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Kim & Louis

Teil 5

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Informationen

Vorwort

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die Zeit brauchen, um sich vollständig zu entfalten. So ist es auch mit Kim und Louis. Was einst als kleine Geschichte begann, hat sich über die Jahre hinweg zu einer Reise entwickelt, die ich nun endlich mit euch zu Ende erzählen darf.

Die ersten vier Kapitel fanden bereits vor einigen Jahren ihren Weg zu euch auf Nickstories. Seither habt ihr mich mit euren Nachrichten, euren Fragen, eurer Geduld und eurer Neugier begleitet. Dafür bin ich euch von Herzen dankbar. Eure Begeisterung und euer Mitfühlen haben diese Geschichte lebendig gehalten und mich schließlich dazu motiviert, ihre Fortsetzung zu schreiben.

Kleiner Spoiler: Nach Kapitel 5 folgt auch das letzte Kapitel 6.

Die Zeit hat nicht nur den Figuren Raum zur Entwicklung gegeben, sondern auch mir als Autor. So haben sich Stil, Ton und Tiefe zwischen den ersten Kapiteln und dem weiteren Verlauf ein wenig gewandelt. Vielleicht lohnt es sich daher, die Geschichte noch einmal von Anfang an neu zu entdecken, bevor die Reise ihren nächsten Abschnitt nimmt.

Für alle, die neu eintauchen: Willkommen.

Für alle, die zurückkehren: Schön, dass ihr geblieben seid.

Ich wünsche euch nun eine gute Reise mit Kim und Louis. Möge ihre Geschichte euch weiterhin berühren und mitnehmen.

Euer

Gucci_Writer

 

Und wer wurde mir vorgestellt? Niemand, der große Unbekannte, der war nämlich nicht in der Mensa. Naja, egal, wird schon irgendwann.

Nachdem das Semester nun gelaufen ist, geht es mit Hochdruck zur finalen Urlaubsplanung. Ich bin echt schon aufgeregt, denn das ist meine bisher größte und auch durchorganisierteste Reise überhaupt. Zudem mit meinen besten Freunden, daher wird das mit Sicherheit ein Riesenspaß.

Aber für heute Abend steht erst mal die Semesterabschlussparty an, ein Riesenspaß, welcher meist feucht-fröhlich endet. Wir haben uns zum Vorglühen bei mir verabredet. Das Klingeln an der Tür verkündet, dass Karsten da ist.

„Moin, pünktlich wie die Maurer, komm rein.“

„Klar, zehn Uhr hattest du gesagt, also bin ich hier.“

„Willst du noch schnell ’nen Kaffee oder willste gleich los?“

„Nee, ’nen Kaffee ist noch drin. Wir haben ja noch ein paar Stunden Zeit“, sagt er und schließt die Tür hinter sich. Gemeinsam betreten wir meine Küche und er setzt sich an den Tresen.

„Na, wie waren deine letzten Prüfungen?“, fragt er mich.

„Soweit ganz gut, ich habe da ein sehr gutes Gefühl. Und bei dir?“

„Joa auch, gehe mal davon aus, dass ich mit allem gut durchgekommen bin.“

Ich reiche ihm seine Tasse rüber und gemeinsam trinken wir das heiße Getränk.

„Wie geht es Matze?“, durchbricht er das kurze Schweigen. Ich verziehe mein Gesicht. „Keine Ahnung, wenn ich ehrlich bin.“

„Du hast dich nicht wieder bei ihm gemeldet, oder?“, fragt er weiter nach. Ich schüttle nur den Kopf, woraufhin er nickt. Wir nehmen beide einen weiteren Schluck Kaffee.

„Ich denke, dass ich noch ’ne Weile brauchen werde, bis ich dazu bereit bin. Er hat mich mit seinem Geständnis doch sehr überrascht. Es war einfach zu schön, um wahr zu sein, denke ich manchmal.“

„Nun, ich denke, wenn er wirklich schwul ist, wird er noch eine Weile brauchen, um mit sich im Reinen zu sein. Und seine Umstände mit Frau und Kind machen die Entscheidung nicht einfacher.“

„Ich weiß, aber diese Entscheidungen muss er selbst treffen. Ich möchte aber auch nicht der Grund dafür sein, dass er diese trifft. Er soll es nicht für mich tun, sondern für sich selbst.“

„Da hast du Recht, er muss seinen eigenen Weg finden. Ich bin froh, dass du dies so siehst“, sagt Karsten und greift über den Tisch und drückt meine Schulter.

„Komm, lass uns gehen“, versuche ich zu lächeln und wechsle damit das Thema. Karsten grinst mich an und zwinkert mir zu. Klar hat er verstanden.

Nach und nach holen wir unsere Freunde ab und machen uns auf den Weg zur Semesterabschlussparty an der Uni. Der Abend ist feucht fröhlich und ich kann meine Gedanken fallen lassen und fühle mich seit langem mal wieder richtig entspannt. Jetzt können die Semesterferien beginnen und es ist nur noch eine Woche, bis wir zu unserer tollen Reise aufbrechen. Alles ist geplant und steht, das wird ein geiler Trip.

„Wen hast du denn schon wieder im Blick oder warum guckst du so verträumt?“, werde ich von Stefanie aus meinen Gedanken gerissen. Sie steht neben mir, grinst und saugt dann am Strohhalm ihres Drinks.

„Ich hab’ keinen im Blick, ich dachte nur gerade an unseren tollen Urlaub, der jetzt bald kommt.“

„Ahso, und ich dachte schon du hast schon dein nächstes Opfer gefunden“, lacht sie jetzt.

„Nee, lass mal. Ich glaub ich mach mal Pause“, grinse ich sie frech an.

„Das glaubt dir doch kein Mensch. Was bei dir bei drei nicht auf den Bäumen ist…“ lässt sie den Satz in der Luft stehen.

„Ja, ja, ich weiß…aber dieses Mal hab’ ich echt nur an den Urlaub gedacht. Das wird so genial, wir alle zusammen in dem fremden Land. Das wird ein großes Abenteuer!“

„Ohje, muss ich jetzt um die ganzen armen philippinischen Jungs bangen, wenn du das als großes Abenteuer siehst?“, prustet Stefanie los. „Oder sollen wir das Hotel anschreiben und mindestens zwei Zimmer Abstand zwischen dem deinen und den unsrigen erbitten?“

„Haha, so schlimm bin ich dann auch wieder nicht“, maule ich und schiebe gespielt schmollend meine Unterlippe nach vorn.

„Nicht schmollen Hübscher“, sagt sie, „und lass die Unterlippe nicht so hängen, auf einmal bleibt die dort“, lacht sie mich an. Ich kann nicht anders und lache mit. Plötzlich fällt mir der Mensa Typ wieder ein, den sie mir vorstellen wollte. Entsprechend frage ich nach.

„Wusste ich es doch, dass du Ausschau hältst.“

„Nein, aber der Gedanke ist mir gerade wieder gekommen. Du wolltest mir den großen Unbekannten doch mal vorstellen und letztes Mal hat es leider nicht geklappt.“

„Gesehen habe ich ihn heute Abend noch nicht, aber wenn er mir über den Weg läuft, werde ich ihn dir sofort vorstellen.“

„Stefanie, Kim, kommt schnell mit“, werden wir von Michael aus unserer kleinen Unterhaltung gerissen.

„Was ist denn los“, fragt Stefanie überrascht.

„Kommt schnell, Karsten ist die Treppe runter gestützt. Arthur und Steffen sind bei ihm, aber sie haben auch einen Krankenwagen gerufen.“

Schnell sind wir auf den Beinen und rennen zum Unglücksort. Dort auf dem Boden liegt noch immer Karsten mit schmerzverzerrtem Gesicht. Arthur und Steffen neben ihm, wobei Steffen beruhigend auf ihn einspricht. Es dauert auch nicht lange und schon sind die Notfallsanitär da, welche Karsten nach der Erstversorgung auch gleich mit ins Krankenhaus nehmen.

Da Karsten dort geröntgt werden soll, fahre ich kurzerhand hinterher. Ich bin heute Abend als Fahrer eh ohne Alkohol unterwegs, so dass das kein Problem für mich ist. Die anderen werden später, sollten wir nicht mehr zur Party zurückkommen, einfach ein Taxi nach Hause nehmen.

Im Krankenhaus stellt sich leider heraus, dass Karsten sich beim Sturz das Sprunggelenk angebrochen hat. Entsprechend erhält er zunächst eine Schiene, um das Gelenk ruhigzustellen, bis die Schwellung abgeklungen ist. Danach wird er voraussichtlich für vier bis sechs Wochen einen Gips bekommen, so die Aussage des behandelnden Arztes.

Als wir wieder in meinem Auto sitzen und zurück zu seiner Wohnung fahren, stößt mich Karsten auf einmal an:

„Scheiße!“, höre ich ihn sagen. Entsprechend überrascht schaue ich ihn an.

