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Andere Welten

Teil 5

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„Seit … seit zwei Tagen. Sonst hättest du Yanar und Rayka auch nicht verstanden“, stammelte er hektisch, was arg nach Ausrede roch und auch keinen Sinn ergab.

„Selbst wenn sich die Sprachbarriere bei mir endlich gelöst hat, warum funktioniert das nicht bei Kalen und Tarin? Bei ihnen musste Shawn mir immer noch übersetzten.

„Weil du es einfach nicht schaffst, deine Kräfte zu kontrollieren. Du kannst dir raussuchen, wer dich versteht und wer nicht. Allerdings scheint das immer noch nicht zu deinem egomanischen Unvermögen vorgedrungen zu sein!“

Genervt machte sich der Kleinere von mir los und wollte sich von mir abwenden. Jedoch hielt ich ihn am Ellenbogen fest und zwang ihn somit wieder in meine Nähe. Sein zickiges Ablenkungsmanöver hatte nicht im Geringsten funktioniert.

„Nein. Bei dir hat das mit der Barriere nichts zu tun. Mein Versprechen, dich heil nach Hause zu bringen, ist ewig her und nur du weißt davon. Auch bei den Kämpfen. Wir haben uns nicht ohne Worte einfach verstanden, wie ich bisher glaubte. Du hast einfach meine benutzt.“

Arcir wollte etwas darauf erwidern, doch ich hielt ihn wirsch davon ab.

„Ich habe dir meine Gedanken anvertraut, bei dir mein Herz ausgeschüttet. Doch anstatt den Mut zu einer Antwort aufzubringen, hüllst du dich lieber in Schweigen. Wer von uns ist nun der Feigling, Arcir?“

Ich ließ meine Worte ein paar Sekunden wirken, bis ich kopfschüttelnd den Laidarer losließ und enttäuscht aus der Box trat. Er versucht mich noch nicht einmal aufzuhalten.

Die darauffolgenden Tage plätscherten träge dahin, ohne dass ich wirklich an ihnen teilnahm. Sahina und Yanar waren, was die magischen Aufgaben betraf, höchst zufrieden, schließlich konnte ich meine Gefühle recht gut benennen, was einen reichen Kräftefluss einbrachte.

Trauer und Enttäuschung hatten sich zuhauf eingenistet und wollten einfach nicht wieder verschwinden, genauso wenig wie sich die innere Leere zurückdrängen ließ, die sich immer weiter ausbreitete. Waren meine Worte zu hart gewesen? Sollte ich nochmal mit ihm reden? Oder besser doch warten, bis er auf mich zukam?

Irgendwann begann ich Sahinas Unterricht zu schwänzen und selbst bei Garukt ließ ich mich nicht mehr blicken. Yanar hatte ich längst sitzen gelassen, als er wieder seine flachen Zweideutigkeiten von sich gab. Ich hatte einfach keinen Nerv für nichts.

Keine Ahnung ob es das schlechte Gewissen war oder ob es ihm genauso ging wie mir, aber seither ging mir Arcir komplett aus dem Weg. Weder traf ich ihm beim Essen, noch beim Schmied oder auf dem Übungsplatz. Mich in Selbstmitleid badend, verbrachte ich die meiste Zeit am See auf ‚unserer‘ Lichtung und wünschte den Laidarer an meine Seite.

Es war an einem Abend wie jeder andere, als alle bei Sahina zusammensaßen und wieder einmal über die Karten brüteten, die Rayka mitgebracht hatte. Noch immer ließ sie keine Sekunde aus, mich anzuzicken, was mir irgendwann tierisch auf den Nerv ging. Eine bissige Bemerkung blaffend, verließ ich den Raum und ging ziellos durch die Nacht.

Als ich bei den Stallungen vorbeikam, hörte ich aufgeregtes Wiehern und eine vertraute Stimme, die beruhigend auf das Tier einredete. Auf einmal interessierte es mich einen Dreck, was passiert war. Ich wollte ihn wiedersehen und zwar sofort!

Als ich den Holzbau betrat, schwappte mir eine Wolke aus Angst von Mensch und Tier entgegen, dass ich kurz überwältigt stehen blieb. Die letzten Meter zur Box von Arcirs Stute, rannte ich regelrecht. Mit sorgvollem Gesicht stand er neben seinem Pferd und streichelte über das schweißnasse Fell. Der Laidarer murmelte beruhigende Worte, doch das Tier tänzelte weiterhin nervös auf der Stelle.

„Was ist los?“, fragte ich besorgt und betrat die Box. Arcir schaute überrascht auf und sah mich mit einer Mischung aus Skepsis und Erleichterung an.

„Ihre Milch ist eingeschossen und die Wehen haben eingesetzt. Allerdings viel zu früh. Und unser Heiler ist mit Philip auf irgendeiner Kräutertour.“

Verzweifelt fuhr er sich durch die Haare und wusste wohl selbst nicht so recht, was er machen sollte. In diesem Metier kannte ich mich wenig aus, denn bisher hatte ich angenommen, dass mir das Highlight einer Geburt erspart bleibt. Um überhaupt irgendetwas zu machen und nicht nur sinnlos rumzustehen, fuhr ich mit meiner Hand seitlich über den Hals der Stute und schloss meine Augen.

So langsam wie möglich öffnete ich meinen Geist, Stück um Stück, damit es nicht wieder in so einem Fiasko endete, wie beim ersten Mal. Ich holte tief Luft, spürte das Pferd als elementares Wesen neben mir und auch das neue Leben, welches um eine selbstständige Existenz bettelte.

„Ihr geht es gut … und dem Kleinen auch“, murmelte ich und versuchte der Stute im Geist zu vermitteln, dass sie nicht alleine war und wir ihr bei allem helfen würden. Ihr Herzschlag beruhigte sich deutlich und als sie mich dankbar anstupste, öffnete ich lächelnd die Augen.

„Aber … aber sie ist total verschwitzt und das Fohlen hätte noch drei Monate Zeit!“, protestierte Arcir und blickte mich verständnislos an.

„Sie liegt in den Wehen, was nun einmal Schmerzen mit sich bringt. Und das Kleine wird stark genug sein, du wirst schon sehen.“

Ich sah dem Laidarer förmlich an, dass er mir nicht recht glauben wollte. Seufzend schüttele ich den Kopf und ließ meine Fingerspitzen sacht über seine Haut gleiten, von unterhalb des Ohrläppchens, über den Unterkiefer bis zum Kinn.

„Bitte vertrau mir wenigstens dieses eine Mal“, bat ich schwach, worauf er nach kurzem Zögern leicht nickte.

Zufrieden grinste ich ihn an und dann kümmerten wir uns gemeinsam um die Stute. Diese genoss die zusätzlichen Liebkosungen, aß ihre kleinen Leckereien, die wir ihr extra gaben, und fühlte sich zwischen uns einfach pudelwohl. Nach einer kleinen Ewigkeit verstärkten sich die Schmerzen des Pferdes wieder, worauf Arcir nervös auf der Lippe zu kauen begann.

„Es ist gleich soweit“, raunte ich ihm zu.

Der Laidarer war aufgeregter, als sein Tier, was mich schon wieder schmunzeln ließ. Sanft nahm ich ihn beiseite, damit er die Stute nicht weiter kirre machte und strich mit dem Daumen über seine Lippe, sodass er diese nicht weiter malträtierte.

„Glaub mir, ihr geht es gut, den Umständen entsprechend“, versuchte ich ihn abermals zu beruhigen.

Doch ein Blick in seine grün-blauen Augen verriet mir, dass ich es einfach nicht schaffte, ihn vom Rechten zu überzeugen. Also küsste ich ihn. Gleichzeitig öffnete ich meinen Geist und drang bis zu seinem vor, die Ablenkung und den Überraschungsmoment nutzend. Und wenn mich nicht schon seine süßen Lippen fast umgehauen hätten, dann wäre es die mentale Begegnung.

Als hätte man mich an ein Ladegerät gestöpselt, floss neue Energie durch meine Adern und brachte meine Haut zum Glühen. Wie ein kaltes Radler an einem heißen Sommertag, prickelnd und erfrischend herb, beflügelte sie mich, sodass ich kaum aufhören konnte, von ihr zu kosten. Dennoch zwang ich mich dazu, schließlich hatte ich ein tiefgründigeres Anliegen.

Ich führte seinen Geist mit mir, als hätte ich ihn an die Hand genommen und brachte ihn zu der Stute, die aufgeregt wieherte. Langsam ließ ich sie auf mentaler Ebene einander berühren, hörte, wie Arcir scharf Luft holte, spürte das Wohlwollen des Tieres, dass es uns gewähren ließ. Sobald wir den Geist des Fohlens gestreift hatten, lotste ich uns zurück und öffnete die Augen. Kaum hatte ich mich von meinem Laidarer gelöst, gaben seine Beine nach. Sofort fing ich ihn auf und sah ihn besorgt an.

„Alles okay?“

Arcir hielt den Blick gesenkt und nickte schwach, hielt sich aber weiterhin zitternd an mir fest.

„Warum hast du aufgehört?“, fragte er kurz darauf leise.

„Wenn ich gewusst hätte, dass es dich so umhaut, hätte ich dich gar nicht erst auf die mentale Ebene mitgenommen. Und davon mal abgesehen hätten wir das Wichtigste verpasst.“

Grinsend deutete ich auf die Stute, deren Fruchtblase geplatzt war und wo schon die ersten Beinchen zum Vorschein kamen. Arcirs Augen weiteten sich und sein Griff um meine Unterarme wurde fast schmerzhaft. Ich hingegen genoss seine Berührung und beobachtete fasziniert dieses natürliche Schauspiel.

Nach dem die Beine erstmal draußen waren, folgte der Rest relativ schnell und vor uns lag, nass und blutverschmiert, ein frisch geborenes Fohlen. Die Stute beschnupperte ihr Kleines zufrieden und leckte es systematisch ab. Und schon nach kurzer Zeit versuchte das Pferdchen aufzustehen, machte ein paar unsichere Schritte auf Mamas Zitzen zu und nuckelte dann schwanzwedelnd und zufrieden daran rum.

Über das ganze Gesicht strahlend, lehnte sich mein Laidarer an die Wand und war sichtlich erleichtert. Ich gönnte allen noch ein paar Minuten Ruhe, bis ich mit Arcir zusammen warmes Wasser holte, um die Box der Stute zu säubern. Erst als wir frisches Heu ausgelegt und die Tiere mit Futter versorgt hatten, gingen wir selbst ins Waschhaus, um uns zu reinigen.

Zum Glück lagen dort immer frische Tuniken aus, weshalb ich mir eine neue schnappte und gleich meine alte sauberschrubbte und aufhing. Seltsam vertraut und mit einer angenehmen Leichtigkeit, gingen Arcir und ich nebenher, auf dem Weg zur Küche, in der Hoffnung noch etwas abgreifen zu können.

Doch kurz davor hielt mich mein Laidarer am Arm fest und schaute mich mit einer Mischung aus Unsicherheit und Ernst an. Ein paar Mal holte er Luft und setzte zum Sprechen an, brach aber gleich wieder ab, als hätte er vergessen, was er sagen wollte. So durcheinander, wie er gerade wirkte, war doch sonst immer nur ich.

„Entschuldige“, brach es dann endlich aus ihm heraus und gleich darauf versuchte er, sich an mir vorbei zur Küche zu drängeln. Verwirrt hielt ich ihn auf.

„Jetzt warte doch mal. Wie meinst du das?“

Aufmüpfig sah er zu mir auf, als würde ich genau wissen, was er meinte. Da ich wusste wie launig Arcir sein konnte, ließ ich ihn seufzend los, um den Bogen nicht allzu sehr zu überspannen.

„Wir haben wohl beide etwas überreagiert“, meinte ich achselzuckend. „Fakt ist jedoch, dass ich dich mag und dass nicht nur als guter Freund. Du solltest dir lediglich darüber im Klaren werden, wie es in dieser Hinsicht bei dir aussieht.“

Okay, ich hatte es ausgesprochen, klar, unmissverständlich und direkt. So ruhig wie ich mich gab, war ich nicht im Geringsten. Mein Herz klopfte wie wild und auch auf Arcirs Wangen zeichnete sich leichte Röte ab. Seine Unsicherheit allerdings spürte ich überdeutlich. Zwar schien er nicht abgeneigt zu sein, aber so richtig entscheiden konnte er sich auch nicht. Um das Ganze zu entschärfen, winkte ich grinsend ab und nickte zur Tür.

„Aber jetzt lass uns erstmal was essen, sonst sterbe ich noch vor Hunger.“

Erleichtert lächelte nun auch Arcir und gemeinsam betraten wir die Küche. Die Dame an der Feuerstelle begrüßte den Laidarer fast schon überschwänglich und drängte uns zu zwei Stühlen an einem schmalen Tisch. Sofort standen dampfende Schüsseln mit Eintopf vor uns, samt einer dicken Brotscheibe und großen Bechern mit Wasser.

Ihrer Meinung nach ließ sich Arcir hier viel zu wenig blicken, dabei hatte er als Kind gerne hier gespielt. Dem Laidarer war es zwar peinlich, wie die gut beleibte Frau mit der Haube auf dem Kopf, einen Schwank aus seiner Jugend nach dem Anderen erzählte. Ich dagegen amüsierte mich köstlich.

