meisten meiner Klamotten. Im Nachmittagsprogramm darf man ja zum Glück sowieso nicht viel Haut zeigen. Ich muss für die Lichteinstellung eine ganze Weile in einer prekären Stellung über der Dame bleiben.

„Was ist? Mache ich dich nicht an?“, haucht sie mir ins Ohr.

„Ich bin glücklich verheiratet, weißt du?“

Unter der Decke reibt sie sich ein wenig an mir. Was soll denn das? Nicht sehr professionell, oder?

„Ich mach dir einen Vorschlag, Süßer. Ihr Autoren verdient doch nichts. Wie wäre es, wenn ich dich heute Abend in ein schönes Restaurant ausführe und danach kommst du mit zu mir und … besserst deine Kasse ein wenig auf, wenn du weißt, was ich meine?“

„Du willst … du willst dafür bezahlen, mit mir zu schlafen?“

Ich weiß nicht, ob ich lachen soll oder weglaufen. Sie reibt noch ein wenig mehr. Okay, jetzt bloß keine Aufmerksamkeit erregen. Ich beschließe, dass das ein Scherz sein muss und frage:

„Wie viel würdest du denn springen lassen?“

„Tausend.“

Ihr Tonfall ist alles andere als scherzhaft.

„Tau…! Für eine Nacht?!“

„Leise. … Na, was sagst du?“

„Öhm … klar. Wenn wir meinen Ehemann auch dazu bitten. Gibt sogar Mengenrabatt“, entgegne ich cool, aber ich befürchte, ich bin inzwischen ziemlich rot im Gesicht.

„Du bist schwul?“

„Jip.“

„Das erklärt einiges.“

Endlich hört sie auf, vergeblich an mir rumzufummeln. Puh, so muss ich ihr wenigstens nicht erklären, dass mich nicht etwa ihre Silikonbrüste abturnen, sondern die Tatsache, dass sie dank ihrer Kippen nach Tod und Verwesung stinkt.

Nachdem die Szene im Kasten ist, in der mich der Ehemann aus dem Bett zerrt und mir einen Fausthieb verpasst, gibt es noch eine kleine Autorenbesprechung, dann sitze ich fast eine Stunde in der Maske und bekomme ein künstliches Veilchen gezaubert. Und dann geht’s wieder ans Set und die Lichteinstellerei fängt von vorne an. Langsam versteh ich, warum die Schauspieler so viel mehr verdienen als die Autoren.

Als wir dann endlich alle so weit sind, stehen Kate und Josh plötzlich da. Eigentlich darf ich mich nicht mehr von meiner Markierung weg bewegen, aber etwas in ihren Blicken veranlasst mich, zu ihnen rüberzujoggen. Ich bin noch ein paar Meter weg, als Josh mich schon anspricht.

„Joy ist im Krankenhaus, die Babys kommen.“

„Das ist viel zu früh.“

„Ja. Dylan ist schon dort, wir sollten uns beeilen.“

Plötzlich sitze ich im Auto, meine Gedanken rasen. Zweiunddreißigste Woche. Das ist gar nicht so früh und bei Zwillingen ist eine Frühgeburt auch keine Seltenheit. Alles wird gut gehen, ganz sicher. Dennoch bin ich froh, gerade jetzt nicht selbst fahren zu müssen. Meine Hände zittern, und ich kann an nichts anderes denken, als an diese kleinen Würmer, die ich scheinbar noch heute kennenlernen werde.

„Wir haben ewig versucht, dich zu erreichen, Dad.“

„Mein Handy muss am Set doch aus sein. Wie lange ist Dylan schon im Krankenhaus?“

„Über eine Stunde.“

„Hoffentlich kommen wir nicht zu spät …“

„Ich befürchte, wir werden es nicht rechtzeitig zur Geburt schaffen, Dad.“

„Verdammt! Ich wollte so gerne dabei sein!“

„Dad … es musste alles sehr schnell gehen …“

„Ist was … stimmt was nicht?“

„Die Ärzte können dir das alles sicher genauer erklären.“

Josh redet nicht weiter, sondern schaut betreten aus dem Fenster.

„Josh, sag mir, was du weißt!“

„Der kleine Junge ist krank. … Seine Lunge funktioniert nicht richtig.“

„Wie lange brauchen wir noch?“

Ich springe direkt am Haupteingang aus dem Auto und renne so schnell ich kann zur Säuglingsstation.

„Kann ich ihnen hel…“

„Handerson.“

„Ah, die Frühchenzwillinge?“

„Ja, ich bin …“

„… der zweite Papa?“

„Ja.“

„Kommen sie mit.“

Die ruhige Art der fülligen Schwester und ihr langsamer Gang machen mich wahnsinnig!

„Also, ein Arzt wird gleich zu ihnen kommen und ihnen alles erklären. Und jetzt darf ich ihnen erst mal ihre Tochter vorstellen.“

Sie öffnet eine Türe und da liegt sie plötzlich, in einem Wärmebett, eingehüllt in eine grüne Decke und mit einem grünen Mützchen auf.

„1700 Gramm und 42 Zentimeter. Sie ist gesund und munter.“

„Darf ich sie halten?“

„Nur zu.“

So behutsam wie es meine zittrigen Hände zulassen, nehme ich sie hoch. Ihre Augen schauen neugierig um sich, ihre kleinen, erstaunlich langen Finger umgreifen meinem Daumen. Unter dem Mützchen stehen feine schwarze Härchen hervor. Sie ist einfach perfekt.

„Ihr erstes Kind?“

„Mein drittes.“

„Es haut einen jedes Mal wieder um, was?“

„April“, murmle ich.

„Ist das ihr Name?“

„Wir hatten ihn in der engeren Auswahl, und wenn ich sie ansehe, dann …“

„Ja, sie sieht aus wie eine April.“

„Jetzt muss ich nur Dylan erklären, dass ich sie ohne ihn benannt habe. … Oh Dylan! Wo ist er und wo ist Aprils Bruder?“

„Der Arzt sollte jeden Moment …“

Die Tür geht auf und ein älterer Herr im Kittel betritt den Raum.

„Ah, Mister Handerson. Wie ich sehe, haben sie ihre Tochter bereits kennengelernt.“

„Was ist mit meinem Sohn?“

„Setzen sie sich doch erst mal.“

Ich lasse mich mit April in einem Schaukelstuhl nieder.

„Also, wie sie wissen, sind ihre Kinder sehr früh dran. 32. Schwangerschaftswoche. Ihrer Tochter geht es gut, sie ist groß und schwer genug und normal entwickelt. Bei ihrem Sohn sieht es leider etwas anders aus. Er wiegt knappe 1300 Gramm und ist auch viel kleiner als seine Schwester. Leider ist seine Lungenfunktion noch nicht vollständig ausgebildet, was dazu geführt hat, dass sein Herz nach der Geburt kurzzeitig nicht geschlagen hat. Inzwischen tut es das aber. Er liegt auf der Säuglingsintensivstation und muss künstlich beatmet werden. Zudem ist sein Immunsystem sehr schwach.“

„Was bedeutet das? Wird er es überstehen?“

„Wir haben hier ein sehr erfahrenes Ärzteteam und eine renommierte Frühchenstation. Ihre Kinder sind in guten Händen.“

„Wird etwas zurückbleiben?“

„Es ist zu früh um darüber Aussagen zu treffen. Sein Gehirn wurde über kurze Zeit nicht mit genügend Sauerstoff versorgt. Beeinträchtigungen sind also möglich. Das wird sich aber erst in einigen Jahren mit Sicherheit feststellen lassen.“

„Kann ich zu ihm?“

„Ihr Ehemann ist bei ihm, aber natürlich können sie auch hoch. Allerdings müssen sie dazu keimfrei gemacht werden und sich für diese Zeit von ihrer Tochter trennen, so schwer das fallen mag. Ach und: Soll ich mir ihr Auge mal ansehen?“

„Wieso, was ist damit? … Achso! Nein, das ist bloß Schminke, ich komme direkt vom Set.“

Er zieht erheitert die Mundwinkel nach oben und verlässt den Raum. Ich verabschiede mich schweren Herzens von April und überlasse sie der Krankenschwester.

Kurze Zeit später stecke ich in einem Kittel, trage eine OP-Mütze und werde in einen gefliesten, schwach beleuchteten Raum geführt. Dylan sitzt in der gleichen Aufmachung neben einem Brutkasten und streichelt durch eine Schleuse das kleine Baby darin. Die Haut wirkt fast bläulich, weil sie so transparent ist, dass man alle Blutgefäße erkennen kann. Der Kleine erinnert ein wenig an einen Frosch, wie er da so liegt, nur mit Windel und Mützchen bekleidet. Er ist scheinbar nicht wach, Mund und Nase sind verdeckt von der Beatmungsgerätmaske.

„Dylan?“

Er dreht sich zu mir um, seine Augen sehen so schrecklich müde und ängstlich und traurig aus.

„Darauf waren wir nicht vorbereitet, Jordan.“

„Wir bekommen das hin.“

Ich stelle mich dicht hinter ihn und er lehnt sich erschöpft an mich.

„Ich hatte noch nie im Leben so viel Angst. Alles ging so schnell. Für einen Kaiserschnitt war es zu spät. Jake wurde mit der Saugglocke geholt.“

„Jake?“

„Tut mir leid, ich hab ihn gesehen und kannte plötzlich seinen Namen.“

„So ging es mir mit April auch.“

Er versucht, mir ein Lächeln zu schenken.

„Also warst du bei der Geburt dabei?“, frage ich weiter.