„Was ist denn los? Haben wir was im Krankenhaus vergessen?“, frage ich nach, innerlich schon dabei zurückzufahren.

„Nein, aber mir ist gerade eingefallen, dass wir in ein paar Tagen nach Manila fliegen und ich jetzt sehr wahrscheinlich einen Gips bekomme! Ach scheiße aber auch, da kann ich das jetzt knicken und muss daheimbleiben!“, fängt Karsten an sich aufzuregen. Bei seinen Worten wird mir klar, dass er wohl Recht hat.

„He, komm. Lass uns mal abwarten, wir sprechen morgen nochmals mit dem Arzt, vielleicht gibt es ja doch eine Möglichkeit“, versuche ich ihn dennoch zu beruhigen.

„Nee, das glaubst du doch selbst nicht. Und selbst wenn ich nur bei der Schiene bleibe, bis zum Abflug ist die nicht ab und das Sprunggelenk ist für die komplette Tour nicht fit genug“, sage Karsten ein wenig ruhiger.

„Ach Mensch“, seufze ich und schaue kurz zu ihm rüber. „Und was jetzt?“

„Ich werde wohl oder übel stornieren müssen, soweit das geht. Oder wir finden so spontan einen Ersatz für mich?“ Ich glaub ich hatte mich verhört?!? Einen Ersatz finden, so kurz vor dem Trip? Und dann auch einer, der mit mir das Zimmer für die drei Wochen teilen soll? Fehlanzeige!

Am nächsten Tag treffen wir uns daher alle spontan bei mir und besprechen die Sachlage. Schnell ist klar, dass ein Storno bei der selbst zusammengestellten Reise und dem Flug nicht so einfach möglich ist. Zumindest nicht mit großen finanziellen Einbußen für Karsten. Entsprechend müssen wir doch kurzfristig nach einem Ersatz für Karsten suchen. Die meisten meiner Bekannten haben entweder keine Zeit oder nicht das nötige Kleingeld, um den spontanen Urlaub zu finanzieren. Auch die anderen haben wenig Glück bei der Suche. Wir beschließen dennoch weiter zu suchen und uns zu melden, sollten wir doch noch Glück haben.

Einen Tag später klingelt auch schon mein Handy und Stefanie ist in der Leitung.

„Ich habe einen Ersatz gefunden!“, sprudelt sie mir aufgeregt entgegen.

„Echt? Krass und klasse! Wer ist es denn?“, will ich dann auch sogleich wissen.

„Ich habe dir doch von meinem neuen Freund erzählt, der den ich dir in der Mensa vorstellen wollte. Wir sind uns spontan auf dem Campus über die Füße gelaufen und einen Kaffee trinken gegangen. Dabei habe ich erwähnt, dass wir einen Reisebegleiter als Ersatz für Karsten suchen und er war sofort dabei!“

Weniger begeistert war nun ich, was Stefanie durch mein spontanes Schweigen nicht verborgen bleibt.

„Kim?“, höre ich ihre Stimme.

„Kim? Bist du noch dran?“, fragt sie weiter nach.

„Ja, ich bin noch hier“, ist meine etwas kühle Antwort.

„Ach komm schon, er ist ein total lieber und ich bin überzeugt, dass ihr super miteinander auskommen werdet“, versucht mich nun Stefanie zu überzeugen. Ich seufze, irgendwie ist es mir nicht recht, dass ich mit jemandem mein Zimmer im Urlaub teilen soll, erst recht, wenn ich den noch nicht einmal vorhergesehen habe, geschweige denn kenne!

„Kim…“, versucht es Stefanie nun sanfter.

„Okay, okay“, sage ich, „ich habe ja eh keine Wahl, außer ich würde in den verbleibenden drei Tagen noch jemand anderen finden und nein, einfach den Teil von Karsten mitbezahlen kann ich auch nicht.“ Ich gebe mich geschlagen und hoffe dabei auf das Beste.

„Kann ich den Typen vorher denn wenigstens einmal sehen?“, frage ich resigniert zurück.

„Leider nein, er ist gerade unterwegs zu seinen Eltern. Er kommt erst übermorgen wieder und hat dann gerade noch genug Zeit zum Packen. Aber ich habe bereits mit Karsten gesprochen und er organisiert mit ihm gemeinsam die Umbuchungen.“

Wieder ein Schweigen von meiner Seite. Die Sache gefällt mir immer weniger und ich gehe im Geiste meine Finanzen durch, ob ich nicht doch einfach den Anteil von Karsten aus meiner eigenen Tasche zahlen könnte.

„Hey, Kim, hör mir bitte zu. Ich kann dich verstehen und auch, dass du gerade nicht wirklich begeistert bist. Aber schau mal, ich würde dir niemanden an die Seite geben, von dem ich nicht überzeugt wäre, dass du mit ihm klarkommst. Du kennst mich lange genug, dass ich dich da einschätzen kann. Von daher vertrau mir bitte und du wirst sehen, alles wird gut.“ Was soll ich hierauf sagen? Verhindern kann ich das Übel eh nicht mehr und eine andere Lösung habe ich auch nicht parat. Ich seufze erneut und gebe mich meinem Schicksal geschlagen hin.

„Okay, ich kann es eh nicht ändern. Dann treffe ich ihn am Flughafen und lerne ihn dort kennen.“

„Danke, Hase, und du weißt ja, Kopf hoch und das wird schon alles werden.“

„Ja, ja, vielleicht habe ich ja Glück und er kommt zu spät zum Flughafen…“

„Kim“, werde ich hart von Stefanie unterbrochen.

„Ist ja schon gut, ich werde nett zu ihm sein und versuche mein Bestes. Versprochen.“

„Gut, was anderes werde ich dir auch nicht durchgehen lassen“, kommt es nun viel versöhnlicher von Stefanie.


Ich brauche ja wohl nicht zu erwähnen, wer gleich seinen Flug verpassen wird, oder? Entsprechend panisch versuche ich mich durch die Menschenschlange in der Sicherheitskontrolle zu drängeln und ernte mehr als nur den ein oder anderen scharfen Kommentar. Doch man hat für mich und meine Situation Gott sei Dank Verständnis und die Wartenden lassen mich durch, damit ich meinen Flieger noch kriegen kann.

Stefanie habe ich bereits via Mobiltelefon über meine Verspätung informiert und wir haben abgesprochen, dass sie schon mal einchecken und am Gate auf mich warten werden.

Nach der Sicherheitskontrolle sprinte ich mit meinem Handgepäck bewaffnet am Duty-Free Bereich vorbei und renne zu meinem Gate, das Ticket noch in der Hand. Unterwegs vernehme ich den letzten Aufruf zum Boarding meines Fluges, sowie das Vibrieren meines Mobiltelefons. Mit Sicherheit Stefanie, die wissen möchte, wo ich jetzt bin.

Völlig außer Atem komme ich am Gate an und sehe nur noch wenige Menschen warten. Ein schneller Blick auf mein Handy verrät mir, dass meine Gruppe bereits im Flieger ist, daher also das Vibrieren vorhin. Ich reihe mich ein und bin Gott sei Dank noch rechtzeitig zum Abflug bereit. Innerlich sende ich ein Stoßgebet, dass auch mein Gepäck diesen Weg noch genommen hat.

Als ich im Flieger meinen Platz aufsuche, ganz hinten natürlich, kann ich schon Stefanie und Arthur sehen, welche beide nach mir Ausschau halten. Im Moment des Erblickens reißt Stefanie die Arme hoch und brüllt mir entgegen:

„Das wurde ja auch mal Zeit! Was kommst du denn auch ausgerechnet heute zu spät?“

Danke, Stefanie, für die warme Begrüßung. Nun sind alle Blicke auf mich gerichtet und ich werde tatsächlich rot. Die Dame, an welcher ich gerade vorbei möchte, schaut mich zuerst überrascht und dann mitleidig an. Offensichtlich würde sie ungern in meiner Haut stecken, wenn die vermeintlich bessere Hälfte so in Fahrt ist.

An unseren Sitzplätzen angekommen, versuche ich einen Blick auf den mir noch unbekannten Reisebegleiter zu erhaschen, doch leider habe ich die Rechnung ohne Stefanie gemacht. Denn sie steht mit verschränkten Armen vor mir und ist noch immer am Schimpfen. Michael zupft sie am Arm und versucht sie dabei zu ein wenig zu beruhigen.

„Komm schon, Schatz, er ist ja nun da und wir können nun gemeinsam starten.“

Als ich vor ihr stehe, boxt sie mir leicht auf den Arm und sagt in einem sanfteren Ton:

„Ja, aber für die Aufregung musst du mir auf den Philippinen mindestens einen Cocktail spendieren.“

„Klar, das mache ich gern, den brauch ich nämlich nach der ganzen Aufregung auch. Am besten fangen wir schon während des Flugs damit an“, entgegne ich lachend.