Ein paar Mal verschluckte ich mich vor Lachen, worauf Arcir mir einen bösen Blick zuwarf. Doch als ich sanft seine Hand nahm und diese zärtlich küsste, wurde er wieder versöhnlicher. Nach und nach verwandelte sich seine Unsicherheit in Unglauben. War es denn so erstaunlich, dass ich ihn mochte, oder überraschte ihn meine schlichte Hartnäckigkeit?

Gesättigt von dem kräftigen Mahl, traten wir gemeinsam hinaus in die angenehme Nacht, welche zwar warm, aber nicht drückend war. Ich wollte mich gerade von Arcir verabschieden, als er mich schüchtern aufforderte, ihm zu folgen. Wieder landeten wir auf dem Dach des Tempels, blickten nur dieses Mal auf die Stadt hinab. Hätte ich vorher gewusst, dass es noch einen bequemeren Weg hier herauf gibt, hätte ich mich beim letzten Mal bestimmt nicht so abgemüht.

Mutiger geworden setzte sich Arcir dicht neben mich und schaute ganz kurz prüfend auf meine Hand. Ich lächelte in mich hinein und verschlang meine Finger in seine. Der Atem des Kleineren erhöhte sich kurz und er blickte dermaßen starr auf die Häuser hinab, dass mir seine Aufgeregtheit fast leid tat.

„Du scheinst gerne hier oben zu sein“, versuchte ich ihn ein wenig abzulenken. Er entspannte sich wirklich etwas und lächelte leicht.

„Hier ist es nicht so hektisch“, antwortete er leise, sah kurz zu mir und gleich wieder weg. Wild und angriffslustig fand ich ihn ja schon heiß, aber so schüchtern und unsicher war er fast noch heißer.

Egal wie sehr ich mich auch zusammen riss, irgendwann konnte ich mich einfach nicht länger zurückhalten, beugte mich etwas zu ihm herab und roch genießerisch an seinem Haar. Kurz versteifte sich Arcir und sah mich fast schon ängstlich an. Doch als ich ihn nur lieb anlächelte und mich wieder der Stadt zuwandte, wich die Anspannung aus ihm. Klar würde ich liebend gerne über ihn herfallen, aber ich wusste, dass das gerade absolut nicht drin war.

Keine Ahnung wie lange wir so schweigend dasaßen. Irgendwann sackte Arcirs Kopf auf meine Schulter und wenig später war er fest eingeschlafen, wie damals auf der Lichtung. Schade war nur, dass ich ihn aus dieser Position nicht so gut beobachten konnte. Also schloss ich die Augen und begann mich zu konzentrieren. Das letzte Mal hatte es schließlich auch super funktioniert, wenn auch gänzlich unbewusst.

Meine Gefühle konnte ich momentan super einordnen, schließlich saß mein Kleiner friedlich schlummernd neben mir. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, spürte ich sacht meine Energie fließen und teleportierte uns in mein Zimmer. Auch dieses Mal klappte es einwandfrei.

Lag es wirklich nur an Yanar, der mir erklärt hatte, wie ich was machen musste? Oder lag es doch an dem Laidarer, der mir meine Gefühle überdeutlich bewusstmachte? Vorerst war es mir total egal. Sacht bettete ich Arcir auf die Lacken, zog ihm die Schuhe aus und deckte ihn etwas zu. Kaum dass ich neben ihm lag, überkam mich eine angenehme Müdigkeit, der ich mich gerne hingab.

Mitten in der Nacht weckte mich Arcir, wohl eher aus Versehen, als er erschrocken hochfuhr.

„Schlecht geträumt?“, fragte ich gähnend und setzte mich auf. Der Mond erhellte nur schwach das Zimmer, weswegen ich den Laidarer kaum erkennen konnte, dennoch spürte ich seine Unruhe. „Hey, es ist alles okay“, sagte ich müde, küsste ihn auf die Wange und zog ihn zurück aufs Bett. „Du kannst beruhigt schlafen, ich bin ja da“, plapperte ich schwach und düselte langsam wieder ein.

Am nächsten Morgen wachte ich recht früh auf. Die Luft, welche durch das offene Fenster wehte, war kühler als sonst und als ich langsam die Augen öffnete merkte ich, dass die Dämmerung erst eingesetzt hatte. Arcirs starrer Blick, der auf mir ruhte, hatte sich bis in meine Träume geschlichen und holte mich langsam aber unerbittlich aus der süßen Unbeschwertheit.

„Na du. So früh schon munter?“, fragte ich müde und rieb mir über die Augen. Doch als ich in seine schaute, erkannte ich rote Adern, die deutlich herausstachen. „Konntest du überhaupt noch mal einschlafen?“ Mühsam richtete ich mich auf und musterte ihn besorgt, wie er sacht den Kopf schüttelte. „Wieso hast du mich denn nicht geweckt?“, fragte ich mit leichtem Vorwurf.

„Du warst so schnell wieder eingeschlafen… und sahst dann so friedlich aus“, antwortete der Laidarer leise und zuckte mit den Schultern.

„Dummkopf“, schalte ich ihn liebevoll und küsste ihn auf die Wange. „Das lag nur daran, weil du hier bist, in meiner Nähe. Aber ich habe auch nichts dagegen, mit dir die Nacht durchzumachen“, schob ich hinterher und funkelte ihn anzüglich an. Das leichte Rot, welches sich auf seine Wangen ausbreitete, stand ihm außerordentlich gut.

„Und warum hörst du dann immer auf?“, fragte er trotzig, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich im Sitzen soweit zurück, dass er mit dem Rücken bequem an der Wand lehnte.

Die Worte kamen mir bekannt vor, trotzdem wusste ich nicht, was er damit meinte, was mir wohl auch anzusehen war. Sein Gesicht begann wie Feuer zu glühen und ich konnte ihn gerade noch so davon abhalten, aufzuspringen und wegzulaufen. Ich bekam ihn am Handgelenk zu packen und warf ihn schwungvoll zurück aufs Bett. Damit der Kleine so eine dämliche Aktion nicht noch einmal versuchte, setzte ich mich einfach rittlings auf ihn und fixierte nach einem kurzen Kampf seine Arme neben seinen Kopf.

„Ich wiederhole mich in dieser Hinsicht nur ungern, aber ich mag es nicht, wenn du vor mir wegläufst.“ Ernst schaute ich auf ihn hinab, wobei Arcir wie ein gehetztes Tier aussah. Wieder kaute er unbewusst auf seiner Lippe und schien sich nicht entscheiden zu können, ob er nervös oder verärgert sein sollte. „Und hör auf damit“, mahnte ich sanft, ließ ihn los und fuhr leicht mit den Daumen über seinen Mund.

Es war unbeschreiblich, wie einladend das alles ausschaute. Und als er dann noch diesen öffnete und neckend in meinen Finger biss, war es fast schon zu viel.

Scharf holte ich Luft, als eine heiße Welle der Erregung mich durchflutete. Schnell ließ ich von Arcir ab und setzte mich neben ihn, bevor meine mühsam aufrecht erhaltende Selbstbeherrschung komplett zusammenbrach. Jetzt war ich es, der sich nervös durch die Haare fuhr. Langsam richtete sich der Laidarer auf und blickte starr auf seine Füße. Bildete ich mir das nur ein oder wirkte er enttäuscht?

„Genau das meinte ich“, flüsterte er fast. „Jedes Mal wenn wir uns annähern, wendest du dich von mir ab. Auf der Lichtung, in der Höhle, gestern Abend. Bin ich denn so langweilig, dass es einschläfernd ist? Oder…“ Er rang sichtlich mit sich, überhaupt noch weitersprechen zu können. „… oder stößt dich meine Erscheinung so sehr ab?“

Fassungslos starrte ich ihn mit offenem Mund an. Was redete der Kleine denn da für einen Blödsinn??? Mir war klar, dass keines meiner Worte ihn von etwas anderem überzeugen konnte. Dafür kannte ich ihn mittlerweile zu gut. Er brauchte Taten als Beweis. Also langte ich nach seiner Hand und legte diese in meinen Schritt.

„Fühlt sich das etwa so an, als ob ich dich abstoßend finde?“

Arcirs Augen wurden riesig ob der Härte.

„Aber …“, begann er zu stammeln, was ich mit einem zärtlichen Kuss unterbrach.

„Nichts aber. Du bist das ansehnlichste und begehrenswerteste Geschöpf, was mir in meiner und dieser Welt je begegnet ist. Doch das gibt mir noch lange nicht das Recht, einfach wild über dich herzufallen“, erklärte ich liebevoll und streichelte mit beiden Händen über seine Wange. Er hielt meine Unterarme fest umklammert und fast glaubte ich, ein leichtes Zittern seinerseits zu spüren.

„Und was wäre, wenn ich es dir einräume?“, fragte Arcir mit belegter Stimme, kaum fähig, mich dabei anzuschauen.

„Wenn du mir was einräumst?“ Kurzzeitig stand ich echt auf der Leitung. Ich war es einfach nicht gewohnt, am frühen Morgen tiefgründige Gespräche zu führen. Mein Laidarer lief dermaßen rot an, dass ich etwas schmunzeln musste.

„Das Recht, wild über mich herzufallen.“

Noch nie zuvor hatte ich Arcir so kleinlaut und unsicher erlebt. Und dann diese Worte … Mein Herz setzte für einen Moment aus, nur um im Nächsten doppelt so schnell zu schlagen.

„Dann könnte ich mich nicht mehr zurückhalten“, hauchte ich heißer und schluckte trocken. Ich hatte diesen Typen noch nicht mal richtig angefasst und doch fühlte ich mich schon jetzt einer erlösenden Ohnmacht nahe.

„Dann tu es nicht … dich zurückhalten.“

Arcirs Säuseln lullte mich angenehm ein und ließ mich jeden Vorsatz, es ruhiger anzugehen, vergessen. Langsam beugte er sich zu mir und als sich dieses Mal unsere Lippen trafen, glich es einem erregenden Feuerwerk, welches sich in meinem Inneren ausbreitete.

Mutig geworden, schob der Laidarer seine Zunge zwischen meine Zähne und begann zaghaft, dann immer fordernder mit meiner zu spielen. Ich genoss seine Zuwendungen in vollen Maßen, leckte, knabberte und saugte an seinen Lippen, bis diese leicht anschwollen und rot glänzten. Ungeduldig zerrten wir uns die Hemden vom Laib, doch als sich mein Kleiner an der Hose zu schaffen machte, hielt ich kurz inne.

„Arcir, du glaubst gar nicht wie lange und wie sehr ich mich hier nach sehnte.“ Es fiel mir wahnsinnig schwer, meinen Atem zu beruhigen und überhaupt, wenn auch nur kurz, von dem Anderen abzulassen. „Ich will nur nichts überstürzen oder dich zu etwas drängen. Dafür bist du mir viel zu wichtig.“

Der Laidarer hatte seine Stirn an meine gelehnt und atmete genauso unregelmäßig wie ich.

„Lucian“, seufzte er zittrig und als er mir direkt in die Augen schaute und mich dieses wilde Funkeln traf, zog es dermaßen in meiner Körpermitte, dass ich Mühe hatte, mich zurückzuhalten. „Halt die Klappe und küss mich weiter!“

Pfeif auf die guten Vorsätze. Dieser Aufforderung konnte ich einfach nicht widerstehen. Keine Minute später lagen wir komplett nackt und eng umschlugen auf meinem Bett, in den wildesten Kuss vertieft, den ich je erlebt hatte. Ich fühlte mich wie im Rausch, was nicht nur daran lag, dass Arcirs pralle Männlichkeit sich stetig an meiner rieb.

Wie von selbst berührte ich seinen Geist, der sich mir bereitwillig öffnete. Nur langsam tastete ich mich vor, doch sofort umströmte mich diese reine Energie, die mein ganzes Sein zum Vibrieren brachte. Genau wie beim ersten Mal lockte sie mich, wie ein kühles Getränk in der Sommerhitze.

Dieses Mal widerstand ich nicht. Vorsichtig nahm ich einen kleinen Schluck, lediglich um die Lippen zu benetzen. Im selben Moment griff Arcir in unsere Mitte und presste uns aneinander. Ihm im Geiste so nahe zu sein und nun noch seine Hand auf meinem bestes Stück zu spüren, war einfach zu viel.

Ein heftiger Orgasmus schüttelte mich regelrecht durch und vor meinen Augen blendete mich grelles Weiß, egal wie sehr ich die Lider zusammenpresste. Keine Ahnung wie sich Ecstasy auswirkte, aber ich fühlte mich komplett der Welt entrückt, wie high.

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis ich wieder klar sah. Arcir lag neben mir und musterte mich neugierig, die Lippen und Wangen noch immer vom Akt gerötet. Erleichtert stelle ich fest, dass auch er seinen Höhepunkt gefunden hatte, so feucht wie es sich zwischen uns anfühlte. Mich ärgerte es tierisch, dass ich dies verpasst hatte, nur meiner Neugier halber.

„Was war das?“, fragte ich leicht außer Atem.

„Ich habe dir etwas von meiner Energie abgegeben“, antwortete mein Laidarer, als wäre es das Normalste der Welt.

„Nein.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ein paar Mal habe ich mir schon Kraft ‚ausgeliehen‘, aber so fühlte es sich bisher nie an.“

Verlegen zuckte der Kleinere mit den Schultern und vergrub sein Gesicht in meine Halsbeuge. „Ich wirke halt so auf den Anführer der Auserwählten. War es etwa nicht erfüllend? Oder fühlst du dich noch nicht genügend gestärkt?“

Schmunzelnd ließ ich meine Magie fließen, tauchte so ein Handtuch ins Wasser und ließ es in meine Hand schweben. Ohne Hast bereinigte ich unseren Gefühlsausbruch und berührte dabei den Laidarer mehr als nötig, worauf sich eine leichte Gänsehaut auf seinen Körper ausbreitete. Bei den Göttern, ich hatte noch lange nicht genug.

