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Silent Storm

Teil 1 - Allein du...wieso du?

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Informationen

 

" Man! Ich fühle mich hier wirklich nicht wohl!"

Ich sah meine Mutter genervt an.

" Sean! Ich bitte dich! Es ist nun mal so! Und außerdem solltest du das als eine neue Chance nutzen. Nicht vielen Jungen in deinem Alter wird so etwas geboten. Hier kannst du noch einmal von vorne anfangen und dir die richtigen Freunde suchen."

Ja, ja. Jeden Tag musste ich mir dieselben dahingeredeten Wörter anhören. Von wegen. Ich kann hier garantiert nicht neu anfangen. Zumal ich die ganzen Typen hier nicht einmal richtig verstehe. Ich weiß gar nicht wie die sich das vorstellen! Ich komme aus Amerika und soll jetzt die Franzackensprache lernen? Und vor allem, wie soll ich das in der Schule machen? Ich gehe in dieselbe Schule wie die ganzen Franzosen hier.

" Also mach das Beste daraus!"

" Ja, werde ich."

Das Haus war schön. Das musste ich zugeben. Schön groß und außerdem hatte ich hier eine eigene Wohnung. Insgesamt fand man in diesem Haus vier Wohnungen. Eine davon bewohnten meine Eltern und mein Bruder und eine andere ich. Die restlichen beiden Wohnungen standen noch leer. Wir suchten noch nach Mietern.

" Oh, Schatz? Könntest du bitte die Interessenten durch die Wohnung führen? Ich muss gleich weg. Danke, Schatz!"

Hatte ich eine Wahl? Wohl eher nicht.

Ich nahm den Schlüssel mit dem roten Anhänger, der aussah wie eine Rose und lief nach unten, wo tatsächlich schon Menschen standen. Ich wunderte mich, denn dort standen zwei Typen, die nicht älter als 20 aussahen.

" Oh. Bonjour!" Küsschen links und Küsschen rechts.

An diese Begrüßung musste ich mich eindeutig noch gewöhnen.

" Je m'appelle Miguel."

Oh. Irgendwie verkörperte dieser Typ den typischen Franzosen. Fehlte nur noch das Baguette in seiner Hand und er wäre wirklich der absolute Standart-Franzose. Der andere sah sich genervt um und als sich unsere Blicke trafen, drohte ich fast umzufallen. Der Typ musste mich jetzt schon mehr als nur hassen.

" Ich habe gehört du bist Amerikaner?"

Wow! Fließend amerikanisch ohne Akzent. Und trotzdem war mir sein Blick unangenehm. Gut. Vielleicht war es auch nicht nur sein Blick, sondern auch sein Aussehen. Er trug ein weises T-Shirt durch das man eindeutig die Spuren von unzähligen Tattoos erkannte, welche bis über die Arme reichten. Außerdem sah er nicht wie jemand aus, dessen Tag aus Faulenzen und Essen bestand. Hinzu kam auch noch seine Größe. Er war mindestens einen Kopf größer als ich. Wie groß musste er dann sein? Ich war absolut durchschnittlich groß, aber neben ihm wirkte ich irgendwie winzig.

" Stimmt." Ich konnte nicht mehr sagen. Irgendwas stimmte mit dem Typen nicht. Er machte mir ... Angst?

" Gut. Dann kann ich dieses verdammte Französisch lassen."

" Kommst du auch aus Amerika?"

" Ja. Nur leider musste ich hierher ziehen, da ich in Amerika ziemlich Ärger hatte."

Genauso siehst du auch aus!

Mir fiel auf, dass er eine Haut hatte, die aussah, wie ... Seide? Ja! Wie ein hauchdünnes Tuch, das man auf sein Gesicht gelegt hatte. Außerdem hatte er absolut perfekte Gesichtszüge. Ob er wohl so ein Operationsfreak war? Wohl kaum, denn das würde doch anders aussehen. Bei ihm sah es wirklich natürlich und gleichzeitig perfekt aus.

" Ärger? In wie fern?"

Mist! Wieso frag ich ihn das?! Der Typ interessiert mich einen feuchten Dreck!

" Du bist ganz schön neugierig."

Ich sah an ihm vorbei zu dem anderen Typen, der die Wände bereits begutachtete.

" Ja, weiß ich. Also, ich zeige euch mal die Wohnung."

" Wie heißt du?" , fragte der große Typ mich.

Irgendwie schien er nie zu lachen.

" Sean. Sean McKiensey."

Ich sah ihn nicht an. Irgendwie war mir das unangenehm.