„Gute Idee und weil wir gerade schon dabei sind“, bei den Worten geht Stefanie einen Schritt zur Seite und gibt endlich den Blick auf meinen Reisebegleiter frei, „darf ich dir…“

„Louis“, entfährt es mir und ich werde augenblicklich blass.

„Vorstellen“, höre ich gerade ganz weit weg noch von Stefanie und wünsche mir spontan, dass ich den Flug doch verpasst hätte.

Auch Louis sieht mich mit großen Augen an und ist mindestens genauso überrascht wie ich.

Das gerade wiedergefundene Lächeln gleitet Stefanie aus dem Gesicht, als sie von Louis zu mir und wieder zurückschaut.

„Oh“, höre ich neben mir von Arthur, dem die ganze Szenerie natürlich nicht entgangen ist. Auch Steffen und Michael schauen überraschen zu uns.

„Meine Damen und Herren“, höre ich die Stimme über den Lautsprecher in mein Bewusstsein dringen, „würden Sie bitte ihre Plätze einnehmen. Wir sind bereit für den Start.“ Mehr mechanisch als bewusst setze ich mich neben den noch immer schockstarren Louis. Mein Handgepäck halte ich dabei fest und denke nicht einmal daran, es in dem oberen Gepäckfach zu verstauen. Tausend Gedanken rauschen durch meinen Kopf und keinen davon kann ich fassen. Es ist mehr wie ein Rauschen oder viele Filme, die dort ablaufen, aber kein klarer Gedanke. Erst als mich eine Hand an der Schulter berührt, schrecke ich aus meinen Gedanken auf. Überrascht blicke ich in das Gesicht der Stewardess.

„Würden Sie bitte Ihr Handgepäck verstauen und danach den Sicherheitsgurt anlegen?“

„Äh…ja…sicher“, stocke ich herum und erhebe mich von meinem Sitzplatz. Die Stewardess hilft mir beim Verstauen meines Handgepäcks. Meine Kopfhörer und der Kleinkram für den Flug nehme ich noch schnell aus meiner Tasche und verstaue die in meinem Sitzbereich. Dabei fällt mein Blick auf Louis, welcher wie ein Häufchen Elend auf seinem Fensterplatz sitzt. Scheinbar bin nicht nur ich derjenige, der wünscht ich hätte den Flug verpasst. Meine Freunde lassen mich Gott sei Dank in Ruhe. Sie kennen mich gut genug, um zu wissen, dass man mich jetzt besser nicht anspricht.

Langsam lasse ich mich in meinen Sitz gleiten, darauf bedacht, Louis nicht zu berühren oder zu einer Reaktion zu bewegen, schließe meinen Kopfhörer an das Bordsystem an und suche nach Musik. Erst einmal ablenken und wieder einen klaren Gedanken finden. Danach sehen wir weiter.

Natürlich werde ich regelmäßig durch die nervigen Ansagen in meiner gesuchten Entspannung unterbrochen, versuche mich aber dennoch zur Ruhe zu zwingen und atme tief durch. Das leichte Vibrieren des Flugzeugs verrät mir, dass wir uns bewegen. Die Türen sind schon längst geschlossen, dies war ja schon quasi nach meinem Einstieg passiert, so dass eine Umkehr nicht mehr möglich ist. Entsprechend füge ich mich in mein Schicksal und versuche mich in der Musik zu vertiefen.

"Cabin Crew: Prepare for take-off", werde ich wieder unterbrochen. Dabei hole ich automatisch tief Luft, schließe meine Augen und spüre, wie ich langsam in den Sitz gepresst werde. Das Flugzeug beschleunigt weiter, ich lege meine Arme instinktiv auf die Armlehne und halte mich mit den Händen am vorderen Ende fest. Meinen Atem halte ich noch immer an, eine Reaktion, die ich schon immer beim Start eines Flugzeuges habe. Ich bin schon oft geflogen, aber diese Angewohnheit habe ich nie abgelegt. Erst als ich den Ruck spüre, mit dem das Flugzeug abhebt, beginne ich wieder zu atmen und hole tief Luft. Leise dringt meine Musik wieder in mein Bewusstsein und ich beginne mich zu entspannen. Wir steigen weiter in die Höhe, ich genieße das leichte Ruckeln beim Durchfliegen der Wolken und warte darauf, dass wir unsere Reisehöhe erreichen. Meine Hände haben sich zwischenzeitlich wieder entspannt und ruhen nun auf den Armlehnen, meine Augen habe ich noch immer geschlossen und genieße einfach nur das Gefühl des Fliegens. Irgendwann vernehme ich das „Pling“, welches signalisiert, dass die Anschnallzeichen erloschen sind.

Eine Berührung an meinem Arm lässt mich zurück in der Realität der Kabine eintauchen. Louis hat sich neben mir bewegt und ist dabei leicht an meinen Arm gestoßen. Ein leichter Schauer läuft von der Stelle nach oben und setzt sich an meiner Schulter bis hin zu meinem Hals fort. Wie von selbst atme ich dabei tief ein und spüre dem Gefühl nach. Langsam atme ich aus und versuche mir diese Reaktion nicht nach außen anmerken zu lassen.

Von mir selbst überrascht öffne ich sofort die Augen. Ein schneller Blick in den Gang verrät mir, dass die Stewardessen mit dem ersten Getränkeservice begonnen haben. Ich lehne mich in meinen Sitz zurück, lausche der Musik und schaue weiterhin in den Gang. Noch möchte ich mich mit dem Umstand nicht beschäftigen, dass Louis neben mir sitzt. Als ich jedoch so an ihn denke, kommt mir unsere letzte Begegnung wieder in den Sinn. Ein leichter Schmerz durchzieht die Stelle auf meiner Brust, an der mich sein Schlag getroffen hatte und ich reibe mir unbewusst darüber, als könnte ich ihn wegwischen.

„Du Arschloch“, hallt es in meinen Ohren wider. Und schon bin ich wieder mitten in der Situation und auf der Straße in der Talstraße. Sehe in meinem inneren Auge Louis, wie einen begossenen Pudel vor mir stehen. Ich kämpfe kurz mit dem Impuls mich zu ihm umzudrehen und ihn nach dem Abend zu fragen. Ich spüre, wie sich mein Puls beschleunigt und erinnere mich daran, wie ich Louis so gern in den Arm genommen und einfach nur festgehalten hätte. „Wie kann ein Mensch nur ein solches Gefühlschaos verursachen“, stelle ich mir selbst die Frage.

Ein leichter Schubs an meiner anderen Seite signalisiert mir, dass mich die Stewardess erreicht hat. „Coffee, Tea, Softdrinks or some other beverages, Sir”, höre ich die Frage leise durch die Musik der Kopfhörer an mich herandringen. Ich nehme einen der Stöpsel aus dem Ohr und nenne ihr meinen Wunsch. Sie schaut über mich hinweg und auch Louis gibt seine Bestellung auf. Wir erhalten beide unseren Getränkewunsch und sie zieht weiter. Aus dem Augenwinkel heraus kann ich erkennen, dass Louis sich für einen der Bordfilme entschieden hat. Schweigsam und schon wieder in unsere jeweilige Beschäftigung vertieft, nehmen wir unsere Getränke zu uns.

Auch ich wähle mir nun einen Film aus dem Bordprogramm aus und lasse mich durch die Handlung von meinen Gedanken ablenken. Dies klappt ganz gut, bis die Stewardess das nächste Mal neben mir steht und das Essen serviert wird. Entsprechend unterbreche ich den Film, nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und mein Menü entgegen. Ich bestelle immer ein Low-Fat-Essen als Sonderwunsch vorab und bin damit immer einer der ersten Gäste an Bord, der sein Essen serviert bekommt. Ich bekomme mit, dass Louis meine Sonderstellung bemerkt hat und mein Tablet einmal prüfend anschaut.

„Eine Marotte von mir“, sage ich und wende zum ersten Mal meinen Blick direkt zu ihm. Ertappt schaut er mir in die Augen und genauso schnell wieder weg. Wir holen beide tief Luft. Ich über seine Reaktion und er, weil ich seinen prüfenden Blick bemerkt habe. Dass kann ja heiter werden über die drei Wochen, denke ich bei mir. Offensichtlich können wir beide mit der Situation nicht wirklich gut umgehen.

Nachdem Louis das Essen serviert wurde, versuche ich einen neuen Anlauf in Punkto Kommunikation.

„Guten Appetit“, sage ich.

„Danke, dir auch“, kommt es nach einem kurzen Zögern leise zurück.