„Arcir“, sanft strich ich ihm das Haar hinters Ohr. „Natürlich war es erfüllend.“ Ich deutete auf das Handtuch und warf es dann beiseite. „Aber ich möchte doch nicht mit dir schlafen, um Energie zu erhalten. Klar, es war auf ungewohnte Weise der Hammer. Dennoch will ich nicht von einer fremden Kraft abgelenkt werden.

Ich will dich genießen, dich spüren, dich hören, wie du vor Verzückung aufschreist und dich sehen, wenn dein Laib sich unter meiner süßen Folter windet. Besonders dann, wenn du die prickelnde Schwelle übertrittst und in ungeahnte Sphären katapultiert wirst. Ich will dich! Keine Ersatzdroge.“

Je mehr ich mein Geständnis expliziter ausführte, desto mehr begann mein Kleiner zu zittern und auch andere Körperteile von ihm zeigten Gefallen an meinen Worten. Ich war selbst von mir überrascht, wie viel sexuelle Fantasie ich entwickeln konnte und wie sehr mich die bildliche Vorstellung davon anmachte.

Mit liebevollem Zwang nötigte ich Arcir dazu, mich wieder anzuschauen. Ängstlich blickte er zu mir auf, aber dennoch spürte ich seine Neugierde, die zum Schluss überwog. Verlangend presste er seine Lippen auf meine und schmiegte seinen Körper dicht an mich, dass mir schier die Luft wegblieb.

Behutsam drängte ich ihn auf den Rücken, küsste mich an seinem Ohr entlang, über die Halsbeuge, zum Schlüsselbein, bis zur Brust. Dort verweilte ich etwas länger und entlockte meinem Laidarer die ersten, süßen Töne. Langsam glitt ich weiter hinab, streichelte ihn zärtlich über die Seite bis zum Becken und knabberte mich Richtung Bauch.

Spielerisch umkreiste meine Zunge seinen Nabel und erst als er vor Erwartung zitterte, umschloss ich ihn komplett mit den Lippen. Götter, er schmeckte so wahnsinnig gut, dass ich gar nicht mehr aufhören wollte, ihn zu kosten. Arcir indes hatte sich in das Kopfkissen verkrallt und stöhnte lustvoll auf. Seine Augen öffnete er nur in den kurzen Pausen die ich ihm gönnte, um ein wenig runter zu kommen.

Aus fiebrigen Pupillen blickte er zu mir hinab und bettelte stumm um Erlösung. Unter anderen Umständen hätte ich ihm diese noch lange nicht gegeben. Aber nach dem ganzen Hin und Her hielt ich es selbst kaum mehr aus. Mit Hilfe einer Fettcreme und weiteren Liebkosungen bereitete ich meinen Kleinen soweit vor, bis er mich ungeduldig zu sich raufzerrte und mit einem fahrigen Kuss zu verstehen gab, dass er längst bereit war.

Langsam, um ihm auch ja nicht all zu weh zu tun, drang ich in Arcir ein, bis ich ihn komplett ausfüllte. Ich verharrte einen Moment, damit wir uns beide aneinander gewöhnen konnten, er an die Größe und ich an die warme Enge.

„Alles okay?“, fragte ich besorgt, als der Laidarer fest die Augen zusammenpresste und das Gesicht verzog. Um meinen bohrenden Blick zu entkommen, legte er einen Arm übers Gesicht, was mich total irritierte. Als ich mich jedoch nach vorn beugte, um diesen wegzuziehen, hielt mich Arcir panisch an den Armen fest.

„Nicht bewegen!“, presste er knapp hervor, worauf ich ihn beunruhigt musterte.

„Tu ich dir weh? Wir können auch ein anders mal…“, begann ich, wurde jedoch durch sein wildes Kopfschütteln unterbrochen.

„Es ist nur … so gut. Als wenn mein ganzer Körper zerspringen will …“

Erleichtert atmete ich aus, auch wenn ich sah, dass ihm die Worte schwerfielen. Ein diabolisches Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Wenn er das schon gut fand … Ich verlagerte mein Gewicht nach vorn, hob seine Hüfte an und hauchte ihm vorher einen Kuss auf den Mund.

„Dann lass dich fallen, mein Herz.“

Arcirs Augen wurden riesig, als ich mich langsam zu bewegen begann. Dann schloss er sie, von süßen Qualen gepeinigt und schenkte mir Klänge, die lustvoller nicht sein könnten. Abermals versank ich in einem Rausch, nur von ganz anderer Art. Dieser wundervolle Körper unter mir, glänzend vom Schweiß der Anstrengung, zuckend und sich windend vor Erregung. Dieser süße Duft von Honigmelonen und einer herben Männlichkeit, brachte mich komplett um den Verstand.

Ich packte Arcirs Hüfte fester und versenkte mich immer schneller, immer tiefer in meinem Gegenpart, bis der Höhepunkt unaufhaltsam über uns hereinbrach. Arcirs erlösender Schrei hallte noch lange in mir nach und seine zuckenden Nachwehen waren fast schon zu viel. Erst als er ganz ruhig da lag, glitt ich widerwillig aus ihm raus, säuberte uns kurz und zog ihn dann so dicht wie nur möglich an mich ran.

Der Laidarer legte kuschelbedürftig seinen Kopf auf meine Brust und umklammerte mich dann regelrecht, was ich mit einem zufriedenen Grinsen hinnahm. Um wirklich Ruhe zu finden, waren wohl wir beide von den letzten Ereignissen zu aufgewühlt, als das wir hätten schlafen können. Jetzt, da die niederen Bedürfnisse gestillt waren, brannten einige Fragen in mir auf und Arcir schien darauf schon zu warten.

„Was genau willst du wissen?“, fragte er leise und hauchte mir einen Kuss auf die Brust. Nachdenklich strich ich ihm durchs Haar und begann, sacht über seine Halsbeuge zu kraulen.

„Hast du wirklich auf jeden Auserwählten diese aphrodisierende Wirkung?“

Ich spürte, wie er lächelte.

„Mit euch bin ich bisher nur drei Gruppen begegnet und keiner von denen war bisher so empfänglich wie du. Meine Energie wirkt nur auf den Führer der Auserwählten sehr intensiv, wenn ich diese abgebe. In welche Richtung das führt, kommt darauf an, in welchem Verhältnis ich zu ihm stehe. Mit der Ersten verband mich Freundschaft und vor dem Zweiten bekam ich zum Ende hin immer mehr Angst, obwohl ich ihn sehr mochte.“

Mein Herz krampfte sich zusammen, als ich das letzte hörte. Nicht nur Eifersucht kam in mir hoch, sondern auch das tiefe Bedürfnis, Arcir vor allem Bösen beschützen zu wollen. Ich drückte ihn fest an mich und hauchte einen Kuss auf seine Stirn.

„Magst du mir mehr erzählen?“, fragte ich sanft, worauf mein Kleiner sich spürbar versteifte. Er wurde arg unruhig und schien intensiv mit sich zu ringen. Als ich schon nachgeben und auf ein anderes Thema zu sprechen kommen wollte, fing er sich wieder.

„Frag Yanar. Ich mag es nicht nochmal durchleben müssen, wenn auch nur in Gedanken. Er weiß jedoch über alles Bescheid, besser als in den Büchern geschrieben steht.“

Yanar? Warum gerade er? Da ich unsere Zeit nicht mit düsteren Gedanken verschwenden wollte, lenkte ich ab.

„Dein Onkel ist komisch“, gab ich kund, worauf Arcir belustigt gluckste.

„Du untertreibst maßlos. Die meisten behaupten, er hätte bei der letzten Schlacht seinen Verstand verloren. Aber wenn du mich fragst, war er schon immer so.“

„Er ist anmaßend!“, machte ich weiter meinem Ärger Luft und Arcir lachte abermals. An diesen schönen Laut könnte ich mich wirklich gewöhnen.

„Er fordert die Leute gerne heraus und treibt sie bis zum Äußersten. Leider hat er damit immer Erfolg und sie werden sich ihrer besser bewusst, als bei jedem mentalen Training.“ Mein Laidarer schien aus Erfahrung zu sprechen, was mich hellhörig machte. Doch ich hielt mich zurück, schließlich wollte und konnte er nicht über alles reden.

„Bleibst du jetzt immer bei mir über Nacht?“, fragte ich nach einer Weile der Stille vorsichtig. Als er antwortete, klang Arcir amüsiert.

„Gerne, wenn du magst sogar über den Tag hinweg.“

Lächelnd stemmte er sich hoch und schaute mich aus funkelnden Augen an, dass es mir ganz anders wurde. So viel Zuneigung, auf geistlicher wie auf körperliche Ebene, habe ich bisher für noch niemanden empfunden. Wieder begegneten sich unsere Lippen, auf eine spielerische, erotische Weise, was auf jeden Fall nach mehr schmeckte, wenn nicht gerade jemand hart an unsere Tür klopfen würde.

„Hey ihr beiden! Schält euch endlich aus den Federn. Sahina hat eine Zusammenkunft einberufen. Scheint wohl wichtig zu sein, also los!“

Genervt verzog ich die Nase, worauf Arcir mich kichernd küsste. Dann stand er auf, benutzte kurz die Waschschüssel und zog sich hinterher an. Ich konnte nicht anders, als ihn zu beobachten. Seine etwas zu schlanke Gestalt, das Spiel der Muskeln, welche sich deutlich auf der Haut abzeichneten, dieser einmalig knackige Po, der verführerisch vor mir hin und her wippte.

Erst als ich einen Schwall Wasser ins Gesicht bekam, erwachte ich aus den Tagträumen und trocknete mich ab. Den rügenden Klappser auf sein wohlgeformtes Hinterteil, konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. Frisch gewaschen und fertig angezogen, verließen wir beide das Zimmer und trafen Juli, die mit verschränkten Armen und genervtem Gesichtsausdruck auf uns wartete.

„Man, ihr Homos braucht echt länger als jede Frau!“, meckerte sie freundschaftlich und rollte grinsend mit den Augen, als sie unsere strahlenden Gesichter bemerkte. „Und bitte, seid beim nächsten Mal etwas leiser. Ich kann mir nen besseren Weckton vorstellen, als Rumgestöhne.“

Damit ließ sie uns stehen und stapfte Richtung Sahina davon, während wir peinlich berührt komplett rot anliefen. Egal, somit war es wenigstens amtlich. Arcir und ich gehörten zusammen, mag noch kommen was wolle. Ich schnappte mir die Hand meines Kleinen und zog ihn hinter mir her. Zuerst schien er überrascht, weil ich so öffentlich Besitz von ihm ergriff. Dann lächelte er mich schüchtern an und umklammerte meine Hand fester.

Selbst als wir Sahinas Zimmer betraten und uns alle groß anschauten, ließ ich nicht locker, grüßte höflich und ging mit Arcir in die Mitte, wo ein riesiger Tisch stand. Auf diesen hatte man eine gleichgroße Karte ausgebreitet, auf der kleine Figuren verteilt standen. Noraylia und Laidaron waren detailgetreu abgebildet, samt Teile von angrenzenden Ländern.

„Es ist also soweit“, sagte Arcir ernst, mit einer Briese Trauer. Sahina nickte starr und deutete auf verschiedene Stellen der Landkarte.

„Wie Späher berichten, haben sich erste feindliche Truppen in Bewegung gesetzt. Die laidarische Armee wurde informiert und macht sich ebenfalls auf dem Weg. Dieses Mal werden wir uns hier sammeln, um uns gemeinsam zu koordinieren. Tarin, du führst unsere Soldaten an und bereitest alles für den Marsch vor. Lass dir von Juliana helfen, damit sie noch letzte Erfahrungen mit unseren Leuten sammeln kann.

Kalen, du wurdest als Heerführer berufen. Du bist unsere Verbindung zwischen den anderen Führern und dafür verantwortlich, die oberen Befehle für uns umzusetzen. Nimm Rayka und Shawn mit zu den großen Besprechungen. Ihr Wissen um Strategie und Völkerkunde wird mehr als nur hilfreich sein.

Rayka, euch bitte ich, mit Philip die Versorgung der Verwundeten zu übernehmen. Aber bitte beschränkt alles auf das Nötigste. Zwar steht euch Shawn als Magiebegabter zur Seite, aber seine Kräfte sind nicht unendlich.“

Die ehemalige Königin nickte hoheitlich und fixierte dann mich.

„Seine vielleicht nicht“, meinte sie bedeutungsvoll, worauf alle Augen auf mir ruhten. Als ich lediglich die Stirn runzelte, hob sie arrogant eine Braue. „Ihr habt euch doch verbunden. Ein jeder Auserwählter konnte es überdeutlich spüren.“

Shawn warf mir einen entschuldigenden Blick zu, als könne er nichts dafür und auch Phil und Juli schauten ertappt zu Boden. Dann begriff ich endlich. So wie der Heiler es gemerkt hatte, als ich mich verletzte, musste er natürlich auch mitbekommen, wenn es mir überragend gut ginge, schließlich war die Verbindung zwischen uns durch die Perlen der magischen Kette sehr stark. Davon mal abgesehen war die Wirkung von Arcirs Energie auf mich überwältigend. Trotzdem verschränkte ich trotzig die Arme vor der Brust und blickte Rayka kalt an.