" Freut mich. Mein Name ist Justin Miller."

Ich führte die beiden durch die Wohnung. Sie war ebenfalls so schön groß wie meine. Zusätzlich wollten sie auch noch die zweite sehen. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie zusammenziehen würden, aber ...

" Gut. Wir haben uns entschieden. Wir würden gerne beide Wohnungen mieten."

" Ah oui! J'aime! La maison est très jolie! Comme le garcon!"

" Was hat er gesagt?" , fragte ich meinen neuen Dolmetscher.

" Er meinte, dass dieses Haus sehr schön ist, so wie du."

Er sprach es aus, als sei es nichts. Ohne jegliche Gefühlsregung.

" Oh ähm ... danke."

Mehr fiel mir dazu nicht ein.

Wieso hat er das gesagt? Ist der etwa schwul? Verdammt! Der wird neben mir wohnen!

" Ich würde gerne hier wohnen. Könnten wir so schnell wie möglich einziehen?"

" Ehm ... das müsstet ihr mit meiner Mutter besprechen."

Justin sagte irgendetwas zu Miguel, worauf dieser antwortete und aus der Wohnung verschwand. Während Justin das Fenster öffnete und hinaus sah, konnte ich meinen Blick nicht von ihm lösen. Was war das für ein Typ, dass er mein Interesse so sehr weckte?

Ich kann nicht verliebt sein! Erstens ist er ein Kerl und ich bin eindeutig nicht schwul und zweitens macht er mir eher irgendwie Angst. Aber wieso mag ich es dann so sehr, ihn anzusehen? Vielleicht weil er so außergewöhnlich ist. Ich bin sicher nicht der einige Mensch, der bei ihm ins Staunen versetzt wird.

" Was schaust du mich so an?"

Oh nein! Ich bin so ein Idiot! Jetzt hat er es bemerkt und wird denken, dass ich auf ihn stehe! Nein!

" Hey. Stimmt was mit dir nicht? Du siehst irgendwie blass aus. Vorher hattest du eine andere Hautfarbe."

Er war nur einen Schritt von mir entfernt und mein Herz begann so sehr zu klopfen, dass ich mir sicher war, dass er es hören konnte. Ich durfte ihn nur nicht ansehen.

" Hey ... du siehst gar nicht gut aus."

Nein! Fass mich nicht an!

" Das brauchst du mir nicht zu sagen! Das weiß ich ohnehin schon!"

Ich wusste nicht, wieso, aber ich wurde so sauer auf ihn, dass ich fast schon schrie.

Sein Blick verriet wieder nichts.

" Tut mir Leid. Du hast das wohl in den falschen Hals bekommen."

Ein schiefes Lächeln und ein eiskalter Blick. Eine Mischung, die ich nicht vertrug. Mir fiel auf, dass sich ein hellblauer Rand um die braunen Augen zog. Das war nicht seine echte Augenfarbe. Aus welchem Grund versteckte er seine echte?

" Nein. Mir tut es Leid. Ich kann dich wohl einfach nicht leiden."

In diesem Moment kam Miguel herunter und fiel Justin um den Hals. Miguel faselte irgendetwas auf französisch, worauf Justin antwortete und mir einen richtig verhassten Blick zuwarf. Dieser sollte wohl folgendes ausdrücken: Hasst du mich, werde ich dir dasselbe antun. Gut. Damit konnte ich leben. Schließlich kannte ich ihn nicht einmal richtig. Was kümmerte mich das alles hier also noch?

" Ab sofort sind wir Nachbarn. Ich hoffe, dass dein Hass dich nicht zu eigenartigen Streichen verführt."

Er zog meine Aussage vollkommen in den Dreck.

" Ich hasse dich wirklich." , sagte ich und hielt seinem Blick stand.

" Wie kann man jemanden hassen, den man nicht kennt?"

" Ganz einfach. Das hier ist ein Beispiel."

Und meine Vermutung sollte sich bestätigen.

Ich konnte nicht schlafen. Es lag nicht an dem Verkehr vor dem Haus, sondern an dem Gedanken, dass mein Nachbar mich hasste. Und zwar so sehr, dass es mir eiskalt über den Rücken lief, wenn ich nur an seinen Blick dachte. Aber was hatte ich erwartet? Schließlich hatte ich ihm doch ebenfalls direkt ins Gesicht gesagt, dass ich ihn hasste. Er konnte mich nun mal genauso wenig leiden wie ich ihn. Aber wieso nagte es dann so an mir? Ich war nicht direkt traurig darüber, aber ... es störte mich einfach sehr.