„Ja. April kam, kaum dass wir im Kreißsaal waren. Hast du Joy gesehen? Wie geht es ihr?“

„Oh Gott, ich hab überhaupt nicht nach ihr gefragt. Ich hab gar nicht dran gedacht.“

„Kannst du dich erkundigen? Und kannst du die ganzen Telefonate erledigen? Du weißt schon, im Zentrum Bescheid sagen, und allen Leuten?“

„Klar, kein Problem.“

„Ich will hier nicht weg. Ich will Jake nicht allein lassen.“

„Das ist okay, ich kümmere mich um alles. Mach dir keine Gedanken.“

„Danke. Oh, wie ist April so?“

„Hast du sie noch nicht gesehen?“

„Nur direkt nach der Geburt für ein paar Sekunden, dann hat Jake mich gebraucht.“

„Sie ist perfekt, Dylan. Sie ist genau so hübsch wie Gwen damals. Und sie sieht so gesund und lebhaft aus. Du musst sie bald besuchen kommen.“

„Jake braucht mich jetzt dringender.“

„Okay. Ich geh wieder zu der Kleinen. Sie soll an ihrem ersten Tag nicht allein sein. Ich liebe dich, Dylan. Wir bekommen das alles irgendwie hin, versprochen.“

Ich sehe an seinem Blick, dass er mir nicht glaubt. Ich habe wohl eine ziemlich dramatische Geburt verpasst, während ich in der Maske saß. Aber das kann ich jetzt nicht mehr ändern. Die Babys sind bestmöglich versorgt und wir können nur abwarten, wie es Jake weiter ergehen wird.

Im Zimmer bei April sitzen schon Josh und Kate.

„Hey ihr zwei.“

„Hey. Wie geht es dem Jungen?“

„Jake. Er hängt an der Beatmungsmaschine. Dylan ist bei ihm. Wir müssen wohl einfach abwarten.“

„Kann ich … hat sie auch schon einen Namen?“

„April.“

„Kann ich April hochnehmen?“, fragt mein fast erwachsener Sohn und ich muss an Laura denken und daran, wie seltsam es für mich war, plötzlich eine Baby-Schwester zu haben.

„Sicher. Setz dich in den Schaukelstuhl, ich geb sie dir.“

„Genau so war es bei Gwen damals auch.“

„Ich werd mal fragen, ob es hier Wegwerfkameras gibt.“

Und schon ist Kate weg.

„Alles okay, Dad?“

„Ich bin noch im Schock, glaub ich. Momentan funktioniere ich einfach, ohne zu denken. Ich glaub, das ist auch gut so.“

„Okay. Also, gib sie mir mal.“

Kate kommt auch schon wieder und knipst ein paar Fotos. Auf den ersten Bildern mit April hab ich also ein Veilchen. Das wird bestimmt eine nette Anekdote, wenn wir das Babyalbum zum achtzehnten Geburtstag der Zwillinge herauskramen.

Dann besuche ich Joy, die am selben Abend noch entlassen werden soll, rufe Doris und das Zentrum an und dann in Phoenix.

„Kamsky.“

„Hey Laura.“

„Ich bin Marie.“

„Oh, ups … sorry. Ihr hört euch echt ähnlich an, am Telefon.“

„Ja, das sagen alle …“

„Ist Mum da?“

„Wart mal. … MUUUUUUM!“

Schritte und:

„Hallo?“

„Hey Mum, du bist heute noch mal Oma geworden.“

„Schon? Alles okay?“

„Leider nicht. Dem Mädchen geht es gut, sie heißt April. Aber Jakes Lungen funktionieren noch nicht richtig. Er muss beatmet werden.“

„Das ist ja schrecklich! Und was passiert weiter?“

„Das bleibt abzuwarten. Kannst du allen Bescheid sagen?“

„Klar, sicher, mach ich. Halt mich auf dem Laufenden, grüß Dylan und gibt den beiden Kleinen einen Kuss von mir.“

Ich gebe April zum ersten Mal die Flasche und wiege sie in meinem Arm, bis sie tief und fest schläft, schicke Josh und Kate heim, um einige provisorische Vorbereitungen zu treffen und gehe dann wieder zu Jake und Dylan. Mein Mann sitzt unverändert am Brutkasten und streichelt behutsam Jakes Ärmchen.

„Hey.“

Er dreht sich überhaupt nicht zu mir um, so als dürfe er den Kleinen keine Sekunde aus den Augen lassen. Ich lege ihm die Hände auf die Schultern.

„Dylan, willst du nicht mal zu April gehen?“

Er sieht mich erschrocken an.

„Warum? Ihr geht es doch gut, oder?“

„Ja, natürlich. Ich dachte nur, dass du hier vielleicht mal raus kommen willst …“

„So lange Jake hier bleiben muss, bleibe ich auch.“

„Okay. Dann … darf ich ihn auch mal anfassen?“

Er zieht langsam seinen Arm aus der Schleuse und ich stecke meinen durch.

„Er fühlt sich so zerbrechlich an.“

„Ich weiß.“

„Und so klein.“

„Ja.“

„Er sieht nicht besonders glücklich aus …“

Da in dieser Apparatur liegt mein Sohn, und er muss sein Leben schwer krank beginnen. Vielleicht wird er nie ein normales Leben haben können. Was, wenn er schwere Schäden davongetragen hat? Was wenn er immer auf Hilfe angewiesen sein wird? Was, wenn wir ein behindertes Kind großziehen müssen? Schaffe ich das? Was, wenn er mit zwanzig noch Windeln trägt? Was, wenn er unkontrollierte Gewaltausbrüche hat? Was, wenn wir wegen der Sorge um ihn seine Schwester vernachlässigen müssen? Was, wenn unsere Ehe das alles nicht aushält? Was, wenn unsere Familie daran zerbricht?

Dylan steht auf und nimmt mich in den Arm. Ich weine, das wird mir erst jetzt bewusst. Wir stehen ein paar Minuten lang einfach nur so da, neben dem Brutkasten.

Es klopft vorsichtig an der Tür und eine Schwester kommt herein.

„Ich muss kurz das Wasser aus dem Beatmungsschlauch lassen.“ Sie dreht das Licht ein wenig heller. „Es wären auch ein paar andere Dinge fällig. Wollen wir?“

Sie geht zum Brutkasten und macht ihn vorsichtig auf.

„Also, als erstes lasse ich einfach das Wasser aus dem Schlauch laufen, das geht ganz schnell und der kleine Jake kann gleich besser atmen. So, schon vorbei. Kommen sie, ich zeige ihnen, wie sie beim Windeln wechseln die Sensoren nicht versehentlich wegziehen.“

Mit geschickten Fingern öffnet sie die Windel, es ist kaum etwas drin zu sehen.

„Weil die Haut bei Frühgeborenen so dünn ist, trocknet sie schneller aus. Deshalb habe ich hier etwas Mandelöl. Wer will ihn einreiben?“

Ich lasse Dylan den Vortritt. Mit seinen großen Händen massiert er das Öl zärtlich ein. Der Kleine wird dabei sogar richtig munter und hebt ein wenig die Arme und Beine.

„So, dann gibt es jetzt ein bisschen frisch abgepumpte Muttermilch. Das stärkt das Immunsystem.“

Sie packt den Kleinen vorsichtig in eine Windel, wickelt ihn in eine dicke, weiße Decke und legt ihn Dylan in den Arm. Der Kleine trinkt erstaunlich gierig und erstaunlich viel und schläft danach selig ein. Draußen dämmert es schon und Jake muss wieder zurück in den Brutkasten.

„Ich sehe wieder nach April. Kommst du mit?“

Dieses Mal sagt Dylan ja.

Kurze Zeit später lege ich ihm dieses perfekte kleine Mädchen in den Arm. Eine Krankenschwester schießt ein paar Fotos. Dylan lächelt! Ich bin endlich so glücklich, wie man als frischgebackener Vater sein sollte.

Dylan lässt sich erwartungsgemäß nicht dazu bewegen, die Nacht zu Hause zu verbringen. Gegen zehn holt mich Kate ab. Wir holen noch mein Auto vom Set und kommen kurz vor elf zu Hause an. Die Kinder haben eine gelungene Überraschung vorbereitet. Sie haben das neue Schlafzimmer gestrichen und schon das Babybett von Jake und einige andere Möbel aufgebaut. Das Bett von April steht im alten Schlafzimmer, da sie vermutlich nicht mehr all zu lange in der Klinik bleiben muss. Ich gehe duschen, falle ins Bett und schlafe wie ein Stein, bis der Wecker um halb acht klingelt.

Um acht bin ich schon wieder in der Klinik, sehe kurz nach April, die gut versorgt ist und schläft und komme dazu, als Dylan Jake gerade ganz alleine wickelt.

„Morgen.“

„Hey, wie geht’s April?“, fragt Dylan sofort.

„Bestens. Sie wurde gewickelt, gefüttert und schläft jetzt selig. Und wie geht es Jake? Und dir? Konntest du etwas schlafen?“

„Ich bin ab und an eingenickt, bin auch gar nicht müde. Sieh ihn dir an, er ist merklich schwerer geworden und isst und isst. Die Ärzte meinen, wenn das so weiter geht, dann kann er morgen samt Brutkasten in ein normales Zimmer. Dann haben wir beide Kinder beisammen.“

„Ich glaub, April darf bald nach Hause …“

„Oh … das … das ist gut.“

„Aber?“

„Naja, dann müssen wir uns auftrennen …“

„Ich glaube aber, für April ist es besser, wenn sie bald zu Hause ist und von all den Keimen hier wegkommt und so weiter. Meinst du nicht?“

„Ja, doch ...“

„Die Kinder haben das neue Schlafzimmer schon gestrichen.“

„Gut, eine Sorge weniger.“

„Wenn Jake heimkommt, ist alles fertig.“

Am nächsten Morgen darf ich April tatsächlich mit nach Hause nehmen. Ich habe einen Stapel Frühchenwindeln mitbekommen, ein paar spezielle Pflegeprodukte und das kleine, grüne Mützchen. Und wieder bin ich alleine mit einem Neugeborenen, geht es mir durch den Kopf.