„Ja, haben wir, obwohl es euch überhaupt nichts angeht. Aber ich werde Arcir nicht anrühren.“

Ihr blieb tatsächlich der Mund offen stehen. Sahina fing sich als Erste wieder.

„Lucian. Es ist von größter Wichtigkeit, dass…“ Weiter ließ ich sie nicht aussprechen.

„Ich werde Arcir nicht wie ein Vampir aussaugen, nur um ein bisschen mehr Energie zu haben. Ihr sagtet einst selbst, dass in mir eine enorme Macht schlummert und dank dem grenzwertigen Unterricht Yanars, weiß ich nun, diese einzusetzen.“

„Lucian“, mein Laidarer berührte mich auffordernd an der Schulter, damit ich ihn ansah. „Fakt ist, dass meine Energie für dich von großem Nutzen sein kann, also bleibe ich an deiner Seite.“

Ich wollte schon widersprechen, als er mir mit seinen Fingern den Mund verschloss.

„Außerdem kenne ich ein paar Schleichwege, die zur Höhle führen. Nur dort, wo die Kette geschmiedet wurde, kann ihr Herz erscheinen und so viel Kraft freisetzen, um den noraylischen König endgültig zu besiegen.“

Mir war deutlich bewusst, dass ich meinen Kleinen nichts ausreden konnte, dafür hatte er einen viel zu großen Dickschädel. Also gab ich seufzend nach und wir berieten weiter, was noch alles zu tun sei und wie wir wo vorgehen wollten. Yanar führte mit meiner Unterstützung die magischen Truppen an, trotz Proteste von außen. Ich schien wohl nicht der Einzige zu sein der fand, dass er durchgeknallt war. In drei Tagen sollte es losgehen, die letzte Reise zur größten Schlacht, die meine Klassenkameraden und ich je beschreiten würden.

Ich stand draußen vor der Tür, um frische Luft zu schnappen. Mein Kopf schwirrte von den ganzen Vorbereitungen und mögliche Taktiken, dass ich einfach eine kurze Pause benötigte. Rayka ging es wohl genauso, denn kopfreibend trat sie ins Freie und atmete tief durch. Als sie mich sah, wollte sie sich schon abwenden, doch ich hielt sie auf.

„Bitte wartet.“

Widerwillig drehte die junge Frau sich zu mir und schaute mit gehobener Nase auf mich herab. Geflissentlich übersah ich die offensichtliche Kriegserklärung, schließlich wollte ich endlich schlichtende Ruhe.

„Warum seid ihr so feindlich mir gegenüber? Wir kämpfen doch auf derselben Seite, für das gleiche Ziel!“

„Ach ja?“, schnaubte sie abfällig. „Und was genau ist euer Ziel? Was macht ihr, wenn alles vorbei und die Schlacht gewonnen ist?“

Verwundert ob der seltsamen Frage, zuckte ich die Schultern.

„Keine Ahnung. Juli und Phil wollen immer noch nach Hause, also befördern wir die Beiden erstmal heim. Shawn übernimmt mit dir und der Kleinen Noraylia, bis beide Länder sich auf einen Hohekönig beziehungsweise Königin geeinigt haben und ich reise mit Arcir ans Meer. Das wollte ich schon lange mal sehen.“

Bei meiner jugendlichen Spinnerei fiel der jungen Frau regelrecht das Gesicht ein.

„Ihr … du … Du bist der Anführer der Auserwählten und zu mehr bestimmt, als wie ein Vagabund zu leben!“

„Sagt wer?! Wenn alles vorbei ist, ist doch meine Aufgabe erfüllt. Wer weiß, ob wir unsere Kräfte dann behalten. Mal davon abgesehen, liegt mir Politik überhaupt nicht. Shawn und du seid da viel besser für geeignet.“

Hatte sie etwa wirklich geglaubt, dass ich den Thron an mich reißen wollte? Total perplex schüttelte Rayka den Kopf und begann sogar, etwas zu lächeln.

„Du bist wirklich außergewöhnlich, so, wie es alle behaupten. Verzeih mir meinen Unmut. Aber was die Zukunft betrifft, denke ich nun mal nicht mehr nur an mich.“ Bedeutsam strich sie sich über den Bauch und ich nickte verstehend.

„Sei dir meiner Unterstützung gewiss, für euch alle drei.“

Ich verbeugte mich feierlich, worauf Rayka lachte. In dem Moment stieß Shawn zu uns und musterte uns argwöhnisch, weil wir uns nicht gegenseitig an die Kehle gingen, sondern miteinander scherzten.

„Da hast du dir wirklich einen wahren Freund rausgesucht“, meinte die junge Frau amüsiert, küsste ihren zukünftigen Gatten auf die Wange und ging wieder zurück ins Zimmer.

Shawn fielen regelrecht die Augen raus, während ich ihn nur breit anlächelte.

„Yoar, manchmal ist er ganz okay. So für nen Homo“, fing der Redner sich wieder, klopfte mir kräftig auf den Rücken, bevor wir gemeinsam seiner Freundin folgten.

Es wurde allmählich dunkel, als alles soweit geklärt war und wir die Versammlung auflösten. Trotzdem fand keiner von uns wirklich Ruhe. Ein Blick in Arcirs Augen reichte um zu wissen, dass ihn die bevorstehenden Ereignisse genauso sehr beschäftigten wie mich.

In stummer Absprache gingen wir gemeinsam zu Garukt und während mein Laidarer dem Schmied bei den letzten Vorbereitungen half, arbeitete ich an meinem Dolch weiter. Es waren nur noch wenige Schritte nötig, bis zur Fertigstellung und irgendwie war es mir total wichtig, diesen mitzunehmen.

Die letzten Tage vergingen wie im Flug. Jeder hatte enorm viel zu tun und die Abende wurden gespenstig still. Arcir und ich genossen jede freie Minute und kosteten diese so intensiv wie nur möglich aus. Mein Kleiner wurde immer mutiger und übernahm immer öfter die Initiative. Mich machte das komplett wahnsinnig, denn ich verfiel ihm immer mehr.

Dieses Kribbeln im Magen war vorher ja schon übel, doch jetzt erfasste es meinen gesamten Körper, nur wenn ich Arcir von Weitem sah oder lediglich an ihn dachte. Und auch wenn der Sex mit ihm der absolute Hammer war, genoss ich die stille Zweisamkeit mit ihm am meisten.

Den Laidarer einfach nur in meine Arme zu halten, meine Nase in seine Haare zu versenken, um seinen süßen Duft tief in mir aufzunehmen, ihn verträumt zu streicheln, bis eine leichte Gänsehaut über seinen Körper kroch … Das waren einmalige Momente, die sich tief in mir verankerten.

Nur nebenbei stellten wir fest, dass ich mich nicht unbedingt mit Arcir vereinen musste, um seine Energie abzuschöpfen. Yanar verlangte gerade irgendeine bescheuerte Übung von mir ab, die mich im ersten Moment arg auspowerte. Arcir musste das gespürt haben, denn obwohl er nicht Mal anwesend war, merkte ich, wie sein Geist bei mir anklopfte und als ich ihn einließ, mich mit neuer Kraft erfüllte.

So ganz passte mir das nicht, da ich immer das Gefühl dabei hatte, meinen Kleinen auszunutzen. Aber es passierte von ganz allein, als wäre es das Normalste der Welt und mein Laidarer bestand darauf, es anzunehmen. Tja, selbst jetzt kam ich kaum gegen diesen Dickkopf an.

Ächzend setzte sich Yanar auf, den ich – rein aus Versehen natürlich – über die Wiese geschleudert hatte und klopfte sich das Gras von den Schultern.

„Zwei gegen einen ist nicht gerade fair“, meckerte er und sah mich tadelnd an.

„Ach komm schon Yan, du als mega-heftiger super Anführer der Magiergilde kannst doch so was locker ab“, zog ich ihn lachend auf und setzte mich ihm gegenüber auf den Boden.

„Gilden gibt es nur in diesen unrealistischen Rollenspielen aus deiner Welt. Ich verstehe bis heute nicht, warum eure gesamte Jugend ihre Freizeit mit so was verschwendet, wenn es doch viel schönere Sachen gibt.“ Seine zweideutigen Worte hätte ich auch ohne das anzügliche Grinsen verstanden.

„Sag mal“, begann ich ernst geworden, da mir wieder etwas in den Sinn kam. „Was war eigentlich vor sieben Jahren? Arcir wollte es mir nicht sagen, verwies aber auf dich. Du wüsstest angeblich mehr, als in den Büchern geschrieben steht.“

Yanars Blick verdüsterte sich sofort und er schaute mich dunkel an. Ich hatte wohl ein empfindliches Thema angesprochen.

„Sorry, ich wollte dir nicht zu nahe treten“, entschuldigte ich mich nach kurzer Stille, aber doch enttäuscht, nicht mehr darüber erfahren zu haben.

Als ich schon dachte, dass nichts mehr kommt, wurden seine Züge weicher und nahmen einen fast schon traurigen Touch an. Zwar kannte ich Yanar noch nicht so lange, aber in der kurzen Zeit hatte ich ihn noch nie so emotional gesehen.

„Mich wundert kaum, dass Arcir noch immer nicht darüber reden kann. Dass er allerdings annimmt, ich könnte es, fällt fast unter Anmaßung.“ Er lächelte bitter und musterte mich intensiv. „Erstaunlich ist es dennoch. Ihm ist schwerlich bewusst, dass er nicht darüber sprechen kann, will aber trotzdem, dass du alles über ihn weißt.“

Seufzend schüttelte er den Kopf und schaute dann in die Gegend, ohne etwas genau zu fixieren. Ich wagte kaum zu atmen, um ja kein Geräusch von mir zu geben, was Yanars Gedankengänge unterbrechen könnte.

„Ich reiste schon damals durch die Welten und zeigte wenig Interesse an meiner eigenen. Ich fühlte mich den Göttern machtlos gegenüber, also versuchte ich, sie zu vergessen. Bis an jenem Tag, als ich meine Nichte besuchte und SIE vor mir stand, eine der Auserwählten.

Sie kam wie die Anderen aus einer Welt ähnlich der deinen, nur alle aus einem anderen Land. So wie ihr, kannten sich die letzten Auserwählten vorher nicht. Es dauerte ewig, bis sie sich endlich aufeinander eingestellt hatten. Dennoch kam es immer wieder zu Reibereien.

Josi flüchtete immer öfter zu mir, weil sie es kaum mehr in der Nähe ihres Anführers aushielt. Sie mochte meine kleinen Spielereinen mit Licht und Feuer, weil sie als Heiler keinen Bezug zur Magie hatte. Wir kamen uns näher, zu nahe nach der Ansicht von Til.

Er behielt gern Kontrolle über alles und jeden, besonders wenn es um Arcir ging. Er hatte schnell den Dreh raus, wie der Junge ihm nützlich werden konnte. Zuerst umgarnte er ihn lediglich, schmeichelte ihm und machte ihm regelrecht den Hof. Für Arcir war alles neu. Mit seinen fünfzehn Wintern zählte er nicht gerade zu den Erfahrensten. Die Leute machen noch heute einen Bogen um ihn ob seiner Herkunft. Nur den Kindern bleibt seine besondere Aura verborgen.“

Eigentlich wollte ich Yanar nicht unterbrechen, aber dennoch tat sich eine Frage auf, die mir wichtig erschien.

„Was hat Arcirs Herkunft mit seiner Aura zu tun?“

Wieder holte der Magier tief Luft und sah mich an, als würde er überlegen, wie viel Wahrheit ich ertrug.

„Als Kalens Vater noch lebte und bei einer Schlacht um die heilige Höhle kämpfte, fand er darin einen kleinen Jungen, dessen Haut hell leuchtete. Nach und nach erlosch das Licht und vor ihm stand ein normaler Knabe von nicht mal zwei Wintern. Die Auserwählten fielen und die Schlacht war fast verloren. So brachte er den Kleinen ungesehen hinaus in Sicherheit.

Seine Frau zog ihn liebevoll auf, konnte sie nach ihrem Erstgeborenen keine weiteren Kinder bekommen. Und Kalen, der war der stolzeste Bruder von ganz Laidaron. Es vergingen sieben Jahre und Arcir wuchs zu einem fröhlichen Knaben heran, der am liebsten wild durch den Wald streifte.

Erst als abermals die Auserwählten zu uns kamen, bemerkte die Anführerin dessen wundersame Wirkung. Je näher sie sich anfreundeten, desto stärker wurde sie. Bald wurde es wie ein Rausch, dem sie sich nicht entziehen konnte. Es ging soweit, dass sie Arcir bis auf das Schlachtfeld zerrte. Doch bei dem Kleinen ging schon damals nichts unter Zwang.

Die Auserwählte starb, weil Arcir ihr unwissentlich die Energie verwehrte. Kalens Eltern wurden ebenfalls getötet, als sie ihren Ziehsohn vor den Norayliern beschützen wollten, die auf ihn aufmerksam geworden waren.

Es brauchte lange, bis Arcir wieder aus seinem Schneckenhaus gekrochen kam, in das er sich zurückgezogen hatte. Nur Sahina ist es zu verdanken, dass er überhaupt wieder mit jemandem sprach. Sie war und ist ihm eine gute Freundin. Meine Nichte machte ihm bewusst, dass er ein liebenswertes Geschöpf ist, egal von wem geboren.