Hinzu kam auch noch, dass sie unter mir schon eine Einweihungsparty feierten und meine Eltern natürlich gleich mit von der Partie waren. Ja, meine Eltern waren diese Sorte, welche den Alterungsprozess einfach ignorierten. Ich war selbstverständlich auch eingeladen, sagte aber ab mit der Ausrede mich nicht ganz wohl zu fühlen. Und das war sogar die Wahrheit gewesen. Meine Eltern verstanden sich wirklich prächtig mit den beiden. Eben weil die so jung waren und vor allem weil Justin zufälligerweise dieselbe Orchidee auf seinen Arm tätowiert hatte, wie mein Vater. Die Blume hatte mein Vater sich bei meiner Geburt auf die Haut stechen lassen. Sie sollte also für mich stehen. Und dieser komische Justin trug dieselbe. Man! Am liebsten würde ich dich auf der Stelle umbringen! Verschwinde endlich aus meinem Kopf!

Nach langem Überlegen, beschloss ich, doch auf die Party zu gehen. Es würde nichts bringen, sollte ich weiterhin mit aller Gewalt versuchen, nicht an ihn zu denken. Ich würde ihm sagen, dass ich es nicht so gemeint habe und dass es mir Leid tat und die ganze Geschichte eben.

Schnell zog ich mich an und lief aus meiner Wohnung in die andere.

Die Tür war offen. Kein Wunder, dass es so laut war. Es war wirklich viel los und ich bemerkte schnell, was für eine Party das war. Ein Privatbordell mit zu viel Alkohol und anderen Drogen. Ich suchte nach meinen Eltern und fand sie auf einer Bank sitzen. Sie spielten irgendein Drinkspiel. Gut. Ich gönnte den beiden ihren Spaß. Seit dem Umzug hatten sie auch nicht mehr gefeiert.

Mein Blick durchforstete den gesamten Raum und hielt schließlich bei einem großen Typen mit schwarz-blauen Haaren an. Ich sah ihn zwar nur von hinten, aber das reichte mir um ihn zu erkennen. Ich sah, wie er seinen Arm um Miguel gelegt hatte und ihm ein paar Frauen vorstellte die mindestens genauso tätowiert waren wie Justin selbst. Man merkte schon, dass Miguel so etwas wie das Lauf- und Vorzeigehündchen für Justin war. Hübsch war Miguel auf jeden Fall, aber keinesfalls männlich. Neben ihm sah sogar ich mit meiner Milchbubivisage aus wie ein Kerl.

Irgendwie traute ich mich nicht mehr hinzugehen und beschloss, wieder in meine Wohnung zu gehen, doch in diesem Moment wurde ich aufgehalten. Jemand stellte sich vor mich. Jemand ziemlich großes.

" Wie alt bist du, Kleiner?"

Als ich aufsah, erkannte ich einen Typen, der Justin zum verwechseln ähnlich sah, bis auf die Haarfarbe, denn dieser hatte fast weiße Haare und schien hier so was wie der Türsteher zu sein. Bei einer Privatparty? Geht's noch?

" Ich bin 18 und ich denke, dass man mir das gut abkaufen kann."

Der Typ begann zu lachen.

" Wow! Was für eine Reaktion! Kleiner, du gefällst mir."

" Samanta?! Machst du dich wieder an Jüngere ran?"

" Verdammt! Hör auf mich Samanta zu nennen!"

" Ich liebe den Namen aber."

" Is mir klar. Und ich mache mich nicht an Jüngere ran! Er ist gerade mal zwei Jahre jünger als ich."

Ich sah wie die beiden sich böse Blicke zuwarfen. Brüder? Zwillinge? Ja, das musste so sein.

" Gut. Viel Spaß mit ihm. Aber ich sage dir eins. Er urteilt unheimlich schnell."

Ich biss die Zähne zusammen.

" Irgendwann verpass ich dir noch eine." , fauchte ich.

" Justin ..."

Der andere Typ schüttelte den Kopf und Justin verschwand.

Verdammt! Ich wollte ihm doch sagen, dass es mir ... Nein! Wenn er so mit mir umging! Er benahm sich wie ein Kind!

" Mach dir nichts draus. Justin verträgt weder Kritik noch Alkohol."

Ich musste lachen. Irgendwie schien ich diesen Typen zu mögen.

" Mein Name ist Sam." Er sah zwar fast aus wie Justin, aber allein schon sein Lächeln unterschied die beiden. Da war so was Ehrliches dahinter.