Der Rest des Essens verläuft schweigend und Louis weicht meinem Blick immer aus. Gut, denke ich bei mir, wenn er nicht möchte, kann ich ihn nicht zwingen. Das werden dann wohl wirklich anstrengende drei Wochen, zumal wir uns ja ein Zimmer teilen sollen. Nachdem die Stewardess unsere Tablets abgeräumt hat, schaut jeder von uns seinem Film weiter. Ich wundere mich ein wenig, dass Stefanie sich noch nicht irgendwie bemerkbar gemacht hat, doch Michael hat ihr wohl klar gemacht, dass dies hier im Flieger keine gute Idee wäre. Louis und mich gemeinsam auszuquetschen, würde eh zu nichts führen und dass wir uns kennen, hat unsere eindeutige Reaktion ja wohl gezeigt.

Louis ist zwischenzeitlich neben mir eingeschlafen. Sein Film, so kann ich auf dem Display sehen, läuft noch, aber er hat die Augen geschlossen und sein Atem geht gleichmäßig und ruhig. Während er so neben mir liegt, komme ich nicht umhin ihn doch mal genauer zu betrachten. Bislang habe ich ihn noch nie wirklich angesehen. Wozu auch? Beziehungen sind nicht mein Ding und dass wir bereits zweimal miteinander geschlafen haben, ist schon eine große Ausnahme. So langsam frage ich mich, warum ich mich so viel mit ihm beschäftige. Während ich so in meinen Gedanken hänge, schiebt sich fast unbemerkt das Bild von Louis in der Talstraße wieder in meinen Kopf. Was war in der Nacht nur mit uns beiden los?

Als ich wieder in der Flugzeugrealität ankomme, schaue ich in offene Augen, welche mich aufmerksam beobachten. Kurz erschrecke ich, was auch bei Louis die Reaktion des Wegschauens hervorruft. Instinktiv greife ich nach seinem Arm und Louis schaut zuerst auf meine Hand, um dann den Blick wieder zu meinem Gesicht zu wenden. Ich nehme meine Kopfhörer aus den Ohren und auch Louis nimmt zögerlich einen Knopf aus dem Ohr.

„Es tut mir leid“, höre ich mich plötzlich sagen. Louis schluckt, antwortet aber nicht. Sein Blick bleibt auf mich gerichtet, wartend, ob ich noch etwas zu sagen habe.

Ich bin selbst über diese Worte überrascht, eigentlich nicht wissend, warum ich mich gerade bei ihm entschuldigt habe.

„Es tut mir leid“, wiederhole ich mich, „irgendwie ist das mit uns beiden ganz doof gelaufen.“ Nehme ich einen unglücklich zweiten Anlauf. Louis rollt mit den Augen und ist schon wieder dabei, sich seinen Knopf ins Ohr zu stecken, doch ich greife wieder nach seinem Arm und halte ihn davon ab.

„Was willst du?“, fragt er scharf und schaut mich dabei kalt an.

„Können wir…“, sein Blick durchbohrt mich nun fast. „Können wir vielleicht kurz reden?“

„Über was? Dass du dich verpisst hast, nachdem du mir mit geschlafen hast? Und das gleich zwei Mal hintereinander!?! Dass du aus der Sauna im Meridian Spa geflüchtet bist und danach nicht mal auf meine Nachricht reagiert hast? Oder über die schräge Nummer in der Talstraße, die du dort abgezogen hast? Hab’ ich noch was vergessen?“, platzt es relativ lautstark aus ihm heraus.

„Ich habe dir nichts verschwiegen. Ich habe klar gesagt, dass ich nur One-Night-Stands habe und kein zweites Mal mit jemandem schlafe“, entgegne ich nicht minder lautstark.

„Ach und warum war ich dann die berühmte Ausnahme?“, unterbricht er mich, bevor ich mich weiter verteidigen kann. „Erwischt“, schießt mir dabei nur in den Kopf. Denn genau auf diese Frage habe ich auch noch keine Antwort gefunden und wahrscheinlich kommen auch die anderen Aktionen und Reaktionen genau daher. Entsprechend bin ich nun derjenige der seinem Blick nicht standhalten kann.

Ich spüre seinen Blick weiterhin auf mir ruhen und ihn auf eine Antwort warten.

„Weil ich das zweite Mal Mitleid mit dir hatte?“ Versuchte ich eine unüberlegte Ausflucht, den Blick noch immer von ihm abgewandt.

„Mitleid?“, seine Stimme überschlug sich förmlich, dabei griff er nach meinem Kinn und zwang mich ihm in die Augen zu blicken.

Noch nie im Leben habe ich mich so hilflos gefühlt, wie jetzt in diesem Moment, wo ich ihm in die Augen sehen muss. Sein Blick bohrt sich förmlich in mich hinein, als wolle er auf den Boden meiner Seele blicken. Ich schließe die Augen und schlucke heftig, mit mir kämpfend und weiter nach einer Antwort suchend.

„Und warum kannst du mir dann nicht mal in die Augen sehen, wenn du mir die Antwort gibst?“, bohrt er weiter nach.

Langsam werde ich wieder Herr meiner Sinne und entreiße mich seinem Griff.

„Und weil ich gegen meine Prinzipien verstoßen habe. Auch die habe ich dir klar mitgeteilt, aber nein, du musstest ja unbedingt eine Wiederholung draus machen“, werfe ich ihm nun vor.

„Ach, also habe ich dich jetzt wahrscheinlich dazu genötigt oder gar dazu gezwungen ein zweites Mal mit mir zu schlafen?!“, fängt Louis an sich nun aufzuregen. Leider nicht weniger laut als zuvor. So langsam wird es mir unangenehm, denn die ersten Leute drehen sich bereits nach uns um.

„Nein“, versuche ich leider nicht weniger laut die Stimmung zu entschärfen.

„Jungs“, dreht sich Stefanie zu uns herum und zischt uns dabei an, „könnt ihr das etwas leiser klären? Ich denke euch ist bewusst, dass ihr nicht alleine im Flieger seid. Egal was da zwischen euch ist oder gewesen ist, klärt das doch nicht in aller Öffentlichkeit und in voller Lautstärke.“

Louis und ich schauen zuerst Stefanie überrascht an und werfen dann einen prüfenden Blick um uns herum. Ein oder zwei Personen scheinen zu nicken, als wollten sie Stefanie beipflichten. Louis und ich holen beide tief Luft und versuchen einen klaren Gedanken zu fassen. Nachdem sich Stefanie wieder umgedreht hat, tritt Schweigen ein, welches sich langsam unangenehm zwischen uns ausbreitet. Jeder hängt seinen Gedanken nach und sucht nach einem Anfang. Schließlich atme ich durch und versuche es erneut. Diesmal ehrlicher.

„Es tut mir leid, Louis“, dabei wende ich meinen Blick zu ihm und schaue ihm offen in die Augen. „Ich habe dich und deine Gefühle verletzt und kann verstehen, dass du deshalb sauer auf mich bist“, setze ich als Erklärung hinterher.

Diesmal ist es Louis, der meinem Blick nicht standhalten kann, doch er antwortet leise:

„Nicht sauer, Kim. Ja, irgendwo schon, aber doch mehr enttäuscht von dir und wütend auf mich selbst. Enttäuscht von dir, dass du so einfach weitergezogen bist. Wütend, weil ich nicht so einfach loslassen konnte und deine Reaktionen einfach nicht verstehen kann.“

Wow, das war offen und ehrlich. Louis hat sich wohl mehr Hoffnungen gemacht als ich gedacht hatte.

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll“, versuche ich eine Antwort. Nun lässt Louis nicht nur den Kopf, sondern auch noch seine Schultern hängen.

„Ach Scheiße“, sage ich und fahre mir dabei durch die Haare. „Ich bin nicht gut in solchen Gesprächen“, versuche ich mich zu erklären und greife dabei nach seinem Arm. Er zieht ihn weg und schaut mich einfach nur traurig an. Dieser Blick bricht mir schier das Herz und gleichzeitig fahren alle Schutzmauern in mir hoch.

„Ich kann das nicht“, ist das Einzige, was ich noch rausbekomme. Louis hebt überrascht seinen Blick.

„Was kannst du nicht? Mir eine ehrliche Antwort geben?“, höre ich seine Frage ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme.

Ich fühle mich mehr als unwohl in meiner Haut und würde am liebsten wegrennen. Doch wohin? Ich sitze in einem Flieger hoch über der Erde und kann nirgendwo hin.

„Ich…“, beginne ich stockend. Mir wird dabei heiß und kalt zugleich. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Mit jedem Atemzug den ich nehme, beruhige ich mich wieder etwas und gewinne meine Selbstsicherheit zurück. Die Mauern, die versuchten mich gerade zu erdrücken, schiebe ich dabei immer ein Stück weiter zurück.

Als ich die Augen wieder öffne, schaut mich Louis noch immer an. Mehr noch, er beobachtet mich und versucht in meinem Gesicht zu lesen, was gerade in mir vorgeht. Gott sei Dank habe ich mich wieder so weit im Griff, dass ich seinem Blick standhalten kann.

„Ich kann das nicht“, sage ich nun wesentlich entschlossener. „Ich bin kein Beziehungstyp und möchte meine Freiheit behalten“, schiebe ich noch hinterher.