Arcir verschloss sich vor allen, die er nicht näher kannte. Erst Til durchbrach sieben Jahre später die Mauer, zu unser aller Leidwesen. Allerdings schaffte er es nicht, Arcirs Herz ganz zu erobern. Er machte grobe Fehler und verletzte ihn ab und an. Irgendwann war mit Entschuldigungen nichts mehr wettzumachen, also suchte Til nach einer anderen Möglichkeit, den Jüngeren von ihm abhängig zu machen.

Wie schon gesagt war Arcir in jeglicher Hinsicht komplett unerfahren und sexuelle Energie fließt leicht und reichlich. Der Kleine war von den neuen Eindrücken so überwältigt, dass kleine Berührungen ausreichten, um ihn zu verwirren. Doch Til war unersättlich.

Kurz vor der großen Schlacht verlangte er Arcir alles ab und verfiel in einen regelrechten Rauschzustand. Er wollte noch immer mehr und war der festen Überzeugung, es nur auf einem Weg zu erhalten. Der Junge wehrte sich kaum, war viel zu entsetzt zwecks des Übergriffs und verstand überhaupt nicht, dass etwas nicht normal lief. Lydi kam mit Josi zufällig dazu.

Als das Mädchen Arcirs Tränen sah, rannte sie auf Til zu und schlug mit ihren dünnen Ärmchen auf ihn ein. Er schüttelte sie ab, wie eine lästige Fliege. Josie war schockiert. Sie konnte die Kleine gerade noch so auffangen, bevor sie schlimmer stürzte. Wütend riss Josi den Anführer von Arcir weg, bevor er richtig zur Tat schreiten konnte.

Es entbrannt ein riesiger Streit. Die anderen Beiden kamen dazu und während Arcir und Lydi in der Ecke zusammengekauert sich aneinander festkrallten und vor den Toren Bagkar der Krieg ausbrach, begannen die Auserwählten gegeneinander zu kämpfen. Sie löschten sich gegenseitig aus.

Als ich dazu kam, blickte mich Josi aus leblosen Augen an. Arcir und Lydi zitterten wie Espenlaub und starrten wie paralysiert auf die blutdurchdrängten Leichen. Ich brachte beide weg, bevor ich meine gesamte Wut an der noraylischen Armee ausließ. Rache ist leider kein guter Energielieferant. Irgendwann fühlt man sich taub und leer und so versiegte meine Kraft. Die laidarischen Soldaten vertrieben die verbliebenen Angreifer und so endete die bisher schlimmste Schlacht.“

Ich hatte Mühe alles setzen zu lassen beziehungsweise zu verarbeiten. Jetzt verstand ich auch, warum es Arcir so verwirrte, dass ich nicht auf seine Energie aus war. Bisher war er es einfach nicht anders gewöhnt. Langsam erhob ich mich. Der Drang zu meinem Liebsten zu wollen, war übermächtig.

„Danke für die offenen Worte. Dieses Mal werden wir die Schlacht für uns entscheiden, damit Josi endlich Frieden findet und du auch!“

Feierlich legte ich ihm die Hand auf die Schulter und drückte kurz zu. Yanar lächelte schmal und nickte. Er brauchte Abstand, das spürte ich. Selbst nach sieben Jahren schmerzte die Vergangenheit ihn noch immer sehr.

Mit einem mulmigen Gefühl, dass ich nicht ganz einordnen konnte, lief ich zu Garukt, da ich wusste, dass mein Kleiner ihn noch unterstützte. Schritt um Schritt wurde ich immer schneller, bis ich zum Schluss rannte. Ganz außer Atem stürmte ich die Hütte des Schmiedes, wo mich Arcir mit roten Augen erwartet.

Natürlich. Wir waren auf einer höheren Ebene miteinander verbunden. Wenn er schon spürte, wie meine Energie knapp wurde, würde er auch mein Gefühlschaos mitbekommen. Rasch überwand ich die letzte Distanz und drückte ihn dermaßen fest an mich, dass es ihm schon wehtun müsste.

Aber anstatt zu murren, klammerte er sich noch fester ran und vergrub sein Gesicht in meine Halsbeuge, damit ich seine Tränen nicht sehen musste. Das salzige Nass brannte heiß auf meiner Haut und ich ärgerte mich dermaßen, dass ich meine Gefühle nicht im Griff hatte und damit Arcir so sehr verletzte und verunsicherte, dass er weinte.

Sacht schob ich ihn so weit von mir, um sein Gesicht mit Küssen zu bedecken. Ich brauchte die Vergangenheit nicht zu erwähnen, musste ihm nicht erklären, wie leid mir alles tat, was passiert war und wie grausam ich die Rücksichtslosigkeit der Anderen fand. Er wusste es auch so. Und ich hoffte inbrünstig, dass er gleichsam spürte, wie anders, tiefer, emotionaler unsere Verbindung war.

„Ich liebe dich, Arcir“, flüsterte ich, wobei nun auch meine Lippen bebten.

Noch nie war mir diese ‚Kleinigkeit‘ so sehr bewusst, wie jetzt. Der lachte belustigt, doch als er mich endlich ansah, erkannte er die Wahrheit. Ungläubig schüttelte er seinen Kopf. Dann schlang er die Arme um mich und küsste mich überschwänglich. Mir war es Antwort genug.

Erst Garukts Räuspern trennte uns endgültig und Arcir zog mich vor Glück strahlend zu einem Tisch, wo mein halbfertiger Dolch lag. Fast schon feierlich holte er ein kleines, mit Tüchern umwickeltes, Paket hervor.

„Ein Geschenk?“, fragte ich überrascht. Mein Kleiner lächelte verlegen und zuckte mit den Schultern.

„Nur wenn es dir gefällt.“

Neugierig wickelte ich die Tücher ab, bis zum Schluss ein Schaft für meinen Dolch zum Vorschein kam. Sprachlos betrachtete ich das kunstvoll verzierte Holz aus mattem Weiß. Es lag perfekt in meiner Hand, als hätten es die Götter direkt für mich gefertigt. Ich musste dermaßen perplex ausgeschaut haben, dass Arcir es komplett falsch deutete.

„Das Holz ist aus einem besonderen Baum geschnitzt, federleicht und trotzdem sehr stabil. Wenn dir die Gravuren nicht gefallen dann…“

Weiter ließ ich ihn nicht erklären, sondern küsste ihn einfach. Erst als er sich beruhigte und sich meinen Lippen hingab, löste ich unsere Münder.

„Er ist wundervoll, genau wie du.“

Mit diesen Worten streifte ich ihm ein Geschenk über, an dem ich heimlich mit Garukt gearbeitet hatte. Arcirs Augen wurden riesig, als er den silbernen Ring am Finger betrachtete, in dessen Mitte sich kreisrund ein sogenannter Mondstein schlängelte. Auf den ersten Blick glänzte er milchig Weiß, doch auf den Zweiten sah man den Goldschimmer, welcher wie eine sanfte Welle drüber glitt.

„Ich weiß, das ist arg kitschig, aber …“ Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Wieder hatte Arcir Tränen in den Augen, aber als er mich dieses Mal küsste, war es nicht aus Angst oder Erleichterung, sondern aus tiefer Zuneigung.

Wenig später hatten wir uns beide wieder soweit unter Kontrolle, dass wir uns unserer Arbeit zuwendeten. Mein Laidarer half mir bei der Vereinigung von Schaft und Klinge. Dass man diese Verbindung auch Hochzeit nannte, machte es nicht gerade leichter. Unsere beiden Wangen brannten heiß auf, als wir das Kunststück endlich vollbracht hatten. Jetzt musste es nur noch durchtrocknen, dann konnte ich meinen Dolch morgen doch mitnehmen, wenn ich es schaffte, ihn noch ordentlich anzuschleifen.

Die letzte Nacht in Bagkar war drückend schwer. Arcir und ich liebten uns dermaßen oft und intensiv, als wäre es das letzte Mal. Dabei wollte ich allem optimistisch gegenüberstehen und nicht das Gefühl vermitteln, dass es an Abschied grenzte. Keine Ahnung wann, aber mitten in der Nacht schliefen wir doch vor Erschöpfung ein, eng umschlungen und mit Tränen in den Augen.

Es war am frühen Morgen, die Sonne erst aufgegangen, als die jungen Männer und Frauen aus Bagkar sich mit uns auf den Weg zur noraylischen Grenze machten. Selbst Sahina und Lydi begleiteten den Tross, was Kalen zähneknirschend hinnahm. Aber sie waren nun mal die Medien der Götter und ihre Pflicht, wie es die Frauen bekräftigten.

Die Reise war weniger anstrengend, als ich sie hinzu in Erinnerung hatte, und mit der gut fünfzig Mann starken Kompanie auch wesentlich länger. Wir benötigten ganze drei Nächte, in denen wir ein Lager errichten und Rundumsicherung herstellen mussten.

Juli feilte ein letztes Mal an unseren Kampftechniken und ich trainierte meine Klassenkameraden soweit, dass alle zumindest für eine kurze Zeit ein Schutzschild zustande brachten. Phil rieb unsere Waffen mit einer zur Lähmung führenden Pflanze ein, deren Extrakt wohl sehr schnell wirkte und Shawn wies uns im Gelände ein, damit wir auch den kleinsten Busch oder Erhebung für uns nutzten.

Als wir dann endlich auf das laidarische Heer trafen, war ich schier überwältigt. Zelte und Soldaten soweit das Auge reichte und überall wehte das Banner der entsprechenden Provinz, direkt neben dem Wappen von Laidaron. Das Wiehern der Pferde vermischte sich mit den Befehlen der Truppführer, die über die Ebene gebellt wurden.

Hier und da brannten kleine Feuer, über denen Eintöpfe oder Hasen schmorten und drumherum saßen Kameraden, vertieft in ihrer Arbeit, ein letztes Mal ihr Schwert zu schärfen. Ein flaues Gefühl samt einer guten Portion Aufgeregtheit machte sich in mir breit. Es wurde langsam wirklich ernst.

Gerade als wir fertig waren unsere kleinen Zelte aufzubauen, ließ man nach uns rufen. Flankiert von Sahina, Lydi und Kalen, führte man uns zu einem riesigen Zelt. Draußen prangte eine große laidarische Fahne und mehrere Wachen hatten sich davor postiert. Ungehindert ließ man uns ziehen und als wir eintraten, lief Lydi schreiend auf den älteren Mann zu, der neben Yanar stehend uns empfing.

„Opa!!!“ Freudestrahlend hüpfte das Mädchen in die weit ausgebreiteten Arme ihres Großvaters, der sie lachend auffing.

„Eure Majestät“, verbeugte sich Kalen tief.

„Vater“, begrüßte ihn Sahina mit einem höfischen Knicks, bevor sie ihn liebevoll umarmte und einen Kuss auf die Wange drückte.

Kalen erhielt einen männlich starken Handschlag und einen kräftigen Klaps auf den Rücken. Die Familie verstand sich untereinander wirklich gut und ehrte sich sehr, das spürte man sofort. Wir hingegen gingen untertänig in die Knie und verneigten respektvoll unseren Kopf, als wir gewahrten, wen wir hier vor uns stehen hatten.

„Steht auf, meine Freunde. Für Höflichkeiten ist später noch genügend Zeit, doch nun drängt sie.“ Der laidarische König hatte eine tief vibrierende Stimme, die mich sofort an einen Geschichtenerzähler erinnerte. Lydi machte sich von ihm los, stellte sich vor uns hin und reckte selbstsicher ihr Kinn.

„Eure Hoheit, wenn ich euch die Auserwählten vorstellen darf, die stärksten, mutigsten und klügsten, denen wir jemals begegnet sind: Shawn der Redner, Juliana die Kriegerin, Philip der Heiler und ihr, von den Göttern erwählter Anführer, Lucian der Magier.“ Jeder Angesprochene verbeugte sich tief, worauf der König gütig lächelte.

„Wie ich sehe, sind euch Manieren nicht fremd. Und das Feuer der Entschlossenheit brennt in euren Augen. Das lässt mich auf das Beste hoffen. Die erste Prüfung steht kurz bevor, bei der eure Anwesenheit unabdingbar ist.“

Zuerst dachte ich, dass er die große Schlacht meinte, aber Sahina belehrte mich eines Besseren.

„Es ist Brauch, dass die Führer jeder Nation sich vor dem Kampf auf neutralem Terrain treffen, um sich ein letztes Mal auszusprechen. Bisher handhabten wir es immer so, dass wir den Auserwählten anboten, den König zu begleiten. Weder sind Waffen erlaubt, noch Magie. Besondere Steine sorgen für die Einhaltung der Absprachen, denn sobald der Träger Magie wirkt oder ein Zauber auf ihn besprochen wird, verfärbt der Stein sich rot.“

Neugierig betrachteten wir die wie Opale ausschauenden Stücke, wobei mir wieder das Schmuckstück von Rayka einfiel, welches sie im Wald um den Hals trug. Jetzt wusste ich auch, was meine ‚Frequenz‘ so gestört hatte.

„Wenn ihr es wünscht, eure Hoheit, werden wir euch nicht von der Seite weichen“, verkündete ich, worauf der König zufrieden nickte. Nur Shawn hatte eine Bedingung, die mich zuerst irritierte.

„Aber nur in angemessener Kleidung!“

Er grinste Sahina breit an, die einem Diener am Zelteingang einen Wink gab. Kurz darauf kam dieser schwerbepackt wieder und überreichte jedem von uns ein Bündel mit Sachen. Mir kam es schon zu Anfang bekannt vor und als ich es auspackte, wusste ich auch warum.