" Sean. Freut mich."

" Hey, lass uns was zu trinken holen und ich stelle dich den anderen vor."

" Ja, gerne."

Ja, ich mochte Sam jetzt schon. Er war nicht so verschlossen und vor allem war sein Lächeln ansteckend. Ich war eigentlich kein Mensch der zu viel lächelte. Von Geburt an hatte ich wohl schon Depressionen. Gut, eigentlich erst seit ich wusste, was für Eltern man mir da zugefügt hat. Meine Mutter schickte mich mit vier Jahren von einem Modelcasting zum anderen. Als ich 16 wurde, stellte sie mich sogar bei sämtlichen Schwulenmagazinen vor. Ich hasste die Leute dort. Daher kam wohl auch mein absoluter Schwulenhass. Ja, ich hasste sie. Natürlich wusste ich, dass nicht alle so waren, aber die Meisten.

" Hier." Sam reichte mir einen Cocktail der richtig professionell aussah. Er hatte ihn gerade eben auf die Schnelle hergezaubert.

" Wow. Bist du Barkeeper oder so was?"

" Bin ich. Merkt man das?"

" Ja aber sicher."

Dieser Cocktail sah nicht nur gut aus, sondern schmeckte auch noch grandios.

" Dankschön. Du bist wirklich nett. Ich weiß nich' was mein Bruder schon wieder gegen dich hat."

" Ich sagte ihm, dass ich ihn nicht leiden kann. Ich denke, dass er das eben nicht so auf sich sitzen lässt. Ich hätte auch so reagiert, glaube ich."

" Dann tut es dir Leid?"

" Ja! Ich bin ja nur hierher gekommen, um mich bei ihm zu entschuldigen, aber sein Kommentar vorher machte mich wieder so wütend."

" Darf ich dich fragen, wieso du ihm überhaupt gesagt hast, dass du ihn nicht leiden kannst?"

Wieso sollte ich ihm nichts erzählen? Irgendwie vertraute ich ihm und eventuell könnte er mir auch helfen.

" Ich weiß nicht, wieso, aber seine Gegenwart hat mich irgendwie nervös gemacht."

Sam sah mich eindringlich an, als versuchte er, meine Gedanken zu lesen.

" Du stehst nicht auf Männer. Und weil er in dir eine Unruhe ausgelöst hat, dachtest du sofort an Liebe und hast es schnell wieder verdrängt, weil es nicht in dein Schema hineinpasst."

" Woher ...? Kannst du Gedanken lesen oder was?"

Sam lächelte wieder.

" Nicht im Geringsten, aber so geht es fast allen Typen die Justin begegnen. Vertrau mir, das hat rein gar nichts mit Liebe zu tun. Justins Äußeres war früher noch extremer. Jetzt versucht er das alles so gut es geht zu verbergen. Indem er zum Beispiel Kontaktlinsen trägt, damit man seine hellen Augen nicht sieht. Außerdem wollte er die hellen Haare nicht mehr behalten und die Haut ebenfalls weniger sichtbar machen. Deshalb hat er sich so zutätowieren lassen."

" Soll das heißen, dass er in Wirklichkeit noch ..."

" Schöner ist? Ja. Ich bin froh mit einem durchschnittlichen Aussehen ausgestattet zu sein."

" Aber du siehst ihm auch verdammt ähnlich!"

" Abgesehen von den Augen, den Tattoos und vor allem von den Lippen."

Jetzt fiel es mir auf. Sam hatte wirklich vollkommen andere Lippen als Justin.

" Stimmt. Jetzt fällt es mir auch auf."

" Und? Welche findest du schöner?"

Er lächelte, meinte es nicht ernst, aber ich konnte mir meine Antwort nicht verkneifen.

" Deine. Eindeutig."

Ich verfluchte mich selbst dafür, aber ein nachträgliches Lächeln machte die Sache wieder wett. Es sollte ebenfalls wie ein Witz aussehen.

" Wirklich?"

Frag nicht nach, verdammt! Ich darf jetzt nicht falsch antworten.

" Wäre ich schwul oder eine Frau, könnte ich wirklich ernster darüber urteilen."

Prima Antwort!

Seine Antwort war ein Lächeln, das fast schon schüchtern aussah.

" Komm, ich stelle dich endlich meinen Leuten vor. Zu deinem Glück sind sie alle in der Lage, Englisch zu sprechen."

Er stand auf und nahm meine Hand. Irgendwie kam das schon eigenartig rüber, aber ich war wenigstens dankbar, dass er mich von dieser eigenartigen Küsschen-Küsschen-Begrüßung ferngehalten hatte.