Nikki, Cooper und Gwen kommen am Nachmittag vorbei, um April zu bewundern und ein paar Geschenke zu bringen. Josh und Kate sind nicht vom Baby fernzuhalten. Der Kleinen scheint die Aufmerksamkeit zu gefallen, auch wenn ihr nach einer halben Stunde die Augen schwer werden.

Dylan hat inzwischen eine Liege bekommen, auf der er zu nächtigen gedenkt, bis Jake nach Hause darf, was gut und gerne noch zwei Wochen dauern kann. Wir telefonieren und jeden zweiten Tag besuche ich ihn mit April zusammen. So hab ich mir das Ganze zwar nicht vorgestellt, aber ich bin erst mal dankbar, dass Jake sich so gut entwickelt. Dylans dreißigster Geburtstag am siebzehnten März fällt natürlich komplett ins Wasser.

Danach wird es Zeit, dass ich mich mal wieder am Set sehen lasse. Der Auftritt meines Charakters endete kurzerhand mit dem Fausthieb, das war kein Problem, aber meine Pflichten als Autor lassen sich nicht mehr länger aufschieben. So können Josh und Kate sich als Babysitter beweisen. Allerdings fehlt mir April in den drei Stunden, die ich weg bin, unglaublich. Und laut Kate ist sie auch ungewohnt unruhig, wenn ich nicht da bin.

Als hätte er es gerochen, kommt am selben Abend Vince vorbei.

„Ich dachte mir, das hier kannst du jetzt ja wieder gebrauchen.“

Er wedelt mit Gwens Tragetuch vor meinem Gesicht rum.

„Wow! Ja cool, danke. Hast du Danny nicht dabei?“

„Collin hat ihn heute.“

Seit einem Jahr ist die Scheidung von Vince und Collin offiziell, sie leben getrennt. Vince mit Danny im Valley, Collin in einer schnieken Eigentumswohnung in der Nähe seines Büros. Er arbeitet inzwischen für die Staatsanwaltschaft. Sie teilen sich das Sorgerecht für Danny und nach wie vor das Bett. Sie behaupten sogar, seitdem mehr Sex miteinander zu haben, als vorher. Was auch immer für die Drei funktioniert …

Ich erzähle bei einem kleinen Spaziergang ausführlich von allen Ereignissen seit der Geburt und komme dann auf ein anderes ernstes Thema zu sprechen.

„Wie geht es Patrick?“

„Ich war vor ein paar Tagen mit Danny dort. Er ist sehr schlapp und müde, aber immer noch schrecklich eitel. Er versucht, die Flecken zu verstecken, mit langen Ärmeln und Rollkragen. Ich glaube er würde sich sehr freuen, wenn du mal mit den Babies vorbei kämst.“

„Vielleicht mache ich das in den nächsten Tagen mal.“

Patrick lebt seit über zwei Jahren bei Scott. Leider hat er inzwischen eine ganze Palette von „AIDS-definierende Erkrankungen“ hinter sich. Vor ein paar Monaten hat er die Bestätigung bekommen, dass ein Sarkom in die Lymphkanäle gestreut hat. Im Klartext heißt das, dass er Krebs hat, und zwar unheilbaren und kaum therapierbaren. Scott arbeitet seitdem von Zuhause aus. Er hält ziemlich gut durch, aber ich sehe etwas in seinen Augen, das ich in den stressigsten Summerskin-Zeiten nicht darin gesehen habe. Er ist ausgebrannt, er kann nicht mehr.

Ich rufe bei den Beiden an, kündige meinen Besuch an, und Scott versichert mir unaufgefordert, dass Patrick zurzeit keine für April gefährlichen Infektionen hat.

Patrick sitzt auf der Couch, in eine dicke Decke gewickelt. Er sieht nicht so aus, als könnte er aufstehen um mich zu begrüßen, also setze ich mich mit der Kleinen vor der Brust vorsichtig neben ihn. Er ist sehr blass, hat tiefe Ringe unter den Augen und trägt einen langärmligen Rollkragenpullover. Ich umarme ihn sachte, um April zwischen uns nicht zu zerquetschen und wickle sie dann frei.

„Wow, ist die schon groß! Ich dachte du kommst mit einem Zwergenbaby an.“

„Sie ist seit der Geburt um fast fünf Zentimeter gewachsen. Willst du sie nehmen?“

Natürlich will er das und seine Augen leuchten auf als April nach seinem Zeigefinger greift. Ich schaue kurz zu Scott rüber, der im Türrahmen steht. Seine Augenringe sind fast genau so tief wie die seines Freundes, aber seine Augen leuchten nicht, sie schauen besorgt drein. Er bemerkt meinen Blick und fragt:

„Willst du was trinken oder so?“

„Klar. Zeig mir mal, was ihr da habt.“

Ich folge ihm in die Küche, wo ich ihn erst mal lange umarme.

„Kann ich was tun?“

Er schüttelt an meiner Schulter den Kopf.

„Was sagen die Ärzte?“

„Dass er in eine Klinik gehört. Aber das geht einfach nicht. Er will es nicht, und wir wissen beide, dass es alles nichts mehr bringt.“

„Aber vielleicht würde das die Dinge für euch leichter machen?“

„Die Medikamente bekommt er so auch. Was sonst sollte es ihm leichter machen können? Er will zu Hause sein, und das ist ein Wunsch, den ich ihm gern erfülle.“

„Okay.“

„Wir brauchen wohl bald noch eine zweite Krankenschwester, die Nachtschwester alleine reicht nicht mehr. Aber ich hab alles im Griff.“

„Wie immer, ich weiß. Ich mach mir halt Sorgen um dich. Du siehst wirklich müde aus.“

„Heute war eine schlechte Nacht, aber ich komm klar. So und jetzt will ich April noch ein bisschen bestaunen. Ach so, was willst du jetzt trinken? Apfelsaft?“

„Klar.“

Ich bleibe noch eine Weile, bis Patrick anfängt, ab und an einzunicken. Ich muss daran denken, wie er war, als ich ihn kennengelernt habe. So voller Energie und Engagement. Seine hibbeligen Hände brauchten ständig was zu tun. Mir war es immer ein Rätsel, wie er es geschafft hat, lange genug stillzuhalten, um diese tollen Fotos zu schießen, die hier die Wände zieren. Als ich mich verabschiede, stelle ich mich innerlich darauf ein, dass es das letzte Mal gewesen sein könnte, dass ich Patrick hier besucht habe.

Da April kaum noch ohne mich sein mag, nehme ich sie am nächsten Tag gezwungenermaßen mit in die Vorlesungen. Anwesenheitspflicht. Als Erstes geht es um Erstlingsromane des Zwanzigsten Jahrhunderts. Doris kommt zu spät, was meinem Dutzend Kommilitonen, die es trotz Doris’ ‚fordernder’ Auswahlkriterien in das Seminar geschafft haben, die Möglichkeit gibt, ganz viele „Och wie süß“ und „Ist die klein“ so wie „Guck, sie gähnt!“ loszuwerden. Doris nickt mir nur kurz zu, am Baby scheint sie kein besonderes Interesse zu haben, aber das hab ich mir schon fast gedacht.

Ganz im Gegensatz zu Tisha, bei der ich ein Seminar über Gesundheitspsychologie, Umgang mit Stress und so weiter besuche. Die ist ganz hin und weg und tätschelt und tüddelt fleißig mit meinen weiblichen Mitstudenten mit. Der Supergau ist natürlich, als April nach einer Stunde richtig munter wird und ich sie aus ihrem Beutel nehme, um sie zu füttern. Die kollektiven Angstbewältigungsstrategien nach dem elften September sind plötzlich vergessen. Stattdessen werden Baby-Fütter-Tricks ausgetauscht, die für April und Jake in frühestens neun Monaten relevant sein werden.

Nach der Stunde hält mich Tisha noch auf, nicht nur, um April noch weiter zu bewundern, sondern auch, um mir ein Manuskript für Dylan mitzugeben. Tisha hat sich inzwischen habilitiert und betreut einige Abschlussarbeiten von Studenten, die Praktika in Dylans Zentrum gemacht haben. Durch diese Arbeiten sind die richtigen Leute, also Geldgeber, aufmerksam geworden. Inzwischen ist das Zentrum stadtbekannt und Dylan ist das Aushängeschild. Noch ein Grund zum Sorgen machen. Einiges an … unfreundlicher Post kam schon im Zentrum an. Aber an Dylan selbst kam bisher noch niemand ran. Er meint, ich sei paranoid und dass das alles bloß leere Drohungen seien. Inzwischen erzählt er mir von solchem Zeug nicht mehr, was es fast noch schlimmer macht, weil ich mir so die haarsträubendsten Dinge ausmale. Naja, aber mein Mann kann auf sich selbst aufpassen, sagt er.

Als es endlich so weit ist, dass Jake und Dylan nach Hause kommen, sind April und ich schon ein eingespieltes Team. Josh schießt Bilder, er ist bei der Schülerzeitung und in verschiedenen Fotokursen und -gruppen und hat durch Vince und Patrick schon ein paar seiner Werke in kleinen Ausstellungen unterbringen können.

Auch Jake und Dylan haben schon ihren eigenen Rhythmus entwickelt, die Versorgung der Babies teilen wir also weiterhin auf. Das neue Schlafzimmer ist, wie versprochen, fertig. Um acht, die Zwillinge sind gerade eingeschlafen, zerrt Dylan mich schon ins Bett.

„Ich kann’s kaum erwarten! Endlich bin ich diese unbequeme Liege los. Ich hab jede Feder gespürt!“

Er wirft sich in unser (also mein altes) Bett und streckt sich genüsslich. Ich ziehe einen Schmollmund:

„Und ich dachte schon, du wolltest so früh ins Bett, weil du MICH vermisst hast.“

Er kichert und breitet seine Arme für mich aus. Schon liege ich mehr auf als neben ihm und helfe ihm, selbstlos wie ich bin, dabei, seine Klamotten loszuwerden.