Louis kneift die Augen zusammen, fixiert mich und versucht weiter in mir zu lesen. Aber ich habe mich nun wieder im Griff und halte seinem Blick stand. Mein Moment der Schwäche ist vorbei und ich habe mich wieder unter Kontrolle.

Schließlich gibt Louis auf und wendet sich von mir ab.

„Das kann ich akzeptieren“, sagt er zu meiner Überraschung, setzt sich seine Kopfhörer wieder in die Ohren und schaut seinen Film.

Völlig perplex schaue ich ihn weiter an und kann nicht fassen, dass er sich so einfach wieder seinem Film widmet. Nachdem von ihm keine weitere Reaktion mehr kommt, drehe ich mich zurück in meinen Sitz und versuche ebenfalls meinem Film zu folgen.

Leider gelingt mir das nicht wirklich. Meine Gedanken hängen noch immer an der gerade stattgefundenen Kommunikation zwischen uns beiden. Eine solche emotionale Achterbahn bin ich noch selten gefahren. Was ist hier gerade passiert und haben wir nun alles geklärt? Hat er meine Antwort so einfach akzeptiert und war es das jetzt? Ich hänge weiter meinen Gedanken nach und werde erst durch die Ansage des Kapitäns herausgerissen, da wir bereits im Landeanflug auf Doha sind.

Ohne weiter miteinander zu sprechen, packen wir unsere Sachen zusammen und machen uns fertig für den Fliegerwechsel. Nachdem das Flugzeug gelandet ist, nehmen wir unser Handgepäck und unsere kleine Gruppe setzt sich ohne viele Worte in Bewegung.

Im Terminal angekommen, orientieren wir uns nach unserem nächsten Gate. Viel Zeit haben wir nicht, da wir lediglich zwei Stunden zum Umsteigen haben. Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass wir bereits ’ne halbe Stunde der Zeit gebraucht haben, um aus dem Flieger zu kommen. Je nachdem wie weit das andere Gate entfernt ist, mit Sicherheitskontrolle und allem, dürfte es eine echte Punktlandung werden.

Michael schubst mich plötzlich an, lächelt und fragt: „Na, alles in Ordnung bei dir? Das war wohl ein ziemlicher Schock Louis zu sehen. Glaub mir bitte, Stefanie hatte keine Ahnung, dass ihr euch kennt. Sonst hätte sie ihn nicht gefragt mitzukommen.“

„Ist schon in Ordnung“, gebe ich zurück. „Davon konnte ja keiner ausgehen.“

„War aber ganz schön heftig zwischen euch beiden vorhin im Flugzeug. Ich will gar nicht fragen was zwischen euch beiden war oder ist, ich hoffe nur, dass ihr alles klären konntet. Sonst wird es für uns alle ein anstrengender Urlaub.“

Typisch Michael, denke ich bei mir, immer auf den Punkt.

„Nein, das werden wir schon hinbekommen. Immerhin fliege ich mit euch weiter und drehe hier nicht gleich wieder um.“ Bei meinem Satz werfe ich einen Blick über die Schulter und sehe Stefanie mit Louis ein wenig hinter uns im Gespräch. Mit einer Kopfbewegung in deren Richtung füge ich hinzu: „Er offensichtlich auch nicht. Sonst wäre er wohl schon auf dem Weg zum Ticketkauf.“

„Kim“, lacht Michael mich an. „Du nun wieder. Klar wird er mitkommen.“

„Habt ihr euch deshalb aufgeteilt? Du bei mir und Stefanie bei ihm? Wollt ihr die Lage prüfen und sehen, wie schlimm es werden wird?“

„Naja, es ist ja schwer zu übersehen, dass wir durch euch ’ne Spannung in der Gruppe haben und wir sind gerade mal ein paar Stunden unterwegs. Wir wollen Urlaub machen und uns alle vom vergangenen Semester erholen. Das war anstrengend genug und daher machen wir uns schon Sorgen um euch beide. Bekommt ihr das irgendwie hin?“ Michael ist bei seiner Frage stehengeblieben und schaut mich offen an.

Ich seufze. „Ja, ich verspreche, dass ich mein Bestes tun werde. Für die Gruppe und im Sinne der Gemeinschaft“, gebe ich zur Antwort.

„Danke. Aber du weißt, dass das nicht so ganz einfach wird. Arthur und Steffen sowie Stefanie und ich haben jeweils ein Doppelzimmer. Wir würden ungern etwas an dieser Aufteilung ändern. Das heißt, dass Louis und du ebenfalls ein Doppelzimmer teilen werden.“

„Können wir zwei nicht auf Einzelzimmer umsteigen? Das können wir bestimmt in den Hostels anfragen.“

„Wir können es versuchen, doch eine Garantie gibt es nicht. Du weißt, dass wir einige Stationen vor uns haben, aber klar, fragen kostet nichts. Ich möchte nur, dass du dich mit dem Gedanken schon mal anfreundest, für den Fall, dass es nicht klappt.“

Unsere kleine Gruppe ist zwischenzeitlich an uns vorbeigezogen und wir versuchen schnell wieder aufzuschließen. Im internationalen Transferbereich angekommen, packen wir unsere Reisepässe aus und reihen uns in die Schlange der Transferpassagiere ein. Ich vorne, hinter mir Arthur und Steffen, danach Louis und erst ein paar Passagiere dahinter Michael und Stefanie. Ich sehe, wie sie miteinander sprechen. Offensichtlich bringen sie sich gegenseitig auf den neusten Stand. Also doch eine Aufteilung der beiden, um die aktuelle Lage einzuschätzen, denke ich bei mir. Langsam rücken wir vorwärts und ein Blick auf eine Uhr zeigt mir, dass wir nicht mehr so lange brauchen sollten. Der Umstieg mit zwei Stunden ist doch schon sehr knapp bemessen. Entsprechend zügig geht es nach dem Transferbereich auch weiter zu unserem Gate. Der Flughafen ist zwar groß, aber auch sehr gut ausgeschildert. Leider haben wir keine Zeit, uns in dem riesigen Duty-Free Bereich umzusehen, den es hier gibt.

Pünktlich zum Aufruf des Boardings kommen wir an unserem Gate an. Im Wartebereich gesellt sich Stefanie zu mir.

„Na, wie geht es dir?“, fragt sich mich.

„Geht so“, antworte ich ehrlich. „Und dir?“

„Soweit ganz gut. Ich bin froh, dass wir pünktlich am Gate angekommen sind und nun in Ruhe in unseren Flieger einsteigen können.“

„Hm…“, stimme ich ihr zu.

„Kommst du damit klar jetzt elf Stunden neben Louis zu sitzen? Ich meine, ich könnte Michael fragen, ob er neben Louis sitzen würde…“

„Nein, das geht schon. Bleib du mal neben Michael sitzen. Ich bekomme das schon hin.“

„Dass du das „HIN“ bekommst, glaub ich dir ungesehen. Genau das ist ja was ich verhindern möchte“, lacht Stefanie mich an.

„Blöde Kuh“, stimme ich in ihr Lachen mit ein und bin dankbar, dass sie die Situation so ein wenig auflockert.

„Muss ich mir Sorgen um dich machen? Ich meine, Kim, es tut mir echt leid, ich hatte keine Ahnung, dass Louis und du…also…, dass ihr euch kennt.“

„Schon gut, ich mache dir keinen Vorwurf. Du hast nichts falsch gemacht. Louis und ich müssen nur sehen, wie wir das Beste aus der Situation machen. Ich gehe davon aus, dass du vorhin mit ihm gesprochen hast. Wie geht es ihm damit? Kommt er klar?“

Stefanie grinst mich verschmitzt an. „Da interessiert wohl jemanden was der andere denkt, hm?“

Erwischt, denke ich bei mir. Stefanie entgegne ich, „Naja, immerhin muss ich nun drei Wochen mit ihm auskommen, von daher wüsste ich gern, ob ich mit offenen Augen schlafen sollte oder ob ich getrost meinen Schönheitsschlaf genießen kann.“

„Pöh, Schönheitsschlaf genießen“, prustet Stefanie los, „wie lange willst du denn schlafen?“

„Na, danke“, empöre ich mich, „du bist mir ja eine Freundin“, und knuffe sie liebevoll in die Seite.

„Aber ernsthaft“, bringt Stefanie das Thema wieder in die richtige Bahn, „Louis ist ganz schön durch den Wind. Ich habe keine Ahnung, was du mit ihm gemacht hast, aber offensichtlich hast du einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das Gute ist, er ist dir positiv gegenüber eingestellt und das ist schon mal eine gute Voraussetzung für unseren Urlaub. Die Frage ist nun, wie deine Haltung zu ihm ist?“

Ich atme einmal tief durch und denke nach. „Ich war vorhin einfach überrascht und hätte mit vielem gerechnet, aber nicht mit ihm. Weißt du, Louis ist einer der wenigen Männer, mit denen ich zwei Mal im Bett war.“ Stefanie hebt überrascht die Augenbrauen, sagt aber nichts. „Er ist mir danach noch zweimal begegnet. Einmal habe ich die Flucht ergriffen und einmal haben wir uns geprügelt.“

„Ihr habt euch geprügelt?“, fragt sie überrascht nach.