" Hey Leute! Wir haben Neuzugang! Das ist Sean."

Seine Freunde bestanden aus zwei übertätowierten Frauen und drei anderen Typen, die auch nicht ganz normal zu sein schienen.

" Sean, das ist Dean. Er ist unser Friseur."

Ja, das sah man ihm an. Selbst sehr bunte Haare.

Nach und nach stellte er mir die anderen Leute vor. Sie machten alle einen netten Eindruck auf mich. Ich und Sam setzten uns du den anderen auf das alte Sofa und sobald ich saß, wurde ich mit Fragen bombardiert.

" Sean! Weißt du, dass Justin die ganze Zeit nur von dir redet?! Du bist der Erste, der ihn wirklich interessiert."

" Wohl eher im negativen Sinn."

" Mag sein, aber genau diese Aussage scheint dich so richtig interessant gemacht zu haben."

" Und wenn schon. Im Endeffekt findet er es genauso dumm wie ich." , gab ich als Antwort.

" Habt ihr nicht vor, euch miteinander zu versöhnen?"

" Ich hatte es vor, aber ... irgendwie macht er mich immer wieder aufs Neue wütend."

Dean nickte zustimmend und nahm einen Schluck von seinem Drink.

" Justin ist wirklich eine Person für sich. Man möchte meinen, der junge Herr hat seine Liebe auf dem Weg des Lebens verloren."

Jaqueline, eine der übertätowierten Frauen, wendet sich an ihn.

" Du scheinst ja immer noch ziemlich verliebt zu sein."

Dean sah sie nahezu wütend an.

" Nein. Ich wusste ja worauf ich mich einlasse."

" Eben. Ich hab dich ja gewarnt. Mein Bruder verletzt Menschen nur. Aber man glaubt mir ja nicht."

Ich mochte es, wie Sam sprach. Ob sich das jetzt auf seine Stimme oder auf den Inhalt des Satzes bezog, war mir selbst unklar.

" Allerdings. Da sind tiefe Narben in meinem Herzen."

Mit einer übertrieben Geste lockerte Dean die Stimmung wieder auf.

" Hey, Sean. Sag mal, hättest du Interesse an einem Job als Model?"

Sandrine, die andere tätowierte Frau sah mich erwartungsvoll an, als sie das fragte.

" Kommt darauf an für was."

" Na ja. Du hast so eine schöne, glatt Haut die sich richtig gut als Tattoohintergrund macht."

" Ich denke nicht, dass ich mich tätowieren lassen werde."

" Die sind unecht. Du wärst perfekt dafür. Mit dir könnte ich meinen Laden wieder aufpeppen. Natürlich wirst du dafür bezahlt."

Das hörte sich doch nach einem guten Angebot an. Ich wollte mir eh einen Job suchen und wenn ich so schon an Geld herankam, dann würde mich wohl nichts mehr aufhalten.

" In diesem Fall gerne."

" Oh danke! Du bist mein Engel! Könntest du schon morgen vorbeikommen?"

" Von mir aus gerne."

" Ich nehme dich dann mit, weil ich eh zum Arbeiten gehen werde."

" Danke Sam."

Ich mochte es wirklich, wenn er mich angrinste.

" Mache ich gerne. Als dein neuer Nachbar ist es mir eine Ehre."

" Neuer Nachbar? Ziehst du etwa auch hierher?"

Ich freute mich und das sah man wohl auch.

" Aber sicher. Meinst du ich würde tatsächlich meinen Bruder irgendwo alleine wohnen lassen? Solche Partys werden ab sofort nicht mehr selten sein. Vertrau mir."

" Magst du keine Partys?"

" Ich arbeite fast jeden Abend in einer Bar, da reicht es mir eigentlich schon mit der Partystimmung. Außerdem brauche ich Schlaf und habe wirklich keine Ahnung, wie ich das hinbekommen soll, zumal diese Wohnung nicht gerade schalldichte Wände hat."

" Sollte es dir hier zu viel werden, kannst du gerne zu mir rüber kommen. Ich freue mich über Gesellschaft. Dort kannst du dann auch gerne schlafen. Ich habe ein Gästezimmer und somit genug Platz für dich, denke ich."

" Pass auf, sonst richte ich bei dir meinen zweiten Wohnsitz ein."

" Kannst du gerne machen. Dann bin ich wenigstens nicht so alleine in meiner großen Wohnung."

" Meinst du das Ernst?"

" Ja. Absolut."