„Ja, dich hab ich auch vermisst. Sehr sogar“, haucht er mir ins Ohr und knabbert daran rum.

Mmh, mein Mann weiß was mir gefällt.

Die Nacht überstehen wir ganz gut, abgesehen von drei längeren Wachphasen, in denen wir füttern, wickeln, in den Schlaf wiegen, alles stereo. Wenn das immer so gut klappt, dann können wir echt zufrieden sein.

Joshs Geburtstag steht an und er wünscht sich ein Familienessen bei Ned und Elly. Inzwischen sind wir zu zehnt plus Hund. Daher wird der Platz langsam knapp. Hab ich es also doch noch zu einer Großfamilie gebracht.

Wie es so ist mit Babies, man braucht Routine. Schnell sind wir ziemlich gut eingespielt und April scheint nichts dagegen zu haben, bei Dylan und Jake zu bleiben, während ich am Set oder in Seminaren bin.

Dylan setzt sich zum Füttern immer im Wohnzimmer auf den Boden, mitten in den Raum. Keine Ahnung, warum er das macht. Es sieht jedenfalls unglaublich sexy aus, wenn er seine langen Beine aussteckt und eines der Würmchen im Arm hat, wenn die Sonne hereinscheint und er schützend seinen Kopf über sein Kind lehnt, um Schatten zu spenden. Ich könnte jedes Mal über ihn herfallen. Ist das normal? Alles ist perfekt. Perfekt ist gar kein Ausdruck!

Sonntagnachmittag. Dylan liegt im Bett, schläft tief und fest und neben ihm liegen, dick eingepackt, die Zwillinge. Ich schaue mir das jetzt schon gut eine halbe Stunde an und kann mich einfach nicht satt dran sehen.

Als ich wieder aufwache, liegt nur noch Jake neben mir und es dämmert. Der Kleine wird auch gerade wach.

„Hey du. Na, hungrig?“

Die kleinen Hände greifen nach meinem Zeigefinger und die dunkelblauen Mandelaugen schauen sich neugierig um. Ich muss an den kleinen, einjährigen Josh denken, der mir oft stundenlang ganz fasziniert beim Gitarrespielen zugesehen hat. Und jetzt ist er seit drei Jahren mit seiner Freundin zusammen, schläft mit ihr, hat Probleme, bei denen ich ihm nicht helfen kann. Seans Geschichte kommt mir in den Sinn. Jahrelange Freundin und dann plötzlich irgend so ein dahergelaufener Freak, der alles auf den Kopf stellt. Ich muss grinsen, wenn ich daran denke, wie jung wir damals waren, und was seitdem alles passiert ist.

Sean schmeißt inzwischen die Notaufnahme in einer großen Klinik in Phoenix. Brian und er haben sich in Glendale ein Haus gebaut, ganz in der Nähe von Seans Elternhaus. Das bewohnt Mrs. Wittmore inzwischen alleine, mit dem Dienstmädchen natürlich. Der alte Wittmore ist letztes Jahr sehr plötzlich verstorben. Ich kann nicht sagen, dass ich ihm groß nachtrauere. Er hat Sean und Brian bis zu seinem plötzlichen Infarkttod ignoriert und sogar versucht, seinen Sohn aus dem Testament zu streichen. Er würde sich mit Sicherheit im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wer jetzt seine Firma leitet. Das tut nämlich Brian. Er stand 99 kurz vor seinem BWL-Abschluss. Bevor die Firma in fremde Hände gefallen wäre, haben die Wittmore-Girls, also Seans Mutter und die beiden Schwestern, beschlossen, dass die Textilfabrik nicht verkauft wird und dass jede von ihnen ihren Platz im Aufsichtsrat beansprucht, nicht mehr und nicht weniger. Patricia, inzwischen mit einem Pharmavertreter verheiratet, ist sowieso ständig auf Achse, somit war der Weg frei. Maddy ist mit nach Phoenix gezogen und leistet nach der Schule (sie wurde ein Jahr früher eingeschult als gewöhnlich) oft ihrer Großmutter Gesellschaft.

„Na du kleiner Stinker, brauchst du frische Windeln? Ja? Na mal sehen wo Dylan steckt, der ist nämlich dran.“

In der Küche werde ich fündig. April bekommt gerade Abendessen.

„Dein Sohn stinkt“, verkünde ich.

„Jaja, jetzt ist er also mein Sohn, hm?“

„Klar. Meine Tochter kann ich ja weiter füttern.“

„Wir sind schon fast fertig. Hast du gut geschlafen?“

„Mh … ging. Ich ruf Sean an, ja?“

„Öhm, okay …“

Ich gebe meinem Mann einen kurzen Kuss und ein stinkendes Kind und verziehe mich ins Schlafzimmer.

„Wittmore.“

„Hey, ich bin’s. Kochst du gerade?“

„Jep.“

„Bist du multitaskingfähig?“

„Jep. Wie geht’s den Zwillingen?“

Wir tauschen die wichtigsten Neuigkeiten aus, bevor Sean zu sehr von seinem Drei-Gänge-Menü eingenommen wird und ich auch mal wieder nach den Zwillingen sehen muss.

Am nächsten Morgen reißt mich das Telefon aus dem Schlaf. Scotts Nummer wird angezeigt. Sofort bin ich hellwach.

„Hallo?“

„Hey, ich bin’s. Es ist vorbei. Patrick ist heute Nacht gestorben.“

„Ich bin in zwanzig Minuten bei dir.“

Im Auto überfallen mich die Erinnerungen an den lebhaften und vor Energie sprühenden Patrick. Wie er um Scott gekämpft hat! Das musste er auch. Als ich auf meiner Hochzeit von den beiden erfahren habe, fand ich es einfach nur irrsinnig und genial. Scott und ein Aktivist. Patrick hat aber nicht etwa die Holzhammermethode angewendet und Scott vor ein Ultimatum gestellt, so wie ich damals. Er war unglaublich geduldig, aber dabei auch unglaublich konsequent. Erst nach fast einem Jahr war Scott bereit dazu, seiner Frau und seiner Familie die Wahrheit zu sagen und Patrick ist zu ihm gezogen. Scotts Scheidung war sehr schmutzig und seine Eltern waren alles andere als verständnisvoll. Patrick war einfach immer für ihn da. Unermüdlich. Bis er krank wurde und selbst dann noch. Im letzten Jahr musste es dann eben umgekehrt sein. Aber beide waren schon immer gut darin, eine starke Fassade aufrecht zu erhalten.

Ich klingle, es dauert eine Weile, dann wird mir die Tür geöffnet und vor mir steht Jenna, Scotts Tochter. Ich habe sie seit … ewig nicht mehr gesehen. Sie studiert an der Ostküste, so viel weiß ich.

„Jordan, komm rein.“

„Danke.“

Laut Scotts Erzählungen hat sie … verhalten darauf reagiert, dass ihr Vater mit einem Mann zusammen ist. Sie schien aber mehr ein Problem mit dem Virus zu haben, als mit der Homosexualität. Sie hatte eben Angst um ihren Vater, das kann man ja nachvollziehen. Inzwischen dürfte sie neunzehn sein und sieht wahnsinnig erwachsen aus.

„Dad ist nicht vom Telefon wegzubekommen. Alles ist geregelt, er muss sich eigentlich um nichts mehr kümmern …“

„Wo ist er?“

„Im Schlafzimmer.“

Die Tür steht offen, Scott redet eifrig in sein Handy und geht dabei im Raum auf und ab.

„Scott?“

Er deutet mir an, dass er noch einen Moment braucht.

„Überprüfen sie das noch mal. Und wegen der Todesanzeige …“

Ich nehme ihm das Gerät aus der Hand.

„Wir rufen zurück.“

Er schaut mich für einen Moment ärgerlich an, als ich auflege. Dann resigniert er sichtlich.

„Aber ich muss doch …“

„Nein.“

„Was soll ich dann machen?“

Ich zucke die Schultern. Er lässt sich auf das unbezogene Bett nieder und springt gleich wieder auf.

„Ich habe davor noch nie eine Leiche gesehen.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll …“

„Hast du schon mal eine Leiche gesehen?“

Ich nicke.

„Das war Patrick … ich meine, sie haben ihn einfach mitgenommen, in diesem Sack. Und jetzt liegt er in irgendeinem Keller, bis zu seiner Einäscherung. Ich hab das Gefühl, ich müsste bei ihm sein, ihm eine Decke überlegen, damit ihm nicht kalt ist. Der Gedanke ist so dumm!“

„Nein, überhaupt nicht, Scott.“

„Ich habe mich vor ihm geekelt, Jordan! Von einem Moment auf den anderen. Ich habe mich vor meinem Freund geekelt. Das ist doch nicht normal.“

„Scott, mach dir keine Vorwürfe deswegen …“

„Jetzt ist er weg. Für immer. Ich wusste, dass das passieren würde, aber ich habe einfach gar nicht richtig begreifen können, was das bedeutet. Und wenn ich jetzt nichts tue, dann fange ich an, das zu begreifen, und das ertrage ich nicht. Also bitte, gib mir mein Telefon.“

„Meinst du wirklich?“

Er nickt.

„Okay, hier.“

„Du musst nicht bleiben. Collin ist auf dem Weg.“

„Willst du, dass ich bleibe?“

„Ja …“

„Dann bleibe ich. Willst du Kaffee?“

„Ja …“

„Okay. Dann komm, wir machen Kaffee.“

Jenna springt sofort auf.

„Dad …“

„Schon gut, Schätzchen …“

Ich stehe mal wieder ratlos vor Scotts Kaffee-Ungetüm.

„Also, ehm .. wie geht das gleich noch mal?“

„Ich mach schon …“

Und wieder ist Scott beschäftigt.

Zum Glück klingelt es noch während wir über unserem Kaffee sitzen und Collin und Vince sind da. Collin und Scott verziehen sich gleich ins Büro. Keine Ahnung, was sie da machen, vermutlich zusammen irgendetwas organisieren oder so. Vince sieht ziemlich mitgenommen aus. Er schaut mich Hilfe suchend an.