„Haben Arthur und Steffen nicht davon berichtet? Sie waren dabei…naja…fast.“

„Nein, von denen hat keiner was gesagt.“

„Es war in der Wunderbar. Louis war dort und knutschte mit einem Typen. Ich war auch dort und hatte auch jemandem am Start. Irgendwann, als wir unsere Begleiter knutschten, trafen sich unsere Blicke. Louis ist daraufhin raus an die frische Luft und ich irgendwie hinterher. Vor der Tür hat er mir dann eine reingehauen und mich beschimpft. Ich hab’ versucht seine Schläge abzuwehren und hab ihn auf den Boden gepinnt. Daraufhin liefen bei ihm Tränen. Sein Typ hat sich verabschiedet und der meine kam leider im falschen Moment um die Ecke. Bis ich mich wieder zu Louis umdrehte, war er weg und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Bis vorhin im Flieger“, beende ich meine Zusammenfassung.

„Und du hast keine Ahnung, warum er sich so verhalten hat?“ Stefanie sieht mich mit gerunzelter Stirn an.

„Ich habe einen Verdacht, aber ich konnte ihn noch nicht bestätigen. Wir haben ja seitdem noch nicht miteinander gesprochen.“

„Vielleicht ergibt sich ja während des Urlaubs die Gelegenheit, dass ihr zwischen euch Klarheit schaffen könnt.“ Wir vernehmen beide den Aufruf unserer Boarding-Gruppe und gesellen uns zu den anderen in die Schlange.

Im Flieger habe ich den Fensterplatz und Louis sitzt schweigend neben mir.

„Sollen wir tauschen? Magst du lieber ans Fenster?“, frage ich ihn zu meiner eigenen Überraschung.

„Nee, lass mal. Ich habe ja vorhin am Fenster gesessen und wir fliegen eh über die Nacht hinweg. Hier kann ich meine Beine ein wenig besser ausstrecken, wenn es zum Schlafen kommt.“

„Umso besser, dann rempelt dich die Stewardess an, wenn sie mit dem Trolley vorbeizieht und nicht mich“, gebe ich zwinkernd zurück und ernte dafür einen leichten Stoß von Louis.

„Ach, ich wusste gar nicht, dass du die Branche gewechselt hast?“, fang ich an zu lachen.

Louis sieht mich irritiert und fragend an.

Jetzt erst recht lachend gebe ich ihm zur Antwort: „Na dein kleiner Rempler, wie die Stewardess mit ihrem Wagen“. Und zack, habe ich noch einen Stoß abbekommen, diesmal aber etwas härter.

„Arsch“, zischt er mir dabei entgegen und wir lachen beide.

Kurze Zeit später sind wir in der Luft und haben unseren Kurs Richtung Manila eingeschlagen. Die Stewardess hat Louis tatsächlich angerempelt, was bei uns beiden erneut zu einem kleinen Lacher führte. Nach dem Essen werfe ich eine Schlaftablette ein, mein kleines Geheimnis, wenn ich einen Übernachtflug habe. Dann bin ich am nächsten Tag fitter, da ich wenigstens ein bisschen schlafen konnte. Louis hat sich neben mir einen neuen Film angemacht und ich merke, wie sich langsam die Müdigkeit in mir breit macht. Mein Kopf sinkt zur Seite und ich schlafe langsam ein.

Als ich wach werde, spüre ich einen Druck auf meinem Kopf. Allerdings nicht innen, als hätte ich Kopfschmerzen, sondern einen Druck von außen. Ich öffne die Augen und merke, dass ich beim Schlafen auf die Seite gerutscht bin und somit an Louis liege. Und Louis scheint auch eingeschlafen zu sein und er hat sich offensichtlich nicht weggedreht, denn sein Kopf ruht auf dem meinen. Ein Teil von mir will sich sofort aufrichten, zurück auf meine eigene Seite des Sitzes flüchten. Doch irgendwas in mir hält mich zurück. Ich weiß nicht genau, ob es Rücksicht ist oder einfach das angenehme Gefühl seiner Nähe. Es ist warm. Ruhig. Und ja es fühlt sich sogar irgendwie gut an.

Verdammt. Warum nur? Leichte Panik steigt in mir auf.

Dennoch bleibe in meiner Position sitzen und schließe wieder die Augen, tue so, als hätte ich nichts gemerkt. Louis schläft offenbar noch. Ich höre seinen ruhigen Atem, spüre seinen leichten Herzschlag über die Schulter. Ganz langsam entspanne ich mich wieder. Zu meiner eigenen Überraschung genieße ich sogar die Berührung. Also einfach einen kleinen Moment da liegen bleiben, das bringt mich schon nicht um.

Der kleine Moment dauert länger als gedacht und ich bin scheinbar nochmals tief eingeschlafen. Erst als Louis mich sanft mit der Hand am Arm berührt, werde ich wieder wach.

„Hey Schlagmütze, aufwachen“, flüstert er in mein Ohr. „Wir sind gleich in Manila und befinden uns im Landeanflug.“

Unbewusst drücke ich mich ein wenig dichter an ihn ran und genieße nochmals die Nähe und Wärme seines Körpers. Plötzlich wird mir bewusst, was ich hier gerade tue. Ich kuschle mit Louis! Ich fahre in meinem Sitz hoch und fange instinktiv an meine Sachen zusammenzusuchen. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen verwirrten, aber grinsenden Louis. Gott sei Dank sagt er aber nichts dazu, sondern fängt selbst an, seine Sachen zusammenzusuchen.

Kurze Zeit später landen wir in Manila und können endlich aussteigen. Die anderen haben wohl auch geschlafen und jeder trottet so vor sich hin Richtung Zoll und Gepäckausgabe. Entweder sie haben tatsächlich nichts mitbekommen oder kommentieren die Situation mit Louis und mir nicht.

Wir reihen uns in die Schlange zur Passkontrolle ein und trotten gemeinsam mit den anderen Passagieren in Richtung der Beamten. Auf der Wand neben mir taucht ein großer Hinweis zur Einreise auf.

"Hat jeder sein E-Travel beantragt und griffbereit?“, fragt Arthur und deutet auf den großen Hinweis neben uns. Alles nickt und trottet weiter. Mir rutscht plötzlich das Herz in die Hose. Ich krame hektisch in meiner Tasche, durchforste mein Handy... nichts. Gar nichts.

„Äh…Moment“, sag ich kleinlaut. „Was für ein E-Travel?“, frage ich nun in die Runde.

"Nicht dein Ernst", sagt Steffen lachend.

"Das für die Einreise. E-Travel. Haben wir doch vor zwei Wochen den QR-Code in die Reise-Gruppe gepostet", kommt nun auch Michael dazu.

"Was für ein QR-Code?"

"Classic Kim!", wirft Michael ein und Stefanie verdreht theatralisch die Augen.

"Du kannst es aber hier direkt nachholen", beruhigt mich Louis neben mir. "Da vorne ist ein Terminal mit QR-Code-Scanner. Dauert nur ein paar Minuten. Ich warte auf dich."

Das "Ich warte auf dich" bleibt bei mir hängen, während ich schon auf dem Weg zur Terminal-Station bin.

„Na super“, murmele ich, während ich mein Handy hektisch entriegle. Ich schicke die anderen vor und starte meine Registrierung. Die anfängliche Panik lässt schnell nach, denn ich kann die Registrierung hier vor Ort nachholen und nicht, wie eigentlich vorgesehen, 72 Stunden vor Einreise.

Bis ich fertig bin, stehen die Anderen bereits hinter der Kontrolle und winken mir mit einem Grinsen zu. Stefanie hält demonstrativ den Daumen hoch, Arthur filmt mich sogar. Auch Louis kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ey!“, rufe ich genervt, doch sie lachen nur.

Immerhin: Die Einreise und Passkontrolle sind dann schnell erledigt, der Aufreger verpufft und ein paar Minuten später haben wir auch unsere Koffer bekommen und sind auf dem Weg zum Taxi.

Willkommen in Manila.

Der Verkehr in Manila ist ungewohnt und viel dichter als in Deutschland. Verkehrsregeln scheint es auch keine zu geben, so mein Eindruck. Links und rechts ziehen Fahrzeuge aller Art an uns vorbei, vor allem Motorräder und die berühmten Tricycles. Hupen, bremsen, schimpfen und sich gegenseitig blockieren und reindrängeln scheint hier an der Tagesordnung zu sein. Gott sei Dank muss ich hier nicht fahren, stelle ich erleichtert fest. Trotz allem bringt uns der Fahrer sicher und wohlbehalten ins Hotel.