Er umarmte mich.

" Danke, Kleiner. Du rettest mir mein Leben. Ich hatte mich innerlich schon auf tonnenweise Kaffee eingestellt."

Ich musste lachen. Ich wollte unbedingt, dass wir Freunde wurden. Ich wollte öfters mit ihm reden können. Ich empfand keine Abneigung ihm gegenüber obwohl er mir nicht ganz heterosexuell vorkam. Trotzdem war er so ein lieber und aufgeschlossener Mensch, dass ich darüber hinweg sehen und wenigstens bei ihm meinen Schwulenhass vergessen konnte.

" Meinst du, ich könnte heute schon auf dein Angebot zurückkommen? Ich muss morgen wieder so früh raus, weil mein Boss mich einfach alles machen lässt"

Er sah Jaqueline vorwurfsvoll an. War sie seine Chefin?

" Ja mach das, bitte. Ist mir nur Recht."

" Na sieh einer an. Da haben sich aber zwei gefunden."

Für Außenstehende durften wir ziemlich verliebt wirken, weil wir uns ständig so ansahen, als würden wir uns ewig kennen. Da war auch keine Fremdenunsicherheit mehr. Es kam mir wahrhaftig so vor, als wären wir alte Bekannte, beste Freunde.

" Keine Sorge. Ich sehe in ihm kein Sexopfer! Also lass deine Kamera stecken." , fauchte Sam Dean an, der mich hinterlistig grinsend ansah.

" Ein nettes Paar wärt ihr auf jeden Fall und es würden wunderbare Fotos werden, die sich sicher gut machen würden in meiner kleinen Sammlung."

" Du versauter Kerl."

Sam wandte sich an mich.

" Dean sammelt wirklich Bilder von sogenannten Gay Moments . Pas lieber auf, er hat leider die Gabe, Männer zu solchen Gay Moments Motiven zu überreden."

" Ja! Und Sam ist mein größtes Opfer. Ich habe mein Lieblingsbild dabei! Willst du es sehen?"

Ich sah Sam fragend an. Wenn es ihm unangenehm war, würde ich ablehnen, obwohl ich schon neugierig war. Sam nickte einfach nur und lehnte sich mit seinem Drink zurück.

" Gerne."

Dean kramte seinen Geldbeutel aus der Tasche und zog ein Bild heraus. Er reichte es mir.

Darauf waren zwei liegende Typen zu sehen. Von dem einem sah man nur den Oberkörper und dann erkannte ich Sam, der diesen anderen Typ am Hals küsste.

" Nicht schlecht." , fiel mir dazu nur ein.

Ich sah es noch eine Weile an. Auch wenn ich schwule Models hasste, war dieses Foto irgendwo schön. Es konnte an den Farben gelegen haben oder an den Schatten. Vielleicht war es auch der Kontrast zu dem Hintergrund. Denn dort waren viele feiernde Menschen zu sehen und im Vordergrund spielte sich Etwas ganz anderes ab. Die Gefühle der feiernden Menschen und der Hauptpersonen bildeten einen deutlichen Kontrast.

" Du bist ja richtig fasziniert davon" , bemerkte Sam, der mir gefährlich nahe gekommen war um das Bild ebenfalls zu sehen. Ich mochte es wie er roch. Mir war seine Nähe nach einigen Sekunden wirklich nicht mehr unangenehm. Er war der erste Mensch, der mir so lange so nahe bleiben durfte. Nicht einmal bei meinen Eltern ließ ich das zu. Sam war jemand, der irgendwie alle Traurigkeit, die sich in meinem Körper gesammelt hatte, verschwinden ließ. Allein wenn seine Schulter meine berührte.

" Schau es dir nicht so genau an, denn sonst wirst du erkenne, dass ..."

" … da keine Gefühle im Spiel waren" , beendete ich seinen Satz.

" Stimmt."

Er sah mich wieder so eindringlich an. Ich erwiderte seinen Blick und lächelte.

" Auf den ersten Blick wirkt es echt."

" Ja. Aber ich erinnere mich noch genau daran. Das war der Abend bevor man mich zwang mir ein Tattoo stechen zu lassen."

" Du hast auch welche?"

" Ja, ich arbeite schließlich in der Branche."

" Und noch als Barkeeper."

" Richtig. Morgens im Tattoostudio und abends im La Roux als Barkeeper."

" Deshalb brauchst du auch Schlaf. Okay. In dem Fall kannst du jeder Zeit in meine Wohnung kommen."