„Wollen wir etwas an die frische Luft?“, biete ich an.

Er nickt und wir lassen Jenna alleine am Küchentisch zurück.

Im Treppenhaus lege ich meinen Arm um Vince und warte, bis er etwas sagt.

„Das hier weckt zu viele Erinnerungen“, meint er traurig.

Irgendwie hatte ich an David überhaupt nicht mehr gedacht. Das war in einer anderen Zeit.

„Tut mir leid.“

„Ich hätte nicht mitkommen sollen, aber Collin hat heute bei uns übernachtet und irgendwie … das war eine dumme Idee. Ich werde wohl kaum besonders hilfreich sein.“

„Ich glaube nicht, dass irgendwer gerade besonders hilfreich sein kann …“

„Du hast mir damals sehr geholfen.“

„Aber du bist nicht wie Scott.“

„Collin wird sich um ihn kümmern“, meint Vince unpassend bitter.

„Was meinst du?“

„Vergiss es einfach.“

„Vince?“

Er zögert noch, sieht aber ein, dass ich nicht locker lassen werde.

„Die beiden haben was miteinander.“

„Scott und Collin?!“

„Ich weiß, irgendwie krank. Ich meine, auf dem College hatten sie auch mal was miteinander, aber das ist was ganz anderes.“

„Und Patrick?“

„Er wusste davon. Das hat erst angefangen, als er schon krank war.“

„Krass, irgendwie bin ich gerade voll … geschockt!“

„War ich auch, als Collin es erzählt hat …“

„Und dir macht das nichts aus?“

„Wir sind geschieden, also …“

„Okay … ich bin echt sprachlos. Ich meine, irgendwie scheint es … so heuchlerisch.“

„Lass uns nicht mehr drüber reden. Erzähl mir lieber was Erfreuliches.“

Zwanzig Minuten später sind die beiden immer noch im Büro und inzwischen gehe ich nicht mehr davon aus, dass sie da drinnen irgendwas organisierten. … Außerdem komme ich mir plötzlich recht überflüssig vor. Jenna erzählt noch ein wenig von ihrem Studium und ich von den Zwillingen, aber nach einer Weile klopfe ich doch an die Bürotür und rufe, dass ich mich nun auf den Heimweg mache.

„Okay, danke dass du da warst!“, ruft Scott zurück.

Dylan ist ähnlich geschockt über die neuen Entwicklungen.

„Und wie machen die jetzt weiter? Ich meine, übernachtet Collin jetzt trotzdem noch bei Vince und Danny? Vorher hatte Scott ja Patrick, aber jetzt gelten doch andere Regeln, oder?“

„Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass sie sich darüber heute schon Gedanken machen, Patrick ist erst letzte Nacht gestorben“, merke ich an und will nicht mehr weiter über das Thema sprechen.

Am nächsten Morgen haben die Zwillinge einen Arzttermin, gleich um acht. Als wir um viertel nach acht gerade die Klinik verlassen, klingelt Dylans Handy.

„Ja hallo? … Was? Vanessa, langsam. … Was?! Ein Bagger? … Ich bin in zwanzig Minuten da.“

Er legt auf und schaut mich etwa so ratlos an, wie ich ihn.

„Was ist?“

„Wir sollen gleich zum Zentrum kommen. Irgendwas mit einem Bagger und einem Riesen-Chaos.“

„Äh … okay, na dann wollen wir mal.“

Als wir in die Straße biegen, trauen wir unseren Augen nicht. Da steht ein Bagger, nicht vor, sondern halb im Zentrum. Ein Großteil der Vorderfront ist eingebrochen. Überall liegen Trümmer und drei Polizeiautos und die Feuerwehr sperren das Szenario ab.

„Das darf doch nicht wahr sein!“

Wir parken einfach am Straßenrand, Dylan springt sofort raus, ich nehme die Zwillinge und folge ihm. Je näher ich komme, desto schlimmer sieht es aus. Der Raupenbagger steht zur Hälfte im Gebäude. Man sieht den Boden, der die beiden Stockwerke trennt und man sieht im Obergeschoss Holzteile, die einst zu Dylans selbstgebauter Bühne gehört haben müssen. Vanessa ist ganz aufgelöst und rudert wild mit den Armen, während sie auf Dylan einredet. Die Szene ist geradezu grotesk.

Ich komme bei ihnen an, als Dylan gerade einem hochdekorierten Polizisten die Hand gibt.

„Mister Handerson, nehme ich an?“

„Ja. Was ist hier passiert? Meine Kollegin spricht von einem Anschlag …“

„Im Moment sieht alles danach aus. Wir haben diesen Zettel im Führerhaus gefunden.“

Er reicht Dylan eine durchsichtige Plastiktüte.

„Keine Gnade für Verräter. Ihr könnt uns nicht entkommen“, liest Dylan vor.

„Die Spurensicherung stellt gerade die Fingerabdrücke im Fahrzeug sicher.“

„Wo kam der Bagger eigentlich her?“

„Von einer Baustelle, eine Straße weiter. Er wurde kurzgeschlossen und vor etwa einer Stunde in das Gebäude gefahren.“

„Das muss doch jemand gesehen haben!“

„Wir haben einige Zeugen, die aussagen, dass fünf bis sechs junge Männer – alle Skinheads – das Ganze veranstaltet haben.“

Dylan und Vanessa schauen sich wissend an. Was ist denn da los? Der Polizist fragt, was mir auf der Zunge liegt:

„Haben sie Drohungen erhalten?“

Dylan schaut mich kurz schuldbewusst an.

„Ja, die Briefe liegen drinnen im Büro.“

„Wieso hast du das nicht erzählt?“, platze ich hervor.

„Das war doch nur leeres Geschwätz …“

„Ja, das seh ich! Was wenn das Zentrum das nächste Mal nicht leer ist?!“

„Schatz bitte, ich muss mich jetzt um andere Dinge kümmern …“

Jake beginnt zu weinen.

„Ja, ich mich auch. Ich bringe die Kinder nach Hause. … Und lass dir nicht einfallen, da reinzugehen, hörst du?“

„Aber wenn die Feue…“

„Nein Dylan! Du gehst da nicht rein. Versprich es!“

„Schatz …“

„Nichts Schatz! Wir haben zwei Neugeborene, vergiss das nicht. Denk bei allem was du tust daran. Wir sehen uns zu Hause.“

Ich bin wirklich geladen. Dylan hält sich immer für unverwundbar! Ich habe zwar geahnt, dass er mir was in der Richtung verschweigt, aber jetzt sieht man ja, dass er das zu sehr heruntergespielt hat. Ich darf gar nicht daran denken, was gewesen wäre, wenn … Okay, jetzt muss ich mich erst einmal darauf konzentrieren, die Babies heil nach Hause zu bringen.

Wickeln, füttern, sauber machen, Hausarbeit, kochen … und gegen Mittag kommt Dylan hereingeschlichen.

„Hey …“

„Da bist du ja schon.“

„Ja … Jordan, es tut mir leid …“

„Ich will nur, dass du auf dich aufpasst.“

„Das tu ich doch. Ich bin vorsichtig, das musst du mir glauben. Das war mit Sicherheit nicht geplant, da haben ein paar Kids eine Chance gesehen und den Müll gebaut. Die Fingerabdrücke werden durch die Datenbank gejagt und …“

„Du nimmst das immer noch nicht ernst!“

„Jordan, ich kenne doch solche Leute …“

„Was wenn heute Morgen jemand im Zentrum gewesen wäre?“

„Wenn man nicht direkt an der Vorderwand steht, dann …“

„Bist du irre?! Du kannst das doch nicht immer noch verharmlosen!“

„Was soll ich denn machen, Jordan?! Sag’s mir! Soll ich das Zentrum aufgeben? Soll ich den Schwanz einziehen und alles verraten, woran ich glaube und was ich aufgebaut habe? Soll ich die Kids im Stich lassen?“

„Was ist mit unseren Kindern, Dylan? Was ist, wenn dir etwas passiert?“

„Was soll ich dir denn sagen? Ich bin vorsichtig, mehr kann ich nicht tun. Was erwartest du denn von mir?“

„Du sollst nicht so viel Aufmerksamkeit auf dich lenken.“

„Aber das ist mein Job, Jordan. So läuft es nun mal. Wenn niemand vom Zentrum weiß, wie soll es sich dann finanzieren?“

„Wenn dir etwas zustößt, was wird dann?“

„Wir drehen uns im Kreis. Ich hab dafür jetzt keine Zeit, ich muss noch mit der Versicherung telefonieren.“

„Klar! Sicher! Mach doch! Und was passiert, wenn dir mal jemand folgt? Was, wenn die Kinder in Gefahr geraten?“

„Das würde ich nie zulassen!“

„Und wie willst du es verhindern? Willst du immer erst ein paar Runden um den Block fahren und sicherstellen, dass dir niemand folgt? Das ist doch lachhaft!“

„Schön dass du das Ganze lustig findest. Ich bin bei Vanessa, falls du mich suchst.“

Und damit ist er bis abends verschwunden.

Natürlich bereue ich, dass ich ihn vertrieben habe, aber es macht mich einfach wahnsinnig! Dieser Leichtsinn! Diese ständige Selbstüberschätzung. Aber er will es einfach nicht sehen. Ich dachte, es müsse erst etwas passieren, damit er zur Vernunft kommt. Aber wenn ein Bagger mitten in seinem Zentrum nicht reicht, was dann?

Zu allem Überfluss bekomme ich auch noch Kopfschmerzen, dann Halsschmerzen und Muskelschmerzen. Bis zum Abend hat mich die Grippe niedergestreckt und ich kann mich kaum noch bewegen. Wenn Kate nicht da wäre, um sich notdürftig um die Zwillinge zu kümmern, …

„Wir sollten echt mal Fieber messen, du siehst gar nicht gut aus.“

„Ach Quatsch …“

„Trink Tee“, drängelt sie.