„Es tut mir leid, Sir“, sagt die Rezeptionistin mit einem entschuldigenden Lächeln in englischer Sprache zu mir. „Keine Twin-Beds mehr verfügbar. Nur noch Queen-Size.“

Stille.

Ein kurzer Blick durch die Gruppe. Michael öffnet schon den Mund, doch Louis ist schneller:

„Passt. Wir kommen klar.“

Ich nicke zögerlich.

„Kriegen wir hin“, sage ich. Meine Stimme klingt dabei leicht brüchig.

Louis schaut mich an, neutral, offen und keineswegs provozierend. Einfach nur abwartend. Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht schießt.

„Passt schon“, wiederhole ich langsam und Louis bekommt den Zimmerschlüssel.

Stefanie schaut erst mich, dann Louis an. Dann sagt sie vorsichtig: „Ihr sagt Bescheid, wenn’s nicht geht, okay?“

„Alles gut. Aber klar, machen wir“, sagt Louis überzeugt.

Ich nicke nur.

Wir schieben unser Gepäck zu den Aufzügen und steigen ein. Auf dem Weg nach oben bekomme ich doch Zweifel und merke, wie ich nervös werde, sage aber nichts.

Wir sind alle auf der gleichen Etage untergebracht und verabreden, uns in einer halben Stunde wieder unten in der Lobby zu treffen. Ein kurzer Abschied und schon zieht jede Paarung in Richtung ihres Zimmers. Louis öffnet unser Zimmer, schiebt seine Koffer rein und ich folge ihm mit meinem Gepäck.

Hinter mir fällt die Tür ins Schloss. Ich stehe im Flur und denke nur: Unser Zimmer. Wir zu zweit und nur ein Bett.

Louis steht bereits mitten im Zimmer und pfeift leise durch die Zähne. „Schick hier. Besser als erwartet.“

Ich nicke, ziehe meine Koffer zur Seite. „Jap.“

„Links oder rechts?“, fragt er und meint die Bettseite.

„Egal. Wähl du“, gebe ich knapp zurück, noch immer meine verwirrte Gefühlswelt sortierend, die mich gerade überrumpelt.

Er geht zur Fensterseite. „Okay. Dann schlafe ich da. Dann habe ich morgens die Aussicht.“

Ich nicke. Wieder.

Louis lässt sich aufs Bett fallen. Testet die Matratze und dreht sich zu mir. „Wird schon, oder?“

Ich ziehe meine Schuhe aus. „Ich geb’ mir Mühe.“

„Ich auch“, sagt er und sein Lächeln ist ehrlich.

Ein Moment der Stille.

Dann: „Wir treffen uns unten in…?“

„Halbe Stunde“, sage ich schnell.

„Cool.“

Er steht auf und geht ins Bad. Die Tür ist geschlossen, aber ich höre dennoch das Wasser rauschen. Ich bleibe stehen, starre auf das Bett. Meine Gedanken schlagen weiterhin Purzelbäume.

Louis. Mein Bett. Drei Wochen.

Ich schließe die Augen. Was machst du hier eigentlich, Kim? Wie soll das nur gutgehen?

Schließlich gebe ich mir einen Ruck und starte meine Koffer auszupacken und mich langsam einzurichten. Es sind nur zwei Nächte. Vielleicht haben wir im nächsten Hotel Einzelzimmer.

Als Louis und ich nach 30 Minuten unten in der Lobby ankommen, hören wir unsere Gruppe leise reden. Da sie mit dem Rücken zu den Fahrstühlen stehen, haben sie uns noch nicht bemerkt.

„Also… was glaubt ihr, wie das läuft?“, fragt Stefanie und stützt sich gegen Michaels Schulter.

„Entweder sie bringen sich gegenseitig um – oder…“

„Oder?“

„Oder wir müssen bald zwei Einzelzimmer nachbuchen“, grinst Arthur.

„Können wir wetten?“, fragt Steffen.

„Nicht nötig“, sagt Stefanie mit einem wissenden Lächeln. „Ich spür das – da ist WAS!?!?“ Letzteres schreit sie, denn ich kann bei so viel Dreistigkeit meiner Freunde nicht an mich halten und pieke sie mit beiden Zeigefingern von hinten in die Rippen. Empört und überrascht dreht sie sich zu mir um.

„Strafe muss sein“, lache ich nur und schaue in die überraschten Gesichter unserer kleinen Gruppe. Auch Louis kann sich ein Grinsen nicht verkneifen und schüttelt nur den Kopf.

„Habt ihr ausgelästert? Na, dann können wir ja los“, setze ich gleich nach.

Michael findet als erster die Sprache wieder und fragt nach: „Wo wollen wir denn hin?“

„Wie wäre es mit Abendessen. Ich bin am Verhungern“, amüsiert sich Louis noch immer.

„Wie wäre es dann, wenn wir einfach hier im Hotel essen, ich bin müde und will nicht mehr raus“, kommt es von Arthur, welcher sich dabei an Steffen lehnt.

„Kein Problem, lasst uns hierbleiben“, entscheidet Stefanie, „dann können wir auch gleich über die Planung für die kommenden Tage sprechen.“

Gesagt – getan. Wir bewegen uns ins Restaurant, bekommen einen schönen Tisch und bestellen uns einige philippinische Köstlichkeiten. Während wir auf unsere Bestellungen warten, eröffnet Arthur seine Planung:

“Also, das Ganze geht morgen früh um 8:00 Uhr los und dauert 12 Stunden. Ein Guide wird uns am Hotel mit dem Auto abholen. Von dort geht es in den berühmten Rizal Park und der Besuch der Casa Manila zeigt uns das Leben zu Manilas spanischer Kolonialzeit. Danach geht es weiter zum Intramuros, das ist ein Stadtteil von Manila, welcher ebenfalls aus der spanischen Kolonialzeit stammt und komplett von einer Mauer umgeben ist. Dort waren früher die Verwaltungsgebäude angesiedelt, wie zum Beispiel der Palacio del Gobernador, also der Gouverneurspalast oder die Kathedrale von Manila. Aber auch das Colegio de San Juan de Letran, welches die älteste Hochschule des Landes ist.“

„Wow. Moment, du willst uns zwölf Stunden mit Geschichte vollstopfen?“, wirft Michael entgeistert ein.

„Also ich finde den Plan nicht schlecht“, setze ich ihm entgegen, bevor Arthur Luftholen und gegen Michael antworten kann. „Lass mal hören, was sonst noch dabei ist“, füge ich schnell an und gebe einen warnenden Blick gegen Michael, welcher zwischenzeitlich auch schon von Stefanie einen Ellenbogen in die Rippen bekommen hat.

„Es gibt ja nicht nur Geschichte“, führt Arthur seine Beschreibung weiter. „Wir können dort in der Nähe auch gemütlich und lecker Essen gehen, gegebenenfalls finden wir auch was auf dem Seaside Market, welcher berühmt für seine Meeresfrüchte und Fische ist. Abschießend könnten wir im SM Mall of Asia, einem der größten Einkaufszentren in Manila, noch ein wenig Zeit verbringen und einen schönen Sonnenuntergang zum Abschluss in der Manila Bay ansehen. Danach würden wir zurück zum Hotel gebracht werden“, schließt Arthur seinen Bericht und schaut uns erwartungsvoll an.

„Das klingt nach einem anstrengenden, aber auch sehr lohnenden Tagesprogramm“, eröffnet Louis die Diskussion.

„Wollen wir denn wirklich ’nen ganzen Tag durch Manila touren?“ wirft Michael wieder ein.

„Warum nicht? Ich finde die Idee sehr gut, mit der Tour haben wir die Möglichkeit vieles zu sehen, sind mit dem Auto und einem Guide sicher unterwegs und müssen nicht alles suchen. Das meiste der Tour wollte ich eh erkunden“, gebe ich zurück.

„Ja, ich möchte auch einiges sehen, denn wer weiß, wann ich wieder die Möglichkeit dazu bekomme. Zudem sind wir ja insgesamt drei Tage in Manila und haben ja auch noch die Zeit vor dem Rückflug dort“, unterstützt Stefanie den Gedanken.

„Wie wäre folgender Vorschlag: Wir sind heute ja erst angekommen. Lasst uns doch den morgigen Tag damit verbringen erst mal richtig in unser Hotel einzuziehen. Nach dem Frühstück könnten wir im Pool ’ne Runde schwimmen und anschließend was Leckeres zum Mittagessen finden. Somit könnten wir den Tag zum Bummeln nutzen und auch über den Jetlag hinwegzukommen. Am nächsten Tag machen wir die von Arthur beschriebene City-Tour und haben damit gleich alles an Sehenswürdigkeiten abgehakt. Den dritten Tag in Manila können wir gemeinsam verplanen oder geben uns die Möglichkeit individuelle Programmpunkte abzugehen. Am vierten Tag fliegen wir weiter nach Cebu.“ Erwartungsvoll schaut Steffen nach seiner Erklärung in die Runde. „Wie klingt das für euch?“

„Aber was ist mit dem Ocean Park? Den hast du gerade vergessen“, fragt Stefanie nach.