" Das ist wirklich nett von dir. Ich hoffe nur, dass ich dich nicht störe, weil ich meistens eben nachmittags eine Pause mache und dann schlafe. Da mein Bruder Dauerpartys feiert, könnte es der Fall sein, dass ich zu dir komme ..."

" Das stört mich sicher nicht. Ich kann dir nachher den Schlüssel geben."

" Wie süß! Ihr kennt euch erst seit ein paar Stunden und zieht schon zusammen. Oh, das muss wahre Liebe sein."

" Dean! Ich bitte dich darum, einfach deinen Mund zu halten. Hätte ich nicht so einen chaotischen Bruder, müsste ich das Angebot nicht annehmen."

Apropos chaotischer Bruder. Dieser sah genervt zu mir und Sam. Wieso warf er mir so einen extrem kalten Blick zu? Er sah überhaupt nicht mehr weg.

" Sean? Was hast du?"

" Wieso schaut dein Bruder die ganze Zeit her? Wenn er mich so sehr hasst, dann soll er mich doch ignorieren."

" Vertrau mir. Der ist einfach nur richtig eifersüchtig."

Jaquelines Worte trafen zu. Das war kein Blick, der Hass ausdrücken sollte.

" Meinst du? Aber auf was?"

" Auf seinen Bruder natürlich. Er regt sich auf, dass du ihm keine Beachtung mehr schenkst. Du redest ja auch die ganze Zeit nur mit Sam."

Sie hatte Recht.

" Räche dich doch an ihm.", hörte ich Sam hinter mir sagen.

" Und wie?"

Er lächelte.

" Da würde mir einiges einfallen."

" Gut. Bei dir scheint das irgendwie einen andere Geschichte zu sein."

Ich schlang meine Arme um seinen Hals und küsste ihn.

Für ihn schien das ziemlich unerwartet zu kommen, denn er erwiderte meinen Kuss erst nach einer Weile. Ich bekam ein eigenartiges Gefühl. Es war irgendwie eigenartig einen anderen Mann zu küssen, aber bei ihm war das wirklich was anderes. Da war kein Herzklopfen oder so was. Einfach nur pure Freundschaft.

" Jungs! Justin explodiert gleich. Für diesen Anblick liebe ich euch!"

Wir lösten uns von einander, wenn auch nur zögernd und warfen einen Blick zu Justin. Ich grinste so fies wie ich nur konnte. Das schien ihn wirklich aufzuregen.

Ich hatte nicht bemerkt, dass ich Sam immer noch zu mir hinzog. Er lächelte mich freundlich an.

" Ich gehen mal davon aus, dass du das unabsichtlich machst."

Ich musste lachen.

" Eigentlich schon, ja."

Ich ließ ihn los und nahm mir meinen Drink.

" Ich liebe euch, Jungs! Heute Abend wird Justin sich vor Wut 20 Kerle vornehmen! Das gibt Futter für meinen Sammlung." Dean grinste übers ganze Gesicht.

" Nur könntet ihr euch noch einmal küssen, bitte? Ich will euch zeigen wie es aussieht."

" Sicher nur deswegen." erwiderte ich.

" Na ja. Doch. Nur deswegen."

" Gut. Ich will das sehen" , sagte ich dann zu Sam, der daraufhin an meinem Rücken entlang führ und mich an sich drückte. Meine Hände vergruben sich in seinen Haaren.

" Jungs! Pure Leidenschaft! Ich liebe es! Schaut es euch an!"

Er zeigte es uns.

" Echt nicht schlecht. Ich mag es", gab Sam zu.

" Es hat echt was Interessantes."

" Jungs! Justin ist jetzt wirklich explodiert."

Wir drehten uns um. Justin lehnte an einer Wand und beobachtete uns genauestens.

Ich fragte mich, wieso er eifersüchtig war? Er sagte doch, dass er mich ebenfalls hasste. Und er ließ es mich spüren, aber ... das hier war ... eigenartig.

" Also hasst er mich nicht?" fragte ich Sam.

" Nein. Im Gegenteil, aber ich lass sicher nicht zu, dass er dich auch so verletzt."

" Du meinst wie Dean?"

Wir sprachen leise, damit Dean es nicht hörte.

" Oh ja. Mein Bruder ist in dieser Hinsicht ein richtiger Arsch. Ich erzähle dir alles morgen oder so. ... sag mal, hättest du was dagegen, wenn ich mich verziehe? Du kannst gerne noch bleiben, aber ..."

" Nein. Ich bin auch müde und muss schließlich morgen genauso früh raus wie du."