„Ich hab schon ne ganze Kanne intus“, entgegne ich angestrengt.

„Willst du dich nicht lieber ins Bett legen? Die Couch kann doch nicht bequem sein.“

„Ich glaub, ich schaff’s grad nicht die Treppe hoch …“

„Sollten wir nicht lieber einen Arzt rufen?“

„Kate, es ist bloß ne Grippe.“

Der Schlüssel dreht sich in der Tür. Dylan. Ich versuche mich aufzurichten, zucke aber zusammen, als ein Blitz durch meinen Kopf schießt.

„Jordan! Wie siehst du denn aus?“

„Grippe.“

„Aber vorhin ging’s dir doch noch gut. Armer Liebling. Lass mich mal deine Stirn fühlen. … Du glühst ja! Habt ihr schon Fieber gemessen?“

Ich schüttle den Kopf.

„Okay, ich bring dich erst mal hoch, ja?“

Ich nicke resignierend.

Einige Minuten später liege ich mit einem Fieberthermometer im Mund im Bett und Dylan schaut erst mal nach den Zwillingen. Fast 40 Grad. Toll. Für die nächsten 24 Stunden bin ich außer Gefecht gesetzt. Aber am nächsten Nachmittag muss Dylan zum Zentrum, um die Kids einzusammeln, die hinkommen und feststellen, dass das Gebäude eine einzige Ruine ist. Hilft nichts. Ich muss aufstehen und funktionieren. Unser Streitthema wird gekonnt ignoriert.

Am Samstag findet Patricks Trauerfeier statt, im Pride-Center. Ich fühle mich immer noch nicht ganz fit, glaube aber nicht, dass das noch von der Grippe kommt.

„Alles okay?“, fragt Dylan mich im Auto besorgt.

„Jaja … ich weiß nur nicht so recht, wie ich mit der ganzen Scott-Collin Sache umgehen soll.“

Wir sind recht spät dran, der erste Redner spricht schon von Patricks Zeit in New York. Anscheinend ist das einer seiner Lehrer oder Ausbilder, oder wie auch immer man das nennt, ein Fotograf jedenfalls. Wir setzen uns in die letzte Reihe, ich sehe ein paar bekannte Gesichter, ganz vorne erkenne ich Scott, daneben Collin, Lucy und Dennis. Von Vince keine Spur. Dafür entdecke ich Jerry und muss ein wenig grinsen, weil ich an unsere erste Begegnung hier denke. Inzwischen hat er einen Job bei einer Tageszeitung und von seinem punkigen Äußeren ist nicht viel geblieben. Er dürfte inzwischen … einundzwanzig oder so sein. Wie die Zeit vergeht! Als ich in dem Alter war, das war 99, vor zehn Jahren.

Ich denke zurück an die Zeit mit Vince, an die Ereignisse danach, den Entzug … das alles scheint ein ganz anderer Mensch gewesen zu sein. Ein Junge, der sich vom Leben verraten gefühlt hat, von den Menschen, die für ihn hätten da sein sollen. Ich bin damals tatsächlich der Meinung gewesen, das Leben würde mir etwas schulden, weil meine Kindheit und Jugend so ein Chaos gewesen waren. Ich hielt mich für ziemlich wichtig, habe mir viel zu viel herausgenommen, hab immer an so was wie Schicksal geglaubt, daran, dass sich alles irgendwie fügen würde, egal wie oft ich Scheiße baue.

Auch wenn ich es nicht gerne zugebe, inzwischen verstehe ich viel von dem, was mein Vater getan hat. Ich weiß, dass er immer das Beste für mich gewollt hat, so wie ich für meine Kinder. Er hat viele Fehler gemacht, sicher. Aber Eltern sind eben auch nur Menschen. Ich denke in letzter Zeit viel an meinen Dad. Ich vermisse ihn einerseits irgendwie, aber ich will ihn andererseits nie mehr wiedersehen. Ich habe eine Heidenangst vor der ganzen Sippschaft, und als Scott mir vor ein paar Monaten mitgeteilt hat, dass mein Vater einen Antrag auf Bewährung gestellt hat und gute Chancen hat, den bewilligt zu bekommen, hat mir das einige schlaflose oder albtraumerfüllte Nächte beschert. Ich gehe nicht davon aus, dass er sich bei mir blicken lassen würde, aber allein der Gedanke daran …

Als alle die etwas sagen wollten, etwas gesagt haben, wird erklärt, wo Patricks Asche verstreut werden wird. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken als mein Blick auf die kleine, anthrazitfarbene Urne fällt. Da ist alles drin, was von Patrick noch übrig ist. Eine Berührung an der Schulter lässt mich leicht hochschrecken.

„Xander!“

„Hey ihr zwei. Habt ihr die Babies gar nicht dabei?“

„Nein, die sind zu Hause. Ich hatte keine Ahnung, dass du hier sein würdest.“

„Ich war in der Stadt und Scott hat mich eingeladen, also …“

„Kanntest du Patrick gut?“

„Er war unser Lieblingsfotograf … also ja, doch, kann man sagen. … Ich weiß auch, dass er ein guter Freund von Vince war. Deshalb wundere ich mich, warum er nicht da ist.“

„Vince ist echt nicht da?“

„Ich hab ihn nicht gesehen, aber ich wollte Collin jetzt auch nicht unbedingt danach fragen. Ich dachte, vielleicht wühlt das Ganze hier zu viele Erinnerungen an seinen Ex-Freund auf …“

Ich schaue Xander überrascht an. Er meint nur:

„Hast du mir doch damals erzählt …“

Dylan zieht fragend die Augenbrauen hoch.

„Vince hatte vor mir einen Freund, der an Aids gestorben ist …“, erkläre ich ihm.

„Oh … scheiße.“

„Mann, ihr redet echt nicht über eure Vergangenheit, was?“, grinst Xander.

„Nicht besonders viel, nein.“

„Naja, wir sehen uns dann nebenan …“

In dem benachbarten Restaurant ist ein Buffet aufgebaut worden. Alle schlendern rüber. Dylan schaut irgendwie missmutig drein.

„Alles okay?“, frage ich.

„M-hm.“

„Was ist denn?“

„Nichts. Nicht der richtige Ort um darüber zu reden.“

„Okay. Da vorne ist Scott. Lass uns hier lang gehen.“

„Du kannst ihn nicht ewig meiden.“

„Hab ich auch nicht vor. Nur jetzt.“

„Warum hast du mit ihm und Collin eigentlich so ein Problem?“, fragt er irgendwie patzig.

„Na weil … wegen Patrick halt.“

„Das glaub ich nicht …“

„Was soll denn das jetzt schon wieder heißen?“

„Nichts. Das hier ist …“

„… nicht der richtige Ort zum drüber reden, schon klar. Ich hol mir was zu essen.“

Am Buffet steht Jerry. Mit ihm habe ich eigentlich seit drei Jahren nicht mehr wirklich gesprochen. Wir sind uns manchmal bei Scott und Patrick über den Weg gelaufen, das war alles. Aber ich komme nicht mehr aus, er hat mich schon gesehen und starrt konzentriert auf das Essen auf seinem Teller.

„Hey.“

„Hey.“

„Die Kartoffeln sind gut.“

„Ja? Okay, dann versuch ich die mal.“

„Was ist denn mit Dylan?“, fragt Xander, der hinter mir aufgetaucht ist.

Ich sehe erst ihn an, dann meinen Mann, der immer noch an der Tür steht und dreinschaut, als hätte ihm jemand kräftig ans Bein gepinkelt. Dieser Jemand bin vermutlich ich, aber ich hab keinen Schimmer, wodurch und zucke die Schultern.

„Achso. Xander – Jerry.“

„Hallo.“

„Ah, du bist DER Xander. Ich hab ein paar deiner CDs geerbt.“

„Häh?“

„Jerry hat mal bei mir gewohnt.“

„Oh, ihr wart …?“

„Nein!“, machen wir beide gleichzeitig, woraufhin Xander kichert wie ein Schulmädchen.

„Jerry hat einfach nur bei mir gewohnt. Im Büro.“

„Soso. Naja, schön dich kennenzulernen.“

„Gleichfalls.“

Flirten die? Die flirten. Schön für die, ich muss zu meinem düster dreinblickenden Ehemann zurück.

„Also, was ist los, Dylan?“

„Vergiss es.“

So zickig kenn ich ihn gar nicht.

„Na schön, und jetzt?“

„Jetzt hol ich mir was zu essen.“

Und schon ist er auf dem Weg zum Buffet, ich dicht hinter ihm, ob es ihm passt oder nicht. Da stehen immer noch Jerry und Xander, unterhalten sich angeregt, bis Jerry Dylan entdeckt und sein Blick etwa genau so finster wird, wie der meines Mannes. Der arglose Xander versucht’s mit einem Lächeln, das Dylan gekonnt ignoriert und sich zu den Russischen Eiern vorbeischiebt. Ich sehe genau, wie Jerry seinen Ellbogen abspreizt, sodass Dylan dagegenrempeln muss. Dylan hat das wohl auch bemerkt.

„Was soll der Scheiß?“, fragt er ruhig aber so bedrohlich, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. Jerry scheint nicht eingeschüchtert, im Gegenteil, er reckt sein Kinn vor und meint:

„Pass halt auf, wo du hinläufst, du braunes Stück Scheiße.“

Ich sehe, wie Dylans Nacken sich für eine schreckliche Sekunde anspannt, aber bevor ich bei ihm bin, entspannen sich die Muskeln schon wieder und er … lacht.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass du mich mit so was aus der Reserve locken kannst, oder?“

Jerry zieht ab, kommentarlos. Xander steht immer noch sichtlich verwirrt da, sein Lächeln ist verschwunden.