Es handelte sich dabei um unsere alte Uniform aus der Zeit in Ivara, frisch gewaschen und wie neu hergerichtet. Der einzige Unterschied bestand in dem riesigen, laidarischen Wappen, welches über den gesamten Rücken und etwas kleiner vorne rechts auf der Brust prangerte. Juliana kam aus dem feiern überhaupt nicht mehr raus.

„Wenn das nicht Mal die heftigste Ohrfeige ist, die wir diesem noraylischen A… Anführer verpassen können.“ Ganz knapp erinnerte sich die Kriegerin an ihre gute Kinderstube.

„Okay und wann geht’s los?“, fragte Phil breit lächelnd.

„Jetzt“, war die knappe Antwort des Königs.

In einem Nebenzelt zogen wir uns fix um und begleiteten dann die kleine Delegation zum Treffpunkt der letzten Besprechung vor der großen Schlacht. Schmunzelnd stellte ich fest, dass die Gruppe aus den üblichen Verdächtigen bestand. Sahina mit Lydi und Kalen, Yanar, Rayka und auch Arcir hatten sich durchgesetzt, daran teilzunehmen. Ich glaube gerade die letzten Beiden wollten ein letztes Mal dem noraylischen König mit erhobenem Haupt gegenübertreten.

Das Treffen fand auf einer großen Wiese statt, die weit zu überblicken war. Genau in deren Mitte stand ein Pavillon mit weißem Stoffdach, welches im sachten Wind sich ab und an leicht aufbäumte. Jeweils in der rechten und linken Ecke wehte die entsprechende Landesflagge. Es war seltsam, aber je näher ich dem kam, desto mehr verstärkte sich dieses ungute Gefühl in der Magengegend. Arcir spürte meine innere Unruhe, nahm meine Hand und drückte leicht zu. Dankbar lächelte ich ihn an.

Auch der noraylische König hatte reichlich Gefolge an seiner Seite. Von unbekannten Gesichtern reichte es bis über Vaskir, Liskar und Meister Mowas. Während wir ein paar Schritte weiter hinten stehenblieben, trat der laidarische König direkt zu den Anderen, wo sie sich höflich voreinander verneigten.

„Wieder sind sieben Jahre ins Land gegangen und ein weiteres Mal treffen wir uns vor einer großen Schlacht. Seid ihr es nicht langsam leid, eure Gefolgsleute sinnlos sterben zu sehen?“, begann unsere Hoheit, worauf der Andere lediglich eine Braue hob und nacheinander Yanar, Rayka, mich und Arcir musterte.

„Sinnlos? Das sagt jemand, der einen Irren, einen Verräter und eine Hure an seiner Seite hat.“

Ein jeder spannte sich ob der offenen Beleidigung an, nur Yanar blieb total locker.

„Also ich würde Vaskir nicht unbedingt als Hure abstempeln, aber ein bisschen verblasst und irre fand ich ihn auch schon immer. Und das mit dem Verrat solltet ihr euch nicht so zu Herzen nehmen. Er kriecht jedem in den Arsch, der sich genügend bücken kann. Aber mit letzterem habt ihr ja eh genügend Erfahrung.“

Der noraylische König konnte Cahlur gerade noch so aufhalten, damit dieser nicht auf den Magier losging. Nur an den leichten Bewegungen der Kiefermuskeln sah man, wie sehr er selbst an sich halten musste, um seine kalte Fassade aufrecht zu erhalten. Ich biss mir derb auf die Zunge, um nicht fett zu grinsen. Der laidarische König sah seinen Bruder mahnend an und seufzte.

„Wie ich sehe, kommen wir wieder zu keiner brauchbaren Übereinkunft. Mögen die Götter und Kinder uns unsere Taten verzeihen.“

Wieder verbeugte man sich höflich voreinander und setzte an zu gehen. Doch bevor ich mich umdrehte, erhaschte der noraylische König einen Blick auf meine Finger, die noch immer mit denen von Arcir verwoben waren. Kurz sah er mir direkt in die Augen und fast dachte ich, darin Bedauern zu erkennen.

Wenig später saß ich grübelnd vor meinem kleinen Zelt und gab meinem zugeteilten Schwert den letzten Schliff. Shawn und Rayka hatte man zur Lagebesprechung abkommandiert, während Juli ein paar Angriffstaktiken mit Tarin durchging und Phil mit Sahina die Verwundetenstätte aufbaute. Arcir setzte sich hinter mich und begann gekonnt mir den Nacken zu massieren.

„Er scheint dich immer noch sehr zu beschäftigen“, stellte er sachlich fest und es war klar, wen er meinte. Allerdings klang mein Laidarer nicht eifersüchtig, sondern eher besorgt.

„Es ist für mich schwer zu verstehen, dass er einen Krieg nur aus Habgier führt. Ich meine, in meiner Welt gab es auch Tyrannen, die die eigenen Landsleute in den Tod geschickt haben, was für mich bis heute nicht nachvollziehbar ist. Aber keinem war ich bisher so nah. Im Palast in Ivara war er wirklich sehr nett und hat sich soweit um mich bemüht, wie es sein Stand zuließ.“ Verloren schüttelte ich den Kopf und legte meine Arbeit beiseite. Arcir spürte meine Hilflosigkeit und schlang von hinten die Arme um mich.

„Es ist immer schwer von jemand enttäuscht zu werden, dem man glaubte zu vertrauen oder zu mögen. Aber bitte lass dich davon nicht unterkriegen.“

Ich drehte mich soweit, dass ich meinen Schatz auf meinen Schoß ziehen konnte, und küsste ihn ausgiebig.

„Solange du an meiner Seite bist, lasse ich mich von nichts und niemanden unterkriegen.“

Erst bei dem lauten Hornruf ließen wir voneinander ab. Der Gegner machte sich kampfbereit und wollten wir diesem würdig begegnen, sollten auch wir uns entsprechend herrichten.

Es artete in einer kleinen Zeremonie aus, als ich Arcir in seine leichte Rüstung half. Draußen hatte man Kräuter in die Feuer geworfen, um die Götter milde zu stimmen und so wehte ein würziger Geruch über das Lager, vermischt mit Sandelholz, was alles bedeutungsschwanger wirken ließ.

Langsam schloss ich Arcirs ledernen Brustpanzer, überprüfte dessen Sitz, berührte und küsste ihn so oft und so zärtlich es ging. Als die Arm- und Beinschützer samt Schwertgürtel saßen, mustere ich meinen Schatz ausgiebig, was ihn sichtlich nervös machte.

„Was ist?“, fragte er genervt.

„Zieh dich aus!“ Vollkommen ernst blickte ich ihn an.

„Bitte?“ Anstatt zu antworten, zog ich ihn dicht zu mir und drückte ihm einen verlangenden Kuss auf.

„Du siehst absolut heiß aus. Erinnere mich bitte beim nächsten Mal daran, dass du das Zeug anlässt.“

Das einzige, was ich darauf erntete, war ein schmunzelndes Kopfschütteln. Geschickt half Arcir mir in meine Sachen, dann eilten wir gemeinsam zu Tarin, der mit Juli seinen Zug und uns einwies, wo wer zu stehen hatte. Aufregung machte sich nicht nur in mir breit, denn die anderen Soldaten sahen genauso unsicher aus wie ich.

Auch der Zugführer bemerkte die Unruhe und hielt daraufhin eine Ansprache, die kraftvoll und emotionaler nicht hätte sein können. Die Männer und Frauen reckten daraufhin stolz ihr Kinn, schluckten ihre Bedenken hinunter und stellten sich aufrecht hin, bereit, sich dem Unausweichlichen zu stellen.

Langsam aber doch stetig bewegte sich der Tross Richtung Tal, wo die beiden Armeen aufeinandertreffen sollten und je weiter wir den sanft ansteigenden Hang erklommen, desto lauter schlugen sich die Kameraden gegen die Brust und desto heftiger stampften sie mit den Füßen auf.

Es war wie ein Trommelschlag auf einer Galeere, stumpf und unheilschwanger, um den Gegner weitmöglichst einzuschüchtern. Dieser wartete schon auf der gegenüberliegenden Seite, der noraylische König voran, ganz in Silber und weiß gekleidet, sodass man ihn auf seinem Pferd gut erkennen konnte. Auch unser König bahnte sich einen Weg bis an die Spitze seines Heeres und ritt gemächlich die Front ab.

„Kameraden! Freunde! Meine Brüder und Schwestern! Ein bedeutungsvoller Tag ist angebrochen. Wieder stehen wir der noraylischen Armee gegenüber und wieder werden Laidarer den Abend nicht erleben. Dennoch werden wir dem mit erhobenem Haupt gegenübertreten. Denn unsere Kinder haben es verdient, in einem freien Land aufzuwachsen ohne Unterdrückung und Tyrannei! Die Götter sind auf unserer Seite! Im Namen derer, die wir lieben, im Namen der Götter! Für Laidaron!“

War er am Anfang schon laut, schrie er nun und seine Untergebenen erwiderten es nicht weniger laut. Brüllend hob er sein Schwert und gab dem Pferd die Sporen. Schreiend setzten wir ihm nach, direkt auf das gegnerische Heer zu, das sich wie eine dunkle Welle über das Tal ergoss. Erste Zauber explodierten in der Luft und Pfeile, von Langbögen abgeschossen, zischten nah an den Soldaten vorbei, noch ehe sie aufeinandertrafen.

Die erste Begegnung war hart und haute mich glatt von den Füßen. Ein Schild hatte mich frontal getroffen und vor Verblüffung vergaß ich komplett meine Verteidigung. Nur Arcir war es zu verdanken, dass ich die ersten Minuten der Schlacht überlebte. Wie ein Löwe, der seine Jungen beschützt, stellte er sich vor mich und wehrte alles und jeden ab, der mir zu nahe kam.

Schnell rappelte ich mich wieder auf und stand nun mit meinem Liebsten Rücken an Rücken. Mir widerstrebte es noch immer, Leute zu verletzen oder gar töten zu müssen. Dennoch zwang ich mich dazu, zu funktionieren. Arcir gab mir die nötige Kraft dazu, allein durch seine pure Anwesenheit. So pflügten wir uns durch die Massen, immer in der Nähe des laidarischen Königs, um ihn so gut es ging zu schützen.

Mein Liebster und ich agierten wie eine Einheit. Drehungen, Attacken und Paraden erfolgten wie einstudiert, dabei hatten wir noch nie gemeinsam gekämpft. Doch es war egal, wie sehr wir im Kampf zusammen harmonierten und wie viele Gegner wir niederstreckten, es kamen einfach immer mehr.

Was vorher auf Papier schon bekannt war, wurde nun bittere Realität. Die noraylische Armee war uns zahlenmäßig weit überlegen. Schwer atmend sah ich mich entsetzt um und sah nichts außer Leid und Tod. Der Boden war blutdurchtränkt, das verbliebene Gras hatte sich rot verfärbt und selbst die Luft roch metallisch. Arcirs Gesicht war mit Dreck besudelt und glänzte vom Schweiß der Anstrengung und dem Blut seiner Gegner.

Nein! Das musste aufhören! Sofort! Das laidarische Heer wurde immer mehr zurückgedrängt und wenn nicht bald etwas geschah, würden wir komplett überrannt. Fieberhaft suchte ich nach einer Lösung und versuchte mich nebenher der Übermacht zu erwehren. Leider gelang es Tarin weniger gut, als mir.

Er kämpfte mit Kalen dicht beim laidarischen König, um diesem den Rücken frei zu halten. Doch es waren einfach zu viele. Kaum hatte er einen Gegner besiegt, traten zwei weitere an dessen Stelle, bis er einen kleinen Fehler machte. Mit nur einem Hieb trennte man ihm den Schwertarm vom Laib, der Nächste schlitzte den Hals weit auf, sodass der Kopf unnatürlich weit nach hinten kippte.

Wie eine Fontäne spritzte das Blut aus dem toten Körper, bis dieser kraftlos in sich zusammensackte. Und während ich fassungslos dastand und die Leiche anstarrte, die mich aus leeren Augen zu verhöhnen schien, flippte Kalen total aus. Brüllend vor Wut streckte er jeden Noraylier nieder, der sich in seiner Nähe befand. Es war ein einziges Gemetzel. Erst einer gegnerischen Klinge gelang es, ihn kurz einzubremsen, die sich unaufhaltsam in seinen Bauch bohrte. Kalen schaffte es noch, den Verantwortlichen zu besiegen, bis er selbst in die Knie ging.

„NEIIIIN!“

Arcirs gellender Schrei hallte über die gesamte Ebene. Er stürmte auf seinen Bruder zu und fing ihn im letzten Moment auf, bevor dieser der Länge nach auf dem Boden stürzte. Die hoffnungslosen Tränen meines Liebsten und dessen niederschmetternde Verzweiflung löste meine Starre. Mit einem Satz war ich bei den Brüdern und teleportierte uns zum Sammelpunkt der Verwundeten.

„Philip!“

Ich brauchte nur kurz nach dem Heiler zu rufen, schon war er an unserer Seite, schließlich hatte er mein Kommen gespürt. Sofort bot ich meine Energie an, damit Kalen geheilt werden konnte. Wenig später stand dieser erleichtert auf und war bis auf weiche Knie wieder komplett gesund. Nur Sahina schien das nicht wirklich zu interessieren. Kaum war sie zu uns vorgedrungen, schlug sie wie wild auf ihren Mann ein.