" Stimmt."

Wir verabschiedeten uns und liefen aus dem Raum. Ich sah, dass meine Eltern noch schön beschäftigt waren.

Ich schloss die Tür zu meiner Wohnung auf und wir liefen hinein.

" Deine Eltern haben ordentlich Kohle, oder? Das dachte ich mir schon, als ich die Wohnungen hier sah."

" Das haben sie auch nur geerbt."

" Wirklich? Na ja. Geld ist Geld."

Ich zeigte ihm das große Gästezimmer.

Mit einemmal klingelt es. Ich ging an die Tür. Dort standen Dean, Jaqueline, Sandrine, Jo und Pierre.

" Tut uns schrecklich Leid, aber ... der Wagen hat schlapp gemacht", sagte Sandrine.

" Ich hab es ja gesagt! Wir hätten den 70iger Jahre Bus nicht kaufen sollen! Nur weil er so toll aussah!"

" Bis gestern lief er noch ohne Probleme!"

" Mädels streitet euch nicht. Sean, wäre es möglich, dass wir heute hier übernachten?"

" Sicher ... ich muss nur schauen, wo ich euch alle schlafen lassen kann. Also ich habe ein Gästezimmer mit einem Ehebett. Dort könnten zwei schlafen und ich habe dann noch das Wohnzimmer, wo noch drei schlafen können, wenn man es ausklappt. Gut, also kommt rein."

" Danke! Du rettest uns wirklich! Wir werden auch keine Unordnung oder so machen."

" Fühlt euch bitte wie zuhause."

Sam sah mich misstrauisch an.

"Und wo hast du vor mich schlafen zu lassen?"

" Bei mir. Wenn es dir nichts ausmacht natürlich. Sonst kann ich dir mein Zimmer überlassen und ..."

" Nein. Ich mache dir so oder so schon viel zu viele Umstände. Ich denke, wir beide passen in ein Bett."

" Gut. Von mir aus gerne."

Es war mitten in der Nacht. Ich fühlte mich so wohl neben Sam. Es war, als ob mein großer Bruder wieder hier wäre. Doch der ist vor zwei Jahren, als wir noch in Amerika lebten, ausgezogen und hatte sämtlichen Kontakt zu seiner Familie abgebrochen. Ich begriff nie, warum er gegangen war, aber ich hatte mir fest vorgenommen, ihn immer als fürsorglichen großen Bruder in Erinnerung zu behalten. Und in diesem Moment fühlte es sich wirklich so an, als wäre er wieder da. Auch er war schon immer ziemlich groß gewesen. Eben so wie Sam.

Ich drehte mich zu Sam um und kuschelte mich an ihn, wie ein kleines Kind. Er legte seinen Arm um mich und drücke mich an sich.

Alex...

Ich musste ständig an meinen Bruder denken. Der hatte sich auch immer in mein Bett gelegt, wenn ich Angst hatte und genau wie Sam schloss er mich auch so in seine Arme und alle Ängste waren verflogen. Ich dachte nicht einmal mehr an Justin, dem ich noch mehr angetan hatte. Ich genoss einfach den Moment. Ich liebte es wie Sam roch ... und so schlief ich ein.

Am nächsten Morgen, wurde ich von leisem Kichern geweckt. Als ich die Augen öffnete, sah ich Sam, der auch langsam wach wurde. Er sah an mir vorbei.

" Dean! Muss das sein?"

" Ja! Ihr seid so süß! Einfach ... unbeschreiblich."

Ich drehte mich um und sah Dean mit seiner Kamera.

" Du hast keine Fotos gemacht, oder?" , fragte ich.

" Doch. Die sind so süß. Schau sie dir an."

Ich lehnte dankend ab.

" Das muss ich mir nicht ansehen."

" Dean ... verschwinde wieder in dein Bett und lass uns noch schlafen. Wir haben noch zwei Stunden." Sam zog mich wieder an sich heran.

" Na gut. Aber die Bilder ... kommen eindeutig in die Top 10! Und schon wieder bist du dabei, Sam!"

" Kein guter Reim, Dean."

" Weiß ich. Gut, ich lasse euch noch schlafen, aber denkt ja nicht, dass ihr mich los seid!"

Ich hörte Sam leise lachen.

" Sag mal, Sam? Wie alt ist Dean eigentlich?"

" So alt wie du."

" Wirklich? Er benimmt sich wirklich jünger."

" Allerdings. Aber er ist trotz allem ein sehr liebenswerter Mensch."

" Stimmt."

Wir beide schliefen wieder ein.

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