„Was war das denn?“

„Das war ein Halbstarker, der sich für besonders schlau hält. Entschuldigt mich, ich brauch frische Luft.“

Er drückt mir seinen Teller in die Hand und ist verschwunden.

Xander schaut mich unsicher an.

„Willst du ihm nicht hinterher?“

„Nein, ich glaube der soll sich erst mal beruhigen.“

„Das war irgendwie ganz schön Furcht einflößend. Für einen Moment dachte ich echt, er würde … keine Ahnung, Jerry mit einem Schlag töten oder so.“

Er lacht nervös. Dass ich den gleichen Gedanken hatte, werde ich nie im Leben jemandem erzählen. Stattdessen sage ich knapp:

„Dylan würde ihm nie was tun.“

„Sonst wärst du auch nicht mit ihm zusammen, das weiß ich ja eigentlich. Ach verdammt, ich dachte gerade, dass Jerry ein echt netter Kerl ist und dann so was.“

„Naja, eigentlich ist er auch ein netter Kerl. … Ich geh mal telefonieren.“

„Okay.“

Ich stelle mich vor das Restaurant, sehe Dylan auf der anderen Straßenseite auf einer Bank sitzen, mit einer Zigarette in der Hand und hängendem Kopf. Okay, das Telefonat mit Vince muss warten. Ich komme langsam näher und bleibe ein paar Meter vor ihm stehen.

„Seit wann rauchst du wieder?“, frage ich betont unvorwurfsvoll.

„Hab diese Woche wieder angefangen, nach der Bagger-Sache“, erklärt er, stur auf den Boden starrend.

„Kann … darf ich meinen Arm um dich legen?“

„Ich brauch gerade echt Abstand. Sei mir nicht böse.“

„Okay. Dann … geh ich wieder rüber. Ich liebe dich, Dylan.“

Keine Reaktion, das verletzt mich irgendwie, aber andererseits kenne ich das schon. Manche Dinge muss Dylan einfach mit sich selbst ausmachen.

Auf der anderen Straßenseite wähle ich Vinces Handynummer.

„Hallo Jordan.“

„Hey, wo bist du?“

„Zu Hause.“

„Warum?“

„Ich konnte mir das einfach nicht anschauen, ich denke Patrick würde es verstehen …“

„Geht es um David?“

„Nein, nicht hauptsächlich, wobei das alles schon schwer genug machen würde. Es geht um Collin und Scott. Ich kann damit irgendwie nicht umgehen.“

„Ändert das was zwischen Collin und dir?“

„Natürlich! Das ändert so ziemlich alles. Scott ist nicht irgendeine Affäre.“

„Also war’s das dann mit euch? Endgültig?“

„Sieht so aus.“

„Tut mir leid.“

„Kann man nichts machen. Wir haben uns sowieso schon viel zu lange aneinander geklammert.“

Dylan kommt über die Straße gejoggt.

„Du, ich muss auflegen, wir telefonieren später, ja?“

„Klar.“

„Mit wem hast du gesprochen?“

„Mit Vince. Hab ihn gefragt, warum er nicht da ist.“

„Aha. Alles klar.“

„Was ist klar?“

„Nichts, schon gut.“

„Dylan, langsam pisst du mich echt an.“

„Dito.“

„Ich?! Was hab ich denn getan? Ich hab immerhin niemanden fast verprügelt!“

Ups, das war jetzt taktisch sehr unklug. Dylan wirft mir einen eisigen Blick zu und stapft davon.

„Wo willst du denn hin?“

„Ich nehm mir ein Taxi.“

Weg ist er und vielleicht ist das auch besser so.

Als ich gerade wieder rein gehen will, kommt mir Xander entgegen.

„Wo ist er hin?“

„Nach Hause.“

„Alles okay zwischen euch?“

„Jaja, es war nur eine stressige Woche. Wollen wir rein gehen?“

„Ich würde mich lieber noch eine Weile mit dir unterhalten. … Wir haben uns lange nicht gesehen.“

„Du bist viel unterwegs …“

„Und du? Was machst du so, musikalisch gesehen?“

„Nichts. Dafür hab ich gar keine Zeit.“

„Das ist echt eine Schande. Also wir fänden es toll, wenn du mal was für uns schreiben würdest.“

„Mal sehen …“

„Du hast vorhin so komisch geschaut, als ich nach Vince gefragt habe …“

„Lange Geschichte …“

„Okay … Ich hab gehört, Sean lebt jetzt wieder in Phoenix?“

„Ja, stimmt.“

„Du willst nicht mit mir reden, oder?“

„Sorry … das ist nur gerade seltsam. Ich hab einfach nicht mit dir gerechnet.“

„Ich kann auch gehen, wenn du willst?“

„Nein. Ich meine … ich will dich nicht auch noch vertreiben. Und außerdem wird es langsam Zeit, dass wir wieder normal miteinander umgehen können, oder?“

„An mir soll es nicht liegen.“

„Ich weiß, es liegt an mir …“

„Ich wollte dir damit keinen Vorwurf machen …“

„Ich weiß. Ich … Mann, wie stellen wir uns eigentlich an?!“, grinse ich.

„Ja, möchte man nicht meinen, dass wir so was wie erwachsen sind …“

„Na schön … also, wie geht es deinen Eltern, deinen Geschwistern und so?“

„Alice ist schwanger.“

„Nein?!“

„Oh doch.“

„Da freut sich deine Mum sicher.“

„Ja, allerdings. Alice selbst ist eher … mäßig begeistert. Eigentlich wollten sie im Sommer eine neue Wandertour anbieten und das Rafting fällt für sie jetzt auch flach …“

„Naja, aber sie ist jetzt … dreiunddreißig oder so, richtig? Da wurde es ja auch langsam Zeit …“

„Das sieht sie anders, aber das war ja klar. Cloe ist immer noch in New York, Adam wohnt in Portland und ist verlobt, Ryan geht auf’s College, hier in L.A.“

„Echt? Dann siehst du ihn wohl öfter?“

„Eigentlich nicht, du weißt ja … wir sind ziemlich unterschiedlich.“

„Hm, ja stimmt …“

„Weißt du, dass ich wieder mit Tyler zusammen bin?“

„Was?!“

„Seit einem knappen Jahr …“

„Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Ich weiß wie das klingt, aber sie ist nicht mehr so wie früher …“

„Okay, ehm …“

„Ihre Mutter ist gestorben und sie lebt jetzt hier. Sie hat einige Therapien hinter sich und so …“

„Hm …“

„Mehr wirst du dazu nicht sagen, oder?“

„Manchmal ist es geschickter zu schweigen, wenn man nichts Freundliches zu sagen hat …“

„Ich dachte nicht, dass ich dir das sagen muss, aber: Jeder hat eine zweite Chance verdient.“

„Ja … na gut, keine Ahnung, ich hoffe sie hat sich wirklich geändert …“

„Willst du mich auf Schnitte untersuchen?“, fragt er sarkastisch.

„Schon gut. Ich brauche heute nicht noch mehr Streit. Lass uns rein gehen und endlich was essen. Ich finde übrigens, dass du toll aussiehst, du scheinst fast schon Normalgewicht zu haben“, grinse ich.

„Danke Mama“, gibt er ebenfalls grinsend zurück.

Die Stimmung drinnen ist relativ fröhlich für eine Trauergemeinde. Alle erzählen Geschichten über Patrick, wie man es sich eben vorstellt. Ich mache immer noch einen Bogen um Scott, der sowieso immer sehr eingenommen zu sein scheint, und unterhalte mich lieber mit Xander über seine neuesten musikalischen Ergüsse. Jerry ist zum Glück verschwunden. Die Zeit vergeht, der Umgang mit Xander hat sich tatsächlich normalisiert. Wir können ganz ungezwungen reden, endlich.

„… und dann geht das ganze Elternabend-Zeug wieder von vorne los. Ich hasse so was.“

„Ja, ich weiß, ich hab mir oft die Zähne an dir ausgebissen, weil ich dich hinschicken wollte.“

„Mal ehrlich, das bringt doch eh nichts. Der Lehrer erzählt nur, was die Eltern hören wollen. Immer das Gleiche. Ich weiß noch, als mein Dad das erste und einzige Mal auf einem Elternabend von mir war, das war im Kindergarten in San Diego. Ich hatte mit einer Zeichnung für Aufsehen gesorgt, weil da ein Kerl mit ner Waffe drauf war, keine Ahnung, wie ich darauf kam …“

Xander ist plötzlich recht blass geworden und schaut mich geschockt an.

„Ein Kerl mit einer Waffe? Meinst du, dass du mal was in der Richtung gesehen hast, damals, und dich nur nicht mehr daran erinnern kannst?“

„Keine Ahnung, ich habe da schon ewig nicht mehr dran gedacht …“

„Es werden diesen Monat fünf Jahre …“

„Ja, ich weiß …“

„Ich hab immer noch Albträume davon“, sagt er leise.

„Ich auch … aber das ist wohl nicht zu ändern. Anthony wird, wie es aussieht, bald rauskommen …“

„Was?!“

„Bewährung …“

„Oh Gott, was für ein Horror!“

„Ja, schon irgendwie. Aber ich hab auch nicht erwartet, dass sie ihn ewig wegsperren …“

„Du denkst doch nicht, dass er bei dir auftauchen wird, oder?“

Ich schüttle den Kopf und schlucke schwer.

„Ich hoffe nicht.“

„Es tut mir wirklich leid, dass ich damals weggegangen bin …“

Kommt sie jetzt, die Erklärung auf die ich so lange warten musste? Ich starre ihn hoffnungsvoll an, aber er sagt nichts mehr, schaut nur verschämt auf seine Füße. Ich räuspere mich und rede von etwas Anderem, Unverfänglichem.