„Du hast versprochen, auf dich aufzupassen, verdammt! Du hast es versprochen!!!“, schrie sie wütend, bis die Tränen ihr die Sicht nahmen und sie sich widerstandslos in Kalens Arme ziehen ließ.

Es schmerzte unglaublich, alle so angsterfüllt und traurig zu sehen. Ein kurzer Blick in Arcirs müdes und von Leid erfülltes Gesicht reichte, um zu wissen, was zu tun war.

Mit einem Wimpernschlag teleportierte ich mich zurück zur kleinen Anhöhe, von der wir hinab ins Tal gestürmt waren, und sammelte in mir die gesamte Wut, die ich aufbringen konnte. Heiß brannte die Magie durch meine Adern, die nun die noraylische Armee zu spüren bekam.

Feuerbälle, Erdrutsche und Windböen schlugen den Soldaten entgegen, die vor Überraschung für kurze Zeit zurückgedrängt wurden. Hasserfüllt blickte ich zu dem noraylischen König hinüber, der noch immer auf seiner Anhöhe stand und bisher lediglich zugeschaut hatte.

„Was ist?“, brüllte ich über das Tal hinweg. „Seid ihr nicht Manns genug, selbst zu kämpfen?! Oder warum verkriecht ihr euch hinter euren Fußsoldaten? Ist der Herr sich wohl zu fein, die Finger schmutzig zu machen oder habt ihr verlernt, wie man mit einem Schwert umgeht?! Lasst uns die Sache ein für alle Mal beenden und stellt euch mir! Es sei denn, ihr habt Angst, dass der ehemalige Schüler zu eurem neuen Meister werden könnte!“

Die Attacke von der Seite bekam ich im letzten Moment mit und baute gerade noch so ein Schutzschild auf, bevor mich diese mit geballter Macht traf.

„Du Grünschnabel wagst es, einen König und mächtigen Magier auf so flegelhafte Art ungefragt anzusprechen?! Glaubst du wirklich, er gibt sich mit niederem Getier ab?“

Selbstsicher grinste ich Vaskir arrogant an.

„Warum nicht? Du buckelst doch auch ständig zu seinen Füßen rum.“

Mein ehemaliger Meister lief vor Zorn tiefrot an.

„Es wird Zeit, dass man dir Manieren beibringt! Dies wird deine letzte Lektion werden!“

„Und mit Sicherheit die langweiligste von allen!“

Wutentbrannt ging der Magier auf mich los und startete eine Attacke nach der Nächsten, die ich mehr schlecht als recht abwehrte – zumindest zum Schein. Als Vaskir kurz innehielt und ich vor Anstrengung in die Knie ging, lachte dieser siegessicher laut auf. Darauf hatte ich gewartet. In diesem einen Moment achtete er weder auf mich, noch bedachte, beziehungsweise unterschätzte er die wahre Gefahr, welche von mir ausging.

Schnell schloss ich die Augen und atmete tief durch. Ich sammelte die gesamte angestaute Abneigung und Wut, die ich gegen den ehemaligen Meister hegte, und wandelte es in Magie um. Meine Handgelenke begannen erwartungsvoll zu kribbeln und ich spürte dumpf Arcirs Energie, die mich wohlwollend unterstützte und leicht berauschte.

Mit einem Ruck stand ich auf und klatschte mit ausgestreckten Armen in meine Hände. Es entstand eine mittelgroße, silbergraue Kugel, in der es blitzte und knisterte, als sei sie elektrisch aufgeladen. Mit einem Schrei holte ich aus und schleuderte sie Vaskir entgegen, der mich ein letztes Mal verblüfft anschaute, bevor er ohne spürbaren Widerstand regelrecht pulverisiert wurde. Mein damaliger Lehrmeister war besiegt.

Mit einem überheblichen Grinsen im Gesicht und angenehm berauscht vom Sieg und Arcirs Energie, drehte ich mich zu dem noraylischen König.

„War das alles, was ihr und eure Schergen drauf haben?“, rief ich provozierend und ging gemächlich auf ihn zu.

Ich stieß jeden beiseite, der mir in die Quere kam, egal ob Noraylier oder Laidarer. In mir herrschte ein Hochgefühl, das durch nichts zu trüben war. Erst als sich Juli mir in den Weg stellte, hörte ich auf, den noraylischen König zu fixieren und schaute sie genervt an.

„Hör auf damit, Lucian und komm endlich zu dir! Warte auf Yanar! Du kannst den Feind nicht allein besiegen!“, blaffte sie mich über den Kampfeslärm hinweg an, worauf ich sie wütend beiseite stieß.

„Als ob du davon eine Ahnung hättest, was ich alles drauf habe!“, warf ich ihr aggressiv an den Kopf, damit sie mich zufrieden ließ. Ein einzelner Blick reichte, um Shawns lächerliche Attacke abzuwehren. „Was soll das? Wolltest du mich kitzeln oder was?“ Abwertend musterte ich den Redner, der mich entschlossen anschaute.

„Lucian, Arcirs Magie verdreht dir den Kopf. In den Büchern stand es deutlich geschrieben. Auch die anderen Anführer sind davon verrückt geworden. Bitte beweis uns deine innere Stärke und komm runter. Nicht wir sind deine Gegner!“

Um endlich dem Redeschwall des Anderen ein Ende zu setzen, schleuderte ich Shawn mit einer knappen Handbewegung Juliana entgegen, die mich hinterrücks angreifen wollte.

„Ach nein?“, spie ich ihm entgegen und registrierte zufrieden, dass die beiden Mühe hatten, aufzustehen. „Wisst ihr was? Wenn ihr denkt, dass ihr die Allertollsten seid und eh alles besser wisst, dann macht doch euren Scheiß allein. Du kannst dich mit deinem Streber nach Hause zu Mami verziehen und du fickst deiner Schlampe weiter das Hirn aus dem Schädel – zumindest wenn ihr das hier übersteht. Aber ihr seid ja eh die Superhelden. Da will ich euch mal nicht länger im Weg stehen! Viel Spaß euch noch, ihr Freaks!“

Damit drehte ich mich um und stapfte unter den entsetzten Blicken meiner Klassenkameraden davon. Erst als mir das höhnische Lachen des noraylischen Königs, welches lautstark über das Tal hallte, zu viel wurde, teleportierte ich mich weg.

Im nächsten Moment stand ich zwischen einer kleinen Buschgruppe und sah direkt in Arcirs besorgtes Gesicht, der mich abschätzend anschaute. Zitternd ging ich in die Knie und schloss meine Augen. Die Magie meines Liebsten hatte mich dermaßen in seinen Bann geschlagen, sodass meine Haut leicht golden glänzte.

„Bitte, Arcir, hör endlich auf. Noch ein wenig mehr von deiner Kraft und ich werde wirklich noch verrückt.“

Sofort zog sich der Laidarer aus meinem Geist zurück und atmete erleichtert auf. Dann hockte er sich neben mich und schloss mich fest in seine Arme.

„Tut mir leid. Aber es musste doch glaubwürdig rüberkommen.“

Tief holte ich Luft und atmete den süß-herben Geruch meines Liebsten ein.

„Ich weiß. Hoffentlich habe ich den Anderen nicht zu sehr wehgetan“, seufzte ich, löste mich ein wenig von dem Kleineren, um ihm einen Kuss aufzuhauchen.

„Denen geht es gut, keine Sorge. Nur Rayka wird dir wegen der Beleidigung den Kopf abreisen!“

Kichernd half mir Arcir auf und gemeinsam liefen wir den geheimen Weg entlang, der verdeckt ins Innere der heiligen Höhle führte. Zwar hatten wir es geschafft, den noraylischen König zu täuschen, dass wir uns alle entzweit hätten und er somit leichteres Spiel hatte, doch viel Zeit schindete das für uns nicht. Zumindest fiel es nun nicht weiter auf, dass ich nicht mehr anwesend war und keiner spionierte mir nach.

Zum Glück kannte sich Arcir hier bestens aus. Als Kind war er oft hierher geflüchtet, um Antworten auf seine Herkunft zu finden. Bisher blieben ihm diese allerdings verwehrt. Zielsicher führte der Laidarer mich auf kaum erkennbare Pfade entlang, bis zu einem kleinen See.

„Versuche so lange wie möglich die Luft anzuhalten und benutz keine Magie, sonst weiß der noraylische König sofort Bescheid, wo du steckst“, wies der Kleinere mich an, worauf ich unsicher nickte.

Dann stiegen wir ins Wasser, so wie wir waren, in voller Montur, schließlich wussten wir nicht, was uns auf der anderen Seite erwartete. In der Mitte des Sees holte Arcir tief Luft und tauchte dann ab, was ich ihm sofort gleich tat. Das Wasser war glasklar, eiskalt und wurde immer dunkler, je tiefer wir gelangten.

Als ich schon glaubte, dem Druck auf meinen Ohren nicht mehr standhalten zu können, deutete Arcir auf ein Loch in einem Felsen, durch welches er sich durchzwängte. Und nach einer kurzen Geraden in vollkommener Finsternis ging es nur noch aufwärts. Als ich endlich die Wasseroberfläche durchbrach, rang ich fast panisch nach Atem.

Das war wirklich knapp gewesen. Ausgepowert paddelte ich zum Felsrand und hievte mich aus dem Wasser. Keuchend saß Arcir neben mir und sah mich geschafft an. Ich wollte schon eine Aufmunterung plappern, als sich sein Blick versteinerte und seine Augen veränderten. Die Pupillen verschwanden komplett und ein einziges, goldenes Leuchten erfüllte die Augäpfel, was ihn unheimlich ausschauen ließ.

Ohne etwas zu sagen, stand Arcir auf und ging zielsicher in eine Richtung, in dieser ich ihm rasch folgte. Da ich keine Gefahr spürte, lief ich meinen Laidarer vorerst tatenlos nach. Es war klar, dass er irgendwie mit der Höhle verbunden war. Die Frage war nur, wie.

Nach kurzer Zeit gelangten wir in eine Art Raum, kreisrund und hoch, in dessen Mitte eine Art Felsblock stand. Er war vielleicht hüfthoch und vorne im Stein prangerte so etwas wie ein keltisches Kreuz. Keine Frage, hier hatte man vor etlichen Jahren die magische Kette geschmiedet und besprochen.

Die Kraft, die man damals wirkte, lag noch immer deutlich in der Luft, als wäre sie mit dem Gestein verbunden. Arcir kniete sich vor dem Felsblock nieder und legte eine Hand darauf. Sofort erhellte ein grelles Licht den Raum, was mich arg blendete. Meine Handgelenke, Stirn und Brust brannten schmerzhaft auf, als hätte man mich mit Säure begossen.

Schreiend krümmte ich mich vor Schmerzen und stapfte langsam aber stetig auf Arcir zu. Wenn ich das hier schon ausstehen musste, was machte dann er gerade durch? Ich ahnte mehr die Richtung, als dass ich sie sah, und wäre fast über meinen Liebsten drüber gestolpert. Kaum dass ich bei ihm war, klammerte ich mich an ihm fest und öffnete meinen Geist.

Dieser Wahnsinn musste aufhören. Egal wie wichtig dieses Artefakt auch sein mag, ich würde deswegen nie über Leichen gehen und besonders nicht über die meines Laidarers! Ich tastete also mental nach seinem Geist, rief nach ihm und lockte, damit er endlich wieder zu sich kam. Doch irgendwie verschlimmerte meine Bemühungen alles. Das Licht wurde greller, dass es selbst durch die geschlossenen Augen blendete und der Schmerz in mir wurde schier unerträglich.

„Arcir!!!“

Meine Gedanken galten nur noch ihm. Weder war ich imstande dazu, einen Zauber zu wirken, noch meinen Dolch zu ziehen. Ich wollte meinen Kleinen beschützen, hier rausholen, damit er nie wieder so etwas durchleiden musste. Und als ich schon glaubte, ohnmächtig vor Schmerz zu werden, hörte alles abrupt auf. Mit einem Plumps fiel ich in Arcirs mentale Arme, dass ein angenehmer Schauder über meinen Rücken kroch.

‚Es ist alles okay. Mach die Augen auf mein Herz‘, sandte er mir im Geist und ich gehorchte. Sanft zog ich mich zurück, unglaublich erleichtert, dass es meinem Schatz gut zu gehen schien. Doch als ich ihn wirklich ansah, klappte mir erstaunt der Mund auf.

Seine Augen waren soweit wieder normal, nur seine Haut und Haare waren mit einem goldenen Schimmer überzogen, als hätte man ihn mit Glitzer eingesprüht. Vor ihm über seine ausgestreckte Handfläche schwebte der kreuzartige Anhänger der magischen Kette.

„So wie du mir dein Herz geschenkt hast, überreiche ich dir nun meines“, sagte Arcir feierlich und presste ohne Vorwarnung das Kreuz gegen meine Brust.

Die Kugeln in mir vibrierten vor Erwartung freudig auf und zeichneten sich deutlich unter meiner Haut ab. Fast glaubte ich, diese wollten aus mir herausbrechen. Doch mein Körper hingegen saugte den Anhänger auf, als wäre er am verdursten und dies das lebensrettende Nass.

Erschrocken keuchte ich auf und versuchte Arcir von seinem Vorhaben abzuhalten. Aber es ging alles viel zu schnell. Kaum hatte er es vollendet, holte ich zischend Luft. Eine Energiewelle nach der Anderen überschwemmte mein Innerstes, sodass ich glaubte, ganze Wälder entwurzeln zu können.

„Was hast du getan?“, fragte ich ungläubig, worauf Arcir schmunzelnd seinen Kopf schief legte.