„Dann eben so“, versuche ich es nun. „Gleicher Plan wie von Steffen, nur dass wir dann morgen in den Ocean Park gehen, am dritten machen wir gemeinsam die City Tour und fliegen am vierten weiter.“

„Das wird aber ganz schön stressig. Ich dachte wir machen Urlaub!?“, entgegnet Michael.

„Also ich finde die Idee nicht schlecht“, unterstützt mich Stefanie.

„Ich auch“, fügt Arthur hinzu. „Klar, es ist ein strammes Programm, aber mit dem Ocean Park können wir flexibel ab und zu geben, so dass wir unser Tempo selbst bestimmen können.“

„Gut, dann bin ich auch dabei“, sagte Michael. Auch Louis nickt zustimmen.

„Also beschlossen“, fasst Steffen zusammen. „Weitere Aktivitäten und Punkte?“

„Nicht für Manila! Nach der Städtetour will ich endlich Stand und Sonne. Aber ich glaube da haben wir in Cebu-Oslob, Alona-Beach und Bohol ne Menge Zeit für“, grinste Michael und erhält ’nen liebevollen Klaps von Stefanie. „Hey, ich wollte es ja nur erwähnt haben, es soll ja auch ein wenig Urlaub und Entspannung dabei sein“, gab er noch kleinlaut von sich.

Bevor wir unsere Diskussion auf die weiteren Tage ausweiten können, kommt auch schon unser Essen. Wow, ich bin echt beeindruckt und zücke sofort das Handy, um ein paar Bilder davon zu machen. Anrichten können sie hier und die Präsentation der Speisen ist echt gelungen. Nicht nur dass, auch geschmacklich sind wir alle hellauf begeistert!

Lange sitzen wir allerdings nicht mehr zusammen, denn der Jet-Lag überrollt uns und wir wollen nur noch ins Bett. Aber immer wieder dieser Blickkontakt zwischen Louis und mir. Unausgesprochen, aber nicht unangenehm. Im Gegenteil. Es macht mich nervös. Und irgendwie kribbelig.

Schließlich kommt der Aufbruch und wir verabreden uns noch kurz zum Frühstück um 9:00 Uhr und verschwinden dann auf unsere Zimmer.

Louis und ich sind nun wieder allein.

Louis ist im Bad, ich sitze am Bettrand und starre auf den Vorhang, der sich leicht im Luftzug der Klimaanlage bewegt. Ich höre, wie seine Zahnbürste summt, das Wasser läuft. Alles wirkt normal. Aber irgendwie ist nichts normal.

Als Louis aus dem Bad kommt, trägt er nur Shorts und ein T-Shirt. Auch wenn ich nicht will, aber ich kann einen Blick auf seine Körpermitte nicht verhindern. Natürlich ertappt er mich dabei und ich werde rot, doch er lächelt. „Bad ist frei“, sagt er nur.

Ich nicke, gehe wortlos ins Bad und schäle mich aus meinen Klamotten. Auch wenn ich vorhin bereits geduscht hatte, so stelle ich mich nochmals unter das kühle Nass und genieße die Regenwasserdusche, sowie das befreiende Gefühl, als würden alle unnötigen Gedanken mit in den Abfluss fließen. Derart entspannt merke ich, dass ich doch ein wenig Notstand habe. Schon richtet sich mein Schwanz auf und ich lasse meine Hände nach unten gleiten, umfasse meine Eier und umschließe schließlich meinen Schaft, beginne ihn langsam zu reiben. Ein leises Seufzen entgleitet mir und erschrocken hoffe ich, dass Louis dies draußen nicht gehört hat. Dennoch mache ich weiter und werde in meiner Bewegung runder und schneller. Meine Gedanken wandern fast automatisch zu Louis, wie wir uns leidenschaftlich das Hirn rausgevögelt haben. Sehr schnell überrollt mich ein unglaublicher Orgasmus und ich habe alle Mühe, nicht laut aufzustöhnen und meiner Geilheit freien Lauf zu lassen. Das letzte Zucken meines Schwanzes still auskostend, wende ich mich danach der eigentlichen Körperreinigung zu und hoffe weiterhin, dass Louis von meinem privaten Intermezzo nichts mitbekommen hat.

Als ich zurückkomme, liegt er schon im Bett, auf seiner Seite, das Handy in der Hand.

Ich steige auf meine Seite, versuche möglichst unauffällig das Laken glattzuziehen. Hier draußen heißt es wieder Abstand halten. Cool bleiben und mir nichts anmerken zu lassen.

Doch plötzlich sagt er leise:

„Schön, dass du mitgekommen bist.“

Ich schlucke, fühle mich ertappt und werde rot. Erst jetzt realisiere ich, dass Louis „mitgekommen“ gesagt hatte und meine Panik verfliegt langsam wieder. Ich drehe den Kopf und schaue ihn an. Er meint es ernst.

„Du auch“, sage ich und es klingt aufrichtiger, als ich geplant hatte.

Eine lange Pause.

Dann: „Gute Nacht, Kim.“

„Gute Nacht, Louis.“ Und schon dreht er sich um und kuschelt sich in seine Decke.

Kurze Zeit später höre ich das gleichmäßige Atmen und er ist eingeschlafen.

Ich hingegen liege auf dem Rücken und starre an die Decke. Louis atmet weiterhin gleichmäßig. Ich höre, wie das T-Shirt bei jedem Atemzug leise über seine Haut raschelt.

Langsam, ohne ihn zu wecken, drehe ich mich zu ihm, sehe sein Profil im matten Licht vom Fenster. Und ich merke, dass ich längst nicht mehr nur flüchten will. Aber ich kann auch nicht bleiben.

Ich weiß nicht, was das ist. Aber es lässt mich nicht los.

Ich wollte keine Nähe. Keine Bindung.

Und doch… war es nicht genau das? Seine Schulter? Seine Wärme? Seine Worte?

Ich hab’ Angst, dass er mir weh tut. Oder ich ihm.

Ich hab’ Angst, dass ich mich verliere.

Aber vielleicht…

Vielleicht ist es genau das, was ich brauche, um mich selbst zu finden.

Ach Louis…Was hast du nur mit mir gemacht?

Meine Gedanken kreisen weiter.

Ich liege so noch lange wach. Starre ihn an und höre seinen Atem.

Es ist dunkel, aber nicht still.

Die Klimaanlage summt leise, irgendwo draußen hupt ein Auto und Louis atmet gleichmäßig neben mir. So ruhig. So friedlich. Aber in mir tobt ein Sturm.

Wie gern würde ich ihm alles sagen, aber auch nicht. Allein der Gedanke, dass ich mehr von ihm wollen würde, fühlt sich wie Verrat an. An mir selbst. An all meinen Prinzipien.

Ich drehe den Kopf zur Seite, langsam, so dass er es nicht merkt.

Sein Gesicht ist nur schwach zu erkennen, nur Schatten, Lichtkanten, Atemzüge.

Und doch: Ich sehe mehr, als ich sehen will.

Diese Wimpern, diese leicht geöffneten Lippen, die Ruhe in seinem Gesicht.

Ich erinnere mich an seinen Blick vorhin.

„Ich hab’ mich so an mein Leben ohne echte Gefühle gewöhnt“, denke ich, „dass ich gar nicht mehr weiß, wie das geht, das wahrhaftige Näherkommen.“

Ich beiße mir auf die Lippe. Es tut weh. Genau richtig.

Schmerz ist vertraut.

Nähe nicht.

„Aber bei dir...“ Ich schließe kurz die Augen. Spüre meinen Herzschlag.

„Scheiße, es fällt mir so schwer wegzusehen und meine Gefühle zu unterdrücken.“

Ich drehe mich wieder auf den Rücken. Schaue an die Decke. Mir kommen die Tränen der Verzweiflung und ich hole tief Luft.

„Schwerer, als mir lieb ist. Und leichter, als ich es zulassen will.“

Ich atme tief durch.

Was zur Hölle machst du mit mir, Louis?

Und was zum Teufel soll ich damit anfangen?

Ich höre wieder seinen Atem.

Sanft. Gleichmäßig. Schlafend.

Oder tut er nur so?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur eins:

Ich verliere langsam die Kontrolle. Und vielleicht will ein Teil von mir genau das.

Ich drehe mich auf die Seite, weg von ihm. Vielleicht finde ich so Schlaf.

Vielleicht finde ich auch mich selbst.

Oh Gott... wie wird das hier nur weitergehen? Mit diesen Gedanken schlafe ich schließlich langsam ein…

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