Eine junge Band spielt unplugged ein paar ruhige Lieder. Vermutlich vertritt Scott sie seit Neustem. Sie sind gar nicht mal schlecht, findet auch Xander. Ihm ist mittlerweile auch aufgefallen, dass ich vor Scott wegrenne, aber als ich auf seinen fragenden Blick nicht reagiert habe, beließ er es bei einem verständnisvollen Lächeln. Überhaupt lächelt er ständig, seine Augen strahlen die ganze Zeit, sehen mich an, als wäre ich irgendwas Besonderes oder so. Er ist eben Xander. Lieb, süß, sexy, hübsch … das wird sich nie ändern.

Jemand klopft mir auf die Schulter. Scott. Er flüstert mir ins Ohr:

„Du ignorierst mich, das ist schon okay, aber vergiss nicht, dass du wegen Patrick hier bist. Vielleicht könntest du ja was singen oder so … Ich glaube, das hätte ihm gefallen.“

Ich hab auch sofort eine Idee, was ich singen könnte.

„First I was afraid, I was petrified. …”

Dafür habe ich hier genau das richtige Publikum und ich weiß, dass sich Patrick genau den Song gewünscht hätte, einfach nur weil er wusste, wie lächerlich ich mir dabei vorkommen würde. Xander kriegt sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Als ich das Mikro wieder abgebe, steht er schon neben mir und ringt um Atem.

„Das war … du bist … einfach genial!“

„Ich brauch frische Luft, komm.“

Ich ziehe ihn hinter mir her nach draußen, wo er immer noch nicht aufhören kann zu lachen, was total ansteckend ist. Wir stehen da und krümmen uns einfach nur noch.

„Da drinnen haben sich grad zwei Dutzend Schwestern in dich verknallt!“, grinst er und kommt langsam zu Atem.

„Meinst du?“

„Auf jeden Fall! Komm mit, ich muss dir was zeigen.“

„Was denn?“

„Ich hab ein paar unserer neuen Songs auf meinem Player im Auto. Andy hat sich mit den Texten teilweise selbst übertroffen.“

Sein alter Mitsubishi ist wohl inzwischen in der Schrottpresse gelandet, denn er führt mich zu einem schwarzen Minicooper mit Schach-Muster-Streifen an den Seiten.

„Wow, das Auto passt mal echt zu dir!“

„Naja, meine alte Karre hat aufgegeben, sonst würde ich die heute noch fahren. Spring rein, dann kann ich die Songs über die Autoboxen laufen lassen.“

Ich steige ein und muss meine Knie doch etwas anwinkeln. Xander sucht scheinbar einen ganz bestimmten Song und hat ihn schnell gefunden. Ein poppiges Lied, hört sich sehr nach einem von Andys Werken an. Zuviel davon und man bekommt Zahnschmerzen, weil es so süß ist. Das eigentlich Geniale dran sind die Reime. „Lullaby“ beispielsweise auf „break your skull and die“. In dem Stil geht es den ganzen klebrigen Song durch, meine Wangen tun schon weh vom Grinsen.

„Na?“

„Genial, du hast recht.“

„Mehr davon?“

„Gern!“

Wir hören noch zwei Songs, reden dabei über die Aufnahme und über die weiteren Pläne der O-Scars. Dann tippt Xander noch mal weiter.

„Das wollte ich dir schon lange zeigen. Ich hab endlich auch mal was eingesungen, ist noch ziemlich unausgereift, aber … naja, hör’s dir mal an.“

Er drückt Play und es ertönen die ersten Noten von … 'Red Snow'. Irgendwie wird mir plötzlich heiß und unbequem. Ich kann meine Beine kaum bewegen, geschweige denn ausstrecken.

„Warte, man kann den Sitz weiter zurückstellen, da rechts neben dir ist der Hebel.“

Ich taste danach, werde aber nicht fündig. Meine Hände sind total schwitzig, der Song macht mich echt irgendwie fertig. Und Xanders Stimme dazu, so zerbrechlich …

„Soll ich dir … helfen?“, fragt er unsicher.

„Ich finde nichts …“

Er beugt sich zu mir rüber, einige Haare streifen mein Gesicht. Ich rieche Pfirsich-Schaumfestiger. Ich glaube, meine Haut verglüht. Mein Sitz fährt ein gutes Stück zurück. Xanders Gesicht wendet sich mir zu. Er … weint. Eine Träne hat sich ihren Weg durch die Mascara-Wimpern und über die blasse Wange gebahnt. Atemberaubend schön. Ich muss sie doch aufhalten, es geht nicht anders. Mein Finger berührt die weiche Haut, aber das reicht nicht, die nächsten Tropfen kullern schon aus den großen, braunen Augen. Meine Lippen küssen sie weg, ganz von alleine, sie kennen das wohl noch von früher. Die Augen schließen sich, pressen noch die letzten Tränen heraus, dann gilt meine ganze Aufmerksamkeit den vollen, zärtlichen Lippen, die mich küssen, der süßen Zunge, die sich in meinen Mund schiebt, dem Piercing, das leise gegen meine Schneidezähne klackt. Mein Magen kribbelt, meine Hose spannt, mein Herz pocht, meine Hände ziehen den schlanken Körper neben mir näher heran. Mein Sitz fährt noch ein Stück weiter zurück, die Lehne wird etwas schräg gestellt und dann sitzt Xander auf meinem Schoß. Das hat mich schon immer total verrückt gemacht.

Unsere Unterleiber reiben sich aneinander, unsere Hände greifen alles, was sie zu fassen bekommen, ich bin schwerelos, bestehe nur noch aus einzelnen Körperstellen, jenen, die von Xander berührt werden. Ich brenne und zittere doch, lächle und weine gleichzeitig. Meine Hände knöpfen Xanders schwarzes Hemd auf, öffnen den Reißverschluss seiner Hose, dann meinen eigenen. Der Körper auf mir neigt sich ein Stück zur Seite, nur um gleich darauf, bis auf das offene Hemd, nackt zurückzukehren. Geschickte Hände streifen mir ein Kondom über. Dann sind wir vereint. Ich halte mich an Xander fest, er umklammert mich. Es ist eine gewaltige Explosion, ich meine fast, ohnmächtig zu werden, atme keuchend, spüre den Schweiß auf meiner Stirn stehen. Xander hängt an mir, rührt sich nicht mehr, schluchzt leise. Ich halte ihn, streichle ihn, komme langsam wieder zur Besinnung.

Mir ist übel, so richtig übel. Ich habe mit Xander geschlafen. Das Zittern, das mich durchfährt, ist kein angenehmes mehr. Ich habe Angst. Ich habe Schuldgefühle. Ich habe immer noch Xander auf dem Schoß. Mein Ehemann versorgt zu Hause unsere Kinder, und ich habe meinen Exfreund auf dem Schoß! Ich bin mein eigener schlimmster Albtraum. Ich habe es gebrochen, das Versprechen der ewigen Treue. Und das schon nach drei Jahren. Mit Xander, nicht mit irgendwem. Ich habe gerade nicht nur meine Lust befriedigt. Ich habe ihn geliebt. Das ist der schlimmste Verrat an Dylan, den ich hätte begehen können. Ehebruch. Ist das die schlimmste Sünde, die ich je begangen habe? Im Moment fühlt es sich so an, aber ich kann nicht klar denken. Was soll jetzt werden?

„Jordan?“

Xander hält mich immer noch mit Armen und Beinen fest umklammert. Als ich nicht antworte, redet er weiter.

„Wenn ich dich loslasse, gehst du weg.“

Ich nicke.

„Dann darf ich dich nie wieder loslassen.“

Ich weiß nicht, wie lange er das tut, aber es dämmert, als ich seine Arme sachte löse.

„Ich muss nach Hause“

Er nickt nur und rutscht wieder auf den Fahrersitz, zieht seine Hose an und stiert geradeaus, bis ich ausgestiegen bin.

Meine Knie sind weich, ich befürchte mit jedem Schritt, dass sie einknicken. Zum Glück ist es nicht weit bis zu meinem Auto, in dem es nach Dylan riecht und nach den Zwillingen. Ich hasse mich für das, was gerade passiert ist. Abgrundtief. Es gibt einfach keine Entschuldigung. Ich weiß nicht, ob ich jetzt Autofahren sollte, aber ich weiß, dass ich von hier weg muss. Ich drehe die Musik laut, damit ich meine Gedanken nicht mehr hören muss, damit mein Gewissen endlich den Mund hält.

Ich fahre langsam und halte, kurz bevor ich in meine Straße einbiege, noch mal an, um die Spuren meiner Tat so gut es geht zu beseitigen. Ich bin ein Schwein, ein untreuer Ehemann, wie er im Buche steht. Ich sollte an dem Pfefferminzbonbon, das ich gerade in den Mund nehme, ersticken! Perfekt. Alles war perfekt. Unsere Ehe war unbefleckt. Wir waren immer ehrlich zueinander. Aber was gerade mit Xander passiert ist, das war nicht schmutzig, war kein typischer Seitensprung. Doch jeden Gedanken daran muss ich aus meinem Kopf verbannen.

Ich biege in die Auffahrt, stelle den Wagen ab, steige aus, streiche noch mal meine Kleidung glatt und sperre die Haustür auf. Das Wohnzimmer ist leer. Ich verschwinde sofort im Bad. Ist es zu auffällig, wenn ich dusche, ohne vorher nach Dylan und den Kindern zu sehen? Ich ziehe meine Klamotten aus und werfe sie in den Wäschekorb. Den Spiegel meide ich noch, aber das kann ich mir gleich nicht mehr leisten. Ich muss sehen, ob Xander verräterische Spuren auf mir hinterlassen hat. Ich komme mir vor wie ein Schwerverbrecher, wasche mich kurz und ziehe ein T-Shirt an, das ich aus der Wäsche gefischt habe.

Jetzt stehe ich schon einige Minuten vor der Schlafzimmertür und kann mich einfach nicht dazu durchringen, sie aufzumachen. Ich hole tief Luft und versuche, meine Gesichtsmuskeln zu entspannen. Dann drücke ich die Klinke nach unten und öffne die Tür.

Lesemodus deaktivieren (?)