„Ich habe dir meine komplette Energie übertragen. In reiner Form kann sie kaum einer ertragen. Aber gebündelt in dem magischen Artefakt, mit dem du durch die Kugeln eh schon verbunden bist, ist es die perfekte Energiequelle für dich.“

Fassungslos schüttelte ich den Kopf.

„Arcir, so was kannst du doch nicht machen. Zum einen weißt du nicht, wie es sich auf dich auswirkt, zum Anderen dachte ich, du erleidest Höllenqualen! Ich habe mir verdammt nochmal Sorgen um dich gemacht.“

Mein Kleiner küsste mich liebevoll und sah mich ernst an.

„Ich weiß. Sonst hätte es auch nicht funktioniert. Yanar meinte einmal zu mir, dass mich niemand zu etwas zwingen kann und meine Kraft nur fließe, wenn mein Herz verloren wäre.“ Bedeutungsvoll legte er eine Hand auf meine Brust. „Was soll ich sagen, mein verrückter Onkel hatte Recht.“

Gerührt von der Liebeserklärung, nahm ich meinen Schatz in die Arme und drückte ihn fest an mich. Erst als wir beide langsam zu uns kamen und der Kampfeslärm von draußen zu uns vordrang, ließen wir voneinander ab und traten Hand in Hand ins Freie.

Der noraylische König stand mitten im Tal, vor ihm meine drei Klassenkameraden, die übel zugerichtet ausschauten. Die Schlacht hatte sich bis vor die Höhle verlagert, weswegen alle gut sichtbar unweit vor mir standen. Als der Gegner zu einer erneuten Attacke ausholte, reichte ein kurzer Gedanke aus, um ihn mit einem Feuerball vorerst aufzuhalten. Überrascht blickten alle zu mir und noch ehe ein anderer reagieren konnte, schnappte Shawn sich Phil und Juli und teleportierte alle zu mir. Mit hochgezogener Braue sah ich ihn an.

„Seit wann kannst du denn beamen?“

„Ich glaube wir haben alle etwas von dem coolen Zeug abbekommen“, antwortete er lediglich und zwinkerte Arcir zu, der schüchtern zurücklächelte. Als Willkommensgruß kniff Juliana mir kräftig in den Oberarm.

„AAAAUUU!!! Sag mal spinnst du???“

„Das war dafür, dass du mir Shawns Hintern ins Gesicht geschleudert hast. Weißt du eigentlich, wie viel dieser Typ wiegt?!“, blaffte mich die Kriegerin an, worauf der Redner sofort ansprang.

„Geht’s noch? Ne Menge Frauen würden glatt dafür bezahlen, mein Gesäß beschnuppern zu dürfen. Außerdem sind das alles hier Muskeln.“ Shawn deutete an sich auf und ab, was dermaßen machohaft ausschaute, dass selbst Phil einen Kommentar ablassen musste.

„Hast du dir schon mal überlegt, zwecks dieser Perversion einen Arzt zu suchen? Und damit meine ich nicht den Stoffteddy, den du abends mit ins Bett nimmst.“

Wir alle glucksten belustigt auf und selbst Shawn musste bei dem trockenen Spruch lachen. Den Angriff des ungeduldig gewordenen Königs wehrte ich mit einem simplen Schutzschild nebenher ab, was mich nicht den Hauch einer Anstrengung kostete.

„Hey! Wenn sich die Erwachsenen unterhalten, haben die Kinder Sendepause! Oder hat dir das deine Mama nicht beigebracht?!“

Äußerlich lachte ich ihn locker an, innerlich war ich zum Zerreißen gespannt. Ich wusste, dass mein Gegner stark war, konnte aber im Gegenzug meine Macht nicht einschätzen. Es war einfach alles noch viel zu frisch. Trotzdem wurde es Zeit, dem Ganzen ein Ende zu setzen. Selbst die Soldaten auf beiden Seiten spürten den finalen Kampf und zogen sich soweit zurück, dass wir freien Platz hatten. Ein letztes Mal drehte ich mich zu Arcir und küsste ihn so ausgiebig, wie es die Situation zuließ.

„Glaub an mich, mein Herz“, hauchte ich, worauf dieser tapfer nickte. Es wurmte ihn unglaublich, mich ab jetzt nicht weiter unterstützen zu können.

„Ihr erinnert euch doch noch an unseren ersten Kampf in Ivara, als ich uns das erste Mal teleportierte“, wandte ich mich an meine Klassenkameraden, die mir zustimmten. „Stellt euch im Kreis, genau wie damals, nur mit Arcir in der Mitte und leitet eure Gedanken auf mich. Wenn der Kern unserer Macht auf der magischen Kette basiert, müssen wir auch wie eine miteinander verbunden sein.“

Meine Leute verstanden sofort und taten so, wie ihnen geheißen. Dann stellte ich mich endlich meinem Schicksal.

Dieses Mal war ich es, der den Anderen zuerst unterschätzte. Die ersten Angriffe waren nur ein zartes Kratzen an der Oberfläche gewesen, um den Gegner auszuloten. Jetzt bedeckte man mich mit magischen Attacken, die trotz Schutzschild wie Faustschläge auf mich niederprasselten.

Es ging alles so schnell, dass ich überhaupt nicht dazu kam, mich zu wehren. Brutal wurde ich in die Defensive gezwungen, die mir langsam aber sicher die Energie raubte. Erst als sich Yanar mit einem simplen Steinwurf einmischte, erhielt ich die nötigen Sekunden, einen Gegenangriff zu starten.

Die Kraft in mir hatte immens zugenommen und waberte heiß wie Lava durch meine Adern. Waren es vorher simple Windböen, die ich zustande gebracht hatte, braute sich nun ein regelrechter Sturm zusammen, den ich wild heulend auf den noraylischen König niederließ. Dieser hatte sichtlich damit zu tun, sich dagegen zu erwehren. Aber schlussendlich schwächte er ihn ab und zurück blieb ein laues Lüftchen.

„Ist das alles, was dein laidarischer Bastard dir bieten konnte?“, fragte er höhnisch und deutete auf Arcir. „Du warst so vielversprechend, besaßest Talent in jeglicher Hinsicht. Wir hätten groß werden können!“ Die frivole Anspielung ging in der nächsten Attacke unter und wieder wurde ich über den Rasen gejagt, wie ein wildes Tier.

Als mich dieser Gedanke durchzuckte, kam mir wieder der seltsame Drache in den Sinn und dessen ungeahnte Abneigung gegen Erde. Jedes Lebewesen mochte ein Element weniger, als alle Anderen und damit konnte man es besiegen. Der noraylische König hingegen war mittlerweile so mächtig, dass ein einziges Element wohl nicht ausreichen würde.

Ich bräuchte also lediglich ein wenig mehr Zeit, um einen Zauber zu weben, der alle vier Elemente miteinander verband. Den Plan sandte ich zu meinen Klassenkameraden, die zwar weniger Handlungsfreiheit hatten, als ich. Aber vielleicht fiel ihnen ja was ein, wie ich die passende Zeit rausschinden könnte.

Immer wieder und immer stärker prasselten die Angriffe auf mich nieder und ständig musste ich die Basis meines Schutzschildes ändern, damit diese nicht durchdrangen. Nebenher versuchte ich den Zauber im Hintergrund zu weben, was alles andere als leicht, immens kraftaufwendig und total kompliziert war. Es war übelst schwer, sich auf mehreres gleichzeitig zu konzentrieren, selbst für mich, der laut Shawn als halbe Frau galt.

Doch je mehr ich an dem Zauber arbeitete und je weiter ich kam, desto stärker spürte ich dessen Kraft in mir anwachsen. Als ob ein Vulkan in mir brodelte, fühlte ich die aufkommende Magie heiß wie Magma durch meine Adern pulsieren, wie sie sich langsam anstaute und aus mir hinausbrechen wollte. Aber ich bekam keine Gelegenheit dazu. Der noraylische König ließ mich einfach nicht zu Atem kommen.

Ich war zum Zerreißen angespannt, konnte den Zauber kaum noch zurückhalten, so sehr brodelte er unter der Oberfläche. Doch wenn ich ihn jetzt wirkte – wenn ich denn überhaupt dazu kam – war ich mir nicht ganz sicher, ob dieser den Schutzschild des Gegners durchdringen würde. Danach wäre der Großteil meiner Kraft verbraucht und wer weiß, ob ich nochmal so einen starken Zauber weben konnte.

Meine Handgelenke glühten dermaßen heiß, sodass ich die Kugel in mir direkt als feste Materie vibrieren spürte. Dann verlor ich die Kontrolle. Meine Oberfläche bekam Risse und zerbarst schlussendlich komplett. Mit geballter Kraft brach der Zauber aus mir heraus, mächtig und niederschmetternd und bahnte sich seinen unaufhaltsamen Weg Richtung noraylischen König. Mein gesamter Körper erbebte ob der immensen Belastung und ich schrie vor Anstrengung.

Dann stand die Welt für eine Millisekunde still.

Es war, als wenn ich aus meinem Körper fahren würde und mein Geist eine kurze Reise machte. Auf einmal stand ich neben dem noraylischen König und blickte zu mir hinüber, wie aus meinen Händen ein goldener Strahl brach und direkt auf den Gegner zuhielt.

Ich sah, wie der Andere sich verbissen konzentrierte, um ein ebenso starkes Schutzschild aufzubauen, damit er diesen Angriff abhalten konnte. Ich glaubte schon, meine Bemühungen wären sinnlos, als wie aus dem Nichts Cahlur auftauchte. Er umschlang den König und zog ihn dicht an sich.

„Auf immer vereint, mein Liebster“, hauchte er und küsste ihn dermaßen hart und innig, dass der Andere vor Überraschung und Hingabe kurz alles vergaß.

NEIIIIIN!!!!

Der Gedanke durchfuhr mich zu spät. Mein Zauber traf beide Gefährten noch während der Vereinigung und vernichtete sie gnadenlos, dass nicht mal ein Staubkorn von ihnen übrig blieb.

Von der Wucht des Aufpralls getroffen, wurde mein Geist zurück in meinen Körper geschleudert, der matt und ausgelaugt in die Knie ging. Eine bittere Träne ran meine Wange hinab. Er hatte sich geopfert. Doch weniger für sein Land oder seine Leute, wie mir klar wurde. Cahlur wollte ganz einfach seinen Liebsten mit niemandem mehr teilen müssen, sondern ihn ganz für sich haben. Und das Schlimme war, ich konnte ihn verstehen.

Hinter mir schrie Juliana vor Wut und Trauer ihren Schmerz in die Welt. Nicht nur, weil sie ihren hochrespektierten ehemaligen Meister verloren hatte, der uns wiedermal half, sondern weil ich mehr ahnte als wusste, dass sie ihn zu dieser Tat bewegt hatte. Schwer schleppte ich mich zu der kleinen Gruppe, die ausgelaugt und frustriert auf dem Boden hockte.

Kaum war ich bei ihnen, brach Arcir komplett zusammen. Schwach landete er in meinen Arme und seine Konturen begannen seltsam zu verblassen. Erschrocken drehte ich ihn auf den Rücken und blickte ihn besorgt an. Doch mein Laidarer lächelte mich nur müde an.

„Du … du wusstest, was mit dir passiert?!“, stelle ich fassungslos fest. Langsam hob er seinen Arm und strich mir einen der Dreadlooks aus dem Gesicht.

„Die Götter erschufen mich aus der puren Magie, die in dem Anhänger wohnte und nun ist diese verbraucht. Wir sind unserer Bestimmung gefolgt und haben unsere Pflicht erfüllt. Für mehr wurde ich nicht erschaffen.“

„Blödsinn!“, schimpfte ich ängstlich. „Deine Bestimmung ist es, an meiner Seite dein restliches Leben zu verbringen, was noch ewige Jahrzehnte andauern wird. Das ist deine Pflicht und keine Andere!“

Arcir schnaubte belustig. „Du bist ein unverbesserlicher Romantiker. Und dafür werde ich dich immer lieben!“

Er zog mich zu sich herab und gab mir einen bedeutungsvollen Kuss, der nicht schmerzhafter hätte sein können. Seine Gestalt verblasste immer mehr, was mich fast in Panik ausbrechen ließ. Wenn es wirklich nur um die verbrauchte Energie ging, sollte es doch kein Problem sein, ihm diese zurückzugeben.

Ich sandte einen kurzen Gedanken an meine Klassenkameraden, die sich sofort im Kreis aufstellten und sich an den Händen haltend eine Kette bildeten. Da ich keine frei hatte, legten sie mir jeweils eine auf die Schulter. Wir alle konzentrierten uns stark auf Arcir, sammelten unsere allerletzten Kraftreserven und leiteten diese auf ihn um. Doch je mehr wir uns bemühten, desto eher verblasste der Laidarer, bis ich ins Leere griff.

Als wenn man ein Licht gedimmt hätte, löste sich mein Liebster in Luft auf und zurück blieb kurz aufblitzendes, goldenes Licht und mein gebrochenes Herz. Der Schrei, welcher laut und schmerzvoll über das Tal hallte, beschrieb nicht im Geringsten, wie verletzt ich mich fühlte. Ich schrie, bis ich keine Luft mehr hatte und sich eine dumpfe Leere in mir ausbreitete.

Dann blendete mich grelles, goldenes Licht. Nicht mal mehr wehren wollte ich mich, sondern ließ mich einfach mitziehen, egal wohin dieses Mal die Reise gehen sollte.

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